Kitabı oku: «Handeln mit Dichtung», sayfa 5

Yazı tipi:

2.2.5 Performativität und Rhetorik – eine Abgrenzung

Wie meist bei der Arbeit mit neuen Theorie- und Methodenansätzen stellt sich die Frage nach dem Gewinn, der mit ihrer Anwendung zu erwarten ist. Zwar ist ein performativitätsgeleiteter Ansatz in der Mediävistik nicht mehr wirklich neu, doch gerade in der Skandinavistik gibt es noch nicht übermässig viele Arbeiten dazu. Es ist daher zu prüfen, was genau diesen Ansatz für die skandinavistische Mediävistik produktiv macht und wie ältere Forschung darin integriert und weitergeführt werden kann. Es sollte für jede Untersuchung neu entschieden werden, wo die Unterschiede zu etablierten Theorien sind und ob diese allenfalls bessere Analysewerkzeuge darstellen.

Dass Texte (oder allgemeiner: Sprache) vielfältig auf die aussertextuelle Welt einwirken und sie auch verändern können, ist nicht erst seit dem Nachdenken über das Performative bekannt. Bereits antike Poetiken weisen auf die „kulturstiftende Potenz der Dichtung“1 hin. Um die wirklichkeitsverändernde Macht von Sprachhandlungen geht es zu einem grossen Teil auch in der antiken Rhetorik. Andreas Hetzel betont denn auch die Herkunft des Performativitätsdiskurses aus der klassischen Rhetorik:

Obwohl genuin moderne Begriffe, betonen ‚Performativität‘ und ‚Performanz‘ einen Grundzug des Redeverständnisses der klassischen Rhetorik. Der λόγος gilt den antiken Rhetorikern wesentlich als wirkender Vollzug; er verändert Einstellungen und Situationen, insofern ist er eine wirksame Praxis. Weite Teile des klassisch-rhetorischen Sprachdenkens antizipieren die zeitgenössischen Theorien des Performativen und der Performanz, die sich ihrer rhetorischen Vorgeschichte selten bewusst sind.2

Hetzel zeichnet die Vorgeschichte des Begriffs nach und vermutet, sie reiche so weit zurück, wie die menschliche Reflexion auf das Reden selbst.3 Einen Vorgänger des Performativen im Sinne Austins macht er in der stoischen Dialektik aus:

So wird Rede in Rhetorik und Logomystik dezidiert als welterzeugende Kraft interpretiert: beide Traditionen richten sich gegen die intellektualistische Idee der Sprache als System oder Kompetenz, die dem gewöhnlichen, verkörperten, Wirkungen zeitigenden und schöpferischem Reden vorausginge.4

In der klassischen Rhetorik der Antike falle der λόγος mit seiner Wirksamkeit zusammen, so Hetzel. Rhetorik könne dabei insgesamt als Vollzugsform von Performativität gelesen werden: „sie lehrt dem Redenden, wie er redend Verständiges über Praxis sagen und durch Reden handelnd auf sie einwirken kann.“5 Über Performativität werde in den klassischen Lehrbüchern im Rahmen aller fünf Produktionsstufen der Rede nachgedacht. Am wichtigsten sei sie allerdings in Bezug auf die actio:

Ein zuvor gedanklich und/oder schriftlich konzipiertes (inventio, dispositio) und ausgearbeitetes (elocutio) ‚Stück‘ (Rede, Drama, Musikstück, Aktionskunststück) wird ‚aufgeführt‘, ‚inszeniert‘, in eine wahrnehmbare Handlung (Vortrag, Konzert, performance) umgesetzt.6

