Kitabı oku: «Geschichte der Sonderpädagogik», sayfa 8
materielle Nöte
Es ist vermutlich dem wirtschaftlichen Geschick der Ehefrau Eschkes zu verdanken, dass das Taubstummeninstitut während der schwierigen 1790er Jahre weiter existieren konnte. Eschke finanzierte alle Ausgaben aus den vom König bewilligten Jahresgehältern, die eigentlich für ihn bestimmt waren sowie aus Kollekten und Erlösen seiner publizistischen Tätigkeit und bewegte sich damit allzu oft am Rande seiner Existenz. Die Zeit der französischen Besatzung stürzte auch die in ihrer Aufbauphase befindlichen Berliner Institute für Gehörlose und Blinde in eine tiefe Krise, und es war nur dem beherzten und entschlossenen Handeln Eschkes und Zeunes zu verdanken, dass beide Einrichtungen während dieser schwierigen Zeit aufrechterhalten werden konnten. In einem Brief an den nach Ostpreußen geflohenen König Friedrich Wilhelm III. verwies Eschke auf die schwierige finanzielle Situation des Institutes, die ausstehende Besoldung der Lehrer sowie die mangelhafte Unterbringung der Zöglinge. Eschke trug sich mit dem Gedanken, Berlin zu verlassen und einem Ruf nach Romanowa, einer Stadt im damaligen Galizien bei Lemberg, zu folgen; schließlich verwarf er diesen Plan, weil sich durch eine größere Schenkung die Situation des Taubstummeninstituts und damit auch seine persönliche Stellung deutlich verbesserte.
Übernahme durch Unterrichtsministerium
Die eingeläutete Reformperiode in Preußen und die Übernahme der Sektion für den öffentlichen Unterricht durch Wilhelm von Humboldt im Februar 1809 schuf auch für das Taubstummeninstitut Eschkes die Basis für eine längerfristig gesicherte Existenz. Der Wechsel der administrativen Zugehörigkeit des Taubstummeninstituts zur Sektion für den öffentlichen Unterricht hatte zur Folge, dass die Sektion die noch ausstehenden Zuschüsse für die Einrichtung des Instituts und die Besoldung der Lehrer übernahm. Im Oktober 1809 legte der für die Aufsicht des Taubstummeninstituts zuständige Obergeheimrat Nolte einen ersten Bericht vor, der mit Anmerkungen des bereits erwähnten Oberkonsistorialpräsidenten Natorp versehen war. Natorp bekundete nicht nur seine Zufriedenheit mit der geleisteten Arbeit im Taubstummeninstitut, sondern entwickelte darüber hinaus höchst innovative Ideen hinsichtlich einer Befruchtung des Elementarunterrichts durch die Methodik der Taubstummenpädagogik. Er verwies darauf, dass
„die Darstellung der bey der Bildung der Taubstummen genommenen Gangart und der dabei beobachteten Untersuchungsweise für die Elementarbildungskunde überhaupt einen wirklichen Gewinn bringen. Der Elementarlehrer wird daraus die wahren Elemente der Bildung ersehen, und er wird durch Benutzung der daraus für ihn hervorgegangenen Winke den Gang finden, den er auch bey der Elementarbildung […] zu nehmen hat, auf eine wahrhaft elementare Weise zu verstehen und seine Unterweisung eben so planmäßig als methodisch einzurichten. Die Institute daran würden, um dies nur beyläufig zu berühren, wichtige Beiträge zur Würdigung des pestalozzischen Systems der institutionellen Bildung werden.“11
staatliche Förderung
In den folgenden Jahren erstattete Oberkonsistorialrat Nolte in regelmäßigen Abständen Berichte über die Fortschritte des Taubstummeninstituts, und die insgesamt positiven Beurteilungen führten dazu, dass die preußische Kultusverwaltung und das Provinzialschulkollegium den weiteren personellen Ausbau der Anstalt tatkräftig unterstützten. Sämtliche Kosten für das Gebäude des Instituts, die Besoldung der Lehrer sowie Bekleidung und Kost der armen Zöglinge wurden staatlicherseits übernommen.
