Kitabı oku: «Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey», sayfa 2

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Seltsame Geschichten

Alexander Moritz Frey gehörte zu den frühen Wegbereitern der modernen Phantastik, wenn er als deren Vertreter zunächst auch eher untypisch wirkte. Er entstammte einer Tradition, die man Ende des 19. Jahrhunderts meist als »seltsame Geschichten« beschrieb und bis heute nicht richtig in die Literaturgeschichte einordnen konnte. Der Begriff des Phantastischen in der Literatur wird seitdem immer wieder diskutiert. Der französische Schriftsteller Charles Nodier wollte mit seinem Aufsatz »Du fantastique en littérature« schon 1830 den »gewagten Versuch, das Phantastische zu definieren, nicht unternehmen.« Das Spektrum erschien ihm zu groß und so beließ er es beim Versuch, »das Gebiet des Phantastischen einzugrenzen.« Sehr viel weiter ist die Forschung bisher nicht gekommen und moderne Phantasten wie Jorge Luis Borges oder Thomas Pynchon machen es der Literaturwissenschaft noch schwerer. Klar scheint nur, dass sich die phantastische Literatur Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt hat und während des 19. Jahrhundert in voller Blüte stand. Roger Caillois schrieb in seinem oft zitierten Aufsatz »L‘Image fantastique«: »Im Phantastischen offenbart sich das Übernatürliche wie ein Riß in dem universellen Zusammenhang. Das Wunder wird dort zu einer verbotenen Aggression, die bedrohlich wirkt und die Sicherheit einer Welt zerbricht, in der man bis dahin die Gesetze für allgegenwärtig und unverrückbar gehalten hat. Es ist das Unmögliche, das unerwartet in einer Welt auftaucht, aus der das Unmögliche per definitionem verbannt worden ist.« (Zondergeld, Phaicon 1, S. 48) Caillois kommt einer Definition mit seinem »Riß in der Wirklichkeit« näher als viele seiner Kollegen, beschreibt aber trotzdem nur einen Teil der Phantastik. Für das frühe Werk von Alexander Moritz Frey trifft diese Definition trotzdem durchaus zu. Es fehlt in seinem Falle nur noch der Hinweis auf das humoristische Element. Rein A. Zondergeld schrieb über Alexander Moritz Frey: »Seine Position ist eine durchweg eigene: viele seiner Texte bewegen sich in einem Grenzbereich zwischen traditioneller phantastischer Erzählung, Groteske und Satire, und der Begriff des Skurrilen trifft im allgemeinen genau ihren Charakter.« (Lexikon der phantastischen Literatur, S. 97)

Frey war ein glänzender Satiriker und jeder seiner Texte ist von einem feinen Humor durchzogen, den das Gros der deutschen Phantastik-Autoren vermissen ließ. Frey unterschied sich damit von seinen bekannteren Zeitgenossen Paul Scheerbart (1863-1915) oder Gustav Meyrink (1868-1932), die sich ebenfalls von den klassischen Schauergeschichten fortbewegten, die man nur als ablenkende Unterhaltung verstanden wissen wollte. Scheerbart, dessen skurriler »Mondroman« ironisch die Kriegstreiberei der Erdenbewohner entlarvte, gelang dies auf spielerische Art. Gustav Meyrink ging zunächst ähnlich wie Frey satirisch zur Sache, verlor sich aber mit seinen »Magischen Romanen« in mystischen Spinnereien. In seinem mehrfach verfilmten Erfolgsroman »Der Golem« (1915) verband Meyrink die Gegenwart mit der jüdischen Sagenwelt und in »Das grüne Gesicht« (1916) gelang ihm eine bedrückende Schilderung des Amsterdamer Ghettos, die er mit der Legende vom »ewigen Juden« verband. Seine beiden letzten Romane beschäftigten sich allerdings nur noch mit dem Geheimbund der Rosenkreuzler und ließ den engagierten Geist der frühen Werke des »Simplicissimus«-Mitarbeiters vermissen.

