Kitabı oku: «Traumzeit für Millionäre», sayfa 6

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Textilhändler und Warenhäuser

Shopkeepers waren nicht salonfähig, schreibt Heinrich Treichl über die Gesellschaft des Fin de Siècle.109 Besitzer von Warenhäusern, Handelsketten oder auch einfachen Ladengeschäften hatten gegen sehr große gesellschaftliche Widerstände anzukämpfen und genossen bei weitem nicht jenes Ansehen, das sich andere Wirtschaftstreibende, Bankiers, Industrielle, geschweige denn Beamte oder Künstler verschaffen konnten.

Die klassische Domäne des Handels war und ist der Textilhandel: Stoffe, Kleider, Kurzwaren, Teppiche. In Wien traf man auf eine bunte Palette von Textilgeschäften: Leinwandhändler, Pfaidler, Tuchschneider, Currentwarenhändler, Galanteriewarenhändler, Kurz- und Weißwarenhändler, Händler mit roher und gefärbter Seide, Händler mit reichem und schwerem Seidenzeug, Spezereiwarenhändler sowie die „gemischten Warenhändler vor der Stadt“. Vermögende Kunden in Wien, vereinzelt auch in der Provinz, bezogen ihre Kleidung im späten 19. Jahrhundert immer noch direkt aus Paris, London oder Brüssel. Der Handelsvertreter kam mit einem Berg von Schachteln ins Palais oder die Villa. Da wurde anprobiert, ausgesucht, gekauft. Kam der Vertreter nicht direkt ins Haus, so legte man im Geschäft Wert auf diskrete Bedienung und Zustellung der erworbenen Ware durch das Personal. Man kaufte feine Stoffe bei Jungmann & Neffe, exquisite Herren- und Damenkleidung bei Heinrich Grünbaum und Reformmode bei den durch Gustav Klimt bis heute bekannt gebliebenen Schwestern Flöge. Zu einem Millioneneinkommen brachte es zum Beispiel Grünbaum, dessen Witwe 1910 ein Jahreseinkommen von 162.180 Kronen deklarierte.


Palastarchitektur für ein Warenhaus: die Fassade des 1897/​98 nach Plänen von Maximilian Katscher errichteten Stammhauses von August Herzmansky in der Mariahilfer Straße, 1899.

Die neuen Tempel der Kauflust waren die Warenhäuser. „Kathedralen des Massenkonsums“ und „Museen des kleinen Mannes“ lauteten die Schlagwörter. Emile Zola hatte mit seinem Kaufhausroman die Vorstellung vom „Paradies der Damen“ geprägt, auch wenn es vor allem die Herren waren, für die vorerst die dort angebotenen Waren gedacht waren: Reise-, Jagd- und Stadtkleidung, Herrenpelze, Fräcke und Gehröcke, Livreen, Schlafröcke, Turnanzüge, Knabenkleidung und Priesterröcke umfasste das Sortiment bei Rothberger. Nach 1900 kam auch Automobilkleidung dazu. Das Angebot wurde immer breiter, bis zuletzt die ganze Warenfülle der beginnenden Massenkonsumgesellschaft in einem pompösen Ambiente für jedermann zu bestaunen war. Denn die Unterschichten konnten bestenfalls staunen. Zum Kaufen fehlte das Geld. Aber man musste ja nicht kaufen. Und der Zutritt war gratis.110

