Kitabı oku: «Traumzeit für Millionäre», sayfa 7

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INDUSTRIELLE UND INNOVATOREN

„Sie kennen ihn ja!“, sagt Genia über ihren Mann, den Fabrikanten Hofreiter in Schnitzlers Weitem Land: „Seine neuen Glühlichter müssen die Welt erobern, sonst macht ihm die ganze Sache keinen Spaß.“ Schnitzler porträtierte in der Gestalt des Friedrich Hofreiter das allgemeine Prinzip des Kapitalismus und im Speziellen den Industriellen Louis Friedmann, Gesellschafter der Fa. Alexander Friedmann. Diese erzeugte jedoch keine Glühlampen, sondern Armaturen, Ventile und Pumpen für Dampflokomotiven. Mit rastlosem Einsatz hatte Alexander Friedmann sen. das Unternehmen aufgebaut. Dieselbe Rastlosigkeit prägte auch die beiden Söhne, als Unternehmer, Innovatoren, Bergsteiger, Sportler, Kunstförderer, Parlamentarier und Interessenvertreter.128

Während der zu Ende gehende Habsburgerstaat und seine Hauptstadt für ihre Beiträge zur Geburt der Moderne in Architektur, Literatur, Malerei, Musik und Design oder auch in Medizin und Natur- sowie Geisteswissenschaften gefeiert werden, wird der Beitrag zur technischen und industriellen Entwicklung meist negiert. Doch diese Beiträge stellen sich sehr vielfältig dar: in der Schwerindustrie und Waffentechnik ebenso wie in der Nachrichtenübermittlung, Lebensmittelindustrie, Kleiderkonfektion, Erdölraffinerie oder Papiererzeugung. Multinationale Unternehmen waren im Aufbau. Erfindungen wurden gemacht, Patente wurden angemeldet, Auslandsniederlassungen aufgebaut.

Die Übergänge von den Banken zum Handel ebenso wie vom Handel zur Industrie waren fließend. Es gibt keine Industrie ohne Handel. Die österreichische Großindustrie stach dadurch hervor, dass sie von den Banken dominiert war. Die Schoeller, die bis in die jüngere Vergangenheit als Privatbank agierten, bezeichneten sich 1910 als Großindustrielle. Die Miller-Aichholz verwalteten ihr Industrieimperium über ein Großhandelshaus. Ein beträchtlicher Teil der Textilindustriellen, aber nicht nur dieser, war über den Handel zur Industrie gekommen.

Die Industrie ist das Kernstück der Ringstraßengesellschaft. Sie stellte mehr als ein Drittel der Millionäre. Diese produzierten jene Güter, die den Reichtum des Wiener Fin de Siècle möglich machten und seine Modernität begründeten: von Rübenzucker und Lagerbier über Textilien, Seifen und Chemikalien bis zu Tafelgeschirr, Essbesteck, Fahrrädern, Automobilen, Aufzügen und Elektrogeräten. 351 Millionäre sind der Industrie zuzuordnen. Es sind bis heute bekannte Namen darunter: Böhler, Krupp, Wittgenstein, Heller, Manner und Mautner-Markhof, aber auch Namen, die längst vergessen sind oder die von der Geschichtsforschung völlig übersehen wurden. Millionär konnte man in nahezu jeder Branche werden, ob als Sargfabrikant (Otomar Maschner als Inhaber der Nobelmarken Beschorner und Maschner & Söhne), als Erfinder der öffentlichen Bedürfnisanstalten (Wilhelm Beetz), als Zündholzerzeuger (Bernhard Fürth, mit dessen Familie Bruno Kreisky mütterlicherseits verwandt war) oder als Insektenpulverfabrikant (Johann Zacherl). Weltgeltung konnte man in Nischen wie der Schreibfedernerzeugung erreichen, aber auch im neuen Feld der Gas- und Elektrizitätswirtschaft. Österreicher standen um 1900 an vorderster Linie in der Automobiltechnik, aber auch der Lochkartentechnik oder Telefonautomatisierung, in der Hefe-, Malz- und Bierindustrie und in der Zuckererzeugung. Man musste nur eine gewinnbringende Idee haben. Und man musste immer wieder neue Ideen haben. Wo sie ausblieben, war das oft mit dem Ende des Unternehmens verbunden. Untergegangen sind die Huterzeuger, die Kutschenbauer, die Sättel- und Zaumzeughersteller, die Sensenherren, die alle 1910 noch große Herren waren. Es gibt kaum noch Familien aus der Millionärsliste von 1910, die sich bis heute als Industrielle erfolgreich behaupten konnten: Häufig glänzen noch die Namen, der Reichtum hingegen ist längst verblasst oder ganz untergegangen.

