Kitabı oku: «Das Verständnis von Vulgärlatein in der Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund der questione della lingua», sayfa 19

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Auch wenn nach 1350 die modistische Lehre keine weiteren Innovationen erfuhr, wurde sie noch bis ins 16. Jh. tradiert, war also auch im Humanismus noch präsent. Die beherrschende Strömung, neben einer konservativen averroistischen Kritik, wurde dann aber eine nominalistische Position, wie sie vor allem Wilhelm von Ockham vertreten hat,396 der selbst allerdings keine Kenntnisse der grammatica speculativa hatte, sondern sich direkt auf die traditionelle Grammatik (d.h. Priscian) und Logik bezog. Auch seine Nachwirkung blieb zunächst eher bescheiden (Wiederentdeckung im 19. Jh.), dennoch setzten sich die nominalistisch ausgerichteten Ansichten – d.h. a) die Arbitrarität des Zeichens397 und b) die Negierung der Ähnlichkeit zwischen der Struktur der Wirklichkeit und der des menschlichen Denkens – über andere wie z.B. Pierre d’Ailly (ca. 1350–1420) weitgehend durch. Die Differenziertheit und Komplexität der modistischen Sprachbetrachtung ging jedoch für die Grammatikschreibung zunächst verloren (cf. Bossong 1990:29; Wolters 1992:596–597; Jungen/Lohnstein 2007:152–155; Leiss 2009:70–72).

Neben der grammativa speculativa der Modisten gab es innerhalb der Scholastik auch noch weitere sprachtheoretische Strömungen wie die Lehre von den Suppositionen (von Wilhelm von Shyreswood (ca. 1200/1210–1266/1272) bis Wilhelm von Ockham), bei der verschiedene objekt- und metasprachliche Verwendungen von Ausdrücken diskutiert wurden (cf. Haupttypen: suppositio formalis vs. suppositio materialis), sowie andere (terministische) semiotische Diskussionen (cf z.B. appellatio vs. significatio, proprietates significatorum, proprietates terminorum) wie beispielsweise bei Anselm von Canterbury, Petrus Hispanus, Roger Bacon oder Thomas von Aquin (cf. Gombocz 1992:61–71; Nöth 2000:9–12; Coseriu 2015:148–169).

Die Epoche der Scholastik legt in vielerlei Hinsicht die Grundlage für den anschließenden Humanismus und die Renaissance, denn auch wenn letztere die Wiederbelebung der Antike als eine ihre Grundmerkmale aufweist, wurde in der mittelalterlichen Gelehrtenkultur das Erbe der Antike weitertradiert, wenn auch, bedingt durch Sprach- und Glaubensbarrieren,398 nicht umfänglich und sicherlich selektiv. Die Generation der Humanisten wird immer noch in den im Mittelalter geschaffenen Bildungsstrukturen ausgebildet, rezipiert zumindest zunächst die seit jeher tradierten Grammatiken sowie philosophischen und literarischen Autoren, wird an ihnen und an der lateinischen Sprache geschult.

Dies zeigt sich insbesondere an dem an der Epochenschwelle stehenden Dante, der ohne Teil der universitären Strukturen zu sein auch allgemeines scholastisches Wissen des 13. Jhs. repräsentiert (beeinflußt u.a. wohl von Petrus Lombardus, Bonaventura, Albertus Magnus und Thomas von Aquin) und selbst scholastische Schriften wie die Qaestio de aqua et terra, De vulgari eloquentia, die Epistola XIII und das Convivio verfaßt, dabei jedoch eigene Wege geht (cf. Imbach 2015:X).399 Dazu gehören auch die in seinem Werk nachweisbaren Einflüsse der Modisten, an erster Stelle wohl durch Boethius von Dacien, wobei Dante hinsichtlich der Zeichentheorie eine eher nominalistische, d.h. anti-modistische Auffassung vertritt, da er das Zeichen als arbiträr ansieht, wie in dem Ausdruck ad placitum (Dante, DVE I, 3, 3; 2007:28) deutlich wird, der eine geringfügige Abwandlung des in der Scholastik üblichen secundum placitum400 darstellt (cf. Kap. 6.2.2).401

