Kitabı oku: «Traumzeit für Millionäre», sayfa 12
NOBELADVOKATEN UND RECHTSVERTRETER
Unter den sogenannten freien Berufen war der einflussreichste und prestigeträchtigste jener der Rechtsanwälte, von denen einige wirklich hohe Einkommen erzielen konnten. Wien war ein guter Boden für Advokaten. Sie spielten im politischen und öffentlichen Leben des Liberalismus eine führende Rolle. Wichtige Politiker der Zeit waren in ihrem Brotberuf Anwälte: Karl Giskra, Johann Nepomuk Berger, Josef Kopp, Max Menger, Julius Ofner oder Robert Pattai. Die Liste der Wiener Bürgermeister mit Johann Kaspar von Seiller, Andreas Zelinka, Cajetan Felder, Julius von Newald, Johann Prix, Raimund Grübl bis Karl Lueger und Josef Neumayer in fast ungebrochener Reihenfolge bestätigt eindrucksvoll die hohe Qualifikation dieses Berufsstands für politische Ämter – welcher politischen Bewegung und Richtung sie auch immer zuzuordnen waren.
Im Jahr 1918 waren in Wien 1.647 Personen als Rechtsanwälte eingetragen, im gesamten heutigen Bundesgebiet 2.231. Von 1868 bis 1918 hatte sich die Anzahl der Advokaten im Gebiet der Republik Österreich mehr als vervierfacht. Für die Tätigkeit als Rechtsanwalt bedurfte es mit der Einführung der Advokatenordnung vom 1. Jänner 1869 keiner weiteren behördlichen Zulassung oder Genehmigung. Es genügte neben dem absolvierten Studium die mehrjährige praktische Ausbildung und die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung.202 Das machte Rechtsanwaltskanzleien für Juden attraktiv, denen für eine Aufnahme in den Staats- und Justizdienst kaum überwindbare Mauern entgegenstanden.
Insgesamt befanden sich 26 Advokaten unter den 929 Millionären. Jener mit dem höchsten Einkommen war Dr. Adolf Stein mit 289.000 Kronen. Er galt als Rechts-Consulent der Rothschild. Dr. Max Freiherr von Mayer, von vornehmer nichtjüdischer Wiener Herkunft, vertrat das Kaiserhaus und war Präsident bzw. Mitglied des Verwaltungsrates bedeutender Industrieunternehmen und Banken. Als Funktionär der Witwen- und Waisenpensionsgesellschaft, der Kinderschutz- und Rettungsgesellschaft und des Vereins zur Erhaltung der Studienkonvikte wurde er karitativ tätig. Er war Verfasser zahlreicher Fachartikel und auch sprachwissenschaftlicher Werke. Auch Adolf Bachrach galt als Rechtsanwalt mit vornehmster Klientenstruktur: Er war Rechtskonsulent der toskanischen Habsburger und Rechtsfreund des Prinzen Philipp von Coburg und dessen Bruders, des Zaren Ferdinand von Bulgarien. Karl Kraus höhnte: „Die Vornehmheit, die Herr Bachrach in der Berührung mit dem Schmutz der Hoheiten erlernt hatte … “203 In seiner Kanzlei würden die Grafen und Fürsten, die Prinzen und Prinzessinnen ein und ausgehen. Er war nicht nur Berater, sondern auch Trauzeuge des höchsten Adels.
Dr. Heinrich Steger arbeitete durch mehr als 50 Jahre als äußerst angesehener Strafverteidiger. Er war verheiratet mit Jeanette Mandl, der Schwester von Max Mandl von Maldenau. Gelobt wurde er als Künstler unter den Verteidigern („Ich bin Musiker. Ich höre, was dem Angeklagten schadet.“). Berühmt wurde seine erfolgreiche Verteidigung für den Beleuchtungsinspektor Breithofer im Ringtheaterbrandprozess: „Wo alle den Kopf verloren, könne man nicht verlangen, dass ihn gerade einer aufbehalte.“ Auch Dr. Eduard Coumont, der die berühmte Kanzlei des Dr. Wilhelm Stammfest übernommen hatte, war bald einer der bekanntesten und meistbeschäftigten Anwälte auf zivilrechtlichem Gebiete. Mehr als zwei Jahrzehnte betreute er als Schriftleiter die Allgemeine Österreichische Gerichtszeitung, war Rechtsanwalt Kaiser Karls, der Nationalbank und vieler großer Industrieunternehmen.
