Kitabı oku: «Das Vermächtnis aus der Vergangenheit», sayfa 3
Ich beschließe, dass ich einige Zeit brauche, um mir über alles klar zu werden. Wenn ich Erik doch nur dazu bringen könnte, mir diese Zeit einmal zu lassen.
Als wir wieder in den Mustang steigen und Ellen mit Daniel davonfährt, sehe ich Erik an. Sofort spüre ich ein warmes Rauschen in meinem Körper und muss mir eingestehen, dass ich ihn wirklich süß finde und sein Anblick mich einfach in meinem Inneren trifft. Habe ich mich etwa in ihn verliebt?
Bitte nicht, flehe ich und weiß doch, dass die Traurigkeit, die mich auf der Fahrt vom Berg hierher überwältigt hatte, eigentlich alles sagt.
Ich brauche eine Auszeit, um meine Gefühle wieder in die richtige Richtung zu lenken und um mir klar zu werden, wie es weitergehen kann … in meinem völlig aus der Bahn geratenen Leben.
„Geht es wieder?“, fragt Erik und ich nicke. Aber ich würde ihm am liebsten bitten, mich nach Hause zu fahren und mich einfach für ein paar Tage in Ruhe zu lassen. Aber ich bringe nur hervor: „Ich muss aber auch mal nach Hause.“
„Warum?“, fragt Erik irritiert. „Dein Typ hat Spätschicht, hast du gesagt. Also hast du Zeit.“
Resigniert sehe ich aus dem Fenster. Erik passt schon auf, dass ich ihm nicht entgleite, solange er das nicht will. Diese Entscheidung ist scheinbar ihm allein vorbehalten. Zumindest hatte Ellen sich diesbezüglich so geäußert, dass er den Tritt in den Hintern gibt und nicht andersherum. Ich habe noch nie einen so hartnäckigen Menschen wie ihn getroffen, der so bestimmend ist.
Hätte Tim damals auch nur ein Quäntchen von ihm gehabt, dann wäre ich heute mit ihm statt Marcel zusammen.
Wir fahren eine andere Strecke und ich kann Ellen nur zustimmen. Es ist wirklich schön hier. Seichte Hügel ziehen sich durchs Land und mit guter Musik und dem dumpfen Brummen des Mustangs, sowie dem Sonnenschein, sollte doch alles in meinem Leben in Ordnung sein. Aber ich bin tief in meine Gedanken verstrickt, die mir klarzumachen versuchen, was ich mit meinem Leben angestellt habe.
Erik bemüht sich immer wieder, mich aufzumuntern. Eigentlich ist es schön, dass er aus seinem Tief herausgefunden hat. Es wäre schön, wenn ich das für mich auch behaupten könnte. Ich habe mich heute erst richtig hineinfallen lassen, als ich dachte, es wäre alles mit Erik vorbei. Zu erkennen, dass dies für mich unerträglich wäre, das verunsichert und überfordert mich. Wie konnte ich mich, trotz Marcel und meiner Liebe zu ihm, so auf Erik einlassen?
„Was ist los?“, höre ich ihn verunsichert fragen. Er ist so groß und stark … aber ich musste heute mehrmals feststellen, dass er schnell aus der Fassung gerät, wenn er glaubt, dass etwas mit mir nicht stimmt. Was beunruhigt ihn? Er hat doch alles, was er will.
Ich sehe mich nicht in der Lage, ihm gute Laune vorzuspielen und damit zu beruhigen, weil ich mich nicht mal selbst beruhigen kann.
Mein Telefon klingelt in meiner Tasche und ich ziehe sie auf meinen Schoß, um es herauszuholen. Damit entgehe ich einer Antwort auf Eriks Frage.
Ich sehe auf dem Display die Nummer meiner Eltern und melde mich. „Ja!“
„Hallo Carolin, Liebes. Wie geht es dir? Du hast dich am Wochenende gar nicht mehr gemeldet“, höre ich meine Mutter vorwurfsvoll sagen.
„Ja, sorry. Aber ich musste mich etwas auskurieren und hatte viel Schulsachen zu erledigen.“
„Warst du krank?“, fragt sie besorgt.