1913 erschien Freys erstes Buch im Münchener Delphin-Verlag, eine Sammlung gesammelter Erzählungen aus der »Licht und Schatten« mit dem Titel »Dunkle Gänge. 12 Geschichten aus Nacht und Schatten«. Die Kurzgeschichten in »Dunkle Gänge« standen weitestgehend in der Tradition von Edgar Alan Poe, den Frey schon als Jugendlicher verehrt hatte. Sein eigener Stil war noch nicht ganz ausgeprägt, aber bereits deutlich zu erkennen. Dr. J. A. Beringer schrieb in der »Neuen Badischen Landeszeitung«: »Frey behandelt in seinen Erzählungen Begebnisse ›aus Licht und Schatten‹, Begegnungen im Reiche der vierten Dimension, dort wo Wirklichkeit und Träume sich berühren, wo Realitäten zu Schemen werden, wo der wissenschaftliche Forscher vor den Rätseln von Raum und Zeit, von Zufall und Schicksal, von Geschehnis und Geisterwelten steht. Frey hat mit einer seltenen Feinfühligkeit für den oft dämonisch-geisterhaften, oft geheimnisvoll-angreifenden Charakter seiner Stoffe den Ton getroffen und einige der Geschichten sind geradezu Meisterstücke ruhiger und doch bezwingender und im Banne haltender Erzählungskunst.« (KUD, S. 285) Der expressionistische Schriftsteller Paul Zech (»Villon«) schrieb über »Dunkle Gänge«: »Zu den wenigen jüngeren Schriftstellern, die das Erbe Edgar Poes mit dem richtigen Instinkt aufnahmen und damit wucherten, gehört A. M. Frey. Er stellt sich mit seinem Erstling gleich in die vorderste Reihe der Erzähler dieser exponierten Gattung von Belletristik.« (BLDUPL) Gero von Wilpert nannte Frey einen »weitgehend unterschätzten Erzähler skurriler phantastischer Nachtstücke, Spukgeschichten und Traumgesichter in der Nachfolge E.T. A. Hoffmanns« (von Wilpert, S. 396).

Frey spielte noch mit den Möglichkeiten und Konventionen der Phantastik. Vor allem die lebenden Toten hatten es ihm angetan. Versuchsweise nahm er den Umweg über die klassische Gespenstergeschichte (»Das unbewohnte Haus«), aber meist ging er mit drastischer Direktheit zur Sache. Zwar hielt er sich noch an die unterhaltenden Elemente des phantastischen Genre, aber er fand immer wieder einen Weg um mit den Erwartungen des Lesers zu brechen. In »Die beiden Masken«, einer Hommage an »The Masque of the Red Death« aus der Feder Edgar Alan Poes, versucht eine lebenslustige Frau beim Maskenball einem anderen Gast seine Maske zu entreißen. Die Maske des flüchtenden Unbekannten enthüllt ein schwarzes Loch als Gesicht und die Frau bricht röchelnd zusammen. Ein weiterer Gast erklärt, es handele sich hierbei um eine Parabel: Während die junge Frau ihre Verzweiflung hinter einer gesellschaftlichen Maske des Frohsinns verborgen hatte, repräsentierte der maskierte Unbekannte die falsche Oberflächlichkeit und Hohlheit der Gesellschaft, die sie täglich zu bekämpfen hatte.

Die düstere Ironie von Alexander Moritz Frey kommt in dieser Geschichte voll zum tragen. Auch der Rest der Sammlung seines Schaffens aus der »Licht und Schatten«-Zeit ist von makabrem Pessimismus geprägt. In »Weltuntergang« wird die Welt über Nacht von Dunkelheit eingehüllt. Sonne und Mond scheinen erloschen. Die Geschichte beginnt mit der Beschreibung einer »Riesenstadt«:

»Es war um Mitternacht. Ich schritt durch die Hauptstraßen einer Riesenstadt, durch ihr unaufhörlich schlagendes Herz. Gleich seinem Blutstrom pulste ein Wirrwarr von Menschen und Wagen an mir vorüber, einmal durch helle Lichtkreise wimmelnd, dann in braune Dämmerung verwoben, dann von der schwarzen Leere der Seitengassen aufgeschluckt. Bunte Geräusche, in eine ewig brandende Woge verflossen, quollen aus engen Häuserzeilen empor und verebbten in der Dunkelheit. Weiße Augen rasten die Straßen entlang - glotzten ganz aus der Nähe - schlossen sich plötzlich. Bläuliche Lichter schwebten groß und ruhig über Fahrdämmen, fahlgrüne stachen über Hoteleingängen, gelbe winkten aus Gasthäusern, rote lockten aus der heimlichen Ferne einer Nebenstraße - Lichter, gegen die eine grenzenlose Finsternis von allen Enden ankämpfte, lautlos und hartnäckig, ihrer stillen Überlegenheit sich bewusst - Nacht für Nacht.« (DG, S. 185)

Die Menschen versammeln sich auf einem Berg und gucken mit Fernrohren in den Himmel. Die Dunkelheit lastet auf ihren Schultern und Stunde um Stunde wird die Stimmung auf dem Berg ein wenig düsterer. »Man soll anfragen - drüben in Amerika - wie es mit der Sonne steht« (DG, S. 189), wird beschlossen. Frey beendet die Geschichte ohne wirklich zum Schluss zu kommen. Antworten auf die Frage, warum es überhaupt zum Weltuntergang kam, waren von ihm nicht zu erwarten. »Ein kleiner alter Mann stand neben mir in die Menge gekeilt. Er hatte den Hut verloren, seine spärlichen, weißen Haare bäumten sich wild. Er reckte den Hals, schob die Brille unaufhörlich von der Nase auf die Stirn und wieder zurück und konnte doch keinem seiner Nachbarn bis an die Schulter gucken. Mit einer zittrigen und zerdrückten Stimme, zu der die wilden Haare ein wenig paßten, winselte er wie aus einem Schacht herauf zu mir: ›Wir werden nichts erfahren. Sehen Sie, wir werden nichts erfahren! So geht es immer in solchen Fällen!‹« (DG, S. 189 f.) Die Sonne kam nicht wieder, aber mehr erfuhr man tatsächlich nicht. Die Masse, die sich eben noch wie wild gebärdete, hockte stumpf auf dem Berg ohne sich zu verändern. Wenn Frey sich auch später für wissenschaftliche Katastrophen-Theorien begeisterte, interessierte ihn vor allem die Hoffnungslosigkeit der fiktiven Situation.

Bis 1914 ließ Frey die Welt in zwei weiteren phantastischen Erzählungen (»Der Fremde« & »Der Träumende«) erneut untergehen und verweigerte weiterhin den Entwurf einer Utopie. In »Der Fremde« ließ er den Tod als »Laternenanzünder« auftreten und zeichnete trotz literarischem Schabernack ein traumartiges Bild der Hoffnungslosigkeit. Frey glaubte nicht an eine Gesellschaft mit der Möglichkeit zur Veränderung und machte dies mit »Weltuntergang« bereits in seiner ersten veröffentlichten Erzählung deutlich. Friedemann Berger schrieb in seinem Nachwort zu »Solneman der Unsichtbare«: »Während die positiven oder negativen Utopien der Aufklärer die Vorstellungen einer Veränderbarkeit der Gesellschaft zumindest als moralisch-optimistisches Postulat niemals preisgaben, hat sich für Frey nach hundert Jahren Elend der Aufklärung der Gegensatz als unüberbrückbar festgeschrieben zwischen Bürgergesellschaft und Individuum, in dessen schöpferischer Potenz bereits die Wurzeln zur Utopie liegen und dessen Namenlosigkeit eine Bedingung ist, die individualistisch-utopische Existenz rein führen zu können. Daß eine solche individualistische Existenz ihrerseits eine Utopie darstellt – daran lässt der Bürger-Schriftsteller Frey mit konstanter Ironie keinen Zweifel.« (Berger, in: SDU2, S. 295)