Wichtige und große Einzelklienten konnten einen Rechtsanwalt reich machen: Das galt für Dr. Adolf Gallia. Sein Einkommen stammte praktisch ausschließlich aus der Vertretung und Durchsetzung der Patentrechte für Auer von Welsbach. Der Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Leopold Teltscher personifizierte die Verbindung der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft zur Beleuchtungsindustrie. Er war sowohl Repräsentant der Imperial Continental Gas-Association wie auch Präsident der Vereinigten Elektrizitäts AG, einer Art Elektroholding. Dr. August Periz war Präsident der österreichischen Gasbeleuchtungs AG und Verwaltungsrat der Wiener Gasindustrie-Gesellschaft.
Akademische Ausbildung
Eigene Auszählung
Ein Chirurg als Topverdiener: Anton Freiherr von Eiselsberg.
Rechtsanwalt war auch Dr. Gustav Bloch, der sich seit 1917 Bloch-Bauer nannte. Er war mit Therese Bauer verheiratet, der Tochter des Direktors des Wiener Bankvereins Moritz Bauer. Maria Altmann, die von ihrer Tante Adele Bloch-Bauer die berühmten Klimt-Bilder erbte, ist eine Tochter des Ehepaars. Auch die beiden Kranz-Brüder, Dr. Sigmund und Dr. Josef Kranz, die Söhne des Kreisrabbiners von Auschwitz, waren Advokaten. Beide machten eine spektakuläre Karriere. Während Sigmund Kranz durch die Ehe mit Malwida (Malvine) Zwieback, der Tochter des Warenhausbesitzers Ludwig Zwieback, reich wurde, war das Leben seines Bruders Josef mehr als wild bewegt: Tätigkeit im Finanzministerium, Industriegründungen in Bosnien-Herzegowina, Übernahme der Präsidentschaft der Depositenbank, Führer des Spiritus-Kartells. Am 15. Juni 1916 adoptierte er Regina Wiener, verwitwete Zirner, die später unter dem Namen Gina Kaus bekannt wurde. Ihr Ehemann Josef Zirner, der Sohn des Juweliers Max Zirner und der Gisela Zwieback, war am 20. Juli 1915 gefallen. In Wahrheit war diese Adoption nur der Ersatz für eine Eheschließung, die Kranz, da formell nicht geschieden, wohl eine Anklage wegen Bigamie eingebracht hätte. Bekannt wurde Kranz durch den Prozess, der 1917 gegen ihn und Hans Reitzes wegen Preistreiberei geführt und in dem er zu neun Monaten Haft verurteilt wurde. Gina Kaus beschreibt ihn als Finanzgenie, der es von kleinsten Verhältnissen zum Millionär gebracht hatte.204
Bis heute besteht die 1878 gegründete Anwaltskanzlei Weiss-Tessbach. Sie geht auf Dr. Adolf Weiss, ab 1886 Ritter von Tessbach, zurück. Aus bescheidenen Verhältnissen in Groß Ullersdorf (Velky Losiny)/Mähren stammend, gründete er 1878 in Wien eine Rechtsanwaltskanzlei. Als Verwaltungsrat der Credit-Anstalt und Reichsrats- und Landtagsabgeordneter kam er zu großem Vermögen, das er in Immobilien investierte und das seinem gleichnamigen Sohn ein Leben als Gutsherr erlaubte. Die Anwaltstradition wurde aber in der nächsten Generation wieder weitergeführt.
Die Anwaltskanzleien entwickelten sich danach, ob ihre Klientel aus der „besseren Gesellschaft“ oder von den „kleinen Leuten“ kam. Ein Titel oder ein „von“ konnte helfen, eine bestimmte Klientenschicht anzusprechen. Noch wichtiger war aber die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu, waren Bekanntschaften und Beziehungen aus dem familiären Umfeld oder aus Funktionen in der Wirtschaft, aus der Politik oder durch eine Vereinsmitgliedschaft. Letztere konnte die eines Sportvereines, eines Automobilklubs, des Alpenvereins, der Musikfreunde, einer Studentenverbindung oder der Freimaurer sein. Vielfach bestimmte sich bei einer Kanzleiübernahme die Klientel nach dem vom Kanzleivorgänger übernommenen Mandatsbestand.205 Von den 681 Wiener Anwälten im Jahr 1893 waren mehr als die Hälfte, insgesamt 395 Juden. Unter den anwaltschaftlichen Spitzenverdienern lag der jüdische Anteil mit 70 Prozent deutlich über dem Durchschnitt aller Anwälte.
