Kitabı oku: «Elynne», sayfa 3

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Lykanthropie

Am Abend sitze ich am Schreibtisch vor meinem Ultrabook. Ich habe einen ziemlich ereignisvollen Tag hinter mir. Die ganze Mittagspause über hat Leyth unseren Eltern und mir die Ohren voll gequatscht, wie toll dieser Cadillac doch sei. Leyth hat es kaum abwarten können, am Nachmittag den Cadillac wieder von Nahem zu betrachten. Am Nachmittag konnte er es dann einfach nicht lassen und musste mit seinem Handy ein Foto von diesem Cadillac machen. Nach dem Abendessen habe ich mich in meinem Zimmer verkrochen. Ich öffne die Internetseite und gebe meinen Namen ein. Elynne Badrey. Es gibt nur wenige mit Elynne. Die meisten sind auf Facebook oder YouTube. So wird das nichts. Ohne konkrete Anhaltspunkte werde ich nie zu einem Ergebnis kommen. Ich fahre meinen Laptop herunter und klappe den Bildschirm zu. Sahira sitzt auf meinem Schreibtisch und sieht mich fragend an.

„Heute werden wir das Geheimnis über mich nicht aufdecken können. Wir brauchen mehr Fakten“, erkläre ich meiner Katze.

Sahira miaut und zeigt mit der Pfote auf Ward, danach auf mich.

„Ich bin nicht auf den Hund gekommen, Sahira“, sage ich zu ihr und gehe ins Bett.

Als ich mich in meine Bettdecke kuschle, geht am Himmel der Vollmond auf.

Das magische Licht des Vollmonds strahlt in meinem Zimmer. Der Mondschein leuchtet auf mein Gesicht. Ich blicke sehnsüchtig zum Mond und öffne wie in Trance das Fenster. Leichtfüssig springe ich nach draussen und ziehe die frische Luft ein. Der Mond lässt die Häuser vor mir in einem atemberaubenden Licht erstrahlen. Endlich frei! Ein Gefühl von Macht überkommt mich, als ich an den Häusern vorbeiziehe. Meine grauen Pfoten verursachen keinerlei Geräusche auf dem asphaltierten Boden. Die Pferde auf der Koppel wiehern ängstlich. Sie stampfen mit den Hufen auf den Boden und schwingen den Kopf hin und her. Ich versuche an eines der Pferde ranzukommen, doch meine Krallen kratzen nur am Holzzaun. Im Bauernhaus geht plötzlich das Licht an. Ich mache mich eilig aus dem Staub, als jemand mit der Taschenlampe rauskommt, um nachzusehen, was mit den Pferden los ist. Der Angstgeruch der Pferde verfolgt mich bis zu einem Gebäude, in der es nach Medizin riecht. Eine Apotheke? Vermutlich. Die Bremsen quietschen ohrenbetäubend laut, als der Autofahrer wegen mir eine Vollbremsung machen muss. Vor Schock wie erstarrt, bleibe ich stehen und starre das Auto an, dass nur wenige Zentimeter vor mir zum Stillstand gekommen ist.

Der Autofahrer steigt wütend aus. „Pass gefälligst auf, du Drecksköter!“

Wenn nennst du hier Drecksköter? Ich habe mich noch nicht ganz von meinem Schock erholt und stehe immer noch regungslos mitten auf der Strasse.

Der Mann kommt näher, um mich besser in Augenschein nehmen zu können. Da sieht er mich plötzlich mit weitaufgerissenen Augen an und flüchtet in sein Auto. „Ach, du Scheisse! Ein Wolf!“

Die Reifen quietschen, als er mit seinem Auto rückwärtsfährt, um anschliessend an mir vorbei zu preschen. Muss bei ihm eigentlich immer alles so quietschen? Das schmerzt in den Ohren. Ich gehe von der Strasse runter und springe nach links die Strasse runter. Vor zwei blauen Villen bleibe ich stehen. Meine Augen leuchten vor Begeisterung, als ich den riesigen Swimmingpool auf dem grossen Grundstück entdecke. Ohne nachzudenken, eile ich über die Wiese und springe in den Pool. Das Wasser ist angenehm kühl. Seufzend, lasse ich mich im Wasser treiben. Ich tauche unter und fühle mich für eine Weile wie ein Delfin. Als ich wieder an die Oberfläche komme, stehen drei Männer am Beckenrand und blicken mit überraschter Miene auf mich runter. Ich will mich entschuldigen, doch es kommt nur ein leises Winseln aus meiner Kehle raus. Der Rothaarige kniet sich vor mir hin. Er scheint überhaupt keine Angst vor mir zu haben.

