Kitabı oku: «Stoner McTavish - Schatten», sayfa 4
»Wenn ich mich recht erinnere, hast du es bei mir einfach ins Gespräch einfließen lassen. Bist du schon mal wutentbrannt an die Decke gegangen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Es wäre nicht sehr höflich.« Sie blickte sich im Raum um. Der graue Mann las eine Zeitung.
»Wie war das mit deiner ersten großen Liebe?«
»Wir waren in derselben Vorlesung für Journalismus an der Bostoner Uni. Na ja, wir waren nicht wirklich ein Paar. Es war mehr eine romantische Schwärmerei. Du weißt schon, lange persönliche Gespräche, Mondscheinspaziergänge am Ufer des Charles. Nach dem Abschluss ging Laurie nach Texas an die Fach-Uni für Jura, brach bereits im ersten Jahr ab und heiratete. Hat jetzt vermutlich sechs Kinder und gelegentlich Rückenschmerzen. Texas kann dir übel mitspielen.«
»Romantische Schwärmerei«, sagte Gwen und ließ ihren Drink im Glas herumschwenken. »Ich mag das.« Sie sah hoch. »Haben wir das auch? Eine romantische Schwärmerei?«
Stoner umfasste ihr Glas fester. »Ich schätze schon.«
»Allerhand, eingedenk der Tatsache, dass du keine Romantikerin bist.«
»Ich seh’s ein, Gwen.«
Gwen griff über dem Tisch nach Stoners Hand. »Ich hoffe, wir werden immer Freundinnen sein, Stoner.«
Immer? Ich wage zu zweifeln. Eines schönen Tages wirst du einen von diesen ›reizenden jungen Männern‹ kennenlernen, die es deiner Großmutter so angetan haben. Sechs Monate nachdem du ihn geheiratet hast, beschließt er, nach Oklahoma City umzuziehen, und du folgst ihm, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Ich besuche dich fortan einmal pro Jahr in seinem Haus, esse sein Essen, von ihm zubereitet auf seinem Grill auf seiner Veranda. Nach dem Essen sitzen wir herum, wir drei, und ›klönen‹ in seinem Wohnzimmer, bis es Zeit ist, ins Bett zu gehen – du mit ihm und ich ins Gästezimmer. Mit etwas Glück bleiben uns ein paar Stunden allein zusammen im Waschsalon, wo wir mit dem Baby spielen. Es dauert nicht lange und wir wissen nicht mehr, worüber wir miteinander reden sollen.
Sie lächelte traurig versunken und starrte auf Gwens Hand.
»Was ist los?«, fragte Gwen.
»Ich hoffe nur, du hast recht.«
Gwen spielte mit ihren Fingern. »Sag mir, was wäre das Entsetzlichste, was ich dir antun könnte? Das, was dich dazu brächte, mich für immer zu hassen?«
»Ich würde dich für immer hassen«, sagte Stoner sehr ernst, »wenn du mich bitten würdest, ein Kleid anzuziehen.«
Gwen lachte.
»Wie sieht’s bei dir aus?«
»Ich würde dich hassen«, sagte Gwen, »wenn du mich zwingen würdest, zu einer Marx-Brothers-Retrospektive mitzukommen.«
»Verflucht, genau das hatte ich für heute Abend geplant.«
Zwei Teller mit dampfenden Hummern schwebten an ihren Gesichtern vorbei.
Stoner zog ihre Hand ruckartig von Gwens zurück. »Prompte Bedienung.«
Sie warteten schweigend, während Steve-zu-Diensten eine Ewigkeit damit zubrachte, auf dem Tisch diverse Schälchen zu drapieren. Er betrachtete seine Kreation mit zutiefst befriedigtem Gesicht. »Noch einen Wunsch?«, fragte er Gwen.
»Nein, vielen Dank, Steve.«
Er entschwand ins Halbdunkel.
»Ehrlich«, sagte Gwen, »du bist furchtbar hektisch.«
»Tut mir leid. Es ist ein Reflex, den ich mir in King’s Grant angewöhnt habe.«
Gwen brach eine Schere von ihrem Hummer ab. »Wo ist King’s Grant?«
»Auf Rhode Island. Meine Heimatstadt.«
»Oh«, sagte Gwen. »Es klang nach Einkaufszentrum.« Sie schob ihren Krautsalat zur Seite. »Wie war es, dort aufzuwachsen?«
Stoner zuckte die Achseln und verwüstete ihr Essen. »Nicht so toll.«
»Bist du noch mal dort gewesen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der Einzige, den ich hätte wiedersehen wollen, wäre Scruffy gewesen, aber sie haben ihn einschläfern lassen.«
»War er krank?«
»Sie haben’s gemacht, weil ich nicht wieder nach Hause kommen wollte.«
Gwen legte ihre Gabel hin. »Stoner, das ist das Gemeinste, was ich jemals gehört habe.«
»Es führte zu gewissen Spannungen zwischen uns.«
»Ich hoffe, du wirst niemals mehr etwas für sie tun – besonders nicht, wenn sie es sich wünschen.«
Stoner zuckte die Achseln. »Ich versuch’s.« Sie erstach ihre gebackene Kartoffel.
