Kitabı oku: «Traumatische Verluste», sayfa 5

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3.1Das Verlusttrauma als bipersonales Trauma

Wenn wir also die Dynamik eines Verlusttraumas richtig verstehen wollen, müssen wir von einer doppelten Traumatisierung ausgehen:

Trauma des Verstorbenen: Aus Sicht der Hinterbliebenen ist der Verstorbene der eigentlich Traumatisierte, weniger sie selbst. Der nahe verstorbene Mensch hat das größte Trauma erlitten, nämlich das Trauma des Sterbens und des Todes. Er hat die größte Verwundung und Ohnmacht, nämlich die des Todes erlebt. Die Liebe und die Loyalität zum Verstorbenen stellen seinen Tod als das eigentliche Trauma in das Zentrum des Erlebens. Die Hinterbliebenen haben entweder dieses Trauma direkt miterlebt oder aber sie stellen es sich vor, oft bis in kleinste Details. So stellt sich die Mutter eines 17-jährigen Sohnes vor, wie dieser auf den Gleisen steht, den Zug erwartet und dann von diesem erfasst wird. Immer wieder drängt sich dieses Bild von den letzten Sekunden ihres Sohnes auf. Wie diese Mutter blicken die Hinterbliebenen von sich weg auf das Trauma des Verstorbenen. Aus dem Mitgefühl für diesen so traumatisierten nahen Menschen wird dessen Trauma schließlich auch zu einem übernommenen eigenen Trauma.

Merke!

Für die Hinterbliebenen ist der Verstorbene der eigentlich Traumatisierte, nicht sie selbst. Die Loyalität zum Verstorbenen stellt das Trauma seines Sterbens und Todes in das Zentrum des Erlebens von Hinterbliebenen.

Trauma der Hinterbliebenen: Auch wenn für die Hinterbliebenen das Trauma des Verstorbenen im Vordergrund steht, sind sie doch durch die Erfahrungen des Schrecklichen, der Vernichtung des nahen Menschen, der erlebten Todesnähe und der eigenen totalen Ohnmacht wie in den vorangegangen Kapiteln beschrieben auch selbst traumatisiert. Das eigene Trauma der Hinterbliebenen ist ihnen aber meist kaum zugänglich, weil der Verlust und das Trauma des Verstorbenen im Vordergrund stehen. Zudem führen die dissoziativen Reaktionen dazu, dass die eigene Traumatisierung nicht unmittelbar gefühlt werden kann. Intensive Verlustschmerz-Attacken durchbrechen den Schutz der Dissoziation immer wieder und lassen über die schmerzende Trauer den Verlust als Verlust, nicht aber als eigene Traumatisierung bewusst werden.

In einem Verlusttrauma erleben die Betroffenen also ein doppeltes Trauma: das Trauma des Verstorbenen, das sie zugleich über verschiedene Prozesse auch als eigenes Trauma erleben, und eben das eigene Trauma der überwältigenden Ohnmacht und Hilflosigkeit.

Deshalb möchte ich dieses zweifache Trauma als bipersonales Verlusttrauma bezeichnen. Dementsprechend müssen wir dann auch eine doppelt angelegte, nämlich bipersonale Traumatherapie für den Verstorbenen (!) und für die Hinterbliebenen durchführen.

Merke!

Das Verlusttrauma besteht aus einem zweifachen Trauma: aus dem Trauma des Verstorbenen und dem Trauma der Hinterbliebenen. Wir sprechen von einem bipersonalen Verlusttrauma, wobei das Trauma des Verstorbenen im Erleben der Hinterbliebenen Vorrang besitzt.

3.2Das Trauma des Verstorbenen – Das Zentrum des Verlusttraumas

Schauen wir uns das Trauma des Verstorbenen noch einmal genauer an, damit wir die Perspektive der Hinterbliebenen und ihre Betroffenheit über das Trauma des Verstorbenen besser verstehen können.

Das Trauma des Verstorbenen hat je nach Verlustsituation verschiedene Facetten:

Das Leiden des nahen Menschen beim Sterben: Das Trauma des Verstorbenen wird für die Hinterbliebenen einfühlbar über ein tatsächliches oder vorgestelltes Leiden beim Sterben des nahen Menschen. Insbesondere eine körperliche Entstellung wie bei einem Unfall oder bei einem gewaltsamen Suizid machen das Leiden und damit die Traumatisierung des Verstorbenen sichtbar.