Die Warenhäuser waren die Leuchttürme der neuen Zeit. In religiöser Feierlichkeit wurden sie inszeniert. Die Palastarchitektur schuf Gefühle des höchsten Luxus. Verkauft wurden die Massenwaren des Fabrikszeitalters. Im Erdgeschoß gab es die Schwemme, in den oberen Stockwerken waren die Verkaufssalons und ganz oben die Werkstätten. Orientalische Basare waren sie in den Augen ihrer antisemitischen Kritiker, die Vorhut des Massenkonsums für die Stadtflaneure. Rothberger platzierte sein Warenhaus direkt gegenüber dem Haupttor des Stephansdoms, Neumanns hochtrabender Metropolitan Clothing Palace in der Kärntner Straße mutierte im Mund der Wiener bald zum „Steffl“. Die Mariahilfer Straße, der tägliche Weg des Kaisers von Schönbrunn in die Hofburg, war der rechte Ort für die Zurschaustellung dieser neuen Stadtwahrzeichen. So konnte der Kaiser tagtäglich die Paläste der neuen Zeit vor Augen haben. Von den 24 im Jahr 1907 als Warenhäuser erfassten Wiener Unternehmen befanden sich zwölf im 1. Bezirk und zehn in der Mariahilfer Straße. Hier waren auch die drei weitaus größten nahezu benachbart: Gerngroß, Herzmansky und Esders „Große Fabrik“. Während bei den übrigen die Umsatzhöhe zwei Millionen nicht überschritt, gaben Esders 7,5 Millionen, Herzmansky acht bis zwölf Millionen und Gerngroß über 10 Millionen an. Die Beschäftigtenzahl bei Gerngroß überstieg die 1000er-Grenze. Gerngroß war auch bereits in den Möbel-, Haushalts- und Lebensmittelbereich eingestiegen. Rechnet man alle fünf Gerngroß-Brüder zusammen, so versteuern sie mehr als 700.000 Kronen Einkommen im Jahr, Vater und Sohn Esders zusammen fast 800.000 Kronen. Herzmansky lag da schon weit abgeschlagen zurück.111 Die 29 Millionäre unter den Warenhausbesitzern brachten es auf Durchschnittseinkommen von etwa 200.000 Kronen.

Als Pionier der österreichischen Kleiderhäuser gilt Mayer Mandl. 1843 hatte der Sohn des Prossnitzer Altkleiderhändlers Moses Mandl um die Kleinhandelsbefugnis für alte Kleider eingereicht. 1849 kam jene für neue Kleider dazu. Bald beschäftigte Mayer Mandl mehrere 100 Schneider, die aus billigen Stoffen Konfektionsstücke für den Vertrieb in Ungarn und am Balkan fertigten. Im Krimkrieg war er als Lieferant der osmanischen Armee zu derartigem Ansehen gelangt, dass ihm die osmanische Regierung für einige Zeit die Ausstattung ihrer gesamten Armee übertrug. 1858 suchte er um die Fabriksbefugnis für die Erzeugung von Männerkleidung an. Es war die erste Kleiderfabrik Österreichs. In den 1860er Jahren etablierte sich Mandl direkt in Wien. 1910 stellte die Mandl-Familie eine Reihe von Millionären: Julie Mandl, die Witwe des 1888 verstorbenen Mayer Mandl, ihren Sohn Arnold Mandl, Inhaber des Bank- und Großhandlungshauses J. & M. Mandl und M. Mandls Söhne und 1881 zusammen mit Salomon Kohnberger Gründer der Österreichisch-Amerikanischen Gummiwarenfabrik in Breitensee bei Wien, ferner Max Mandl, Ritter von Maldenau, Gesellschafter der Fa. M. & J. Mandl und der Fa. M. Mandls Söhne, und Sigmund Mandl, Direktor dieser beiden Unternehmen.112

In den fünfzig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg etablierten sich in Wien etwa 40 Betriebe in der Art von Mandl. Der aus dem ungarischen Alberti Irsa stammende Schneidergeselle Jakob Rothberger eröffnete 1855 sein „Kleidermagazin“ nach einem System, das er in Paris kennen gelernt hatte. Seine Idee war die „Kleiderschwemme“. Gebrauchte Kleider wurden gegen neue getauscht. Die alten Kleider reparierte er und verkaufte sie weiter. Die Schneiderarbeiten wurden nicht von Angestellten, sondern von selbständigen Stückmeistern erledigt. Mit zwei Standbeinen, der Kleiderschwemme und der gehobenen Herrenkleidung, verfügte er über eine so breite Basis, dass er 1861 sein Geschäft auf den zentralsten Platz Wiens, den Stephansplatz übersiedeln konnte. 1868 wurde er zum Hoflieferanten ernannt und 1886 ein spektakulärer, von den Theaterarchitekten Fellner & Helmer geplanter Neubau eröffnet. Die zwei Stockwerke hohe Verkaufshalle wurde von 380 elektrischen Glühbirnen taghell erleuchtet. Es gab eine Dampf-Zentralheizung und einen hydraulischen, ab 1897 elektrischen Aufzug. Im Souterrain fand man die Schwemme, darüber in zwei Etagen die Verkaufsräume. Es wurde auch eine Kleiderleihanstalt geführt. Das Geschäft wurde angeblich mehr wegen seiner billigen als seiner eleganten Ware bekannt. Eingemietet war auch das Süßwarengeschäft Victor Schmidt & Söhne. Geöffnet war von 7 Uhr morgens bis Mitternacht.

