Kitabı oku: «Erinnerung an meine Jahre in Berlin», sayfa 2

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In ziemliche Verlegenheit kam ich, als ich einen jungen jüdischen Kaufmann wegen Betruges zu verteidigen hatte. Es war eine überaus raffinierte Sache, die er angestellt hatte, und die er auch zugestand. Nun war die einzige Möglichkeit die, vor dem Gericht mildernde Umstände zu erwirken, und zwar wegen seiner offenbaren geistigen Minderwertigkeit. Wie vertrug sich das aber mit jenem Raffinement? Ich kam auf den Gedanken, ihn zu fragen, welche Zeitungen er zu lesen pflegte, und in einem dieser Blätter, dem „Pester Lloyd“, fand ich den Bericht über einen raffinierten Betrug, der genau in derselben Weise ausgeführt war, wie der jetzt zur Verhandlung stehende, nur mit dem Unterschied, daß der Täter in Budapest nicht gefaßt war, während mein Klient durch sein Ungeschick ins Unglück geraten war. Ich klärte so die Sache auf, und der junge Mann kam mit der verhältnismäßig geringen Strafe von sechs Monaten davon. Ich erinnere mich, daß die entzückende Braut des jungen Mannes, die später eine bekannte „spanische“ Tänzerin wurde, ihrem Vater, einem alten Justizrat in Berlin, das Urteil in neckischer Weise beibrachte, indem sie ihm erst erzählte, ihr Verlobter hätte drei Jahre bekommen, und dann allmählich über zwei Jahre und ein Jahr zu dem wahren Resultat kam, worüber sich der alte Herr vermutlich sehr gefreut hat.

Nun will ich bei dieser Gelegenheit einen anderen kuriosen Fall erzählen, bei dem ich auch Dummheit als Milderungsgrund geltend machte. Der Fall ist deshalb interessant, weil hierbei in drastischer Weise das Problem in Erscheinung tritt, das so oft zu jener Frage Anlaß gibt, die immer wieder Verteidigern von Laien vorgelegt wird: Ist es für Sie nicht eine große Verlegenheit, wenn Sie einen Angeklagten verteidigen müssen, der seine Schuld leugnet, von dessen Schuld Sie selbst aber überzeugt sind? Dieser Konflikt tritt übrigens nicht so häufig auf, wie man sich im Publikum gewöhnlich vorstellt. Vor allem ist kaum ein Verbrecher so töricht, etwa, wenn er vor Gericht die Schuld bestreitet, diese seinem Verteidiger einzugestehen. In solchem Falle freilich bliebe dem gewissenhaften Anwalt nichts anderes übrig, als die Verteidigung niederzulegen. Wenn aber der Verteidiger im Gegensatz zu der Behauptung des Angeklagten doch zu der Ansicht hinneigt, daß eine Schuld vorliegt, darf er sich nicht wohl seinem eigenen Empfinden überlassen, sondern hat die Pflicht, die für den Angeklagten sprechenden Momente vorzubringen und dem Gericht die Entscheidung und die Verantwortung zu überlassen, es sei denn, daß er ganz zweifellos von der Schuld überzeugt ist. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen der Verteidiger trotz des Leugnens des Angeklagten es für seine Pflicht hält, seiner Überzeugung von der Schuld Ausdruck zu geben, sich also von seinem Mandanten zu distanzieren.