Nur zwei Notare findet man unter den Spitzenverdienern: Der angesehenste war Dr. Franz Mayrhofer. Der aus Aschbach in Niederösterreich gebürtige Mayrhofer war von 1899 bis 1917 Präsident der Niederösterreichischen Notariatskammer und des Österreichischen Notarenvereins. Dr. August Kolisko war Notar im 1. Bezirk und hatte entsprechend noble Kundschaft. Er kümmerte sich 1919 um die Verwaltung des Vermögens des abgedankten Kaisers Karl.
Warum unter den 22 Apotheken, die 1910 im 1. Wiener Gemeindebezirk bestanden, gerade die von August Moll geführte Apotheke „Zum weißen Storch“ so ertragreich gewesen war, dass sie ihm ein Einkommen von mehr als 100.000 Kronen brachte, dürfte mit dessen Schritt in die Industrie zusammenhängen. Schon August Moll sen. begann sein Seidlitz-Pulver aggressiv zu vertreiben und zu bewerben: „Der zuverlässige Selbst-Arzt durch das neue Wunder-Heilmittel Franzbranntwein und Salz … eine Hilfe der leidenden Menschheit.“ August Moll lieferte auch photographische Bedarfsartikel für den Hof und gab die Photographischen Notizen heraus. Sein Cousin war der Maler Carl Moll. Die historische Einrichtung der Apotheke gehört bis heute zu den touristischen Sehenswürdigkeiten der Wiener Innenstadt.206
REICHE PROFESSOREN UND EIN PAAR NICHT ARME STUDENTEN
Universitätsprofessoren waren hervorragend bezahlt, vor allem an der Wiener Universität. Das Jahresgehalt eines ordentlichen Professors lag zwischen 8.000 und 16.000 Kronen. Das war etwa das Zwölffache eines Industriearbeiters. Professoren, die gut besuchte Vorlesungen hatten, konnten ihr Einkommen noch zusätzlich durch die Kolleg- und Prüfungsgelder aufbessern. Auch die Diäten aus einer Dekans- oder Rektorsfunkion waren beträchtlich. Aber für ein Einkommen von mehr als 100.000 Kronen reichten diese Bezüge bei weitem nicht. Es musste ein zusätzliches Einkommen dazukommen: aus einer Privatpraxis als Arzt, aus Gutachtertätigkeiten, einer vorteilhaften Heirat oder aus ererbten Wertpapieren und Unternehmensbeteiligungen.
Es sind mit wenigen Ausnahmen Professoren der Medizinischen Fakultät, die die Hunderttausendergrenze überspringen konnten. Unter den 38 Angehörigen des Professorenkollegiums der Medizinischen Fakultät der Wiener Universität im Jahr 1909/10 befanden sich dreizehn Millionäre. Der Titel „Professor“ war eine Lizenz zum Geldverdienen; ein Inhaber dieses Titels konnte automatisch seine Honorarsätze verdrei- oder vervierfachen.207
Spitzenverdiener waren die beiden Ordinarien für Chirurgie Dr. Anton Frh. v. Eiselsberg und Dr. Julius Hochenegg. Eiselsberg, von 1901 bis 1931 Vorstand an der I. Chirurgischen Universitätsklinik Wien, war von adeliger, aber nicht wirklich wohlhabender Herkunft. „Es wäre ein Irrtum zu glauben, schreibt der Medizinhistoriker Leopold Schönbauer, dass Eiselsberg ein reicher Mann war und reich gestorben ist.“208 Schönbauer irrt, zumindest was die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg betraf. 1910 war Eiselsberg unter den Spitzenverdienern. Eiselsbergs Pendant an der II. Chirurgischen Klinik, Julius Hochenegg, hatte eine ganz ähnliche Karriere: Er stammte aus einer Tiroler Familie. 1914 wurde er in den Adelsstand erhoben. Verheiratet war er mit Julie, geb. v. Mauthner. Diese reiche Heirat war wohl auch der Grund dafür, dass er um über 100.000 Kronen mehr Einkommen hatte als der ohnehin auch exzellent verdienende Eiselsberg.
Als Ordinarius für Chirurgie zum Spitzenverdiener: Julius Hochenegg.