„Die Augen! Sie sind…“ Der Rothaarige hat es die Sprache verschlagen. Er beugt sich noch weiter über den Beckenrand und sieht mir tief in die Augen.

Ich denke darüber nach, den Mann in den Pool zu zerren. Sein intensiver Blick macht mich irgendwie nervös.

„Mitternachtsblau!“, beendet Seirios den Satz des Rothaarigen.

Ich blicke die anderen beiden Männer an. Seirios und Professor Garou. Was macht Professor Garou hier? Wohnt er etwa hier? So schnell ich kann, klettere ich aus dem Pool und mache mich vom Acker. Vor Gerdas Haus bleibe ich stehen und blicke zurück. Keiner der drei Männer ist mir gefolgt. Glück gehabt. Meine nassen Pfoten haben auf dem Asphalt Spuren hinterlassen. Ich gehe zu Gerdas Schuhteppich und putze meine grauen Pfoten ab. Als meine Pfoten wieder trocken sind, gehe ich weiter, an Bixis Haus vorbei, Richtung Wald. Nach einigen Metern im Wald, entdecke ich ein Auto, das auf dem Waldweg steht. Was macht das hier? Offenbar ist das Auto auf dem in die Stadt. Auf der anderen Seite des Waldes liegt eine Stadt, die kleiner ist, als die in der ich lebe. Deshalb kommen viele Menschen hierher, um zu arbeiten. Sie viele nehmen die Abkürzung durch den Wald. Ich gehe langsam auf das Auto zu, das völlig im Dunkeln steht. Plötzlich höre ich es vor mir laut Knacken. Jemand ist gerade auf einen Ast getreten. Das Licht einer Taschenlampe blendet in mein Gesicht. Die Frau kreischt und lässt die Taschenlampe fallen. Der Geruch von Angst liegt in der Luft. Ich stürze mich auf die verängstigte Frau, die sich wehrt und versucht mich in die Flucht zu schlagen. Ihre langen Fingernägel kratzen über meine Vorderbeine. Ich jaule vor Schmerz auf und lasse von der Frau ab, die sich schnell aufrappelt. Nicht mit mir, du Miststück! Mit einem gewaltigen Satz lande ich auf ihren Rücken und bringe sie zum Fall.

„Nein! Lass mich in Ruhe! Hilfe!“, schreit die Frau aus vollem Halse.

Ich drehe die Frau auf den Rücken und drücke ihr meine graue Pfote auf den Mund, damit sie ihre Klappe hält. Als die Frau endlich verstummt ist, grab ich meine Reisszähne in ihren Hals. Die Frau keucht vor Schmerz und zuckt mit ihren Gliedmassen. Meine scharfen Reisszähne graben sich noch tiefer in ihre Haut. Eine grosse Blutlache entsteht neben ihrem Kopf und färbt ihr hellbraunes Haar rot. Ich lasse von der Frau ab, die mich mit einer unglaublichen Leere in den Augen ansieht. Meine scharfen Krallen zerkratzen ihren Körper und zerreisst ihre Klamotten. Die Frau rührt sich nicht mehr. Ist sie tot? Habe ich sie etwa umgebracht? Hastig renne ich aus dem Wald Nachhause. Ich flitze über die Wiese und springe durch das offene Fenster in mein Zimmer. Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen und schlafe direkt ein.

Schweissgebadet wache ich am nächsten Morgen auf. Ward sitz auf meinem Bein und winselt kläglich. Ich setze mich auf und schaue ihn im Licht der Dämmerung an.

„Was…“, beginne ich und unterdrücke einen Schrei, als ich sehe, was los ist.

Alles ist voller Blut! Meine Bettdecke, mein Bettlaken und mein Kissen. Ich springe aus dem Bett und erschrecke, als ich die roten Pfotenabdrücke auf dem Teppich sehe. Meine Augen blicken zum offenen Fenster. Warum ist denn das Fenster offen? Mit offenem Fenster kann ich doch gar nicht schlafen. Das ist sehr seltsam. Verwundert schliesse ich das Fenster und entdecke auf dem Fenstersims weitere Pfotenabdrücke.

„War von euch jemand draussen? Ward?“, frage ich meine Lieblinge und sehe Ward an, der immer noch auf meinem Bett sitzt.

Ward ist der einzige, der es schafft eine Türe zu öffnen, wenn sie nicht abgeschlossen ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er es auch schaffen würde, ein Fenster zu öffnen. Doch Ward will mit dieser Sache nichts zu tun haben und hebt seine Pfote. Seine Pfoten sind sauber.