Zwischen 1870 und 1910 wuchs Österreichs Wirtschaft stärker als die der westeuropäischen Industriestaaten, vornehmlich in den beiden letzten Dekaden.129 Der Abstand zu Großbritannien, Frankreich und Belgien verringerte sich. De Industrie war das Herz der wirtschaftlichen Dynamik der späten Habsburgermonarchie. Die innovatorische Dynamik war groß. Man begann auf die Weltmärkte vorzustoßen, mit neuen Produkten und Niederlassungen, von England bis Russland. Um die Jahrhundertwende bot sich für die Habsburgermonarchie die letzte Chance, auf wirtschaftlichem Gebiet aufzuholen. Ab 1896 begann ein langer wirtschaftlicher Aufschwung, der häufig auch als „Zweite Gründerzeit“ bezeichnet wird. Neue Produktionszweige, die Großchemie, der Fahrzeugbau und die Elektroindustrie gaben Impulse. Die letzten großen Eisenbahnen wurden gebaut, die ersten Strecken elektrifiziert, das Wiener Straßenbahnnetz seit 1898/​99 von Pferdebetrieb auf elektrischen Antrieb umgestellt. Man diskutierte über ein großes Kanalnetz, das Rhein und Donau, Donau und Oder und Donau und Weichsel verbinden sollte. 1909 erhielt Österreich die erste Seilbahn. Erstmals schienen um die Jahrhundertwende auch die Massen etwas von den Früchten der industriellen Revolution ernten zu können. Zucker und Schokolade begannen zu Massenprodukten zu werden. Man konnte sich ein Fahrrad leisten, Inbegriff individueller Fortbewegung und weiblicher Emanzipation.130

Die Liste der Industriemillionäre gibt einen erstaunlich guten Aufschluss über Stand und Struktur der österreichischen Industrie vor dem Kriege. Die Industriellen stellten zwar die größte Gruppe unter den Millionären des Jahres 1910. Doch verglichen zu Deutschland waren sie viel weniger reich. Das Ansehen der österreichischen Industriellen war geringer als das der Händler oder Bankiers oder gar der Großgrundbesitzer. Die Bankiers und Handelsleute besetzten hier die Spitze der Einkommenspyramide. In Deutschland waren es die Schwerindustriellen: Krupp, Henckel-Donnersmarck, Henschel, Thyssen, Haniel … Die Spitzenverdiener unter den österreichischen Industriellen finden sich in der Lebensmittelindustrie: die Bierbrauer und Zuckerindustriellen, Spirituserzeuger und Hefeproduzenten. Während in Österreich der Bankier Rothschild die Liste der Spitzeneinkommen anführt, ist das in Deutschland die Industriellenfamilie Krupp.

Millionäre in der Industrie 1910


Eigene Auszählung

Das letzte Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg war die Zeit der großen Börsengänge und Industrieaktiengesellschaften. Es war auch die große Zeit der Kartelle. Ihre Zahl wuchs rasch an. 225 Industriekartelle zählt man im Jahr 1912, die meisten in der Textilindustrie, die mächtigsten in der Eisenindustrie und die stabilsten im Nahrungs- und Genussmittelsektor: das Zuckerkartell, das Bierkartell und das Spirituskartell.131 Die Zahl der Kartelle sagt allerdings noch nicht viel aus. Entscheidend waren Zutrittsbarrieren, Organisationsmacht und von der Politik bereitgestellte Rahmenbedingungen. Das industrielle Rentseeking war dort am erfolgreichsten, wo es vom Staat mit einer entsprechenden Schutzpolitik unterstützt wurde. Instabil hingegen waren die Kartelle im Maschinenbau. Nicht erfolgreich waren sie im Erdölbereich. Mit hohen Schutzzöllen und institutionellen Auflagen wurden Eintrittsbarrieren geschaffen. Hohe Exportsubventionen, die aus der Zuckersteuer finanziert wurden, begünstigten die Zuckerindustrie ebenso wie das Saccharinverbot, das nicht nur den Markt der Zuckerindustriellen schützte, sondern auch die Etablierung von Chemieunternehmen behinderte, wie sie zum Beispiel in Basel aus der Saccharinherstellung sich herausentwickelt hatten. Die Öffentlichkeit war sich durchaus bewusst, dass hier Extraprofite geschaffen und der allgemeine Wohlstand durch die Mengenbeschränkungen zugunsten einiger weniger reduziert wurde.132