Der Internist und Diabetologe Dr. Karl von Noorden erhielt 1906 den Ruf an die Wiener Universität, um dort die Nachfolge Hermann Nothnagels als Ordinarius für innere Medizin und Leiter der Ersten Medizinischen Klinik anzutreten. Hier baute er ein Zentrum für Diabetiker auf. Der Pathologe Ernst von Strümpell, der so berühmt war, dass er 1923 sogar nach Moskau zum todkranken Lenin gerufen wurde, war 1909 nach Stationen in Leipzig, Erlangen und Breslau an die Universität Wien berufen worden. Dass er hier nicht einmal zwei Jahre blieb, bis er wieder nach Leipzig zurückkehrte, wird sicher nicht am Geld gelegen sein.209 Denn in Wien verdiente er 1910 über 130.000 Kronen. Dr. Friedrich Schauta hatte 1891 die Nachfolge von Carl Braun Ritter von Fernwald auf dem Lehrstuhl für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der I. Universitätsfrauenklinik angetreten. Dr. Viktor Urbantschitsch hatte die Leitung der Universitäts-Ohrenklinik (Schwerpunkte: Otologie, Pathologie und Therapie der Gehörerkrankungen), Dr. Heinrich Obersteiner war der Vertreter der Neurologie, Ernst Fuchs Vorstand der Augenklinik. Die medizinischen Berühmtheiten konnten hervorragend verdienen. Auflagenstarke Lehrbücher konnten viel Geld bringen: Das mag bei Hofrat Universitätsprofessor Dr. Ernst Fuchs der Fall gewesen sein. Er war der berühmteste Augenarzt seiner Zeit.210 Schon 1879 begann er mit Kursen in englischer Sprache für amerikanische Studenten. Sein Lehrbuch der Augenheilkunde, 1889 erstmals erschienen und in alle Kultursprachen, auch ins Japanische und Chinesische, übersetzt, erlebte neunzehn Auflagen und war ein halbes Jahrhundert lang die weltweite Bibel der Augenärzte. Wenn je ein Buch als „Medizinischer Klassiker“ bezeichnet werden kann, so ist es dieses, urteilte die bekannte Medizinhistorikerin Erna Lesky.211 Fuchs war Mitglied in 39 wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien. Sein Wirken, das auch nach seiner Pensionierung 1915 weiter andauerte, war global. Die Fuchs‘sche Klinik, durch die jährlich an die 20.000 Patienten gingen, war das Mekka der Augenheilkunde.
Es sind aber unter den einkommensstarken Medizinern nicht nur die mächtigen Ordinarien vertreten, und auch nicht nur und nicht einmal immer jene Professoren, die als die großen Exponenten und Erben der Wiener Medizinischen Schule zu benennen sind, sondern bisweilen auch die Extraordinarien. Geld brachten die viele Privatpatienten. Dazu war nicht unbedingt eine ordentliche Professur erforderlich. Der berühmte Orthopäde Adolf Lorenz, der Vater des Nobelpreisträgers Konrad Lorenz, konnte an der Universität nie ein Ordinariat erreichen, sondern blieb sein Leben lang außerordentlicher Professor auf einer nicht remunerierten Stelle. Dennoch war er einer der bestverdienenden Mediziner Wiens. Er entstammte einfachen Verhältnissen – sein Vater war Sattlermeister und Gastwirt in Weidenau/Vidnava, Österreichisch Schlesien, die Mutter eine Bauerntochter. Durch einen seiner Onkel, einen Benediktinermönch, der später Abt des Stiftes St. Paul im Lavanttal wurde, erhielt er die Möglichkeit, das dortige Stiftsgymnasium zu besuchen. Sein Medizinstudium konnte er durch ein kleines Stipendium und eine Tätigkeit als Hauslehrer finanzieren. Als Chirurg spezialisierte er sich auf die nichtoperative Heilung von angeborenen Hüftgelenksverrenkungen und anderen anatomischen Missbildungen. Dank großer und spektakulärer Erfolge war er ab 1902 ein weltbekannter Mediziner. Die wachsende Bekanntheit ging mit großem Wohlstand einher. Zwanzig Kilometer nordwestlich von Wien ließ er sich in Altenberg einen Landsitz errichten. Die mondäne Villa in einer Stilmischung aus italienischer Renaissance und Jugendstil inmitten einer riesigen, etwas verwilderten englischen Parkanlage war das Paradies seines jüngeren Sohnes Konrad, der hier eine zahlreiche Schar von Tieren halten konnte. Während des Ersten Weltkriegs verlor Adolf Lorenz sein Vermögen, das er in österreichischen Kriegsanleihen investiert hatte. Er musste noch einmal von vorne anfangen, verdiente in Amerika noch einmal viel Geld, das er 1929 allerdings wieder verlor. Mit 70 Jahren wurde er an der Universität verabschiedet, von der er während seiner vierzigjährigen Dienstzeit niemals ein Gehalt bezogen hatte. Er hatte demnach auch kein Anrecht auf eine auch noch so kleine Pension. „Der Staat hat mir nie etwas gegeben, sondern immer nur von mir genommen“, schrieb er verbittert in seinen Memoiren: „Nun erst kam mir zum ersten Male so recht zum Bewusstsein, dass ein siebzigjähriger Pensionist ohne Pension und Vermögen, dessen Arbeitskraft abnimmt, einen Glücksfall, z. B. einen Nobelpreis sehr gut gebrauchen könnte.“212 Den Nobelpreis, für den er vorgeschlagen war, erhielt allerdings nicht er, sondern sein Sohn Konrad.
