Kitabı oku: «Onnen Visser», sayfa 7
Jakob Brahms schien zu überlegen, in seinen Augen begann ein heimliches Funkeln und Glänzen.
»Lothringer«, flüsterte er, »schreibt dir deine Mutter, daß sie sich in Not befinde? Bittet sie dich um Geld?«
»Sie wohl wissen, ich nix haben! – Ach Gott, ach Gott, alles umsonst. Lassen ich anwerben mich pour la douane, geben alte Mutter Geld – aber sterben Vieh, große Mißernte haben in Weinstock, – nun alte Frau gepfändet werden, hinaus, fort, ganz arm. Pauvre femme!«
Jakob Brahms rückte immer näher. »Trinke doch erst einmal, mein Junge! Der Branntwein wird nicht schlechter, weil deine Frau Mutter in Ungelegenheiten gekommen ist. Wie hoch beläuft sich die Summe, mein Lieber?«
Bertrand seufzte wieder. »Sind große Geld, Monsieur. Fünfzig Taler!«
»Hm, das ist allerdings eine hübsche Summe. Höre einmal, Bertrand, mein guter Freund, was würdest du sagen, wenn dir jemand noch in dieser selben Stunde die fünfzig Taler bar und blank auf den Tisch zählen wollte?«
Der arme Junge schüttelte den Kopf, in seinem Auge glänzte es feucht. »Aben nicht so gute Freund«, seufzte er.
»Das weißt du noch nicht, Lothringer!«
Der Franzose mußte jetzt die Bedeutsamkeit in dem Tone des Wirtes doch wohl bemerken, etwas verlegen sah er ihn an. »Plait-il, monsieur?«
»Ich meine, was würdest du wohl dafür tun, wenn dir jemand das Geld gäbe, Bertrand?«
»Ach Gott, ich sein ihm dankbar ewig!«
Die heiße Hand des Wirtes legte sich auf seine Schulter. »Läßt du mit dir reden, Lothringer? – Das Geld ist gegen eine bestimmte Dienstleistung für dich bereit, hörst du wohl, es ist bereit! Jetzt gleich, in diesem Augenblick!«
Der junge Zollwächter horchte auf. »Große Geld!« flüsterte er. »Nix möglich! Was das sein, Monsieur Brahms?«
»Das ist wenig genug, Bertrand, aber doch für mich sehr viel. In drei Stunden habt ihr beide draußen auf dem Deiche den Dienst, du und der Pariser, nicht wahr?«
»Ja, Monsieur.«
»Gut Sieh dir deinen Kameraden an, Lothringer, er taumelt schon jetzt; in drei Stunden schläft er wie ein Murmeltier und du hast die Wache allein.«
»Diable m‘emporte! Monsieur Brahms wollen – wollen —« »Schmuggeln!« zischte der Wirt, indem er den anderen unausgesetzt im Auge behielt. »Ja, ich will schmuggeln, Bertrand, aber vorher gebe ich das Geld, welches deiner alten Mutter Haus und Hof erhalten soll. Du siehst zehn Minuten lang zufällig gerade nicht nach derjenigen Seite, von woher ein paar Lastwagen gefahren kommen – ist das so schwer?«
Der junge Mensch nickte traurig. »Sein Betrug«, seufzte er. »Nix möglich, Monsieur!«
Der Wirt legte sein Gesicht in die ernsthaftesten Falten. »Betrug?« wiederholte er. »Was du dir einbildest, mein guter Junge! Zuerst bist du der Sohn deiner schutzlosen alten Mutter, das ist für dich die nächste heiligste Pflicht, später kommt dann der Untertan des Kaisers, das wirst du ja nicht bestreiten wollen. Übrigens – ganz unter uns! – wer ist denn dieser sogenannte Kaiser? Puh! ein Advokatensohn, ein Emporkömmling, gar nichts!«
»Einerlei, Monsieur, ich aben gegeben mein Versprechen und das muß halten ein ehrlich Mann notwendig.«
Jakob Brahms nickte sehr kräftig. »Notwendig!« wiederholte er. »Bedingungslos, mein lieber Junge – denke also bitte darüber nach, wie oft du wohl deiner alten Mutter geschworen hast, ihr zu helfen, wo immer es dir möglich sei!«
Der Franzose schien betroffen. »Das ist wahr«, stammelte er.
»Siehst du wohl! Also nimm jetzt das Geld und du hast ein gutes Werk vollbracht. Was kümmert dich der Korse?«
Bertrand fuhr mit der Rechten durch das dichte Haar. »Sein ich unglücklich«, stammelte er.
Jakob Brahms hatte ihn keinen Augenblick außer acht gelassen; er erkannte seinen Vorteil und schmiedete das Eisen, weil es eben glühte.
»Wie du willst, Lothringer«, sagte er. »Laß deine Mutter im Stiche, ich kann es nicht ändern. Vielleicht habe ich auch alles nur zum Scherz gesagt.«
Der Zollwächter erschrak. »Monsieur Brahms«, seufzte er, »das gewiß sein, nur zehn Minuten auf die Seite sehen? Nix sprechen, nix helfen Schmuggler, keine déclaration abgeben?«
»Durchaus nichts. Wenn du die Pferdeköpfe siehst, wendest du dich ab, das ist alles.«
»Und Monsieur geben Geld vorher?«
»Auf der Stelle! Aber so trinke doch, Freund!«
Der junge Mensch nahm den Inhalt des Glases auf einen Zug. »Eh bien!« antwortete er. »Ich so tun.«
Jakob Brahms schenkte ihm aufs neue ein. »Sieh deinen Genossen, Lothringer, er sitzt in der Ecke und singt; du hast die Wache allein. Es ist jetzt für mich die allerhöchste Zeit, ich muß fort – komm mit in mein Zimmer.«
Er ging hinaus und der Zollwächter folgte ihm. Oben in der Giebelkammer stand die bäuerliche buntbemalte Holzkiste, diese wurde geöffnet und ein leinener wohlgefüllter Geldbeutel hervorgezogen.
Auf dem Tisch brannte das Talglicht, die Fenster standen weit offen. Jakob Brahms zählte. »Fünfundvierzig, achtundvierzig, fünfzig! – So, da hast du noch einen Taler mehr, mein Junge, das Postgeld will ja auch bezahlt sein. Nimm hin und Gott gesegne es deiner alten Mutter.«
»Danke! Danke!« flüsterte mit heißem Gesicht der junge Franzose. »Aber Monsieur wissen doch, was Präfekt bekannt gemacht hat? Erschießen die Schmuggler – fangen heute, exécution morgen.«
Ein tieferer Atemzug hob die Brust des Wirtes. »Ja, ich weiß es, Lothringer! Aber das kann mich nicht schrecken – die Sache ist schon zwanzigmal, hundertmal gelungen, sie wird auch heute nicht fehlschlagen.«
Noch während er sprach, fuhr ein Windstrom in das offene Fenster, verlöschte das Licht und streifte wie eine kalte Hand seine Stirn – er schauderte unwillkürlich, bezwang sich aber sogleich.
»Laß mich vorausgehen, Bertrand. So, dahin – und nun: Ein Mann, ein Wort! nicht wahr, du?«
»Gewiß! Gewiß!«
Sie gingen zur Gesellschaft zurück, der Wirt verständigte sich mit seiner Frau und eilte dann, nachdem er die Kleider gewechselt hatte, hinab zum Meer, wo an einer dunkeln Stelle eines jener schlanken langgestreckten Fahrzeuge lag, die mit ihren weißen Segeln wie Möwen über das Wasser dahinschießen.
Vom Sitzbrett erhob sich eine Männergestalt. »Endlich!« sagte tief atmend eine leise Stimme. »Wir werden kaum noch hinüberkommen.«
Es war Uve Mensinga; er setzte schleunigst mit Hilfe des Wirtes das Segel, nahm die Schot selbst in die Hand, und während jener steuerte, brachte er das Boot vor den Wind. Binnen Sekunden war es in der Finsternis verschwunden.
Auf Baltrum, im Hause des Wattfuhrmannes, harrten die Schmuggler. Damals besaß das Inseldorf, in dem noch heute keinerlei Fremdenverkehr besteht, von den gegenwärtig vierzig Häusern etwa fünfzehn; nur Fischer und Fuhrleute lebten auf dem einsamen Eilande, das seiner Bedeutungslosigkeit wegen der französischen Einquartierung entgangen war.
Andreas Fokke, der Wirt, hatte, als die größeren Schmuggelzüge begannen, so nach und nach seinen ursprünglich kleinen Wagenschuppen durch Anbauten erweitert und mehr Pferde, mehr Lastfuhrwerke zusammengekauft. Die Zollbehörden zu überlisten, das brachte größeren Gewinn als alle Arbeit miteinander.
Jetzt war auf acht große Wagen, in Kisten und Säcke verpackt, der Rest aus den beiden englischen Kaffeeschiffen verladen, schützende Decken lagen darüber, die Pferde standen gesattelt und man erwartete nur noch den Wattführer aus Neßmersiel, sowie den Eintritt der vollständigen Ebbe, um die letzte derartige Fahrt zu beginnen.
Das kürzlich erlassene grausame und tyrannische Gesetz der Franzosen machte es den Familienvätern unmöglich, sich weiteren Schmuggelunternehmungen anzuschließen – nur diese, schon auf Baltrum gelagerten Güter sollten noch auf das Festland hinübergeschafft werden, dann hatte das lustige Paschergewerbe sein Ende erreicht.
Andreas Fokke, Klaus Visser, Lars Meinders und Heye Wessel standen ungeduldig wartend beieinander, neben ihnen eine Anzahl englischer Seesoldaten, die den Zug nach Neßmersiel begleiten sollten. Jedes Gespann mußte seinen Kutscher haben, außerdem war es unerläßlich, daß die beiden Wattführer, Fokke und Brahms, vorausgingen, um in der Dunkelheit den richtigen Weg zu finden, denn nur sie allein kannten ihn.
Die Ebbe begann jetzt einzutreten, das Geschrei der Strandvögel kennzeichnete den Augenblick, wo ihr Tisch gedeckt wurde – wenn nun das Boot aus Neßmersiel nicht kam, dann galt dies Ausbleiben als ein verabredetes Zeichen; die Zollbeamten waren in diesem Falle unbestechlich gewesen.
Der Kapitän seufzte. »Das wäre sehr ärgerlich!« sagte er.
Niemand antwortete ihm. Die Stunde ängstlichen Harrens, das ungewisse Auf und Ab zwischen wachsender Furcht und erbleichender Hoffnung lassen keine ruhige Unterhaltung, ja nicht einmal einen beobachtenden Gedanken aufkommen; das Herz schlägt und die Stirn glüht; man horcht, späht, hört Geräusche, die nur in der Einbildung existieren, aber man bleibt stumm.
Leichte Schritte näherten sich dem Hause, Andreas Fokke riß die Tür auf und wollte den Befehl zum Einspannen schon geben, als er plötzlich die Arme sinken ließ. »Du bist es, Onnen? – Was willst du denn hier, Junge?«
Der Kapitän fuhr auf. »Wie kamst du hierher, Onnen? Habe ich dir nicht ausdrücklich verboten, das Haus in dieser Nacht zu verlassen?«
Der Knabe senkte den Kopf. »Bitte, lieber Vater, verzeihe mir. Ich konnte nicht ruhig in meinem sicheren Bette liegen, während der Tod nach dir die Hände ausstreckt. Laß mich mitgehen und an deiner Seite bleiben!«
»Nein! Tausendmal nein! Du sollst mit dem nächsten —«
»Nun, da seid ihr beisammen!« rief es von der Tür her. »Alles sicher, nirgend die verfluchten französischen Galgengesichter zu entdecken! Vorwärts, Kameraden! Mylords, ich grüße euch und habe auch mein bestes Faß nicht geschont, um euch einen Tropfen mitzubringen! Very well, Sir! All right!«
Und nachdem er in dieser Weise den Söhnen Albions seinen ganzen Vorrat englischer Worte ausgekramt hatte, reichte Jakob Brahms die wohlgefüllte Geneverflasche von einem zum anderen; Fokke und Lars Meinders zogen die Pferde hervor, reges Leben herrschte überall, und in diesem Treiben gelang es dem Kapitän nicht mehr, mit Erfolg den Bitten seines Sohnes zu widerstehen.
»So bleib denn!« sagte er. »Dieser Zug ist der letzte, darum mag dir der Ungehorsam hingehen.«
Ein Wagen nach dem andern wurde hinausgeschoben. Das Wetter hätte nicht günstiger gedacht werden können, und so schien es, als wolle das launenhafte Glück die Fahrt über das Watt ganz besonders begünstigen. Eine stattliche Anzahl von Pfunden lag auf den Wagen und versprach, da der unerhörte, den Wert übersteigende Zoll von zwei Frank für das Pfund erhoben wurde, einen reichlichen klingenden Gewinn. Zwei englische Kriegsschiffe bewachten das offene Fahrwasser, wobei ein Kanonenschuß von der Batterie eines derselben als Signal eines etwaigen Überfalles verabredet worden war. Solange alles ruhig blieb, befanden sich keine französischen Kanonenboote in der Nähe.
Sie glaubten es wenigstens.
Jakob Brahms und Andreas Fokke eröffneten den Zug, dann folgten die acht beladenen Wagen, deren Führer neben den Pferden gingen, und zuletzt mehrere Engländer. Sämtliche Männer rauchten kurze Pfeifen, Brahms erzählte, in welcher Weise er die Zollwächter unschädlich gemacht, und so bildete sich nach und nach in den Seelen aller jene ruhige Stimmung, die gerade infolge durchlittener Aufregungen so unendlich wohltuend wirkt – nur als einer der englischen Soldaten ein Lied anstimmen wollte, da hielt ihn der Kapitän zurück.
»Man muß das Schicksal nicht herausfordern, mein Junge. Der Löffel bricht zwischen Hand und Mund.«
»Still! Still!« rief Uve Mensinga. »Wer spricht gern von dem Schlage, welcher ihn im nächsten Augenblick treffen kann!«
»Ja, ja, es ist ein eigen Ding zu wissen, daß man die Todesstrafe verwirkt hat!«
Die englischen Soldaten lachten. Sie hatten bei Trafalgar mitgefochten und sehnten sich sehr, einmal ihre Kräfte mit denen der Franzosen zu messen, sei es selbst auf festem Boden, wie hier.
»Laßt sie kommen!« rief einer. »Meine Klinge ist durstig genug!«
»Still! Still! Man soll den Teufel nicht an die Wand malen.«
Hinter den Schmugglern erloschen die Lichter von Baltrum, während die des festen Landes noch nicht auftauchen wollten. Der Zug befand sich etwa in der Mitte des Watts, als ein Hund, den Andreas Fokke mitgenommen hatte, eine große gelbe Dogge, plötzlich stehenblieb und leise zu knurren begann.
Wie auf Verabredung wurden bei sämtlichen Wagen die Pferde angehalten. Blasse Gesichter sahen einander an, es lief auch den Mutigsten kalt durch alle Adern.
Der Hund zog die Luft ein, er knurrte leise, machte aber keine Miene, sich irgendeinem nahenden Feinde entgegenzuwerfen.
»Pikaß!« flüsterte Fokke. »Komm, Pikaß, was hast du?«
Der Hund nahm von ihm keine Notiz, er behielt offenbar einen fernen Gegenstand fortwährend fest im Auge.
Der Kapitän zog das Nachtglas hervor; er suchte längere Zeit und reichte dann dem neben ihm stehenden Heye Wessel das Instrument. »Wahrhaftig, mir ist es, als sähe ich da drüben einen unförmlichen Klumpen, einen dunklen Gegenstand«, flüsterte er. »Sieh hin, Wessel, was mag es nur sein?«
Der Angeredete nahm hastig das Glas. »Ich kann nichts entdecken«, antwortete er dann. »Und nun schweigt auch der Hund.«
»Laßt uns getrost vorwärtsgehen – es mag sich ja ein Seehund hierher verirrt haben oder es kommt jemand über das Watt, um nach Baltrum zu gehen. Vielleicht der alte Fischkäufer aus Dornumersiel.«
»Der wurde allerdings heute abend erwartet!«
»Seht ihr wohl! – Hallo, Hidde Emken, bist du da?«
»Laßt das Rufen«, warnte der Kapitän, »du weißt nicht, wer dich hört!«
»Ja, und es kann auch Hidde Emken ganz unmöglich sein, denn mein Hund kennt ihn genau!«
»Such, Pikaß! such!«
Das Tier blieb ruhig, es hatte längst aufgehört zu knurren. Andreas Fokke wandte sich zum Weitermarsch. »Es ist nichts«, entschied er. »Aber du bist heute abend gar nicht derselbe, Klaus Visser! Wie kommt das? Hast du irgendeinen Verdacht, Mann?«
»Durchaus nicht. Ich finde nur, daß man jedes Geräusch vermeiden müßte.«
»Vorwärts! Vorwärts!« rief Jakob Brahms. »Sollen wir am Ende gar den hellen Morgen über uns hereinbrechen lassen?«
Diese Ermahnung half. Der ganze Zug setzte sich wieder in Bewegung. Pikaß trabte neben seinem Herrn, ohne unruhig zu erscheinen – so rasch es der widerstandslose Boden erlaubte, bewegten sich die schweren Wagen vorwärts, und von sämtlichen Teilnehmern der kleinen Unternehmung war nur der Kapitän nicht ganz zu seiner früheren Sicherheit zurückgekehrt. Jeden Augenblick sah er durch das Nachtfernrohr.
»Es ist eine Sünde gegen deine Mutter, Onnen, daß ich dir überhaupt gestattete, uns zu begleiten! Was gäbe ich nicht willig hin, um diese Torheit zurückkaufen zu können.«
»Fürchtest du denn einen Verrat, Vater?«
Der Kapitän zuckte die Achseln. »Ich erwarte ihn nicht gerade, aber – ein dunkler Gegenstand, weder Watt noch Wolke, war‘s doch, den ich da hinten sah.«
Der Knabe erschrak. »Dann kehre um, Vater, ich bitte dich, kehre um! Auch die beiden anderen werden dir folgen und zuerst ihr Leben retten wollen!«
Ehe der Kapitän zu antworten vermochte, schoß Pikaß plötzlich den Männern voraus ins Dunkel und begann heftig zu bellen. Ein leichter Schrei wurde ausgestoßen, es klang wie »Sapristi!« – dann war wieder alles still.
»Franzosen!« raunte der Kapitän. »Ich dachte es!«
Onnen umklammerte seinen Arm. »Vater, ich flehe dich an, geh nach Baltrum zurück! Um Gotteswillen, tue es, tue es!«
Klaus Visser schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht mehr, Kind. Sollte ich meine Kameraden zur Stunde der Gefahr im Stiche lassen? – Aber vielleicht war es eine Sünde, um des Mammons willen deine arme Mutter so sehr zu kränken!«
Während dieser eiligen, leise geflüsterten Unterhaltung schwieg der Hund wie zuvor, auch Menschenstimmen erklangen nicht weiter, wohl aber zog sich eine Kette dunkler Gestalten quer über den Weg und das, was vorhin als ein formloses Etwas erschienen war, trat jetzt in größerer Nähe scharf hervor – ein französisches Kanonenboot, das erst die nächste Hochflut wieder flott machen würde.
»Zurück!« flüsterte Heye Wessel. »Wir müssen die Waren samt Wagen und Pferden im Stiche lassen, um nur das nackte Leben zu retten!«
Die übrigen stimmten bei, hinter dem letzten Wagen ordneten sich die Schmuggler und begannen einer nach dem andern rückwärts zu schleichen, aber schon sehr bald mußten sie eine schreckliche Entdeckung machen. Auch von Baltrum her nahte eine Abteilung Franzosen – sie waren vollständig eingeschlossen.
Rechts und links das Meer, hinter und vor ihnen der Feind! Während mehrerer banger Minuten herrschte ein peinliches Schweigen.
Dann erhob Heye Wessel die Stimme zum lauten hallenden Schrei. »Ich muß es, Kinder, nun ist‘s ja auch einerlei! – So, so, nun laßt uns die Pferde besteigen und nach einer Seite hin durchbrechen – etwas anderes bleibt nicht mehr übrig.«
Und nochmals tönte sein Kampfruf weit hinaus. »Halloh ho, ho! – Halloh!«, dann hatte er die Stränge des ersten besten Pferdes durchschnitten und sich hinaufgeschwungen; die anderen folgten seinem Beispiel.
»So! Vorwärts mit Gott; reitet die Hunde nieder!«
»Nach Neßmersiel! Dort gibt es bessere Verstecke!«
»Pikaß! Pikaß! Hierher!«
Die Dogge winselte wie im Sterben. Ein Messerstich mochte sie getroffen haben – der Ton klang matt, versagend.
»Verfluchter Mörder!« rief Andreas Fokke, »du sollst die Untat büßen!«
Sämtliche Pferde bildeten mit ihren Reitern eine breite gerade Linie; der Kapitän und Onnen ritten nebeneinander, ihnen zur Seite die englischen Matrosen, deren Gewehre geladen in den Händen ihrer Eigentümer lagen. Ein Zungenschlag, dann setzten sich die Tiere in Galopp.
Aber nur für Sekunden. Das Manöver der Schmuggler war beobachtet worden, die Hähne der französischen Gewehre knackten und ein Hagel von Bleikugeln prasselte den Flüchtigen entgegen.
Die Wirkung war eine entsetzliche. Zwei Tiere stürzten, ins Herz getroffen, mit gellendem Aufschrei tot zusammen, einer der englischen Soldaten hatte einen Schuß in die Schulter erhalten, der Kapitän war am Fuß verwundet und Lars Meinders am Arm – wild erschreckt machten die Pferde kehrt, um in regelloser Flucht davonzustürzen.
Hinter der Linie von einer neuen Salve empfangen, stürmten sie bald hierhin, bald dorthin, überall vom Pulverblitz, dem Donner der Musketen verscheucht, dann bis an die Wassergrenze vordringend, dann zurückspringend auf die Mitte des Weges, verwundet, blutend, rasend vor Schmerz.
Im Todeskampfe schleppte sich Pikaß herbei, noch einmal suchte sein Auge das des geliebten Herrn, noch einmal winselte er traurig und streckte dann die Glieder, während Andreas Fokke neben ihm mit zwei Franzosen rang und sich gleichzeitig der beiden erwehrte.
»Da hast du es, Henkersknecht! Stirb, Räuber!«
Ein schwerer Schlag mit dem Kolben zerschmetterte den Schädel des Franzosen, dann packte der erbitterte kräftige Mann den zweiten und schleuderte ihn weit hinaus in den feuchten Sand.
Der Soldat blieb liegen wie ein Toter.
Auf der ganzen Linie rang Mann gegen Mann. Heye Wessel hielt eine den Franzosen abgenommene Muskete am Lauf und ließ sie wie ein Rad durch die Luft kreisen; dabei schrie er aus voller Kehle, so schmetternd, so durchdringend wie ein indianischer Häuptling, wenn er dem Feinde gegenübersteht.
Kein Franzose wagte es, sich dem Riesen zu nähern. Breitspurig stand er da; sein: »Halloh, ho, hoho!« zerriß die Luft, seine Augen funkelten, gleich einem Panther sprang er jetzt zu einer Gruppe, die in geringer Entfernung von ihm kämpfte.
»Was machst du da, welscher Schuft?«
Auf dem Boden lag Jakob Brahms und neben ihm, mit ihm ringend, kniete ein Franzose, in dessen Händen ein blankes Messer beständig die Brust des Wattführers arg bedrohte. Der Soldat suchte seine zusammengeschnürte Kehle aus den Eisenfäusten des derben Fehnbauern freizumachen, dieser dagegen wollte den Angreifer erdrosseln, um dann das Messer beiseite schleudern zu können.
Sie wälzten sich beide im Sande, bis Heye Wessel hinzukam.
»Los, du Satansbrut!«
Aber der Franzose hörte ihn nicht. Halb gewürgt, halb besinnungslos vor Schmerz und Mangel an Luft, raffte er seine letzten Kräfte zusammen, um sich zu retten. Die Todesangst verlieh ihm übermenschliche Stärke; blutend, röchelnd erhob er in einem günstigen Augenblick den rechten Arm und bohrte das Messer gerade in das Herz des Wattführers.
Sekundenlang griffen im Sterben die Finger des unglücklichen Mannes noch fester in das Fleisch des Mörders, dann aber erlahmten sie und ließen nach. Der Franzose riß mit einem einzigen Stoß den Arm des besiegten Gegners herab – eben wollte er sich taumelnd, blutüberströmt erheben, als ihn eine geballte Faust mit unwiderstehlicher Kraft abermals in den Sand streckte.
Heye Wessel lachte grimmig. »Du glaubst dich frei, nicht wahr, Schuft? Da hast du sechs unversorgten Kindern den Vater geraubt – das sollte so hingehen, nicht wahr?«
Und bei dem jedesmaligen Versuche, sich zu erheben, erhielt der Soldat von den Händen des Riesen einen Stoß, der ihn wieder zurückwarf. Heye Wessel, zum äußersten Zorn gereizt durch den Tod seines Freundes, Heye Wessel, der Riese, schleuderte jetzt das Gewehr von sich. »Komm her, Franzose, ich will dich zu Tode tanzen, will Ball mit dir spielen, du Kujon, du Räuberhauptmann – da hast du es!«
Er packte den viel kleineren Gegner und warf ihn in die Luft, zweimal, dreimal, dann stieß er einen Schrei hervor, der halb wie Lachen klang, halb wie das Schluchzen der Verzweiflung.
»So, der hat genug! Armer Jakob Brahms – es ist alles, alles verloren!«
Und so war es in Wirklichkeit. Wie Ameisen krochen die Franzosen auf und neben den Lastwagen herum, sie fingen die flüchtigen Pferde ein, sie hatten den verwundeten Lars Meinders davongeschleppt und zwei Engländer zu Gefangenen gemacht.
Fünf oder sechs andere kämpften heldenmütig mit einer überlegenen Zahl von Gegnern, ebenso Andreas Fokke und Uve Mensinga, die beide treulich den furchtlosen Briten zur Seite blieben. Heye Wessel sprang hinzu. »Macht mir Platz, Kameraden! Wo ist Klaus Visser mit seinem Jungen?«
»Da hinaus!« schrie Uve Mensinga, auf das Meer deutend. »Sein Pferd ging durch!«
Heye Wessel raffte ein Gewehr vom Boden und schlug blind und toll in die Reihen der Franzosen hinein. In diesen wuchtigen Hieben, in jeder seiner Bewegungen spiegelte sich das zornige Ringen des geknechteten Inselvolkes, der heiße glühende Haß gegen die französischen Unterdrücker. Hageldicht fielen die Streiche, aber wo ein Franzose fiel, da erstanden an seinem Platze sechs andere – die Sache der Schmuggler war von Anfang her zu ihrem Nachteil entschieden gewesen.
»Halloh!« rief Heye Wessel, »wer ist denn das da?«
Seine Faust packte einen todbleichen Mann, dessen schlotternde Knie keinen Fluchtversuch zuließen. »Aha, du bist‘s, Peter Witt! – Judas! Freust dich des gelungenen Werkes, nicht wahr?«
Der Verräter schauderte. »Laß mich, was tat ich dir, Heye Wessel? Jeder von uns hat seine Meinung für sich!«
Der Riese schüttelte ihn wie ein gebrochenes Rohr. »Wo ist Lars Meinders, du Elender? Wo ist Jakob Brahms? – Gute Friesen und tüchtige Männer sind gefallen um eines Verräters willen, andere werden morgen von den Schanzwällen herab erschossen – das alles ist dein Werk! Sei verflucht, Peter Witt, sei verflucht, so lange du über die Erde gehst, der Tod speit dich aus, du sollst leben, um zu leiden!«
Er schleuderte ihn von sich und versuchte es dann, den Baltrumer Wattführer aus den Händen der Franzosen zu befreien. Uve Mensinga war verschwunden; er hatte eins der flüchtigen Pferde ergriffen und den Weg zur Insel einen Augenblick offen gefunden. Andreas Fokke schlug um sich wie ein Verzweifelter, aber nach kurzem Widerstande war auch er überwältigt. Mehr als zwanzig Franzosen fielen ihm und dem Riesen in den Rücken; sie wurden beide gebunden an Bord der »Hortense« gebracht.
Ein frohlockender Blick traf Heye Wessels Gesicht. »Gedenkst du noch der Kisten mit Sand, dreister Schmuggler? Damals triumphiertest du, heute ist die Reihe an mir!«
Der Leutnant drehte vergnügt das Bärtchen. Ja, ja, die Scharte war ausgewetzt.
Und der Kapitän?
Sein Fuß blutete stark, er war vor Schmerz außerstande, das Pferd gehörig zu lenken, es stürzte blindlings in die Finsternis hinein, verfolgt von mehreren Schüssen, und taumelte dann, als eine Kugel getroffen hatte, zusammenbrechend gegen den Rand eines größeren Tümpels, wo es liegenblieb und schweratmend verendete.
Klaus Visser versuchte sich zu erheben, aber er fand bald, daß es ihm unmöglich sei. Der Fuß war jedenfalls gebrochen, ein entsetzlicher Schmerz folterte den eisernen Mann, er konnte sich nicht von der Stelle bewegen.
Und dennoch wurde der Gedanke an sein eigenes Schicksal ganz in den Hintergrund gedrängt durch den an seinen Sohn. Wo war Onnen?
Allein im Kampfe, vielleicht getötet, vielleicht gefangen, um demnächst erschossen zu werden. Der unglückliche Vater ächzte.
Er durfte nicht rufen, kein Geräusch verursachen. Ganz abgesehen von dem eigenen Verderben konnte er durch jedes Wort, jeden Laut auch das des Knaben herbeiführen.
Sein Herz schlug heftig; unter den brennenden Schmerzen der Wunde kreuzten sich in dem erregten Gehirn die widerstreitendsten Gedanken. War es recht, so den Gesetzen zu trotzen, nicht etwa aus Armut, gedrängt und getrieben von der bitteren Not des Lebens, sondern mit geheimer Freude an dem Verbotenen? War es recht, so alles aufs Spiel zu setzen – gewaltsam, rücksichtslos, nur aus Eigensinn?
Aber die Reue kam zu spät. Wenn vier oder fünf Stunden vergingen, dann rauschte die Flut heran und hohe Wogen wälzten sich über die Stelle, wo er lag. Dann war alles vorbei, die Franzosen um ihren Gefangenen betrogen.
Wie der Kampf tobte, wie Schrei um Schrei herüberklang. Das war Heye Wessel, aber in dem Tone, den er hervorstieß, lag kein Siegesjubel. »Ach, Onnen, Onnen, wo bist du? – Vergebe mir Gott die Todsünde, daß ich ihn mitgehen ließ!«
Er tauchte die Hand in das Wasser und goß es über den brennenden Fuß. Wie furchtbar der Schmerz, wie unerträglich!
Wenn er sich einmal, ein einziges Mal umwandte, wenn er nur für Sekunden seine Kräfte zusammenraffte, dann hatte ihn die tiefe Gate verschlungen und der Kampf war vorüber, er lag weich gebettet da unten im Wasser. Sollte er‘s tun?
Durch sein Inneres ging schwere Erschütterung. »Nein! Sünde häufen auf Sünde, noch dem Willen Gottes widerstreben im letzten Augenblick? – Nein!«
Er lag regungslos. Was da kam, das würde ihn vorbereitet finden.
Über den weißen Sand fiel ein Schatten, spähende Gestalten schlichen herbei, Franzosen, die das Pferd im Todeskampfe ächzen hörten und dem Schalle nachgingen. Jetzt sahen sie den Leichnam, aber wo war der Reiter?
Und dann hatte einer der Soldaten den Daliegenden entdeckt, ein erstickter Jubelruf brach über seine Lippen. Der Führer des Schmugglerschiffes – welch ein Fang!
Klaus Visser war außerstande, sich selbst zu helfen, er fühlte, wie Hitze und Kälte in seinen Adern wechselten – von fern drang das Toben des Kampfes bis zu ihm; er stieß einen Schrei aus, einen einzigen qualerpreßten Schrei, und dann verlor er das Bewußtsein.
Die Franzosen hoben ihn schleunigst auf und trugen ihn als ersten Gefangenen an Bord ihres Schiffes.
Einer hatte den Schrei gehört, ein einziger – Onnen. Die Stimme seines Vaters war zu ihm gedrungen, ein eisiges Erschrecken lief durch alle seine Adern. Er stürzte blindlings fort, unbekümmert um die Franzosen, welche ihn sahen, um die Kugeln, welche ihm nachgeschickt wurden, aber er beherrschte sich doch genügend, um den Ruf des Vaters wenigstens nicht zu beantworten.
Der Weg über das Watt war schmal, es konnte nicht schwer werden, hier einen Menschen, selbst einen verwundeten, aufzufinden. Onnen eilte vorwärts, das Kampfgetümmel blieb hinter ihm, er ließ sich nicht die Zeit, irgend etwas zu beobachten, sondern stürmte nur weiter, dem einmal gehörten Schalle nach – dann blieb er plötzlich erschreckend stehen. Nahe am Rande der Gate lag das tote Pferd – was war hier geschehen?
Raubvögel flogen auf, als er kam, kreischend und flügelschlagend, das Wasser glitzerte hell – von dem Kapitän war nichts zu entdecken.
»Vater!« rief halblaut, mit erstickter Stimme der Knabe. »Vater, wo bist du?«
Alles blieb still.
»Vater, um Gottes willen, gib Antwort!«
Nichts! – So sehr er auch horchte und spähte. Nichts!
Ein schauerlicher Gedanke hatte sich seiner Seele bemächtigt. Sollte der Kapitän, durch den jähen Sturz des Pferdes weitab in den Sand geschleudert, der Gate zu nahe gekommen sein? Sollte er da unten im Wasser liegen?
Onnen warf sich im selben Augenblick, als die Frage entstand, platt auf den Boden und streckte den rechten Arm bis über die Schulter in das Wasser, dann, als er nichts entdeckte, kroch er vorsichtig um den Rand der Vertiefung herum und untersuchte überall den Schlick des Grundes, der für seine Fingerspitzen gerade eben erreichbar blieb.
Während dieser eifrigen Nachforschung überhörte er es, daß sich zwei Männer der Stelle, wo das tote Tier lag, von verschiedenen Seiten näherten, beide vorsichtig schleichend, der letztere offenbar den ersteren beobachtend. Onnen kehrte ihnen den Rücken zu, er dachte im Augenblick nur an seinen rätselhaft verschwundenen Vater und ließ dabei die nötige Vorsicht ganz außer acht. Erst als der vorderste der beiden Männer das Pferd erreicht hatte, blickte er auf.
Vor ihm stand der Unteroffizier Durand von dem Kanonenboot »Hortense«.
Onnen erschrak heftig, der Franzose aber schien von förmlichem Entsetzen ergriffen. »Diable«, rief er, »schon wieder der Knabe!«
Und zurücktaumelnd riß er die Signalpfeife aus der Brusttasche, um Menschen herbeizurufen, um nicht länger allein zu bleiben mit dem, den er für ein Gespenst hielt.
Kräftige Arme verhinderten, ihn rückwärts zu Boden werfend, dies Vorhaben; die Pfeife flog weit hinaus auf das Watt, ein Knebel schloß den Mund des Franzosen, ehe er Zeit behielt, sich zu verteidigen.
Dann noch Hände und Füße mit Schlingen umwunden, und der überraschte Soldat konnte nur ächzen, aber keinerlei Fluchtversuch unternehmen.
Als Onnen den Kopf erhob, sah er das Gesicht seines unerwarteten Befreiers. »Uve Mensinga«, rief er aufstehend in schmerzlichem Tone, »wo ist mein Vater?«
»Ich weiß es nicht, Junge! Was machst du hier? Aber einerlei; komm schnell, ich habe ein Pferd, wir müssen eilen, um zur rechten Zeit nach Neßmersiel zu kommen.«