Kitabı oku: «Handeln mit Dichtung», sayfa 6

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2.4.2 Wiederholung/Wiederholbarkeit

Ausgehend von Jacques Derridas Gedanken besagen Performativitätstheorien, dass es eine Gelingensbedingung von Handeln mit Sprache ist, dass dieses Handeln (z.B. Zeichen, Wörter, Sätze) wiederholbar ist. Performativität heisst nicht einfach „etwas wird getan“, sondern „ein Tun wird aufgeführt“. Ein derartiges Aufführen ist aber immer auch ein Wiederaufführen.1 Gleichzeitig ist diese Gelingensbedingung einer sprachlichen Handlung paradox, wie Herberichs/Kiening zeigen: „Was wiederholt werden kann, stiftet Erwartbarkeit, lässt aber auch deren Aushöhlung zu, schafft Stabilitäten, die aber immer auch von Instabilitäten durchdrungen sind.“2 Die Wiederholung kann wie ein Zitat sowohl als Anknüpfung oder Kontextualisierung gedacht sein, sie kann im Gegenteil aber auch einen Bruch ausstellen und etwas in einen neuen Zusammenhang stellen.

Das kulturelle Muster der Iterabilität, das im Modus des wörtlichen Zitierens ein intertextuelles Wiederholungsmuster ist, stellt einen performativen Sprechakt stets in die Reihe der vorausgegangenen Sprechakte und verleiht ihm eine Identität, die eine Voraussetzung für die wirklichkeitsverändernde Wirkmacht des Wortes ist.3

Dieses allgemeingültige Muster ermöglicht es literarischen Texten die Wiederholung als Mittel zu gebrauchen, „sich auf eine Tradition zu beziehen und Anschlusskommunikation herzustellen.“4 Es sind solche Anschlussmittel, die dem literarischen Text die Möglichkeit verleihen, mit Bedeutung zu spielen. Nicht nur identische Repetition einer Tradition, sondern auch Abweichungen und Umdeutungen sind möglich. Noch einmal weisen Herberichs/Kiening auf das Paradoxe dieser Situation hin: „Demnach ist also die Iterabilität, die im Nicht-Authentischen, im Abgeleiteten, im Nachgeahmten, im Parodierten sich manifestiert, gerade dasjenige, was das Ursprüngliche und Authentische ermöglicht.“5 Auch bei diesem Aspekt literarischer Performativität spielt der Kontext der christlichen Vormoderne eine grosse Rolle: Der Rückgriff auf göttlich begründete Ursprünge und autoritative Momente der Vergangenheit ist in dieser Kultur zentral und macht Texte zu Wiederholungsereignissen:

Sie nehmen Stoffe auf, die im kulturellen Wissen der Zeit fest verankert sind. Doch sie aktualisieren sie auch, passen sie je anderen Bedingungen und Kontexten an. Sie ermöglichen den affektiven Nachvollzug heilsgeschichtlicher und historischer Gegebenheiten, lenken aber überhaupt das Augenmerk auf den je neuen Vollzug von Gegebenem. Die Texte schaffen damit Raum für die Teilhabe an der Ordnung der Welt, für transzendente Kommunikation und individuelle Heilssorge. Zugleich erzeugen sie Zeitverhältnisse, in denen sich Vergangenheit und Gegenwart auf komplexe Weise durchdringen.6