Auch Sigmund Freud brachte es wie Lorenz nie zum ordentlichen Professor. Sein Einkommen erreichte 1910 zwar nicht die 100.000er-Grenze. Aber er dürfte ihr ziemlich nahe gekommen sein. Auf seine Honorarvorstellungen gibt eine Rechnung für Gustav Mahler Hinweise. Am 23. Mai 1911 meldete er bei dessen Verlassenschaftspfleger und Erbenvertreter einen Honoraranspruch von 300 Kronen für eine mehrstündige Konsultation im August 1910 in Leiden (Holland) an, wohin er über dringende Aufforderung von Noordwijk angereist war.213 Freud führte in seiner Glanzzeit elf Analysen pro Tag durch und erhielt für jede einzelne bis zu 100 Kronen – wobei Freud dafür bekannt war und auch kritisiert wurde, niemals ohne Honorar zu behandeln.214 Das ergäbe, auch bei viel Urlaub und nicht immer voller Praxis, locker 100.000 Kronen im Jahr. Freud stilisierte sich einen Mythos von der armen Kindheit, die er in seiner Selbstdarstellung übertrieben dramatisiert haben mag. Ab der Jahrhundertwende jedenfalls sah die Situation ganz anders aus: Es war Wirklichkeit geworden, wovon der 40-jährige Freud nach seinem ersten Italienurlaub geträumt hatte: „Ich gedenke reich zu werden, um diese Reise zu wiederholen.“215 Die ansehnlichen Einnahmen verschafften ihm und seiner großen Familie ein sorgenfreies Leben. Im Frühjahr 1915 behauptete er, der Krieg habe ihn schon mehr als 40.000 Kronen gekostet.216 Da er mit Sicherheit nicht alle Patienten verloren hatte, würde eine derartige Einbuße in etwas mehr als einem halben Jahr ein Friedenseinkommen von deutlich mehr als 100.000 Kronen voraussetzen. Daher muss er, der keine Villa, kein Auto, keine teuren Pferde kaufte, es schon vor dem Krieg zu einem respektablen Geldvermögen gebracht haben. Dem Publizisten George Sylvester Viereck konnte Freud 1927 anvertrauen: „Der Krieg hat mein kleines Vermögen und die Ersparnisse meines Lebens aufgezehrt.“217 Es war mit Sicherheit ein größeres Vermögen.
Altphilologe mit Vermögen: Theodor Gomperz. Gemälde von Franz von Lenbach, 1900.
Auch Dr. Johann Paul Karplus war Neurologe und Psychiater. Er brachte es wie Lorenz oder Freud nur zum außerordentlichen Titularprofessor und 1914 zum außerordentlichen Universitätsprofessor. Finanziell war er doppelt abgesichert: Er stammte aus einer reichen Holzhändlerfamilie und war verheiratet mit Valerie Marie Lieben, der Tochter von Leopold Lieben und Anna Todesco. Dr. Leopold Harmer hatte sich 1903 für Laryngologie habilitiert, 1908 wurde er zum a.o. Univ.-Prof. ernannt. Er wirkte 1913 bis 1920 am Wiener Wilhelminenspital. Sein Einkommen stieg von 1909 auf 1910 durch eine Heirat von ca. 11.000 Kronen 1909 auf 112.764 Kronen 1910. Der Primararzt und Professor Dr. Julius Schnitzler, der jüngere Bruder von Arthur Schnitzler, versteuerte 1910 ein Jahreseinkommen von mehr als 200.000 Kronen. Das hohe Einkommen überrascht. Sein Vater Dr. Johann Schnitzler hatte sich zwar aus ärmlichen Verhältnissen vom jüdischen Handwerkerkind zum angesehenen Laryngologen hochgearbeitet. Ein wirklich großes Vermögen, auf dem sich eine Rentiersexistenz hätte aufbauen lassen, hatte er seinen Söhnen aber nicht hinterlassen. 1895 wurde Julius Schnitzler habilitiert und 1908 zum außerordentlichen Professor ernannt. Ob ihm die Heirat mit Helene Altmann das große Einkommen ermöglichte? Oder war es sein Renommé als Operateur? 1910 jedenfalls war gegen ihn ein Steuerstrafverfahren anhängig. Das mag die Ursache sein, dass er vielleicht mehr versteuern musste als üblich. Sein älterer Bruder Arthur, ebenfalls Arzt, aber bald nur mehr als Schriftsteller tätig, konnte die 100.000er Grenze auch in seinen besten Jahren um 1910 nie überspringen.