Als Jacob Rothberger 1899 verstarb, wurde sein Nachlass mit 2,149.244,07 fl eingeantwortet, davon ein Viertel Firmenvermögen. Die restlichen drei Viertel bestanden in Wertpapieren und Realitäten. Neben den Hälfteanteilen an den beiden Häusern Stephansplatz 9 und 11, einem Haus am Salzgries und einem in Budapest gehörte Rothberger ein Sommerhaus in Neuwaldegg. Drei der vier Söhne übernahmen die Geschäftsleitung. Es waren über 300 Personen angestellt, weitere 600 arbeiteten als selbständige Stückmeister. In Budapest hatte man eine Filiale. 1908 wurden auch Filialen in Paris und London eröffnet. Die Erfolgssträhne brach in der Zwischenkriegszeit. Die Filialen im Ausland waren verloren, der Kontakt zu den Zulieferern riss ab. Die Geschäftsfläche im Stammhaus wurde reduziert und verpachtet. 1938 wurde das Warenhaus „arisiert“ und 1945 im Zuge der letzten Kriegshandlungen zerstört.113


Rühmte sich für seinen aristokratischen Kundenkreis: das Damenmodehaus Zwieback an der Ecke Kärntner Straße/​Weihburggasse. Foto: Madame d’Ora, 1913.

Rothbergers Idee wurde rasch von anderen nachgeahmt oder ebenfalls entdeckt. Der aus einer schlesischen Weberfamilie gebürtige August Herzmansky kam 1848 nach Wien und eröffnete in der Kirchengasse, 7. Bezirk, ein Geschäft für Textilien. Die Produktpalette wurde ständig vergrößert. Das „Spezialkaufhaus für Textilien“ hatte sich bis 1896/​97 in einem Neubau zum Warenhaus gewandelt. August Herzmansky erlebte die Eröffnung jedoch nicht mehr. Nach dem Tod des Firmengründers übernahmen seine Neffen Johann und Eduard die Unternehmensführung, waren darin aber nicht besonders erfolgreich. Herzmanskys Hauptkonkurrent in der Mariahilfer Straße wurde sein ehemaliger Mitarbeiter Alfred Gerngross. Er eröffnete 1879 ein eigenes Stoffgeschäft, das rasch zum größten Warenhaus Wiens wurde. Beide Unternehmen operierten erfolgreich mit dem in Europas Großstädten im Vordringen begriffenen Konzept: Fixpreis und großer Umsatz durch mäßigen Aufschlag. Gerngross war auf den Handel mit Seiden-, Woll- und Waschstoffen, Samt- und Modewaren spezialisiert. Es gab eigene Abteilungen für Wäsche, Damen-, Herren- und Kinderkonfektion, Wirk- und Strickwaren, Schuhe, Handschuhe, Teppiche, Vorhänge, Haus- und Küchengeräte sowie Galanteriewaren. Die Textilprodukte wurden nicht nur verkauft, sondern zum Teil in den drei Industrieabteilungen für Herren- und Damenbekleidung und Wäsche auch selbst produziert. In der Kärntner Straße eröffnete die Fa. M. Neumann ein Herrenkonfektionshaus. Der von Otto Wagner 1895/​1896 errichtete Neubau trug am Parapet des vierten Obergeschoßes die schlicht gehaltene, aber unmissverständliche Aufschrift Metropolitan Clothing Palace. Im Erdgeschoß und in zwei Obergeschoßen befanden sich die Verkaufssäle, im 3. und 4. Stock Wohnungen; 1.000 Glühlampen sorgten für die Beleuchtung.

