Kitabı oku: «2034», sayfa 4
Ich fühle wieder Luft durch meine Atemwege strömen, und das bringt mich auf die Idee, was immer mir zugestoßen ist, könnte allmählich abklingen … aber das ist nur ein schwaches Echozeichen auf dem Radarschirm meiner flüchtigen Gedanken. Vielleicht klingt es ab, aber eine Erholung alleine wird jetzt keine Option für mich sein. Sie müssen mich hören! Meine gesamte Energie ist darauf konzentriert, sie dazu zu bringen, meine zart gehauchten Töne zu vernehmen, und diesmal werden sie mich hören, das könnte ich wetten.
„Gut, dann die Toten Hosen“, sagt sie. „Es sei denn Mr King möchte aus gegebenem Anlass »Mein Herz« von Beatrice Egli hören. You like her?“
Endlich sehe ich das Gesicht meines Protagonisten kurz über mir, sehe seine schräge Brille, sehe, wie er verneinend den Kopf schüttelt („Nein, keine Egli isch kennen“). Ich sehe, wie er seine Brille zurechtrückt, als er wohl die Instrumente in Augenschein nimmt, die links von mir auf einer (dem Klang nach) stählernen Ablage liegen; sehe, wie er wahrscheinlich zur Ärztin schaut, sehe ihren Zeigefinger auf die Gegend deuten, wo mein Herz noch schlägt, was sie und die beiden anderen allerdings nicht wissen.
Jetzt spricht Frau Doktor ihren Helfer an: „Sind Sie einverstanden, wenn ich zu Ehren Ihrer ersten Autopsie und zu Ehren unseres Ehrengastes einen Song der Toten Hosen abspiele?“
„Ist mir eine Ehre!“, ruft er, und alle drei lachen.
Mein Ton beginnt herauszukommen, und diesmal ist er lauter. Nicht so laut, wie ich gehofft habe, aber laut genug. Sie müssen ihn hören, sie müssen! Dann, als ich eben beginne, den Ton wie eine rasch erstarrende Flüssigkeit aus meiner Nase zu pressen, füllt der Raum sich (viel zu laut) mit dem Gitarren-Geklimper und den (für mich) absolut unpassenden Singsangworten: „Ich wart‘ seit Wochen auf diesen Tag …“
„Leiser!“, schreit Frau Dr. Cisco-Möller. Sie schreit komisch übertrieben. Bei diesem ganzen Krach ist mein eigener nasaler Laut, ein verzweifeltes kleines Summen durch die Nase, nicht besser zu hören als ein Flüstern in einer Eisenschmiede.
Jetzt beugt ihr Gesicht sich wieder über mich, und mich erfasst neues Entsetzen, als ich sehe, dass sie eine Schutzbrille aus Plexiglas trägt und ihre Gesichtsmaske über Mund und Nase hochgezogen hat. Sie blickt über ihre Schulter zurück. Gleich wird sie Stephen erklären, wer von ihnen was und warum und wie aufschneidet und wonach sie suchen und was sie zu finden hoffen. Vielleicht erfahre ich in meinen letzten Minuten zumindest von ihr, was mir zugestoßen sein könnte. Eine Vermutung würde mir reichen.
„Ich strippe ihn für Sie“, erklärt sie Klaus, dann beugt sie sich mit einem glitzernden Skalpell in der Hand zu mir her, beugt sich, vom Gitarren- und Gesangsdonner der Toten Hosen begleitet, über mich.
Meine momentan einzige geistige Stärke liegt in der Rekapitulation: Noch immer liege ich starr und steif in einem Autopsie-Raum und rechne damit, dass man mich mit einem zackigen Schnipp-schnapp aufschneidet, um meine angebliche Todesursache zu ermitteln. Zu meiner großen Überraschung tritt Stephen King neben die Aufschnippelmedizinerin und ihr Helferlein (Klausi-Mausi), um sich alles erklären zu lassen, weil er dieses Mal eine authentische Horrorgeschichte schreiben möchte. Er möchte alles möglichst realistisch schildern, wofür ich als Autor durchaus Verständnis aufbringe. Aber nicht als scheintote Nichtleiche, die bloß im Wachkoma liegt und alles (sehr realistisch) mitbekommt. Soll ich ihn jetzt hassen?