„Du könntest sie sauber geleckt haben, während ich noch geschlafen habe“, behaupte ich ein wenig verunsichert.

Ward springt vom Bett runter zu den Pfotenabdrücken und legt seine Pfote drauf. Die roten Pfoten sind grösser als seine. Mein Hund ist unschuldig. Die Pfoten sind grösser als die der Hunde oder der Katzen. Aber wenn meine Lieblinge es nicht gewesen sind, wer war es dann? Wessen Pfoten sind das?

„Meine Eltern dürfen das auf keinen Fall sehen“, sage ich und ziehe die dreckige Bettwäsche aus.

James zieht Sahiras Bett zum Fenster und verdeckt somit die Pfotenabdrücke auf dem Teppich.

„Danke, James.“ Ich knülle die Bettwäsche zusammen und eile aus dem Zimmer.

Nachdem ich die Bettwäsche im Wäschekorb entsorgt habe, gehe ich wieder in mein Zimmer und bekomme gerade mit, wie Sahira mit ihrer Zunge die Spuren auf dem Fenstersims beseitigt.

Sahira begutachtet ihr Werk. Sie leckt noch ein paar Mal über das Fenstersims. Als sie mit dem Ergebnis zufrieden ist, leckt sie sich über die Pfoten und wischt sich danach über das Gesicht.

„Ich will nur zu gerne wissen, was in der Nacht passiert ist“, murmle ich und ziehe mich um.

Ich trage dasselbe Outfit, das ich auch gestern anhatte. Da ich keine Lust auf einen Spaziergang habe, spiele ich mit meinen Haustieren auf unserer Wiese hinter dem Haus.

Später gehe ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch in die Schule. Bixi erzählt mir von seinem Vater, der gestern eine Spätschicht hatte. Ich höre ihm gar nicht richtig zu. Meine Gedanken kreisen immer um das Blut. Wem gehört das Blut? Lebt diese Person noch? Ist sie verletzt?

„Und er ist sich sicher, dass es ein Wolf gewesen ist?“, will Leyth von meinem besten Freund wissen und blickt ihn ungläubig an.

„Ja, ziemlich sicher“, meint Bixi zu Leyth.

„Aber es gibt doch gar keine Wölfe in Tossa“, stellt Malia fest.

Seit wann ist Malia denn hier? Ich schaue meine beste Freundin entgeistert an.

Malia interpretiert meinen Blick falsch, denn sie sagt: „Was? Es ist doch wahr! In dieser Gegend leben keine Wölfe.“

„Und wie kommt es, dass ein Wolf meinem Dad direkt vor das Auto gesprungen ist?“, erkundigt sich Bixi bei Malia. „Er hatte graues Fell und war grösser als ein Hund!“

„Dein Vater muss in seiner Panik gedacht haben, dass es ein Wolf gewesen ist“, vermutet Leyth und geht die Treppe hoch.

Ein grauer Wolf in Tossa? Drecksköter. Dieses Wort. Der Mann, der aus seinem Auto steigt. Woher kenne ich diese Szene? Habe ich neulich einen Film geschaut?

Sissy sieht mich besorgt an. „Ely? Ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst ziemlich mitgenommen aus. Hast du etwa schlecht geschlafen? Mondsüchtig, was?“

Ich schaue meine beste Freundin überrascht an. „Wie kommst du denn auf so was?“

„Naja, gestern war Vollmond“, erklärt mir Sissy. „Es gibt Menschen, die können bei Vollmond nicht gut schlafen.“

„Manche Menschen schlafen bei Vollmond überhaupt nicht. Einige heulen den Mond sogar an. Nicht wahr, Ely?“, meint Malia und setzt sich neben mich auf die Treppenstufe.

Ich kann mich gar nicht daran erinnern, mich hingesetzt zu haben. „Redest du von Werwölfe?“

„Jetzt hör doch auf! Werwölfe gibt es nicht!“, sagt Sissy zu Malia.

„Guten Morgen! Wie geht es euch?“ Kyara sieht uns mit einem Lächeln im Gesicht an.

„Gut“, antwortet Sissy.

Kyara setzt sich auf eine Treppenstufe hin und sieht zu uns rauf. „Bei uns Zuhause ist ein Wolf gewesen.“

„Ihr habt den Wolf also auch gesehen?“, meldet sich Bixi zu Wort, der hinter mir steht. Er geht die zwei Treppenstufen zu Kyara runter und setzt sich neben sie hin. „Meinem Vater ist er direkt vor das Auto gesprungen!“

Kyra kichert. „Bei uns ist er im Pool schwimmen gegangen.“

„Ihr habt Zuhause einen Pool?“ Bixi sieht Kyara ungläubig an.