Das 1895 nach Plänen von Friedrich Schön an der Ecke Kärntner Straße/​Weihburggasse errichtete Damenmodehaus Zwieback galt als das „pariserischste“ aller Wiener Warenhäuser. Um 1900 beschäftigte es 187 Beamte und 150 Arbeiter und rühmte sich vor allem für seinen aristokratischen Kundenkreis; Souterrain, Erdgeschoß und die ersten beiden Obergeschoße des achtgeschoßigen Gebäudes waren für den Kundenverkehr bestimmt, darüber lagen die Büros und Werkstätten, im Keller die Depots und das Maschinenhaus; Personenlifte und elektrische Beleuchtung waren selbstverständlich. Das Unternehmen war 1877 in der Mariahilfer Straße/​Ecke Webgasse von den drei aus Bonyhad gebürtigen Brüdern Ludwig, Emanuel und Samuel Zwieback gegründet worden. Nach dem frühen Tod der beiden Brüder Emanuel und Ludwig erbte Ella Zirner-Zwieback die wesentlichen Teile des Unternehmens.114

Als das erste Warenhaus Wiens wird meist das Haus angeführt, das der Teppich- und Möbelstofffabrikant Eduard Haas 1865 am Stock-im-Eisen-Platz, gegenüber dem Stephansdom, eröffnet hatte. Aber eigentlich war es „nur“ ein exklusiv ausgestattetes Verkaufshaus für Teppiche und Möbelstoffe. 1886 kaufte sein Sohn Philipp Haas auch den 1883/​84 nach Plänen von Karl König errichteten Philipp-Hof (ursprünglich Ziererhof). Später erwarb der leidenschaftliche Jäger auch große Waldherrschaften, u. a. das „Herrschaftsgut Teichen“ in Kalwang, und wurde 1898 mit dem Prädikat „von der Teichen“ in den Freiherrnstand erhoben.

Auf Wäsche und Kinderbekleidung spezialisierte sich Ignaz Bittmann, der im Jahre 1879 mit einem bescheidenen Laden seine geschäftliche Tätigkeit begonnen hatte. Um 1900 waren Blusen, sogenannte „Trikottaillen“, und Anzüge der Firma Bittmann bereits beliebte und gerne gekaufte Artikel. Große Sorgfalt verwendete die Firma auf die Konfektion der Kindergarderobe. Ihr „Kindermodenpalais“ in der Kärntner Straße war in der ganzen Monarchie berühmt.

Das 1892/​93 von Emanuel Braun und seinem Bruder Josef als stillem Teilhaber gegründete Kleiderhaus E. Braun & Co. wurde ursprünglich als Brautausstattungsunternehmen geführt. 1912 wurde eine Filiale in Karlsbad eröffnet, eine weitere in Prag und 1914 die größte in Berlin. Vertreten war das Unternehmen auch in Baden-Baden, Southampton und Palm Beach. Auf Straßenebene befand sich das Verkaufslokal, im ersten und zweiten Stock gab es die Wohnungen der beiden Brüder, im obersten Geschoß die Schneiderwerkstätte. Die berühmte Jugendstileinrichtung dient heute einem H&M-Store als stilvolle Kulisse für Massenware.

Ein Kennzeichen, das diese Warenhäuser einte, war, dass sie als jüdisch galten und einer entsprechend von Hass erfüllten antisemitischen Agitation ausgesetzt waren. 86,2 Prozent der Millionäre dieser Branche waren jüdisch. Das nutzten Stefan Esders und sein Bruder Henri, die sich, ausgehend vom deutschen Emsland, mit Filialen in Brüssel, Berlin, Paris, St. Petersburg, Rotterdam und 1895 auch in Wien ganz bewusst als katholische Unternehmer zu positionieren versuchten. In ihrem nach den modernsten Pariser Vorbildern errichteten fünfgeschossigen Etablissement „Zur großen Fabrik“ in der Mariahilfer Straße mit 39 großen, bereits elektrisch beleuchteten Auslagen in Parterre und Mezzanin, mit einem von Glas überdachten Innenhof und Verkaufsräumen auf zwei Etagen im Ausmaß von 12.000 m2 standen 120 Verkäufer bereit. Mit den von Esders neu eingesetzten Schaufensterpuppen konnte die Konfektion entsprechend attraktiv präsentiert werden. Neben Herren- und Knabenbekleidung sowie Herrenwäsche wurden auch Herrenhüte, Schuhe, Handschuhe und Schirme angeboten. Erst später kam auch Damenmode dazu. Im dritten und vierten Stockwerk war die Kleiderfabrik untergebracht, im fünften die Wohnung des Eigentümers. Stefan Esders präsentierte sich bewusst katholisch: Er stiftete die Wiener Kaasgrabenkirche, in deren Gruft er auch beigesetzt wurde. Seine Villa (Stefan-Esders-Platz 1) wurde nach seinem Tod dem Orden der Schwestern vom Armen Kinde Jesu übergeben. Auch in ihrem Geburtsort, in Haren im Emsland, hatten die beiden Brüder für die Errichtung der neuromanischen Pfarrkirche St. Martinus, auch Emsland-Dom genannt, insgesamt 110.000 Mark, knapp die Hälfte der gesamten Baukosten, beigetragen. Religiös bewusste bzw. antisemitisch geprägte Kunden gingen selbstverständlich zu Esders, etwa die oberösterreichischen Landadeligen Coreth: Am Tag seiner Einschreibung ins Jesuitenkolleg Kalksburg erhielt der junge Coreth eine komplette Ausstattung von der berühmten Firma Esders.115 Weil im Falle Esders die antisemitisch-antikapitalistische Propaganda kleingewerblicher Gruppierungen, nur bei „Christen“ einzukaufen, ins Leere ging, kehrte man die Argumentation um und kritisierte das internationale Kapital, das diesmal im christlichen Gewand eine „besonders schlaue Form gewählt“ habe. Die christlichsoziale Reichspost vom 6. April 1895 meinte, es sei zu bedauern, dass man „in einem Geschäftszweige, der in Österreich bisher ausschließlich ein Ausbeuteobject in Judenhänden war, nunmehr auch einem Christen begegnen müsse“. Das neue Etablissement werde hunderte kleingewerbliche selbständige Existenzen vernichten.116