Das Vivarium im Prater, um 1880. 1902 wurde es von Wilhelm Figdor gemeinsam mit Hans Przibram und Leopold Portheim gekauft und zur „Biologischen Versuchsanstalt“ umgewandelt.
Drei weitere Professoren, zwei von der Philosophischen Fakultät und einer von der Technischen Hochschule, waren zwar Millionäre, aber nur aufgrund ererbter oder erheirateter Vermögen. Die philosophische Fakultät war die Wirkungsstätte der beiden Emeriti Dr. Adolf Lieben und Dr. Theodor Gomperz, der eine der berühmte Chemiker, der andere der berühmte Altphilologe. Ihre Einkommen kamen aus ihrem Privatvermögen. Der emeritierte Chemiker Dr. Adolf Lieben versteuerte 1910 die Riesensumme von 430.583 Kronen; sein Vater war der Bankier Ignatz Lieben, er selbst war mit Mathilde, einer geborenen Freiin Schey von Koromla, verheiratet. Es hatte sich also Geld zu Geld gefunden. Mit zahllosen Ehren ausgezeichnet, zuletzt auch noch als Mitglied des österreichischen Herrenhauses, machten er und seine Frau ihre Wohnung im Dachgeschoß des Lieben-Hauses gegenüber der Universität zu einem Treffpunkt der künstlerisch-wissenschaftlichen Elite des Landes. „Es gab in Wien wenige Häuser, in denen namentlich die Welt der Gelehrten sich so behaglich fühlte wie in dem Liebenschen Hause.“218
Demselben Milieu entstammte Dr. Theodor Gomperz. Seine Brüder waren die Industriellen und Bankiers Max und Julius von Gomperz, seine Schwestern waren Josephine, verehelichte Wertheimstein, und Sophie, verheiratet mit dem Bankier und Baron Eduard Todesco. Beide waren sie bekannt für ihre Salons, in denen die berühmtesten Wirtschaftsführer, Politiker und Künstler verkehrten. In diesem hochgeistigen Umfeld, das gleichzeitig in Eduard Todesco, der Shakespeare für einen zeitgenössischen Dichter und Cicero für einen griechischen Denker hielt, auch sprichwörtliche Halbbildung beherbergte, entfaltete sich der gewaltige geistige Horizont von Theodor Gomperz. Seine Karriere war die eines Privatgelehrten. Ohne Doktoratsabschluss wurde er habilitiert und mit einem Ehrendoktorat der Universität Königsberg zum ordentlichen Professor für Klassische Philologie in Wien ernannt. 1896 bis 1909 publizierte er sein dreibändiges Hauptwerk Griechische Denker. 1900 wurde er emeritiert. Seine Schriften und Briefe sind höchste Zeugnisse der hohen Kultur des Fin de Siècle.
Weniger an wissenschaftlichem Ruhm und Erbe hinterließ Dr. Johann Oser, Professor der chemischen Technologie anorganischer Stoffe an der Technischen Hochschule Wien. Er übernahm im Jahre 1876 die Lehrkanzel, war 1886/87 Rektor und wurde 1901 pensioniert. Als Sohn eines Försters, mit Ausbildung an der Forstakademie in Mariabrunn, an der Technischen Hochschule und an den Universitäten Wien und Paris war er durch die Heirat mit der um 15 Jahre jüngeren Josefine Wittgenstein, einer Schwester von Karl Wittgenstein und Tante des Philosophen Ludwig Wittgenstein (Tante Fini) zu Geld gekommen. Karl Kraus schrieb über den alten Oser, der noch immer Vorlesungen hielt, er denke bei seinem Namen nicht an das Polytechnikum, sondern die Poliklinik: „Diese Männer, die der österreichischen chemischen Industrie die Wege zeigen sollen, humpeln mühselig, meist mit einer Verspätung von zehn Jahren, dem technischen Fortschritt nach“, was sicher ungerecht war oder vielleicht sogar einer Verwechslung entsprang.219 Unter seiner Leitung wurde über die Propylenoxyddarstellung, die Alkoholgärung und die Gallussäure gearbeitet, von ihm stammt auch ein einst weitverbreiteter Ofen zur Elementaranalyse.