Ich höre, wie jemand Mitternachtsblau sagt. Wer hat das gesagt? Mein Bauch verkrampft sich.

„Und was habt ihr dann gemacht?“, will Bixi neugierig wissen.

„Nichts. Er ist abgehauen! Er hatte wohl Angst vor uns“, gluckst Kyara.

Was findet Kyara denn nur so lustig daran? Ein Wolf war in ihrem Pool! Ich würde mir vor Angst in die Hose machen, wenn der Wolf plötzlich in unserem Garten gestanden hätte.

Bixi lacht. „Das glaube ich nicht! Bei meinem Vater hat er sich nicht einmal bewegt! So ist er dagestanden.“ Mein bester Freund steht auf und bleibt wie erstarrt stehen.

Kyara lacht lauthals los. „Wahrscheinlich hat dieser Wolf noch nie einen Menschen gesehen. Schon gar nicht Menschen, die aus einem Ufo aussteigen!“

Meine besten Freundinnen und Bixi prusten los. Nemuel und die anderen gesellen sich zu uns und fragen Kyara, worüber sie gerade lacht. Kyara erklärt ihnen in kurzen Sätzen, was Bixi ihr gerade erzählt hat.

„Dein Vater muss ein Schock gehabt haben“, vermutet Nemuel und setzt sich vor mir auf die Treppe.

„Ja, aber der Wolf hatte wahrscheinlich den grösseren Schock gehabt. Der stand immer noch wie versteinert da, als mein Vater davongefahren ist“, grinst Bixi, der sich so langsam mit den neuen Schülern anfreundet.

„Hat dein Vater es der Polizei gemeldet?“, höre ich mich selbst fragen.

Bixi dreht sich zu mir um. „Ja. Die Polizisten wollten ihm zuerst nicht glauben. Aber anscheinend hat es noch einen weiteren Vorfall mit einem Wolf gegeben. Sie vermuten, dass es sich dabei um denselben Wolf handelt.“

„Was für einen Vorfall?“, forscht Isaac nach.

Bixi zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Das wollten die meinem Vater nicht sagen.“

Meine Freunde und die anderen unterhalten sich bis zum Läuten über diesen Wolf. Ich stehe auf und renne ins Schulgebäude. Sissy eilt mir nach und öffnet ihren Spind. Wir nehmen unsere Schulsachen aus unseren Spinden raus und machen uns auf den Weg ins Klassenzimmer. Heute haben wir drei Lektionen hintereinander bei Professor Garou Unterricht. Zuerst eine Lektion Chemie, danach eine Doppelstunde Sport. Professor Garou wartet schon im Klassenzimmer auf die Achtklässler. Nyra Smith hat ein asiatisches Gesicht. Ihre Mutter kommt – wenn ich mich richtig erinnere – aus den Philippinen. Smith hat braune Strähnen in ihrem schwarzen Haar. Meine Mitschülerin leidet unter Asthma und ist daher im Sportunterricht nicht wirklich zu gebrauchen. Sie setzt sich in die erste Tischreihe und hält den Platz neben sich für ihre Freundin, Jessica Fisher, frei. Jess ist die Klassenbeste, jedoch nicht sehr sportlich. Obwohl Jess nicht schlecht aussieht, hatte sie noch nie einen Freund. Ihr dunkelbraunes Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich habe sie noch nie mit offenem Haar gesehen. Jess trägt immer einen Pferdeschwanz. Wahrscheinlich geht sie sogar mit zusammengebundenen Haaren ins Bett. Nyra lächelt Jess an, als diese sich neben sie an den Tisch hinsetzt. Ich suche mir einen Platz in der hintersten Reihe aus. Heute müssen wir nicht praktische Experimente durchführen. In der ersten Chemiestunde geht es nur um die Theorie. Professor Garou bittet Lae, die als letztes reinkommt, die Türe zu schliessen. Lae ist eine Japanerin. Ihre Eltern sind jedoch kurz vor der Geburt nach Tossa gezogen. Sie hat mandelförmige Augen und - wie die meisten Asiaten – lange schwarze Haare. Lae hat immer lackierte Fingernägel, deren Farbe sie jede Woche ändert. Die Japanerin setzt sich neben Tamera an den Tisch.

„Bixi, kannst du mir in kurzen Wort die Chemie erklären?“, will Professor Garou von seinem Schüler wissen.