Die Pathologin beugt sich über mich, und ich hoffe, dass sie das blanke Entsetzen in meinen Augen erkennen wird. Ich summe verzweifelt, aber das ist zwecklos. Ich kann mich nicht einmal selbst hören.
Das Skalpell schwebt eine kurze Zeit über mir, dann schneidet es.
Ich schreie in meinem Kopf auf, aber ich spüre keinen Schmerz, sondern nur, wie mein Polohemd in zwei Stücken zur Seite gleitet. (Und ich dachte erst, ich sei schon nackt; dabei hatte man mich wahrscheinlich nur aus dem Leichensack befreit.) Mein Hemd fällt auseinander, wie mein Brustkorb es tun wird, wenn Klaus seine erste Brustkorböffnung an einem lebenden Patienten vornimmt.
Ich werde hochgezogen. Mein Kopf fällt nach hinten, und ich sehe einen Augenblick lang Klaus von unten, der sich seine Schutzbrille aus Plexiglas aufsetzt, während er an einem Stahltisch steht und ein erschreckendes Sortiment von Werkzeugen begutachtet. Ich sehe sie nur flüchtig, sehe den erbarmungslosen Satinglanz stählerner Klingen. Dann werde ich wieder flach hingelegt, und mein Hemd ist fort. Jetzt spüre ich meine Haut noch mehr als zuvor.
Ich bin bis zur Taille nackt. In dem Raum ist es kalt. Dann ist wieder Dr. Möllers halbvermummter Kopf über mir.
Sieh dir meine Brust an!, kreische ich sie an. Du musst sehen, wie sie sich hebt und senkt, selbst wenn meine Atmung noch so flach ist! Du bist die gottverdammte Expertin, Herrgott noch mal!
Stattdessen sieht sie durch den Raum und spricht laut, um die Musik der Toten Hosen zu übertönen („In dieser Nacht der Nächte, die uns so viel verspricht, erleben wir das Beste, kein Ende ist in Sicht“, singt diese unsensible Band, und ich stelle mir vor, wie ich diesen grölenden Siegersong in den Höllenfluchten bis in alle Ewigkeit hören werde.)
„Worauf tippen Sie? Boxer oder Jockey?“
Mit einer Mischung aus Wut und Entsetzen erkenne ich, wovon die Rede ist.
„Boxer!“ ruft Klaus zurück.
Von Stephen King höre ich kein Wort, außer vielleicht einem dezenten Räuspern, das zu ihm gehören könnte.
Klaus: „Natürlich! Sehen Sie sich den Kerl bloß an!“
Arschloch!, würde ich am liebsten brüllen. Du denkst wahrscheinlich, dass jeder Ü-Vierziger Boxershorts trägt! Du denkst wahrscheinlich, dass du mit vierzig keinesfalls …
Frau Doktor knöpft meine Bermudashorts auf und zieht den Reißverschluss herunter. Unter anderen Umständen wäre ich wahrscheinlich äußerst glücklich, wenn eine so aparte Frau (ein bisschen streng, ja, aber trotzdem irgendwie hübsch) das täte. Heute jedoch …
„Sie haben verloren, Klaus“, sagt sie. „Jockey-Shorts. Fünf Euro in die Kaffeekasse.“
„Am Zahltag“, sagt er und kommt herüber. Sein Gesicht gesellt sich zu ihrem. Die beiden blicken durch ihre Plexiglasbrillen auf mich herab wie zwei Außerirdische, die einen Entführten begutachten. Ich versuche sie dazu zu bringen, dass sie meine Augen sehen, dass sie sehen, dass ich sie anstarre, aber diese beiden Dummköpfe haben nur Augen für meine Unterhose. Und Stephen King schaut mir auch nicht in die Augen, denn sonst würde ich ihn sehen; wer weiß, wohin er guckt, um seine nächste Story makaber anzureichern.
„Ooooh, und rot!“ sagt Klaus. „Ein Swinger!“
„Ich würd’s eher ein verwaschenes Rosa nennen“, antwortet sie. „Da haben wir uns ja ein besonderes Sonderexemplar für Mr King ausgesucht.“
Ich höre sie lachen, auch das Lachen von Mr King. „Heben Sie ihn für uns hoch, Klaus, er wiegt eine Tonne. Kein Wunder, dass er einen Herzanfall gehabt hat. Lassen Sie sich das eine Lehre sein.“
Ich bin fit!, brülle ich sie an. Und ich wiege keine Tonne! Wahrscheinlich fitter als du, altes Miststück!
