Kitabı oku: «Die Begine und der Siechenmeister», sayfa 3

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Kapitel 6

Anna starrte fassungslos auf die Stelle, an der Lazarus eben noch gestanden hatte. Was passiert war, kam ihr unwirklich vor, wie ein böser Traum. Hatte er sie nicht erkannt? Warum war er nicht zu ihr gekommen oder hatte wenigstens ihr Winken erwidert? Was war ihm in Rom widerfahren? Der abweisende Ausdruck auf seinem Gesicht war schlimmer als alles, was sie sich ausgemalt hatte. Lange Zeit, nachdem er im Hauptgebäude verschwunden war, verharrte sie wie festgewachsen auf der Stelle und rührte sich erst, als sich eine Magd mit einem Eimer näherte. Wie betäubt trat sie beiseite, um die Frau Wasser schöpfen zu lassen, während die Gedanken in ihrem Kopf wild durcheinanderwirbelten. Gab Lazarus ihr die Schuld an dem, was passiert war? Wem denn sonst?, dachte sie, wütend über sich selbst. Wer hatte ihn denn dazu überredet, mit in die Gräth zu gehen, um einer Sache auf den Grund zu gehen, die sie fast das Leben gekostet hätte?

Sie schob die Erinnerungen, die dieser Gedanke mit sich brachte, mit einem ärgerlichen Blinzeln beiseite, und kehrte dem Brunnen den Rücken. Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf zu zermartern. Wenn Lazarus bereit war, mit ihr zu reden, würde er es sie wissen lassen. Bis dahin blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Arbeit zu verrichten, als wäre nichts geschehen. Alle anderen Gedanken waren zu schmerzlich. Sie beschloss, sich auf den Weg zu den Pfründnern zu machen, um sich von all dem abzulenken, was der Tag bisher gebracht hatte. Der Tod des Jungen und die Qualen des Mannes, dessen Beine der Wundarzt amputiert hatte, lasteten auf ihrer Seele. Immer öfter schlichen sich an manchen Tagen Zweifel ein, ob sie für das Leben einer Begine wirklich geeignet war. Vielleicht hatte ihr Bruder Jakob Recht gehabt, als er sie dazu gedrängt hatte, einen Mann aus angesehenem Haus zu ehelichen. Wäre seine Wahl nicht ausgerechnet auf den Sohn des zweiten Bürgermeisters gefallen …

Sie schüttelte mit einem Seufzen den Kopf. Warum war sie so undankbar? Im Gegensatz zu den Armen und Bedürftigen, um die sie sich jeden Tag kümmerte, war sie in Überfluss und Sorglosigkeit aufgewachsen. Bis zu ihrem siebten Lebensjahr hatte sie nichts gekannt als das Spiel. Erst dann hatte ihre Mutter ihr Aufgaben im Haushalt übertragen. Das Gebäude, in dem sie aufgewachsen war, war ein Fachwerkhaus mit mehreren Giebeln. Ein großes Doppeltor führte in eine Halle, in der sich stets Waren aus aller Herren Länder stapelten. Ihr Vater war, genau wie ihr Bruder, ein einflussreicher Kaufmann, der kostbare Stoffe, Gewürze und allerlei andere Spezereien aus dem Morgenland einführte. An den meisten Tagen standen die reichen Ulmer und Ulmerinnen Schlange, um Edelsteine, bunt gefärbte Seide oder ausgefallene Federn für einen Kopfputz zu erstehen. Anna hatte sich nie besonders für diese Art Tand begeistern können, doch möglicherweise war es Zeit, zu diesem Leben zurückzukehren.

Während ihr all die Erinnerungen durch den Kopf gingen, begab sie sich zum Wohngebäude der Pfründner, um sich um deren zahlreiche Zipperlein zu kümmern. Im Anschluss daran ging sie in die Stube der Wöchnerinnen, wo eine junge Frau unter ohrenbetäubendem Schreien ein Kind gebar. Sie war kaum älter als Anna, ihr Gesicht hochrot und schmerzverzerrt. Zwei Hebmägde knieten neben ihr, während die Hebamme zwischen ihren Beinen hantierte. Das Laken, auf dem die Frau lag, war durchweicht von Fruchtwasser und Blut und der Kopf des Kindes war bereits sichtbar.

»Bald ist es vorbei«, ermutigte die Hebamme die Gebärende. »Du musst nur noch ein paar Mal kräftig pressen.«

»Ich kann nicht mehr«, keuchte die Schwangere.

»Du musst.«

Die junge Frau umklammerte die Korallenkette, die eine der Hebmägde ihr um den Hals gelegt hatte, um sie vor Schaden bei der Geburt zu bewahren.

»Ich gebe ihr etwas Nieswurz«, sagte Anna und holte eine kleine Flasche hervor, in der sich das Pulver befand. Dieses rieb sie der Frau unter die Nase, woraufhin die Wöchnerin sofort anfing, kräftig zu niesen.

»Es kommt!« Die Hebamme fasste fester zu und zog an dem Säugling.

Anna, die schon oft bei Geburten zugegen gewesen war, warf einen Blick auf den mit Schleim bedeckten Kopf des Kindes, der irgendwie anders aussah, als er sollte. Sie sah genauer hin und erschrak, als sie erkannte, dass dort, wo seine Oberlippe sein sollte, eine große Scharte klaffte. Etwas schien im Leib der Frau passiert zu sein, das zu dieser Fehlbildung geführt hatte. Anna wusste, dass im ersten Monat einer Schwangerschaft das Blut des Kindes gereinigt wurde. Im nächsten Monat wurde der Körper gebildet, dann wuchsen dem Embryo Nägel und Haare. Im vierten Monat fing das Kind an, sich zu bewegen, weshalb Schwangere oft an Übelkeit litten. In den nächsten Wochen nahm das Kind das Aussehen des Vaters oder der Mutter an, danach wurden die Nerven gebildet. Im siebten Monat schließlich härteten sich die Knochen, danach wurde alles andere vervollständigt, bis das Kind im neunten Monat schließlich das Licht der Welt erblickte. Irgendwann in diesem Prozess musste etwas geschehen sein, das für die Missbildung des Säuglings verantwortlich war.

»Heilige Muttergottes!«, hörte Anna eine der Hebmägde sagen. Offenbar hatte auch sie den Wolfsrachen bemerkt. Sie bekreuzigte sich mehrmals. »Sie ist besessen!«

»Lauf und hol einen der Brüder!«, trug die Hebamme der zweiten Magd auf. Sie hatte das Kind inzwischen befreit und drückte ihm mehrmals auf die Ohren. Dann drehte sie es um, versetzte ihm einen Klaps und verknotete die Nabelschnur drei Finger vom Bauchnabel entfernt. Schließlich säuberte sie es mit einem Tuch und legte es der erschöpften Mutter in die Arme.

Die junge Frau erschrak, als sie einen Blick auf das Gesicht ihres Kindes warf. »Barmherziger!« Sie stieß den Jungen von sich. Hätte die Hebamme ihn nicht festgehalten, wäre er auf den Boden gefallen. »Nimm ihn weg!«, wimmerte die Wöchnerin. »Bitte!«

»Er ist dein Sohn«, mahnte die Hebamme.

»Aber er ist …« Die junge Frau schloss die Augen und fing an, leise zu beten.

»Er ist missgebildet«, beendete die Hebamme ihren Satz. »Aber dennoch ist er ein Kind Gottes.«

»Er ist vom Bösen besessen«, flüsterte die Hebmagd, die das Kind anstarrte, als fürchte sie, ihm könnten Hörner wachsen.

»Eine Missbildung ist eine Strafe Gottes«, entgegnete die Hebamme, die sich die Hände in einer Schüssel Wasser wusch. »Die Brüder werden wissen, was mit ihm zu tun ist.« Sie griff nach einem Handtuch und trocknete sich ab. »So etwas gab es schon mal«, sagte sie an Anna gewandt, nachdem sie sich einige Schritte vom Bett der Wöchnerin entfernt hatten. »Vor einigen Jahren.«

»Was ist mit dem Kind passiert?«, wollte Anna wissen.

Die Hebamme zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Die Frau, die es zur Welt gebracht hat, war eine reiche Patrizierin.«

»Sie hat hier im Spital entbunden?«

»Nein. Das Kind hat sie bei sich zu Hause zur Welt gebracht.«

»Hat man damals nach einem Priester geschickt?«, fragte Anna.

»Ihr Gemahl hat alle aus dem Haus gescheucht«, war die Antwort. »Ich weiß nicht, was aus dem Kind geworden ist. Ein paar Wochen später waren der Patrizier und seine Frau verschwunden. Vielleicht wollte er nicht, dass jemand die Missbildung sieht.«

Anna runzelte die Stirn. War es nicht gefährlich für ein Neugeborenes, wenn man es nicht von dem Dämon befreite, der in ihm wohnte? Was, wenn sich der böse Geist seiner Seele bemächtigte? Dann war sein Leben verloren, bevor es richtig begonnen hatte. Sie sah auf den winzigen Knaben hinab, der anfing zu weinen. Vermutlich wollte er gesäugt werden, doch die Mutter schien so viel Angst zu haben, dass sie einer Ohnmacht nahe war.

»Soll ich die Amme holen?«, fragte die Hebmagd, die im Raum geblieben war. Sie beäugte das Kind voller Misstrauen.

Die Hebamme schüttelte den Kopf. »Erst muss es vom Bösen befreit werden.«

Da Anna nichts weiter tun konnte, kniete sie sich neben das Bett, griff nach der Hand der Mutter und fing an, ein tröstendes Gebet zu sprechen. Die Frau tat ihr leid. Sie war schon vorher eine Ausgestoßene gewesen, sonst wäre sie nicht im Spital gelandet. Nach der Geburt eines missgestalteten Kindes würden die Ulmer einen noch größeren Bogen um sie machen.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sich endlich Schritte näherten. Wenig später ging die Tür auf und die Hebmagd betrat den Raum.

Hinter ihr erschien Bruder Lazarus.

Kapitel 7

Anna hatte Mühe, eine ausdruckslose Miene zu wahren, als ihr Blick auf Lazarus fiel. Auch er schien nicht erwartet zu haben, sie in der Stube der Wöchnerinnen anzutreffen, da alle Farbe aus seinem Gesicht wich. Nachdem er sie einige Augenblicke lang angestarrt hatte, riss er sich zusammen und wandte sich an die Hebamme. »Ein besessenes Kind?«

Die Frau nickte und hielt ihm den Jungen entgegen.

Lazarus warf einen Blick auf sein Gesicht, griff nach seinem Kruzifix und legte es dem Säugling auf den Bauch.

Das Kind schrie.

»Vade retro, Satana!«, murmelte er, nahm das Kind an sich und griff in einen kleinen Tiegel, den er bei sich trug. Darin schien sich Öl oder Weihwasser zu befinden, mit dem er ein Kreuz auf die Stirn des weinenden Knaben malte. »Der Dämon muss ausgetrieben werden«, stellte er schließlich fest. »Das Kind muss in geweihtem Wasser gebadet werden. Außerdem wird eine Messe gelesen.« Er bedeutete einer der Hebmägde, ihm das Kind abzunehmen.

Die Frau wich zurück.

»Keine Angst, der Dämon kann nicht in dich fahren«, beruhigte Lazarus sie.

»Warum nicht?«

»Weil er sich in diesem Unschuldigen festgesetzt hat. Nimm ihn mir ab!«

Die Hebmagd rührte sich nicht von der Stelle.

»Ich kann nicht gleichzeitig das Wasser weihen und ihn halten«, bekräftigte Lazarus ungeduldig.

»Ich nehme ihn.« Bevor Anna wusste, was sie tat, trat sie hinter dem Lager der Wöchnerin hervor und nahm Lazarus den Säugling aus dem Arm.

»Aber, du …«, hob Lazarus an, verstummte jedoch, als die beiden Hebmägde eiligst den Raum verließen.

»Sieh nicht mich an«, sagte die Hebamme. »Ich werde hier gebraucht.« Sie beugte sich über die junge Mutter, die Lazarus und das Kind mit furchtgeweiteten Augen anstarrte.

»Ich habe nichts Böses getan«, hauchte sie. »Es ist nicht meine Schuld.«

»Keiner von uns ist ohne Schuld«, tadelte Lazarus sie.

Die Frau senkte beschämt den Blick. Vermutlich war sie eine der vielen Mittellosen, die in die Stadt gekommen waren in der Hoffnung, hier ihr Glück zu finden. Für die meisten der jungen Dinger endete diese Suche nach einem besseren Leben auf eine von drei Arten: Sie wurden entweder von irgendeinem dahergelaufenen Strolch geschwängert, landeten in einem Hurenhaus oder tot in einem Straßengraben.

»Wir müssen ihn so schnell wie möglich vom Bösen reinigen«, sagte Lazarus an Anna gewandt. Dabei bemühte er sich, ihr nicht in die Augen zu blicken.

»Dann komm mit in die Badestube«, erwiderte sie. Ohne auf seine Antwort zu warten, verließ sie die Stube der Wöchnerinnen und trug das immer lauter weinende Kind die Treppen hinab in den Hof, von wo aus es nicht weit war bis zur Badestube.

»Lass ein Bad bereiten, dann schick nach mir, bevor du ihn hineinlegst«, bat Lazarus. Bevor Anna antworten konnte, floh er in Richtung Hauptgebäude.

Anna wusste nicht, was sie denken sollte. Sein Verhalten war verletzend, doch sie machte ihm keinen Vorwurf. Sie hatte keine Ahnung, was ihm in Rom wiederfahren war, wie hart seine Bestrafung gewesen war. Vielleicht drohten ihm immer noch die Exkommunikation oder Kerkerhaft und es stand ihr nicht zu, sein Leben oder seine Freiheit erneut in Gefahr zu bringen. Er war ein Mann Gottes und ihr Verlangen nach ihm töricht. Vermutlich war seine Rückkehr eine Prüfung oder die Strafe dafür, dass sie nicht die gehorsame Begine war, die sie sein sollte.

»Nicht weinen«, flüsterte sie und strich dem Kind sanft über das feuchte Haar. Das missgestaltete Gesichtchen war vor Wut verzogen, krebsrot und faltig. Der gespaltene Gaumen sah aus, als ob er dem Kind furchtbare Schmerzen bereiten würde. Anna wusste, dass solche Kinder kaum länger als ein paar Tage am Leben blieben, da sie nur schwer Nahrung aufnehmen konnten. Sie hatte schon oft von Hasenscharten oder Wolfsrachen gehört, gesehen hatte sie eine solche Missbildung bislang jedoch nicht. Sie trug einer Magd auf, Wasser aus dem Ziehbrunnen zu holen und zu erwärmen, ehe sie es in einen Zuber in der Badestube goss. Sobald dieser halb voll war, schickte Anna nach Lazarus.

Als er die Badestube betrat, ging er direkt zu dem Zuber, holte mehrere Lederbeutel und ein Fläschchen aus seinen Taschen und fing an, ein Segensgebet zu sprechen. Dann streute er Asche, Salz und einige Kräuter in das Wasser und gab einige Spritzer Weihwasser hinzu. »Du kannst ihn jetzt baden«, sagte er, als er fertig war.

Anna kniete sich neben den Zuber und tauchte das schreiende Kind ins Wasser. Einen Moment lang verstummten die Schreie, doch das Gebrüll setzte schnell wieder ein. Gleichzeitig strampelte der Junge wie verrückt und versuchte, sich aus Annas Armen zu befreien.

»Es scheint ein starker Dämon zu sein«, stellte Lazarus fest. »Tauch ihn ganz unter!«

Anna befolgte die Anweisung und hielt das Kind so lange unter Wasser, bis sich das Strampeln abschwächte.

»Das sollte genügen.« Lazarus bedeutete ihr, den Knaben aus dem Zuber zu holen und in eines der Leinentücher zu wickeln, die daneben lagen. »Der Dämon scheint aus ihm gewichen zu sein.« Er legte dem Kind erneut sein Kruzifix auf die Brust und dieses Mal protestierte es nicht. »Du kannst es zurück zu seiner Mutter bringen.«

»Lazarus, warte!«, bat Anna, als er sich zum Gehen wandte.

Er erstarrte mitten in der Bewegung.

»Wie ist es dir in Rom ergangen?«, fragte sie leise. »Was …?«

»Meine Sünden sind mir vergeben worden«, fiel Lazarus ihr ins Wort. »Ich habe mit einer Pilgerreise Buße getan für das, was passiert ist.« Er errötete leicht, senkte den Blick und klammerte sich an seinem Kruzifix fest.

»Ich hatte Angst um dich«, gestand Anna. »Ich habe befürchtet, dass man dich meinetwegen bestrafen würde.«

»Es war nicht deine Schuld.«

»Doch, das war es.«

Er hob den Kopf und sah ihr kurz in die Augen, dann wandte er den Blick hastig wieder ab. »Ich habe mich auf den falschen Pfad begeben. Das wird nicht wieder passieren.«

Die Worte schmerzten mehr, als Schläge es getan hätten. Was war mit der Ehrlichkeit, der Nähe, die sie geteilt hatten. Sie erinnerte sich an den Moment, in dem Lazarus sie vor dem sicheren Tod gerettet hatte. Wie zwei Ertrinkende hatten sie sich aneinandergeklammert und Lazarus hatte sein Gesicht in ihrem Haar vergraben. Außerdem war da der Kuss … Sie schluckte die Tränen, die in ihr aufstiegen, und war froh, dass sie den Säugling im Arm hatte. Sonst wäre sie vielleicht der Versuchung erlegen, etwas Dummes zu tun.

»Du bist eine Begine, ich bin ein Bruder des Heilig-Geist-Ordens«, fuhr Lazarus fort. »Unser Leben gehört Gott.« Er schluckte.

»Aber du könntest um Entlassung bitten«, platzte es aus Anna heraus, bevor sie sich auf die Zunge beißen konnte.

»Einem solchen Gesuch ist bis jetzt nie stattgegeben worden«, erwiderte Lazarus. »Ich kann den Orden nicht verlassen. Das wäre ein Bruch meines Gelübdes, eine Sünde und ein Verbrechen! Verstehst du das denn nicht?« Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. »Du bist eine Begine. Du kannst jederzeit aus der Sammlung austreten. Warum heiratest du nicht einen netten Patriziersohn? Dein Bruder wäre vermutlich glücklich darüber.«

»Ich will keinen Patriziersohn!«, erwiderte Anna hitzig. »Ich …«

»Sag es nicht!«, unterbrach Lazarus sie. »Dein Verlangen ist sündig. Tu Buße!« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte aus der Badestube.

Anna sah ihm wie vom Donner gerührt hinterher, sie war fassungslos.

Kapitel 8

Der Spielmann Gallus setzte seine Kappe auf, strich die zwei roten Federn darauf glatt und sah an sich hinab. Er steckte in der bunten Tracht des Stadtpfeifers, die ihn mit Stolz erfüllte, und war auf dem Weg zu einer Hochzeit, auf der er spielen sollte. Braut und Bräutigam entstammten dem Patriziat der Stadt, weshalb Gallus hoffte, dass für ihn und die anderen Musikanten ein paar Leckerbissen abfallen würden. Obwohl er einen ordentlichen Lohn erhielt, lag der Traum vom großen Geld in weiter Ferne. Doch er war nicht bereit, ihn völlig aufzugeben. In dieser Stadt wimmelte es von reichen, einfältigen Gecken, denen man das Geld beim Glücksspiel aus der Tasche ziehen konnte. Ein paar gezinkte Karten hier, falsche Würfel da, schon wurde aus seinem bescheidenen Einkommen ein kleines Vermögen.

Nach einem letzten Blick auf seine gestreifte Hose verließ er sein kleines sauberes Zimmer und machte sich auf den Weg zu dem prächtigen Haus des Bräutigams. Dort stand bereits eine lange Schlange von Kutschen und im großen Hof des Anwesens wimmelte von herausgeputzten Besuchern.

»Musikanten müssen hinten rein!«, herrschte ihn ein Knecht an, als er durch das offene Tor spazieren wollte. »Da lang!« Er zeigte auf eine kleinere Tür in der Mauer.

Gallus verkniff sich eine giftige Bemerkung, weil er sich keinen Ärger mit dem aufgeblasenen Kerl einhandeln wollte, und tat wie geheißen. Sobald er den Hinterhof betreten hatte, wurde er von einem Bediensteten in schwarzer Tracht empfangen, der ihn eine kleine Treppe hinaufführte. Im zweiten Obergeschoss angekommen, ging es in einen riesigen getäfelten Raum, in dem sich eine lange Tafel befand. Das Licht der Sonne, die inzwischen den dichten Nebel vertrieben hatte, fiel durch Buntglasscheiben auf einen Fliesenboden, der auf Hochglanz poliert war. Trotz der Jahreszeit standen Vasen mit frischen Blumen auf dem Tisch und Kränze waren in regelmäßigen Abständen an der einzigen weiß getünchten Wand befestigt worden. Von der Decke hing ein gewaltiger Kerzenleuchter.

»Stellt euch dort in die Nische!«, befahl der Bedienstete Gallus und zwei weiteren Spielleuten, die bereits im Raum warteten. »Man soll euch hören, aber nicht sehen.«

Gallus verzog das Gesicht. Wofür hielt sich der Kerl? Er war auch nichts Besseres als er und die beiden Lautenschläger, die ihn von oben bis unten musterten.

»Bist du der Stadtpfeifer?«, fragte einer von ihnen.

Gallus nickte.

»Ein gutes Auskommen«, brummte der zweite. »Besser, als von der Hand in den Mund zu leben.«

Gallus schluckte die Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag, da es keinen der beiden etwas anging, wie er früher gelebt hatte. Es war noch nicht lange her, dass er versucht hatte, sich durch Erpressung ein Zubrot zu verdienen. Dass ihn diese Eselei fast das Leben gekostet hatte, versuchte er jeden Tag aufs Neue zu vergessen.

»Seid still und fangt an zu spielen!«, herrschte der Bedienstete ihn an. »Die hohen Herrschaften kommen!«

Gallus und die anderen zogen sich in die Nische zurück und schlugen eine heitere Weise an, während der Bräutigam und die Braut, gefolgt von den Gästen, in den Saal einzogen. Es dauerte nicht lange, bis ein solches Durcheinander herrschte, dass man die Spielleute vor lauter Reden und dem Bellen zweier Hunde kaum hören konnte. Doch das war Gallus gleichgültig. Er verdiente an diesem Tag gutes Geld, da kratzte es ihn wenig, ob man ihm lauschte oder nicht.

Kinder liefen durcheinander, Blüten wurden geworfen und schließlich nahmen die Gäste Platz an der Tafel. Die Tischdecken leuchteten in strahlendem Weiß, das Geschirr glänzte so, dass man sich darin spiegeln konnte. Nachdem einige Reden gehalten worden waren, die das Brautpaar priesen, begann eine Reihe von Küchenmägden, Gerichte auf riesigen Platten aufzutragen.

Gallus traten fast die Augen aus dem Kopf, als er die in Schmalz ausgebackenen Hühner, den Speck, ein prächtiges Spanferkel und die zahllosen kleineren Gerichte sah. Innerhalb weniger Augenblicke duftete es im Raum nach teurem Pfeffer, Safran und Paradieskörnern. Außerdem brachten die Mägde Flussfische, frisch gebackenes Brot, Aniskuchen und viele andere Köstlichkeiten. Gallus lief das Wasser im Mund zusammen, was ihm das Blasen der Sackpfeife erschwerte. Während er und die Lautenschläger zu einer langsameren Melodie ansetzten, machten sich die Gäste über das Essen her, als ob sie halb verhungert wären.

Stundenlang spielte Gallus sich die Finger und die Lippen wund, bis man ihnen endlich gestattete, in die Küche zu gehen und sich an den Resten der Tafel satt zu essen. Gierig stürzte er sich auf ein knuspriges Hühnerbein und grub die Zähne hinein.

»Habt ihr schon gehört, was heute passiert ist?«, erkundigte sich eine der Küchenmägde.

Gallus und die Lautenschläger sahen sie fragend an.

»Was sollen wir gehört haben? Dass dein Herr und seine Braut sich bald die ganze Nacht vergnügen?«, scherzte einer der Lautenschläger.

Gallus lachte und leckte sich Bratfett von den Fingern.

Die Magd errötete. »Der schreckliche Fund«, flüsterte sie.

»Was für ein schrecklicher Fund?«

»Man hat etwas ganz Furchtbares in einem Futtertrog gefunden«, fuhr die Magd leise fort, da in diesem Augenblick die Köchin den Raum betrat und ihr einen finsteren Blick zuwarf.

»Und? Was geht’s uns an?«, fragte Gallus achselzuckend. Es gab zahllose furchtbare Dinge, aber vermutlich hatte sich die dumme Gans einen Bären aufbinden lassen. Sie schien ja nicht mal zu wissen, was genau passiert war.

»Wie kannst du nur so was sagen?«, hauchte die junge Frau.

»Mach, dass du wieder an die Arbeit kommst!«, erboste sich die Köchin, die mit hoch erhobenem Holzlöffel auf sie zukam. »Oder muss ich dir Beine machen?«

Die Magd zuckte zusammen und huschte mit eingezogenem Kopf davon.

»Und ihr esst auf und verschwindet!«, brummte die Köchin an Gallus und die Lautenschläger gewandt.

Gallus griff nach einem weiteren Stück Huhn. Etwas Furchtbares? Wenngleich er sich einen einfältigen Narren schalt, fing sein Verstand an, die merkwürdigsten Geschichten zu spinnen. Warum sollte sich die Magd so aufregen? Er beschloss, sich umzuhören, sobald er genug gegessen hatte.

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Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
Hacim:
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ISBN:
9783839267264
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