Bixi schüttelt den Kopf. Nyras Hand schiesst in die Höhe. Die hat sich wohl in den Sommerferien ein wenig über Chemie schlau gemacht. Professor Garou ignoriert Nyras Hand und sieht sich in der Klasse um.

„Ely? Weisst du was Chemie ist?“, fragt Professor Garou, der offensichtlich nach mir gesucht hat.

Ich durchwühle in meinem Gehirn und suche nach einer geeigneten Antwort. Was ist Chemie, Ely? „Eine Naturwissenschaft“, überlege ich unsicher. „Chemie ist die Lehre der Stoffe und beschäftigt sich mit dem Aufbau, den Eigenschaften und den Umwandlungen… der Stoffe.“ Das habe ich irgendwo einmal gelesen. Mich wundert das nicht, denn ich habe schon sehr viele Bücher gelesen. In irgendeinem Buch, das ich gelesen habe, ist wohl Chemie erwähnt worden. Das war garantiert kein Fantasy-Buch.

„Stimmt“, sagt Professor Garou, der genauso erstaunt über meine Antwort ist, wie Sissy, die neben mir sitzt.

Wir hatten bis jetzt noch keine einzige Chemiestunde in der Schule gehabt. Chemie nehmen wir heute zum ersten Mal durch.

„Woher hast du das gewusst? Nyra sieht ziemlich enttäuscht aus“, flüstert Sissy mir zu.

Ich schaue zur vordersten Tischreihe, wo Nyra sitzt. Ich kann ihren Gesichtsausdruck von hier aus zwar nicht erkennen, da sie mir den Rücken zugekehrt hat, aber ich kann ihre Enttäuschung spüren. Professor Garou teilt jedem Schüler ein Buch aus. Er erklärt uns die Eigenschaften des Wassers, während meine Gedanken aus dem Schulzimmer schweben und um Sahiras Körbchen kreisen, unter dem sich immer noch die roten Pfotenabdrücke befinden. Was ist, wenn meine Mom mein Zimmer staubsaugt und Sahiras Körbchen hochhebt? Oder, wenn sie mich fragt, wieso so viel Blut auf der Bettwäsche ist? Wird sie mir glauben, wenn ich behaupte, dass ich meine Tage bekommen habe? Wohl eher nicht. Es ist einfach zu viel Blut. Ausserdem habe ich schon seit sechs Monaten keine Menstruation gehabt. Das weiss meine Mutter natürlich nicht. Meine besten Freundinnen bekommen jeden Monat ihre Tage. Nur ich nicht. Vor sechs Monaten habe ich zum ersten Mal meine Tage gehabt. Es war meine erste und letzte Menstruation. Malia hat mich gefragt, ob ich möglicherweise schwanger bin. Aber das kann nicht sein, denn genau wie Jess, bin ich immer noch Jungfrau. Sissy meint, ich solle zum Frauenarzt und mich dort einer gründlichen Untersuchung unterziehen. Zum Frauenarzt will ich aber nicht gehen. Ich bin nicht so erpicht darauf, mich vor einem Mann bis auf die Unterwäsche auszuziehen.

„Elynne Badrey?“ Professor Garou stützt sich auf meinem Tisch ab und sieht mich eindringlich ein. „Hast du etwas zum Thema beizutragen?“

Ich schlucke schwer. Zu welchem Thema? „Nein.“

«Ich würde aber gerne etwas von dir zu diesem Thema hören», beharrt Professor Garou darauf und verschränkt die Arme vor der Brust.

Einatmen. Ausatmen. Ich schaue Sissy an, die zu ahnen scheint, dass ich überhaupt nicht aufgepasst habe. „Mitternachtsblau“, sprudelt aus mir heraus. Was rede ich da bloss?

„Mitternachtsblau?“ Professor Garou sieht mich überrascht an.

„Die Augen des Wolfes waren mitternachtsblau“, entgegne ich kleinlaut. Schlimmer kann die Situation nicht werden.

„Du hast einen Wolf gesehen?“, fragt mich Professor Garou. Er stützt sich wieder mit den Händen auf meinem Tisch ab und sieht mich interessiert an. „Wo?“

Ja, Ely, wo hast du diesen Wolf mit den mitternachtsblauen Augen gesehen? Und sag jetzt bloss nicht im Wald! Irgendwas sagt mir, dass es keine gute Idee ist, wenn ich den Wald erwähne. Ich überlege kurz. Komm, schon! Denk schneller! „Ich konnte wegen dem Vollmond nicht schlafen. Als ich aus dem Fenster in meinem Zimmer rausgeschaut habe, habe ich den Wolf gesehen. Er stand in unserer Wiese und hat in meine Richtung geschaut.“ Eine grandiose Lüge. Jetzt belüge ich schon meinen eigenen Lehrer.