„Wohl ein kleiner Anflug einer Erkältung. Geht aber schon wieder.“
„Und wie läuft die Schule?“
„Ich habe schon meine zweite Eins“, sage ich und schaue Erik an, der mich kurz angrinst. Aber seine Augen fragen, wer da am Apparat ist.
Erklärend sage ich zu ihm: „Meine Mutter“, und er nickt.
„Ist Marcel bei dir? Seid ihr unterwegs?“
Mir ist klar, dass meine Mutter wohl nicht erkennt, dass das Motorgeräusch wohl kaum vom Golf kommt. „Nein, der ist arbeiten.“
„Oh, ach so. Und ist bei euch beiden alles in Ordnung?“
„Ja, Mama“, sage ich etwas genervt.
Erik sieht mich an. Er weiß, dass wir von Marcel sprechen.
„Ich wollte eigentlich auch nur sagen, dass wir Freitag zu Julian fahren. Wir würden dich gerne mitnehmen. Wir dachten, wir fahren zum späten Nachmittag. Da hast du doch bestimmt Zeit?“
Schwer schluckend streiche ich mir durchs Haar. Verdammt. Auch das noch.
„Carolin?“
„Ja, ist gut. Ruft mich Donnerstag einfach noch mal an, wann ihr genau loswollt“, raune ich mit belegter Stimme und fühle mich von allem völlig überfahren.
„Ist gut Schatz. Ich bin so froh, dass du mitfährst. Julian wird sich bestimmt freuen.“
Ich bin mir da nicht so sicher … und Marcel wird ausflippen … und Tim darf das erst gar nicht erfahren. Und Erik?
Ich werfe ihm einen Blick zu, den er sofort erwidert. Spürt er, dass ich erneut in ein Gefühlschaos abrutsche?
„Dann bis Donnerstag“, meint meine Mutter noch und ich lege auf.
„Was ist los?“, fragt Erik sofort. Für ihn scheint es absolut normal zu sein, dass ich alles vor ihm ausbreite.
Ich schüttele den Kopf. „Nichts!“ Dabei sehe ich wieder aus dem Fenster und lasse die schöne Landschaft an mir vorbeiziehen, ohne sie wirklich wahrzunehmen.
An einem kleinen Wäldchen lenkt Erik den Wagen von der Straße auf den Grünstreifen und macht den Motor aus.
Ich sehe ihn beunruhigt an.
„Komm, wir müssen uns wohl unterhalten“, raunt er und steigt aus.
Ich bleibe sitzen und schließe resigniert die Augen. Worüber unterhalten? Es gibt nichts, worüber ich jetzt sprechen kann. Ich brauche etwas Zeit, um mich selbst in meinen wirren Gefühlen zurechtzufinden.
Erik macht meine Tür auf und beugt sich ins Auto. „Komm, steig aus. Und dann erzählst du mir, was los ist.“
„Du verschenkst schon wieder deinen Sieg, wenn wir nicht weiterfahren“, versuche ich ihn umzustimmen.
Er macht nur eine wegwerfende Handbewegung und brummt: „Scheißegal.“
Ich steige aus und lehne mich neben ihn an den Mustang. Er zündet eine Zigarette an und steckt sie mir zwischen die Lippen, bevor er sich selbst eine nimmt. So stehen wir da und rauchen. Da ich nichts sage, setzt er erneut an.
„Was ist los? Das sollte ein schöner Nachmittag werden, auch wenn ich ihn als Racheakt kaschieren musste, um dich überhaupt mitnehmen zu können.“
Ich sehe ihn verwirrt an. „Um mich mitnehmen zu können? Ich habe nie das Gefühl, dass du auch nur einen Gedanken dran verschwendest, ob etwas richtig oder falsch ist“, raune ich und Erik sieht mich verdattert an. Leise brummt er: „Aber natürlich! Ich will dich doch zu nichts zwingen.“
Er hat schon eine seltsame Art, etwas zu tun und vor sich zu rechtfertigen. Bisher fühle ich mich bei allem, was wir miteinander machten, irgendwie von ihm gezwungen. Und jetzt kommt übermorgen auch noch Tim und Freitag fahre ich zu Julian … dazwischen steht Marcel, der sich vielleicht gerade mit einer Sabrina zu einem Treffen verabredet.