Die ersten Rezensionen seiner Bücher ordneten Frey zwar in die Reihe der phantastisch-mystischen Autoren ein, die sich vor allem der Unterhaltung widmeten, lobten aber stets seine literarischen Qualitäten, die ihn von den meisten seiner Kollegen unterschieden. Alexander Moritz Frey schätzte neben Edgar Alan Poe auch den Franzosen Jules Verne und den Engländer H. G. Wells, aber die Instrumente der Unterhaltung waren für ihn nur Mittel zum Zweck. Eine Existenz als Produzent massentauglicher Geschichten über Geister, Raketen oder verglühende Planeten kam für ihn nicht in Frage. Frey schrieb auch in bitterster Armut niemals eine jener Geschichten, in denen die Menschheit in letzter Sekunde durch den Geistesblitz eines genialen Wissenschaftlers doch noch gerettet wird. Was nicht bedeuten soll, dass Alexander Moritz Frey nicht vorzüglich zu unterhalten wusste. Das Schreiben für die breite Masse, die er verachtete, war ihm einfach fremd. Schon früh hatte er sich auch für andere Künste interessiert, um seinen Horizont zu erweitern und nicht irgendwann als »typischer Vertreter« einer literarischen Mode abgeschrieben zu werden. Frey war mit dieser Haltung weit entfernt von den Werken anderer deutscher Phantastik-Autoren, die sich zu dieser Zeit entweder ausführlich mit Okkultismus beschäftigten oder bereits als Vorläufer der Science Fiction gelten mochten. Friedemann Berger schrieb: »Schon für die zeitgenössische Kritik unterschied sich Freys Phantastik von jener der neuen Phantasten durch ihren existentiellen Ernst.« (Berger, in: SDU2, S. 292)

Rein A. Zondergeld nannte Frey einen »der wichtigsten, heute aber weitestgehend vergessenen Vertreter der großen Blüteperiode der deutschen Phantastik zwischen 1900 und 1930. (...) Sprachlich hebt sein Werk, daß manchmal expressionistische Anklänge erkennen lässt, sich in ihrer eleganten Präzision wohltuend von den häufig schwülstig und klischeegesättigten Arbeiten anderer deutschen Phantasten dieser Zeit, wie Strobl oder Gabelentz ab, während auch seine ideologisch fortschrittliche Handlung, die sich in einer bissigen Kritik am Bürgertum zeigt, ihn zu einer positiven Ausnahme inmitten seiner der Mehrheit nach reaktionären Kollegen macht.« (Zondergeld, Lexikon, S. 97)


Solneman der Unsichtbare - Cover von Ulrich Tarlatt, Gustav Kiepenheuer Verlag (Leipzig und Weimar, 1987)

Der Namenlose

Es wird oft übersehen, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts eine enge Verbindung zwischen Phantastik und Expressionismus gab. Der »Aufbruch ins Unbegrenzte« (Berger, in: SDU2, S. 284) wurde von Malern und Schriftstellern angeführt, die mit phantastischen Elementen hantierten, um die Unterwelten der menschlichen Psyche zu ergründen. Frey gehörte mit seinen Veröffentlichungen in der »Licht & Schatten« schon früh zu dieser Clique von jungen Künstlern und Autoren, aber er suchte eher selten ihre Gesellschaft. Das Auftreten der bürgerlichen Bohème Münchens blieb ihm weiter fremd und auch an den Saufgelagen seiner Kollegen mochte er sich nicht beteiligen. Frey galt als freundlicher Eigenbrötler und trieb sich nur in den literarischen Salons Münchens herum, um Stoff für seine Satiren zu bekommen oder auf Einladung aus eigenen Geschichten zu lesen.

