Kitabı oku: «Lächeln gegen die Kälte», sayfa 3
„Dedschi diver“, sagte er schließlich und lachte. „Dedschi diver“, wiederholten die anderen und lachten.
Das Nepalesische ist ein Sammelsurium von Lehnwörtern. Dedschi ist nepalesisch und bezeichnet den Blechteller, von dem man in der Regel das Dhal Bat isst. Diver ist englisch und heißt Taucher. Dedschi diver ist also der Tellertaucher. Also der Abwäscher.
Nun wiederholte auch ich den Ausdruck. Da brach plötzlich ein Sturm des Gelächters los, wir lachten und lachten und wiederholten dedschi diver, dedschi diver, dedschi diver.
Wie jemand, der am Grab eines Freundes steht und vor lauter Trauer einen Lachanfall erleidet, weil er gar nicht anders kann, gerade in einer solchen Groteske lachten wir und lachten und lachten und konnten nicht mehr aufhören.
SUNDARE
Wir saßen im Küchenzelt des Basislagers am Putha Hiunchuli. Mit uns war mein alter Freund Helge, dieses Mal fest entschlossen, einen siebentausendzweihundert Meter hohen Berg, eben den Putha Hiunchuli, zu besteigen. Bei der Ankunft am Tag vorher hatte ich feststellen müssen, dass meine letzten Zigaretten völlig durchnässt waren, und ich hatte sie sorgfältig in der Nachmittagssonne getrocknet. Nun hatten sie eine braune, unansehnliche Farbe angenommen. Ich war bereit, sie brüderlich mit Salami Dawa zu teilen, und bot ihm die erste an. Er nahm sie, drehte sie für eine Weile nachdenklich in den Fingern und entzündete sie. Wir taten die ersten tiefen Züge. Der Geschmack war grauenhaft. Nicht umsonst hießen sie ja auch Yak.
Auch mit Sundare habe er einmal eine solche Zigarette geraucht, sagte Dawa.
„Du hast ihn gut gekannt?“
„Ja“, sagte Dawa.
„Wie lange ist das her, als er von der Brücke sprang? Zehn Jahre, fünfzehn?“
„Länger“, sagte Dawa. Er tat einen tiefen Zug, denn wir befanden uns hier auf genau fünftausend Metern Höhe, und die Zigaretten drohten wegen des Sauerstoffmangels alle Augenblicke zu verlöschen.
„Zwanzig“, sagte Dawa dann, stieß den Rauch in die Luft und sah ihm versonnen nach.
„Er war ein guter Mensch. Stets bereit, anderen zu helfen.“
„Wie hast du ihn kennengelernt?“
„In einem Metzgerladen in Naxal. Er hatte gerade einen Schlaganfall hinter sich und konnte die linke Seite kaum bewegen. Ich sagte zu ihm: ‚Du musst Sundare Sherpa sein‘, aber er kannte mich nicht. Doch er öffnete seine Windjacke und zeigte mir den Orden des Königs, den er immer bei sich trug. Dieser Orden war sein ganzer Stolz. Dann fragte ich ihn, ob ich ihn zu einem Tee oder Kaffee einladen könnte. Aber er antwortete: ‚Ich habe schon zwei Gläser Rakhsi intus.‘ Da habe ich für ihn noch einen halben Liter Rakhsi gekauft. Nachdem er den Rakhsi ganz allein getrunken hatte, fragte er mich, ob ich ein Trekking über den Thorong La leiten wolle. Ich war auf der Suche nach Arbeit und antwortete deshalb hocherfreut: ‚Aber gern!‘ Sundare sagte: ‚Dann lass uns zum Büro der Nepal Mountaineering Association (NMA) gehen.‘ Wie du dich erinnerst, Rudi Sir, war die NMA damals am Eingang nach Thamel. Wir gingen also hin und ins Büro des Direktors. Der sprang von seinem Stuhl auf, als er Sundare sah, und salutierte vor ihm. Dann sagte Sundare und wies mit dem Kinn zu mir: ‚Das ist Dawa. Er ist mein Freund. Übermorgen soll er mit einer Gruppe von sieben Personen zum Thorong La gehen.‘ Der Direktor stand stramm und sagte: ‚Selbstverständlich, Sundare Sir, warum nicht. Ich werde Dawa die Aufgabe übergeben!‘
Ein Blick aus dem Küchenzelt zeigte uns, dass die Sonne im Untergehen begriffen war. Es wurde merklich kälter, und ich fühlte die Kälte des Erdbodens durch meine nassen Schuhe höhersteigen.
