Kitabı oku: «Die Köln-Affäre», sayfa 6

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14. Kapitel
Köln/Innenstadt

Seit jenem Tag, an dem der erste Schuft seinen ersten Dummkopf fand, gibt es Quacksalber. (Voltaire)

Dr. Klaus Marquardt galt in Köln als einer der Experten im Bereich der Inneren Medizin.

Seine Praxis auf dem Hohenstaufenring war klein, aber exquisit und nur Privatpatienten zugänglich. Marquardt war überdurchschnittlich groß und sehr schlank, fast schon hager. Sein volles Haar war weiß und lockig, seine randlose Brille betonte ein asketisches, aber freundliches Gesicht. Ein gepflegter Oberlippenbart verlieh ihm einen Hauch von Jugend und das kräftige, weiße Gebiss zeugte von besonderer Pflege. Ein Mann, der Kompetenz und Vertrauen ausstrahlte und dazu ausgesprochen gut aussah.

Daran änderten auch die mehr als sechzig Jahre nichts, die er schon hinter sich gebracht hatte.

Sein gestärkter blütenweißer Kittel verstärkte nachhaltig den Eindruck von Würde und Kompetenz. Er würde nie, wie manche andere Kollegen, ohne Ärztekittel auftreten. In Jeans und Buschhemd vielleicht? Gruselige Vorstellung!

„Ein Polizist trägt auch seine Uniform“, pflegte er zu sagen, wenn er darauf angesprochen wurde.

Doris Bassler hatte sich wieder angezogen und wartete auf das Ergebnis. Sie war nervös und nestelte mit fahrigen Händen an ihrer Tasche. Ihr Mann wusste nichts von dem Arztbesuch. Vielleicht war die Diagnose doch nicht so schlimm, und sie wollte ihm eine sinnlose Beunruhigung ersparen.

Das Ergebnis des Blutbildes lag jetzt ebenso vor wie der Befund des Ultraschalls und der Computertomographie. In den letzten Tagen war ein MRT veranlasst worden, sogar eine endoskopische Darstellung von Pankreasgang und Gallenwegen durch eine Röntgenaufnahme unter Kontrast. Nichts war ausgelassen worden, was gut, teuer und hilfreich war. Die Krankenkasse würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Der Arzt musterte seine Patientin nachdenklich. Er legte seine Hände zu einer Pyramide zusammen, wie er es immer unwillkürlich zu tun pflegte, wenn er schlechte Nachrichten zu überbringen hatte. Vielleicht sollte die Pyramide ein Schutzdach für den Patienten darstellen.

„Frau Bassler, es hat wenig Zweck, um die Sache herumzureden. Sie haben eine sehr gefährliche Krankheit, und sie ist in einem ziemlich fortgeschrittenen Zustand.“

Doris Bassler guckte ihn fragend an. Erste Tränen sammelten sich in ihren Augen.

„Vielleicht sollten wir zuerst Ihren Mann dazuholen.“

Bassler schüttelte den Kopf. „Weiter“, hauchte sie tonlos.

„Ein Pankreaskarzinom oder um es für Sie verständlicher zu machen Bauchspeicheldrüsenkrebs!“

Bassler schlug die Hände vor den Mund. Ein Todesurteil! Von diesem Krebs hatte sie schon gehört und er zählte zu den schlimmsten. Ihre Mutter war daran gestorben. Damals hatten zwischen Diagnose und Tod fünf Monate gelegen!

Dr. Marquardt stand auf und goss ihr ein Glas Wasser ein.

Wieso glauben eigentlich alle Menschen, selbst Ärzte, dass in einer solchen Situation ein Glas Wasser helfen konnte, dachte Bassler und stieß das Glas unwirsch zur Seite.

Wasser schwappte über und versah den dunklen Schreibtisch mit einem Kranz.

Vorsichtig legte der Arzt seine Hand auf die zitternde Schulter seiner Patientin.