Bei dem Fall, den ich jetzt erzählen werde, handelt es sich um ein ganz geringfügiges Vergehen, für das nach dem juristischen Tarif der Täter vielleicht mit 2 – 4 Wochen Gefängnis bestraft worden wäre. Der betreffende Angeklagte, ein russischer Jude, saß auf der Anklagebank völlig apathisch und teilnahmslos, – allem Anschein nach war er taubstumm und idiotisch. Das Gericht hatte aber einigen Verdacht, daß er simulierte und ordnete darauf eine Untersuchung durch den Gerichtspsychiater an: Der Mann wurde auf sechs Wochen zur Beobachtung in die Klinik überwiesen. Ferner beschloß das Gericht, ihm einen Verteidiger zuzuordnen; zum Verteidiger wurde ich ernannt. Ich sah den Ange­klagten zum ersten Mal bei der neuen Verhandlung und nahm ihn in eine Ecke des Gerichtssaales, während das Gericht über das Urteil in der vorhergehenden Sache beriet. – Ich sagte ihm, der mich blödsinnig angrinste, ungefähr folgendes: „Lieber Freund, ich weiß nicht, ob Sie ein Wort von dem, was ich sage, verstehen. Wenn Sie sich aber nur verstellen und so tun, als ob Sie verrückt wären, dann sind Sie’s wirklich. Sie laufen Gefahr, auf ewige Zeiten ins Irrenhaus gesperrt zu werden, während Sie, wenn Sie ihre Vorstellung aufgeben und ihre Tat eingestehen, höchstens ein paar Wochen Gefängnis bekommen und vermutlich längst frei wären, während Sie jetzt schon zwei Monate sitzen. Haben Sie mich verstanden?“ – Der Mensch zwinkerte mir verständnisvoll zu. Jetzt also im Klaren über seine Simulation, schärfte ich ihm ein, gleich zu Beginn der Verhandlung seine Komödie aufzugeben. Wie groß aber war mein Schrecken, als die Verhandlung begann, und der Angeklagte nach wie vor weiter simulierte. Da war ich nun wirklich in größter Verlegenheit. Ich wußte doch, daß er simu­lierte, durfte aber nach den strengen Vorschriften für Anwälte keineswegs diese meine Wissenschaft dem Gericht mitteilen. Weiter konnte ich aber auch nicht, ohne den Mandanten zu schädigen, in diesem Moment das Mandat niederlegen, ganz abgesehen davon, daß ich ja nicht ein gewählter, sondern ein von Amts wegen bestellter Verteidiger war. Nach dem ersten Schreck sagte ich mir aber, daß ja der Gerichtspsychiater die Wahrheit enthüllen und mich so aus der Verlegenheit befreien werde. Aber nun geschah das Erstaun­liche, daß der Psychiater in lichtvoller Weise darlegte, daß von Simulieren keine Rede sein könne, und daß die angestellten Experimente mit voller Sicherheit erwiesen hätten, daß der Angeklagte wirklich taubstumm und idiotisch sei. Nun saß ich wirklich in der Tinte. Der alte Amtsgerichtsrat aber, der die Verhandlung leitete, schmunzelte verdächtig und rief zu meiner Überraschung noch einen Zeugen, den Wachtmeister Schmidt, auf, der sich selbst gemeldet hatte. Dieser sagte kurz und bündig: „Als ich nach der letzten Verhandlung den Angeklagten ins Gefängnis zurückbrachte, drehte er sich lachend um und sagte: ‚Habe ich das nicht gut gemacht?‘“ – Das erregte stürmische Heiterkeit und eine für den Angeklagten eher sympathische Stimmung. Der Amtsanwalt beantragte zwei Wochen Gefängnis, und ich als Verteidiger sagte, die heitere Stimmung ausnutzend: „Geben Sie ihm ruhig drei Wochen, aber lassen Sie das als durch die Untersuchungshaft verbüßt ansehen!“ – So geschah es dann auch, und der arme Schlucker konnte nach Hause gehen.

Ein zu rechter Zeit angebrachter Scherz, der die Eintönigkeit und Düsterkeit der Atmosphäre wohltuend unterbricht, kann bisweilen Wunder wirken. So handelte es sich einmal in einer erbitterten Mietsverhandlung darum, ob die betreffende Räumlichkeit eine Privatwohnung, wie der Gegner behauptete, oder ein Geschäftsraum, wie mein Klient darstellte, sei. Er behauptete, darin eine Schusterei zu betreiben, während der Gegner sagte, das sei nur eine Fiktion. Letzterer brachte einen Zeugen, der aussagte, er sei gegen Mittag in die angebliche Schusterei gekommen. Dort hätte mitten im Raum die Frau im Bett geschlafen. Das sei doch offenbar keine Werkstatt. Darauf sagte ich: „Der Zeuge hat übersehen, daß vor dem Laden ein Schild steht mit dem ausdrück­lichen Hinweis: ,Verkauf ab Lager‘.“ – Die gegenseitige Erbitterung löste sich in Heiterkeit auf, und es war jetzt nicht schwer, einen angemessenen Vergleich zu finden.