Seit 1908 arbeitete er an seinem Roman »Solneman der Unsichtbare«, der ihn auf einen Schlag einem größeren Publikum bekannt machen sollte. Frey hatte seinen Freund Otto Nückel schon früh nach Illustrationen für das Buch gefragt und dieser pries das Buch an seinem Künstler-Stammtisch so lange bis die Münchener Bohème vor Neugierde zu platzen schien. 1909 lud man den Autoren deshalb zu einer privaten Lesung für fünfzig Interessierte in die Wohnung von Arthur Kutscher (1878-1960) ein. Kutscher, der zu den Begründern der Theaterwissenschaft zählte und u. a. einen großen Einfluss auf Bertolt Brecht ausübte, veranstaltete regelmäßig Lesungen bei sich zu Hause. Frey fühlte sich geschmeichelt und sagte zu. Er kannte Kutscher seit März 1907 und hatte in dessen Wohnung bereits ein paar Gedichte vorgetragen. Auch nach dem Krieg las er öfters im »Kutscher-Kreis«, aber vor allem seine erste Prosa-Lesung blieb Frey im Gedächtnis weil er eine neue Bekanntschaft machen sollte, die für den Rest seines Lebens sehr wichtig sein würde. Unter den Gästen befand sich Thomas Mann, der seit Erscheinen der »Buddenbrooks« (1901) gewissermaßen der größte Superstar war, den die deutsche Literatur zu bieten hatte. Frey ließ sich von seinem prominenten Zuhörer nicht beirren und trug die ersten Kapitel aus »Solneman der Unsichtbare« vor. »Ich hatte, unerfahrener Anfänger, in privatem Zirkel vor fünfzig Leuten die Ehre vorzulesen. Ich machte es kurz«, erinnerte sich der Autor später mit der ihm eigenen Mischung aus Ironie und Bescheidenheit, »weil ich befürchtete: die langweilen sich ja doch nur. Als ich bekannte, aufhören zu wollen, erhob sich Thomas Mann und meinte, er spreche im Namen aller, wenn er mich bitte, fortzufahren. Ich entsinne mich gerade dieses Wortes. Fortfahren - argwöhnte ich - das konnte auch bedeuten: sich aus dem Staube machen. Aber ich blieb und las.« (SDU3, S. 224)

Er war ein Spaßvogel, der Herr Frey und »Solneman« ist ein Buch, was man »an einem stillen Sonntagnachmittag ganz allein auf dem Sofa durchlesen und durchlachen kann«, wie es Kurt Tucholsky 1919 in der »Weltbühne« formulierte: »Es geht alle an, die Spaß an barockem Humor haben. Ich sage absichtlich nicht: grotesk – das ist dieser Humor nicht. (...) Kaum eine Länge ist drin, kaum einmal schöpft man Atem und meint, nun sei es aber genug – Frey erfindet immer noch spaßigere Kapriolen, schlägt noch einen Kobolz und noch einen (...) – dass man aus dem Lachen nicht herauskommt. Ganz reizend ist der zu Unzeiten adhibierte Protokollstil – der Einfluss der Brüder Mann ist angenehm erkennbar: in der satanischen Freude, den Spießer zu verhohnepipeln und in der maßvollen, fast abstrakten Komik der Schilderung.« (Tucholsky, Gesammelte Werke, S. 461) Tucholsky spricht weiter von einem »Ton der aufhorchen macht, und der nicht auf der Mohnwiese E. A. Poes gewachsen ist: ein schneidender, eiskalter Ton.« Mehr Lob konnte Alexander Moritz Frey kaum erwarten.