Unterstützung Mittelloser
Das folgende Beispiel illustriert, dass die preußische Unterrichtsverwaltung unter von Humboldt recht großzügig mit den Gesuchen der Angehörigen mittelloser Taubstummer verfuhr. Im Oktober 1809 wandte sich der Gastwirt Kolbe mit einem Schreiben an das Ministerium, in dem er außer der bereits gewährten kostenlosen Unterrichtung auch die unentgeltliche Unterbringung seiner Tochter in der Berliner Taubstummenanstalt erbat:

„Ich bin seit 13 Jahren mit Anne Louise Rieben […] aus Vierraden verheiratet, und habe mit derselben 5 Kinder gezeugt, welche jetzt in einem Alter von 11, 8, 6½, 4 – 1¾ Jahre sind, überdies befindet sich meine Frau im 3ten Monat schwanger. Ich habe keinen eigenen Erwerb, die Gastwirtschaft habe ich mit dem Einmarsch der Franzosen niedergelegt, und werde größtentheils von meinen Schwiegereltern erhalten. Ich sehe in meiner gegenwärtigen Lage nur Noth gedrungen, meinen jetzigen Aufenthaltsort zu verändern, und werde mir auf Vierraden bei meinen Schwiegereltern begeben und in dem Ort meinen Broterwerb suchen, und ich muß die Hülfe meiner Schwiegereltern am meisten suchen. Von jetzt besitze ich kein Vermögen, sondern bin vielmehr 120 Reichsthaler und 36 Silbergroschen schuldig, die ich in meiner jetzigen Lage nicht bezahlen kann. Meinen Lebensunterhalt erhalte ich jetzt von Erdapfeln, welche ich im Frühjahr zu meiner Consumtion gepflanzt habe, und muß mir höchst kümmerlich durchbringen. Meine Noth wird dadurch vermehrt, daß ich eine 8jährige taubstumme Tochter habe, obzwar der Königliche Geheimrat Herr v. Humboldt mir die gnädige Resolution erteilt hat, daß meine Tochter den freien Unterricht im Taubstummen-Institut haben sollte, so wird doch darauf meine Noth nicht gehoben, weil ich aus Berlin ziehen muß, und noch nicht im Sommer wissen kann, ob ich eins von meinen Kindern ernähren kann.
Aus diesen angeführten Gründen bitte ich, daß Euer Magistrat meine Bitte bei der Königlichen Regierung dafür unterstützen möchte, daß meine Tochter nicht allein den freien Unterricht im Taubstummen-Institut erhalte, sondern darin solange ernährt würde, bis sie sich auf einer andern Art selbst ernähren könnte […]“12
Die Bitte des Gastwirts Kolbe wurde mit behördlichem Schreiben vom Januar 1806 erfüllt und dem Mädchen eine königliche Freistelle gewährt.
Reglement unter Grasshoff
Ernst Adolf Eschke verstarb im Jahre 1811, sein Nachfolger im Amt wurde sein Schwiegersohn Ludwig Grasshoff. Das 1813 unter der Leitung von Grasshoff erschienene Reglement für das Taubstummeninstitut in Berlin stellt in gewisser Weise den Abschluss der Aufbauphase dar, denn die Anstalt verfügte nunmehr über ein Kollegium (drei Lehrer sowie einen Zeichenlehrer und eine Lehrerin für Handarbeiten) als auch über eine feste Schülergruppe:
➥ 10 königliche Zöglinge oder eigentliche Pensionäre,
➥ 15 königliche Freischüler sowie
➥ einige Privatpensionäre.