Es ist wichtig, die Rhetorik als Vorgeschichte des Performativitätsbegriffs ernst zu nehmen, gerade wenn man den Begriff auf ein gelehrtes Werk wie die Prosa-Edda anwenden will, die sich in eine Traditionslinie gelehrter klassischer Texte stellt. Trotz der Nähe der Rhetorik für die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit dient hier der Performativitätsdiskurs als theoretische Basis für die Lektüre der Prosa-Edda. Analysen mithilfe der Rhetorik werden zwar als besserer Zugang zu Werken „vor einer Theorie des Performativen“ vorgeschlagen, sie konzentrieren sich aber meiner Meinung nach zu sehr auf rein sprachliche Phänomene bzw. kritisieren einen Performativitätsbegriff nach Austin, der in der vorliegenden Arbeit nicht im Zentrum steht. So kritisiert z.B. Karl G. Johansson berechtigterweise, dass keine Vermischung von moderner Theorie mit vormodernen Inhalten angestrebt werden sollte.7 Vormoderne Werke nur mit vormoderner Theorie zu untersuchen, verspricht jedoch nicht unbedingt neue Einsichten. Für mediävistische Untersuchungen muss zwingend immer neu abgeklärt werden, ob und inwiefern moderne Theorien als Analysekategorien für mittelalterliche Texte (oder allgemeiner, Phänomene) nutzbar sind. Jutta Eming formuliert die Notwendigkeit des Gebrauchs moderner Theorien in Bezug auf die Emotionsforschung, ihre Aussagen lassen sich aber auch auf die Performativitätstheorien übertragen:

Literaturwissenschaftliche Emotionsanalysen setzen sich mit der Frage auseinander, wie eine zu untersuchende Emotion definiert ist, und zwar historisch ebenso wie in der modernen Emotionsforschung. Dass beide Wege eingeschlagen werden, sorgt mitunter für Irritation. So wird in der Auseinandersetzung mit der Emotionsforschung vielfach der Einwand vorgebracht, dass nur von „Affekten“ gesprochen werden könne, nicht aber von Emotionen – denn nur „Affekt“ sei ein historischer Begriff […]. Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass Analysen historischer Literaturen nicht nur im Rekurs auf die Selbstbeschreibungsmodelle der entsprechenden historischen Kulturen zulässig sind. Tatsächlich wird in der Mediävistik auch nicht so verfahren, sonst hätte zum Beispiel die Systemtheorie nicht ihren prominenten Status in Bezug auf Konzepte von Identität, Gesellschaft, Code, amour passion erhalten, analytische Abstraktionen für Verhältnisse in der wirklichen Welt […]. Sonst wäre nicht von Gesellschaft zu sprechen, sondern von ordo, nicht von Genealogie, sondern von art, und – zumindest bei einigen Diskurstypen – nicht von einem Autor, sondern von Gott.8

Es ist also beiderseits möglich und notwendig, moderne Theorien für die Analyse mittelalterlicher Texte einzusetzen, es kommt auf die Art und Weise der Umsetzung an. In Bezug auf performative Theorien und vormoderne Texte schreibt Alexandra Prica:

Der Einbezug weitgehend „überhistorischer“ Theorien in die Analyse eines mittelalterlichen Textes kann nicht grundsätzlich, sondern lediglich selektiv und mit heuristischem Anspruch erfolgen. Im Vordergrund steht nicht eine Kritik zeichentheoretischer Positionen, sondern deren Auslotung im Hinblick auf ihre Tauglichkeit als analytische Instrumentarien für den Zugang zum konkreten Material. Was als „textuelle Performativität“ in den Blick kommen kann, ist auf historische Konstellationen zu beziehen und in diesen auf seine Aussagekraft zu prüfen.9

In diesem Sinne soll auch eine Lektüre der P-E mit einem „doppelten Blick“ vorgenommen werden. Während der moderne theoretische Zugang eine neue Perspektive eröffnen soll, sollen auch spezifische historische Zugänge nicht ausser Acht gelassen werden. Wo immer möglich, sollen theoretische Ansätze oder eher Modelle zu den Möglichkeiten und Grenzen der Sprache und Literatur in der P-E selbst sichtbar gemacht werden.

Um die zahlreichen medialen Phänomene in der Prosa-Edda mit in eine Lektüre einzubeziehen, kann ein breiter gefasster moderner Diskurs wie der der Performativität aber weitere Perspektiven eröffnen.