Wieder einmal überhören sie mich.
Meine Hüften werden plötzlich von kräftigen Händen hochgerissen. Mein Rückgrat knackt; dieses Geräusch lässt mein Herz erneut jagen.
„Sorry, alter Junge“, sagt Klaus, und ich friere plötzlich noch mehr, als meine Shorts und die rote Unterhose heruntergezogen werden. Ich schäme mich; schäme mich nicht vor Dr. Möller und ihrem Azubi. Ich schäme mich vor Stephen King, der mich und meine ganze schmale Männlichkeit sezierend in Augenschein nimmt, um alle Einzelheiten weltweit in einer seiner Storys zu verwursten.
„Hoch das Bein zum Ersten“, sagt sie und hebt einen Fuß, „und hoch das Bein zum Zweiten“, während sie den anderen Fuß hebt, „runter mit den Mokassins, runter mit den Stinkesocken …“
Sie macht abrupt Halt, und ich schöpfe erneut Hoffnung.
„Hey, Klaus.“
„Yeah?“
„Tragen Leute normalerweise Bermudashorts und Mokassins, wenn sie sich im Mai in ein Impfzentrum begeben?“
„Warum nicht? Es hat draußen 26 Grad.“
„Trotzdem komisch“, sagt sie.
Hinter ihr (aber das ist nur eine Schallquelle, tatsächlich umgibt mich der Krach von allen Seiten) sind die Toten Hosen bei »Steh auf, wenn du am Boden bist« angelangt. Jetzt singen sie: »Nur keine Panik, so schlimm wird es nicht! Mehr als deinen Kopf reißt man dir nicht weg! Komm und sieh nach vorn!« Es ist Frontmann Campino alias Andreas Frege, der da grölt, und ich frage mich, wie irre er tanzen würde, wenn er ungefähr drei Stangen Hi-Core-Dynamit in seinen Hintern gerammt bekäme.
„Wenn Sie mich fragen, hat dieser Kerl sich selbst in Schwierigkeiten gebracht“, fährt die Pathologin fort. „Ich denke, er hätte sich vor der Impfung von einem Kardiologen beraten lassen sollen. Oder wollte er uns mit seinem tollen Herzstillstand erschrecken? Wenn er wüsste, was wir alles zu sehen bekommen …“ Wieder lachen alle drei.
Die Toten Hosen verstummen und ein Radiosender meldet sich mit der Stimme von Frankreichs Präsident Macron zu Wort. Er ist ein Schüler aus Klaus Schwabs Denkfabrik, und er hat es auf Ungeimpfte abgesehen. Mich betrifft es nicht, ich bin ja jetzt geimpft – auch wenn es mir derzeit wenig nützt.
„Ich habe große Lust, die Ungeimpften zu nerven, also werden wir fortfahren, dies bis zum bitteren Ende zu tun“, tönt es aus Macrons Mund – natürlich in Französisch, aber simultan übersetzt von einer deutschen Radiostimme. Er sagt, er wolle die Franzosen grundsätzlich nicht nerven, aber die Gruppe derjenigen, die störrisch seien, verkleinere man so. Hoffentlich unterliege nicht auch ich diesem Reduzierungsprogramm, denke ich. Ich fühle mich in diesem Moment äußerst genervt.
„Ich werde sie nicht ins Gefängnis bringen, ich werde sie nicht zwangsimpfen, aber ich werde sie unendlich nerven!“, fährt der Herr Präsident fort.
Ist das eines demokratischen Präsidenten würdig? Einen Moment lang zerbreche ich mir darüber ernsthaft den Kopf.
Alleine schon seine martialischen Gedanken, er wolle die Leute »natürlich nicht« in den Knast bringen oder zur Zwangsimpfung abführen lassen, sind verräterisch. Es stinkt nach Rache, nach einer schockierend undemokratischen Attitüde. Während sich zu meiner vorhandenen körperlichen Starre noch eine seelische Sonderschockstarre gesellt, führt Macron in aller präsidialen Würde weiter aus, dass in wenigen Tagen Ungeimpfte keinen Zugang mehr zu Restaurants, Kulturstätten und Fernzügen haben sollen.
Im Moment ist mir – mir persönlich – diese Welt aus Konsum und Reisen sehr, sehr fern … Fernzüge hin oder her.