Der Zweck der Taubstummenanstalt war zweifellos, gesellschaftlich tüchtige Menschen heranzubilden, aber gemäß den neuhumanistischen Bildungsidealen enthielt das Reglement hinsichtlich des Maßes der zu vermittelnden Bildung keine strikte Festlegung nach Maßgabe des sozialen Standes, sondern verhieß durchaus ein Stück Offenheit und Unbestimmtheit des Bildungsprozesses. In der entsprechenden Passage heißt es:
„Die Dauer des, zur vollständigen Ausbildung eines Taubstummenzöglings erforderlichen Aufenthalts in der Anstalt, richtet sich allerdings nach dessen Fähigkeiten, Fleiß und Bestimmung; inzwischen kann im allgemeinen angenommen werden, daß, bei mäßigen Anlagen und einem angemessenen Fleiße, 8 bis 9 Jahre zu einer gehörigen Erreichung des Zwecks erforderlich sind.“13

August Zeune
Als der Gelehrte August Zeune (1778–1853), Germanist und Geograf, im Oktober 1806 seine Arbeit im neu gegründeten Berliner Blindeninstitut begann, war das Terrain bestens vorbereitet. Nicht nur der Berliner Augenarzt Grapengießer, stellvertretender königlicher Leibarzt, hatte sich beim preußischen König für die Etablierung einer Blindenanstalt auf Berliner Boden stark gemacht, sondern Valentin Haüy selbst leistete Hilfestellung in der Anfangszeit. Grapengießer hatte sich bereits im August 1805 an den König gewandt und den Vorschlag unterbreitet, nach dem Vorbild der Pariser Anstalt ein Blindeninstitut in Berlin zu gründen. Grapengießer schilderte dem König, dass er durch seine Tätigkeit als Augenarzt eine große Zahl unheilbarer, höchst unglücklicher Menschen kennengelernt habe, denen durch die Gründung einer Blindenanstalt die Chance zum Erlernen von Fertigkeiten für ein späteres Erwerbsleben verschafft würde. Nach den Vorstellungen Grapengießers sollten die Schüler verschiedene Unterrichtsgegenstände lernen und auch als Lehrer – wie in Paris – eingesetzt werden. Ziel aller Bemühungen wäre es, die Blinden zu nützlichen Gliedern der Gesellschaft zu machen:
„Sie sind durch diesen Halbtod unnütze Glieder der Gesellschaft geworden, sind sich selbst und andern zur Last, und werden so oft von ihren unmoralischen Nachbarn und Verwandten wegen ihrer großen Unthätigkeit und wegen der Menge ihrer Bedürfnisse gemißhandelt und verspottet […]
Zu der Zeit wie ich in Paris war, existierte noch ein zweytes Etablissement für Blinde, welches man das Institut des aveugles travailleurs nannte. Herr Haüy […] machte sich um diese das Verdienst, sie in Kunstfertigkeiten aller Art zu unterrichten. Sie konnten Spinnen, Weben, Netze und Geldbörsen machen, Peitschen flechten, Buchdrucken u. s. w. und erwerben sich dadurch ihren Unterhalt größtentheils selbst […]
Halten Ew. Königl. Majestät nicht für nützlich und ausführbar, auch in Allerhöchstdero Staaten ein solches wohlthätiges Institut anzulegen? Ich halte es für möglich, daß wenn diese Menschen erst eine Zeitlang in der Arbeit unterrichtet und geübt werden, sie fast so viel produciren würden, als ihr täglicher Unterhalt erforderte.
Die Blindgebohrenen, oder gleich nach der Geburt blindgewordenen Kinder, müßten nicht davon ausgeschlossen seyn, und daher könnte man sie in zwey Klassen theilen, wovon die eine arbeitete, und die andere nach ihren individuellen Fähigkeiten Unterricht erhielte. Dieser Unterricht müßte von den Blinden zum Theil selbst gegeben werden.“14
Haüy in Berlin
Als Haüy im Juli 1806 mit seinem Schüler Fournier auf der Durchreise nach St. Petersburg Station in Berlin machte, stellte er seine Unterrichtsversuche mehrmals öffentlich vor. Höhepunkt seines etwa einmonatigen Aufenthaltes in Berlin war eine Audienz bei König Friedrich Wilhelm III. am 14. Juli. In dem Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung wird darüber wie folgt berichtet:
„Er [Haüy, E.-R.] ward Nachmittags um 4 Uhr nach Charlottenburg beschieden, wo er im Beysein der Königl. Familie, ingleichen des Prinzen Heinrich, der Fürstin von Fulda Kön. Hoh. und des Fürsten von Fulda Durchl., den Gang des Unterrichts und den Geist seiner Methode anschaulich machte. Der gewandte Vortrag des Lehrers, so wie die Fertigkeit und Geschicklichkeit des Schülers gewährten eine trostreiche Ansicht einer schweren und gemeinnützigen Lehrkunst. Die Unterhaltung dauerte beynahe zwey Stunden. Des Königs Fragen und Aeusserungen bezeugten den innigsten Antheil an der Sache selbst.“ (1806, 843f)15