»Solneman der Unsichtbare« ist ein zeitlos komisches Buch. Ein sonderbarer Mann, von Kopf bis Fuß maskiert, sucht den Bürgermeister einer namenlosen Stadt in Deutschland auf. Solneman sei der Name, lässt der Fremde kurz wissen und unterbreitet das Angebot, für 73 Millionen Mark den örtlichen Park kaufen zu wollen. Geld hat der Fremde in Hülle und Fülle. Die Stadt geht auf den Deal ein und verkauft seine Grünanlagen. Solneman baut eine riesige Mauer um den Stadtpark, die ihn vor neugierigen Blicken schützen soll. Das Rätselraten beginnt. Wer ist der sonderbare Bursche mit der Maske, der sich dort fernab der Welt mit seinem Reichtum niedergelassen hat? Die Stadtbewohner versuchen mit aberwitzigen Methoden, die Mauer zu überwinden, aber stets scheitern sie an Solneman, der auf alles vorbereitet zu sein scheint. Niemand, nicht einmal dem schneidigen Leutnant Eckern-Beckenbruch, gelingt es, auch nur einen Blick in den Park zu erhaschen. Die Bürger der Stadt rätseln in den Wirtshäusern, was sich hinter der Mauer abspielt. Es ist die Rede von genetischen Tierversuchen und Menschenopfern bei Mondschein. Längst ist Solneman der Sündenbock für alles Schlechte. Was auch immer passiert, es hat nur mit dem Kerl hinter seiner Mauer zu tun. Gerüchte kursieren im ganzen Land, und so kommt auch der Kaiser eines Tages vorbei, um dem komischen Fremden vorgestellt zu werden. Aber Solneman hat es nicht nötig, mit dem Kaiser Kaffee zu trinken. Er will nur seine Ruhe. »Um diese Zeit war es, daß die Neugier der Städter, ihre krankhafte Sehnsucht, Solneman, den Belächelten, Bestaunten, Mißachteten, Gefürchteten, von Angesicht zu Angesicht zu sehen, erschreckend wuchs und die Form einer Seuche annahm. Man wollte und wollte den Rätselhaften enträtseln. Ein Gesicht sagt viel, ein Gesicht sagt alles. Die Seele steht darin. Wo ist sein Gesicht? Unerträglich, es nicht zu kennen. Haufen umlagerten die Mauer, nicht nur tagsüber, auch des Nachts. Die Polizei war machtlos.« (SDU2, S. 55) Eines Tages gelingt es aber einem Stoßtrupp von Bürgern tatsächlich, das Paradies hinter der Mauer zu erobern. Der Park scheint unverändert und der große Unbekannte, dessen Namen man auch rückwärts lesen kann, ist verschwunden. Nur seine Maske und ein Brief bleiben zurück. Die Bürger finden dafür aber Leutnant Eckern-Beckenbruch, der nach einem waghalsigen Versuch, die Mauer zu überwinden, verschollen war, nackt in einem Affenkäfig sitzen. Der Bürgermeister verliest den Brief von Solneman, dem man auf Grund von Vorurteilen kurz zuvor noch unentwegt Strafzettel geschickt hatte. Alle machen betretene Gesichter, aber die letzten Sätze des Romans deuten an, dass die Bürger ihre Lektion nicht gelernt haben. »Alle standen verstummt, wussten nicht, ob sie gehen – wohin sie denn gehen sollten. Da fand der Polizeipräsident ein befreiendes Wort, - und während er sprach, setzte man sich mit erlösten Mienen, froh des wichtigen Geschäftes, in Bewegung. Er entschied: ›Augenblicklich ist wohl die Hauptsache, daß Leutnant von Eckern-Beckenbruch seine Uniform wieder bekommt. Besorgen wir das doch gleich und schleunigst, meine Herren!« (SDU, S. 276)