Klaus streckt seine Hände, die in weißen Gummihandschuhen stecken, über meinem Gesicht aus, legt sie aneinander und biegt die Finger zurück. Während seine Knöchel knacken, rieselt Talkumpuder wie Puderzucker auf mich herab.
„Wollen Sie jetzt die Temperaturmessung und Erstuntersuchung übernehmen?“, fragt die Ärztin.
Nein!, brülle ich. NEIN, er ist noch Student, was machst du da?
Klaus betrachtet sie, als sei er auch schon auf diese Idee gekommen. „Das wäre … hm … nicht ganz legal, stimmt’s? Ich meine … Aber für Mr King wäre es auch ein Erlebnis, wenn er über die Glanztaten eines Anfängers berichten könnte, oder?“
Alle drei lachen verhalten.
Ich komme mir plötzlich wie ein Lauscher an der Trennwand vor, der sich Intimitäten anhört.
Während Klaus spricht, sieht sie sich nach Stephen um, begutachtet übertrieben den Raum, und ich beginne, Schmetterlings-Vibrationen in der ärztlichen Frauen-Aura zu spüren, die Schlimmes für mich bedeuten könnten. Ob streng oder nicht, ich glaube, dass Cisco – alias Dr. Brigitte Möller – scharf auf Mr King ist. Jesus, was, wenn sie den Azubi machen lässt und mit Stephen nach Boris-Becker-Manier in irgendeiner Besenkammer verschwindet?
„He“, sagt sie mit heiserem Flüstern wie auf der Bühne, „ich sehe hier niemandem außer uns dreien.“
„Das Tonband …“
„Läuft noch nicht“, sagt sie. „Und sobald es läuft, wird Mr King keine Fragen stellen und schweigen, als wäre er nicht anwesend, right?“
Stephen antwortet mit einem verständnisvollen „Yeah, sure!“
„Und sobald das Tonband läuft“, fährt sie fort, „werde ich die ganze Zeit dicht neben Ihnen sein, Klaus … jedenfalls erfährt niemand etwas anderes. Und das werde ich auch die ganze Zeit sein. Ich will nur diese Dias und Diagramme hier einordnen. Und wenn Sie sich wirklich unbehaglich fühlen …“
Ja!, schreie ich Klaus aus meinem unbeweglichen Gesicht an. Fühl dich unbehaglich! SEHR unbehaglich! ZU unbehaglich!
Dass sie mich aufschnippeln werden, ist schon schwer genug für mich zu ertragen – das werden Sie doch sicherlich verstehen, verehrte Leserschaft! Aber dass man obendrein noch ein Tonbandprotokoll anfertigt, das reißt mich glatt vom Hocker beziehungsweise vom Seziertisch. Diese Stümper merken nicht, dass ich noch lebe. Ihm, Stephen King, kann ich es nicht übel nehmen. Er macht den Scheiß mit, um eine seiner Storys mit glaubwürdigen Tatsachen anzureichern. Doch auf die Ärztin und den doofen Studenten bin ich stinksauer. Wenn ich die Sache überlebe, dann …
Klaus ist höchstens vierundzwanzig, und wahrscheinlich hofft er, dass diese aparte, strenge Frau Pathologin tatsächlich mit Stephen King in irgendeinem abgelegenen Sezierraum verschwindet, damit er freie Bahn hat, mich auseinanderzunehmen. Nach dem Motto: Ja, Mami, ich trau mich ganz alleine an den hier ran!
Ich glaube, er will das ganz allein schaukeln. Ich kann seine Begierde durch die Plexiglasbrille erkennen.
„Sie können gerne bei mir bleiben, wenn Sie wollen … Ich traue mich …“, sagt er – aber er meint das Gegenteil; weder will er, dass sie bei ihm bleibt und sieht, welche Scheiße er anrichtet, noch traut er sich wirklich; er will nur nicht, dass jemand seine Unsicherheit mitbekommt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie die smarte Ärztin einen Blick Richtung Mr King wirft.
„Klar“, sagt sie. „Sie müssen irgendwann ins kalte Wasser springen, Klaus. Und wenn’s wirklich sein muss, spule ich das Tonband zurück.“
Er wirkt verblüfft (und Mr King entfährt im Hintergrund ein „Oh!“)
Klaus: „Das können Sie?“
Sie lächelt. „Im Autopsie-Raum 508 gibt’s viele Geheimnisse, mein Lieber.“
„Das glaube ich gern“, sagt er und erwidert ihr Lächeln, bevor er über mein starres Blickfeld hinausgreift. Als seine Hand zurückkommt, hält sie ein Mikrofon, das an einem schwarzen Kabel von der Decke herabhängt. Das Mikro sieht wie eine Träne aus Stahl aus. Der Anblick macht diesen Horror auf eine bisher nicht existierende Weise real.