Kurz kommt mir der Gedanke, dass das vielleicht das Beste wäre, auch wenn es mich dann innerlich zerreißt.
Erik tritt dicht an mich heran, legt seine Hand unter mein Kinn und drückt es hoch, damit ich ihn ansehen muss „Was ist los? Immer wenn wir miteinander schlafen stimmt hinterher etwas nicht. Seit wir auf dem Berg waren ist es wieder so.“ Seine Augen funkeln mich entrüstet an und sein Gesicht zeigt erneut diesen harten, angespannten Ausdruck, der mich bisher durchaus verängstigen konnte.
„Ich glaube, ich komme langsam mit dem Ganzen hier nicht mehr klar“, antworte ich resigniert und drücke seine Hand weg. Heute spüre ich keine Angst, nur Ausweglosigkeit.
Erik starrt mich verunsichert an. Es dauert einige Zeit, bis er fragt: „Wie, du kommst nicht mehr klar? Mit was genau kommst du nicht mehr klar?“
Ich überlege, was ich ihm sagen kann. Was ich ihm sagen soll … sagen muss!
„Erik, ich bin mit Marcel zusammen und schlafe mit dir. Ich liebe Marcel wahrscheinlich nicht ganz so, wie ich immer dachte, sonst könnte ich das doch nicht so einfach tun.“ Meine Stimme klingt gequält und so fühle ich mich auch.
Vor mir auf den Boden schauend, flüstere ich fast unhörbar: „Aber es zerreißt mich trotzdem, wenn ich mir vorstelle, ich könnte ihn verlieren. Ich brauche ihn. Er ist mein Halt. Und meine Eltern wollen, dass ich mit ihnen meinen Bruder im Gefängnis besuche und in zwei Wochen hat er seine Verhandlung und wenn er rauskommt weiß ich nicht mal, ob er mir nicht wieder an den Kragen will.“
Wie unter einem Zwang lasse ich meine Hand über die Narbe in meinem Nacken gleiten. „Und dieses ganze Gefühlschaos! Ich packe das einfach nicht mehr.“ Ich muss schlucken und blinzeln, um meine aufsteigenden Tränen zu kontrollieren.
Erik lässt seine Hand sinken, die er um mich legen wollte.
„Ich muss jetzt nach Hause und ich möchte, dass wir uns diese Woche nicht mehr sehen. Ich brauche etwas Abstand von dir, um mich und meine Gefühlswelt in den Griff zu bekommen. Und du … du kannst in Ruhe deine analysieren.“
Ich werfe Erik einen schnellen Blick zu, der mich aber schon wieder in meinen Grundfesten zu erschüttern droht. Schnell sehe ich zur Seite und schlucke krampfhaft.
Erik wirft seine Zigarette weg und starrt mich nur an. Ich nehme das aus dem Augenwinkel wahr und spüre, wie sein Körper sich erneut anspannt und zur bedrohlichen Größe wächst, wie es bei dem alten Erik bisher immer der Fall war.
„Wenn du meinst!“, brummt er und versucht offenbar die aufkeimende Wut zu unterdrücken.
Kurz macht er mir wieder Angst und ich sehe auf. Aber seine Augen wirken nur traurig, und das löst ein neues Chaos in mir aus.
Es reicht. Ich nicke betroffen, drehe mich um, reiße die Wagentür auf und steige ein.
Erik geht um den Wagen herum und ich lasse die Tür zuknallen. Das Geräusch erschreckt mich. Meine Nerven liegen blank.
Er steigt auch ein, lässt den Motor aufheulen und zieht auf die Straße.
Ich schnalle mich an, wage aber nicht, ihn zurechtzuweisen, weil er es nicht tut. Ich sehe aus dem Seitenfenster und fühle mich plötzlich innerlich wie tot. Es ist alles gesagt und ich möchte nur noch nach Hause. Ich halte dieses hin und her sonst nicht mehr aus.
In Osnabrück, durch das wir fahren, ohne auch nur noch ein Wort miteinander zu wechseln, bitte ich ihn, mich zum Bahnhof zu bringen. Kurz will er etwas dagegen sagen, besinnt sich aber und nickt. Kurz darauf hält der Mustang auf einen der Taxiparkplätze, direkt vor dem Eingang des Bahnhofs. Wir fallen auf … mit dem dicken Zuhälterauto.