Was im Humanismus trotz der erkennbaren Kontinuität sicherlich aufgebrochen wird, ist das rein formale Denken anhand der scholastischen Prinzipien und die Möglichkeit, auch außerhalb von Universitäten und klerikalen Ordensstrukturen zu wirken. Es entsteht vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche sowie der maßgeblichen Erfindung des Buchdruckes eine neue Gelehrtenrepublik mit neuen Interessensschwerpunkten (z.B. Entdeckung „neuer“ antiker Texte, Studium des Griechischen), woraus sich auch neue sprachtheoretische Fragestellungen ergeben (z.B. nach dem Ursprung der Volkssprache, den Sprachen der Antike, questione della lingua) und neue Formen des Austausches bzw. der Äußerung (z.B. Platonische Dialoge, Invektiven, volkssprachliche Traktate, Grammatiken und Wörterbücher), im Spannungsfeld zwischen städtischem Patronat, höfischem und kurialem Mäzenatentum sowie Lehr- und Bildungsstrukturen in Universitäten und neugegründeten Akademien. (cf. Kap. 6.1.1, Kap. 6.2).

6.2 Die einzelnen Positionen in der Traktatsliteratur von Dante bis Cittadini
6.2.1 Methodische Präliminarien

In den nun folgenden Kapiteln werden nacheinander die wichtigsten Protagonisten der Debatte zur antiken Sprachenfrage abgehandelt, d.h. im Wesentlichen wird pro Kapitel einer der hierbei maßgeblichen humanistischen Renaissance-Gelehrten besprochen. Im Vordergrund stehen dabei immer die jeweiligen Traktate, welche die Schlüssel-Informationen enthalten, die in dieser Diskussion relevant sind. Darüber hinaus werden dann jedoch auch weitere Schriften des jeweiligen Gelehrten berücksichtigt, um das Gesamtbild seiner Stellungnahme bzw. seiner Überlegungen zu dieser Thematik abzurunden.

Die Auswahl der Autoren und ihrer Texte richtet sich dabei zum einen nach den mehr oder weniger kanonisierten Protagonisten, die in der aktuellen Forschungsliteratur behandelt werden (cf. z.B. Schlemmer 1983a; Tavoni 1984; Marazzini 1989; Mazzocco 1993; Coseriu/Meisterfeld 2003; Marchiò 2008; Marcellino/Ammannati 2015, Eskhult 2018) und zum anderen danach, ob ein Humanist zu vorliegender Debatte inhaltlich einen neuen Aspekt beigesteuert hat und/oder in Bezug auf die Rezeption und Tradierung dieser Diskussion eine wichtige Rolle spielt.

Die einzelnen Kapitel sind unter Berücksichtigung der hier dargestellten Methodik wie folgt gegliedert: Zunächst wird der Inhalt der für diese Fragestellung zugrundegelegten Haupttexte zusammengefaßt bzw. die entscheidenden Passagen im Hinblick auf das Vorkommen von Ausführungen zum lateinischen Varietätenraum und dem Sprachwandel samt seinen Einflußfaktoren selektiert und im Hinblick auf eine exakte Verortung mit einer ersten Kommentierung versehen (cf. jeweiliger Unterpunkt: Textanalyse); daraufhin erfolgt in einem zweiten Schritt eine Bestimmung im Rahmen einer sozio und varietätenlinguistischen Einordnung (cf. jeweiliger Unterpunkt: Sozio- und varietätenlinguistische Perspektive), im dritten Schritt dann eine Rekontextualisierung unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Geistesgeschichte sowie gegebenenfalls weiterer Schriften (cf. jeweiliger Unterpunkt: Rekontextualisierung) und schließlich ein kurzes Resümee (cf. jeweiliger Unterpunkt: Synthese).