Je massiver der nahe Mensch tatsächlich oder vorgestellt bei seinem Tod gelitten hat, desto stärker wird dies als sein Trauma erlebt, und desto intensiver leiden die Hinterbliebenen mit dem Verstorbenen und seinem Trauma. Für Hinterbliebene ist deshalb die Frage, ob und wie der Verstorbene vor seinem Tod gelitten hat, sehr zentral.

Berauben des Lebens und der damit verbundenen Lebensmöglichkeiten: Für die Hinterbliebenen besteht die Traumatisierung durch den Tod des nahen Menschen in dem abrupten, oft gewaltförmigen Abbruch seines Lebens. Der nahe Mensch wird seines Lebens und der damit verbundenen zukünftigen Lebensmöglichkeiten beraubt. Er kann und darf nicht weiterleben, sich entfalten und seine Lebensmöglichkeiten entwickeln. Dies ist besonders beim Tod von Kindern sehr deutlich, deren mögliche Lebenszukunft einen großen Raum hätte, aber viel zu früh brutal abgebrochen wird. Hinterbliebene erleben dieses Beenden und Vernichten des Lebens und der Lebensträume als massives Trauma der Verstorbenen.

Das Sterben als größte Traumatisierung: Jede Traumatisierung stellt sich als körperliche oder psychische Verwundung dar, die den anderen verletzt und in seinem Leben gefährdet. Trifft nun der Tod einen nahen Menschen, wird dies als maximal mögliche Verletzung, nämlich als eine zum Tode führende Verletzung verstanden. Sehr deutlich wird diese größtmögliche Traumatisierung beim Tod durch Katastrophen, bei einem Verlust von Kriegskameraden oder durch die Ermordung des nahen Menschen. Ein Vater stellt sich immer wieder in Einzelheiten vor, wie seine Tochter von ihrem Mörder misshandelt und schließlich erwürgt wurde. Ihr Tod wird durch die größtmögliche vorstellbare Traumatisierung, nämlich durch die grausame Ermordung verursacht. Bei Soldaten stellt neben der eigenen Bedrohung z. B. durch Beschuss gerade der miterlebte, meist brutale Tod eines Kameraden die massivste Traumatisierung dar.

Der Tod als größte Ohnmachtserfahrung: Die Leblosigkeit des nahen Menschen zeigt, wie ohnmächtig der Verstorbene und die Hinterbliebenen sind. Der Verstorbene kann nicht mehr reden, sich nicht mehr bewegen und nicht mehr atmen. Ebenso wenig können die Angehörigen noch etwas für den nahen Menschen tun. Diese massive Ohnmachtserfahrung wird meist dadurch ein wenig gemildert, dass der Verstorbene im Sarg ruhig schlafend und friedlich aussieht. Dennoch bleibt die Ohnmacht des Verstorbenen als Grunderfahrung jeder Traumatisierung bei einem schweren Verlust bestehen.

Der Tod als Erfahrung von Schutzlosigkeit und Verwundbarkeit: Gerade bei dem Tod von Kindern wird wie im obigen Fallbeispiel 4 deutlich, was für alle verstorbenen nahen Menschen gilt, nämlich dass es keinen ganz sicheren Schutz gibt und dass jeder Mensch verletzlich und verwundbar ist. Das Verlusttrauma zeigt, dass der verstorbene geliebte Mensch – wenn auch nur für Augenblicke – der Übermacht des Todes ausgesetzt war und die Hinterbliebenen ihn nicht schützen konnten. Genau dieses aber ist für viele Hinterbliebene ein großer Schmerz, dass sie ihren nahen Menschen seiner Schutzlosigkeit preisgeben mussten. Der verstorbene nahe Mensch hatte keine Möglichkeit, diesem Vernichtungsgeschehen zu entkommen oder sich zu wehren. Hier wird noch einmal die Totalität der Ohnmacht des Verstorbenen, die dann auch als Ohnmacht des Hinterbliebenen erlebt wird, deutlich.

Ausgeliefertsein an die Vernichtungsmacht und die Sinnlosigkeit des Todes: Aus Sicht der Hinterbliebene ist der Verstorbene nicht nur an die Vernichtungsmacht des Todes, sondern auch an die oft absurden Zufälle beispielsweise eines Unfalls ausgeliefert. Der Tod des nahen Menschen lässt sich meist nicht begreifen und verstehen, weil seine Art des schrecklichen Sterbens ebenso sinnlos erscheint wie sein Tod selbst. Der verstorbene nahe Mensch ist an die Sinnlosigkeit, in der sich die Bodenlosigkeit des Nichts zeigt, ausgeliefert. Die Sinnlosigkeit reißt den nahen geliebten Menschen aus allen verstehbaren Zusammenhängen und Kontinuitäten.