Valentin Haüy, der vom preußischen König belobt und beschenkt wurde, erhielt vom diesem den Auftrag, Zeune bei der Einrichtung eines Blindeninstituts anzuleiten, und schon am 11. August erging die Kabinettsorder über die Gründung eines solchen:
Auftrag an Zeune
„Seine Königliche Majestät von Preußen ertheilen dem Doktor Zeune im Vertrauen auf Haüys Empfehlung, den Auftrag, zu Berlin ein Institut zum Unterricht für Blinde zu begründen. Der von p. Haüy vorgelegte Etat zu den Einrichtungs- und jährlichen Unterhaltungskosten ist für ein schon ganz vollendetes Institut dieser Art berechnet. Es kömmt aber jetzt noch darauf an, einen soliden Anfang zu machen und dann, nach Maßgabe der zu machenden Erfahrungen allmählich weiter fortzuschreiten. Zu diesem Anfang halten Se. Majestät angemessen, sich auf vier blinde Zöglinge, die ihrem Alter und ihren Fähigkeiten nach, eine gute Entwicklung versprechen, zu beschränken […]
Charlottenburg den 10. August 1806
Friedrich Wilhelm“16
Nur zwei Monate später, im Oktober 1806, begann August Zeune in einer Mietwohnung in der Gipsstraße 11 mit dem Unterricht seines ersten blinden Zöglings: Wilhelm Engel. In seiner in mehreren Auflagen erschienenen Schrift „Belisar. Über den Unterricht der Blinden“ (erstmals 1808) beschreibt Zeune die neue Bildungsanstalt wie folgt:

„Die Anstalt, 1806 errichtet, hat ein eigenes zweistöckiges, 11 Fenster breites Haus in dem nördlichen Teile der Stadt zwischen zwei belebten Straßen, der neuen Königs- und der Landsberger Straße, auf dem Georgenkirchhofe 19. Im oberen Stockwerk sind die Wohnung des Vorstehers und die Schlafgemächer der blinden Mädchen, im unteren die Wohnung des Hauswärters, die Schlafstuben der blinden Knaben, das Krankenzimmer und der Lehrsaal. Auf dem Hofe ist ein Spielplatz für die Blinden, ein viereckiger mit einem Tau umspannter Rasenplatz, worin die Kinder in völliger Sicherheit laufen, sich haschen und tummeln können, was zu ihrer Gesundheit so nötig ist.
Angestellt sind:
1. als Vorsteher und zugleich Lehrer des ganzen geistigen Unterrichts: August Zeune aus Wittenberg,
2. als Vorsteherin und Lehrerin der Handarbeiten; Augusta Zeune, geb. Hahn, aus Zeitz,
3. als Sing- und Geigenlehrer: Herr Friedr. Schulz aus Schlieben,
4. als Klavierlehrer: ein ehemaliger Zögling der Anstalt, Herr Heinr. Grothe aus Berlin,
5. als Flötenlehrer: ebenfalls ein früherer Zögling, Herr Wilhelm Engel von Kolberg (Erfinder der Flaschenorgel),
6. als Arzt: der Regimentsarzt des Königl. Kadettenhauses und der Kriegsschule, Herr Dr. Völker aus Magdeburg,
7. als Hauswärter der gewesene Kanonier Engelhart aus Neuwedel und seine Frau.
Die Blinden wohnen entweder in der Anstalt, werden daselbst beköstigt und eigentlich erzogen, weshalb sie Kostgänger oder Zöglinge genannt werden, oder sie wohnen in der Stadt bei ihren Verwandten oder in öffentlichen Verpflegehäusern und kommen bloß zum Schulunterricht in die Anstalt, weshalb sie Schulgänger heißen. Die Zahl der sogenannten königlichen Zöglinge ist auf 10 festgesetzt, die Zahl der bürgerlichen Kostgänger ist bald mehr, bald weniger; ebenso wechselt die Zahl der Schulbesucher. Wer in eine königliche Koststelle, welche 5 bis 7 Jahre dauert, einrücken will, muß zwischen 9 bis 12 Jahre alt und gesund an Leib und Seele sein. Er muß sonach den Taufschein, einen Fähigkeitschein und einen Gesundheit- und Pockenschein beibringen […]
Die Hausordnung der Anstalt ist diese: Im Sommer um 6, im Winter um 7 Uhr stehen die Zöglinge auf, waschen, kämmen und bekleiden sich und frühstücken hierauf Milchkaffee und Semmel, von 8 bis 12 Uhr ist Unterricht, um 12 Uhr wird gegessen, wo sie gewöhnlich Suppe, Gemüse nebst Fleisch bekommen. Nachmittags von 2 bis 5 Uhr ist wieder Unterricht, nachher Erholung und Arbeitsstunden; um 7 Uhr erhalten sie Abendbrot und Bier, um 10 Uhr gehen sämtliche Zöglinge zu Bett. Zu ihrer Reinigung und Stärkung werden die Zöglinge wöchentlich ins Badehaus geführt, wo denselben freies Bad gütig verstattet worden.