Es sei an dieser Stelle dezidiert darauf hingewiesen, daß die Analyse unter dem Gesichtspunkt einer aktuellen sozio- und varietätenlinguistischen Bestimmung nur dazu dient, den Blick auf das zeitgenössische Verständnis der Humanisten von Latein, Vulgärlatein, Varietät und Variation sowie Sprachwandel zu schärfen und keinesfalls eine Erwartungshaltung darstellt, wie gut sie modernen Konzepten wie z.B. ‚Diglossie‘, ‚Ausbau‘, ‚Diasystem‘ ‚Varietät‘, ‚Substrat‘, ‚Superstrat‘ oder ‚Vulgärlatein‘ entsprechen. Ebensowenig soll hierbei eine telische Entwicklung unterstellt werden, im Sinne, daß die Humanisten in ihrer Diskussion und ihrem Bemühen um ein Verständnis der antiken Sprachkonstellation auf die heutige Erkenntnis hinsteuern. Die Geistesgeschichte ist in gewisser Weise kontingent und nicht linear auf ein Ziel ausgerichtet. Nichtsdestoweniger kann die folgende Debatte um das Verständnis des antiken Lateins und der Entwicklung hin zu den romanischen Sprachen als Vorgeschichte sprachwissenschaftlicher Forschung gesehen werden.

6.2.2 Der unverzichtbare Vorläufer: Dante Alighieri

Der Untersuchungszeitraum vorliegender Arbeit hat die konstitutiven Eckdaten 1435 (die besagten Schriften Leonardo Brunis und Flavio Biondos, v. supra) und 1601 (das Traktat Celso Cittadinis, v. supra), dennoch wäre die Abhandlung einer metasprachlichen bzw. sprachreflektorischen Fragestellung ohne die Einbeziehung der zwar größtenteils intuitiven, aber deshalb nicht weniger bahnbrechenden Überlegungen Dantes zur Sprache hochgradig defizitär, zumal insbesondere bezüglich der Thematik der Sprachvariation und des Sprachwandels seine dezidierten Vorstellungen wegbereitend für fast alle folgenden Darstellungen sind.

Zur Sprachauffassung bei Dante Alighieri (1265–1321) sind grundsätzlich zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen, die vor allem in seiner lateinischen Schrift De vulgari eloquentia (DVE, 1303/4) niedergelegt sind, aber auch im Convivio (1304–1307) sowie implizit an der ein oder anderen Stelle der Divina Commedia (1311–1321).402 Seine volle Wirkung entfaltete das Traktat DVE jedoch erst mit seiner Wiederentdeckung (1515) und Übersetzung ins Italienische durch Gian Giorgio Trissino (1478–1550) im Jahre 1529,403 so daß es auf diese Weise Eingang in die questione della lingua fand. Mazzocco (1993:24, 29) nennt die Sprachtheorie Dantes in diesem Zusammenhang auch das elixir vitae der damit zusammenhängenden und hier fokussierten Sprachdebatte um die Frage nach dem Latein der Antike.

Aus diesem Grund sollen in vorliegendem Rahmen einige wichtige Aspekte der Dante’schen Sprachauffassung dargelegt werden, und zwar mit besonderem Fokus auf seine Gedanken und Ausführungen, die sich mit der diasystematisch faßbaren Variation der Sprache auseinandersetzen sowie auf seine Reflexionen zur Veränderlichkeit und Entwicklung der Sprache, und schließlich soll vor allem das bei ihm oft nur implizit dargestellte Verhältnis von Latein und Volkssprache herausgearbeitet werden. Dies ist dahingehend wichtig für vorliegende Untersuchung, da bestimmte Elemente der dantʼschen Argumentation bei den späteren Renaissance-Gelehrten regelmäßig wiedererscheinen, und zwar zum einen indirekt im Zuge einer allgemeinen mittelalterlichen Sprachauffassung, die sich in manchen Zügen auch bei Dante widerspiegelt und zum anderen direkt mit oder ohne expliziter Nennung Dantes als wichtige Referenzautorität.404

Textanalyse

Schon zu Beginn seines Traktats De vulgari eloquentia charakterisiert er die Volkssprache in Italien (vulgarem locutionem), also das zeitgenössische Italienische (bzw. seine Varietäten). Diese sei eine Sprache, die die Kinder von ihrer Umgebung lernen (ab assistentibus), sobald sie anfangen Wörter zu unterscheiden (distinguere voces), oder anders ausgedrückt eine Sprache, die man ohne jede Regel lernt (sine omni regula), indem man die Amme nachahmt (nutricem imitantes).