Einsamkeit des nahen Menschen bei seinem Tod: Eine weitere intensive Traumatisierung des nahen Menschen erleben Hinterbliebene, wenn sie beim Sterben nicht dabei sein konnten und vermuten müssen, dass er bei seinem Sterben sich einsam und verlassen fühlte. Der verstorbene nahe Mensch konnte die Hinterbliebenen in seiner schlimmsten Stunde nicht erreichen, und auch die Hinterbliebenen konnten nichts tun, um ihm in seinem schrecklichsten Moment nahe zu sein.

Suizid als Selbsttraumatisierung: Eine besondere Form der Traumatisierung des Verstorbenen liegt aus Sicht der Hinterbliebenen bei einem Suizid des nahen Menschen vor (Paul 2012; Wagner u. Hofmann 2020). Hier fügt sich der Suizidant selbst das größtmögliche Trauma, nämlich das der Tötung zu, auch wenn dieser selbst seinen Suizid z. B. als Befreiung von einer Depression versteht. Die Selbsttraumatisierung wird besonders bei den so genannten harten Suizidmethoden wie dem Erhängen, Erschießen oder beim Schienensuizid deutlich. In der Selbsttraumatisierung richtet der Suizidant die Vernichtungsaggression verletzend und verwundend gegen sich selbst. Hinterbliebene sagen oft, dass sie nicht begreifen können, dass der nahe Mensch sich so etwas wie den Suizid antut.

Je mehr der hier genannten Aspekte bei dem traumatischen Sterben eines nahen Menschen zusammentreffen, desto stärker wird das Trauma des Verstorbenen als sein Trauma erlebt.

3.3Empathie, Identifikation und Internalisierung – Wie das Trauma des Verstorbenen zu den Hinterbliebenen kommt

Das Trauma des Verstorbenen bleibt nun nicht beim Verstorbenen, sondern wird über zwei Wege auch zum übernommenen Trauma der Hinterbliebenen:

Von Empathie bis zu Identifikation mit dem Trauma des Verstorbenen und Mitgefühl für das Trauma des Verstorbenen: In der Empathie gehen die Hinterbliebenen zum nahen Menschen in seiner Traumatisierung. Sie fühlen sich emotional in den nahen Menschen hinein und sind mit ihrem Mitgefühl ganz bei ihm und seiner Traumatisierung. So sind die Eltern im obigen Fallbeispiel 3 bei den Verbrennungen ihrer Tochter und spüren sie am eigenen Körper als eigenen Schmerz. Je massiver das Trauma des Verstorbenen und je intensiver die Liebe zum Verstorbenen, desto weiter reicht das Mitgefühl für den Verstorbenen mit seinem Trauma. Das geht oft bis zur Identifikation mit dem nahen Menschen und seiner Traumatisierung.

Internalisierung des Traumas des Verstorbenen: In einer zweiten emotionalen Bewegung nehmen die Hinterbliebenen die Traumatisierung zu sich in das eigene Erleben und in den eigenen Körper. Sie machen sich das Trauma über den und im eigenen Körper zu eigen, und so wird es zu einem eigenen Trauma. Am und im eigenen Körper wird die Traumatisierung des Verstorbenen als körperliche Verwundung schmerzend erlebt. Damit wird das Trauma des Verstorbenen über die mitfühlenden Empfindungen verkörpert, also » embodied«. Auch der Verstorbene selbst wird durch die Internalisierungsprozesse mitsamt (!) seinem Trauma zu einem Ego-State in den Hinterbliebenen.

Sowohl die Prozesse der empathischen Identifikation als auch der übernehmenden Internalisierung geschehen zunächst ganz spontan, unwillkürlich und anfangs auch unbewusst insbesondere auf der Körperebene und werden z. B. über die Spiegelneuronen (vgl. folgender Exkurs) vermittelt. Insofern gibt es für die Hinterbliebenen keine andere Wahl, als das Trauma des nahen Menschen durch Identifikation und Internalisierung zu übernehmen.