Ob und inwiefern sich diese starke Gewichtung des christlichen Einflusses auch bei einer Poetik der volkssprachlichen Dichtung, die auf – vermeintlich – heidnischem Mythos beruht, bemerkbar macht, wird sich zeigen. In der Lektüre soll darum darauf geachtet werden, ob sich Unterschiede in der Ausgestaltung des literarischen Verfahrens der Wiederholung erkennen lassen. Ganz klar zentral ist der Aspekt der Wiederholung in der P-E auf der literarischen Ebene des Textes, wie es auch von Herberichs/Kiening für literarische Texte als charakteristisch dargestellt wird: „Der Anschluss an literarische Traditionen (auf der Ebene von Stoffen, Motiven, Erzählmustern, Strukturen), wird als Bedingung für das Weiter- und Wiedererzählen ausgestellt. Prozesse von Bedeutungsgenese und -übertragungen werden an Phänomenen der Wiederholung sichtbar gemacht.“7 Je nach Gattung des Textes holen derartige Verfahren andere Dinge in den Blick: „In narrativen Texten erlauben gattungstypische Doppelungen eine strukturelle Reflexion von Erzählorganisation und -prozess, eine Sinnstiftung, die von vorgängigen Textordnungen sich ableiten oder auch abrücken und wiederum den Elementen innerhalb des jeweiligen Werkes zusätzliche Bedeutungsdimensionen verleihen kann.“8 In der Wiederholung liegt die Macht der Um- oder Neudeutung. Gleichzeitig macht die Wiederholung darauf aufmerksam, dass sie „gemacht“ ist. Durch wiederholende Strukturen wird auf den Aufführungscharakter bzw. den jetzt aktuellen Vollzug, die vergangenen und zukünftig möglichen Vollzüge hingewiesen. (Nicht nur) für die P-E bedeutet das die Macht über das, was erinnert werden soll. In Kapitel 3.3.3 stehen so z.B. die wiederholenden Erzählungen der Herkunft der Asen und die Bedeutung für die Dichtkunst im Zentrum der Lektüre.

Wiederholungen können unterschiedlich ausgestaltet sein und unterschiedliche Funktionen aufweisen. Karl-Heinz Hartmann stellt verschiedene Varianten zusammen: So können Wiederholungen z.B. bestimmte Elemente sammeln und über die Menge beispielsweise eine allgemeine Gültigkeit vermitteln. Eine übermässige Sammlung kann jedoch auch das Gegenteil bewirken und zu einem Sinnüberschuss und damit möglicherweise zu Bedeutungslosigkeit führen. Eine andere Art der Wiederholung ist die Steigerung: „Dabei geht es darum, zu übertreffen und Aufmerksamkeit zu erregen, um allfälligen Innovationsverlust durch mehrmaliges Erzählen auszugleichen. Auch hier kann das durch Ähnlichkeit oder Kontrast erzeugt werden. Eine Wiederholung stellt Gemeinsames und Kohärentes heraus, signalisiert aber auch den Fortlauf der Zeit.“9

2.4.3 Rahmung

Der dritte Aspekt literarischer Performativität, der für diese Arbeit von grosser Bedeutung ist, ist die Rahmung. Auch die Wirkmacht von Rahmungen ist in verschiedenen Theorien des Performativen bereits hervorgehoben worden. Sprachliche Handlungen können nur innerhalb bestimmter Rahmen bzw. Bedingungen funktionieren. Rahmungen sind sowohl Gelingens- wie auch Misslingensbedingungen für sprachliches Handeln. Ähnlich wie die Wiederholung können sie für allgemeine Gültigkeit sorgen, können aber auch performative Akte aktualisieren und in einen neuen Zusammenhang stellen: „[…] etwa wenn ‚eine bestimmte Tätigkeit, die bereits im Rahmen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transformiert wird, das dieser Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligten aber als etwas ganz anderes gesehen wird“.1 In der Kunst, sei es z.B. im Theater oder eben in der Literatur sind derartige Übertragungen möglich und werden gleichzeitig auch als solche kenntlich. Herberichs/Kiening über den Unterschied von Rahmen alltäglicher Sprechakte und solchen in der Literatur:

In literarischen Texten ist dies [das Mitthematisieren des Rahmens] konstitutiv – schon Friedrich Schlegel notierte sich 1797: ‚Jedes Kunstwerk bringt den Rahm[en] mit auf die Welt‘. Es hat ja, wie angedeutet, seine Eigengeltung erst herzustellen, und es tut dies, indem es Rahmenbedingungen entwirft, unter denen jene Geltung sich zu ergeben hätte.2