„Eigentlich gehören Sie nicht zu der Gruppe von Menschen, die eine Disposition für diese Erkrankung haben.“

„Was wäre denn typisch als Disposition“, sagte Bassler leise. „Riskante Lebensgewohnheiten wie Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Übergewicht und fett- und fleischreiche Ernährung, alles Dinge, die ich bei Ihnen ausschließe.“

Er machte eine kurze Pause und sah seine Patientin nachdenklich an.

„Hat es in Ihrer Familie diese Krankheit schon gegeben?“

„Meine Mutter ist daran gestorben“, kam es kaum hörbar.

Dr. Marquardt nickte einfühlsam.

„Die genetische Disposition ist in der Tat eine erhebliche Komponente. Das Problem dieser Krankheit ist, dass es weder geeignete Früherkennungsmaßnahmen gibt noch rechtzeitige Warnzeichen. Bei anderen Krankheiten gibt es Vorsorgeuntersuchungen. Bei Brustkrebs, Prostata, Darmkrebs, das kennen Sie. Aber bei Pankreaskarzinom“, er machte wieder eine kurze Pause und spielte mit seinem Kugelschreiber, „wenn man wie Sie schon erhebliche Beschwerden hat, ist es schon etwas … spät.“

Bassler atmete tief ein.

„Sie meinen, zu spät?“

Dr. Marquardt ersparte sich die Antwort, die nur Ja hätte lauten können.

Doris Bassler griff jetzt doch nach dem Wasser und leerte das Glas in einem Zug.

„Welche Behandlung gibt es und wie erfolgreich sind sie?“

„Nun, da gibt es durchaus viel Hoffnung …“

„Die Wahrheit, Herr Doktor! Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, sondern sagen Sie mir die Wahrheit. Ich will sie hören und ich kann sie vertragen!“

Ihre Hände verkrampften sich.

Marquardt legte den Kugelschreiber weg und kehrte zu seiner Händepyramide zurück, seine Stimme senkte sich.

„Die erste Option ist eine Operation. Dabei werden das Tumorgewebe und die umgebenden Lymphknoten möglichst weitgehend entfernt. Aber …“, er machte eine kurze Pause und es fiel ihm offensichtlich schwer weiter zusprechen, „das geht bei Ihnen nicht.“

„Warum nicht?“

„Der Tumor ist zu groß, und er hat bereits Metastasen in Leber und Lunge gebildet.“

Bassler nickte. Ihr Mund war trocken geworden und neue Tränen trübten ihre Sicht. Sie fuhr hastig mit einem Taschentuch über ihre Augen. Aber jetzt wollte sie alles wissen.

„Gar keine Hoffnung mehr?“

„Doch, doch“, wiegelte der Arzt ab. „Wir werden eine Chemotherapie durchführen und die kann sehr erfolgreich sein.“

Bei seiner Aussage fühlte er sich äußerst unwohl, denn er wusste genau, dass er nicht die Wahrheit sagte. Bei diesem Stand der Krankheit konnte eine Chemotherapie bestenfalls eine kurzzeitige Lebensverlängerung bringen. Nein, er wusste genau, dass die liebenswerte Patientin, die vor ihm saß, unweigerlich einem baldigen Tod geweiht war.

„Ich würde Ihnen gerne die Einzelheiten und Folgen dieser Therapie erläutern und …“

Bassler winkte ab.

„Nicht jetzt, Herr Doktor, ich werde das in aller Ruhe mit meinem Mann besprechen und dann entscheiden, wie es weitergeht. Vielen Dank!“

Sie verabschiedete sich und verließ die Praxis.

Im Treppenhaus brach sie zusammen.

15. Kapitel
Meschenich bei Köln

„Sie mögen in diesem Augenblick ein triumphierendes Machtgefühl empfinden. Aber sie sollen sich nicht täuschen. Der Terrorismus hat auf die Dauer keine Chance. Denn gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille der staatlichen Organe. Gegen den Terrorismus steht der Wille des ganzen Volkes. Dabei müssen wir alle trotz unseres Zorns einen kühlen Kopf behalten.“ (Helmut Schmidt, 1977)

Im Süden von Köln liegt der Ortsteil Meschenich, ein gutes Stück von der Innenstadt entfernt und dem Städtchen Brühl eigentlich näher als Köln. Das ehemals idyllische Dörfchen hat sich stark verändert – und nicht zu seinem Vorteil.