Ich steige schnell aus, bevor Erik mich zu fassen kriegt. Die Bewegung dazu nahm ich hinter mir wahr. Aber sie verlief ins Leere. Ich beuge mich etwas runter, um ihn ansehen zu können. „Bitte sperre dich nicht wieder ein. Ich kann dich diese Woche nicht retten“, raune ich.
Er sieht mich nur an und seine Hand sinkt ganz auf meinen leeren Sitz.
„Mach´s gut und danke für den Nachmittag“, murmele ich noch und werfe die Autotür zu. Ich gehe über den Platz zu der riesigen Bahnhofstür und sehe mich noch einmal um. Erik sitzt in seinem Auto, dessen Motor einmütig brummelt und sieht mich nur an, scheinbar unfähig wegzufahren.
Ich sage mir, dass er stark ist und mich vorher auch nicht brauchte. Er kommt schon klar … und trete durch die große Bahnhofstür in das Innere des Gebäudes und somit aus seinem Blickfeld.
Im Zug versuche ich nicht daran zu denken, wie zufrieden Erik den Nachmittag über war und wie ich ihm zu guter Letzt von Marcel vorgeschwärmt habe - dass ich ihn brauche und es nicht ertragen könnte, ihn zu verlieren.
Mir wird klar, dass ich Erik vielleicht damit verletzt habe. Er hatte mir gestanden, dass die One-Night-Stands eher eine Qual für ihn sind … und er hatte vor Ellen und Daniel ganz klar zu mir Stellung bezogen und sogar in der Schule, als er mir hinterhergelaufen war und mich in sein Auto trug. Das war für mich zwar peinlich, aber das eine oder andere Mädel hätte sich das gewünscht. Für jeden muss nach diesem Auftritt klar sein, dass er zu mir ein anderes Verhältnis hat als zu jeder anderen bisher. Aber ich wollte ihn nur noch loswerden und habe ihm sogar gesagt, dass ich die ganze Woche nichts mehr von ihm sehen oder hören will.
Jetzt tut es mir schon wieder leid und zu meinem Entsetzen spüre ich, dass ich es gar keine Woche ohne ihn aushalte.
Als ich in Bramsche aussteige, klingelt mein Handy. Ich ziehe es aus meiner Tasche und sehe, dass es Ellen ist. Ich nehme ab.
„Carolin, alle klar bei dir?“ Sie klingt besorgt.
„Ja“, raune ich nur.
„Erik ist allein bei Daniel aufgelaufen und er ist gar nicht mehr gut drauf. Habt ihr euch gestritten? War er blöd zu dir, dann kann der was erleben!“
„Nein, Ellen. Erik kann nichts dafür. Er war wirklich unglaublich lieb und süß. Es liegt an mir.“
Oh Mann. Das war fast schon sowas wie eine Liebeserklärung. Aber jetzt, wo er so weit weg von mir ist, fühle ich es so.
Einen Moment ist es still und ich frage mich schon, was Ellen wohl darüber denkt, dass ich ihren Bruder lieb und süß finde, als sie leise sagt: „Und warum bist du dann nicht mehr mit ihm mitgekommen? Er zeigt es nicht, aber der Erik von heute Nachmittag und der jetzt, das sind zwei völlig verschiedene Menschen. Er tut mir fast schon leid. Ich glaube, er hat sich vielleicht verliebt.“
Mir bleibt das Herz fast stehen. Dass Ellen nun ausspricht, was ich in meinem tiefsten Inneren hören will und doch auch wieder nicht, das entsetzt mich doch. Ich bin mit Marcel zusammen und liebe ihn …
Mehr zu meinem Schutz, raune ich: „Erik kann sich nicht verlieben. Schon vergessen? Und er kann sich nicht vorstellen, mit jemand viel Zeit zu verbringen und schon gar nicht zusammenzuleben oder morgens zusammen aufzuwachen. Erik ist nicht für so etwas geschaffen.“
Abermals ist es einige Zeit still in der Leitung und als Ellen mir antwortet, weiß ich, dass sie eine stille Hoffnung treibt. „Was ist aber, wenn sich das jetzt doch geändert hat?“
Ich stoße die Pforte zu unserem Garten auf und gehe durch den kleinen Vorgarten zum Haus. Leise raune ich: „Dann wird er schon die Richtige finden, die das alles mit ihm ausleben kann.“
Schon als ich den Satz sage, bleibt mir die Spuke im Hals stecken. Verdammt, ich könnte das noch nicht einmal ertragen.