Gwen knackte den Hummerschwanz, zog das Fleisch heraus und begann es in kleine Stücke zu zerteilen. »Wann hattest du zum ersten Mal den Verdacht, dass du eine …«, sie senkte ihre Stimme auf die Flüsterlautstärke einer Souffleuse, »… Lesbe bist?«
»In der sechsten Klasse, als mich Ernie Jones auf dem Schulhof küsste und ich nicht vor Verzückung in Ohnmacht fiel.«
»Ernsthaft?«
»Ernsthaft. Weißt du, ich war doch schon die ganze Zeit unsterblich in seine Mutter, die den Schulbus fuhr, verliebt.«
»Zu Hause in Jefferson gab es eine Frau«, sagte Gwen. »Die Kinder flüsterten sich zu, sie sei andersrum. Ganz lange dachte ich, sie meinten damit, dass sie irgendwie sonderbar sei. Aber ich fand sie nicht sonderbar, ich fand sie einfach nur sehr groß. Andersrum heißt doch wohl nicht, groß zu sein, nicht wahr?«
»Nicht in Massachusetts.«
»Zu Hause in Georgia reden anständige Leute nicht über solche Dinge.«
»Zu Hause auf Rhode Island«, sagte Stoner, »sind solche Dinge fester Bestandteil jeder Unterhaltung.«
Gwen stocherte in ihrem Hummer. »Das Leben mit meiner Großmutter ähnelt dem Leben in Georgia. Nach außen hin freundlich, aber …«
»Sie passt sehr gut auf dich auf.«
»Weißt du, ich glaube ernsthaft, sie würde mich eher mit Charles Manson verheiraten wollen, als zuzulassen, dass ich mit einer anderen Frau glücklich werde.«
»Hatte sie Einwände, als du sagtest, dass du mit mir hierher fährst?«
Gwen schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre zu direkt gewesen.«
»Ulkig, nicht?«
»Ich find’s nicht mal im Ansatz komisch.« Sie zerquetschte ein Stück Zitrone. »Am liebsten würde ich das ihr gegenüber ein für alle Mal klarstellen, aber …«
Stoner lächelte. »Du bist zu höflich.«
»Zu ängstlich.« Gwen zog mit ihrer Gabel das Muster der Tischdecke nach. »Sie ist meine ganze Familie, seit ich vierzehn wurde. Als meine Eltern umkamen, nahm sie mich kurzerhand bei sich auf. Ohne Wenn und Aber, ohne Zögern.«
»Ich weiß.«
»Sie war immer gut zu mir, besser und liebender, als es meine Eltern je waren. Aber im vergangenen Jahr …«
»Sie hat dir die Heirat mit Bryan verziehen. Vielleicht wird sie dir auch die Freundschaft mit mir verzeihen.«
Gwen schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht. Ich will, dass sie sich ändert. Aber da es das erste Mal ist, dass ich das will, weiß ich nicht, wie ich sie dazu bringen kann.«
»So wie ich Tante Hermione kenne«, sagte Stoner, »wird sie sicherlich den richtigen Dreh finden.« Sie musterte ihren Krautsalat. »Vermutlich haben sie gerade ein paar Räucherstäbchen angezündet und tratschen jetzt miteinander.«
»Es würde mich nicht einmal stören, wenn sie sich die Gesichter mit Menstruationsblut schminken und nackt auf einer Lichtung tanzen würden. Selbst das wäre ein Fortschritt.«
»Du hattest wohl einen reichlich herben Winter, was?«
»Ich hatte schon bessere.« Sie schaute sich prüfend im Restaurant um und beugte sich nach vorne. »Stoner, ich glaube der Mann beobachtet uns.«
»Ich hab’s dir ja gesagt. Das interessiert sie alle.« Sie sah verstohlen hinüber. Der graue Mann saß zwar etwas mit dem Rücken zu ihr, schien aber Gwen zu beobachten.