Da der Zweck einer Blindenerziehanstalt ist, den Blinden nicht nur die allgemeine menschliche Bildung, sondern auch solche Fertigkeiten zu verschaffen, wodurch sie beim Austritt aus der Anstalt sich ihren Erwerb einigermaßen sichern können, so ist hiernach der Unterricht ein dreifacher:
1. Handarbeiten,
2. Tonkunst,
3. Wissenschaft.“ (Zeune 1969, 28f)
Nicht anders als im Falle des Taubstummeninstituts von Adolf Eschke erfolgte erst mit dem Amtsantritt Wilhelm von Humboldts 1809 eine längerfristige politische und materielle Absicherung des Blindeninstituts, wie sie durch die königliche Kabinettsorder vom Juli 1809 belegt ist:
Existenzsicherung des Blindeninstituts
„Meine lieben Staats-Minister Freiherr von Altenstein und Graf zu Dohna. Auf den Antrag der Section für den öffentlichen Unterricht vom 4ten und Euren Bericht vom 8ten d. M. will Ich dem Doctor Zeune zu Berlin als Director des dortigen Blinden Instituts ein Jahresgehalt von Ein Tausend Thalern und eine jährliche Pension von Fünf Hundert Thalern für zwey in das Institut aufzunehmende Zöglinge, dem mit dieser Anstalt in Verbindung zu setzenden Augenarzt Flemming aber eine jährliche Remuneration von Fünfzig Thalern vom l. July d. J. an bewilligen; auch gestatte Ich […] daß dem p. Zeune statt der rückständigen Summe, welche er für sein Institut noch zu fordern hat, 1,500 Thaler in 5 Jahren mit 300 Thaler jährlich gezahlt werden. Ich verbleibe Euer pp. König. Königsberg, d. 12. July 1809.
Friedrich Wilhelm“17
Ziel bürgerlicher Brauchbarkeit
Auch wenn die Bildung blinder Menschen im deutschsprachigen Raum – zunächst in Wien durch Johann Wilhelm Klein (1804), dann kurze Zeit später durch August Zeune in Berlin (1806) – eine nicht mehr aufgebbare pädagogische Errungenschaft war, so blieb dieses neue pädagogische Fachgebiet doch mit einem Problem konfrontiert, das in derart zugespitzter Form nur sie betraf: der fragwürdige Erfolg einer späteren beruflichen Eingliederung. Während dem interessierten, aufgeklärten und gutwilligen Zeitgenossen sowie den staatlichen Repräsentanten ohne weiteres einleuchtete, dass angemessen unterrichtete Gehörlose ohne weiteres Handwerksberufe erlernen und damit ihr eigenes Brot verdienen können, waren die Aussichten für Menschen mit Blindheit, selbst wenn sie gebildet waren, sehr viel düsterer. Welcher Handwerksmeister wollte schon einen Blinden einstellen, der ständiger Anleitung und Aufsicht bedurfte und wohl nur sehr eingeschränkt zu produktiver Arbeit in der Lage war?
Damit stand die Blindenpädagogik vor der schwer zu lösenden Aufgabe, neben dem Ziel der allgemeinen Menschenbildung auch für jenes der bürgerlichen Brauchbarkeit Lösungen zu finden, die die Akzeptanz sowohl der Gesellschaft als auch der Betroffenen finden konnte. Hier eröffnete sich eine Konfliktlinie, die sich zwischen Selbstbestimmung der Betroffenen und Fremdbestimmung in Form von nahezu geschlossenen Blindenanstalten und Versorgungsheimen bewegte. Für das frühe 19. Jahrhundert in Preußen gilt, dass, trotz aller hoffnungsvollen Anfänge, das Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe weitgehend verfehlt wurde und die große Mehrheit im späteren Leben „leider zum größten Theile Bettler geworden“ (Dreves 1998) ist.