Professor Garou nickt und geht wieder nach vorne zum Lehrerpult. „Zum Glück warst du nicht draussen. Dieser Wolf hat am Waldweg eine Frau umgebracht.“

Ein Raunen geht durch das Klassenzimmer.

„Woher wissen Sie das?“, will Tamera von unserem Lehrer wissen.

„Ein Freund von mir ist Polizist“, antwortet Professor Garou.

Der hat aber viele Freunde. Er hat sicher einen Freund, der Politiker ist. Vielleicht ist einer seiner Freunde Journalist oder Moderator, so erfährt er immer, was ausserhalb von Tossa geschieht.

„Er hat mir erzählt, dass die Frau auf dem Weg in die Stadt gewesen ist. Kurz vor der Stadt hatte sie eine Autopanne. Der Wolf hat sie regelrecht in Stücke gerissen“, sagt Professor Garou zu seinen Schülern.

Alle sind zutiefst schockiert über diese Neuigkeit. Mir wird schlecht, als ich an das viele Blut auf meiner Bettwäsche denke. War ich das etwa? Aber wie kann das sein? Da läutet die Schulglocke und die ganze Klasse packt schweigend die Schulsachen in den Rucksack. Niemand spricht ein Wort. Ich folge meinen Freunden betroffen aus dem Klassenzimmer. Soll ich mich ihnen anvertrauen und ihnen sagen, was letzte Nacht passiert ist? Aber wie soll ich es ihnen erklären können, wenn ich das Ganze selber nicht so richtig begreife? Wir laufen zur Turnhalle und ziehen uns in der Garderobe um. Ich komme mir wie auf einer Beerdigung vor. Haben meine Mitschüler die Frau etwa gekannt? Aber die wissen doch nicht einmal genau, wer diese Frau gewesen ist. Professor Garou hat uns nicht gesagt, wie die Frau hiess. Wahrscheinlich weiss er es selber nicht. Ich will den Namen der Frau auch gar nicht wissen. Schlimm genug, dass ich sie umgebracht habe. Die Turnhalle in unserer Schule ist sehr gross. Die Sekundarschule Wulfilo hat zwei Turnhalle, die A und B heissen. Die Bodengrundfarbe bei Turnhalle A ist grün und bei B ist sie gelb. Dasselbe gilt für die Decke, die bei Turnhalle A grün ist. Die Turnhallen sind doppelt so gross, wie eine normale Turnhalle. Oft turnen zwei Klassen zusammen. Als wir in die Turnhalle reinkommen, sind Nemuel und seine Freunde schon dort und spielen Basketball. Kyara rennt mit strahlendem Gesicht zu Nemuel. Bixi schlägt Murphy den Basketball aus der Hand und stürmt auf den Korb zu. Wie ein Blitz, schiess ich an ihm vorbei und schnapp mir den Ballen. Ich blinzle verwundert und stehe für einen kurzen Augenblick einfach nur da, den Ball in der Hand. Was habe ich da eben gemacht? Wie kommt der Ball in meinen Besitz? Hatte Bixi ihn nicht noch gerade eben gehabt?

Sissy stellt sich neben mich. „Willst du den Ball nicht abgeben?“

Immer noch verwirrt, gib ich den Ball an Sissy ab, die mit dem Ball nach vorne prellt und eine Täuschung macht, um an Murphy vorbeizukommen. Doch Murphy bleibt hartnäckig und versucht ihr den Ball wegzunehmen. Malia kommt angerannt und stellt sich frei, so dass Sissy ihr den Ball zuwerfen kann. Jetzt ist es Malia, die nach vorne sprintet und den Ball versucht in den Korb zu werfen. Nemuel springt hoch und blockt den Wurf ab. Bixi schnappt sich den Ball und rennt zum gegnerischen Korb. Ich schaue zu, wie mein bester Freund an mir vorbeirennt und den Ball hochwirft. Der Ball prallt am Ring des Korbes ab.

Isaac lacht und joggt zu Bixi, der den Ball aufgefangen hat und den Korb in Visier nimmt. „Brauchst du Hilfe?“

„Das ist ziemlich peinlich“, stellt Bixi kleinlaut fest und richtet seine Aufmerksamkeit auf Isaac.

„Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“, zitiert Isaac schulterzuckend.

„Übung macht den Meister“, sagt Kyara und lächelt Bixi zuckersüss an.