2.3 Literarische Performativität in der skandinavischen Mediävistik

Wie im Vorangegangenen gezeigt, verlangt der Begriff des Performativen eine genaue Bestimmung, soll er denn als theoretisches Werkzeug dienen. Die Verwendung des Begriffs in der germanistischen Mediävistik und in Teilen der Skandinavistik wurde bereits angesprochen.1 Für die vorliegende Arbeit sind bestimmte Präzisierungen vonnöten. Wie der Forschungsüberblick gezeigt hat, lohnt es sich, gewisse Punkte des rhizomatischen Begriffs performativ so genau wie möglich zu bestimmen, um ein aussagekräftiges Analysewerkzeug zu erhalten. Ob sich mit Hilfe des so erarbeiteten Begriffs neue Perspektiven für die Lektüre der P-E (und evtl. für weitere Texte) eröffnen, wird sich erst im Verlauf der Untersuchung herausstellen. Die folgenden zwei Aspekte setze ich deshalb als Eingrenzung für die anschliessenden Lektüren voraus.

2.3.1 Die Prosa-Edda als schriftlich konzipiertes Werk

Anders als in bisherigen skandinavistischen Arbeiten unter dem Begriff des Performativen steht in dieser Arbeit die literarische Performativität im Fokus. Dieser Zugang wurde meines Wissens in der Skandinavistik noch nicht systematisch erprobt. Der Begriff des Performativen wird da eher im Hinblick auf die Aufführungssituationen von Texten (wie z.B. von eddischen Gedichten) und im Zusammenhang mit Aspekten der mündlichen Tradierung untersucht. Dabei wird meist ein performance-Begriff verwendet, der aus den Theater- oder der Ritualtheorien stammt. Die P-E, wie sie in der Version von Codex Upsaliensis vorliegt und hier im Zentrum steht, ist ein für eine spezifische Schriftlichkeit konzipiertes Werk und nicht für eine dramatische Aufführung gedacht.1 Es geht nicht darum, Spuren ursprünglicher Mündlichkeit oder möglicher Aufführungssituationen im Text aufzuspüren und sich so an eine vermeintliche „Urversion“ der P-E anzunähern. Es geht darum, das als Schriftstück konzipierte Werk in seiner Gesamtheit neu zu betrachten und mit Hilfe des Begriffs der literarischen Performativität neue Einblicke zu erhalten. Das erlaubt es, etwas wegzukommen von den vielbesprochenen Fragen nach Oralität und Skripturalität und einen Blick auf eine Kultur zu werfen, in der die Stimme und die Schrift in regem Austausch mit- und nebeneinander existierten. Die These dieser Arbeit ist es, dass die P-E im Codex Upsaliensis als Zeugnis für dieses mediale Miteinander gelten kann. Das Werk thematisiert Sprache, Literatur und Dichtung auf eine einzigartige Weise: Nicht nur die Vermittlung von Wissen über Sprache steht im Zentrum, sondern auch die Frage danach, wie eine solche Vermittlung am besten zu gestalten ist. Anhand der P-E lässt sich der selbstreflexive Prozess dieser Diskussion mitverfolgen, was eine Lektüre im Hinblick auf literarische Performativität äusserst interessant macht.

2.3.2 Vergleichbarkeit und Eingrenzung

Der theoretische Zugang soll für verschiedene Werke brauchbar sein: Ein theoretisches Konzept, das nur für eine einzige Untersuchung funktioniert, ist wenig sinnvoll, da eine Vergleichsmöglichkeit mit anderen Gegenständen fehlt. Deshalb werden hier bestimmte Aspekte literarischer Performativität abgegrenzt, die für die vorliegende Arbeit zentral sind. Das würde in einem zweiten Schritt erlauben, die Aspekte literarischer Performativität der P-E mit denjenigen anderer Werken zu vergleichen.