Lehrplan der Berliner Blindenanstalt
Die von Zeune konzipierte Berliner Blindenanstalt versuchte über viele Jahre den nur schwer miteinander zu vereinbarenden Zielen von allgemeiner Menschenbildung und bürgerlicher Brauchbarkeit Rechnung zu tragen. Als der selbst blinde Leiter der Breslauer Blindenanstalt, Johann G. Knie, 1835 eine pädagogische Reise durch Deutschland antrat und auch die Berliner Anstalt besuchte, die von „1809 bis 1815 […] meine Heimath gewesen“ ist (Knie 1837b, 239), teilte er den aktuellen Lehrplan mit, der die Vielfalt des Unterrichtsangebotes widerspiegelt (s. Tab. 3.1).
Tab. 3.1:Lehrplan der Berliner Blindenanstalt 1835 (nach Knie 1837b, 243)

gesellschaftliche Eingliederung
An Knies weiteren Ausführungen wird aber auch ablesbar, dass die Frage der späteren gesellschaftlichen Eingliederung der blinden Schüler zunehmend Einfluss auf die Auswahl der Unterrichtsinhalte in der Berliner Blindenanstalt gewann:
„Die Anstalt beförderte wie früher bei ihren fähigern Zöglingen mehr eine höhere geistige, als eine bloß mechanisch industrielle Ausbildung, doch soll mit der Erweiterung der Anstalt auch die Anstellung eines ausschließlichen Werkmeisters und überhaupt eine vermehrte Richtung der Gewerblichkeit eintreten. Die bisher betriebenen Arbeiten sind: Spinnen, Strumpf- und Netzstricken, einige Uebungen in der Korbmacherei, Fabrication von Löscheimern aus Stroh und Weidenruthen, Flechten von Strohzöpfen und von Strohtellern aus diesen, nebst Winterschuhen aus Stahlbändern“ (Knie 1837b, 244).
Zunahme der Blindeninstitute
Ein Blick auf die Statistik (s. Tab. 3.2) belegt zum einen, dass – und hier offenbart sich ein Unterschied zu Frankreich – die Bildungsanstrengungen für Blinde in Preußen nicht auf Berlin beschränkt blieben, sondern weiter ausgebaut wurden. Die Statistik zeigt aber auch, wie bescheiden, zumindest aus heutiger Sicht, die ersten Bildungsbemühungen waren, denn von den um 1860 in Preußen 10.701 gezählten blinden Personen wurden nur knapp 12 % überhaupt in Blindeninstituten unterrichtet.
Tab 3.2: Blindeninstitute und Anzahl ihrer Zöglinge in Preußen im 19. Jahrhundert (bis etwa 1860; nach Dreves 1998, 545)
Blindeninstitut | Anzahl der Zöglinge |
Berlin 1806–1859 | ca. 333 |
Breslau 1819–1859 | ca. 580 |
Halle/S. 1836–1849 | ca. 40 |
Paderborn 1842–1859 | ca. 45 |
Düren 1845–1859 | ca. 140 |
Königsberg 1846–1859 | ca. 30 |
Soest 1847–1859 | 32 |
Stettin 1851–1859 | ca. 10 |
Wollstein 1853–1859 | ca. 11 |
insgesamt | ca. 1.221 |
3.3 Bildung und Erziehung geistig behinderter Menschen
Bildbarkeit „idiotischer“ Menschen
Auch wenn der Mediziner Itard nach sechsjährigen Anstrengungen (1801–1807) seine Erziehungsbemühungen um Victor als gescheitert ansah, so war doch eine Signalwirkung von ihnen ausgegangen: die feste Überzeugung, dass auch sogenannte „idiotische Menschen“ bildbar seien. Die ersten Institutionen, die diesem Zweck dienten, entstanden zwar zeitlich deutlich später als die Anstalten für Taubstumme und Blinde, aber sie entsprangen demselben aufklärerischen Bildungsideal, das prinzipiell für jeden Menschen, ungeachtet seines Standes und ungeachtet seiner Begabungen, galt. Die Verankerung dieses Gedankengutes in der europäischen Ideenwelt ist auch an der Etablierung der ersten Institutionen ablesbar, die, nahezu zeitgleich, in Frankreich, der Schweiz und in Deutschland entstanden.