Aber sie werden mich nicht wirklich aufschneiden, nicht wahr?
Klaus ist zwar kein Veteran der Pathologie, aber sicherlich hat er doch eine Ausbildung als Mediziner, oder? Er muss fühlen, dass mein Herz noch schlägt – wenn er mich vor dem Aufschneiden nur einmal, ein einziges Mal, anfasst, und dann wird er zumindest meine noch immer warme Haut fühlen und endlich Verdacht schöpfen. Er muss Verdacht schöpfen.
Trotzdem sehe ich noch immer die Schere vor mir – diese große Geflügelschere – mit ihrem erbarmungslosen Satinglanz, und ich frage mich, ob ich noch leben werde, wenn er mein tropfendes Herz aus dem Brustraum hebt und es für einen Moment vor meinem starren Blick hochhält, bevor er sich abwendet, um es in die Waagschale plumpsen zu lassen. Ich könnte in jenem grässlichen Moment noch leben, so scheint es mir; das könnte ich wirklich. Heißt es nicht, das Gehirn könne nach einem Herzstillstand bis zu drei Minuten lang weiterarbeiten?
Opfer der Impfstory?
Wenn es stimmen sollte, dass ich ein Opfer der vermaledeiten Impfstory geworden bin, dann hoffe ich auf eine Aufarbeitung. – immer vorausgesetzt, ich überlebe. Aber welcher Art könnte die Analyse sein? In Form einer wissenschaftlich-historischen Grundsatzarbeit an der Berliner Charité? Langweilig! Oder in Form einer medizinischen Studie, die ich gemeinsam mit renommierten Virologen, Infektiologen und Immunologen ausarbeite und bei Pegasus Bücher veröffentliche? Liest kein Mensch!
Am ehesten fände ich eine juristische Aufarbeitung angebracht. Ein Prozess müsste her. Man müsste den oder die Verantwortlichen für meine gesundheitliche Beeinträchtigung ermitteln und in einem Gerichtsverfahren die Problematik für die heutige Öffentlichkeit und für die Nachwelt schonungslos dokumentieren. Das Thema wäre ganz klassisch: Ein Impfzentrumbetreiber und sein ausführender Arzt verursachen Impfschäden, für die sie nicht aufzukommen bereit sind.
Schließlich haben die juristisch unbewanderten und hilflosen Bürger in ihrer panischen Angst vor dem Virus allem bedingungslos zugestimmt, was man ihnen unmittelbar vor der Impfung vor die Nase hielt. Ja, die Hilfe suchenden Impflinge haben in ihrem gehorsamen Vertrauen im Vorgriff all den handelnden und weisungsgebundenen Personen einen Blankoscheck ausgestellt. Sie haben die Betreiber wie die behandelnden Ärzte, aber auch die staatlichen Stellen, die die Kampagne organisieren und am Laufen halten und die Menschen mehr oder minder zur Impfung zwingen, von der Haftung befreit. Wie ich finde: unter Vortäuschung falscher Tatsachen und unter indirektem Zwang. Das müsste ich beweisen. Keine einfache Sache. Schließlich gilt im Bürgerlichen Gesetzbuch wie im Strafrecht: Unterschrift ist Unterschrift. Einverständnis ist Einverständnis. Aber ist es wirklich so einfach?
Vor Gericht müssten sich die handelnden Personen für ihre Taten verantworten. Im Prozess würde es um sehr konkrete, fallbezogene, aber auch um weitreichende Fragen gehen, darunter auch, wie wir in Zukunft leben wollen. Werden wir uns für die Freiheit oder die Sicherheit entscheiden? Wollen wir, dass die Würde des Menschen trotz einer pandemischen Virengefahr noch gilt? Wie viele Sterbefälle sind akzeptabel und wie verhält es sich mit der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, die uns Sicherheit vorspiegeln, aber keinesfalls Sicherheit gewährleisten?