Obwohl die Aktiengesellschaften so stark im Vormarsch waren, dominierten immer noch die großen Familiengesellschaften. Sieben Eissler sind unter den Millionären, drei Mautner Markhof, sechs Pollack von Parnau bzw. Parnegg, vier Eisler von Terramare, zwei Popper-Podhrágy. Zahlreiche Brüderpaare und Familienclans bestimmten das industrielle Geschehen: Böhler, Duschnitz, Friedmann, Habig, Hardy, Heller, Kupelwieser, Lieser, Medinger, Mendl, Salcher, Schrantz, Seybel, Thonet, Trebitsch, Wagenmann, Weinberger, Wittgenstein. Eine der letzten großen Familienkonstellationen in der österreichischen Industrie bildeten zwischen den beiden Kriegen die sechs Brüder Bunzl, in den 1930er Jahren Österreichs dominierende Industriellenfamilie und heute noch erfolgreich am internationalen Parkett, wenn auch nicht mehr in Österreich.133


Die Berndorfer Metallwarenfabrik war Teil des gewaltigen Firmenimperiums, das Alexander Ritter von Schoeller innerhalb weniger Jahrzehnte aufbauen konnte.

Riesige Mischkonzerne hatten die Schoeller und die Miller-Aichholz aufgebaut: eigentlich Industrieverwaltungen. Sechs Mitglieder der Familie Miller-Aichholz befanden sich 1910 unter den Superreichen, fünf Mitglieder der Familie Schoeller. Beide Familien gehören zu den bekanntesten der Ringstraßenepoche. 1910 zählte der Familienverband Miller-Aichholz zu den größten Industrieaktionären der Habsburgermonarchie. Der Compass nennt für August II., Vinzenz und Heinrich Miller-Aichholz insgesamt 28 Stellen als Verwaltungsrat, Präsident oder Direktor diverser Unternehmen recht verschiedener Branchen. Der österreichische Volkswirt stellte 1911 fest, dass die Familie Miller-Aichholz, obwohl sie zu den größten Industriefirmen des Reiches gehöre, schon seit langem mehr als Großaktionär denn als Privatfirma und Unternehmer handle.134 Sie hatte Einfluss bei den Perlmooser Zementwerken, der Neusiedler Papierfabrik, der Fabrikation vegetabilischer Öle in Triest, der Galizischen Naphta Produktion, der Brünner Kammgarnspinnerei, der Liesinger Brauerei, der Neugedeiner Schafwollwarenfabrik und den Baumwollspinnereien und Webereien in Trumau und Marienthal. Ihnen gehörte auch die Bossi Hutstumpenfabrik in Unter-Sankt Veit und das Antimonbergwerk in Schlaining, das zum Ausgangspunkt ihres wirtschaftlichen Absturzes wurde. Sie betätigten sich als Großhändler für Kolonialwaren und Chemikalien und als Privatbankiers. Das Kronjuwel aber war die Sodafabrik in Hruschau. 1911 wurde diese an den größten Konkurrenten, den Aussiger Verein für chemische und metallurgische Produktion, verkauft. Die autokratisch dirigierte Familie war in sich bereits tief gespalten. Das Vermögen verteilte sich auf immer mehr Familienmitglieder. Gleichzeitig wurde der Kapitalbedarf immer größer. Das Familienunternehmen Miller & Co war schon vor dem Krieg in seiner Bedeutung zutiefst in Frage gestellt. 1927 war es bankrott.135