Sed quia unamquanque doctrina oportet non probare, sed suum aperire subiectum, ut sciatur quid sit super quod illa versatur, dicimus, celeriter actendentes, quod vulgarem locutionem appellamus eam qua infantes assuefiunt ab assistentibus cum primitus distinguere voces incipiunt; vel, quod brevius dici potest, vulgarem locutionem asserimus quam sine omni regula nutricem imitantes accipimus. (Dante, DVE I, 1, 2; 2007:20)

Das Lateinische seiner Zeit sieht Dante als sekundäre Sprache (locutio secundaria) – und damit die Volkssprache ex silentio als primäre –, die man mit großem Zeitaufwand (per spatium temporis) durch das Studium derselben erlernen muß (studii assiduitatem); man nennt sie gramatica (sic!) und sie ist eine künstliche Sprache (artificalis), während die Volkssprache naturgegeben sei (naturalis est nobis). Die Tatsache, daß die Volkssprache für Dante als primär einzustufen ist und das Lateinische als sekundär ist nach Bossong (1990:52) in dreierlei Hinsicht gültig, und zwar a) in Bezug auf den Einzelnen, der erst die Muttersprache (bzw. die Sprache der Amme) lernt bzw. aufsaugt, das Latein als Kunstsprache aber erst später erwirbt und auch nicht auf „natürlichem“ Weg, sondern durch das schulische Erlernen, b) in Bezug auf die Gesellschaft, insofern nur manche Sprachgemeinschaften das Lateinische benutzen, wohingegen alle Völker eine Muttersprache haben und c) schließlich in Bezug auf die innere Beschaffenheit der Sprache, wodurch die Volkssprache als natürlich (primär) und das Lateinische als künstlich (sekundär) klassifiziert wird.

Est et inde alia locutio secundaria nobis, quam Romani gramaticam vocaverunt. Hanc quidem secundariam Greci habent et alii, sed non omnes: ad habitum vero huius pauci perveniunt, quia non nisi per spatium temporis et studii assiduitatem regulamur et doctrinamur in illa. (Dante, DVE I, 1, 3; 2007:22)

Harum quoque duarum nobilior est vulgaris: tum quia prima fuit humano generi usitata; tum quia totus orbis ipsa perfruitur, licet in diversas prolationes et vocabula sit divisa: tum qui naturalis est nobis, cum illa potuis artificalis existat. Et de hac nobiliori nostra est intentio petractare. (Dante, DVE I, 1, 4; 2007:22)

Was das Latein anbelangt, so ist Dante ganz der mittelalterlichen Tradition verhaftet (cf. Kap. 6.1.5) und sieht die Sprache als unveränderlich an (inalterabilis locutionis),405 und zwar in Zeit und Raum (diversibus temporibus atque locis), eben im Gegensatz zur Volksprache,406 betont außerdem ihre Künstlichkeit, indem er von den „Erfindern“ der gramatica spricht (inventores gramatice)407 und weist auf die verschiedenen Funktionen dieser auf einem gemeinsamen Konsens beruhende Sprache hin (comuni consensu multarum gentium).408 Dabei, so kann man interpretieren, führt er die auch heute noch wichtigen Funktionen der Schriftlichkeit in einer Gesellschaft an, nämlich die Bewahrung und Tradierung des Wissens über größere Zeiträume hinweg (antiquorum autoritates et gesta) und unabhängig vom Raum (a nobis locorum diversitas), d.h. die Entkoppelung der Kommunikation von der Situationsgebundenheit wie bei einer face-to-face-Kommunikation.