Wieder rückt das Performative eine paradoxe Situation in den Blick: Texte sind nicht einfach das Innere, das von dem sie umgebenden Rahmenäusseren bestimmt wird. Das Verhältnis von Innen und Aussen ist komplexer: „[Die Texte] sind vielmehr ein „Inneres“, in dem das „Äussere“ seinerseits enthalten ist – aber eben nur im Modus des „Inneren“, hier also unter den Gegebenheiten von (literarischer Textualität).“3 Unter der Rahmung als Aspekt literarischer Performativität kann man so die komplexe Schnittstelle zwischen Innen und Aussen eines Textes sehen. Dabei muss man in einer Analyse unterscheiden zwischen dem, „was den Vollzug eines Textes allgemein kulturell und spezifisch situativ bestimmt, und dem, was der Text hinsichtlich seiner eigenen Wirkung und Verdauerung selbst zum Einsatz bringt – durchaus nicht nur in Übereinstimmung mit, sondern oft auch in Abweichung von kulturellen Mustern.“4

Zusätzlich zu den textuellen Rahmungen weisen vormoderne Handschriften (ebenso natürlich moderne Werke) auch aussertextuelle Rahmungen auf. Deshalb ist eine Lektüre von Texten, die in solchen Handschriften überliefert sind, nur umfassend, wenn sie auch derartige Rahmen beachtet: „Schon die jeweilige Ausstattung von Codices trägt zur Perspektivierung von Texten bei: Beigegebene Marginalien, Rubrizierungen und Überschriften sind Signale, die auf die Geltung der Texte rückwirken. Verschränkungen von Text und Bild sorgen für wechselseitige Rahmungen.“5 Derartige Verschränkungen finden sich mehrere im Codex Upsaliensis, sie führten unter anderem zu seiner Wahl als zentrales Werk dieser Arbeit. Ihre spezifischen Ausgestaltungen werden in Kapitel 3.2 untersucht. Durch eine vergleichende Untersuchung solcher Rahmen liesse sich auch Interessantes über die unterschiedlichen Funktionen der verschiedenen Edda-Versionen sagen, was aber hier nicht im Vordergrund steht. Aber auch andere, der Handschrift beigefügte Texte können die Wahrnehmung eines bestimmten Textes beeinflussen und seinen Deutungsrahmen verändern. Einen direkten Einfluss auf die Wirkung eines Texts haben natürlich auch rahmende Paratexte:

Pro- und Epiloge, Pro- und Epimythien gehören in verschiedenen Textgruppen konstitutiv zur literarischen Struktur. Sie lassen den Akt des Erzählens und die Aktualität des Erzählten aufscheinen; z.B. indem sie Situationen von Mündlichkeit fingieren, die Rezeptions- als eine Dialogssituation inszenieren und deiktische Verweise einsetzen. Sie pointieren derart die Ereignishaftigkeit und die Literarizität des Erzählens, ohne selbst ausserhalb des literarischen Textes verortet zu sein.6

Ein Rahmen kann einem Text Geltung verleihen, dient gleichzeitig aber als Markierung für die prekäre Situation dieser Art von Geltungsstiftung. Ein Rahmen kann immer auch als reflexives Moment eines Textes verstanden werden. Eine der bekanntesten und komplexesten Rahmensituationen im Zusammenhang mit der P-E ist sicherlich in Gylfaginning zu finden. Wie sich da ein rahmender gelehrter Lehrer-Schüler-Dialog mit dem Rahmen eines nordischen Wissenswettstreits verbindet und die verschiedenen literarischen Ebenen ihre Rahmungen ausstellen, ist Thema von Kapitel 3.3.2.

2.4.4 Literarische Performativität: Ein Beispiel

Zur Verdeutlichung der oben beschriebenen theoretischen Grundlagen bietet sich der Blick auf einen spezifischen Beitrag aus Herberichs/Kienings Sammelband zur literarischen Performativität an. Obwohl die Thematik und die historische Verortung sich scheinbar sehr von der vorliegenden Arbeit unterscheiden, ist Christa Haeselis Beitrag zu den althochdeutschen Zaubersprüchen in ihrem Überlieferungskontext auch interessant im Hinblick auf die Untersuchung der skaldischen Dichtung in der P-E.1 Haeseli kommt weg von der klassischen Sprechakttheorie und bestimmt auch den Begriff performance neu, indem sie ihn für eine Handschriftenanalyse und die Frage nach Textstrategien zusammendenkt. Dabei verschiebt sich der Fokus der Fragestellung von der realweltlichen Verwendung der Zaubersprüche hin auf Zaubersprüche als schriftliche Texte mit ihren je eigenen Wirkungsstrategien. Der Begriff performance wird dazu im Gegensatz zu seiner üblichen Verwendung bewusst für den „Auftritt“ eines Textes im schriftlichen Kontext verwendet:

Mit diesem Perspektivenwechsel wird gegen die schematische Vorstellung von situativer, wirkmächtiger mündlicher Aufführung versus dauerhaftem, wirkungslosem, schriftlich fixiertem Text argumentiert. Es stellt sich die Frage nach den textuellen Strategien, die darauf abzielen, textüberschreitende Wirkung zu erlangen. Dabei werden die sprachmagischen Texte nicht als defizitär, als Überreste einer umfassenderen mündlichen und deshalb nicht mehr zugänglichen performance betrachtet, sondern sie können als eine Art Partitur verstanden werden, welche die Bedingungen von Wirkungsmöglichkeiten erst herstellen und dabei selber performativ verfasst sind.2

Haeseli zeigt, wie althochdeutsche Zaubersprüche in Handschriften eingefügt werden und da je unterschiedliche performative Wirkung entfalten. Sie fragt dabei nicht nur nach zauberspruchinhärenten performativen Strategien, sondern auch danach, wie die spezifische Eintragungsart und der handschriftliche Kontext als Wirkungssteigerung funktionieren können. Dies ist etwa der Fall, wenn sich Zaubersprüche an kryptographische Alphabete anlagern oder andere auratische Texte als performative Rahmungen nutzen.3 Aus ihren Ausführungen wird klar, dass die Performativität der Rahmentexte aber nicht einseitig gedacht werden darf. Die „gerahmten“ Texte wirken genauso auch als performative Rahmen für die sie umgebenden Texte. Deshalb sollte man die Kompositionsprinzipien der Handschrift ernst nehmen.

Dies wird auch für die im Codex Upsaliensis enthaltenen Texte zu beachten sein, sowie auf einer anderen Ebene auch für die Integration skaldischer (und auch eddischer) Strophen in Prosatexte. Die Parallelen von skaldischen Gedichten und Zaubersprüchen mögen etwas gewagt sein, dennoch überschneiden sie sich in gewissen Dingen: Beides sind kulturelle Phänomene aus einer (vermeintlichen) heidnischen und mündlichen Vorzeit. Beide werden im Zusammenhang mit schriftlicher Gelehrsamkeit tradiert und ihnen wird eine hohe sprachliche Wirkmacht zugesprochen. Haeseli zählt vier Aspekte auf, die für ihre Untersuchung literarischer Performativität zentral sind4: (1) Die Wirkmacht eines Zauberspruchs ist in einem Text nicht unmittelbar gegeben. Man muss also nach den Mechanismen fragen, die ihre Wirkung im Schriftlichen mitkonstituieren. Unter (2) „wird der Dynamisierungsprozess selbst verstanden, der den Zauberspruch zwischen stillgelegtem Muster und wirkmächtiger Rede oszillieren lässt. Solche Prozesse lassen sich an Umschlagpunkten ausmachen, die in den Zaubertexten angelegt sind.“ Aspekt (3) betrifft die Rahmungen der Zaubertexte, die sich nicht im Anfügen von Rahmenerzählungen oder liturgischen Formeln und Gebeten erschöpfen. Dieser Punkt verbindet sich mit dem Aspekt (4), dem Überlieferungskontext innerhalb von Sammelhandschriften. Ihm kann eine legitimierende, Evidenz stiftende oder auratisierende Funktion zukommen. Abschliessend fasst Haeseli zusammen:

Die performative Strategie des Zaubertextes besteht also darin, ein Szenario zu erschaffen, in dessen Rahmen er wirksam werden kann. Damit gehört zur Performativität nicht nur die Handlung selbst, sondern auch das Hervorbringen ihrer Wirkungs- und Gelingensbedingungen.5

2.5 Erstes Fazit und Ausblick auf die Lektüren

Diese Arbeit kann die oben genannten methodischen Probleme des Performativitätsdiskurses nicht lösen und hat einen viel bescheideneren Anspruch: Sie will ausloten, ob und wie ein Diskurs, der in anderen Disziplinen bereits sehr gut verankert ist, sich in der skandinavistischen Mediävistik sinnvoll anwenden lässt. Wenn das gelingt, so eröffnen sich vielleicht neue Sichtweisen auf einen der wichtigsten dichtungstheoretischen Texte des nordischen Mittelalters. Die Wahl der Begrifflichkeiten von Cornelia Herberichs und Christian Kiening als Analysewerkezeuge ist aufgrund ihres Fokus auf textimmanente Aspekte von Performativität gefallen – dies in Abgrenzung zu den eher rein sprechakt- oder ritualtheoretischen Zugängen innerhalb der skandinavistischen Mediävistik. Die drei Kategorien Sagen als Tun, Wiederholung/Wiederholbarkeit und Rahmung ermöglichen einen neuen Zugang zu literarischen Werken des Mittelalters, die neben ihren performativen Aufführungsdimensionen auch textimmanente performative Strategien aufweisen. Es ist die Kombination mehrerer Ebenen, die eine Lektüre der P-E unter diesem Blickwinkel interessant macht. In den Blick genommen wird sowohl die materiell mediale wie auch die textuelle Ebene. In der Kombination aller performativer Aspekte auf den verschiedenen Ebenen zeigt sich das performative Potential eines Werks. Die Betonung muss dabei auf Potential liegen, denn die Wirkung auf die mittelalterlichen Rezipienten kann heute nicht mehr untersucht werden. Um die Lektüren zu systematisieren, werden die verschiedenen Ebenen (textuell, medial, diskursiv) wenn möglich getrennt behandelt. Schliesslich gehören sie aber wieder zusammengelesen und verbinden sich zu einem Beschreibungsmodell „Literarischer Performativität“.

Um doch noch einmal zum Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Performativen zurückzukehren: John L. Austin weist in seiner Trennung von konstativen und performativen Sprechakten darauf hin, dass performative Äußerungen keine Zustände in der sozialen Welt beschreiben, sondern dass sie solche Zustände im Akt des Sprechens schaffen. Wie sich in den folgenden Lektüren zeigen wird, lässt sich ausgehend davon der Bogen von einer engen Sprechakttheorie hin zu einem breiteren Verständnis von literarischer Performativität schlagen: Am Beispiel der Prosa-Edda wird sichtbar, wie ein Text einen ganzen mythologischen Kosmos und eine für Jahrhunderte gültige Poetik aus den unterschiedlichsten Versatzstücken und Einzelbestandteilen zu erschaffen vermag. Die Gelingensbedingungen für einen derartigen Sprechakt werden im Folgenden von verschiedenen Seiten beleuchtet.

3 Welt erfassen – Welt verfassen: Performatives Erzählen
3.1 Lektüre der erzählenden Teile der Prosa-Edda

Ok er æsirnir heyra þetta sagt, gáfu þeir sér þessi nǫfn ásanna, at þá er langar stundir liði efaðist menn ekki at allir væri einir, þeir æsir er nú er frá sagt ok þessir æsir er nú vóru, ok var Ǫku-Þórr kallaðr Ása-Þórr.1

Und als die Asen das gesagt hören, gaben sie sich diese Namen der Asen, so dass, wenn lange Zeit vergangen ist, die Menschen nicht zweifeln, dass alle dieselben wären, diese Asen, von denen nun erzählt wurde, und diese Asen, die jetzt waren, und Ǫku-Þórr wurde Ása-Þórr genannt.2

Die Asen, die sich selbst zu Göttern erzählen – diese Stelle gehört wohl zu den bekanntesten und eindrücklichsten Szenen der Prosa-Edda. Eine Lektüre in Bezug auf die performativen Strategien derartiger Momente bietet sich sehr an, doch nicht nur solche eindeutigen „Sprechakte“ sollen untersucht werden, sondern auch Aspekte des Performativen, die nicht auf den ersten Blick als solche zu bestimmen sind. Denn nicht nur in der Erzählwelt der breit rezipierten Gylfaginning finden sich Momente der Sprachreflexionen in Bezug auf das Erzählen und die Dichtung.

In diesem Kapitel werden die erzählenden Teile der P-E einer neuen Lektüre unterzogen. Der Prolog, Gylfaginning sowie Teile, die man gängiger Weise Skáldskaparmál zurechnet, werden anhand beispielhafter Stellen gelesen. Nimmt man die Gestaltung von Codex Upsaliensis ernst, so gehören auch weitere Handschriftenbestandteile dazu: Skáldatal, eine Liste von Herrschern und ihren Skalden, Ættartala Sturlunga, eine genealogische Auflistung des Sturlungengeschlechts sowie Lǫgsǫgumannatal, eine Aufzählung der Gesetzessprecher. Zusätzlich zu beachten sind mehrere Zeichnungen, die auf den Blättern verteilt auftauchen, die bekannteste davon diejenige von Gylfi und den drei Asen. Vom Aufbau der Handschrift her gesehen, kann man alle diese Einzelteile als zueinander gehörig betrachten. Heimir Pálsson schlägt ein Trennung in Liber primus und Liber secundus vor, die hier übernommen werden soll: „The break between Liber primus and Liber secundus is after Lǫgsǫgumannatal and is actually emphasied by the placing of the fine picture of Hár, Jafnhár and Þriði […].“3 Die Aufteilung macht U auffällig anders als RTW. Der Hauptunterschied liegt in der Verschiebung einiger mythologischen Geschichten, die ansonsten in Skáldskaparmál zu finden sind, nach vorne zu Gylfaginning sowie der Integration der drei Listen und den Zeichnungen. Fragt man nach dem Sinn der Zweiteilung, scheint auf den ersten Blick klar, dass der Verfasser alle Erzähltexte in einem Teil und alle gelehrten dichtungstheoretischen Aspekte im anderen Teil fassen wollte. Doch damit stünden die drei Listen als scharfe Trennung dazwischen. Als These wird hier angenommen, dass sich auch die Listen sehr gut zu den narrativen, „Welt-erschaffenden“ Teilen zählen lassen und bewusst dazugestellt worden sind. Die Zeichnung von Gylfi und den drei Asen schliesst den Rahmen und zeigt, dass hier ein ausgeprägtes Bewusstsein für mediale Gestaltung vorhanden ist. Liber primus weist so viele unterschiedliche literarische bzw. mediale Formen auf, dass es ganz klar ebenso sehr wie Liber secundus als Lehrbuch angesehen werden kann – ein Lehrbuch in Bezug auf narrative Verfahren anstelle von dichterischen.4

Narrative Texte ermöglichen es, die Bedeutung und das Potenzial von Sprache anders zu diskutieren als das argumentative Texte tun, wie sie in Liber secundus zu finden sind. In der Erzählung können unterschiedliche Modelle erprobt und Diskurse gefördert, kritisiert oder unterlaufen werden. Die Hauptthese dieser Arbeit ist es denn auch, dass die Prosa-Edda sich nicht nur als Lehrwerk für skaldische Dichtung alleine sieht, sondern viel umfassender für den Umgang mit Sprache im Allgemeinen.

Obwohl Gylfaginning meist als „mythologisches Hintergrundwissen“ für die auf der Mythologie aufbauenden Skaldik bezeichnet wird, passen die Erzählungen in Gylfaginning nicht wirklich als Erklärung für die in Skáldskaparmál aufgeführten dichterischen Umschreibungen. Das ist ein erster Hinweis darauf, dass die P-E nicht als ein rein auf die skaldische Praxis ausgelegtes Lehrbuch, sondern eher als grossangelegtes theoretisches Werk über die Sprache und das Erzählen allgemein angesehen werden kann. Die erzählenden Werkteile sind nicht nur als direkte Unterstützung für aktives Dichten zu verstehen, sondern auch in ihrer Eigenheit als Erzählung. Wie die folgenden Lektüren zeigen, können auch die erzählenden Teile in Liber primus als wertvolle Hinweise auf das Verständnis von Sprache und Literatur des 13. Jahrhunderts in Island dienen.

In den anschliessenden Lektüren stehen dementsprechend nicht religionswissenschaftliche oder folkloristische Fragen im Vordergrund, sondern eine klar sprach- und erzähltheoriezentrierte Perspektive. Es interessieren poetologische Fragen: Was für ein Verständnis von Sprache und Literatur vermitteln die erzählenden Teile in Liber primus? Welche literarischen Verfahren werden verwendet und findet eine Reflexion der Wahl statt? Welche Funktion haben die Texte innerhalb des gesamten Codex Upsaliensis?

Lektüreleitend ist dafür der Diskurs der literarischen Performativität: Unter dem übergreifenden Thema von „Handeln mit Sprache“ sollen 1) Szenen betrachtet werden, in denen Sagen = Tun ist; 2) Wiederholungen und deren literarische Bedingungen untersucht sowie 3) verschiedenartige Rahmungen auf ihre Funktion hin überprüft werden.5

Wie bereits mehrfach angedeutet, findet die Sprachreflexion in der P-E auf den verschiedensten Ebenen statt. Für die Lektüren werden deshalb unterschiedliche Aspekte gewählt, damit diese Vielfalt sichtbar wird. Um Sprünge zwischen den Ebenen zu zeigen und die Lektüren zu systematisieren, wird folgende Aufteilung vorgenommen: Zuerst erfolgt eine Lektüre auf der Erzählebene des jeweiligen Textes. Diese dient gleichzeitig als kurze Inhaltsangabe. Mit der Form und der Frage nach dem „Wie“ der erzählerischen Ausgestaltung steht anschliessend die diskursive Ebene im Fokus. Schliesslich kommt als drittes eine materielle Ebene in den Blick, auf welcher auch mediale Phänomene beleuchtet werden. Die Lektüren werden grob entlang dem Aufbau der Handschrift vorgenommen. Es ist jedoch wichtig, sie immer im Zusammenhang mit den weiteren Inhalten der Handschrift zu denken, obschon die Erzählteile bislang nur ungenügend im Gesamtzusammenhang der P-E gelesen worden sind. Den engen Vernetzungen aller Teile nachzuspüren ist ein erster Schritt zu einem gesamtheitlichen Verständnis der Prosa-Edda, wie sie im Codex Upsaliensis überliefert ist.

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