Gilt noch der Rechtsstaat? Oder erheben sich einflussreiche Menschen zu gottähnlichen Machthabern? Ist es nur ein Kampf um Nuancen oder auch ein Kampf ums Leben? Geht es ums Prinzip – aber um welches, und ist es verfassungskonform? Vielleicht löst ein Prozess all meine bisherigen Fragen: Wem kann man noch trauen? Wer sagt die Wahrheit? Wer streut mir Sand in die Augen? Gibt es Situationen in unserem Leben, in denen es richtig, vernünftig und klug ist, eine bestimmte Anzahl Menschen dem Virus zu überlassen?
Wie viel Schutz ist möglich, wie viel Schutz ist erträglich? Darf der Staat mich gegen meinen Willen schützen? Darf der Staat ein Leben gegen ein anderes Leben aufwiegen?
Irgendwie freue ich mich, auf dem Seziertisch liegend, dass ich solch überaus schwierige Fragen im Angesicht meines Todes noch stellen kann – wenngleich ich sie im Moment nicht zu beantworten vermag. Natürlich kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass ich genau diesen Prozess im Jahr 2025, ein Jahr nach dem offiziell verkündeten Ende jener nichtpandemischen Pandemie führen werde.
Ich denke. Also bin ich. Also lebe ich noch.
„Ich bin so weit, Frau Doktor“, sagt Klaus, dessen Stimme jetzt fast förmlich klingt. Irgendwo läuft ein altmodisches Tonband mit. Die neue Technik hat in der guten alten Pathologie noch keinen Einzug gehalten. Ich weiß nicht warum, aber gerade jetzt erinnere ich mich, dass selbst auf Polizeistationen erst zur Jahrtausendwende – das heißt mit zehnjähriger Verspätung – auf die Computeroffensive der Unterwelt mit der Anschaffung von PC’s reagiert wurde. Jahrelang hinkte man mit Schreibmaschinen den Ganoven (auch denen mit weißem Kragen) hinterher.
Heute wissen wir, warum in der Zeit, als sich die internationale Finanzwelt zur globalen Geheimregierung entwickelte, der Staat von dieser Seite keinen Ansporn erhielt, die Informationstechnologie auszubauen. Meine Gedanken werden abrupt unterbrochen – obwohl ich mir einen Sekundenbruchteil lang die Frage stelle, wie es meinem Gehirn möglich ist, in einer solchen Situation wie der meinen, solch heikle Fragen aufzuwerfen.
„Dann mal los!“, lässt sich Frau Dr. Möller mit Schwung in der Stimme vernehmen.
Die Autopsie beginnt.
„Wenden wir diesen Pfannkuchen mal“, sagt sie fröhlich und mit dieser unbekümmert schwingenden Stimme, und ich werde genauso schwungvoll umgedreht. Mein linker Arm fliegt seitwärts, federt zurück und knallt seitlich ans Stahlgestell, dessen hochstehende Kante sich in meinen Bizeps gräbt. Das tut verdammt weh, der Schmerz ist fast unerträglich, aber er macht mir nichts aus.
Ich hoffe inständig, dass die Metallkante meine Haut aufplatzen lässt, bete darum, zu bluten wie eine Sau, was echte Leichen nicht tun. Dann würden diese pathologischen Analphabeten gewiss merken, dass sie am falschen Objekt arbeiten. Gut, dann müsste Stephen King halt wieder unverrichteter Dinge nach Maine abreisen. Na ja, was heißt »unverrichtet«? Vielleicht würde er sich noch ein Schäferstündchen mit Frau Doktor im Nebenraum gönnen. Vielleicht gibt es dort einen gepolsterten Seziertisch. Aber was kümmert‘s mich! Ich muss trotzdem innerlich lächeln, weil mich diese Phantasie einfach nicht loslassen will.
„Hoppla“, sagt Dr. Möller. Sie hebt meinen Arm wieder hoch und lässt ihn neben meinem Körper auf den Tisch plumpsen.
Jetzt ist‘s meine Nase, die mir die meisten Sorgen macht. Mein spitzer und vorwitziger Riechkolben wird auf dem Tisch plattgedrückt. Erstmals sendet meine Lunge SOS-Rufe aus – ein benommenes Gefühl von Sauerstoffmangel. Mein Mund ist geschlossen, meine Nase plattgedrückt und teilweise blockiert (wie sehr, kann ich nicht beurteilen; ich kann nicht einmal spüren, wie ich atme, nicht wirklich). Was ist, wenn ich so ersticke?