Hinc moti sunt inventores gramatice facultatis: que quidem gramatica nichil aliud est quam quedam inalterabilis locutionis ydemptitas diversibus temporibus atque locis. Hec cum de comuni consensu multarum gentium fuerit regulata, nulli singolari arbitrio videtur obnoxia, et per consequens nec variabilis esse potest. Adinvenerunt ergo illam ne, propter variationem sermonis arbitrio singularium fluitantis, vel nullo modo vel saltim imperfecte antiquorum actingeremus autoritates et gesta, sive illorum quos a nobis locorum diversitas facit esse diversos. (Dante, DVE I, 9, 11; 2007:60)

Im Gegensatz zum Lateinischen charakterisiert Dante die Volkssprache als veränderlich, und zwar in Zeit und Raum.

Im Zuge seiner Betrachtung der Sprachen Europas unterteilt er mit Hilfe des Bejahungspartikels, ausgehend von einem ydioma tripharium, den Kontinent in drei sprachliche Großgruppen, nämlich die der nördlichen Region (septentrionalem regionem; Partikel: ) die der südlichen Region (meridionalem regionem) und die der Griechen (Grecos) (cf. Dante, DVE I, 8, 2; 2007:50).

Er beschreibt nun ferner eine weitere sprachliche Aufsplittung, die er ebenfalls anhand eines einzigen Kriteriums festmacht, nämlich wiederum durch den Bejahungspartikel. Für die südliche Region schließlich postuliert er also ein weiteres ydioma tripharium, welches wie das übergeordnete ebenfalls dreigeteilt ist und die Sprache der Spanier (Yspani; Partikel: oc),409 der Franzosen (Franci; Partikel: oil) und der Italiener (Latini; Partikel: ) repräsentiert (cf. Dante, DVE I, 8, 5; 2007:52).410

Anhand der Volkssprache(n) auf der Apennin-Halbinsel zeigt er im Folgenden weitere Arten der Variabilität auf. So veranschaulicht er die räumliche Variation, indem er die italienischen Dialekte, 14 an der Zahl (xiiii vulgaribus sola videtur Ytalia), rechts und links des Apennins auflistet (Latium bipartitum), wobei der Gebirgskamm (iugum Apenini) als sprachliche Trennlinie (linea dividente) fungiert.

Nos vero iudicium relinquentes in hoc et tractatum nostrum ad vulgare latium retrahentes, et receptas in se variationes dicere nec non illas invicem comparare conemur.

Dicimus ergo primo Latium bipartitum esse in dextrum et sinistrum. Si quis autem querat de linea dividente, breviter respondemus esse iugum Apenini, quod, ceu fistule culmen hinc inde ad diversa stillicida grundat aquas, ad alterna hinc inde litora per ymbricia longa distillat, ut Lucanus in secundo describit: dextrum quoque latus Tyrenum mare grundatorium habet, levum vero in Adriaticum cadit.

Et dextri regiones sunt Apulia, sed non tota, Roma, Ducatus, Tuscia et Ianuensis Marchia; sinistri autem pars Apulie, Marchia Anconitana, Romandiola, Lombardia, Marchia Trivisiana cum Venetiis, Forum Iulii vero et Ystria non nisi leve Ytalia esse possunt; nec insule Tyreni maris, videlicet Sicilia et Sardinia, non nisi dextre Ytalie sunt, vel ad dextram Ytaliam sociande. (Dante, DVE I, 10, 3–5; 2007:64).

So führt Dante im Folgenden aus, daß es nicht nur die angegebenen 14 Volksprachen in Italien gäbe (v. supra), sondern auch innerhalb dieser eine weitere Differenzierung festzustellen sei (omnia vulgaria in sese variantur). Als Beispiel einer Feingliederung gibt er dabei das Senesische und Aretinische innerhalb des Toskanischen an sowie das Ferraresische und Piacentinische innerhalb des Lombardischen.