Die Warenhäuser gingen auch in die Vorstadt und in die Provinz. Das 1890 gegründete Vorstadtwarenhaus Dichter im 16. Wiener Gemeindebezirk war in den 1930er Jahren das größte Kleiderhaus außerhalb des Wiener Gürtels.117 Große Kleiderhäuser entstanden auch in den Provinzhauptstädten Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg. Das Grazer Warenhaus Kastner & Öhler geht auf einen 1873 von Carl Kastner und Hermann Öhler in Troppau (Opava, Tschechien) gegründeten Kurzwarenhandel zurück. Das Kapital für die Firmengründung, 30.000 fl, stammt aus einer Erbschaft, die Carl Kastner von seiner Großmutter gemacht hatte. Die Anteilsverteilung an dem Unternehmen war von Anfang an zwei Drittel Kastner, ein Drittel Öhler. Die Wiener Niederlassung wurde 1877 eröffnet. 1883 folgte der Schritt nach Graz, das man zum Hauptsitz wählte. 1887 wurde mit dem Postversand begonnen und ein Katalog aufgelegt. 1912 waren bereits 60.000 Versandkunden erreicht. 1897 wurde eine Niederlassung in Agram begründet, die sich rasch zum größten Warenhaus der ungarischen Reichshälfte entwickelte. 1912 bis 1914 wurde der Grazer Standort durch die Wiener Architekten des Büros Fellner & Helmer um etwa 1,5 Mio. Kronen in eines der damals modernsten Warenhäuser ausgebaut. Es wurden zwei Kundenlifte, ein Stromaggregat und eine Rohrpostanlage installiert. Zur bestehenden Damenkonfektion kamen auch Herrenkonfektion, Schuhabteilung, Damen und Herrenhüte, Parfümerie, Lederwaren und Papierwaren, ab 1915 auch Spielwaren und eine Haushalts- und Ofenabteilung.118


Österreichische Präsenz am türkischen Markt: Im Istanbuler Stadtteil Galata befand sich ein großes Textilkaufhaus der Brüder Victor und Konrad Tiring. Foto, um 1920.