So viel Freude mir die Tätigkeit eines Verteidigers machte, habe ich doch nach dem Eintritt von Alfred Klee in die Praxis nur noch ausnahmsweise Verteidigungen geführt, diese vielmehr ganz und gar meinem Freunde überlassen, der ausschließlich Strafpraxis machte. Denn Alfred Klee war als Vertei­diger geradezu genial. Es fehlte in Berlin nicht an tüchtigen Verteidigern, an deren Spitze damals, nachdem Fritz Friedmann schon vor Jahren infolge einer peinlichen Affäre ausgeschieden war, die Justizräte Sello und Wronker standen. Alfred Klee hatte seinerzeit seine Anwaltsstation bei Wronker absolviert und von ihm die Tradition des vornehmen alten Advokatenstils übernommen. Bei aller Energie, mit der er für seine Schutzbefohlenen eintrat, hat er nie vergessen, daß zwischen Angeklagtem und Verteidiger eine Distanz besteht. Er hat nie die Würde des Gerichtssaales verletzt und vor allem nie zu unwürdigen Werbemitteln gegriffen. Gerade dadurch unterschied er sich wohltuend von einer großen Fülle von Verteidigern in Moabit, deren Verhalten geeignet war, den Ruf des Anwaltsstandes zu schädigen. Bei vielen dieser Herren war es geradezu Übung geworden, wenn irgendein interessanter Kriminalfall Aufsehen erregte, auf irgendwelchen Wegen sich um die Verteidigung zu bewerben und geradezu das Interesse des Angeklagten zu schädigen, dadurch daß sie die Presse, auch wenn die Sache noch im vorbereitenden Stadium war, mit Notizen versorgten, während es doch meistenteils gerade im Interesse der Betroffenen war, möglichst im Dunkeln zu bleiben. Die Journalisten waren natürlich für solche Tips dankbar und wußten, sich dadurch zu revanchieren, daß sie die Namen der betreffenden Verteidiger möglichst oft in die Presse brachten und den Verhandlungen, an denen diese Herren beteiligt waren, besondere Aufmerksamkeit schenkten. In unserer Praxis, und nicht nur in der Strafpraxis, war es ganz außer Frage, sich solcher nach unserer Auffassung unwürdiger Manipulationen zu bedienen, und so gelang es uns sehr oft, Affären, die, in die Öffentlichkeit hinausgetragen, Sensationsaffären geworden wären, in aller Stille zu glücklichem Ende zu führen, so daß es überhaupt oft nicht erst zu einer Verhandlung kam.