Joglal, der Koch, brachte uns einen Becher Tee, und wir rührten den Zucker um und zogen an unseren Zigaretten. „So hat also deine Sherpa-Laufbahn angefangen.“
„Ja“, sagte Dawa. „So hat sie angefangen. Ich war noch sehr jung. Zwanzig vielleicht.“ Wieder zog er an seiner Zigarette. Er sah, dass sie ausgegangen war, und ließ den Stumpen auf den Boden fallen. „Sundare war sogar noch jünger, als seine Karriere begann.“
„Sundare ist eigentlich ein seltener Name bei den Sherpas, oder?“
„Ja, schon. Eigentlich heißt es Sungdare. Der Name bedeutet magic man. Ein Zauberer. Sundare wurde in Lower Pangboche geboren. Im Alter von zehn Jahren schon ging er als Yakboy zum Kala Pattar, um den Dung einzusammeln und zu Hause einheizen zu können. Im Alter von fünfzehn nahm ihn sein Cousin, der Trekking Sirdar war, mit zum Kala Pattar und zum Everest Basecamp. Sundare war ein sehr freundlicher Bub, und deshalb nahm ihn sein Cousin mit zur Mountain Travel Agentur nach Kathmandu.
Die Mountain Travel Agentur war von Mick Cheney und Colonel Jimmy Roberts gegründet worden.
„Jimmy Roberts habe ich noch kennengelernt“, sagte ich, „Anfang der Achtzigerjahre. Er war ein sehr freundlicher Mensch. Aber heute lebt er wohl nicht mehr.“
„Nein“, sagte Dawa, „er lebt nicht mehr.“
Aber damals hat Cheney den jungen Burschen unter seine Fittiche genommen, und später gab er ihm die Chance, den Mount Everest zu besteigen. Schließlich hatte Sundare den Everest sieben Mal ohne Verwendung von künstlichem Sauerstoff bestiegen. Jedermann respektierte ihn.
Nachdem er den Everest sechs Mal bestiegen hatte, wurde er von König Birendra zu einer Audienz geladen. Der König fragte ihn, was er für seine Zukunft wünsche. Sundare antwortete: „Ich möchte in Cheney’s Mountain Travel Agentur Guide werden.“ Der Wunsch des Königs war Mountain Travel Befehl. Man sandte also Sundare als Guide von Jiri ins Khumbu. Er hatte vierzehn Gäste, und alle waren glücklich, ihn als Guide zu haben. Aber als die Gruppe und die Träger schon Junbesi erreicht hatten, war Sundare immer noch zwei Tagesmärsche zurück in Bandar. Dort trank er und tanzte und sang mit den einheimischen Mädchen.
Und so blieb es für die nächsten drei Jahre, und trotz aller Beschwerden der Touristen glaubte man bei Mountain Travel den Aussagen Sundares mehr.
Dann erstieg er den Everest ein siebtes Mal. Aber langsam fingen die Leute und Mountain Travel an seiner Verlässlichkeit zu zweifeln an, denn Sundare trank immer mehr. Bald würde er kein Geld mehr haben, um Essen für seine Familie zu kaufen, denn er hatte bereits seine Arbeit verloren. Seine Frau wollte ihn immer dazu bringen, wieder einen Berg zu besteigen, um Geld nach Hause zu bringen. Aber Sundare trank immer nur weiter und mehr und mehr.