Grund ist der 1973 erbaute Hochhauskomplex aus neun Hochhäusern, die bis zu 26 Etagen haben und mehr als dreizehnhundert Wohneinheiten aufweisen. Hier leben mehr als viertausend Menschen aus über sechzig Nationen. Was als hochwertiges Immobilienprojekt mit Schwimmbad, Saunabereich, Tennisplatz, Fußballplatz, Tiefgarage und Kindergarten im Rahmen eines Bauherrenmodells konzipiert worden war, endete als multikulturelle Bausünde, als Ghetto, als Musterbeispiel für städtebauliche Fehlplanung mit erheblichem Kriminalitätspotential.

Der zunehmende Zuzug finanzschwacher Migranten führte zu eklatanten sozialökonomischen Unterschieden und dazu, dass die ursprünglich vorgesehene Zielgruppe das Gebiet fluchtartig verließ. Dazu kam, dass in der Nähe Prostituierte und ihre Beschützer in erheblicher Zahl ihrem Gewerbe nachgingen mit all den unerfreulichen Begleiterscheinungen, die das Gewerbe mit sich zu bringen pflegt.

Wer dort lebt, kann nicht anders und lebt nach der Devise: Wenn ich nicht haben kann, was mir gefällt, muss mir eben das gefallen, was ich habe!

In einem dieser Hochhäuser, einem ziemlich verwahrlosten Zimmer des 18. Stocks mit zugegeben interessanter Fernsicht bis auf den Dom saßen Samira Darashi und Anne Mundorf, die sich jetzt Aabidah nannte, zusammen und überlegten das weitere Vorgehen.

Samira war einen Kopf kleiner als ihre Freundin, ihre langen schwarzen Haare verbarg sie unter einem gemusterten Kopftuch. Ihre Gesichtszüge waren kaum hübsch zu nennen, eher herb und bestimmend und ihre kleinen Augen weckten kein Vertrauen. Über der Jeans trug sie einen schwarzen Umhang, der bis zum Knöchel reichte.

Das Zimmer wies außer drei Matratzen, einem Tisch mit vier verschlissenen, mit Brokat bezogenen Sesseln und einem Schrank, dem sämtliche Türen fehlten, keine Möbel auf und hatte den Charme einer verlassenen Turnhalle in Aleppo. Auf dem Tisch standen noch die Reste eines kargen Frühstücks.

„Du hast das richtig gemacht, Aabidah“, sagte Samira bestimmt und legte den Arm um ihre Freundin, „zu Hause hattest du die Hölle, jetzt wartet das Paradies auf dich.“

Aabidah nickte ohne rechte Überzeugung. Sie hätte heulen können. Auf einmal war ihr die Tragweite ihres Tuns bewusst worden. Sie hatte einen völligen Bruch mit der Familie vollzogen, liebe Menschen wie Mutter und Bruder zurückgelassen und war in eine ferne, völlig unsichere Zukunft aufgebrochen. Eine Zukunft, die ihr, wie sie wusste, nicht Liebe und Hoffnung, sondern Tod und Zerstörung bringen konnte. All die markigen Worte, die sie noch im Gespräch mit Pfarrer Bassler im heimischen Wohnzimmer voller Begeisterung von sich gegeben hatte, waren verflogen. Und wenn nicht Samira wäre, würde sie vielleicht …

„Schau mich an!“

Samiras Stimme holte sie aus ihren trübseligen Gedanken abrupt heraus.

„Ich war früher auch so verzagt wie du. Jetzt habe ich den richtigen Weg gefunden, Allah, sein Name sei gepriesen, hat mir geholfen und jetzt fühle ich mich glücklich. Er hat Großes mit uns vor und wir dürfen uns glücklich preisen. Wir werden gemeinsam mit unseren Brüdern und Schwestern in den Kampf ziehen, und wir werden siegen!“

„Ja“, sagte Aabidah lahm, „und wie geht es jetzt weiter?“

Ihre Stimme klang schüchtern und verzagt.