Die beiden Privatdozenten Wilhelm Friedrich Figdor und Karl Przibram standen am Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere. Der Physiker Przibram, 1910 gerade 32 Jahre alt, 1905 habilitiert, forschte ab 1912 am Wiener Institut für Radiumforschung über die Radiophotolumineszenz. Erst 1927 wurde er zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt. 1938 wurde er entlassen, musste flüchten und überlebte in Belgien als U-Boot. 1946 kehrte er als ordentlicher Universitätsprofessor an die Universität Wien zurück und wurde zum korrespondierenden, 1950 zum wirklichen Mitglied der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt. Er beschrieb das Milieu seiner Kindheit und Jugend in einer autobiographischen Skizze: „Der in meinem Elternhaus herrschende Geist war der des gebildeten jüdischen Bürgertums der liberalen Ära, mit seinem unbedingten Glauben an den Fortschritt und seiner Aufgeschlossenheit für alle Errungenschaften der Kunst und Wissenschaft. Zu meinen Onkeln gehörten die Juristen Josef Unger und Josef Schey sowie der Chemiker Adolf Lieben. Mein Vater, übrigens ein begabter Dichter und voll tiefen sozialen Empfindens, interessierte sich sehr für die technischen Anwendungen der Naturwissenschaften. Er war an der Erfindung einer galvanischen Batterie beteiligt, mittels welcher er anfangs der achtziger Jahre unsere Wohnung beleuchtete.“220
Ähnlich war die Karriere von Dr. Wilhelm Friedrich Figdor. Nach Studien in Bonn und Wien und Forschungsreisen nach Java und Ceylon war er 1899 zum Privatdozenten und 1909 zum außerordentlichen Professor für Pflanzenphysiologie an der Universität Wien ernannt worden. 1902 hatte er gemeinsam mit dem 28-jährigen Zoologen Hans Przibram, dem jüngeren Bruder von Karl Przibram, und dem 33-jährigen Botaniker Leopold Portheim das anlässlich der Wiener Weltausstellung 1873 errichtete Vivarium im Wiener Prater gekauft. Die drei jungen Wissenschafter wandelten den Prachtbau in ein privates Forschungsinstitut um, das sie als Biologische Versuchsanstalt (BVA) auf eigene Rechnung führten und, ausgestattet mit der damals modernsten Laborinfrastruktur, zu einem Forschungszentrum für experimentelle Biologie machten. 1914 schenkten sie die Anstalt der Akademie der Wissenschaften, ergänzt mit einer Stiftung von 300.000 Kronen, um deren langfristigen Erhalt zu sichern. Das Institut wurde in der Zwischenkriegszeit zu einer weltweit führenden biologischen Forschungsanstalt. Wilhelm Figdor blieb das schreckliche Ende seiner Gründung erspart. Er war am 27. Jänner 1938 verstorben, knapp vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Das Institut hingegen wurde gleich nach dem Anschluss wegen seiner jüdischen Gründer und Mitarbeiter geschlossen und das Gebäude 1945 durch Kriegshandlungen zerstört. Hans Przibram und seine Ehefrau starben im Konzentrationslager Theresienstadt. Die Biologische Versuchsanstalt gilt als jenes Forschungsinstitut in Österreich und im Deutschen Reich mit der im Verhältnis zu seiner Größe höchsten Anzahl an NS-Opfern.221
Unter den Millionären von 1910 finden sich auch drei Studenten. Alle drei machten sie eine mehr oder weniger spektakuläre Karriere. (Robert) Gustav (Adolf), Freih. von Heine-Geldern, wird 1910, 25 Jahre alt, als Student in Paris geführt. Sein Wiener Einkommen betrug 179.700 Kronen. 1925 habilitierte er sich für Ethnologie mit besonderer Berücksichtigung Indiens und Südostasiens und lehrte Anthropologie an der Universität Wien, wo er im Jahre 1931 zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Vor den Nationalsozialisten geflohen, lebte er ab 1938 als jüdischer Flüchtling in New York City, wo er am amerikanischen Museum der Naturgeschichte arbeitete. Zusammen mit Margaret Mead, Ralph Linton, Adriaan J. Barnouw und Claire Holt gründete er 1941 das East Indies Institute of America (später Southeast Asia Institute). Er kam 1950 wieder nach Wien zurück, wo er das Ethnologie-Institut neu aufbaute.