Nun fing er an, seine Kletterausrüstung zu verkaufen. Er verkaufte sie an seine Sherpakollegen.
Dann versuchte er, einen Job in der Nationalparkverwaltung zu bekommen, denn, so meinte er, wenn andere, die den Everest nur ein einziges Mal ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen hatten, damit reich wurden, dann müsste er, Sundare, wenn er den Everest sieben Mal bestiegen hatte, zumindest einen Job in der Verwaltung bekommen. Die Nationalparkbeamten sagten ihm, er bekäme den Job, wenn er zu trinken aufhöre.
Als Sundare in Kathmandu lebte, betrieb er ein kleines Teehaus. Aber dann trank er noch mehr als zuvor. Er trank jeden Tag vierundzwanzig Tomba und einen Liter Rakhsi. Wie hätte er auf solche Weise Geld verdienen können? Nach drei Monaten hatte er überhaupt kein Geld mehr. Zur gleichen Zeit, als ein Hotelbesitzer Sundares Pass konfiszierte, bis er seine Rechnung bezahlt hätte, empfing ihn König Birendra ein zweites Mal und verlieh ihm die Gurkha Thaksin Bahu-Medaille für seine Verdienste im Bergsteigen. Das ist der dritthöchste Orden von Nepal und die höchste Auszeichnung, die einem Zivilisten verliehen werden konnte. Diese Medaille trug Sundare immer auf seiner Brust. Er trug eine winddichte Jacke und darunter versteckte er seinen Orden, bis ihn jemand sehen wollte. Dann öffnete er den Reißverschluss der Jacke und zeigte stolz die Medaille.
Zu dieser Zeit fing er an, nur mehr in der Vergangenheit zu leben und auch äußerlich zu verwahrlosen. Er trug langes Haar, und ein Schlaganfall hatte seine linke Seite gelähmt.
Eines Nachts trank er in Chettatol Unmengen von Tomba. Um ein Uhr nachts kam er mit dem Motorrikscha nach Naxal zu seinem Zimmer.
Hier unterbrach ich Salami Dawa und fragte: „Wohnte er ganz allein?“
„Ganz allein, Rudi Sir. Seine ganze Familie, seine Frau, seine zwei Kinder, wohnten während dieser Zeit in Pangboche.“
Ich bot Salami eine neue Zigarette an, und wir rauchten eine Zeitlang schweigend, während die Küchenjungen um uns das Abendessen vorbereiteten. Ongchu knetete den Teig für die Momo, und Sonam säuberte das Gemüse, während Shamser sich bemühte, den zweiten Kerosinkocher in Gang zu bringen. Bald gab der Kocher Geräusche von sich, die an einen startenden Hubschrauber erinnerten, und er goss Wasser in eine Kasserolle aus einem Plastikkanister, den er in der etwa hundertfünfzig Meter entfernten Quelle gefüllt hatte. Beim Blick durch den Zelteingang sahen wir nun, unmittelbar bei der Quelle, ein Rudel von etwa fünfzig Blauschafen stehen. Auch Murmeltiere hörten wir pfeifen, und mir fiel ein, dass ich auf meinen bisherigen Reisen in Nepal niemals ein Murmeltier gesichtet hatte. Dies hier war wirklich eine einsame Gegend.
Salami Dawa hatte für einen kurzen Moment den Faden seiner Geschichte verloren, und ich half ihm, indem ich wiederholte: „Sundare war mit dem Motorrikscha nach Naxal zu seinem Zimmer gefahren …“
„Ja“, sagte Salami Dawa sofort, blickte durch den Zelteingang zu den Blauschafen und hatte sogleich den Faden wieder aufgenommen: So war es. Er hatte kein Geld, um die Motorrikscha zu bezahlen. Der Fahrer wandte sich an die Polizeistation Kamal phokari. Also sandte der Inspektor vier Polizisten, um Sundare zu verhaften. Die Polizisten wussten nicht, dass es Sundare war. Er zeigte ihnen auch die Medaille nicht. Also brachten sie ihn zur Polizeistation und der Inspektor fragte ihn: „Wer bist du?“ Da öffnete er den Reißverschluss und zeigte ihnen die Medaille.