„Wir müssen mit Ahmed sprechen, er wird gleich hier sein.“

Sie goss der Freundin ein weiteres Glas Tee ein und gemeinsam kauten sie an dem trockenen Keks, der auf dem Tisch lag. Minuten lang hingen sie ihren Gedanken nach, die eine voller Zweifel, die andere in fanatischer Vorfreude.

Dann öffnete sich die Tür.

Ein Mann trat ein, um die Dreißig, mit langem, schwarzem Vollbart. Sein gebräuntes Gesicht wies ebenmäßige, sympathische Züge auf, weiße Zähne glänzten zu einem freundlichen Lächeln. Er trug einen arabischen Kaftan, eine Djellaba in dunklem Grau, auf dem Kopf eine Mütze, eine Taguia in gleicher Farbe. Mit erhobenen Händen ging er auf die beiden Mädchen zu, die sofort aufgestanden waren.

Er schlug gegen seine Brust und umarmte sie.

„Samira! Aabidah! Salem aleikum! Mein Herz freut sich, euch zu sehen.

Besonders dich, Aabidah, weil ich weiß, dass du nun dem Ruf Gottes gefolgt bist und aus einer Kāfirah eine wahre Tochter Allahs geworden ist. Wir wollen uns verbeugen und Allah danken.“

Sie begaben sich auf die Knie und dankten Gott in stiller Andacht, wobei Aabidah keine Ahnung hatte, was sie sagen sollte. In ihrem Herz tobten immer noch die Stürme der Ungewissheit.

Der Mann erhob sich. „Ich bin Ahmed Al Mansour und werde euch den Weg zeigen, den Allah, sein Name sei gepriesen, für euch bestimmt hat.“

Sie erhoben sich und setzten sich auf die Sessel.

„Ihr werdet erst einmal hier bleiben“, sagte der Mann und schaute sich um.

„Ist hier nicht so gemütlich, aber feine Möbel und all dieser Tand sind für Ungläubige. Wer Allah dient, kommt mit wenig zurecht, oder?“

Beide Mädchen nickten heftig, die eine aus Überzeugung, die andere, weil es ihre Freundin tat.

„Gut! Ihr werdet mit allem versorgt, was ihr braucht und wir haben Vorräte.

Ihr müsst die Wohnung also nicht verlassen. Hamit, ihr werdet ihn heute Mittag noch kennen lernen, und ich werden euch mit allem versorgen. Das Wichtigste hab ich euch erst einmal mitgebracht.“

Er zauberte unter seinem Kaftan zwei herrlich gebundenen Koranausgaben hervor und reichte sie den Mädchen. Rotes Leder, goldene Letter, heilige Worte!

„Was könnte ich euch Besseres schenken als die wörtliche Offenbarung Allahs an Mohammed, seinen Propheten, nicht wahr?“

Er strahlte und die beiden Mädchen taten es ihm nach. Sie griffen nach den Koranausgaben und küssten sie.

Etwas von der kraftvollen Überzeugung Ahmeds war auf Aabidah übergegangen und sie fasste wieder Mut.

Alles wird gut und ich werde meine Aufgabe meistern, fühlte sie. Sie sah sich ermutigt, eine Frage zu stellen, die ihr schon lange auf dem Herzen lag.

„Und was genau wird unsere Aufgabe sein?“, wagte sie zu sagen.

Ahmeds Stirn umwölkte sich.

„Ungeduld ist ein Laster der Ungläubigen, Allah verderbe sie! Sie werden am Tage der Tage in der Hölle schmoren und ihre Ungeduld büßen!

Ihr aber, seine Töchter, die Perlen des Propheten, ihr werdet in Geduld warten, bis euch eure Augen für eure Aufgabe geöffnet werden.

Bis dahin betet und dankt Allah für die Gnade, dass er euch auserwählt hat. Ich muss jetzt gehen.“

Er schaute auf seine Uhr, für einen armen Moslem ein erstaunlich wertvolles Exemplar, in gewissen Konsumentenkreisen auch als Omega Speedmaster bekannt.