In mir kriecht erneut eine Ahnung hoch, die ich mit aller Gewalt wegschieben will. Ich habe mich in Erik ernsthaft verliebt, in seine Art mich zu belagern, seine Geschichte und seine Art mich zu lieben.
Als Ellen nicht antwortet, sage ich nur: „Pass bitte auf ihn auf. Ich muss erst mal für mich sehen, wie ich mein Leben in den Griff bekomme. Freitag muss ich mit meinen Eltern zu meinem Bruder fahren … ich weiß nicht mal, wie ich das überstehen soll. Bitte Ellen, lass mich diese Woche irgendwie überstehen und es wird wieder besser werden. Ich kann einfach nicht mehr.“ Ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten, die sich nun endlich einen Weg suchen und nach außen drängen. Ich schluchze auf und öffne die Haustür. Gut, dass Marcel nicht zu Hause ist.
„Carolin, ist doch schon gut! Fang doch jetzt bitte nicht an zu heulen“, jammert Ellen betroffen. „Ich verstehe dich. Oh Mann, wie können die dich dort hinschleppen? Die wissen doch, was er gemacht hat. Ich würde den nie wiedersehen wollen.“ Ellen klingt völlig außer sich.
„In zwei Wochen ist seine Verhandlung … und wenn er dann … rauskommt …“, stottere ich unter Tränen und sacke auf unser Sofa, aus dem Diego mich ansieht.
Ich ziehe den Kater auf meinen Schoß und trockne meine Tränen an seinem Fell.
„Wir verstecken dich! Du kommst zu uns, ja?“, ruft Ellen aufgebracht ins Handy.
Von Schluchzern geschüttelt, antworte ich ihr mit jämmerlicher Stimme: „Nein, das geht nicht. Ich muss das mit Julian … selbst klären. Vielleicht … hat er sich … verändert?“
„Aber wenn nicht, kommst du zu uns“, sagt Ellen mit Bestimmtheit. „Erik wird dich einfach mit in sein Panikreich nehmen und du bist sicher.“
Mein Gott, ihre Worte rühren mich noch mehr. Ich muss aufhören zu telefonieren, bevor ich mich ganz auflöse.
„Ellen ich muss Schluss machen. Wir sehen uns morgen … in der Schule. Sag Erik, es liegt nicht an ihm.“
Schon das Erwähnen seines Namens lässt mich noch mehr heulen.
„Mache ich. Bitte denk nicht so viel nach. Das macht einen nur fertig. Morgen reden wir weiter, okay? Und ich bin immer für dich da.“
„Danke“, piepse ich. „Bis morgen.“
Ich lege auf, weil ich mich nicht mehr in der Lage sehe, noch mehr Rührseliges zu hören. Das Handy lasse ich zu Boden sinken und rolle mich auf dem Sofa zusammen, dabei Diego in meinen Arm ziehend. Der fängt laut zu schnurren an.
Er ist wirklich ein wenig Trost in dieser Zeit, in der ich nicht weiß, wie alles weitergehen soll.
Marcel weckt mich. Er kniet vor dem Sofa und streicht mir durch die Haare. „Carolin? Was ist los?“
Ich muss schrecklich aussehen, weil ich mich in den Schlaf geweint habe. Jetzt, wo ich Marcels grauen Augen vor mir sehe, die mich völlig verstört mustern, kann ich ihn nur an mich ziehen. Es tut mir alles so leid. Alles was ich ihm angetan habe … alles was ich Erik antue und Tim. Meine Tränenflut hatte alles aus mir herausgespült. Ich habe keinen der drei verdient und jetzt, wo Julian vielleicht bald nach Hause kommt, fühle ich mich auch noch verletzlich wie noch nie.