Dann passiert etwas, das mich völlig von meiner Nase ablenkt. Ein riesiger Gegenstand – er fühlt sich wie ein Baseballschläger aus Glas an – wird grob (ohne Butter, wie Mama es stets machte) in mein Rektum gerammt. Ich versuche wieder zu schreien und bringe nur dieses schwache, elende Summen heraus.
„Thermometer drin“, sagt Klaus. „Ich lasse den Timer laufen.“
„Gute Idee“, sagt sie und bewegt sich weg. Lässt ihm etwas mehr Freiraum. Lässt ihn dieses Baby Probe fahren. Lässt ihn mich Probe fahren. Die Musik wird etwas leiser gestellt.
„Der Untersuchte ist ein weißer Mitteleuropäer, Alter im Moment unbekannt“, sagt Klaus, der jetzt ins Mikrofon spricht, für die Nachwelt spricht. „Sein Name ist Stefan Koenig, wohnhaft »Auf dem Rücken 20«, aus Laubach.“
Dr. Möller, aus einiger Entfernung: „Sein Alter müsste im Impfpass stehen. Warum ist der nicht bei ihm?“
„Es sollen noch einige Unterlagen nachgeliefert werden. Ging im Impfzentrum wohl alles ein bisschen schnell und drunter und drüber. Na ja …“, sagt die Stimme von Klausi-Mausi entschuldigend, als hätte er persönlich die Sache verbockt.
„Der Untersuchte stammt aus Mainhattan. Bitte korrigieren Sie: Laubach durch Mainhattan ersetzen.“
„Wie kommen Sie darauf?“, fragt Klaus.
„An seiner Hose war ein Hinweiskärtchen einer Reinigungsfirma aus Mainhattan befestigt.“
„Hmm …“
Eine Pause, dann wieder Klaus, der jetzt leicht nervös zu sein scheint und für das Tonband etwas widerwillig seine Stimme erhebt: „Dr. Möller teilt mir mit, dass der Untersuchte in Wirklichkeit in Mainhattan wohnt, das früher fast Bundeshauptstadt geworden wäre, wenn nicht die Amerikaner ...“
„Schluss mit der Geschichtsstunde, Klaus.“
Lieber Gott, was haben sie mir in den Po gesteckt? Irgendeine Art Thermometer für Kühe und Pferde? Wäre es nur ein wenig länger, könnte ich die Kugel am vorderen Ende ablecken, glaube ich. Und sie haben mit dem Gleitgel arg gespart … Aber wozu auch Gel verplempern? Ich bin schließlich tot.
TOT.
„Sorry, Doktor“, sagt Klaus. Er fummelt in Gedanken nach der Stelle, wo er stehen geblieben ist, und findet sie endlich wieder. „Die folgenden Angaben werden vom Vordruck der Sanitäter übernommen. Sie stammen von einem in Laubach ausgestellten abgelaufenen Rezept für Herzmedikamente. Der Tod wurde festgestellt von, äh, Dr. Schlauer. Der Untersuchte wurde am Auffindungsort im Roller-Impfzentrum für tot erklärt.“
Ich versuche tief einzuatmen, um mich für die Todesursache zu rüsten, aber ich kann es einfach nicht. Mein Atem scheint so schrecklich flach zu sein, dass er sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, auch nicht, wenn er erfährt, warum er so flach ausfällt.
„Als Todesursache kommt eindeutig Herzschlag in Frage“, sagt Klaus. Eine Hand gleitet leicht über meinen nackten Rücken bis zu meiner Arschspalte hinunter. Ich bete, dass er das Thermometer herausziehen wird, aber das tut er nicht.
Stattdessen sagt er: „Rückgrat scheint intakt zu sein, keine anziehenden Phänomene.“
Anziehende was? Phänomene? Scheiße, für was halten Sie mich eigentlich, für eine Insektenfalle?
Kurze Unterbrechung
Sie, verehrte Leserinnen und Leser, werden gewiss verstehen, dass ich an diesem Punkt eine Verschnaufpause benötige. Ich berichte Ihnen zwar aus dem Jahr 2034 und das geschilderte Ereignis hat sich bereits vor zwölf Jahren abgespielt, aber es nimmt mich noch heute mit, wenn ich nur im Entferntesten daran denke.