In Linz begann der aus Königswart/​Lázn Kynžvart in Westböhmen zugewanderte Franz Hofmann 1853 im prominent am Hauptplatz gelegenen Palais Weißenwolff mit einer Tuchhandlung und Greißlerei. Im selben Haus befand sich auch das Handelshaus und Posamentierwarengeschäft Karl Schober und Eduard Kraus. Der ebenfalls aus Königswart gebürtige Wilhelm Hirsch, der eine Tochter Hofmanns heiratete, kaufte Kraus & Schober, vereinigte es mit der Fa. Franz Hofmann und eröffnete 1910 das erste Linzer Warenhaus. Ein Firmenbericht aus dem Jahr 1913 sprach von einer „für die Warenhäuser typischen nur kleinen Stammkundschaft, aber einer großen Laufkundschaft”, die von „Zeit zu Zeit, aber doch sehr regelmäßig das Etablissement aufsuche und nicht immer kaufe, aber das müsse man nicht“.119 Man durfte lustwandeln, Lift fahren und sich an den Waren erfreuen. Wilhelm Hirsch, der 1898 nach Wien übersiedelt war, starb 1916. Seine Tochter Hilda Greiff, die mit dem Gesangspädagogen Paul Greiff/​alias Paul Goldschmidt verheiratet war, schaffte die erfolgreiche Weiterführung nicht. 1930 wurde über das Unternehmen der Ausgleich eröffnet. Die Mehrheitsbeteiligung wurde von der Salzburger Unternehmensgruppe Walter, Paul und Max Schwarz übernommen, die das Warenhaus Schwarz in Salzburg, den gleichnamigen Betrieb in Graz, das Kaufhaus Bauer & Schwarz in Innsbruck und das Warenhaus Falnbigl in Wien führte.

Abenteurer und Imperialisten

Es war das Zeitalter des Imperialismus. Österreichs Möglichkeiten waren hier sehr beschränkt. Doch österreichische Unternehmer konnten mit ihren Warenhäusern auch auf dem ägyptischen und türkischen Markt Fuß fassen. Von ihren Stammhäusern in Wien aus dirigierten Albert Mayer, Doro Stein und die Brüder Victor und Konrad Tiring die berühmtesten Kaufhausketten im Osmanischen Reich, von Kairo und Alexandria bis Istanbul und Thessaloniki. Nur der vierte unter den aus der Habsburgermonarchie kommenden Orient-Konfektionären, Orosdi-Back, 1856 von Adolf Orosdi und Hermann Back gegründet, scheint 1910 nicht auf der Wiener Millionärsliste auf. Dieses Unternehmen hatte seine Zentrale schon nach Frankreich verlagert.120

Seinem aus Pressburg gebürtigen Großonkel Albert Mayer, der ab 1874 von Wien aus mit seinem Bruder Sigmund im gesamten Osmanischen Reich zahlreiche Warenhäuser gegründet hatte, verdankte es der bekannte Historiker Eric Hobsbawm, dass er in Alexandria geboren wurde. Mayer hatte Hobsbawms Mutter zur Maturareise nach Ägypten eingeladen. Sie verliebte sich dort und blieb. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten die Hobsbawm wie auch die Mayer nach Wien zurück.121 Mayer war einer der ersten gewesen, der mit Konfektions-Textilien den ägyptischen Markt bedient hatte, nachdem er die französische Konkurrenz ausgeschaltet hatte. Der Hauptsitz befand sich in Alexandria; eine Niederlassung wurde 1882 in Istanbul eröffnet; weitere Standorte gab es in Izmir und Aleppo.122 Nach dem Ausscheiden Sigmund Mayers im Jahr 1909 wurde Albert Mayer Alleingesellschafter.