Alexander Schoeller gelang es innerhalb weniger Jahrzehnte, einen breit gestreuten Industriekonzern aufzustellen, der Tuchfabriken in Brünn, die Metallwarenfabrik in Berndorf, die Messingfabrik Triestinghof, Mühlenbetriebe, die Ternitzer Stahlwerke, die Hütteldorfer Brauerei, eine Reihe von Zuckerfabriken, eine Vielzahl weiterer Industriebeteiligungen und die riesige, vormals Esterházysche Herrschaft Léva in der Slowakei umfasste. Alexander Schoeller hinterließ bei seinem Tod ein Vermögen von über 40 Mio. Gulden.136 Seine beiden Ehen blieben kinderlos. Die Erbfolge ging an die Brünner Linie mit Gustav Schoeller über. „Einigkeit in der Familie – dies ist mein Wille“, war der Schlusssatz des Testaments von Philipp Wilhelm Schoeller im Jahr 1875. Paul Schoeller war bekannt als großer Kunstsammler. Er blieb wie sein Bruder Philipp unverheiratet. Sein vor seinem Tod überlieferter Ausspruch: „Was mit mir altem Mann geschehen mag, ist einerlei, wenn nur das Haus bestehen bleibt“, drückt die Sorgen des alten, kinderlosen Mannes nach dem Zerfall des großen Wirtschaftsraums der Monarchie aus, den er nur kurz überlebte.137 Die Schoeller waren und sind eine der traditionsreichsten Industriellen-, Bankiers- und Großhändlerfamilien des Landes. Sie gehörten zu den führenden Privatbankiers und Großindustriellen im alten Österreich. In der Ersten Republik und im Nationalsozialismus kam ihnen eine mehrdeutige Rolle zu. In der Zweiten Republik wurde Ternitz verstaatlicht, gingen wesentliche Beteiligungen verloren, wurde das Privatbankhaus verkauft. Aber immer noch spielt Schoeller im Großhandel in der ersten Liga.138

Die Königin der alten Industrie

Die frühe Industrie war vor allem Textil- und Bekleidungsindustrie. Mehr als ein Drittel der Spitzenverdiener in der Industrie, insgesamt 121, waren Textilindustrielle. Was allerdings auffällt: Keine einzige der Unternehmerfamilien aus der Textilindustrie, die 1910 führend waren, ist heute noch nennenswert vertreten. Das hängt einerseits mit dem dramatischen Bedeutungsverlust zusammen, den die Textilindustrie in der Zwischenzeit erfahren hat, andererseits mit dem Kahlschlag, den die nationalsozialistische Verfolgung gerade in dieser Branche hinterlassen hat. 95 der 121 Textilmillionäre waren jüdisch.

Die Textilindustrie war mit dem Textilhandel eng verschränkt. Gerade in dieser Branche war es möglich, die Produktion nicht nur in großen Fabriken, sondern auch in dezentraler Heimarbeit durchführen zu lassen. Heimindustrielle Spinner, Weber, Sticker, Schuster und Schneider wären aber nicht in der Lage gewesen, ihre Erzeugnisse selbst zu vermarkten. Diesen Teil und auch die Versorgung mit den Rohstoffen (Wolle oder Baumwolle) übernahmen Unternehmer. Viele dieser Verleger waren eigentlich zunächst überhaupt nur Händler, die ihr Geschäft durch ein Verlagsunternehmen ausweiteten und so von Handelsleuten zu Industriellen wurden, die sich eine Spinnerei, eine Weberei oder eine Konfektion angliederten.

Die Baumwollindustrie ist der traditionsreichste Zweig der Industrie, wo die Industrielle Revolution begonnen hatte, mit den großen Spinnereien und mechanischen Webereien. Um 1910 gab es in Österreich etwa 130 Baumwollspinnereiunternehmen und etwa 550 Webfabriken. Über die ganze Monarchie verteilten sich die Standorte der Spinnereien und Webereien: Vom traditionsreichen Unternehmen der Leitenberger, das 1904 nach dem tragischen Verkehrsunfall des letzten Leitenberger in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war und von deren Erträgen seine Witwe 1910 noch eine Millionärsrente lukrierte, bis zu Isidor Mautner, der 1910 dabei war, den größten Textilkonzern der Habsburgermonarchie zu formen, der 1929 spektakulär zusammenbrach.

Es sind berühmte Namen, die hinter der Textilindustrie stehen. Der Aufstieg der Dumba, von aromunisch-griechischer Herkunft, begann mit Sterpios Doumbas, der mit Baumwolle nach Österreich und mit Zucker in das Osmanische Reich handelte. Seine Söhne Nikolaus, Theodor und der kinderlose Michael St. Dumba ergänzten den Rohstoffhandel mit Spinnereien im Wiener Becken. Nikolaus Dumba galt als ein wichtiger Kunstmäzen und -sammler sowie Förderer des Wiener Musiklebens. Sein hinterlassenes Vermögen wurde auf 9 bis 10 Mio. fl geschätzt. Dabei unterschätzte der Verlassenschaftsakt den Wert seines Vermögens wahrscheinlich ganz gewaltig, vor allem was die riesigen Kunst- und Autographensammlungen betraf, aber auch die Immobilien.139


Heute ein Industriedenkmal und eine Industrieruine: das Hauptgebäude der 1906 von Josef Broch übernommenen Baumwollspinnerei Teesdorf mit Wasserturm, errichtet 1908 – 1910.