Eigentlich sollten mich die derzeitigen totalitären Zustände voll in Beschlag nehmen. Wenn ich an mein Hier und Heute denke, könnte ich vor Verzweiflung am laufenden Band schreien … und schreien … und schreien. Aber ich reiße mich am Riemen. Es ist wichtig, dass die, die sich noch erinnern und die noch schreiben können, ihre Erinnerungen in irgendeiner sicheren Form verewigen. Die vergangenen Jahrzehnte, ja, die gesamte Vergangenheit darf nicht ausgelöscht werden.
Es bedarf einer zuverlässigen Form der Dokumentation und Archivierung, damit meine Aufzeichnungen nicht entdeckt und für immer vernichtet werden. Zudem würde man auch mich eliminieren – ein Staatsfeind weniger kann den Herrschenden von heute nur gelegen kommen. Menschenleben zählen nicht mehr. Kurioserweise begann der autoritäre Staat aber schleichend, mehr oder weniger geplant, aber genau mit dieser heuchlerischen Prämisse, man wolle Leben retten – das war damals zwischen 2020 und 2024.
Die Zeiten erscheinen mir wirr und verrückt. Und die Menschen von heute, im Jahr 2034, scheinen mir abgestumpft und in ihrem innersten Wesen zutiefst demokratiefeindlich zu sein – als hätten sie sich schon immer nach einer Wohlfühldiktatur gesehnt. Sie wollen geführt werden. Ohne zu brüllen, brüllen sie nach einem Führer, der heutzutage modernerweise auch eine Führerin sein kann. Natürlich gibt es dem Anschein nach noch unterschiedliche Systeme, weltweit wie auch in deutschen Landen. Sie haben richtig gelesen. Auch in »deutschen Landen«!
Es stimmt, zwei scheinbar unterschiedliche Systeme haben sich in Deutschland herausgebildet. Vor einem Jahr, am 31. Januar 2033, rief Alice Weidel in Berlin vom Balkon des neu restaurierten Stadtschlosses das Fünfte Reich aus – ich erwähnte es bereits. Mein Urteil stand von Beginn an fest: Sie ist eine ungeschminkte Heuchlerin mit all ihren unerfüllbaren Versprechen und miserablen Lügen. Das Fünfte Reich umfasst das ganze einst so widerspenstige Ostdeutschland, und es umfasst die Nordlichter und Westländer und reicht bis zur nördlichen Grenze von Hessen
Die Hessen, die Rheinland-Pfälzer und alle, die südlich davon angesiedelt sind, hat sich der ehemalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach unter den Nagel gerissen. Er ist inzwischen der allmächtige Chef der Soziodemographischen Gesundheitspartei Deutschlands, SGD. Die SPD ist untergegangen. Kalle hat es bauernschlau angefangen und seinem gesunden, neuen Deutschland einen republikanischen Anstrich gegeben. Vom Balkon des Frankfurter Römers rief er fünf Tage nach Weidels Berliner Reich die Fünfte Republik aus. Dieses Mal ganz ohne stotterndes Äh und Ähm. Dass solche Witzfiguren einmal Geschichte schreiben würden, war damals, als ich noch auf dem Seziertisch lag, völlig undenkbar.
Ich werde darauf später zurückkommen. Was Sie aber bereits jetzt wissen sollten: De facto machte es keinen Unterschied wo man lebte – beide Systeme waren aus ein und demselben deutschen Eichenholz geschnitzt … hart, unerbittlich, verlogen, ohne Empathie, denunziationsfördernd, herrschsüchtig, Unterwerfung fordernd, Untertänigkeit einfordernd, den Irrsinn als Allgemeinsinn verkaufend – aber immer Weltoffenheit und Toleranz heuchelnd.
Lange habe ich mich gefragt, was damals wohl Ausgangspunkt all dieser wesentlichen Veränderungen gewesen war. Was war die Ursache all dessen? Und was war Wirkung gewesen? Gab es denn überhaupt einen nachweisbaren, einen offensichtlichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang? Alles schien so kompliziert geworden zu sein, so undurchschaubar, so unerklärlich, so hoffnungslos komplex. Und wann hatte das alles begonnen? War die einmal ausgemachte Ursache wirklich die ursprüngliche Quelle, woraus sich die Wirkung wie ein Bach ergoss und im weiteren Verlauf zur Quelle weiterer Ursachen wurde? Immer wieder landete ich während meiner Grübeleien bei jener Zusammenkunft in Genf im Jahr 2009.
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