1914 erschien der Roman erstmals als Teilabdruck in der »Neuen Zürcher Zeitung« und kurz danach, ausgestattet mit 12 Holzschnitten von Otto Nückel, im Delphin Verlag in München. Der Abdruck in der renommierten Schweizer Tageszeitung musste bei Ausbruch des Krieges eingestellt werden. Zwei Jahre später wurde »Solneman der Unsichtbare« auch als Feldpostauflage veröffentlicht. 1920 erschien eine zweite Auflage (6.-10. Tausend). Laut Katrin Hoffmann-Walbeck sollte der Roman auch verfilmt werden, wozu es aber nie kam. Im »Literarischen Jahresbericht des Dürerbundes« war über den »Solneman« zu lesen: »Dem ›Golem‹ ebenbürtig, an Stileinheit ihm überlegen, erscheint uns A. M. Freys spöttische, geistreiche Groteske von jenem Hciebel ›Solneman‹, der mit viel Geld einen Stadtpark erwirbt und sich dort einmauert, aber infolge der Neugier und Torheit der guten Stadt schließlich sein Ziel verliert; dies heiter wehmütige Buch gehört zu den wenigen wirklich phantasievollen und echten Grotesken unserer Zeit.« (KUD, S. 285) Eugen Kaltschmidt schrieb in der »Frankfurter Zeitung«: »Ich habe lange kein modernes Buch gelesen, das so leicht und frei wie dieses auf Dichterschwingen über Dichterslande trägt.« (KUD, S. 285) Thomas Mann schrieb über »Solneman der Unsichtbare«: »Ich habe Ihre großartige Schnurre nun als Ganzes gelesen, und finde meinen ersten Eindruck bestätigt: nämlich, dass sie zum Allerbesten gehören, was die phantastische Literatur hervorgebracht hat.« (BLDUPL, A. M. Frey. S. 2)


Solneman der Unsichtbare - Illustration von Otto Nückel, 1909

Mit »Solneman der Unsichtbare« gelang Frey eine Satire auf den Geist des deutschen Kaiserreichs, die bis heute nichts von ihrem Esprit verloren hat. Der Roman spritzt vor komischen Ideen und sparte dabei nicht mit Verweisen auf sein Münchener Umfeld, das Kabarett »Die Elf Scharfrichter« oder den englischen Garten. Der Autor betonte die lokalen Anspielungen ausdrücklich in einem Brief vom 23. Oktober 1952 an den Verleger Karl Desch: »Der Roman spielt in München, und das ist so offenbar, daß ein großer Teil der Leser und der Kritik es ohne weiteres gewußt und es mit Vergnügen und Gelächter konstatiert hat. Schauplatz ist der Englische Garten, das Rathaus, die Oktober-Festwiese, der Viktualienmarkt und die ganze Stadt.« (KHW, S. 150) Neben skurrilen Impressionen wie dem Besuch des deutschen Kaisers in der örtlichen Gemäldefabrik, überzeugt Frey immer wieder mit Anspielungen auf die Verhältnisse und Erscheinungen seiner Gegenwart, die er in ein phantastisches Gewand kleidete. Frey spottet über Fremdenhass, die Verfolgung Andersdenkender, Beamte, Militärs und Dorfbewohner, die nachts mit Fackeln und Mordlust in den Augen einen Berg hoch marschieren. Je undurchsichtiger das Treiben des merkwürdigen Fremden wird, desto eindeutiger entlarvt sich das deutsche Spießertum.

Als Satiriker ist Frey nicht unbedingt an einer differenzierten Betrachtung der realen Verhältnisse interessiert. Seine Helden sind klischeehaft gezeichnet und schon an ihren Namen als Witzfiguren zu erkennen. Die Spießigkeit des Droschkenkutschers unterscheidet sich für Frey dabei nicht groß von der eines Mitglieds der höheren Gesellschaft. Die sozialen Unterschiede innerhalb einer keifenden Menschenmasse waren für ihn nicht von Belang. Katrin Hoffmann-Walbeck schrieb dazu in ihrer Dissertation: »Frey Darstellung des sozialen Gefälles bezieht sich nur auf die unterschiedlichen Konsum-Möglichkeiten. Die Produktionssphäre - die Herstellung des Reichtums - scheint ihn wenig zu interessieren, nur die Verteilung des Reichtums verurteilt er als ungerecht. Das ist - zumal er sowohl die Armen als auch die Reichen als Vereinzelte vorstellt - im wesentlichen moralische und nicht ökonomische Kritik. Sein Hauptargument ist dabei, ganz nach humanistischem Maßstab, daß die ungleiche Verteilung weder den einen noch den anderen zufrieden macht. Ist dieser passiv und schwach aus Not und daraus folgendem fehlenden Selbstbewußtsein, ist es jener aus Übersättigung und fauler Muße. Der Spott, mit dem Frey trotz aller Sentimentalität seine Protagonisten der Armut bedenkt, lässt eine Nähe zum vorwiegend moralisch argumentierenden Anarchismus ahnen, der Gewaltanwendung für nötig erachtet, aber nicht gutheißt, der vor allem auch eher der (persönlichen) Rebellion zuneigt als dem sorgfältig geplanten Umsturz. Weniger in den radikalen Thesen Gustav Landauers, eher im sanften Anarchismus eines Kropotkin (...) verwischen sich die Grenzen zum bürgerlichen Humanismus, wie er von Frey in ziemlich typischer Weise gestaltet wird« (KHW, S. 290).