Eine ähnliche Karriere machten Salomon und Doro Stein. Mit einem Geschäft für Konfektionsware in Kairo schuf Salomon Stein die Grundlage für die dominierende Stellung seiner Firma auf dem ägyptischen Bekleidungssektor. 1875 eröffnete er eine Niederlassung in Alexandria. Salomon Stein starb 1898 in Wien. Sein Sohn Doro ließ 1904 durch den Architekten Friedrich Schön das großzügige Verwaltungsgebäude in Wien 9, Althanplatz 6 (heute Julius-Tandler-Platz 6), errichten, mit einem imposanten, 4,5 Meter breiten Doppeladler und der bis heute erkennbaren Inschrift „S. Stein“, und ungefähr gleichzeitig am Ataba-El-Khadra-Platz in Kairo eines der größten Kaufhäuser Ägyptens, ebenfalls nach Plänen von Friedrich Schön und ebenfalls mit einem Doppeladler am Gesims der über 50 Meter langen Schaufensterfront. 180 Verkäufer bemühten sich um die Kunden in der Herren-, Damen- und Kinderabteilung. Es gab auch Abteilungen für Hüte und Schuhe. Ein elektrischer Aufzug führte in den ersten Stock. Zwei Generatoren sorgten für die elektrische Beleuchtung. Im 2. Stock befanden sich die Werkstätten für Änderungen und Maßanfertigungen. Es gab Gratiszustellungen in jeden Teil Ägyptens und des Sudans, im Maximalfall über mehr als 4.000 Kilometer. 1908 ließ Doro Stein auch in Saloniki durch den Architekten Ernst Löwy ein imposantes Warenhausgebäude mit hervorstechender Kuppel errichten. Um 1910 hatte er auch für Alexandria Neubaupläne. Er beauftragte Adolf Loos mit der Planung. Der Entwurf hat als Aquarell im Wien Museum überlebt. 1914 verfügte Stein über die größte Warenhauskette Ägyptens (La Grande Fabrique S. Stein und Stein’s Oriental Stores Limited). Neben Kairo und Alexandria unterhielt er noch Geschäfte in Assiut und Al-Minya in Mittelägypten und in Mansura und Tanta im Nildelta. Aber er war auch in Saloniki und sogar Johannesburg tätig und hatte drei Filialen in Istanbul, zeitgleich mit oder sogar schon vor seinem großen Konkurrenten Mayer. Nahezu sprichwörtlich im ganzen Orient war der jiddische Reim: „Stein – billig und fein, Mayer – schlecht und teier“. Die Bedienung wurde als kompetent und freundlich gelobt. Die Preise, so empfahl das Reisehandbuch des Österreichischen Lloyd 1902 allen Orient-Reisenden, „welche Kleider benötigen und das lästige, zeitraubende Probieren vermeiden wollen“, seien trotz der guten Qualität der Stoffe und der eleganten Machart sehr mäßig. Im Krieg bzw. im Friedensvertrag von St. Germain gingen die ägyptischen Niederlassungen und die Londoner Firma verloren. 1925 wurde der österreichische Rest in S. Steins Söhne OHG umgewandelt und 1929 die S. Stein Export GmbH aus dem Handelsregister gestrichen. Doro Stein starb am 11. Dezember 1940 im Israelitischen Krankenhaus am Wiener Währinger Gürtel.123


Die Dritten in der Reihe der österreichischen Warenhäuser im Orient waren Victor und Konrad Tiring. Victor Tiring war als „türkischer Schneider“ nach Wien gekommen. 1882 gründete er hier mit seinen Brüdern das Unternehmen „Victor Tiring & Brüder, Schneider und Exporteure“. Bald wurde eine Filiale in Istanbul eröffnet. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg ging der Konzern auch nach Ägypten. Direkt gegenüber dem Gebäude des größten Konkurrenten S. Stein am Ataba-el-Khadra-Platz ließ Tiring 1913/​14 von dem österreichischen Architekten Oscar Horowitz den Tiring Department Store erbauen. Heute noch immer vorhanden sind die vier Herkulesstatuen, auf deren Schultern die Glaskuppel des Kaufhauses ruhte, dazwischen in etwas verblassten lateinischen Buchstaben die Aufschrift „TIRING“. Victor Tiring, der sein Handelsimperium von der Wiener Praterstraße aus dirigierte, unterhielt neben Kairo zahlreiche weitere Niederlassungen im Orient und am Balkan. Auch hier bedeutete der Weltkrieg das Ende. Victor Tiring starb 1923 in Wien, sein Bruder Konrad mit seiner Gattin irgendwann zwischen 1942 und 1945 im Konzentrationslager Theresienstadt.124

Auch der ferne Osten lag nicht ganz außerhalb des Blickfelds der österreichischen Kaufleute. Erwin Müller war schon 1873 nach Thailand ausgewandert und lebte dort bis nach der Jahrhundertwende. Er war Teilhaber, dann alleiniger Inhaber und Seniorchef der Importfirma „B. Grimm & Co“, die Produkte aus Deutschland, Böhmen und Wien importierte und zu deren Kunden auch der königl. Thailändische Hof gehörte. Die um 1888/​89 entstandene Siam Canals Land & Irrigation, deren Mehrheitseigentümer Erwin Müller 1893 geworden war, machte Kanalisierungs- und Bewässerungsprojekte und war in der Elektrifizierung und Verkehrserschließung des Landes aktiv. Müller blieb bis 1917 acting general manager. Er kam als reicher Mann nach Österreich zurück und versteuerte 1910 in Wien ein Jahreseinkommen von 116.873 Kronen. Das Vermögen, das er sich „ohne auch nur einen Heller“ Unterstützung aus seiner Heimat erworben hatte, stammte „ganz und gar aus fremdländischen Quellen und ohne jede Belastung der österreichischen Volkswirtschaft“, wie Müller 1920 gegenüber dem österreichischen Ministerium für Finanzen betonte, das ihn 1919 wie alle Österreicher mit einer hohen Vermögensabgabe belastete. Er konnte auch nach Kriegsende nicht mehr nach Thailand zurückkehren, obwohl er sich verzweifelt bemühte, eine Genehmigung zur Einreise zu erhalten. Sein thailändisches Vermögen war 1917 beschlagnahmt worden. Er starb 1922 wahrscheinlich nur mehr recht wenig begütert in Bad Gastein.125