Bixi lächelt sie verlegen an. Ich traue meinen Augen nicht. Stehen die beiden etwa aufeinander? Kyara schnappt sich den Ball und zielt auf den Korb. Doch ich bin schneller und springe in die Luft. Mitten in der Luft schnappe ich mir den Ball und werfe ihn in den Korb. Der Ball geht in den Korb und prallt auf den Boden, während ich mich am Ring festhalte und mit den Beinen in der Luft baumle.

„Was für ein Dunking“, meint Nemuel anerkennend.

„Wir bilden zwei Mannschaften! Bixi und Leyth ihr seid die Mannschaftskapitäne und wählt euch eure Teammitglieder aus. Bixi, du beginnst mit Wählen“, ruft Professor Garou, der soeben in die Turnhalle gekommen ist.

Bixi schnappt sich ein blaues Markierungshemd und Leyth nimmt sich ein Grünes. Ich ziehe mich am Ring hoch und klettere auf das Brett, an dem der Basketballkorb befestigt ist. Von hier oben habe ich eine gute Aussicht auf Bixi und Leyth, die sich die Markierungshemden überziehen.

„Ely“, sagt Bixi und wählt somit als erstes mich in sein Team. Er nimmt das blaue Markierungshemd entgegen, das Professor Garou ihm entgegenstreckt. Mein bester Freund sieht sich um, und lächelt, als er sieht, wo ich bin. „Soll ich es rauf werfen?“

„So ungeschickt wie du wirfst? Nein. Ich komme runter.“ Ich springe runter und ziehe mir das Markierungshemd über.

„Wie bist du hier raufgekommen?“ Kyara sieht mich verblüfft an.

Ich antworte ihr nicht, denn ich bin Kyara keine Erklärung schuldig. Stattdessen blicke ich meinen Bruder an, der mit Wählen dran ist. Er wählt einen seiner Mitschüler aus, den ich nicht kenne. Sein Name ist Cody. Nachdem Cody sich ein grünes Markierungshemd übergezogen hat, ist Bixi wieder dran mit Wählen. Er wählt Nemuel. Am Schluss bleibt nur noch Nyra, die wegen ihres Asthmas beim Basketballspiel besser nicht mitmachen sollte. Wie eine manipulierte Kanone, die ständig die Richtung ändert, flitz ich von einer Seite der Turnhalle A zur anderen und werfe einen Korb nach der anderen. Alle schauen mich völlig verdattert an. Am Schluss gewinnen wir 25:10. Und dabei haben wir nur eine Stunde gespielt.

„Als nächstes spielen wir Völkerball“, verkündet Professor Garou und zieht alle Markierungshemden ein.

Jetzt reissen sich alle um mich. Jeder will mich in seinem Team haben. Diesmal wählen Tamera und Nyra. Tamera beginnt mit Wählen.

„Nemuel“, sagt Tamera lächelnd, deren Team die blauen Markierungshemden bekommt.

Nyra sieht mich an und winkt mich zu sich. „Ely.“

Unser Team schickt Sissy in die Ferien, wie wir es hier nennen. Sissy geht zum hintersten Feld auf der gegnerischen Seite. Professor Garou pfeift mit der Zunge und das Spiel beginnt. Geschickt weiche ich den Softbällen aus, die versuchen mich treffen. Warum zielen die alle nur auf mich? Wie in Zeitlupentempo kommen die Softbälle auf mich zugeschossen. Ein paar Bälle fange ich und ziele auf die Gegner. Keiner aus der gegnerischen Mannschaft schafft es meinen Bällen rechtzeitig auszuweichen. Mein Team jubelt, als wir am Ende gewonnen haben. Professor Garou mustert mich eingehend. Er fragt sich wahrscheinlich, was bei mir nicht richtig läuft.

Als die Schule endlich aus ist, stürme ich Nachhause und gehe mit meinen Lieblingen nach draussen.

„Wie war die Schule? Was habt ihr heute in der Schule durchgenommen?“, erkundigt sich Mom, die sich sehr für die Schule interessiert.

„Ein Wolf hat letzte Nacht sein Unwesen getrieben. Er ist hier in der Stadt herumgestreunt“, erzählt Leyth unseren Eltern beim Mittagessen.

„Dieser Wolf hat eine Frau umgebracht“, sagt Dad und schluckt sein Essen runter. „Das habe ich im Radio gehört. Die hatte anscheinen eine Autopanne, als der Wolf sie angegriffen hat.“

„Professor Garou hat einen Freund, der bei der Polizei arbeitet. Er hat uns erzählt, dass diese Frau von diesem Wolf in Stücke gerissen wurde“, murmle ich.