Mehr als ein halbes Jahrhundert später, und von ganz anderer Herkunft, aber auch aus dem Handel kommend, begann die Karriere des Josef Broch, des Vaters des Dichters Hermann Broch. Die Brochs waren Zeugen und Akteure eines ungeheuren sozialen Aufstiegs und Absturzes. Josef Broch war es innerhalb eines Jahrzehnts gelungen, vom Laufburschen zum Tex- tilmillionär aufzusteigen. Die Situation seiner elterlichen Familie in Prossnitz muss sehr schlecht gewesen sein. 1864 verließ er als Zwölfjähriger das elterliche Haus und ging nach Wien. Der Traum von der Weltstadt erfüllte sich für ihn. Anfang der 1880er Jahre galt er bereits als einer der gewiegtesten Textilhändler der Stadt. 1885 heiratete er Johanna Schnabel aus einer reichen Lederhändler- und Fabrikantenfamilie. 1907 war er in der Lage, eine ganze Etage im 2. Stock eines Hauses im Wiener Textil- und Börseviertel zu kaufen. Die Wohnung umfasste mehr als 20 Zimmer. Im selben Jahr wagte er auch den Sprung in die Industrie. Im Jahr 1906, nach einem Streik in der Spinnerei Teesdorf, den der Wiener Fabrikant Abraham M. Elias mit Militäreinsatz zu brechen versuchte und der zum Konkurs des 1803 gegründeten Unternehmens führte, griff Broch, einer der Hauptgläubiger, zu. In der Fabrik herrschten noch Zustände wie im englischen Frühkapitalismus: Kinderarbeit, desolate Fabrikswohnungen, völlig veralteter Maschinenpark. Broch investierte kräftig. Den Sohn Hermann hatte er in Wien und Mülhausen Technik und Textilmaschinenbau studieren lassen. 1907 trat dieser in die neu erworbene Fabrik ein, obwohl er wohl schon damals mehr an den schönen Künsten als an den Geschäften und Maschinen interessiert war. 1908 wurde er Direktor und führte etliche Neuerungsmaßnahmen durch: Er ließ das Spinnereigebäude in hochmoderner Betontechnik aufführen und mit Wasserturm und Sprinkleranlage ausstatten. Bis 1914 wurde das Aktienkapital des Unternehmens von 600.000 Kronen auf 1,900.000 Kronen aufgestockt. Die Aufrüstung und der Krieg steigerten den Bedarf nach Uniformstoffen. 1910 hatte Broch es zu einem Jahreseinkommen von fast 400.000 Kronen gebracht. 1915 erreichte der geschäftliche Erfolg des Unternehmens den Höhepunkt.140 Doch schon in den 1920er Jahren kam das Ende. Josef Broch musste zusehen, wie das Unternehmen von seinem Sohn Hermann verkauft wurde. Vom Verkaufserlös blieb nach der Börsenkrise nicht viel. 1937 konnte sich Hermann Broch nur mehr mühselig von den kargen Erträgen des Schriftstellerberufes durchbringen.141


„Elegantester Wiener“: Der Hutfabrikant Peter Habig jr. mit seinen Töchtern Lucy und Maria.