Quare ad minus xiiii vulgaribus sola videtur Ytalia variari. Que adhuc omnia vulgaria in sese variantur, ut puta in Tuscia Senenses et Aretini, in Lombardia Ferrarenses et Placentini; nec non in eadem civitate aliqualem variationem perpendimus, ut superius in capitulo immediato posuimus. Quapropter, si primas et secundarias et subsecundarias vulgaris Ytalia variationes calculare velimus, et in hoc minimo mundi angulo non solum ad millenam loquele variationem venire contigerit, sed etiam ad magis ultra. (Dante, DVE I, 10, 7; 2007:66).

Etwas komplexer ist der Fall seiner ebenfalls in diesem Zusammenhang geschilderten Diversität der Volksprache innerhalb einer Stadt, die er am Beispiel von Bologna festmacht. Hierbei stellt er weitere Unterschiede in der Sprache der Einwohner verschiedener Stadtviertel fest, was er an den beiden Bezirken Borgo San Felice (Bononienses Burgi Sancti Felicis) und der Strada Maggiore (Bononienses Strate Maioris) exemplifiziert.

Quare autem tripharie principalius variatum sit, investigemus; et quare quelibet istarum variationum in se ipsa variatur, puta dextre Ytalie locutio ab ea que est sinistre (nam aliter Paduani et aliter Pisani locuntur); et quare vicinus habitantes adhuc discrepant in loquendo, ut Mediolanenses et Veronenses, Romani et Florentini, nec non convenientes in eodem genere gentis, ut Neapolitani et Caetani, Ravennates et Faventini, et, quod mirabilius est, sub eadem civilitate morantes, ut Bonienses Burgi Sancti Felicis et Bonienses Strate Maioris. (Dante, DVE I, 9, 4; 2007:56)

Dante zeigt demnach die diatopische Variabilität der Volkssprache Stufe für Stufe auf, zunächst innerhalb Italiens, dann innerhalb der einzelnen Landschaften, der einzelnen Städte und schließlich sogar innerhalb der Städte.

Ein weiterer Aspekt der Sprachvariation, der sich aus De vulgari eloquentia herauslesen läßt, ist in einem Kapitel mit biblischen Implikationen angesiedelt. So schildert Dante, daß beim Turmbau zu Babel nach der göttlichen Sprachverwirrung, durch die das Menschengeschlecht seines einheitlichen Idioms beraubt wurde, all diejenigen die gleiche Sprache unter sich behielten (loquela remansit), die die gleiche berufliche Tätigkeit ausübten (in uno convenientibus actu). Als Beispiel nennt er die Gruppe der Architekten bzw. Baumeister (cunctis architectoribus) und diejenige der Steineroller bzw. -transporteure (cunctis saxa volventibus) sowie unbestimmte weitere Berufsgruppen, deren Sprache im Sinne einer Diastratik interpretierbar wäre (v. infra).

Solis etenim in uno convenientibus actu eadem loquela remansit: puta cunctis architecoribus una, cunctis saxa volventibus una, cunctis ea parantibus una; et sic de singulis operantibus accidit. Quot quot autem exercitii varietates tendebant ad opus, tot tot ydiomatibus tunc genus humanum disiungitur; et quanto excellentius exercebant, tanto rudius nunc barbariusque locuntur. (DVE I, 7, 7; 2007:46)

Als letzte Art der bei Dante dargestellten Sprachvariation sei die zeitliche Ebene bzw. der Sprachwandel angesprochen. Recht explizit manifestiert sich dies am Beispiel der Einwohner von Pavia. So schildert er anschaulich, daß im Falle des Wiederauferstehens früherer Einwohner der Stadt (vetustissimi Papienses), man sehen würde, daß diese in einer ganz anderen Sprache reden würden (sermone vario vel diversos) als die heutige Bevölkerung (modernis Papiensibus). Um das Phänomen für den Leser noch deutlicher zu gestalten, zieht Dante hier die Parallele zu einer wenn nicht so starken, aber dennoch wahrnehmbaren Veränderung der Sprache im Laufe eines Menschenlebens. So ist dies für ihn auch Indiz für eine vermeintliche Unveränderlichkeit der Sprache, denn – so seine Ausführungen – wird man bei einem jungen Mann, den man aufwachsen sieht, die sich verändernde Sprache nicht wahrnehmen, weil dies so langsam vor sich geht.