Anders war das Schicksal von Albrecht Ritter v. Kubinzky, ebenfalls 25 Jahre alt. Er lebte 1910 in Wien als Student der Philosophie mit einem Jahreseinkommen von 134.835 Kronen. 1912 ließ er sich taufen und bewegte sich in erzkatholischen Kreisen. Sein Interesse galt einem möglichst klingenden Adelstitel, den er auf Umwegen über eine gekaufte spanische Staatsbürgerschaft auch erreichte. Dass ihm gerade diese Staatsbürgerschaft mit dem an sich recht wertlosen Marquis-Titel helfen sollte, den NS-Terror in Wien zu überleben, gehört zu den nicht vorhersehbaren Zufällen der Geschichte.
Doch der reichste Student war Ludwig Wittgenstein. Die mittlere Schulbildung hatte er statt im noblen Wien ab 1903 an der Linzer Realschule absolviert, die zur gleichen Zeit auch der nur um sechs Tage ältere Adolf Hitler in einer anderen Klasse besuchte. In Linz wohnte Ludwig Wittgenstein bei einem der Lehrer des Akademischen Gymnasiums, dem Professor für Latein und Griechisch Dr. Josef Strigl. Die Einkommensunterschiede sind exzeptionell: Ludwig Wittgenstein deklarierte im Jahr 1910 ein Jahreseinkommen von 237.308 Kronen, das Jahreseinkommen seines Linzer Vermieters, des Mittelschulprofessors Strigl, betrug etwa 2.800 bis 3.300 Kronen. Ob sich Hitler und Wittgenstein kannten, ist unsicher. Aber Hitler schreibt in Mein Kampf: „In der Realschule lernte ich wohl einen jüdischen Knaben kennen, der von uns allen mit Vorsicht behandelt wurde, jedoch nur, weil wir ihm in Bezug auf seine Schweigsamkeit, durch verschiedene Erfahrungen gewitzigt, nicht sonderlich vertrauten.“222 Wittgenstein war im Jahr 1910 als Einundzwanzigjähriger nach einigen Semestern an der Technischen Hochschule Berlin an der Technischen Abteilung der Universität Manchester eingeschrieben und beschäftigte sich mit Forschungen zur Aeronautik, aus denen er sich eine kleine Verbesserung des gängigen Flugzeugpropellers patentieren ließ. Ende 1911 entschied er sich jedoch für das Philosophiestudium bei Bertrand Russell in Cambridge. Mit seinem vielen Geld konnte und wollte er nicht viel anfangen.
Auffallen muss, dass weder die akademische Jurisprudenz noch die berühmte Wiener nationalökonomische Schule unter den Millionären vertreten war. Carl Menger, Friedrich von Wieser oder Eugen Ritter von Böhm-Bawerk stiegen zwar ins höchste österreichische Establishment auf. Unter den Spitzenverdienern findet sich jedoch keiner von ihnen. Hingegen waren Professorenwitwen unter den Millionärinnen des Jahres 1910: Hermine Seegen konnte vom Vermögen, das ihr Gatte, der Balneologe und Physiologe Joseph Seegen, als Kurarzt in Karlsbad (Karlovy Vary) und ao. Prof. für Balneologie in Wien aufgebaut hatte, hervorragend leben. Cölestine von Oppolzer und Rebecca Mauthner verdankten ihre Einkommen nicht der Pension oder dem Vermögen ihrer professoralen Gatten, sondern ihrer eigenen Herkunft. Cölestine von Oppolzer, eine geborene Mautner von Markhof, hatte 1865 Theodor Egon Ritter von Oppolzer geheiratet, dem eine glänzende Karriere als Professor der Astronomie bevorgestanden wäre – durch seinen posthum erschienenen Canon der Finsternisse (1887) war er weltweit bekannt geworden –, der aber schon 1886 im Alter von 45 Jahren verstorben war. Rebecca Mauthner, geb. Brodsky, war die Witwe von Prof. Ludwig Mauthner, dem berühmten Augenarzt, der 1894 zum Ordinarius an der Universität Wien ernannt worden war, aber am Tag seiner Angelobung verstarb. Rebekka Brodsky-Mauthner war eine der reichsten Frauen Russlands.