Sofort stand der Inspektor stramm und salutierte und danach erhielten die Polizisten jeder eine Backpfeife von ihm, weil sie die Identität von Sundare nicht korrekt ermittelt hatten. Der Inspektor empfand es als eine unverzeihliche Blamage für seinen Posten, dass seinen Männern bei der Verhaftung eines solch berühmten Mannes ein derartiger Fehler unterlaufen war.
Dann brachten der Inspektor und die vier Polizisten Sundare mit ihrem Jeep zu seinem Zimmer. Sie ermahnten den Rikschafahrer, angesichts eines solch bedeutenden Mannes nicht dermaßen kleinlich zu sein und wegen ein paar Rupien die Polizei zu holen, desgleichen die Vermieterin, die schon monatelang auf die Bezahlung der Miete drängte. Dann brachten sie Sundare zu Bett und salutierten alle ein letztes Mal, bevor er einschlief.
Einmal trank Sundare zwei Liter Rakhsi. In seinem Rucksack verstaute er noch einmal fünf Liter von diesem Schnaps und um drei Uhr morgens ging er aus seinem Haus in Lobuche, um den Pumo Ri zu besteigen. Um fünf Uhr abends war er zurück in Lobuche. Er hatte den siebentausendeinhunderteinundsechzig Meter hohen Pumo Ri allein bestiegen. Der Schnaps hatte ihn aufgeputscht.
Eines Tages kam er wieder einmal von Kathmandu nach Pangboche nach Hause. Er hatte kein Geld, und seine Frau weinte und weinte. Schließlich fingen sie zu streiten an, und die Auseinandersetzung wurde körperlicher Natur. Am Morgen fand Sundare noch einige Reste seiner Kletterausrüstung. Er sagte zu seiner Frau: „Ich gehe nach Kathmandu.“
Aber er ging nur bis Tengpoche und fragte die Mönche, ob sie seine Kletterausrüstung kaufen wollten. Jedoch die Mönche lehnten es ab, denn sie wussten, dass dann seine Frau gar nichts mehr besitzen würde. So drehte Sundare wieder um und stieg das kurze Stück durch die Rhododendronwälder nach Debuche ab und kehrte in Ang Kantschis Lodge ein. Schließlich wollte er wieder nach Hause gehen und erreichte die neue Hängebrücke unweit von Ang Kantschis Haus. Er sprang von der Brücke. Am Morgen des nächsten Tages machten sich die Dorfbewohner auf die Suche nach ihm. Am Mittag fand man seinen Körper.

Lastenträger mit ca. 170 kg schweren Kanalrohren im Marshiangdi-Tal

Rast vor dem Kloster in Tengpoche
URKIEN
Khumjung, der Hauptort der Sherpas und die Heimat Urkiens, liegt in einem weiten Tal, eher einem Tisch gleichend, ein Hochplateau, abgesetzt an der Seite des eigentlichen Tales, durch den der Dudh Khosi fließt. Im Norden entschieden abgegrenzt durch die Khumbila-Berge, gegen die Steilabbrüche des Südens mit behäbigen, waldbestandenen Hügeln gesichert, nehmen diese Hügel auch während des Tages, unter schmeichelnder Sonne, nicht das satte Grün der Alpentäler an. Man möchte die Farben beinahe stumpf nennen, und auch die Wälder am Fuß der Berge sind sparsamer beschenkt worden. Hier darf sich nichts und niemand verschwenden, hier muss, um den höheren Ansprüchen des keinesfalls selbstverständlichen Überlebens gerecht zu werden, alle Kraft maßhalten.