Marcel schiebt mich hoch und setzt sich neben mich auf das Sofa, mich in seine Arme ziehend. Sein Blick drückt eine Verunsicherung aus, die mir trotz meines maroden Zustands auffällt. In seiner Stimme ist eine zittrige Unsicherheit zu hören, die sie kippen lässt. „Was ist? Ist etwas passiert?“, fragt er leise.
Das verstärkt mein schlechtes Gewissen noch. Spürt Marcel, dass ich nicht mehr zu ihm gehöre?
„Ich fahre Freitag zu Julian“, sage ich, als würde das alles erklären.
„Warum tust du dir das an?“, brummt Marcel, scheint aber seltsamerweise erleichtert zu sein, dass es um Julian geht. „Keiner kann dich dazu zwingen.“
„Ich weiß, aber wenn er vielleicht in zwei Wochen rauskommt, möchte ich vorher wissen, wie er drauf ist.“
Einen Moment lang sagt niemand von uns ein Wort. Dann raunt Marcel plötzlich mürrisch: „Ich kann mir nicht denken, dass sie dich zu ihm lassen. Ist das nicht so etwas wie Beeinflussung von Zeugen? Mich wundert, dass sie dich nicht als Zeuge vorladen … und Tim auch nicht. Bist du dir sicher, dass er schon in zwei Wochen seine Verhandlung hat?“
Ich sehe ihn verunsichert an. „Meine Mutter hat das gesagt.“
„Hm, ich weiß nicht. Schon komisch. Ich meine, du und Tim, ihr könnt von eurem Zeugnisverweigerungsrecht gebraucht machen - weil ihr seine Geschwister seid. Aber dennoch müsst ihr vor Gericht erscheinen. Du hast wirklich noch nichts dafür bekommen?“
Ich schüttele den Kopf und frage verwirrt: „Woher weißt du das alles?“
Marcel sieht mich verlegen an. „Ich war heute Vormittag bei meinem Großonkel und habe mit ihm über alles gesprochen. Naja, eigentlich ging es um ein paar Sachen wegen dem Haus. Aber er hat dann auch nach dir und Julian gefragt, und so haben wir über die anstehende Verhandlung und alles gesprochen“, sagt er ausweichend, als wolle er andere Themen, die sie besprachen, nicht preisgeben.
Verunsichert frage ich: „Und er meint, ich muss auch vor Gericht … und Tim auch?“
„Und ich eigentlich auch … und die Polizisten, die dich mit rausholten. Aber ich habe auch noch nichts bekommen und frage mich, warum nicht? Mein Großonkel ist sich sicher, dass du deinen Bruder gar nicht besuchen kannst.“
Ich atme auf. „Aber warum sagt das niemand meinen Eltern?“
„Wahrscheinlich haben sie dich gar nicht mit angemeldet und denken, sie können mit dir dort so reinmarschieren. Fahr ruhig mit ihnen mit. Sie werden es dann schon sehen.“
Eine unglaubliche Erleichterung packt mich, dass eine Hoffnung besteht, dass ich so tun kann, als wolle ich Julian besuchen und ihn trotzdem nicht treffen muss. Aber andererseits bin ich dann auch nicht schlauer. Ich muss wissen, was in Julian vor sich geht.
Ich lege meine Arme um Marcels Nacken und stütze meinen Kopf an seine Schulter. Das ist mein Marcel. Er bringt meine Welt schnell wieder in Ordnung.
„Ich muss duschen und bin müde“, raunt er und löst meine Arme von seinem Nacken.
Ich setze mich auf. „Okay!“ Er hat immerhin schon den ganzen Tag gearbeitet und scheint auch ziemlich müde zu sein. „Ich gehe dann schon mal ins Bett.“
Nicht mal Hausaufgaben habe ich machen können. Was für ein Tag.
Erik rückt in dieser Welt in weite Ferne.
Als ich am nächsten Morgen von meinem Wecker geweckt werde, wird mir klar, dass ich am vergangenen Abend umgefallen sein muss, wie ein Baum. Ich hatte nicht mal mitbekommen, wann Marcel ins Bett gekommen war.
Es geht mir an diesem Morgen trotzdem nicht besser als gestern. Ich fühle mich immer noch überfordert und weiß nicht, wie ich mit allem umgehen soll. Aber es nützt nichts. Ich muss mich der wirren Welt da draußen stellen. Ihr und meinem Berg Problemen.