Die forensische Beredsamkeit von Alfred Klee war von einer ganz besonderen Art. Als zionistischer Agitationsredner war er in jüdischen Kreisen, zumal in Westeuropa, allerorten bekannt. Seine mitreißende, feurige Beredsamkeit war einfach unwiderstehlich. Selbst der Widerwilligste, sich gewaltsam Sträubende konnte sich dem Bann, der von ihm ausging, nicht entziehen. Das ging nun freilich soweit, daß diese phänomenale, fast zauberhaft zu nennende Wirkung seiner Worte gerade intellektuelle und skeptische Hörer bisweilen bedenklich stimmte. Man fragte sich, ob es nicht nur der Zauber seiner Persönlichkeit, der Klang seiner Stimme, die meisterhafte rhetorische Art waren, die den Hörer fingen, – ob er nicht statt zu überzeugen überredete. Was steckte hinter dem blendenden Feuerwerk, hinter der glänzenden Fassade? War es nur der Künstler, der begeisterte? Man wappnete sich gegen diese suggestive und mystische Kraft. – Aber er war mehr als ein Feuerwerker des Wortes. In den Jahrzehnten, in denen ich mit ihm in engster Freundschaft verbunden Tür an Tür arbeitete, lernte ich den echten Klee kennen, der bei aller Freude an Wirkung und Effekt der Idee des Zionismus innerlich verbunden war. Wie hätten sich die liberalen Juden Berlins um ihn gerissen, wenn er sich dazu hergegeben hätte, in ihren Versammlungen, bei ihren Banketten, seine Rednergabe zu bewähren. Aber er hat in seiner Zeit, als noch der Zionismus verpönt war, seine Vertreter boykottiert wurden, gleich nach dem Auftreten Herzls sich in den Dienst der zionistischen Sache gestellt. Unermüdlich raste er – kann man sagen – durch Deutschland, um für die Idee zu werben. So wurde er der Feind Nr. 1 der Assimilation, und erst viel später, als die zionistische Flut nicht einzudämmen war, als wir die Gemeindestuben eroberten, wurde er auch von jener Seite anerkannt. – In seiner Verteidigertätigkeit eröffnete sich nun für ihn ein neues Wirkungsgebiet. Er war keineswegs nur ein Redner, sondern, mit wunderbarem Fingerspitzengefühl begabt, wußte er stets in jeder Situation die rechte Einstellung und das rechte Wort zu finden. – Es ist vielleicht nichts charakteristischer für den Zauber, der von ihm ausging, als daß ich selbst, der ich ihn doch unzählige Male in Versammlungen gehört hatte, wenn es mir nur irgend möglich war, zu Strafverhandlungen ging, in denen er verteidigte. Fast immer geschah es schon kurz nach Beginn der Verhandlung, daß er der leuchtende Mittelpunkt des forensischen Theaters wurde. Die Art, wie er ein Zeugenverhör zu führen wußte, und wie er in einem Schlußplädoyer plan- und lichtvoll zu plädieren verstand, war einfach unübertrefflich, und auch abgebrühte, pedantische Richter konnten sich seiner Redekunst und der Logik seiner Darlegung nicht entziehen. Mehrfach war es vor­gekommen, daß nach seinem Plädoyer der Verteidiger der Anklagebehörde, der vorher den Schuldspruch beantragt hatte, sich erhob und erklärte, die Darlegungen des Verteidigers hätten ihn überzeugt, er beantrage auch seinerseits Freispruch. Ich möchte eine groteske Äußerung anführen, die vielleicht in ihrer Ursprünglichkeit am besten die Wirkung zeigt, die von ihm ausging. Da war der Gentleman-Einbrecher S., der u. a. den ziemlich berühmt gewordenen Juwelenraub in der Potsdamer Straße von seinem Büro aus dirigiert hatte, der nach Klees Plä­doyer ihm sagte: „Dr. Klee, ich weiß, ich wandere jetzt auf Jahre ins Zuchthaus. Aber es lohnt sich, weil ich dafür Ihre Rede gehört habe.“ – Für seine Geis­tesgegenwart und Schlagfertigkeit nur ein Beispiel: Da stand ein alter Jude vor Gericht, der beschuldigt war, sich an einem kleinen Schulmädchen unsittlich vergangen zu haben. Der Mann war ganz bestimmt unschuldig. Aber nichts ist gefährlicher als die Aussagen von Kindern vor Gericht. Von alten Weibern beiderlei Geschlechts monatelang durch Suggestiv-Fragen beeinflußt, sagt das Kind schließlich im besten Glauben vor Gericht aus, und niemand zweifelt an der Wahrheit des unschuldigen Engels. (Ärzte und Schullehrer wissen darüber zu berichten.) – Die Sache sah recht trübe aus. Doch der Vorsitzende ließ zu Beginn der Vernehmung das Kind an den Richtertisch treten, gab ihm freundlich die Hand und fragte dann, auf den Angeklagten zeigend: „Nun, mein Kind, kennst Du diesen Mann?“ – Da sprang Klee, der seinen Platz vor der Anklagebank hatte, dazwischen und sagte freundlich: „Nicht wahr, mein Kind, Du kennst mich?“, worauf das Kind treuherzig mit „ja“ antwortete. Der Staatsanwalt tobte, aber damit war der Angeklagte gerettet. – Beiläufig, der berühmte Strafrechtslehrer Professor von Liszt pflegte in seinem Kolleg diese Geschichte als Beispiel der Geistesgegenwart seinen Hörern zu erzählen.

Klee war sich natürlich seiner Wirkung bewußt, und bisweilen machte er gewagte und amüsante Experimente, wenn eine Verhandlung gar zu trocken war. Ich erinnere mich, daß er als Verteidiger in einer Schwurgerichtsverhandlung, als das Redegeplänkel gar zu langweilig dahinfloß, mir ins Ohr flüsterte: „Es ist zu langweilig. Soll ich drüben die Kerls (nämlich die Herren Geschworenen) mal weinen lassen?“ Und siehe da, er erhob sich, – und nach wenigen Augenblicken wurden drüben die Schnupftücher gezogen und geräuschvoll die Nasen geschneuzt.