In der weitläufigen Theorielandschaft des Performativen scheint mir ein Ansatz aus der germanistischen Mediävistik besonders interessant, um ihn an altnordischem Textmaterial zu erproben: Cornelia Herberichs und Christian Kiening tragen in ihrem Sammelband zur Literarischen Performativität1 eine Reihe möglicher Lektüren vormoderner (nicht nur germanistischer) Texte zusammen. Wie sie zeigen, eröffnen sich neue textuelle Dimensionen durch die performativ orientierten Lektüren – so unterschiedlich die einzelnen Beiträge diese Lektüre auch gestalten. Derartige neue Textdimensionen sind aufgrund des performative turns möglich und nötig, wie Herberichs/Kiening im Vorwort bestimmen:

Der vorliegende Band greift eine Blickwendung auf, die sich in den Kulturwissenschaften der letzten Jahre vollzogen hat: eine Abwendung von der Ermittlung fixierter, stabiler Bedeutungen und eine Hinwendung zur Betrachtung der Dynamiken, mit denen Kulturen Sinn erzeugen – durch Verhandlungen und Verheissungen, mediale Aufladungen und Selbstüberschreitungen.2

Diese Blickwendung auf das „Ereignishafte“ und „Wirklichkeitskonstituierende“ kultureller Phänomene erfordere neue Analysearten. Ebenfalls zentral sei, dass die genannten Phänomene nicht nur charakteristisch für die rein performativen Künste sind, sondern eben auch für literarische Texte:

Literatur ermöglicht die Teilhabe der Lesenden und erfordert sie zugleich. Sie schafft Tatsachen und verändert die Wirklichkeit. Sie stimuliert Reflexionsprozesse und Handlungsvollzüge. Sie gewinnt ihre spezifische Medialität gerade dadurch, dass sie die Vermitteltheit dessen, das sie darstellt, aufscheinen lässt.3

Anders als viele Forscher, die sich negativ über die Breite des Begriffs des Performativen äussern, sehen Herberichs/Kiening den Reiz gerade darin, ein Schnittfeld zwischen all diesen Diskursen zu suchen – das Schnittfeld zwischen dem, was in Kommunikation, und dem, was mit Kommunikation geschieht. Damit ist ein weiterer wichtiger Punkt angesprochen, der für die Wahl der Analysekategorien von Herberichs/Kiening spricht: Die Verbindung der beiden Begriffe Performativität und Medialität. Der Charakter des Performativen wird immer auch durch die medialen Gegebenheiten mitbestimmt (und nicht nur durch die sozialen), deshalb müssen sie immer als miteinander verbunden gedacht werden.4 Während eine rein sprechakttheoretische Betrachtungsweise oder auch eine auf körperliche performance bezogene Untersuchung eines Gegenstands zu einschränkend ist, erlaubt die Verbindung des Performativen mit dem Medialen eine umfassendere Analyse verschiedenster Gegenstände. Es ist klar, dass ein performatives Phänomen je nach medialer Verfasstheit anders aussieht: Im auf körperlicher Präsenz beruhenden Schauspiel funktioniert es anders als im Film oder in einem literarischen Text. Gerade ein so komplexes und vielschichtiges Werk wie die P-E, das aus ganz unterschiedlichen Medienarten besteht, bedarf einer solchen Offenheit für mediale Gestaltung in der theoretischen Ausrichtung. So können die Charakteristika gelehrter altnordischer Literatur durch die Perspektivierung mit aktuellen theoretischen Zugängen neu ausgeleuchtet werden.