übersteigertes Nationalgefühl
Allerdings, und das konnte nur von Nachteil für die weitere Entwicklung der im Entstehen begriffenen Disziplin Heilpädagogik in Deutschland sein, war schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Reflex auf die Zeit des Ter- rors während der Französischen Revolution, die Eroberungskriege Napoleons und die Befreiungsbewegungen ein übersteigertes Nationalgefühl in Deutschland entstanden, das nicht nur zahlreiche Vertreter einer deutschen Nationalerziehung wie etwa Wilhelm Harnisch beherrschte (Stübig 1999), sondern auch Vertreter der Heilpädagogik erfasste.
Ein frühes prominentes Beispiel ist August Zeune selbst, der, ungeachtet seines herzlichen Verhältnisses zu Valentin Haüy, von einem „ans Fanatische grenzende[n] Franzosenhass“ (Mehlitz 2003, 132) beseelt war. Es war die zunehmende Ablehnung aller Ideen und Entwicklungen, die aus Frankreich kamen, die bewirkte, dass Séguin – von wenigen Vertretern wie Georgens und Deinhardt sowie Krenberger und Kirmsse abgesehen – bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nahezu keine Rolle im heilpädagogischen Diskurs Deutschlands spielte.
Nicht ohne Ironie hatte sich Max Kirmsse anlässlich des 100. Geburtstages Séguins bereits 1912 über das Unverhältnis der deutschen zu den französischen Repräsentanten geäußert:
„Es ist Tatsache, daß die französischen Bahnbrecher Fodéré, Pinel, Itard, Esquirol, Ferrus, Falret, Voisin und der in ihren Fußstapfen wandelnde Prof. Bourneville gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit tiefer in die Theorie eindrangen als beispielsweise die deutschen Pfadfinder Kern, Saegert und die neben ihnen wirkenden Männer der inneren Mission“ (Kirmsse 1912,117)
– ausdrücklich ausgenommen von seiner Kritik hatte Kirmsse Traugott Weise und Gotthard Guggenmoos.
Edouard Séguin
Der profunde Kenner der Geschichte der Heilpädagogik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Max Kirmsse, veröffentlichte 1915 in der renommierten Zeitschrift für Kinderforschung eine Rezension des 1912 erstmals in deutscher Sprache erschienenen Werkes des Franzosen Edouard Séguin „Die Idiotie und ihre Behandlung nach physiologischer Methode“, die, basierend auf der englischen Ausgabe von 1907, von dem Wiener Salomon Krenberger übersetzt worden war.18
Salomon Krenberger
Da heute fast vergessen, sei mit wenigen Strichen an diesen bedeutenden Repräsentanten der deutschsprachigen Heilpädagogik erinnert: Salomon Krenberger (1861–1931), Dr. phil., war Theoretiker und Praktiker auf dem Gebiet der Heilpädagogik, der nach Kirmsse (Enzyklopäd. Hdb. der Heilpädagogik 1934, I, Sp. 1469) den Begriff der „Spezialpädagogik“ vorzog. Krenberger gründete 1890 in Tulln ein „ärztliches Pädagogium für geistig schwache Kinder“, das er 1893 nach Wien verlegte. Er gab 1908 „Itards Bericht über den Wilden von Aveyron“ in deutscher Bearbeitung heraus und veröffentlichte 1912 die erste deutsche Übersetzung des Hauptwerkes von Séguin. Krenbergers internationale Orientierung, besonders nach Frankreich, fand ihren Niederschlag in der von ihm gegründeten Zeitschrift „EOS. Vierteljahresschrift für die Erkenntnis und Behandlung jugendlicher Abnormer“, die Mitarbeiter aus aller Welt zählte. 1929 rief er die Zeitschrift „Levana, internationale wissenschaftliche Beiträge zur gesamten Heilpädagogik“ ins Leben, der aufgrund der Zeitumstände nur eine kurze Existenz beschieden war. Krenberger übernahm während des Ersten Weltkrieges die Leitung des seit 1844 existierenden Israelitischen Taubstummeninstituts in Wien, das aus wirtschaftlichen Gründen 1926 sein Bestehen einstellen musste.