Diese Hügel zwingen den Blick des Wanderers über die Schlucht des Dudh Khosi, über das dahinterliegende Kloster Tengpoche hinweg, an den rechtsseitig gelegenen, die ganze Wucht des Himalaya ahnen lassenden Bergen vorbei, zu dem Punkt, der allem Trachten ein Ende setzt, dessen schwarze, mächtige Dreiecke die wirkliche Größe der Wand nur verhalten und doch schon bedrohlich andeuten.
Es ist der Lhotse, der den Everest fast zur Gänze verdeckt, und sein am rechten Ende des Grates anschließender Trabant, der Lhotse Shar.
Lho heißt Süden und Tse heißt Gipfel. Also heißt Lhotse Südgipfel, und Shar heißt Osten. So ist der Lhotse Shar eigentlich der östliche Südgipfel und als solcher wurde er bis in die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts als eigenständiger Achttausender von insgesamt sechzehn an der Zahl geführt. (Heute geht man ja ganz selbstverständlich von vierzehn Achttausendern aus. Aber bis in die 1970er-Jahre hinein galten der Lhotse Shar und der Yalung Kang als fünfzehnter und sechzehnter Achttausender.)
Dieser Lhotse Shar war wahrscheinlich der glanzvolle Höhepunkt des Sherpalebens von Urkien gewesen, weil er die erfolgreiche Expedition zum Gipfel im Jahre 1970 als Sirdar führte, und damit fängt unsere Geschichte an, die in der tragischen Weiterfolge aus einem einzigen, stetigen Abstieg besteht.
Von allen großen Sherpas, die ich in meinem Leben kennenlernte, war Urkien vielleicht der verschlossenste. Gewiss war er auch einsam, ähnlich wie damals noch der Gipfel des Everest, den er nie erreicht hat. Neben der Tatsache, dass er auf mindestens achtzehn großen Expeditionen der Sirdar gewesen war, war es diese Einsamkeit, die als Schemen vor mir auftauchte, wenn ich an Urkien dachte. Ich war auf dem Weg zu ihm, nach Khumjung. Ich hatte ihn seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, auch trennte mich eine Generation von ihm. Doch nach allem, was ich über ihn gehört hatte, wollte ich ihn noch einmal besuchen.
Wenn man von Namche Bazar in Richtung Khumjung den kurzen Weg nimmt, zeigt einem das steile Zickzack des Wegleins, dass man sich doch schon einer Höhe von viertausend Metern nähert. Ich freute mich, dass mir der Aufstieg so leichtfiel, während ich mich an mein erstes Treffen mit Urkien erinnerte.
Es war Mitte der Siebzigerjahre gewesen, als Urkien von meinem Bergsteigerklub, den Karwendlern, nach Innsbruck eingeladen worden war. Ich erinnerte mich seiner hageren Gestalt und seines schmalen, wettergegerbten Gesichts mit seinen weltabgewandten Augen, als sei es gestern gewesen, obwohl diese Dinge nun schon zwanzig Jahre zurücklagen. Damals hatte man Urkien herumgereicht wie eine seltene, wertvolle Trophäe. Er war bei Fernsehanstalten und Redaktionen aus und ein gegangen. Man hatte ihn im Range Rover kreuz und quer durch Europa kutschiert. Er war das Symbol einer ganzen Generation gewesen in ihrer Sehnsucht nach der Ferne, nach dem Himalaya. Und er hatte seine Rolle darin erfüllt.
Nach seiner Rückkehr nach Hause vernahm man aber bald dunkle Geschichten von ihm und schließlich sprach man nicht mehr über ihn.
Der traurige Höhepunkt dieser Geschichten war gewesen, dass er seine Frau nach seiner Heimkehr im Suff krankenhausreif schlug, ebenso seinen Sohn, mit einem Hammer; wahrscheinlich ist er Jahre später an diesen Verletzungen gestorben.