III.

Ich war also wieder in Berlin, und damit auch im zionistischen Milieu, nicht mehr vereinsamt in übelwollender Umgebung, sondern ich fand hier einen großen Kreis von Gesinnungsfreunden. Das Zentrum zionistischen Lebens war damals das „Café Monopol“ am Bahnhof Friedrichstraße und blieb es auch noch lange Zeit, bis später nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zuge nach Westen folgend, auch die sonst nach Osten tendierden Zionisten zum Kurfürstendamm – erst in das alte „Café des Westens“ und dann in das „Romanische Café“ – übersiedelten. Damals aber wußte jeder von auswärts kommende Zionist, daß, wenn er seine Schritte ins „Monopol“ lenkte, er zu jeder Tageszeit dort Gesinnungsfreunde traf und alles Neue aus der zionistischen Welt und allen zionistischen Klatsch erfahren konnte. Das gelesenste und begehrteste Blatt war dort die gelbe „Welt“, das offizielle zionis­tische Organ. (Franz, der Oberkellner, der neben dem schönen Eduard die Gäste betreute, später die leitende Seele im „Romanischen Café“, pflegte zu fragen, wenn die „Welt“ begehrt wurde: „Die Welt am Sabbat“ oder die „Welt am Montag“? – In jedem Falle war es, „nicht die Welt, in der man sich langweilt“. Damals thronte dort als „ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht“ die gewichtige Gestalt von Bertha Meierowicz, der Administratorin der „Jüdischen Rundschau“. (Böswillige behaupteten, daß der Name für das große deutsche Geschütz, die „Dicke Bertha“ im Hinblick auf sie gewählt wäre.)

Die zionistische Vereinigung für Deutschland entwickelte sich hauptsächlich infolge der organisatorischen Tüchtigkeit von Arthur Hantke, der Bodenheimer im Amte folgte, als der Sitz der Organisation nach Berlin verlegt wurde. Die Versammlungen der Berliner Zionistischen Vereinigung wurden immer mehr Ereignisse im jüdischen Leben Berlins, was zum großen Teil das Verdienst von M. A. Klausner war, der unermüdlich in allen größeren Versammlungen als Gegenredner auftrat.

Eine besonderes charakteristische Figur unter den deutschen Zionisten war der Bankier Hans Gidon Heymann, eine urwüchsige Persönlichkeit, in seinem Auftreten eher an einen ostelbischen Junker erinnernd. Seine geradezugehende ehr­liche Art machte ihn ebenso sympathisch, wie seine mimosenhafte Empfindlichkeit und seine brüske Art der Reaktion gegnerischer Ansicht gegen­über die Arbeit mit ihm erschwerte. Es ging kaum eine Tagung vorüber, in der er nicht an die Rampe trat, um mit mühsam unter­drückter Erregung, aber in feierlicher Betonung jedes Wortes, die Erklärung abzugeben: „Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mit diesem Moment aus der Zionistischen Organisation für Deutschland austrete.“ – Man nahm diese Mitteilung stets mit Fassung entgegen, denn man wußte aus Erfahrung, daß er schon wenige Minuten danach, als ob nicht geschehen wäre, sich eifrig wie je an der Arbeit beteiligen würde.