Unverhohlen kritisch bedauert Kirmsse die Tatsache, dass Séguin in Deutschland „kaum Beachtung und noch weniger Anerkennung gefunden [hat] als in Amerika, England, Skandinavien und Frankreich, wo man sich seinen Lehren anpaßte und praktisch danach verfuhr“ (Kirmsse 1915b, 104). Séguin wird von Kirmsse als ein Mann dargestellt, der durch Itards Erziehungsversuch, die Pädagogik Rousseaus und die Taubstummenpädagogik Pereiras entscheidende Impulse erfuhr. Natürlich hatte auch Séguin Vorläufer, und nur schwer ist zu entscheiden, inwieweit die jeweiligen Pioniere voneinander wussten und worauf sie im Einzelnen zurückgriffen.
der „wilde Peter von Hameln“
So trug sich Graf von Zinzendorf, der Stifter der Brüdergemeinde, bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit dem Gedanken, sich der „Idiotenbildung“ zu widmen, als 1724 der „wilde Peter von Hameln“ aufgegriffen wurde, der lange vor dem Wilden von Aveyron zu einer europäischen Berühmtheit wurde. Der etwa zwölfjährige Junge wurde allerdings auf Geheiß des englischen Königs Georg I. nach England überführt, wo ebenfalls ein Arzt mit ihm Erziehungsversuche unternahm – die Parallele zu Itard und Victor ist unübersehbar.
Gotthard Guggenmoos
In Österreich war es der Lehrer Guggenmoos, der in Hallein 1816 eine „Kretinenschule“ aufbaute, die 1829 nach Salzburg verlegt, aber bereits 1836 wegen fehlender Unterstützung geschlossen wurde. Im Kanton Waadt schließlich errichtete der Mediziner Dr. Schnell eine „Erziehungsanstalt für stumpfsinnige Kinder“, deren Existenz offenbar ebenfalls nicht von langer Dauer war (Kirmsse 1911b).
In anderen Ländern, wie etwa den USA und Holland, fanden geistig behinderte Kinder häufig in den Taubstummenanstalten Aufnahme, wo gelegentlich besondere Abteilungen für sie gebildet wurden. Die enge Verbindung von Taubstummen- und „Schwachsinnigenpädagogik“, die wohl für die meisten europäischen Länder zutrifft, ist auch nachweisbar für die USA, wo der Gründer der ersten Taubstummenanstalt, Thomas H. Gallaudet (1787–1851), ausgebildet in Paris durch Abbé Sicard, ab 1815 ebenfalls „Schwachsinnige“ aufnahm. In Frankreich schließlich entstanden erste Schulabteilungen für „Blödsinnige“ an der Irrenanstalt von Bicêtre erstmals 1828 und erneut 1834 sowie an der Irrenanstalt La Salpêtrière 1831.

Thomas H. Gallaudet
Auch wenn es also Wegbereiter und Vordenker gab, so war Séguin doch der Erste, der in seinem grundlegenden Werk „Traitement moral, hygiène et éducation des idiots“ 1846 theoretische Überlegungen und praktische Erprobungen einer ganzheitlich ausgerichteten Erziehung und Unterrichtung geistig behinderter Kinder und Jugendlicher niederlegte (Séguin 1997; 2011), und dessen zentrale Aussagen Kirmsse bereits in prägnanter Weise zusammengefasst hat:
Séguins pädagogische Grundsätze
„1. Die Erziehung der Geistesschwachen soll nicht einseitig den Intellekt bilden, nicht den Geist mit mechanischem Wissen anfüllen, sondern den ganzen Menschen so fördern, daß er leiblich und geistig emporgehoben wird, um je nach seinen Fähigkeiten inmitten der bürgerlichen Gesellschaft einen Beruf auszuüben.
2. Die Anwendung der Physiologie auf die Erziehung ist das geeignetste Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.
3. Die Erziehung hat stufenweise zu erfolgen. Sie beginnt mit der Entwicklung des Muskelsystems und schreitet dann zu der des Nervensystems und der Sinnesorgane fort. Der rein schulmäßige Unterricht und die moralische Beeinflussung folgen erst dann, wenn die Psyche dafür aufnahmefähig geworden ist.
4. Durch die geübte individualisierende Methode soll soviel wie möglich die Selbständigkeit und Selbsttätigkeit des Zöglings gefördert werden.
5. Der Unterricht erfolgt teils gruppenweise, teils löst er sich in Einzelunterricht auf.
6. Aller Unterricht hat sich in lebendige Beziehung zur Umwelt zu setzen.
7. Bei der Erziehung der Schwachsinnigen ist jeglicher Zwang zu vermeiden.