Aber Hinterbliebene wollen aus Liebe auch ganz bewusst die Traumatisierung des nahen Menschen genau kennen. So befragen sie z. B. Ärzte oder Rettungskräfte sehr genau, wie der nahe Mensch sein Sterben erlebt hat, insbesondere ob er bei seinem Sterben gelitten hat. Hinterbliebene tun dies aus Liebe zum Verstorbenen, und so ist für sie die Identifikation mit dem Trauma und die Internalisierung des Traumas des Verstorbenen immer ein Dienst der Liebe, auch wenn für sie selbst damit das Trauma des Verstorbenen wie in den obigen Fallbeispielen zu einer Belastung wird. In der Arbeit mit den Hinterbliebenen müssen wir deshalb diesen Liebesdienst der Internalisierung und der Identifikation unbedingt anerkennen und würdigen. Beachten wir die Loyalität auch gegenüber dem Trauma des Verstorbenen nicht, gerät der Hinterbliebene in einen schweren Loyalitätskonflikt. Wie wir die Loyalität zum Trauma des Verstorbenen heilsam transformieren können, sehen wir in Kapitel 8 und 11.

Merke!

Die Übernahme des Traumas des Verstorbenen ist ein Dienst der Liebe der Hinterbliebenen für den Verstorbenen und muss als Liebesdienst gewürdigt werden.

Exkurs:

Spiegelneuronen, Mentalisierung und Mitgefühl

Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die im Gehirn während der Betrachtung eines externen Vorgangs die gleichen Potenziale auslösen, wie sie entstünden, wenn dieser Vorgang nicht nur passiv betrachtet, sondern aktiv durchgeführt oder selbst gefühlt würde (Gallese, Bertram u. Buccino 2011). Dies gilt nicht nur für einfache Handlungsabläufe, sondern auch für das emotionale Nachvollziehen der Gefühle von anderen beobachteten Menschen, z. B. deren Schmerz. Deshalb sind die Spiegelneuronen die entscheidende neuronale Basis für die Fähigkeit der Empathie, insbesondere einer spontanen, oft unbewussten Empathie. Dieses Spiegelneuronensystem ist bei nahen Menschen und besonders bei deren Bedrohung oder Verletzung überaus aktiv und vermittelt so – zunächst unwillkürlich und daher unbewusst – ein tiefes Mitfühlen mit dem Schmerz der anderen (!). Dies geschieht im anterioren cingulären Cortex, der für uns zunächst den eigenen Schmerz, dann aber auch den Schmerz der anderen abbildet. Die Spiegelneuronen in dieser Gehirnregion sind also am eigenen Schmerzerleben auf die Wahrnehmung des Schmerzes von anderen (!) geeicht.

Dazu kommt nun auch die früh als Kind eingeübte Fähigkeit zur Mentalisierung (Fonagy u. Gergely 2015), die durch das Sterben und den Tod eines nahen Menschen ebenfalls automatisch aktiviert wird. Über die Mentalisierung können wir die Gefühle, die inneren Zustände und Motive eines anderen Menschen zunächst intuitiv, dann aber auch reflektiert erschließen. Wir »wissen« über die Identifikation und die Parallelisierung des eigenen Erlebens mit dem Erleben anderer, wie es diesen in einer bestimmten Situation ergehen »muss«. Da wir diese Fähigkeit schon ab dem 3. bis 4. Lebensjahr lange Zeit eingeübt und über die Rückmeldungen unserer Bezugspersonen überprüft haben, ist unsere Mentalisierung im Normalfall sehr valide. Deshalb wissen Hinterbliebene in aller Regel sehr genau, wie es ihrem nahen Menschen, den sie auch sehr gut kennen, in seiner Sterbesituation gehen musste.

Die Prozesse der empathischen Identifikation und der übernehmenden Internalisierung des Traumas des Verstorbenen wird in der folgenden Abbildung gezeigt.


Abb. 1: Die bipersonale Traumatisierung bei einem traumatisierenden Verlust und die Prozesse der empathischen Identifikation und der übernehmenden Internalisierung

3.4Die Traumatisierung der Beziehung zum Verstorbenen

Haben wir bisher das Trauma des Verstorbenen und der Hinterbliebenen dargestellt, kommen wir nun zu einer dritten Traumatisierung. Ein Verlusttrauma verändert meist auch die Beziehung zum Verstorbenen massiv und fundamental, denn auch die Beziehung zum Verstorbenen wird in aller Regel in unterschiedlicher Weise traumatisiert. So müssten wir eigentlich von einer dreifachen Traumatisierung sprechen, nämlich von der Traumatisierung des Verstorbenen, des Hinterbliebenen und der Beziehung zu ihm. Diese Traumatisierung der Beziehung hat folgende Aspekte:

Unterbrechung der inneren Beziehung durch die Vernichtungserfahrung: Viele Hinterbliebene erleben die traumatisierende äußere Vernichtung des nahen Menschen zunächst auch auf der Beziehungsebene als innere Vernichtung des nahen Menschen, durch die ihnen der verstorbene nahe Mensch gänzlich entrissen wird und er nicht mehr zu spüren ist. Zudem ist das innere Objekt durch das Freezing und Numbing häufig anfangs dissoziiert, weshalb die innere Beziehung selbst vernichtet zu sein scheint. Viele Hinterbliebene erleben den nahen Menschen auch aus ihrem Herzen gerissen oder als eine Leerstelle im Inneren.

Wir können den Hinterbliebenen allerdings versichern, dass die Liebe, wissenschaftlich ausgedrückt, das Bindungssystem, den verstorbenen nahen Menschen ganz sicher bewahrt, auch wenn er zunächst durch die Traumareaktionen als inneres Gegenüber nicht erreichbar ist.

Traumabedingte Blockade der inneren Beziehungsgefühle zum Verstorbenen: Die beschriebenen peritraumatischen Reaktionen des Freezings, des Numbings und der Dissoziation dämpfen zwar den Verlustschmerz, oft aber auch die Beziehungsgefühle zum Verstorbenen. Sodass wie in Fallbeispiel 5 in Kapitel 4 die Hinterbliebenen zunächst weder den Verstorbenen noch die Beziehung zu ihm spüren. Sehr häufig werden die Beziehungsgefühle auch durch Flashbacks und die Gefühle von Entsetzen und Erschrecken konterkariert. Auch hier können wir den Hinterbliebenen zusichern, dass es die Beziehungsgefühle gibt und wir sie beim Spüren dieser Gefühle und damit beim Wiederfinden der inneren Beziehung unterstützen.

Blockade der inneren Beziehung durch Ungeklärtes und Ungelöstes in der Beziehung zum Verstorbenen: Weil das Verlusttrauma meist plötzlich und unerwartet eintritt, können offene und ungeklärte Beziehungsthemen nicht mehr besprochen und geklärt werden. Diese Möglichkeit ist den Hinterbliebenen ganz unerwartet, manchmal auch brutal genommen. Zugleich wird das Ungeklärte und Ungelöste durch das Verlusttrauma in das Bindungssystem eingebrannt. Sehr häufig tauchen dann die unerledigten Themen als Flashbacks oder in Gedankenkreiseln immer wieder unerwartet und unwillkürlich auf und belasten die Hinterbliebenen schwer.

Blockade durch traumabedingte Überlebensschuld und Schuldgefühle: Die Diskrepanz zwischen dem traumatischen Sterben eines nahen Menschen und dem eigenen Weiterleben lässt bei den meisten Hinterbliebenen ein Gefühl der Überlebensschuld entstehen. Je massiver die Traumatisierung des Verstorbenen erlebt wird, desto stärker ist die eigene Überlebensschuld. Immer wieder taucht bei Hinterbliebenen die Frage auf, ob sie den Tod und das traumatische Sterben nicht verhindern oder doch wenigstens hätten mildern können. Oft gibt es auch Selbstvorwürfe, z. B. dass die eigene Unachtsamkeit doch mitverantwortlich für Sterben und Tod des nahen Menschen ist. Deshalb entstehen in einem Verlusttrauma sehr häufig auch Schuldgefühle, die oftmals keine reale Mitverantwortung am Tod des nahen Menschen spiegeln. Immer wieder gibt es allerdings bei traumatischen Verlusten, beispielsweise bei Unfällen, eine reale Mitverantwortung und damit ein begründetes Gefühl der Schuld bei den Hinterbliebenen gegenüber dem Verstorbenen. So sind die Eltern nur einen Augenblick unachtsam, während ihre Tochter bei einem Ausflug an der spanischen Steilküste verschwindet, abstürzt und im Meer ertrinkt. Die Eltern sind also mitverantwortlich, auch wenn man rational sagen kann, dass dies jedem passieren könnte. Aber angesichts der Folgen haben die beiden Eltern ein immenses, alles beherrschendes Schuldgefühl ihrer Tochter gegenüber. Diese reale Mitverantwortung wird als intensives Schuldgefühl durch die bipersonale Traumatisierung in das Bindungssystem eingebrannt. Das Schuldgefühl und die nicht mehr zu verändernde Mitverantwortung dringen immer wieder wie Flashbacks als emotionale Einbrüche ins Bewusstsein und werden dann ihrerseits zu Triggern für Traumabilder und -erinnerungen. So binden die Schuldgefühle die Hinterbliebenen an die Traumatisierung des Verstorbenen und an sein Sterben.