Eine Zeitlang habe ich als Vorsitzender der Ortsgruppe Berlin die Versammlungen geleitet. Ich muß gestehen, daß ich gerade an der Leitung stürmischer Versammlungen ein großes Vergnügen wohl mehr sportlicher Art empfand. Es ist wohl die Leitung einer Versammlung, in der sich widerstrebende Elemente befinden, in gewissem Sinne mit der Leistung eines Orchesterdirigenten zu vergleichen, nur muß eben der Präsident verstehen, auch die opponierenden Elemente, die Gegenreden sowohl wie die Zwischenrufe und etwaigen Radautöne doch dem Ensemble sich eingliedern zu lassen. Es gab interessante Gegner genug, Männer wie Motzkin, Schmarjahu Levin, Martin Buber, Berthold Feiwel, neben den eingesessenen Berliner Stars Klee, Loewe, Friedemann. Ein besonderes Vergnügen machte es mir, wenn jener vielfach erwähnte Gegner unserer Sache, M. A. Klausner, auf der Tribüne erschien und zumal, wenn es ein Rededuell zwischen ihm und Heinrich Loewe gab. Man erzählt, – ich erinnere mich persönlich nicht an diesen Vorfall, daß Klausner einmal Loewe persönlich angriff – etwa mit den Worten: Es ist ein Mann im Saal, dessen Existenz ich für das größte Unglück für uns deutsche Juden halte, – und daß Loewe schlagfertig dazwischen rief: „Sie vergessen sich!“ – Als ich Klausner einmal wegen seiner Ausfälle zur Ordnung zu rufen gezwungen war, erhielt ich andern Tags von ihm einen Brief, in dem er sich wegen seines Verhaltens entschuldigte und mich sogar ob meiner korrekten Art der Versammlungsleitung bekomplimentierte, damit freilich eine Werbung für seine Organisation verbindend. – Auch in den internen Versammlungen gab es interessante Redeschlachten. In jenen Jahren war der „Kulturkampf“ noch nicht vorbei, dessen Auftakt auf dem V. Kongreß ich [im ersten Band der Erinnerungen] geschildert habe. Von ortho­doxer Seite wurde insbesondere eine heftige Polemik gegen die Entwicklung des Schulwesens in Palästina geführt. Insbesondere dagegen, daß an dem dortigen Gymnasium Bibelkritik getrie­ben wurde. In einer solchen Versammlung trat nach den konservativen Rednern, deren Hauptver­treter Hermann Struck war, auch Adolf Friedemann als Beschützer der religiösen Tradition auf. Nun kam Adolf Friedemann aus den Kreisen der Berliner Reform und war nichts weniger als gesetzestreu. Gerade aber zurück von einer Reise nach Palästina, die er in Gesellschaft von Hermann Struck gemacht hatte, stand er wohl noch unter dem Einfluß seines Freundes. Levin erwiderte. Nachdem er mit Struck sich auseinandergesetzt hatte, wandte er sich der Abrechnung mit Friedemann zu, indem er nach seiner Art eine Geschichte erzählte: „Vor einiger Zeit“, sagte er, „habe ich auf einem Rummelplatz in der Elsässer Straße eine Bude besucht, in der Neger wilde Schwerttänze aufführten. Als ich kürzlich vorüberkam, war das früher so besuchte Etablissement leer. Ich fragte den traurig vor seiner Bude stehenden Besitzer, woher das komme, worauf dieser antwortete: ‚Ja, in der Lothringerstraße hat sich eine Konkurrenz aufgemacht. Die Neger dort schreien und springen und lärmen noch mehr als meine. Der Unterschied ist nämlich der: meine Schwarzen sind echt, und jene sind gar nicht wirklich schwarz‘.“

Auch bei den Assimilanten herrschte lebhafter Betrieb. Es hatten wohl gerade die zionistischen Erfolge dort aufstachelnd gewirkt. Besonders das Angebot der englischen Regierung Uganda betreffend lenkte die Aufmerksamkeit auch fernstehender Kreise auf die zionistische Bewegung. Nun konnte wohl nicht mehr geleugnet werden, daß sie ernst genommen wurde. Man mußte so auch ein Gegengewicht gegen die Brüsseler Konferenz schaffen. Der „Hilfsverein der deutschen Juden“ (Dr. Paul Nathan) und „Die Deutsche Konferenzgemeinschaft der Alliance Israélite Universelle“ (M. A. Klausner), die sich schwer bekämpften, konkurrierten um die Gunst der deutschen Juden. Es wurde eine sogenannte Notabelnkonferenz einberufen, die nun im Gegensatz zu den demokratischen Veran­staltungen der zionistischen Kongresse die Elite der deutschen Judenheit, insbesondere die Elite des deutsch-jüdischen Kapitals, vereinen sollte. Ich schrieb damals eine Tannhäuser-Parodie, zu der Salomon Hildesheimer die Melo­die machte, und in der jene Veranstaltung gehörig persifliert wurde. Da wurde bei dem Sängerstreit von den betreffenden Parteigängern die deutsche Hymne oder die Marseillaise gesungen, und als dann „der Sünde fluchbeladener Sohn“, nämlich der Zionist, die jüdische Melodie anstimmte, wurde er schmählich hinausgewiesen, und Tannhäuser, der sich eine Zeitlang in dem Venusberg bei der Venus Itoisia verirrt hatte, kehrte reumütig auf dem Wege, der zur War(t)burg führte, zurück, und die Stäbe der ruhelos umherirrenden Schnorrer- oder Pilgerschar schlugen, in den Boden des Heimatlandes gepflanzt, aus und wurden fruchttragend. Hildesheimer hatte es wundervoll verstanden, alle möglichen Schlagermelodien kontrapunktisch mit Wagnerischen Motiven zu verbinden.