Die Begegnung mit Thomas Mann blieb für Frey nicht ohne Folgen. Man tauschte nach der »Solneman«-Lesung Höflichkeiten aus und lernte sich gegenseitig schätzen. Der berühmte Schriftsteller wurde für Alexander Moritz Frey schnell zu einem guten Freund, der ihn später auch in bitterster Not nicht im Stich lassen sollte. Mit dessen Bruder Heinrich Mann, den er erst nach dem 1. Weltkrieg kennenlernte, verband Frey eine ebenso enge Freundschaft. Als Autor war er diesem dabei bedeutend näher als dessen Bruder Thomas. Er verkehrte oft in Heinrich Manns Haus in Schwabing, wo man unter Schriftstellern die Fragen der Zeit diskutierte. Frey war aber auch im Hause Thomas Manns ein gern gesehener Gast und fühlte sich der ganzen Familie bis zu seinem Tode eng verbunden. Bei aller Bescheidenheit war Frey stolz auf seine Freundschaft zu Thomas Mann, vor dessen Schaffen er gewaltigen Respekt hatte. Thomas Mann schrieb später über Freys Werk, es »sei eine ›alte Zuneigung‹ im Spiel und charakterisierte seinen Kollegen als »Mann von hintergründiger Gesetzheit, Verständigkeit, Ruhe und Güte, mit dem ich seit Jahrzehnten auf gutem Fuße stehe.« Es handele sich »um gute Dinge von gehaltener Schmerzlichkeit und Komik. Einer gewissen grotesken Überwirklichkeit, ja milden Absurdität entbehrt nichts davon, ist aber alles mit literarischer Höflichkeit und still parodistischer Hergebrachtheit vorgetragen, eine Haltung, die ich schätze. (...) Ich habe das alles sehr gern.« (Mann, Werke, S. 827)

Neben Thomas und Heinrich Mann zählten auch die phantastischen Schriftsteller Willy Seidel (1887-1934) und Rudolf Schneider-Schelde (1890-1956) zu Freys Freundeskreis. Schneider-Schelde (»Der Frauenzüchter, 1928) wurde am 31. Mai 1946 zum Ersten Präsidenten des »Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller« der Nachkriegszeit gewählt und engagierte sich auch aktiv im PEN-Club. Er verfasste mit »Abend« (1920) und »Schatten« (1923) zwei Drehbücher, die von Frey stark beeinflusst waren. Willy Seidel war dagegen einer jener Autoren, die später von der phantastischen Literatur zu den phantastischen, völkischen Mythen der Nazis wechselten. Er verfasste eine Reihe von Erzählungen sowie humoristische Grotesken und Satiren, widmete sich in den Zwanzigerjahren aber fast ausschließlich dem Studium okkulter Schriften. Seidel wandte sich schon früh den Nazis zu und hatte deswegen einen Streit mit Frey, den er in einer Rezension als »Zauberer« bezeichnet hatte. Frey war schwer enttäuscht von Seidels Rechtsruck und brach irgendwann mit ihm.

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264 s. 25 illüstrasyon
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9783862871162
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