„In einigen Stunden wird man euch das Mittagessen bringen. Und vergesst nicht eifrig im Koran zu lesen.“

Er zwinkerte ihnen zu. Dann verschwand er ohne weitere Worte und verließ die beiden Mädchen.

16. Kapitel
Köln/Rodenkirchen

Die meisten Hotels verkaufen etwas, was sie gar nicht haben: Ruhe. (Tucholsky)

Die beiden Agenten hatten sich ein Taxi genommen und die Innenstadt eilig verlassen.

Im weit außerhalb gelegenen Stadtteil Rodenkirchen, direkt am Rhein gelegen, hatten sie in einem etwas heruntergekommenen Hotel ein Doppelzimmer mit Rheinblick und Frühstück genommen. Die ältliche Matrone an der Rezeption hatte unter ihrem Platinblond einen starken grauen Ansatz. Ihr spitzer Mund und die runde Brille verliehen ihr etwas Eulenhaftes.

Agnes Broschitzky stand auf ihrem etwas schmuddeligem Kittel.

Sie war gleichermaßen verwundert und erfreut, dass zu so später Stunde noch ein Zimmer vermietet werden konnte, was umso erfreulicher war, als alle anderen Zimmer leer standen. Wenn in Köln keine Messe war, war das in diesem Haus ein Normalzustand.

Und weil sie eine gewisse Notlage des vor ihr stehenden Pärchens sofort erkannte, hatte sie direkt den Zimmerpreis um zwanzig Prozent angehoben, auch wenn sie die Art der Notlage gänzlich falsch einschätzte.

„Aber mit Frühstück“, wie sie betonte und in einem freudlosen Lächeln ihre Jacketkronen präsentierte.

Wills hatte, wie immer in solchen Fällen einen Ausweis und eine Geschäftskarte präsentiert, beide so unecht wie das Gebiss der Hotelwirtin, aber von der Agency meisterhaft gefälscht:

James Elroy,

Vertreter der amerikanischen Firma

Pittsburgh/Pennsylvania

Hutch & Söhne

Import - Export von Elektrogeräten

Mirinda Thyburn hatte er als seine Ehefrau vorgestellt.

Die Rezeptionseule steckte sie weg, ohne einen Blick darauf zu werfen. Hauptsache, hier wurde beim Einchecken bezahlt. Die und verheiratet! Ja, klar, die wollen hier nur vögeln, der Kleinen hängt ja schon die Zunge raus! Egal, solange sie im Voraus bezahlen und das Bett nicht allzu sehr beschmutzen. Sie händigte den Schlüssel für Zimmer 12 aus, schenkte den neuen Gästen ein falsches Lächeln und wandte sich wieder ihrem Rätselmagazin zu.

Europäische Großstadt mit zwölf Buchstaben. Scheiße, was soll das denn sein?

Das Zimmer war recht groß, mit modernen Möbeln und dem üblichen Hinweis Nichtraucherzimmer ausgestattet, was Wills mit einem Stirnrunzeln quittierte.

Er öffnete die Balkontür und trat heraus, Thyburn folgte ihm. Wills angelte eine Zigarette aus der Packung, zündete sie an und stieß den Rauch genießerisch aus. Thyburn sah ihn kritisch an. Als er den skeptischen Blick seiner Kollegin sah, sagte er süffisant: „Nichtraucherzimmer! Vom Balkon steht da nichts!“

Thyburn schüttelte schweigend den Kopf.

Wenn wir länger zusammenarbeiten, werd ich dir das schon abgewöhnen, mein Lieber!

Vor ihnen lagen die dunklen Fluten des mächtigen Stroms, über ihnen prangte ein für Großstadtverhältnisse ungewöhnlicher Sternenhimmel, ein Bild, das man unter anderen Umständen als romantisch hätte bezeichnen können. In der Ferne ragten die beiden Türme des Doms majestätisch in die Höhe. Ein Weltkulturerbe von sensationeller Schönheit! „Schön hier“, sagte Thyburn und erlag der Versuchung, sich an die Schulter ihres Kollegen zu schmiegen.