Gwen schauderte. »Er erinnert mich an Betty Jeans Onkel Ed John, der in Jefferson Gebrauchtwagen verkaufte.«
»Betty Jean?«, sagte Stoner und unterdrückte ein Kichern. »Ed John? Ich wusste nicht, dass ihr die Waltons wart.«
»Betty Jean war meine Schulfreundin. Normalerweise hingen wir mit hochgesteckten Frisuren und in Reifröcken und Fußkettchen in ihrem Chevy-Cabriolet vorm Limonadenstand herum.«
»Mit vierzehn?«
»Betty Jean war sechzehn. Davon abgesehen, in Jefferson fährst du Auto, sobald du so gerade eben ans Gaspedal reichst. Betty Jean war groß für ihr Alter. Oder jung für ihre Größe.«
»Was fängt man denn mit hochgesteckter Frisur in einem Chevy-Cabriolet an?«
»Du verbringst ’ne Menge Zeit damit, dein Haar in Ordnung zu halten. Ich war bestimmt die schnellste Hochsteckerin der neunten Klasse.«
»Das würd ich gern mal sehen«, grinste Stoner.
»Tja, daraus wird nichts. Ich hab das alles hinter mir gelassen, als ich zur enthusiastischen Yankeefrau wurde.«
»Wie nannten sie dich? Oder warst du die einzige Gwen unter all den Sally Joes und Billy Bobs?«
»Iss dein Essen«, sagte Gwen mit hochroten Ohrläppchen.
»Los, komm schon. Erzähl’s mir. Ich hab dir auch von Ernie Jones erzählt.«
»Also … nein.«
»Los, los.«
»Gwyneth Ann«, sagte Gwen, »und ich möchte, dass du das nie wieder erwähnst.« Stoner johlte.
Gwen warf eine Hummerschere nach ihr. »Ich meine, was ich sage, Stoner. Solltest du mich jemals so nennen, ist es aus und vorbei mit unserer Freundschaft.«
»Ach Quatsch, Gwyneth Ann, das ist der süßeste Name, den ich jemals gehört habe.«
»Nimm dich in Acht, Lucy B. …«
Stoner erstarrte. »Wer hat dir das erzählt?« Ihr fiel es ein. »Oh, Scheiße.«
Gwen lächelte selbstzufrieden. »Ja, ja, ja. Lucy B. McTavish.«
»Lucy B. Stoner McTavish, und jetzt vergisst du’s besser.«
»Der Handel gilt«, sagte Gwen. »Willst du nicht aufessen?«
»Ich bin fertig.« Ihr Teller sah aus, als ob er von Terroristen verwüstet worden wäre. »Du kannst gerne noch in dem Schutt rumstochern, wenn du willst. Du kannst auch die Leiche haben.«
»Die was?«
»Leiche. Die Leber.«
»Meine Mutter hatte völlig recht. Yankees sind abscheulich.«
Der graue Mann beobachtete Gwen immer noch.
»Ich wünschte, er würde das endlich lassen«, sagte Stoner.
»Vermutlich will er die Leiche.«
»Er starrt dich ununterbrochen an, schon seit zehn Minuten.«
»Vielleicht meditiert er, und ich sitz ihm im Weg.« Sie sah ihn an und lächelte. Er schaute wieder in seine Zeitung. »Also gut, er beobachtet uns.«
»Ich mag das nicht.«
»Ich genauso wenig.«
Steve-zu-Diensten materialisierte sich wieder, eine Geschirrschüssel aus Plastik zwischen Arm und Hüfte balancierend. Er warf die Teller rein und verschwand.
»Gut«, sagte Gwen, »das war unbeschreiblich. Wie sieht’s mit Nachtisch aus?«
»Zitronenbaisertorte.«
»Davon kriegst du Alpträume.«
»Ich hab immer Alpträume. Zitronenbaisertorte gehört sich einfach nach Hummer.«
»Vielleicht für dich.«
Der Knabe war wieder da. Gwen bestellte Kaffee und Torte für Stoner und nur Kaffee für sich.
»Gwen«, fragte Stoner. »Glaubst du, du heiratest wieder?«
Gwen verdrehte die Augen. »Hat meine Großmutter mit dir gesprochen?«
»Das Äußerste, was deine Großmutter zu mir sagt, ist ›Zwei ohne Trumpf‹ oder ›Drei Karo‹.«
»Tut mir leid«, sagte Gwen. »Manchmal denke ich, es ist nicht fair, dass ich dich bitte, mit ihr Bridge zu spielen.«
»Ich nehm sie nicht so ernst. Vermutlich hat sie gerade ihre Midlife-Crisis oder so was.«
»Mit siebzig?«
»Vielleicht ist sie Spätentwicklerin. Wirst du?«
»Werde ich was?«
»Wirst du wieder heiraten?«
»Das Letzte, was ich mir wünsche, ist irgend so ein liebreizender Traumprinz, der aus der Sonne geritten kommt und mich mitschleift in sein Zauberschloss.«
»Ich versteh schon, dass dir das im Moment so geht, aber eines Tages …«
»Eines Tages, eines Tages. Wenn dieser Planet sich nicht bald zusammenreißt, wird es kein ›eines Tages‹ mehr geben.«
»Aber wenn es …«
Gwen lachte. »Als ich klein war, hatten wir eine Hirtenhündin namens Bessie. Die alte Bessie verbrachte die Stunden zwischen ihren Mahlzeiten damit, in der Sonne zu liegen und darauf zu warten, dass etwas passiert. Doch da in Jefferson niemals etwas passiert, bekam sie eine beträchtliche Dosis ultravioletter Strahlung ab. Wie auch immer, eines Tages sah sie, wie ein Streifenhörnchen in einem Erdloch verschwand. Du konntest buchstäblich sehen, wie ihr Gehirn ansprang und nach und nach zu arbeiten begann. ›Ding. Bewegt sich. Loch. Verschwunden.‹ Sie beschloss es auszugraben. Sie grub und grub und grub. Auch noch nach fünf Jahren begann sie jedes Mal, wenn sie an dem Loch vorbeikam, zu graben.«
»Ist da irgendwo eine Pointe?«
»Du«, sagte Gwen. »Du hast manchmal eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dieser Hirtenhündin.«
»Und du hast manchmal eine erstaunliche Ähnlichkeit mit diesem Streifenhörnchen. Ich versuch dich doch nicht zu drängeln. Ich schätze, ich will nur wissen, wie viel Bryan in dir zerstört hat.«
Steve servierte den Nachtisch. Stoner probierte den Kaffee und verzog das Gesicht. »Das ist ja grässlich. Vielleicht mag ich überhaupt keinen Kaffee.«
Gwen spielte mit ihrer Tasse. »Bryan hat mich verletzt. Damit bin ich durch. Er ließ mich an meiner eigenen Urteilsfähigkeit zweifeln. Auch darüber werde ich hinwegkommen, aber bis dahin …«
»Und die Liebe?«
»Was ist damit?«
»Hat er dafür gesorgt, dass du Angst vor der Liebe hast?«
»Na sicher hab ich Angst vor der Liebe«, sagte Gwen. »Du nicht?«
»Ein bisschen.«
»Wir wären ja nicht ganz bei Trost, wenn wir nicht wenigstens ein bisschen Angst vor der Liebe hätten. Das bedeutet doch aber noch lange nicht, dass ich sie ad acta lege. Du vielleicht?«
»Nein«, sagte Stoner und wandte ihre Aufmerksamkeit der Zitronenbaisertorte zu.
»Du hast mir damals den Vortrag gehalten, die Bryans dieser Welt dürften nicht gewinnen. Na also, ich hab es mir zu Herzen genommen.«
Ich erzähl dir was übers Herz, Gwen. Ich erzähl dir was darüber, Leute zu lieben und zu wollen, dass sie glücklich werden, und zu wissen, dass das, was sie glücklich macht, dich umbringt. Ich erzähl dir, was es heißt, eine Lesbe zu sein, die eine normale Frau liebt. Ich erzähl dir was über Qualen.
»Stoner?«
Sie schaute hoch.
»Wie ist es mit dir?«
»Mir?«
»Glaubst du, du wirst dich wieder verlieben?«
»Sicher«, sagte sie betont gelassen, während sie sich wie ein von Füchsen umkreistes Huhn fühlte. »Es kann jeden Augenblick losgehen.« Sie überflog den Raum in der Hoffnung auf Ablenkung.
Steve sorgte dafür.
»Da kommt er wieder«, murmelte sie.
»Meine Güte«, sagte Gwen laut, »das ist ja wirklich ein aufmerksames Restaurant hier.«
Er deutete auf den grauen Mann. »Mr. Lennox möchte Ihnen gerne einen Drink ausgeben.«
»Bitte sagen Sie dem Gentleman«, sagte Gwen, »wir wissen seine Einladung zu würdigen, müssen aber ablehnen.«
»Ihm gehört dieser Laden.«
»Trotzdem.«
Der Junge zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen. Verstehe nicht, warum Sie ’ne Runde Schnaps ausschlagen wollen.«
»Sie würden, wenn Sie eine Frau wären. Können Sie uns bitte die Rechnung bringen?«
Stoner beobachtete ihn beim Fortgehen. Irgendetwas an ihm gefiel ihr nicht.
»Provinz-Kavalier?«, spekulierte Gwen. »Oder die Geschäfte gehen nicht so richtig?«
»Ich hab so das Gefühl, er spioniert uns nach. Die Art, wie er dich angestarrt hat …«
»Vielleicht ist er der für diese Gegend typische Schwerenöter.«
»Glaub ich nicht.«
»Wenn er uns nachspioniert, dann vermutlich doch nur, weil es das Einzige ist, was man freitagabends in Castleton tun kann.«
»Ich bin sicher. Falls er irgendwie mit Schattenhain in Verbindung steht, und falls da draußen irgendetwas vor sich geht …«
»Du glaubst, dieses ganze Kaff ist an einer Verschwörung beteiligt?«, fragte Gwen ungläubig. »Wir wissen doch noch nicht einmal, ob an Schattenhain auch nur die kleinste Kleinigkeit nicht stimmt.«
»Aber es könnte sein. Und sie haben deinen Namen.«
Gwen seufzte. »Das werd ich wohl im Leben nicht mehr los, wie? Es wird mich bis ins Grab verfolgen.«
»Ich finde nur, wir sollten wachsam sein, mehr nicht. Du warst diejenige, die gesagt hat, dass sich Steve merkwürdig benimmt.«
»Okay, den Rest der Reise stülp ich mir eine Tüte über den Kopf und verhalte mich möglichst unauffällig.«
Sie beobachtete Steve, der wieder auf sie zusteuerte. Sein Gesicht wirkte angespannt, gestresst. Er stellte sich an den Tisch und begann langsam, Punkt für Punkt abhakend, die Summe zusammenzurechnen.
Entweder ist er schlecht in Mathe oder ihm geht irgendetwas durch den Kopf. Er legte die Rechnung auf den Tisch, stand da und bewegte seinen Mund.
»Wollen Sie irgendetwas sagen?«, fragte Gwen auf beste Lehrerinnenart.
»Jaa.« Er zögerte.
»Falls Salmonellen im Krautsalat waren, sagen Sie es uns am besten jetzt.«
»Hören Sie«, murmelte er, »haben Sie vor, bis übermorgen zu bleiben? Falls ja, sollten Sie wissen, dass wir morgen Abend geschlossen haben.«
»Tatsächlich?«, sagte Gwen. »Auf Ihrem Schild draußen …«
»Es ist Neumond.«
»Ich weiß, ich werde es bereuen, gefragt zu haben«, sagte Gwen, »aber was hat der Neumond damit zu tun?«
Er blickte verstohlen über seine Schulter. »Schleppnetze.«
»Ein heiliger Stammesritus?«
»Fischen.« Er wandte sich zum Gehen.
Gwen hielt ihn zurück. »Können wir jetzt bezahlen?« Sie hielt ihm ein paar Scheine hin.
Er nahm das Geld und zählte es. »Ich bringe Ihnen das Wechselgeld.«
»Behalten Sie’s.«
Er zählte es noch mal. »Das ist verdammt viel.«
»Fahren Sie nach Augusta«, sagte Gwen, »und summen Sie den Bienen nach.«
Er starrte auf den Boden und trat von einem Fuß auf den anderen. »Sie wollen bestimmt nicht in dieser Stadt bleiben«, sagte er schließlich. »Hier ist einfach nichts los.«
»Wir werden darüber nachdenken«, sagte Gwen.
»Ist wirklich wahr, Lady. Ist ’ne lausige Ecke hier, verstehen Sie, was ich meine?«
»Ich fürchte nein.«
Er wurde etwas ungemütlich. »Die Menschen hier … also, sie sind etwas merkwürdig zu Fremden und so … ich meine, sie lassen sich nicht gerne von ihren Sachen abhalten, nur um Ihnen Guten Tag zu sagen.«
»Ja«, sagte Gwen. »Wir vermuteten das bereits aufgrund des freundlichen Empfangs im Hotel.«
»In Waldoboro ist es sehr schön«, schlug Steve hoffnungsvoll vor.
»Und in Waldoboro ärgern sie sich auch nicht über Fremde, was?«
»Genau.«
»Also, darüber werden wir ernsthaft nachdenken.«
Er schien beruhigt. »Aber behalten Sie das für sich. Könnte mich den Job kosten, okay?«
»Okay. Und, Steve, wenn Sie nach L.A. kommen, stürzen Sie sich für mich mit auf eine der dicksten Wellen.«
Er grinste, stopfte das Geld in seine Tasche und huschte davon.
»Wie viel hast du ihm denn gegeben?«
»Zehn Dollar.«
»Das ist sehr viel.«
»Es war billig, um das herauszufinden, was wir herausgefunden haben.« Sie griff nach ihrem Mantel. »Irgendwelche Schatten liegen auf Schattenhain, und es sind nicht die der Bäume.«
Kapitel 3
Es war die dunkelste Nacht, die Stoner je erlebt hatte. Die Art Dunkelheit, die alles schluckt, nicht nur Licht und Schatten, auch Geräusche. Sie bedeckte die Stadt wie eine Bettdecke aus Fäulnis. Der Nebel hatte sich zu Nieselregen ausgewachsen. Stoner kuschelte sich tiefer in ihren Mantel und versuchte, das Wetter nicht persönlich zu nehmen.
»Also«, sagte Gwen, »wann fahren wir?«
»Wohin?«
»Nach Waldoboro.«
»Möchtest du nach Waldoboro?«
»Ich? Ich weiß noch nicht mal, was das überhaupt ist.«
»Warum sollten wir dann hinfahren?«
»Man hat uns aufgefordert, aus der Stadt zu verschwinden.«
»Tja«, meinte Stoner zögernd, »ich schätze, das sollten wir.«
»Wenn man dich auffordert, aus der Stadt zu verschwinden, ist das Vernünftigste, was du tun kannst, aus der Stadt zu verschwinden.«
»Richtig.«
»Andererseits kommst du irgendwie nicht umhin, dich zu fragen, warum das Ganze, oder?«
»Ja, stimmt.«
Sie gingen ein Stückchen.
»Also, sollen wir nun aus der Stadt verschwinden?«, fragte Gwen schließlich.
»Es wäre vermutlich besser.«
Sie gingen wieder ein Stückchen.
»Ich bin noch nie aus einer Stadt verscheucht worden«, sagte Gwen.
»Ich auch nicht.«
»Es ist irgendwie schmählich.«
»Ja, stimmt.«
Gwen kickte ein Steinchen weg. »Wenn Miss Marple aufgefordert würde, aus der Stadt zu verschwinden, würde sie gehen?«
»Ich bezweifle es.«
»Wenn Mrs. Pollifax aufgefordert würde, aus der Stadt zu verschwinden, würde sie gehen?«
»Kaum.«
»Wenn Cagney und Lacey …«
»Das entscheidet es«, sagte Stoner. »Wir bleiben.«
Ein Auto rollte langsam auf sie zu. Die Scheinwerfer glommen im Nebel wie Katzenaugen. Der Fahrer schien in ihre Richtung Ausschau zu halten.
Das Fernlicht blendete plötzlich auf.
»Runter!«, rief Stoner. Sie zerrte Gwen hinter einen Baumstamm.
Der Wagen fuhr weiter, erreichte das Ende des Häuserblocks, wendete und kam zurück.
»Ist das unser Freund?«, flüsterte Gwen.
»Ich bin nicht sicher.« Sie duckte sich tief in den Schatten des Baumes. Das Auto glitt an ihnen vorüber, wendete nochmals und fuhr wieder vorbei, dann beschleunigte es und verschwand in der Dunkelheit.
»Ich glaube, wir haben Ärger am Hals«, bemerkte Gwen. »Entweder das, oder die Leute hier haben einen extrem hoch entwickelten Grad von Neugier.«
Stoner brummte.
»Du, wenn wir morgen nach Schattenhain fahren, dann lass mich reingehen. Sie wissen sowieso, dass ich Claire suche. Ich kann ein paar harmlose Fragen stellen, mich mit ihnen unterhalten und so tun, als ob ich alles glaube, was sie mir erzählen. Dann wiegen sie sich in Sicherheit.«
»Vielleicht«, sagte Stoner.
»In der Zwischenzeit sondierst du das Terrain von außen. Aber wenn wir irgendetwas – ich wiederhole, irgendetwas – Ungewöhnliches bemerken, gehen wir zur Polizei. Verstanden? Zur Polizei.«
Stoner sah zu Boden. »Wir können nicht zur Polizei.«
»Was?«
»Claire darf sich nicht außerhalb von Massachusetts aufhalten.«
»Stoner …«
»Sie ist auf Bewährung draußen, wegen Drogen.«
»Du hast mir gesagt, sie nimmt keine Drogen.«
»Sie ist wegen Dealens verhaftet worden.«
»Wegen Dealens!«
»Sie hat nicht gedealt«, erklärte Stoner. »Sie kannte Leute, die dealten, und war mit ihnen zusammen, als es eine Razzia gab.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Gwen.
»Es war auf einer Party.«
»Es ist mir egal, und wenn es in der Kirche war …«
»Wegen der Vorstrafe war dies hier der einzige Job, den sie kriegen konnte.«
Gwen ließ sich auf eine Parkbank fallen. »Oh mein Gott.«
»Setz dich nicht dahin, es ist nass.«
»Hast du eine Ahnung, in was für einem Schlamassel wir hier vermutlich stecken? Claire Rasmussen kann durchaus die Anführerin eines internationalen Rauschgiftringes sein, der Schattenhain als Tarnung und Hauptquartier benutzt.«
»Sie ist erst dreiundzwanzig«, sagte Stoner. »Bitte, steh auf.«
»Na, großartig, sie wird in die Geschichte eingehen. Baby Rasmussen und ihre Gang.«
»Sie wusste doch nicht, dass es Dealer waren.«
»Aber klar doch«, sagte Gwen. »Den Spruch höre ich fünfzehnmal pro Tag.«
»Nancy glaubt ihr.«
»Vermutlich kommt sie von einem anderen Stern.«
»Wir wollen uns doch nur umsehen, Gwen.«
»Ich kenne dich. Dabei wird es nicht bleiben.«
»Wir sollten das nicht hier draußen besprechen.«
»Wieso nicht?« Gwen fuchtelte resigniert mit den Armen. »Das Motelzimmer wird vermutlich abgehört.«
»Es ist kalt. Es regnet.«
Gwen stand auf. »Ich werde das alles bereuen, Stoner.«
Der Drugstore war jetzt geschlossen. Über der Seegurke flackerte in einem der Fenster ein schwaches Licht. Rauch stieg aus dem Schornstein und löste sich in Nacht auf. Die Luft roch nach Nässe und brennendem Holz.
»Jemand hat ein Feuer angemacht«, sagte Stoner. »Ob sie Lust auf Gesellschaft haben?«
Gwen nahm Stoners Hand. »Lass uns im Sommer wieder nach Wyoming fahren. Da bekommst du so viele Kaminfeuer, wie du willst.«
»Ist das dein Ernst?«, fragte Stoner verblüfft.
»Ich würde es nicht sagen, wenn es mir nicht ernst wäre.«
»Aber wird das nicht ungute Erinnerungen wachrufen?«
»Ich hab auch sehr schöne Erinnerungen. Du nicht?«
Worte könnten nicht annähernd ausdrücken … »Doch.«
»Und dann die Landschaft. Was auch passiert ist, die Landschaft kann nichts dafür.«
»Du brauchst mich nicht zu überzeugen«, sagte Stoner. »Ich kann in fünf Minuten startklar sein.«
Vor ihnen tauchte die Herberge zum Ostwind auf. Das Neonschild funzelte mühsam vor sich hin. Stoner fühlte Mitleid in sich aufsteigen und das Bedürfnis, dieses Haus aus seiner elenden Umgebung zu befreien.
»Stoner«, fragte Gwen, »hat Tante Hermione für diese Geschichte hier die Tarotkarten konsultiert?«
»Ja.«
»Und was war die Hauptkarte?«
»Der Turm.«
»Und was bedeutet der Turm?«
»Veränderung, Konflikt, Katastrophe. Umsturz oder Vernichtung alles Bestehenden …«
»Ich hab’s gewusst«, murmelte Gwen. »Ich wusste es einfach.«
***
»Du hast der Dusche Unrecht getan«, erklärte Stoner. »Was auch immer das da drin ist, es tut niemandem was.«
»Wahrscheinlich haben wir es ertränkt. Ist dir eigentlich klar, dass wir insgesamt fünfundvierzig Minuten in diesem Zimmer verbracht und in dieser Zeit, zusammengenommen, dreimal geduscht haben?«
Stoner wickelte das Kabel um den Fön, verstaute ihn in der Kommodenschublade und sah in den Spiegel. Hinter ihr saß Gwen auf dem Bett, Kissen im Rücken, und las.
Gwen fing ihren heimlichen Blick auf. »Was ist denn?«
»Du gefällst mir mit Brille.«
»Irgendwer hat doch mal gesagt ›Männerherz bleibt stille bei einer Frau mit Brille‹, nicht? Ich finde, das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, was meinst du?«
»Oh, und ob.«
»Vielleicht sollten wir zusammen eine Firma gründen. ›Tausend Tipps, ihn loszuwerden. 24-Stunden-Service für wirkungsvolle Männerabschreckung.‹«
Stoner lachte. »Du hinkst ungefähr zehn Jahre hinterher. Männer anlocken ist wieder in.«
»Du, ich hab das Gefühl«, Gwen schlang ihre Arme um die Knie, »irgendwann ist uns der Fehdehandschuh verloren gegangen, und ich hab es nicht mal gemerkt. Es ist höchste Zeit, die Revolution wieder in Gang zu bringen.«
»Ich bin bereit, gib das Signal.«
»Erst mal müssen wir die Nacht durchstehen.« Gwen legte Buch und Brille auf den Nachttisch. »Kannst du diesen Ofen nicht ein bisschen auf Touren bringen? Der Raum ist der reinste Eisschrank.«
Stoner kniete sich hin und versuchte es. »Ich glaube, er tut schon sein Bestes.« Eine wunderbare Idee beschlich sie. »Du könntest mit zu mir unter die Decke kriechen.«
»Ich würde dich zerquetschen.«
»Nein, gar nicht.« Sie schlüpfte unter die Decke und presste ihren Rücken gegen die Wand. »Guck, jede Menge Platz.«
»Bist du sicher?«
Sie fühlte sich kühn und sorglos. »Ganz sicher.«
»Nicht, dass ich dich wach halte.«
»Das wirst du nicht.«
»Vielleicht doch.«
»Du hältst mich jetzt wach.«
»Na ja«, sagte Gwen, »es ist wirklich furchtbar kalt.«
»Und es wird garantiert noch kälter.«
Gwen machte Anstalten aufzustehen und überlegte es sich anders. »Lieber nicht.«
»Gwyneth«, sagte Stoner streng, »es ist nicht sinnvoll, dass wir beide frieren. Mach, dass du hier rüberkommst, bevor ich dich der Homophobie verdächtigen muss.«
Gwen schnappte sich ihre Decke und ihr Kissen, warf beides auf Stoners Bett und schlüpfte neben sie. »Erpressung«, brummelte sie.