Wie einige andere sehen auch Herberichs/Kiening in der etymologischen Herleitung des Performativen eine Erklärungsmöglichkeit der verschiedenen zu thematisierenden Aspekte: to perform bedeutet im Englischen eben nicht nur, etwas konkret zur Aufführung zu bringen (Theater, Oper, Sportereignis etc.), sondern auch etwas auszuführen (z.B. ein Muster oder eine Partitur): „Das Performative besteht insofern nicht nur in dem Einmaligen und Ereignishaften einer bestimmten Aufführung oder Lektüre, sondern auch in der Wiederholbarkeit eines Aktes, der auf paradoxe Weise den Eindruck von Einmaligkeit erzeugen und zugleich mit Dauer versehen kann.“5 Das Paradoxe liegt darin, dass die Performanz (= Aufführung) auf der Partitur bzw. dem Muster beruht, die Handlung selbst aber als einmalig wirkt – dieses Paradox kann mit Performativität bezeichnet werden. Es ist dabei ein zentrales Merkmal des Diskurses, die Möglichkeit des Scheiterns der Handlung immer mitzudenken.

Herberichs/Kiening stellen fest, dass Texte im Allgemeinen, literarische Texte aber im Spezifischen, sehr spannende Untersuchungsgegenstände für das Performative sind:

[Texte] besitzen einerseits spezifische Vollzugsdimensionen, die uns allerdings nicht als konkrete „Aufführungen“ fassbar werden. Sie enthalten andererseits eine Fülle rhetorischer sprachlicher und handlungsbezogener Elemente, die es uns erlauben, Modelle von Vollzügen und Wirkungsmöglichkeiten von performativen Akten zu beobachten. […] Vor allem literarische Texte sind in dieser Hinsicht interessant: Durch einen höheren Aufwand an sprachlich-imaginativer Formung charakterisiert, markieren sie ihrerseits das Performative oder stellen es gar aus. Der Blick auf sie kann dazu dienen, Grundzüge performativer Dimensionen im Rahmen von Welten zweiter und dritter Ordnung zu studieren […].6

Literarische Texte aus der Vormoderne sind dabei besonders interessant für eine performative Herangehensweise, denn:

Sie entstammen einer Kultur, die – wie die Forschung der letzten Jahrzehnte hervorgehoben hat – durch Aspekte wie Körperlichkeit, Mouvance, Ritualität, symbolische Kommunikation, Partizipation, Plurimedialität gekennzeichnet ist. In ihr scheinen zahlreiche Phänomene, seit der Neuzeit durch codifizierte Regularitäten festgelegt, in konstitutiver Weise auf je neue Verhandlung und Geltungssicherung angewiesen zu sein.7

Wie bereits gezeigt, sind uns die genannten Phänomene in Gestalt von Aufführungen o. ä. heute nicht mehr zugänglich. In überlieferten Aufzeichnungen – in Texten – sind aber dennoch gewisse Sinnpotentiale enthalten, die es sich zu untersuchen lohnt. Es sind keine minderwertigen Stufen einer einstmals realen Situation, sondern eigenständige und auf die Schriftlichkeit hin komponierte Kunstwerke. Es ist zu hoffen, dass über die Theorien des Performativen, diese (performativen) Aspekte der vormodernen Kultur vertieft betrachtet werden können. Dafür braucht es ein verbindendes Analysewerkzeug. Herberichs/Kiening nennen drei Aspekte, die sie als charakteristisch für eine Lektüre im Hinblick auf literarische Performativität in vormodernen Texten ansehen: Die drei Aspekte werden unter Sagen als Tun, Wiederholung/Wiederholbarkeit sowie Rahmung verschlagwortet. Das performative Potential eines Textes lässt sich an diesen Aspekten sichtbar machen, allerdings geht es nicht um die reine Auflistung einzelner Phänomene. Erst im Zusammenspiel der verschiedenen Aspekte wird das Performative als Beschreibungsmodell aussagekräftig.