„Wir müssen nach deiner Wunde sehen“, Wills Ton klang sachlich. Er drückte seine Zigarette in einem Blumenkasten aus, der gefüllt mit kräftigen roten Pflanzen war –Keine Ahnung, wie die heißen– und sie gingen hinein.

Thyburn zog Jacke und Bluse aus und Wills bemühte sich, keinen Blick auf ihren gut gefüllten BH zu werfen. Es gab im Badezimmer einen kleinen Schrank, der neben den üblichen Utensilien auch Desinfektionsmaterial und Pflaster beinhaltete.

„Nur ein unbedeutender Querschläger“, sagte Thyburn, während Wills die kleine Wunde desinfizierte und mit einem großzügigen Pflaster versah.

Sie bedienten sich an der kleinen Minibar und ließen sich in die ausladenden Sessel fallen.

„Das war knapp“, sagte Mirinda Thyburn und leerte ein kleines Whiskyfläschchen in einem Zug, „aber wer zum Teufel konnte wissen, dass wir in dieser Wohnung waren?“

Will schüttelte den Kopf.

„Ich habe es über eine sichere Leitung nach Langley gemeldet, wie es üblich ist.“

„Dann sitzt der Verräter in Langley?“

„Ja, das vermute ich. Und das passt zu den übrigen Vorfällen mit unseren Kollegen Rush, Peterson und Dudek. Aber ich habe keine Ahnung, wer das sein könnte.“

„Er dürfte vermutlich ziemlich oben sitzen, oder?“

Wills nickte. „Wahrscheinlich, und das macht es für uns umso schwieriger.“

Er blickte seine Kollegin nachdenklich an.

„Wie bist du eigentlich zur Firma gekommen?“

Thyburn lächelte. „Das war eigentlich ziemlich einfach. Sie haben mich direkt nach der Uni rekrutiert. Ich vermute, dass einer meiner Professoren ihnen einen Tipp gegeben hat. Dann Ausbildung in Camp Peary, ich war Jahrgangsbeste in Analystik und Linguistik und beherrschte mehrere Fremdsprachen. Das war’s!“

Wills nickte anerkennend.

„Respekt!“

Sie schwiegen eine Weile und widmeten sich ihren Getränken, bevor Thyburn fortfuhr:

„Und wie geht es jetzt weiter?“

„Wir warten zunächst einmal ab, bis ich die Liste gesehen habe. Dazu müssen wir ins Konsulat nach Düsseldorf fahren, hier gibt es keins.“

„Okay, und dann?“

„Dann beginnen unsere Ermittlungen. Es muss einen Zusammenhang mit einem der Namen und dem Killer geben.“ Thyburn nickte. „Und weiß die Agency, wer Brendan in London auf dem Gewissen hat?“

„Nein! Aber wir wissen es, oder?“

„Kollege Donelli! Und deshalb wissen wir auch, wer die schwarze Cathy auf dem Gewissen hatte.“

Wills nickte. „Brendan war ein korruptes Schwein!“

„Ja“, sagte Thyburn, „aber mir macht es etwas Sorge, dass wir das alles wissen, die Agency aber nicht. Immerhin unser Arbeitgeber. Und wenn sie es wüsste, wäre man dort recht unentspannt, oder?“

„Unentspannt? Man würde uns zum Teufel jagen oder Schlimmeres! Aber egal, war ’ne Art privater Feldzug, den wir Cathy schuldig waren.“

Plötzlich setzte sich Mirinda Thyburn senkrecht auf.

„Mir kommt da eine Idee! Vielleicht verrückt, aber … “

„Lass hören!“

„Erinnerst du dich noch an Netanya?“

„Ist zwar schon was her, aber sehe ich sie vor mir.“ Er formte die Finger wie eine Pistole.

„Piff, paff und das Schwein war tot!“

Wills sah die Szene so lebhaft vor sich, als wäre es nicht vor einem halben Jahr, sondern gestern passiert: Itzak Goodman, ein Agent, ein Killer des israelischen Mossad, der in Agentenkreisen unter dem Namen Mal‘ach ha-Mawet, Todesengel, bekannt war, hatte die CIA-Kollegin Cathy Meywether in Bern erschossen, um an ein brisantes Dokument zu kommen.