Der Kreis der österreichischen Abenteurer, die im Ausland ihr Vermögen machten, reicht bis China. Hermann Johann Mandl Edler von Manden kam 1877 nach China, wo er 30 Jahre lebte. Angeblich sei er nach dem Wiener Börsenkrach gezwungen gewesen, seine Heimat zu verlassen. Der deutsche Botschafter bezeichnete ihn als Börsenspekulanten und Schwindler. Jedenfalls galt er als eine der schillerndsten Persönlichkeiten im China-Geschäft. Der Krupp-Repräsentant Georg Baur, der von 1896 bis 1906 als Teilhaber bei Mandl & Co. fungierte, beschreibt den Wiener Geschäftsmann jüdischer Herkunft in seinen Aufzeichnungen als einen Junggesellen mit Faible für ausgefallene Krawatten, „der sich durch eine absonderliche Bartfrisur, ein Kostüm à la Wiener Gigerl mit hellblau dessiniertem Oberhemd, Schnabelschuhen und ganz maliziös farbigem Rock“ auszeichnete. Georg Baur lernte ihn trotz seiner Eigenheiten bald schätzen: „Herr Mandl hat zwar – namentlich in Beziehung auf das Weibliche – das Urteil eines Wiener Gigerls, das sonst ein sehr gesundes ist, wie er denn überhaupt ein Mensch von jedenfalls vielem natürlichem Verstand und Menschenkenntnis zu sein scheint, wenn ich auch glaube, dass er vielleicht aus Opportunitätsrücksichten manchmal etwas nach jesuitischen Grundsätzen handeln dürfte“, was immer auch „jesuitischen Grundsätze“ für einen norddeutschen Protestanten bedeuten mögen.126 „Ein gescheiter und gewandter Mensch ist er, das muss man jedes Mal wieder denken, wenn man mit ihm etwas zu tun hat“, schreibt Baur.127 Bestechung war wohl ein wesentliches Element seines Geschäftserfolgs. Mandl, der hervorragend Chinesisch sprach, begann seine Karriere bei Telge & Co. Dann leitete er das China-Büro der großen englischen Handelsfirma Jardine, Matheson & Co. 1886 erhielt er die Vertretung für Krupp-Produkte in China und gründete ein Jahr später seine eigene Firma H. Mandl & Co. Nach 1888 war Mandl de facto Alleinvertreter für Kruppsche Produkte in China, sowohl für Kriegsmaterial und Geschütze wie auch für Friedensmaterial, vor allem Eisenbahngerät. Mandl hatte auch die Generalvertretung für Steyr-Mannlicher-Gewehre in China und übernahm die China-Vertretung für Siemens & Halske; auch an mexikanischen Minen war er beteiligt. Er agierte als Lobbyist, mit Bestechungsgeldern, Wiener Charme und dicht behängter Ordensbrust. Immer wieder geriet er zwischen die Fronten der Gegner, so im Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg und im Russisch-Japanischen Krieg. Nach 1894 ließ sich Mandl formal in Paris und Hamburg nieder. 1907 kehrte er nach Wien zurück, mit einem Berg von Kunstwerken und Kunsthandwerk im Gepäck, mit dem er die Wiener Museen reichlich bedachte. 1909 wurde er dafür mit der Nobilitierung bedankt.

Angesichts der Vermögen, die einzelne unternehmungslustige Österreicher im Nahen und Fernen Osten zu schaffen vermochten, wird deutlich, wie negativ sich Österreichs geringe Repräsentanz auf internationalen Märkten für seine Exportwirtschaft auswirkte, verglichen mit der hohen Dichte englischer oder französischer oder selbst auch deutscher Unternehmen auf diesen Märkten.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
1094 s. 124 illüstrasyon
ISBN:
9783990401842
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