Als Ausgangspunkt für eine neue Lektüre der P-E scheinen diese drei Aspekte vielversprechend, da sie – wie die Edda – die Diskussion der Bedingungen und Möglichkeiten von Sprache und Literatur in den Blick nehmen. Die drei Aspekte machen das performative Potential des Werks sowohl auf struktureller als auch auf funktionaler Hinsicht sichtbar. Sie sollen als rote Fäden der einzelnen Lektüren dienen und werden bei Bedarf weiterentwickelt. Anders als bei Herberichs/Kiening werden die drei Aspekte nicht nur auf einer rein textuellen Ebene betrachtet, sondern die ganze Handschrift wird in eine Analyse miteinbezogen (was zwar von Herberichs/Kiening unter dem Aspekt der Rahmung ebenfalls geschieht, jedoch umfassender betrachtet werden soll). Gerade die Möglichkeit, mithilfe des theoretischen Zugangs eine verbindende Lektüre der verschiedenen Werkteile vorschlagen zu können, ist das Ziel dieser Arbeit. Eine erste Übersicht über die drei Aspekte literarischer Performativität nach Herberichs/Kiening wird im Folgenden vorgenommen, die Anwendung resp. eine allfällige Weiterentwicklung geschieht in den Analysekapiteln.8

2.4 Drei Aspekte literarischer Performativität
2.4.1 Sagen als Tun

Unter diesem – etwas sperrigen – Titel werden bei Herberichs/Kiening Momente bezeichnet, in denen mit Sprache gehandelt wird. Momente also, die an Fragen der klassischen Sprechakttheorie erinnern. In der realen Welt ermöglicht es die soziale Dimension der Sprache in Verbindung mit dem menschlichen Körper, durch Sprache zu handeln bzw. Macht auszuüben. Ebenfalls entscheidend für die Wirkung ist der institutionelle Kontext, in dem etwas durch Sagen getan wird. Sybille Krämer macht in diesem Zusammenhang auf eine – für die vorliegende Arbeit – wichtige Besonderheit von Austins Auswahl der ursprünglichen Performativa1 aufmerksam:

Ursprüngliche Performativa sind Rituale, Restbestände einer quasi-magischen Praktik im zeremoniellen Reden. […] Die illokutionäre Rolle von Äusserungen wird gewöhnlich mit in Zusammenhang gebracht mit ihrer Bindungsenergie, kraft deren der Sprecher eine soziale Beziehung mit dem Adressaten aufnimmt, die auch zukünftige Verpflichtungen einschliesst. Doch der Standesbeamte, der traut, der Priester, der tauft, der Richter, der ein Urteil spricht, stiften damit keineswegs eine soziale Bindung zu den Verheirateten, dem Getauften und dem Verurteilten. […] Die ursprünglichen Performativa gehören nicht der persönlichen Rede an: Hierin wurzelt deren ‚Aufführungscharakter‘, insofern diese Sprechakte nicht einfach an den Hörer, sondern an Zuhörer gerichtet sind […].2

Um als ritualisierter Sprechakt wirksam zu sein, braucht es ein Machtgefälle zwischen dem Sprecher und dem Angesprochenen. Die Wirksamkeit liegt nicht in der reinen sprachlichen Form, sondern in den gesellschaftlichen Umständen. Hier wird die enge Verbindung zum weiter unten dargestellten Aspekt der Wiederholung/Wiederholbarkeit deutlich: Erst im wiederholten Handeln bzw. in wiederholten kulturellen Praktiken ergibt sich die Autorität eines Richters, Priesters etc.3 Inwiefern die P-E mit einer auf Autoritätsgewinnung ausgelegten Wiederholung als textuelle Strategie arbeitet, wird in Kapitel 2.4.2 beleuchtet.

In der literarischen Welt funktioniert sprachliches Handeln anders als in der realen Welt:

Das „Handeln“, das in den Texten und durch sie stattfindet, kann von den Geltungsbedingungen alltäglichen Handelns entlastet sein, hat damit aber auch erst einmal eigene Geltungsbedingungen herzustellen. Wortmächtige Akte wie Segen, Gebete oder Verfluchungen besitzen, in Texten mitgeteilt, nicht von vornherein Evidenz, vermag die Schrift doch grundsätzlich ursprüngliche Bedeutungen immer auch zu verändern oder ins Latente zu verschieben.4