Freilich hatte ihn daraufhin die nepalesische Polizei gesucht (und nicht gefunden), aber noch schwerer wog die Strafe, dass er von seinem Stamm, seiner Gemeinde, verstoßen worden war.
Niemand hatte also seinen Aufenthaltsort gewusst, für viele Jahre nicht, und niemand seinen Namen auch nur andeutungsweise mehr erwähnt. Aber er musste zurückgekehrt sein, denn bei den Sherpas ist nichts, auch nicht das größte Vergehen, in Stein gemeißelt, hat aber vielleicht gerade deshalb lang anhaltende Wirkung.
Nunmehr also, zwanzig Jahre später, war ich auf der Suche nach ihm. Bald hatte ich den Steilhang, der zum Hochplateau von Khumjung führt, unter mir gelassen und gelangte über einen kleinen Pass auf einen etwas breiteren, sanft abfallenden Weg, von dem aus man die ersten Häuser des Ortes erblicken kann.
Hier ungefähr musste es gewesen sein, als Sir Edmund Hillary nach der Erstbesteigung des Everest im Jahre 1953 den Sherpa Urkien fragte: „Tell us, if there is one thing we could do for your village, what would it be?“
Urkien antwortete: „With all respect, Sahib, you have little to teach us in strength and toughness. And we don’t envy your restless spirits. Perhaps we are happier than you? But we would like our children to go to school. Of all things you have, learning is the one we most desire for our children.“
Das Erste, was man, von Namche Bazar nach Khumjung kommend, passiert, sind große, flache Gebäude. Sir Edmund hatte Wort gehalten. Hier standen die Schulen, Grundschule, Hauptschule, und in der benachbarten Ortschaft Khunde, auch von hier gut sichtbar, das kleine, aber hocheffiziente Hillary-Krankenhaus.
Es gibt berühmte Bergsteiger, die von sich selbst glauben, dass sie gestorben sind, wenn sie sich nicht wenigstens einmal in der Woche selbst im Fernsehen sehen. Sir Edmund gehörte nicht dazu.
Im Jahr vorher war ich hier schon einmal alleine unterwegs gewesen. Es war ein grauer Tag gewesen, und der Nieselregen hatte die Ergebenheit des Hochplateaus noch verstärkt. Ich war langsam zwischen den großen Felsblöcken das Steiglein Richtung Khumjung hinuntergewandert. Da hörte ich Hammerschläge. Ich wunderte mich, dass bei diesem Wetter jemand im Freien arbeitete. Beim Näherkommen sah ich eine groß gewachsene Gestalt. Es war Sir Edmund. Er trug einen Hut, war weit jenseits der siebzig, seine Zähne hatte er in seiner Unterkunft zurückgelassen. Heiter und fidel war er mutterseelenallein dabei, den Dachstuhl einer neuen Schule zusammenzuzimmern. Kein Kamerateam war in der Nähe, um sein Gutmenschentum umgehend übertragen zu können. Wir unterhielten uns eine Weile, redeten auch über Peter, seinen Sohn, mit dem mich damals eine lose Freundschaft verband. Dann zog ich weiter, bis sich das Hämmern im Regen verlor.
Nun war ich also wieder hier. Die Schulgebäude waren alle fertiggestellt, und lebhaftes Kindergemurmel aus dem Inneren der Gebäude zeugte davon, dass Sir Edmunds Hilfsbereitschaft auf einen fruchtbaren Boden gefallen war.
Ich erreichte den breiten, von Steinmauern eingefassten Weg, der sich durch Khumjung zieht, und fragte einen Bauern, der gerade auf einem von zwei Yaks gezogenen Pflug stand, wo das Haus von Urkien sich befände. Er sah mich prüfend an, entgegnete dann aber, nicht unfreundlich, dass er keinen Urkien kenne. Ich ging also weiter, erreichte eine kleine Lodge, durch deren Holztür ich in das Halbdunkel trat. Um das offene Feuer in der Küche saßen einige Einheimische. Auch sie verneinten. Sie kannten keinen Urkien.