Stoner stopfte die Decken um sie herum fest. »Besser?«
»Himmlisch.« Aber ihre Stimme war unsicher, ihr Körper steif.
»Warum so angespannt?«
»Kalt.«
Stoner griff über sie hinweg und knipste die Nachttischlampe aus. »Iowa war Iowa, Gwen. Ich weiß, dass das nicht mehr gilt.«
»Stoner …«
Sie küsste Gwens Scheitel. »Schlaf jetzt.«
Gwen griff nach Stoners Hand und zog ihren Arm wie einen Schal um sich. »Du bist wirklich sehr, sehr lieb, weißt du.«
»Ich weiß«, sagte Stoner. »Das ist mein einziges Laster.«
Sie hörte, wie Gwens Atemzüge langsam und gleichmäßig wurden, fühlte, wie sie einschlief. In einiger Entfernung murmelte das Meer. Von irgendwo oberhalb kam das Geräusch tropfenden Wassers, der Nieselregen bekam Verstärkung durch schmelzenden Schnee, nun würde allmählich die Erde zu neuem Frühling erwachen.
Tante Hermione erklärte gern: ›Die Veränderung ist das größte Wunder allen Lebens. In jedem Augenblick löst sich Vergangenheit auf, Gegenwart vergeht, und die Zukunft nimmt die Fäden auf und beginnt ihr Muster zu weben. Ob zum Guten oder zum Schlechten, das Morgen ist seiner Natur nach neue Möglichkeit.‹
Im letzten August hielt ich eine Nacht lang ein Kissen in den Armen und stellte mir vor, es sei Gwen. Heute Nacht halte ich sie in den Armen. Kommenden Sommer fahren wir nach Wyoming. Und eines Tages vielleicht nach Anguilla, willkommen geheißen von Wer-auch-immer-uns-gerade-begegnet …
***
Sie träumte, sie wolle jemanden im Krankenhaus besuchen, aber sie verlief sich und wanderte durch die Stationen auf der Suche nach einer Person, die ihr den Weg sagen konnte.
Sie ging durch eine Reihe von schweren Metalldoppeltüren mit Drahtglasscheiben und fand sich in einem Raum ohne Ausgang wieder. Aus den Ecken hörte sie Gemurmel von verschleierten Gestalten.
Sie drehte sich um, um denselben Weg zurückzugehen, und sah, dass sich Kindergesichter gegen die Drahtglasscheiben pressten.
Während sie hinschaute, begannen sie sich zu verändern, ihnen wuchsen krallige Füße …
… und winklige Schwänze mit Gelenken …
und sie wurden zu Skorpionen.
Sie zuckte erschrocken zurück, wagte nicht, die Tür zu berühren.
Und plötzlich wusste sie, dies war ein Ort der Metamorphosen, auch sie würde sich allmählich verändern …
… und wenn sie sich verwandelt hatte, würde sie zerquetscht werden …
… und die ganze Zeit würde sie bei vollem Bewusstsein sein.
***
Der Nebel war verdunstet. Stückchen wässrigblauen Himmels waren zu sehen. Hoch oben segelten Möwen, ihre heiseren Schreie zerrissen die Luft, klangen nach Ekstase und Wut.
»Du hattest recht«, sagte sie zu Gwen. »Hummer und Zitronenbaisertorte machen Alpträume.«
Aber Gwen war weg.
Sie stolperte ins Bad, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und versuchte, ihre aufsteigende Angst herunterzuschlucken.
Sie ist nicht weit, ihre Sachen sind alle noch da. Vielleicht joggt sie morgens gern eine Runde. Vielleicht ist sie das Meer angucken gegangen. Vielleicht …