Den Aufenthaltsort hatte der israelische Agent von Tom Brendan erfahren, dem Stationsleiter der CIA in London, der dafür gut bezahlt worden war. Daraufhin war ihr Kollege Jack Donelli, der ihnen bei ihrer Mission in München das Leben gerettet hatte, auf eigene Faust nach London geflogen und hatte Brendan erschossen ohne Spuren zu hinterlassen.

Die Agency im heimischen Langley tappte in Dunklen, aber der Verräter Brendan hatte seine gerechte Strafe erhalten.

Wills und Thyburn hingegen waren nach Israel gereist, hatten Goodman in eine Sexfalle gelockt und getötet. So hatten sie den Tod ihrer Kollegin gerächt, ohne dass die Agency von all dem Kenntnis hatte. Ein gefährliches Spiel, ein privater Rachefeldzug, der wohl kaum die Billigung ihres Arbeitgebers gefunden hätte.

„Ja, das Schwein hat seine gerechte Strafe bekommen.“

Thyburns Stimme riss Wills in die Gegenwart zurück. Er stand auf und holte sich eine kleine Flasche Bitter Lemon aus der Minibar. Geht alles aufs Spesenkonto. Er öffnete die Flasche mit dem Mund, nahm einen tiefen Schluck und sah seine Kollegin fragend an.

„Also, was war mit deiner Idee?“

„Dieses Schwein war immerhin Angehöriger des Mossad. Hältst du es nicht für möglich, dass die Israelis sich an uns rächen wollen?“

„Das würde erstens voraussetzen, dass sie wissen, wer ihn auf dem Gewissen hat. Wir haben aber unsere Visitenkarten nicht hinterlassen und alle Spuren beseitigt, oder?“

Thyburn nickte. „Haben wir.“

„Und zweitens kann ich mir nicht vorstellen, dass der Mossad aus diesem Grund einen Privatkrieg gegen den Geheimdienst eines befreundeten Staates führt. Immerhin ist unser Land der einzig verlässliche Partner, den Israel im Nahostkonflikt hat, oder?“

Thyburn nickte wieder. „Stimmt!“

„Und wir sind nicht irgendein Partner. Wir sind der Partner!“

„Auch richtig!“

Wills schüttelte bedächtig den Kopf und leerte seine Flasche.

„Also, worin bestehen deine Bedenken?“

Thyburn führte ihren Gedanken schnell fort:

„Aber der Mossad ist nicht schlechter organisiert als wir und er hat seine Quellen. Ich halte es für möglich, dass sie wissen, dass wir hinter diesem Anschlag stecken. Es gibt tausend Überwachungskameras, in den Hotels, auf den Straßen, an jeder Kreuzung. Israel ist ein totaler Überwachungsstaat und jeder weiß, warum! Viele Araber würden sie am liebsten immer noch ins Mittelmeer werfen und die Israelis versuchen mit allen Mitteln sich zu schützen. Das hat schon fast paranoide Symptome. Denk allein an die Kontrollen am Flughafen!“ Sie machte eine kurze Pause und ließ ihre Worte wirken, bevor sie energisch fortfuhr: „Und der zweite Faktor: Vielleicht steckt gar nicht der Geheimdienst selbst dahinter, sondern eine private Person. Denk daran, dass wir diese Aktion auch ohne Wissen und Billigung der Agency durchgeführt haben, genau wie Donelli die Aktion in London, als er diesen Verräter Brendan liquidiert hat.“

Wills war nachdenklich geworden.

„Vielleicht hast du sogar recht. Es könnte ja sogar sein, dass Goodman einen Vater, einen Bruder oder einen Sohn im Dienst hatte, der uns jetzt auf den Fersen ist. Wir haben den einen Goodman erledigt, jetzt ist uns der andere auf den Fersen. Klingt doch logisch, oder?“

„Sag ich doch!“

Und Wills ahnte ja nicht, wie recht er mit dieser Vermutung hatte!

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