„Diese arme Frau!“ Mom hält sich schockiert die Hände vor den Mund.

Eine Träne kullert über meine Wange. Ich wische sie mit der Hand schnell weg und räume meinen Teller weg. Was ist nur los mit mir? Als ich in meinem Zimmer bin, schalte ich meinen Laptop an und öffne die Internetseite. Sahira springt auf meinen Schoss und schnurrt. Auf einem Schreibblock notiere ich mir Sachen, die mir in letzter an mir selber aufgefallen sind. Da ich am Nachmittag frei habe, habe ich genügend Zeit, um herauszufinden, was mit mir los ist.

Nur alle sechs Monate Menstruation

Sehr gutes Gehör

Kann gut riechen

Sehr schnelle Reaktion

Kann sehr schnell rennen

Filmriss bei Vollmond

Was noch? Ach, ja, mitternachtsblau. Nachdem ich auch das letzte Wort aufgeschrieben habe, beginne ich alles zu Googeln.

„Zu viel männliche Hormone. Unmöglich! Deshalb kriege ich nur alle sechs Monate meine Periode?“, sage ich leise und recherchiere weiter.

„Der Afrikanische Elefant hat die grössten Ohren. Ein Wüstenfuchs hat ein so guter Gehörsinn, das er sogar Käfer hören kann“, lese ich leise vor. „Ich glaube kaum, dass ich ein Wüstenfuchs bin.“

Das meiste überfliege ich einfach. Ein Satz sticht mir jedoch sofort ins Auge. Hunde und Katzen haben ein feineres Gehör als wir Menschen. „Hunde? Katzen?“

Sahira schaut mich fragend an. Ich streichle ihren Kopf, ehe ich mit der Suche fortfahre.

„Schon wieder Hunde!“, stelle ich fassungslos fest. „Mal schauen, was für Tiere bei der Schnelligkeit kommen.“ Ich klicke auf die oberste Seite auf der Ergebnisliste.

Es überrascht mich nicht, dass der Gepard, der Schnellste ist. „Was? Ein Wanderfalke erreicht 322 Kilometer pro Stunde bei einem Sturzflug? Ich frage mich, wie schnell ein Mensch ohne Fallschirm auf die Erde stürzen kann. Wie schnell kann ich eigentlich rennen? Bin ich schneller, als der Windhund mit seinen70 Kilometer pro Stunde?“

Nach einer Stunde bin ich immer noch nicht schlauer aus mir selber geworden. Ich gebe die Suche auf und öffne eine Onlinezeitung. Mit den Augen überfliege ich die Nachrichten: Ein Erdbeben im Süden, Autounfall wegen Sekundenschlaf oder Alkoholkonsum, Schiesserei in einer Bank, Ausbruch aus dem Gefängnis, Zugunglück in Helvetia und Wolf reisst Frau in Stücke. Den letzten Artikel klicke ich an und lese interessiert den Bericht eines Polizeisprechers. Die getötete Frau hat in Tossa gewohnt und ist gerade auf dem Nachhauseweg gewesen. Sie hat ihre Eltern besucht, die in Helvetia wohnen. Die 32-jährige Frau hielt aufgrund einer Autopanne auf dem Waldweg stehen. Laut der ersten Ermittlungsergebnissen hatte ihr Auto einen Motorschaden. Da die Frau im Wald keinen Empfang hatte, ist anzunehmen, dass sie Hilfe suchen wollte. Sie wollte den Wald mit einer Taschenlampe verlassen, als der Wolf kam und sie in Stücke riss. Woher der Wolf gekommen ist, ist noch nicht bekannt. Ein Wildhüter sagt, dass es in Tossa und in den umliegenden Städten keine Wölfe gibt. Es gibt Zeugen, die den Wolf ebenfalls gesehen haben. Ihnen ist jedoch nichts passiert. Ich denke an Bixis Vater, der aus seinem Auto ausgestiegen ist. Er hatte so grosses Glück, dass der Wolf unter Schock gestanden hat. Eine Blutspur führt zu einem roten Haus, dass sich einige Meter vom Wald entfernt befindet. In dem Bericht steht, dass die Pfotenabdrücke eines Wolfes bis zu einem Zimmerfenster reichen. Komischerweise hört die Spur vor diesem Zimmerfenster auf. Die Polizei wird demnächst das Zimmer des Mädchens durchsuchen müssen. Ist der Wolf in ihr Zimmer reingesprungen? Hat er dort möglicherweise seine Spuren verwischt?

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