Einige Häuser weiter sah ich in einem Garten einen jüngeren Bauern, wie er an einer Bambusmatte flocht. Ich lehnte mich an das umgebende Steinmäuerchen und sah ihm eine Weile zu. Als er herblickte, fragte ich höflich nach Urkien.
„Hier gibt es keinen Urkien“, sagte er.
„Doch“, sagte ich, „ich weiß, dass es hier einen Urkien gibt. Er ist ein alter Mann inzwischen.“
Nein, Urkien kenne er keinen.
„Doch“, beharrte ich. „Der Sirdar Urkien.“
Das Gesicht meines Gesprächspartners blieb unbewegt: „Es gibt hier keinen Sirdar Urkien.“
Damit flocht er an seiner Matte weiter. Doch ich ließ nicht locker.
„Sirdar Urkien gibt es hier keinen“, sagte er schließlich und machte eine lange Pause. „Aber einen Yakboy Urkien, den gibt es. Er wies mit seiner Hand nach Norden. „Dort, das kleine Haus mit dem grünen Dach, das Eckhaus, das ist das Haus von Yakboy Urkien.“
Ich bedankte mich und machte mich auf den Weg.
So also hatte ihn die Gemeinschaft degradiert. Vom Sirdar zum Yakboy. Was für ein Abstieg. Ich hatte das Haus bald gefunden. Ebenerdig war der Stall angelegt, wie bei allen anderen Häusern auch. Ich betrat den Stall, stieg über das schütter ausgestreute Stroh hinweg und erreichte im Halbdunkel eine kleine Holzstiege, die nach oben führte. Eine primitive Holztür öffnete sich in einen kleinen, schmucklosen Raum. Ein ranziger Geruch lag in der Luft.
Ich erkannte Urkien sofort wieder. Er saß auf einer Steinbank, worauf Yakfelle gebreitet waren. Vor ihm stand ein großer Krug mit Tschang, und Urkiens abwesender Blick und die geröteten Augen zeugten davon, dass er schon reichlich davon Gebrauch gemacht hatte, obwohl es erst zehn Uhr vormittags war. Neben ihm saß ein schmutziger, rotgewandeter Mönch, der unablässig eine Art Rosenkranz in den Händen drehte. Beide sahen mich fragend an, und ich stellte mich vor, erzählte von Urkiens Besuch in Innsbruck vor zwanzig Jahren und dass es mich interessiere, wie es ihm denn gehe. Er zeigte keine Regung und kein Zeichen des Erkennens.
Es gehe ihm gut, sagte er schließlich mit schwerem Zungenschlag, es fehle ihm an nichts. Ich blieb eine Weile unter der Tür stehen, ratlos, denn man bot mir keinen Platz an. Schließlich sagte ich einen Abschiedsgruß, der nicht erwidert wurde, und fand meinen Weg über das steile Stieglein hinunter und durch das Dunkel des Stalls ins Freie, wo im gleißenden Sonnenlicht die majestätischsten Berge der Welt reihum standen.
Vielleicht hatte ich nur verstehen wollen, auf das Schreckliche hinauf, das ich vernommen hatte, und nach einer Erklärung gesucht.
Ich begann zu begreifen, warum diese Berge, alle diese Berge, ursprünglich heilig gewesen waren, nach deren Gipfeln man nicht strebte, genauso wenig wie nach den Schätzen des Bodens, der Erde, die doch nur die ewige Begierde nähren würden. Sie waren immer der Sitz der Götter gewesen, von deren Besteigung die geistigen Führer des Landes abrieten, denn man konnte nicht wissen, wohin das führte.
In einer Gesellschaft, in der man das Rad lange vor den Europäern kannte – als Symbol des Lebens – und es trotzdem niemals verwendete, weil man die Folgen fürchtete, in einer solchen Gesellschaft konnte es auch keinen Kulminationspunkt der Eitelkeiten geben.
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