Ich dusche und ziehe mich an, als ich Marcels Arbeitssachen im Badezimmer liegen sehe. Die Beule in der Hosentasche lässt mich vermuten, dass er sein Handy in der Tasche gelassen hat.
Ich nehme es heraus und schalte die Tastensperre aus. Eigentlich weiß ich, dass ich das besser nicht tun sollte. Aber irgendetwas treibt mich dazu … wie eine unbändige Kraft, die mich zerstören will. Dass es das tun wird, wenn ich etwas finden sollte, steht außer Frage.
Ich finde erneut SMSen von dieser Sabrina. Die drei alten sind auch noch drinnen. Ich öffne die vierte, in der ich das Bild vermute. Tatsächlich schreibt sie: „Du willst wissen, mit wem du es hier zu tun hast? Ein Bild sagt nicht viel. Wann können wir uns treffen?“
Ein ausgesprochen gutaussehendes Mädchen mit langen blonden Haaren in einem Fußballtrikot lacht mir entgegen und mein Herz setzt aus.
Meine Hände zittern, als ich die nächste öffne: „Gut! Ich bin mir sicher, wir passen sehr gut zusammen. Wann und wo?“
Ist das noch zu fassen!
Ich gehe in seine Antworten und lese als Reaktion auf ihr Bild: „Wow, super süß! Natürlich können wir uns treffen.“
Mir wird heiß und mein Magen krampft sich zusammen.
Seine nächste SMS lautet: „Ich habe heute bis eins zeit. Wo finde ich dich? Ruf mich einfach an, wenn du mich treffen kannst.“
Ich gehe in den Telefonspeicher und finde keinen Anruf von ihr. Aber im Ausgang einen Anruf bei ihr von Marcel vom vergangenen Abend, den er gleich nach der Arbeit gemacht hatte.
Ich mache erschüttert das Handy aus und stecke es in seine Hose zurück. Ich weiß nicht, ob die beiden sich getroffen haben. Aber Marcel hatte sie zumindest nach der Arbeit angerufen.
Okay. Es reicht also schon, dass ihm so ein Katjaverschnitt eine SMS schreibt und er springt voll drauf an. In meinem Kopf baut sich die Vorstellung auf, dass die beiden sich vormittags trafen und abends sofort wieder miteinander telefonierten.
Die Python, die durch meinen Bauch schlängelt, nimmt mir die letzte Kraft und die Möglichkeit, die Situation anders zu deuten.
Aufgebracht kämme ich mir die nassen Haare eilig durch, greife meine Schultasche, steige in meine Schuhe und verlasse das Haus, den miauenden Kater ignorierend. Ich will nur noch weg.
Zum Bahnhof laufend, fühle ich mich wie auf der Flucht. Ich fliehe vor mir, meinen Gefühlen und allem, was mir wehtut. Ich will nichts mehr … keinen Marcel, keinen Tim und keinen Erik. Warum habe ich damals nicht auf mich gehört, als ich mich mit keinem männlichen Wesen mehr einlassen wollte?
Ich bin viel zu früh und muss auf den Bus warten. Die Sonne kommt nur quälend langsam zum Vorscheinen und mir ist kalt. Ich bin froh, als der Bus endlich kommt und steige ein. Aber als mir klar wird, dass ich gleich Ellen gegenübertreten muss, da weiß ich, dass ich heute auch das nicht durchstehe.
So muss Erik sich fühlen, wenn er das Gefühl hat, nicht weitermachen zu können, wie Ellen es so schön ausdrückte. Er schließt dann seine Paniktür hinter sich und zieht sich irgendwelche Drogen rein.
In Wallenhorst, einem Ort vor Osnabrück, steige ich aus dem Bus wieder aus. Mein Handy ausschaltend beschließe ich, mich heute niemandem zu stellen außer mir selbst. Ich muss überlegen, wie ich weitermachen soll. Morgen kommt auch noch Tim und will mich sehen.