In der realen Welt erhält ein Sprechakt durch eine ihm vorausliegende Geltung Wirkkraft. Ein literarischer Text muss diese Verbindlichkeit gleichzeitig konstituieren und auf sich übertragen. Das, worauf er sich stützt, muss er zugleich selbst hervorbringen. Das ermöglicht der Literatur immer auch das Spiel zwischen tatsächlicher und behaupteter Geltung und lässt ihre Wirkkraft entweder steigern oder einschränken. Die Evidenz literarischer Sprechakte muss deshalb durch zusätzliche Strategien gewonnen werden: „[…] zum Beispiel durch Anleihe bei onto-theologischen Konzepten, transzendenten Ursprüngen oder rechtlich normativen Modellen.“5 Für die christliche Vormoderne beruht die Wirkmacht von Sprache auf bestimmten kulturellen Vorbedingungen, nämlich auf:

[…] dem im Eingang der Genesis entwickelten und im Prolog zum Johannes-Evangelium aufgegriffenen Gedanken, die Welt sei durch die zugleich ursprünglichen und ewigen Schöpfungsworte Gottes hervorgebracht und damit Resultat einer Identität von Sprechen und Handeln. Dieser Gedanke bot den Hintergrund und Geltungsrahmen für die Übertragung transzendenter Bedingungen auf immanente: Das göttlich inspirierte oder autorisierte Wort, die christliche Offenbarungsmacht von Sprache und Schrift, sie ermöglichen es, Texte mit Transzendenzenergie aufzuladen und mit ontologischen Zügen zu versehen – als nicht nur Veranschaulichungen und Repräsentationen, sondern Verkörperungen und Realisationen genuin heilsgeschichtlicher Texte. Auch dort, wo es um die Legitimierung von Herrschaft, die Setzung von Recht oder allgemein die Schaffung von Geltung und Verbindlichkeit ging, spielte der nicht bloss referentielle oder mimetische, sondern performative und vollzugshafte Charakter von Texten eine Rolle.6

Literarische Texte rufen eine derartige Evidenz nicht einfach auf oder übernehmen sie, sondern sie stellen sie aus und reflektieren sie. So können z.B. intradiegetische Sprachhandlungen dem extradiegetischen Handeln des Textes entgegenstehen und so das Paradox des Performativen gerade hervorheben. Wie sich in der Lektüre der P-E zeigen wird, lassen sich performative Aspekte von Sagen als Tun auf verschiedenen Ebenen finden. In Gylfaginning werden bspw. sowohl auf der Rahmen- als auch auf der Binnenebene Eide geschworen, Flüche ausgesprochen und Versprechen gegeben bzw. gebrochen. Die Genesis und das Johannes-Evangelium als kulturelle Vorbedingungen gelten natürlich auch für das Entstehungsumfeld der P-E, was sich deutlich in der Gestaltung des Prologs und seinen Verbindungslinien zur Konzeption von Gylfaginning zeigt. So kann man z.B. die gesamte Gylfaginning als performativen Sprechakt/Schreibakt verstehen: Der Text berichtet über die Entstehung und das Wesen des nordischen Kosmos und stellt ihn als Lehre dieser Welt vor. Gleichzeitig stellt er aber auf ausgeklügelte Weise aus, dass diese Welt erst durch seine Erzählung entsteht und nur die konstante Weitererzählung ihr Bestehen sichert. Die Art und Weise, wie ein Text mit solchen Performativa verfährt, hilft dem Sprach- und Literaturverständnis eines Werks nachzuspüren. Gylfaginning scheint der Frage nachzugehen, ob „Welt“ nur im Erzählen hergestellt werden kann. Auf einer rezeptionsästhetischen Ebene kann man auch nach der Sprechaktintention der P-E in Bezug auf die skaldische Dichtung fragen. Als These liesse sich annehmen, dass die P-E die Skaldik vor dem Verschwinden aus dem kulturellen Gedächtnis retten soll. Die Frage könnte dann lauten: Ist der Sprechakt geglückt? Derartige Zugänge werden in den Lektürekapiteln erprobt.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
391 s. 19 illüstrasyon
ISBN:
9783772001192
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre