Kitabı oku: «Moderner Fundamentalismus», sayfa 2

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IV.

Mit der Aufgabe, Erlösung zu bewirken, wächst der Kunst, der Erotik und der Moral eine wichtige Funktion der Religion zu, aus der diese immer wieder ihren Hegemonialanspruch abgeleitet hat. Keineswegs aber wächst ihnen damit auch schon die gesellschaftliche Ordnungskapazität der Religion zu. Diese liegt in ihrer Fähigkeit begründet, das im Kern außeralltägliche persönliche Glaubenserlebnis in einen Dauerhabitus zu verwandeln, was nur über die Ausschaltung oder Minimierung der ekstatisch-irrationalen, eben: erlebnishaften Momente und die Hinwendung zu symbolischen Ordnungen möglich ist. Zwar sind diese, wie Cassirer, Susanne K. Langer u.a. gezeigt haben, durchaus nicht einseitig auf Diskursivität festgelegt, da es neben dem verbalen auch einen nichtverbalen, ‚präsentativen‘ Symbolismus gibt (Langer 1984, 86 ff.); doch enthält der verbal-diskursive Modus ein Potential für die Intellektualisierung und Ethisierung des Religiösen, das die Herausbildung und Institutionalisierung sinnhafter Ordnungen mächtig gefördert hat. Wie die Religionsgeschichte lehrt, haben dadurch nicht nur einzelne Individuen ihr spezifisches Erlebnis zu stabilisieren vermocht. Vielmehr war es immer auch möglich, daß andere die Symbolisierung dieses Erlebnisses übernahmen und ihre Lebensführung danach ausrichteten. Der Erfolg der Weltreligionen dürfte darin begründet sein, daß sie genau die richtige Mischung von präsentativen, die Gefühls- und Erlebnissphäre ansprechenden Modi und diskursiven Elementen enthielten, die ein bestimmtes Weltbild kontextunabhängig machten und es so befähigten, gewaltige Massen von Gläubigen auf gemeinsame Ziele und entsprechende Formen des Gemeinschaftshandelns zu verpflichten.

Für rein innerweltliche Handlungsfelder wie Moral, Kunst und Erotik gilt das nicht in gleicher Weise. Die nicht mehr religiös abgestützte (also auch nicht mehr begrenzte und homogenisierte) Moral tendiert nicht bloß zu einer Hypertrophie des diskursiven Symbolismus, die das bekannte Problem der Beendigung des Diskurses aufwirft. Sie neigt darüber hinaus dazu, sich in eine unübersehbare Vielzahl konkurrierender moralischer Positionen aufzulösen und den Streit zwischen diesen in gleichem Maße zu verschärfen, in dem sie absolute Geltung für die eine oder andere dieser Positionen beansprucht. Niklas Luhmann hat deshalb mit Recht vom ‚polemogenen‘ Charakter der Moral gesprochen und daraus abgeleitet, daß sie sich nicht als Teilsystem der Gesellschaft ausdifferenzieren läßt. Da sie indes eine spezifische soziale Funktion erfüllt und insofern auch nicht wegzudenken ist, scheint es ihr Schicksal zu sein, als eine Quelle der Irritation und der Störung zu wirken, ohne selbst etwas zur Behebung der von ihr angeprangerten Mängel beitragen zu können.

Während Moral zwar polemogen, aber generalisierbar ist (Luhmann 1978, 90; ders. 1997, 1036 ff.), operiert die Kunst mit Geschmacksurteilen, die zwar kollektivierbar, aber nicht generalisierbar sind. Unter den Bedingungen sozialer Schließung durch religiöse oder politische Mächte ist es wohl möglich, eine bestimmte Geschmacksrichtung zum ‚Stil‘ zu erheben, doch gilt dies eher für Stadien, in denen die Kunst noch nicht ihre Eigengesetzlichkeit entfaltet hat. Sobald dies geschieht, pflegt das Geschmacksurteil rigoros subjektiviert und als inappellabel der Diskussion entzogen zu werden (Weber 1972, 555; Schwinn 1998, 282). Die Schroffheit, mit der die Kunst ihre Autonomie gegenüber religiösen, moralischen oder politischen Zumutungen behauptet, die meist mit den Mitteln des diskursiven Symbolismus vorgetragen werden, führt dabei zu einer so starken Akzentuierung des präsentativen Symbolismus, daß Unverständlichkeit die Folge sein kann. Verbandsbildungen im ästhetischen Feld sind damit nicht ausgeschlossen aus, wie die überreiche Geschichte der Dichterbünde und Malerschulen der Neuzeit lehrt; und es ist auch nicht ausgeschlossen, daß einzelne Künstler ganz bewußt nicht auf Exklusivität, sondern auf Massenwirksamkeit setzen, wie dies etwa für Richard Wagners Kunstwerk der Zukunft oder Hugo Balls Idee der „Gesamtkultur“ gilt. Der Wille zur Inklusion bleibt jedoch in der Regel ein Postulat, das in Widerspruch zu den verwendeten künstlerischen Mitteln und zum gleichzeitig praktizierten Geistesaristokratismus steht; die Verbandsbildung ein bloßer Virtuosenzusammenschluß, der nicht primär wertrational, sondern charismatisch motiviert und daher meist nur von kurzer Dauer ist. Wie auch wäre Dauer in einem Feld erreichbar, dessen Eigenart, wie seit Kierkegaard von allen bedeutenden Ästhetikern betont wird, im Momentanen, Plötzlichen, Vagen und Intensiven besteht (Bohrer 1998, 164, 180, 185)?

Wieder anders stellt es sich bei der Erotik dar, deren sozialer Horizont, sieht man von der Orgie ab, explizit begrenzt ist. „Erotic love“, sagt Roslyn Wallach Bologh, „is exclusive, particularistic, and self-indulgent“ (1987, 243). Eine Aufladung dieser Beziehungsform zum Medium einer innerweltlichen Erlösung mit einer gewissen Breitenwirkung steht vor dem Problem, wie diese Eigenart der erotischen Liebe festgehalten und zugleich generalisiert werden kann – ein Dilemma, dem sich der erotische Fundamentalismus meist durch eine Betonung der Einheitskommunikation zu Lasten der Differenz zu entziehen versucht, was ihn nicht selten dazu führt, den psychogenetisch früheren Stadien einen höheren Stellenwert einzuräumen als den späteren, eng mit der Individuation verbundenen. Marcuse etwa begnügt sich nicht mit der Reaktivierung der prägenitalen Sexualität, die ja immer noch objektlibidinös ist, sondern proklamiert den Primat der ‚genitofugalen Libido‘ und des ‚primären Narzißmus‘, in deren Zeichen eine „Umwandlung der Sexualität in Eros“ erfolgen soll. Klages hat den Eros anstatt als Trieb als eine Art der ‚Bildwerdung‘ verstanden, deren nähere Beschreibung wenig Zweifel daran läßt, daß hier ebenfalls der primäre Narzißmus vorbildlich war. „So wenig gleicht er dem Zustand irgendeiner Bedürftigkeit, daß wir, was Drang in ihm, zu kennzeichnen haben als Drang des Überströmens, der strahlenden Ergießung, des maßlosen Sichverschenkens“ (Klages 1988, 55). Den Nachweis, daß sich daraus stabilisierbare Sozialformen ableiten lassen, ist Klages ebenso schuldig geblieben wie Marcuse.

Diese Überlegungen zeigen: moderner Fundamentalismus auf der Basis von Moral, Kunst oder Erotik ist möglich, aber auch unwahrscheinlich. Die Kunst ist nach der Produzenten- wie nach der Konsumentenseite hochgradig individualisiert und bringt, wenn überhaupt, nur äußerst instabile soziale Verbände hervor. Die Erotik stiftet zwar massenhaft Beziehungen, aber immer nur face-to-face; und selbst diese Beziehungen bleiben, je stärker in ihnen der Akzent auf dem rein Erotischen liegt, labil und problematisch. Die Moral andererseits ist wohl in der Lage, solche Schranken zu überspringen, doch ist sie wegen ihrer starken Bindung an das soziale Konstrukt der Person – und nicht zuletzt auch wegen ihres ‚polemogenen‘ Charakters – gleichfalls nicht institutionalisierbar. Mehr als Bewegungen mit kurzem Verfallsdatum sind deshalb vom modernen Fundamentalismus nicht zu erwarten.

V.

Zur sozialen Verortung des modernen Fundamentalismus scheint der direkteste Weg über den Hinweis Max Webers zu führen, daß ein Zusammenhang zwischen dem Erlösungsbedürfnis und der Position des „Intellektuellen“ besteht. „Stets ist die Erlösung, die der Intellektuelle sucht, eine Erlösung von ‚innerer Not‘ und daher einerseits lebensfremderen, andererseits prinzipielleren und systematischer erfaßten Charakters, als die Erlösung von äußerer Not, welche den nicht privilegierten Schichten eignet. Der Intellektuelle sucht auf Wegen, deren Kasuistik ins Unendliche geht, seiner Lebensführung einen durchgehenden ‚Sinn‘ zu verleihen, also ‚Einheit‘ mit sich selbst, mit den Menschen, mit dem ‚Kosmos‘. Er ist es, der die Konzeption der ‚Welt‘ als eines ‚Sinn‘-Problems vollzieht“ (Weber 1976, 307 f.).

Der Webersche Intellektuellenbegriff, der im übrigen auch die einschlägigen Forschungen Karl Mannheims bestimmt hat, ist indes zu weit, um aussagekräftig zu sein. Er umfaßt nicht nur die Träger des Erlösungswissens, sondern auch die des Bildungs- und, wenigstens teilweise, des Herrschafts- und Leistungswissens; er bezieht sich auf Gruppen, die in ständischer und kastenmäßiger Geschlossenheit leben oder nach außen hin offen sind; und er gilt unterschiedslos für Gruppen, die über das Monopol der Weltauslegung verfügen oder miteinander in Konkurrenz stehen (Sadri 1992). Die einzige Abgrenzung, die er zuläßt, verläuft gegenüber denjenigen, die sich durch keine innere Nötigung gedrängt sehen, „die Welt als einen sinnvollen Kosmos erfassen und zu ihr Stellung nehmen zu können“, was ebensowohl auf das traditionale Alltagshandeln wie auf das rationale Fachmenschentum zutrifft5.

Will man den Begriff der Intellektuellen einengen, so empfiehlt es sich, nicht zu konkret anzusetzen. Es erscheint nicht sehr zweckmäßig, darunter jenen Teil der Intelligenz zu verstehen, der nicht kulturschöpferisch ist (Geiger 1987, 13), ist doch jede Sinnstiftung insofern kreativ, als sie einer nicht per se sinnhaft geordneten Welt etwas hinzufügt. Ebenso unangebracht ist die Einengung über die kritische Distanz gegenüber der Macht und die Anerkennung universalistischer Werte, wie sie etwa für Pierre Bourdieu und Jürgen Habermas typisch ist (Bourdieu 1992, 207; Habermas 1987, 28 f.); ist damit doch nur eine mögliche Position bezeichnet, die Sinnproduzenten gegenüber gesellschaftlichen Institutionen und Ideen einnehmen können. Ein Jean-Paul Sartre, in vielem die Inkarnation des modernen Intellektuellen, steht zwar durchaus in kritischer Distanz gegenüber dem westlichen Kapitalismus und Kolonialismus, läßt diese aber für eine nicht unerhebliche Zeitspanne gegenüber der kommunistischen Macht vermissen. Und wie soll man die zahllosen Rechtsintellektuellen nennen, die ihre Forderungen im Namen dezidiert partikularistischer Ideale gegen den Universalismus der Vernunft formulieren?

Aus der umfassenderen Einheit der Bildungsschichten, der Intelligenz oder wie sonst immer der Oberbegriff lauten mag, läßt sich die Gruppe der Intellektuellen nur dann mit einiger Plausibilität herauslösen, wenn man darunter diejenigen Sinnproduzenten versteht, die die Macht des gesprochenen oder geschriebenen Wortes unter Bedingungen handhaben, die eine gesamtgesellschaftliche Verbindlichkeit eines spezifischen Sinnsystems nicht mehr zulassen. Auf eine derartige Konstellation zielte schon Max Webers Rede vom Polytheismus der Werte in einer Zeit ‚subjektivistischer Kultur‘. Auf sie bezieht sich Arnold Gehlens (in anderer Hinsicht freilich ebenfalls zu weite) Bestimmung des Intellektuellen (Gehlen, GA 7, 246 f.). Und sie ist auch gemeint mit Niklas Luhmanns Feststellung, es fehle der modernen Gesellschaft von ihrer Differenzierungsform her „ein Platz für einen privilegierten Beobachter, der bezeichnen kann, was ist, was gut ist, was wahr ist, was schön ist.“ Beobachtungen und Beschreibungen dieser Art könnten nur in funktionsbezogener Kommunikation formuliert werden, und dies schließe auch „das Beobachten solcher Beobachtungen“ ein (Luhmann 1995b, 30).

Von dieser Grundlage aus kann man die Intellektuellen nicht nur von den Routiniers traditionaler und rationaler Art unterscheiden, sondern auch von den privilegierten Beobachtern vormoderner Sozialordnungen, die in den Rollen von Priestern und Propheten, Philosophen und Mandarinen, orthodoxen und heterodoxen Glaubensstiftern usw. auftraten – Positionen, deren Inhaber allesamt unter den Bedingungen niedriger Kontingenz und Armut an Alternativen operierten und deshalb die Chance hatten, ihre jeweilige Weltauslegung zu totalisieren. Zugleich aber läßt sich in der so gewonnenen Gruppe der Beobachter zweiter Ordnung eine Differenz ausmachen, die für die Verortung des modernen Fundamentalismus wesentlich ist. ‚Intellektuelle‘ sind danach nämlich nicht nur diejenigen, die sich als Beobachter zweiter Ordnung wissen und sich entsprechend den Imperativen funktional differenzierter Systeme verhalten, sondern auch diejenigen, die die gesteigerte Distanzierungsfähigkeit benutzen, um sich auch davon noch zu distanzieren; und die daraus den unzutreffenden Schluß ziehen, es sei möglich, auf diese Weise die Position eines privilegierten Beobachters wiederzugewinnen. Das muß nicht notwendig zur Totalablehnung der Funktionssysteme führen, wie die diversen Ideologien der politischen Linken und Rechten belegen. Aber wenn es dazu führt, haben wir es mit Intellektuellenfundamentalismus zu tun.

Ihrer sozialen Herkunft nach können fundamentalistische Intellektuelle aus verschiedenen Klassen stammen: aus positiv privilegierten Besitzklassen wie dem Adel (Tolstoi) oder dem Besitzbürgertum (Lukács), aus dem Bildungsbürgertum (Georgekreis) oder dem Handwerk (Rousseau). In besonders enger Wahlverwandtschaft aber scheint der moderne Fundamentalismus zu einer sozialen Lage zu stehen, die Weber etwas drastisch und vielleicht auch nicht angemessen als Paria-Intellektualismus bezeichnet. Als dessen besondere Merkmale gelten: die stark ausgeprägte Distanzierungsfähigkeit; und ein nicht minder ausgeprägtes Bedürfnis nach Bindung, nach enracinement, wie der treffende Ausdruck von Maurice Barrès lautet. Die besondere Intensität des Paria-Intellektualismus, schreibt Weber, beruhe darauf, „daß die außerhalb oder am unteren Ende der sozialen Hierarchie stehenden Schichten gewissermaßen auf dem archimedischen Punkt gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen, sowohl was die äußere Ordnung wie was die üblichen Meinungen angeht, stehen. Sie sind daher einer durch jene Konventionen nicht gebundenen originären Stellungnahme zum ‚Sinn‘ des Kosmos und eines starken, durch materielle Rücksicht nicht gehemmten, ethischen und religiösen Pathos fähig“ (Weber 1976, 308). Weber hatte hierbei vor allem das russische Narodničestvo vor Augen, doch kann man den Kreis ohne Mühe weiter ziehen: von der ‚literarischen Politik‘, die Autoren wie Tocqueville und Darnton in der Französischen Revolution ausgemacht haben (Tocqueville 1978, 26 ff., 148; Darnton 1985), über die Romantik mit ihrer Verklammerung von rezessiver und produktiver Ironie – der doppelten Fähigkeit, sich aus allem zurückziehen und sich auf alles entwerfen zu können –, bis hin zu den jüngsten Untersuchungen über den politischen Existenzialismus des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, die diesen als Fortbildung des romantischen Subjektivismus deuten (Großheim 1999). Nicht immer muß es sich dabei um modernen Fundamentalismus handeln. Aber wenn sich der Paria-Intellektualismus mit Zeitablehnung verbindet und soteriologische Ambitionen artikuliert, dann sind alle nötigen Voraussetzungen dafür gegeben.

Das starke Pathos wie auch das intensive Bindungsbedürfnis treffen nun aber, wie gezeigt, weder in der Moral noch in der Kunst, noch in der Erotik auf Instanzen, die geeignet wären, dem Paria-Intellektualismus à la longue das zu geben, was er sucht. Schon Hegel hat darin das Motiv für die notorische Neigung zur Konversion gesehen, die so viele Romantiker in die katholische Kirche getrieben hat. „Verzweiflung am Denken, an Wahrheit, an und für sich seiender Objektivität, und Unfähigkeit, eine Festigkeit, Selbsttätigkeit sich zu geben“, habe die einen dazu gebracht, sich in religiöse Empfindungen zu flüchten, die anderen, sich in positive Religiosität zu werfen, „um etwas Festes zu haben, weil der inneren Subjektivität alles schwankt. Sie will sich mit der ganzen Gewalt des Gemüts an Positives wenden, den Kopf unter das Positive beugen, dem Äußerlichen sich in die Arme werfen, und findet innere Nötigung dazu“ (Hegel, TW 20, 417 f.).

Unter den Bedingungen fortgeschrittener sozialer Disprivilegierung der Religion bieten sich für dieses Bedürfnis nach Wiederverwurzelung nur noch die großen politischen Leitideologien an. So, und wohl nur so, ist es erklärlich, wie aus friedliebenden, die Todesstrafe perhorreszierenden Lesern Rousseaus in kürzester Frist Propagandisten eines revolutionären Terrors und eines Nationalismus werden konnten, wie er in der Welt bis dahin unbekannt war; so, und nur so, ist es begreiflich, wie ein Richard Wagner, dessen politische Ambitionen sich noch im Frühjahr 1848 auf den ‚Entwurf zur Organisation eines deutschen National-Theaters für das Königreich Sachsen‘ beschränkten, ein Jahr später einem bakunistischen Revolutionskonzept das Wort zu reden vermochte; oder wie aus dem Kreis um Stefan George, dessen Politikferne zunächst kaum zu überbieten war, Enthusiasten des Kulturkriegs wie Gundolf und deutschnationale Chauvinisten wie Wolters hervorgehen konnten. Angesichts der Häufigkeit solcher plötzlicher Wendungen und Sprünge, an die sich nicht selten extreme Positionswechsel anschließen, sollte man moralisierende Deutungsraster wie dasjenige vom ‚Verrat der Intellektuellen‘ (Julien Benda) vermeiden und sich statt dessen vor Augen führen, wie sehr dieses Phänomen strukturell bedingt ist. Es ist nicht so sehr der Mangel an Moral als der Mangel der Moral, der die fundamentalistischen Intellektuellen dazu bringt, bei den Großkollektiven Schutz zu suchen.

Bemerkenswert ist, daß es dabei selten bei der bloßen Unterwerfung bleibt. Obwohl die Ideologien dieser Großkollektive – auf der Rechten: der Nationalismus; auf der Linken: der Sozialismus – in ihrer genuinen Gestalt Produkte des modernen Fortschrittsdenkens und deshalb welt- und zeitbejahend sind, kann es, wenn die Umstände dies begünstigen und die Zahl der fundamentalistischen Konvertiten groß genug ist, zu mehr oder minder erfolgreichen Umdeutungen kommen, die das Wesen dieser Richtungen von Grund auf ändern. Im Falle des Nationalismus ist dann ein nationalreligiöser Fundamentalismus zu erwarten, der die Nation bzw. das Volk zu einer Erscheinung des Überzeitlichen im Zeitlichen erhebt und sich zur Aufgabe setzt, diese vorerst nur ‚an sich‘ existierende Größe durch Umkehr und Wiedergeburt zu sich selbst zu bringen und in dieser gereinigten Gestalt gegen die übrigen Nationen zu mobilisieren. Ansätze dazu findet man zeitweise bei Fichte, später bei Wagner, bei Lagarde oder bei Niekisch6. Macht sich der Fundamentalismus im Sozialismus geltend, so ist eine starke Abschwächung der zeitbejahend-progressistischen Grundhaltung und eine Umpolung ins Regressive zu erwarten. Beispiele dafür finden sich im rousseauistischen Kommunismus während der Französischen Revolution, vielleicht auch, was einer eingehenderen Untersuchung bedürfte, im populistischen Agrarsozialismus, dessen führende Vertreter in Rußland die kapitalistische Industrialisierung aufhalten und direkt, gestützt auf die angeblich kommunistische Umteilungsgemeinde, zum Sozialismus übergehen wollten. Moderner Fundamentalismus ist politisch ambivalent. Aber seine Folgen sind immer die gleichen: Regression, Zerstörung, Tod. Daß er dafür Gründe anführen kann, macht seine Lösungen nicht annehmbarer.

Die Texte des vorliegenden Bandes sind als Versuche gedacht, die Tragfähigkeit des hier umrissenen Typus auszuloten. Einige davon wurden zwischen 1997 und 2001 an verschiedenen Orten veröffentlicht: im Berliner Journal für Soziologie (Einleitung), in Sinn und Form (I.1, II.3), der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (II.2), dem von Wolfgang Braungart u.a. herausgegebenen Band Stefan George: Werk und Wirkung seit dem ‚Siebenten Ring‘ (Exkurs) den Recherches Germaniques (III.2), dem Jahrbuch der Klages-Gesellschaft, Hestia (IV) und der Internationalen Zeitschrift für Philosophie (V). Dennoch handelt es sich nicht um einen Sammelband im üblichen Sinne. Die schon publizierten Texte wurden vielfach erheblich erweitert und umgearbeitet, wie es immer da der Fall zu sein pflegt, wo ein Konzept nicht von Anfang an fest steht, vielmehr erst allmählich in der Auseinandersetzung mit bestimmten Erscheinungen Konturen annimmt. Für wichtige Anstöße hierzu bin ich Botho Strauß und Martin Riesebrodt verpflichtet: dem letzteren für seine klärenden Beiträge zur Religionssoziologie des Fundamentalismus, dem ersteren für die Idee, den Begriff auf außerreligiöse Phänomene anzuwenden. Dem Herausgeber der Kulturwissenschaftlichen Studien, Klaus Lichtblau, habe ich für manchen klärenden Hinweis auf begriffliche und sprachliche Inkonsistenzen zu danken.

1Siehe die Beiträge von Schütze, Reichel, Klinger und Dubiel in: GegenModerne 1992.

2Parsons 1980, 212. Parsons hat denn auch nicht gezögert, den Nationalsozialismus als Fundamentalismus zu deuten: vgl. Parsons 1973, 281.

3Dieser regressive Zug charakterisiert natürlich auch den religiösen Fundamentalismus. Auffällig ist jedoch, daß der letztere, ungeachtet seiner grundsätzlich weltablehnenden Haltung, gegenüber der modernen Wissenschaft und Technik keineswegs die gleiche Reserve zeigt wie der moderne Fundamentalismus. Das gilt für den protestantischen Fundamentalismus in den USA, der sich bekanntlich virtuos der avanciertesten Formen der Massenkommunikation bedient, ebenso, wie für den Islamismus, der Wissenschaft und Technologie für neutral und deshalb islamischen Zwecken durchaus adaptierbar hält (vgl. Tibi 1992, 105 u.ö.). Nach den Prämissen der Religionssoziologie Webers ist dies nicht überraschend. Denn der protestantische wie der islamische Fundamentalismus sind beide auf Weltablehnung basierende Religionen der Weltbeherrschung, die den Erlösungsweg der Askese bevorzugen (Peters 1987). Askese aber ist stets ein aktiv ethisches Handeln „mit dem Bewußtsein, daß Gott dies Handeln lenke: daß man Gottes Werkzeug sei“ (Weber 1976, 328). Von da aus liegt es nahe, auch Wissenschaft und Technik als Werkzeuge anzusehen, mit deren Hilfe das gottgewollte Ziel zu erreichen ist. Anders gesagt: beim religiösen Fundamentalismus impliziert Weltablehnung nicht notwendig Zeitablehnung (jedenfalls nicht im totalen Sinne), wie umgekehrt beim modernen Fundamentalismus Zeitablehnung nicht Weltablehnung impliziert.

4Troeltsch 1919, 931. Zu den unterschiedlichen Akzentsetzungen bei Troeltsch und Weber, auch und gerade in typologischer Hinsicht, vgl. Molendijk 1996, 46, 66, 84. Die zeitbejahenden Formen der Mystik hat Troeltsch nicht zuletzt in der von Eugen Diederichs publizierten ‚Verlagsreligion‘ lokalisiert (vgl. 1919, 934).

5Weber 1976, 304. Womit natürlich nicht gesagt ist, daß nicht auch ‚Fachmenschen‘ sinndeutend tätig sein können. Wer eine höhere Bildung genossen hat, ist ein „potentieller Intellektueller“, sagt Schumpeter mit Recht, jedoch nicht ohne hinzuzufügen, daß etwa Ärzte und Advokaten keine Intellektuellen im eigentlichen Sinne seien (1987, 236). Dies ist gegen die Begriffsausweitung bei Robert Michels, Theodor Geiger und noch Arnold Gehlen festzuhalten.

6Ich bin an anderer Stelle darauf ausführlicher eingegangen: vgl. Breuer 1999, 62 ff., 139 ff.

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