Am Tiefen Graben, mitten im boomenden Textil- und Börsenviertel des ersten Bezirks, begann 1867, gerade im rechten Augenblick, der atemberaubende Aufstieg des Isidor Mautner. Er trat in das von seinem Vater gegründete Webereiunternehmen ein, das seit 1874 als „Isaac Mautner u. Sohn“ firmierte. 1875 heiratete er die Wiener Industriellentochter Jenny Neumann, deren Eltern Mitbesitzer einer Seidenfabrik waren. Mit ihr hatte Mautner die Söhne Stephan und Konrad sowie die Töchter Katharina Breuer-Mautner und Marie Mautner-Kalbeck. 1905 wandelte Isidor Mautner seine Betriebe mit Hilfe der Boden-Credit-Anstalt in die „Österreichischen Textilwerke AG“ um und fasste sie 1912 in einer Holding zusammen: Isidor Mautner war damit Generaldirektor eines Konzerns mit 42 Fabriken und etwa 23.000 Beschäftigten, 650.000 Spindeln und mehreren tausend Webstühlen. Seine beiden Söhne Stephan und Konrad als Stellvertreter nahmen mehr dekorative Positionen ein. Konrad interessierte sich für Ausseer Volkskultur und steirische Trachten, Stephan für Malerei und Schriftstellerei. 1929 zerbrach das Mautnersche Textilimperium vor den Augen des Gründers. Sein Sohn Stephan hatte mit dem Konkurs der „Neuen Wiener Bankgesellschaft“, deren Präsident er war, wesentlich zum Kollaps des ganzen Konzerns beigetragen. Isidor Mautner starb 1930 im Trubel der Wirtschaftskrise, Stephan Mautner 1944 irgendwo im Wahnsinn des Holocaust.142

Wiener Chic! Das war eine Erfolgsschiene. Es gab so viel Luxus zu befriedigen: Handschuhe, Strümpfe, Hemden, Spitzenunterwäsche, Hüte, Pelze, Taschenuhren und vielerlei Accessoirs. Soll man Arnold Bachwitz zu den Industriellen oder zu den Journalisten rechnen? Er gründete 1883 einen Damenmäntel-Verschleiß und ein Modeunternehmen. In seiner Bachwitz AG verlegte und produzierte er eine Reihe von Modezeitschriften und Magazinen, etwa Die Wienerin und Chic Parisien. Als erstes Blatt kam 1898 Der Modezeichner heraus, gefolgt von einer Reihe weiterer Journale und Alben, etwa der Großen Mode (1900 – 1922), der Eleganten Frau (1900 – 1929) und The Coming Season (1920 – 1929). Insgesamt wurden etwa 50 Zeitschriften herausgebracht, viele davon dreisprachig. Arnold Bachwitz war auch Direktor der Wiener Modeausstellung, die um die Jahrhundertwende mehrmals in den Sälen der Österreichischen Gartenbaugesellschaft abgehalten wurde. Sein Hauptquartier war das imposante, 1908/​09 erbaute Palais des Beaux Arts in der Löwengasse 47 mit den großen Weltkugeln auf dem Dach, zwischen denen in großen Lettern der Name des Besitzers die Internationalität des Unternehmens symbolisieren sollte.143

Hüte waren Modeartikel im besten Sinne des Wortes. „Hier konnte sich“, schreibt Peter Habig, der bedeutendste Hutfabrikant des Reiches, „der Wiener Geschmack am freiesten betätigen.“144 Sein Sohn Peter jr. galt als der „eleganteste Jüngling“ im Wien des frühen 20. Jahrhunderts. Er heiratete in den Gutmann-Clan ein. Peter Habig sen. war 1853 als Hutmachergeselle nach Wien gekommen. 1867 eröffnete er eine kleine Werkstätte. 1882 startete er die Hutfabrik an der Wiedner Hauptstraße. Verkauft wurde direkt neben der Fabrik im riesigen Habig-Hof und an der Kärntner Straße im noblen Palais Todesco, ab 1888 auch in der Berliner Friedrichstraße. Als k. u. k. Kammer- und Hof-Hutfabrikanten wurden Peter & Carl Habig auch Hoflieferanten der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria und des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen. Beliefert wurden auch König Eduard VII. von Großbritannien, Georg I. von Griechenland und Peter I. von Serbien sowie Großherzog Wilhelm IV. von Luxemburg. Der von den Architekten Carl Holzmann und Heinrich Adam erbaute Habig-Hof war ein Gesamtkunstwerk aus Wohnungen und Verkaufsflächen, die fast einen gesamten Stadtblock einnahmen. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die noble Kundschaft ab, nach dem Zweiten Weltkrieg und dem wechselnden Modegeschmack verschwand die Bedeutung des Hutes immer mehr. Ein Nischengeschäft ist geblieben.145

Der in Bukarest geborene Carl Moritz Frank gründete 1838 einen Schneiderbetrieb. 1860 übernahm sein Sohn Carl Frank junior das Unternehmen. 1874 wurde er zum k. u. k. Hoflieferanten ernannt. Frank gehörte bald zu den angesehensten Schneidereien in Europa. Er fertigte die Zivilanzüge für den Kaiser. Zu seinen Kunden zählten Kronprinz Rudolf von Österreich-Ungarn, die Brüder von Kaiser Franz Joseph I., Erzherzog Karl Ludwig und Erzherzog Ludwig Viktor, und der hohe Adel. Frank war auch Hoflieferant des Prinzen von Wales, des Königs von Italien, Kaiser Napoleons III. von Frankreich, König Milans von Serbien und der Königshöfe von Schweden, Spanien, Bayern, Preußen, Russland, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Serbien, und Montenegro. König Eduard VII., die angeblich bestangezogene Persönlichkeit seiner Zeit, zählte zu den Stammkunden. Insgesamt waren es nicht weniger als 55 Hof- und Kammertitel, die C. M. Frank im Laufe seiner Existenz ansammelte. Der kinderlose Carl Frank junior konnte 1914 mit seinem Geld drei Millionen Goldkronen für die Errichtung eines Kinderspitals stiften. Dafür erhielt er den Adelstitel. Geschäft und Familie endeten mit seinem Tod, der fast zeitgleich mit dem Tod des alten Kaisers im Jahr 1916 kam.

In der Schmuckbranche verdienten einerseits eine Reihe von Juwelieren und Uhrmachern, von Bellak über Hirsch bis Zirner, andererseits die Erzeuger von Imitaten. Mit den Glasschmucksteinen begann eine Erfolgsgeschichte, die für zwei Gablonzer Unternehmer nicht unterschiedlicher hätte verlaufen können: Robert Richter und Daniel Swarovski. Auf dem Gebiet der Similisteine hatte sich durch den Einsatz von Maschinen ein gewaltiger Umbruch vollzogen. Derart bearbeitete Steine hatten den Vorteil, regelmäßiger und auch viel billiger als die handerzeugten zu sein. „Leider“, schreibt ein Berichterstatter im Jahr 1908, „hat eine Firma den Artikel von hier (gemeint Gablonz) nach Tirol verschleppt“. Das zielte auf Daniel Swarovski. „Ihr ist ein zweiter Fabrikant dieser Steine namens Robert Richter gefolgt, der seine Fabrikation nach Niederösterreich verlegt hat.“146 Robert Richter, aus der Familie der Eigentümer einer 1882 gegründeten Gablonzer Bijouteriewarenfabrik stammend, spezialisierte sich auf künstliche Edelsteine, die er mit einer von ihm entwickelten Schleifmaschine bearbeitete. 1900 gründete er in Gablonz eine mechanische Glasschleiferei, die er 1907 auf der Suche nach genug Wasserkraft und wohl auch wegen der Nähe des Wiener Marktes ins niederösterreichische Münchendorf verlegte. Er erwarb das Areal einer abgebrannten Mühle. 1907 ging die Fabrik in Betrieb, die 1910 zwar nur etwa 150 Arbeiter beschäftigte, aber sehr komplexe Maschinen einsetzte, die im Fabriksbetrieb Steine mit besonderem Schliff und elegantem Aussehen ermöglichten. 1910 zählte er zu den Spitzenverdienern. 1917 wurde das Unternehmen kriegsbedingt stillgelegt. 1918 entschloss sich Richter, sein Unternehmen zurück in die Tschechoslowakei ins heimatliche Reichenberg zu transferieren.147 Langfristig war das keine gute Entscheidung. Auch Daniel Swarovski kam aus der Nähe von Gablonz und Reichenberg, aus Georgenthal. Auch er hatte 1891 einen Schleifapparat zum industriellen Schleifen von Schmucksteinen entwickelt. Auch er ging aus der Gegend weg und transferierte den Betrieb, in seinem Fall nach Wattens in Tirol, wo er genug Wasserkraft für seine Maschinen hatte. Um 1910 beschäftigte er bereits an die 1.000 Leute. Auch sein Unternehmen wurde durch den Kriegsausbruch nahe an den Ruin gebracht. Es gelang ihm aber, sich mit Schleifmitteln und Ferngläsern ein rüstungswirtschaftliches Standbein zu schaffen, das ihm neben den Schmucksteinen den Weg für den Aufstieg zur Weltfirma ebnete.148 Sein langfristiges Glück: Sein in Österreich verbliebener Betrieb konnte nach 1945 kräftig expandieren und zum größten Familienunternehmen des Landes aufsteigen, während Robert Richters 1918 nach Reichenberg zurückverlagertes Geschäft in der Vertreibung nach 1945 zugrunde ging.

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22 aralık 2023
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