Die Gefühle der Überlebensschuld, der vorgestellten Schuld und der realen Mitverantwortung stellen einerseits eine nahe, oft übermäßig bindende Beziehung zum Verstorbenen her, blockieren langfristig aber zugleich eine freie, nahe Beziehung.

Merke!

Die Traumatisierungen bei einem schweren Verlust verstärken Schuldgefühle. Schuldgefühle und eine mögliche reale Mitverantwortung binden an das Trauma und triggern das Verlusttrauma immer wieder. Damit verhindern die Schuldgefühle eine nahe und zugleich freie Beziehung zum Verstorbenen.

Blockade durch traumabedingte Wut und Aggression: Bei einem Verlusttrauma entstehen durch die Aktivierung des Kampfreflexes über den Sympathikus auch Aggression und damit Gefühle von Zorn und Wut. Die Aggression kann sich gegen den Verstorbenen (insbesondere bei einem Suizid), gegen andere Beteiligte oder andere Mitverantwortliche, aber auch gegen sich selbst richten. In der Wut und im Zorn wehren sich die Hinterbliebenen gegen die Realität des Verlusttraumas und der bleibenden Abwesenheit des nahen Menschen. Die Wut richtet sich gegen diese endgültigen Realitäten, immer noch mit der impliziten Absicht, diese Realitäten verändern zu können. Manche Hinterbliebenen, insbesondere Männer, bleiben im wütenden, freilich vergeblichen Kampf gegen das Verlusttrauma stecken. Wie bei den Schuldgefühlen bindet die Wut an die Traumatisierung des nahen Menschen und an sein Sterben, zugleich blockiert sie auch die Beziehung zu ihm.

Mehrfache Traumatisierung der Beziehung durch einen Suizid: Die innere Beziehung zum nahen Menschen ist durch dessen Suizid in mehrfacher Weise für die Hinterbliebenen massiv verletzt und traumatisiert. Zunächst gilt es aber noch einmal festzuhalten, dass der Suizidant ein selbsttraumatisierender Traumatisierter ist und er in aller Regel nicht absichtlich die Hinterbliebenen und die Beziehung zu ihnen verletzen und traumatisieren wollte (Paul 2012; Wagner u. Hofmann 2020). Vielmehr handelt er, wie die Analyse von Abschiedsbriefen zeigt, allermeist aus einer inneren Verzweiflung und einer inneren unausweichlichen Notwendigkeit, den Suizid zu vollziehen.

Dennoch erleben die Hinterbliebenen ihre Beziehung massiv verletzt, gestört oder in Frage gestellt oder zumindest als zunächst unterbrochen. Sie fragen auch immer wieder, ob der Suizidant absichtlich, verbunden mit einer Botschaft wie beispielsweise einer Schuldzuweisung, die innere Beziehung verletzen und stören wollte. Schließlich fühlen sich die Hinterbliebenen durch den Suizid selbst angegriffen und verletzt.

Aber auch: Intensivierung der Bindung: Bei den eben beschriebenen belastenden Auswirkungen eines traumatischen Verlustes, insbesondere eines Suizids, auf die innere Beziehung zum Verstorbenen, dürfen wir nicht übersehen, dass der schwere Verlust eines nahen Menschen die innere Beziehung zu ihm nicht nur traumatisiert, sondern über das Mitgefühl und Mitleiden stärkt und intensiviert. Allerdings ist auch dies ambivalent: Die im Verlusttrauma massiv verstärkte und intensivierte Beziehung kann auch eng und übermäßig bindend und damit als einengend oder langfristig als lebensbehindernd erlebt werden.

Beachte!

Ein traumatischer Verlust intensiviert die Bindung und Beziehung zum Verstorbenen, aber blockiert oder belastet diese auch. Deshalb muss die Arbeit an einem Verlusttrauma immer auch eine klärende und transformierende Beziehungsarbeit umfassen.

Wir werden dann in Kapitel 8 die heilsame Arbeit an der inneren Beziehung, die eben auch traumatisiert ist, kennenlernen.

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