Nec dubitandum reor modo in eo quod diximus ‚temporum‘, sed potius opinamur tenendum: nam sia alia nostra opera perscrutemur, multo magis discrepare videmur a vetustissimis concivibus nostris quam a coetanis perlonginquis. Quapropter audacter testamur quod si vetustissimi Papienses nunc resurgerent, sermone vario vel diverso cum modernis Papiensibus loquerentur.

Nec aliter mirum videatur quod dicimus quam percipere iuvenem exoletum quem exolescere non videmus: nam que paulatim moventur, minime perpenduntur a nobis, et quanto longiora tempora variatio rei ad perpendi requirit, tanto rem illam stabiliorem putamus. (Dante, DVE I, 9, 7–8; 2007:58)

Die Veränderlichkeit der Sprache in zeitlicher Dimension spricht er implizit wie auch explizit auch in Zusammenhang mit der Gliederung der europäischen Idiome an (v. supra). So erklärt er zunächst (cf. Dante, DVE I, 8, 3; 2007:50), daß auch aus dem ersten ydioma tripharium verschiedene Volkssprachen entstanden (diversa vulgaria traxerunt originem), was zwangsläufig einen nicht unerheblichen Sprachwandel beinhaltet. In Bezug auf das zweite idioma tripharium wird er noch deutlicher und so ist bereits im Titel des 9. Kapitels zu lesen (cf. DVE I, 9; 2007:54–60), daß sich die Volkssprache mit der Zeit verändert (per tempora idem idioma mutatur).411 Im Folgenden führt er diesen Aspekt weiter aus und leitet ein, daß es nun um die Veränderung der ursprünglich einmal einheitlich gewesenen Sprache ginge (cf. Dante, DVE I, 9, 1; 2007:54). Zieht man den gesamten Zusammenhang der in diesen Abschnitten geschilderten Vorgänge in Betracht, so wird deutlich, daß es nicht allein um die Veränderlichkeit in der Zeit geht, sondern dies – angesichts des langen Zeitraumes – auch eine Veränderung in der Art der Sprache nach sich zieht. Schließlich stellt Dante die zeitliche und räumliche Variabilität der Sprache auch gegenüber und befindet, daß die sprachliche Distanz zu den entfernt hausenden Bewohner innerhalb eines Sprachraumes geringer sei als die als sehr groß empfundene (multo magis discrepare) zwischen früheren (vetustissimis) und heutigen (coetaneis) Zeitgenossen, was er vor allem an den überlieferten schriftsprachlichen Werken (alia nostra opera) festmacht (cf. Dante, DVE I, 9, 7; 2007:58).

Ein wichtiges Moment in den Dante’schen Ausführungen zur Variabilität der Volkssprache sind die dargelegten Ursachen dieser Veränderlichkeit (cf. Dante, DVE I, 9, 6; 2007:58). So begründet er die Tatsache, daß die Sprache nicht dauerhaft ist bzw. nicht von Kontinuität geprägt ist (nec durabilis nec continua esse potest) damit, daß ja auch der Mensch ein unbeständiges und veränderliches Lebewesen (instabilissimum atque variabilissimum animal) sei. Dabei parallelisiert er zusätzlich die Sprache mit anderen Charakteristika der menschlichen Gesellschaft, nämlich mit den Sitten und Gebräuchen (mores et habitus), die ebenfalls veränderlich seien. Beide Gegebenheiten verändern sich dabei – wie er nochmals betont – in Raum und Zeit (per locorum temporumque distantis variari oportet).

Die Instabilität der Volkssprache ist zwar aus seiner Sicht ein Nachteil, aber kein „difetto assoluto“ wie Vinay (1959:241) deutlich macht, da durch einen großen Dichter, der genügend Kunstfertigkeit (ars) aufweist und ein entsprechendes Opus schöpfen kann, die Sprache perfektioniert und mit entsprechender Dignität versehen werden kann (cf. Vinay 1959:241–242).

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