Ich laufe einfach drauf los. Wohin weiß ich nicht. Ich kenne ein Stück des Ortes durch die Busfahrt … mehr nicht. Während ich einen Schritt vor den anderen setze, laufen Marcels SMSen und die von dieser Sabrina durch meinen Kopf und ich werde unglaublich wütend. Ich sehe wieder vor mir, wie Marcel am vergangenen Abend meine Arme um seinen Nacken gelöst hatte, und das damit begründete, duschen zu wollen. Außerdem war er schon sooo müde! Und dann kam er ins Bett und hat mich nicht wie sonst geweckt, um mir eine gute Nacht zu wünschen.
Die Python in meinem Inneren erreicht einen Moment lang ein Ausmaß, als hätte sie auch noch eine Kuh verschluckt. Und dann platzt sie. Mit der Wut in meinem Bauch wird es zu eng und sie muss weichen. Ich will das alles nicht mehr. Dieses ganze Gefühlschaos. Es muss endlich Schluss sein.
Irgendwann komme ich an einem Gehöft vorbei und mir fällt auf, dass ich längst die Stadt hinter mir gelassen habe. Mein Kopf ist leer vom vielen Denken und in meinem Körper fühlt sich alles wund und verletzt an. Ich habe alle Gedanken ausgedacht, die Marcel betreffen, Erik, Tim und mein völlig verpfuschtes Leben und schaue auf die Uhr. Es ist fast Mittag. Ich bin somit den ganzen Vormittag gelaufen.
Aber ich fühle mich etwas besser. Mein Entschluss steht fest. Ich bin erneut da, wo ich vor sechs Wochen auch schon stand … am Nullpunkt. Mein Leben muss jetzt endlich eine Wendung nehmen, in der ich das Chaos bekämpfe und mir wieder die Möglichkeit zum Atmen gebe.
Ich finde eine Wiese mit einer dicken Eiche mitten drinnen und steuere darauf zu. Ich lasse mich an dem Stamm hinuntersinken und heiße das weiche Gras willkommen.
Ich brauche eine neue Perspektive und überlege, wie die aussehen kann. Tim ist noch bis Dezember weg, was gut ist. Ich nehme mir felsenfest vor, ihm nur meine Freundschaft bis dahin zu bieten. Erik …, mit ihm ist es am Schwierigsten. Bei ihm habe ich nicht das Gefühl, ihm irgendetwas vorschreiben zu können. Aber ich habe die Hoffnung, dass er mich versteht und unser Verhältnis nur noch auf einer emotionslosen Freundschaftsbasis sehen kann. Das sollte doch eigentlich ganz in seinem Sinne sein. Wir können mit Ellen und Daniel zusammen eine Spritztour machen oder mal auf ein Bier gehen und fertig … und Ellen muss akzeptieren, dass ich öfters mit den anderen Mädels losziehe - auch ohne sie. Sie hatte das am Samstag auch getan. Ansonsten muss sie mich mein Leben leben lassen und aufhören, mit ihrem Bruder gegen mich gemeinsame Sache zu machen. Und Marcel? Der soll sich endlich eine dieser Schlampen nehmen und mich in Ruhe lassen. Er wird sich nie ändern und wie Erik schon sagte, er kann sie alle haben. Er braucht mich nicht und ich … ich will ihn nicht mehr. Und wenn Julian wirklich aus dem Gefängnis kommt, werde ich mich ihm stellen.
Diesmal ist niemand da, der mir hilft, aber auch niemand, um den ich mich sorgen muss.
Mir fällt der Traum ein, in dem Julian und Kurt Gräbler Marcel lebendig begraben wollten … und der, als Tim mich aus seinem Bett retten wollte, in dem Marcel mit seiner Katja herumknutschte und Julian mit Kurt Gräbler zusammen mich umbringen wollte.
Ich spüre die Angst immer noch, die diese Träume in meinem tiefsten Inneren auslösten und mir wird klar, warum ich mich an Erik hänge. Er ist der Einzige, der niemals von meiner Vergangenheit bedroht war.
Wie auch immer. Hier unter dieser dicken Eiche sitzend, schwöre ich mir, mein Leben ohne die alle weiterzuführen und der Liebe und allen Gefühlen abzuschwören, bis ich weiß, wie meine Zukunft wirklich aussehen wird.
Das Leben kann nur besser werden, wenn man nicht in einem Strudel aus Beziehungen gefangen ist. So kann Liebe wirklich nicht sein. Mein Weg muss ein anderer werden.