Solche parodistischen Aufführungen wurden Jahr für Jahr veranstaltet. Die Texte schrieb ich gemeinsam mit Lazarus Barth und Hildesheimer (G.M.B.H. – Gronemann mit Barth und Hildesheimer), und letzterer, der unter dem Spitznamen „Pom“ ging, machte die Musik dazu (C’est la Pom qui fait la musique.)

Meine zionistische Tätigkeit rief mich oft nach Köln zu Sitzungen des deutschen Zentralkomitees oder auch des Aktions­komitees, das David Wolffsohn leitete. Die Sitzungen fanden gewöhnlich in dem Hotel Disch statt, und dort tauchte auch regel­mäßig einer der ständigen Besucher der Kongresse auf, der seltsame junge Gelehrte Dr. Waldenburg. Dieser, ein Nachfolger Galls, hatte sich auf das Messen von Schädeln verlegt und schien im Begriff, eine neue Disziplin zu schaffen. Er hatte einen seltsamen Apparat konstruiert, den er unerbittlich jedem, der ihm in den Weg lief, auf den Kopf stülpte, um dann gewissenhaft die gewonnenen Meßresultate aufzuschreiben. Dieser Apparat hatte die Tücke, daß man sich von ihm nicht selbst befreien konnte. – Ich erinnere mich noch des Dr. Hahn aus Paris, wie er auf einem Kongreß entrüstet herumlief und allen Leuten zeigte, welche Wun­den ihm an seinem kahlen Schädel Waldenburgs Maschine beigebracht hätte. – Einmal kam ich in einem Nebenraum des Hotels Disch dazu, wie Schmarjahu Levin unter diesem Apparat stöhnte. Eiligst holte ich einige Damen herbei, – Frau Bodenheimer, Frau Weizmann – und schmiedete mit ihnen ein Komplott. Sie verwickelten Waldenburg, der ein sehr höflicher Mann war, in ein Gespräch, und er setzte in seiner überaus langsamen Sprechweise seine Methoden auseinander, während sie ihn langsam und unmerk­lich aus dem Zimmer leiteten. Levin fluchte und schrie vergeblich um Hilfe, in den Klammern jenes furchtbaren Appa­rates, bis schließlich Waldenburg sich doch seines Gefangenen erinnerte. – Übrigens hatte Waldenburg seinerzeit eine höchst gelehrte Broschüre veröffentlicht, betitelt „Die isocephale Rassen­theorie bei Hallig-Friesen und taubstummen Juden“. Er hatte sich zu Studienzwecken monatelang auf einer Hallig-Insel in der Nordsee niedergelassen, um durch Schädelmessen bei der Friesischen Bevölkerung, den typischen Germanen, Material für seine Theorie zu finden, daß nämlich der entartete jüdische Schädel ungefähr auf derselben Stufe stände wie der beste deutsche. Er war überzeugt, daß dieses Buch in keinem jüdischen Hause fehlen würde. Aber diese Erwartung erfüllte sich kaum, trotzdem jenem Werk ein gewaltiger Stammbaum einer friesischen Bauernfamilie als besondere Anziehung beigegeben war.

Für den Geist oder Ungeist, der in sogenannten liberalen Kreisen damals herrschte, ist wohl nichts bezeichnender als die Affäre des Rabbiners Emil Cohn. Emil Cohn, einer der wenigen zionistischen Rabbiner, hatte an einer Gedächtnisfeier für Herzl teilgenommen und wurde deshalb vor den Vorstand der Gemeinde zitiert. Als er das Recht der Rede- und Meinungsfreiheit für sich als Rabbiner in Anspruch nahm, erklärte ihm der Vorsitzende der Gemeinde, Herr Jacobi, brüsk: „Sie stehen bei uns in Lohn und Brot“ und bestritt ihm das Recht eigener Meinung. Da Cohn sich weigerte, sich zu unterwerfen, wurde er entlassen. Es setzte, und nicht nur bei den Zionisten, ein Sturm der Entrüstung ein, der auch in der nichtjüdischen Presse sein Echo fand. Franz Oppenheimer trat für den gemaßregelten Rabbiner ein, und sogar Maximilian Harden glossierte in einem Artikel „Rabbi Cohn“ das seltsame Verhalten der so reaktionären „Liberalen.“ In der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde gab es eine Interpellation. Der Syndikus der Gemeinde, Herr Justizrat Lilienthal, versuchte den Standpunkt des Vorstandes zu rechtfertigen. Unter anderem sagte er, – und diese Äußerung scheint mir charakteristisch für die seltsame Einstellung jener Zeit: „Herr Rabbiner Cohn, sagt, daß er über die Persönlichkeit Dr. Herzls gesprochen habe, ohne den Zionismus hervorzuheben. Kann man sich vorstellen, daß jemand über Kaiser Friedrich III. spricht, ohne über seine Stellung zum Antisemitismus zu sprechen?“ Diese merkwürdig kleinliche Auffassung, daß die Judenfrage auch für die Nichtjuden etwas so ungeheuer Wesentliches sei, hat sich bis in unsere Tage erhalten. Wenn die größten und schwierigsten Fragen der Weltpolitik auf der Tagesordnung stehen, glauben wir kleine jüdische Gemeinschaft sehr oft, daß unsere Angelegenheiten für die anderen ebenso wichtig sind wie für uns, während doch unser kleines Schiffchen neben den gewaltigen Riesenschiffen verschwindet. Ich muß da immer an eine Episode aus meiner Kindheit denken: Da wechselten wir die Wohnung, und als die Riesenkerle von Packern die gewaltigen Möbelstücke in den Wagen schoben, kam unser Kinderfräulein mit einem kleinen Fläschchen heran, reichte es den Riesen herüber: „Ach, bitte, sehen Sie doch zu, daß das Fläschchen nicht umfällt.“

Unter den Veranstaltungen, die wir in Ausnutzung der Affäre Cohn machten, ist mir eine Versammlung in der Viktoria-Brauerei in besonderer Erinnerung. Als Redner trat dort M. A. Klausner, unser erbitterter Gegner auf, der es aber in diesem Fall für seine Pflicht hielt, gegen jenen Vorstoß gegen die Gewissens- und Meinungsfreiheit aufzutreten. Der so überaus charakteristische Beginn seiner Rede ist mir wörtlich im Gedächtnis geblieben. Er sagte: „Es ist hier in Berlin schon feststehende Übung geworden, daß immer, wenn ein Apostel des Zionismus erscheint, ich nach ihm die Rednertribüne betrete, um ihn zu bekämpfen. Wieder ist ein Apostel des Zionismus aufgetreten in der Person des Herrn Syndikus Lilienthal; denn niemand kann den Zionisten jemals solch gute Propagandamittel liefern, wie es seine Rede getan hat. Als ich ihn hörte, erinnerte ich mich eines Vorkommnisses aus meiner Kindheit: damals erschien in meinem Heimatort in einer Schwurgerichtsverhandlung ein berühmter Verteidiger aus Berlin. Er hielt ein glänzendes Plädoyer, das mich aber einigermaßen befremdete. Ich wagte es, nach der Verhandlung an ihn heranzutreten und ihn zu fragen, wie es nur käme, daß er in seiner Rede über das Thema wenig gesagt hätte, sondern seine Redekunst über alle möglichen ganz außerhalb liegenden Dinge sich hätte verbreiten lassen. Der berühmte Advokat sagte mir: ‚Lieber junger Freund, es kam mir heute vor allem darauf an, die Herren Geschworenen mewulwel zu machen.‘ – „Ich sehe“, schloß Klausner diese Periode, „daß diese Tradition von Herrn Justizrat Lilienthal mit Erfolg fortgesetzt wird.“

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