Kitabı oku: «Machtästhetik in Molières Ballettkomödien», sayfa 8
3 Agonale Strukturen in den Ballettkomödien
Das sich aus der Dramen- und Sujetstruktur konstituierende Strukturmodell versucht, die diversen Sujetschichten des Dodekamerons aufzuzeigen und so die Wesensart des Phänomens Komik im soziokulturellen Verständnis der Klassik in einer textnahen Lektüre darzulegen. Zudem soll der Rezeption der komischen Agonik im Zuschauerlachen nachgegangen werden, indem die komischen Divergenzen im Zerrspiegel der Fiktion auf ihr lebenswirkliches Substrat in einem funktionshistorischen Ausblick analysiert werden.
3.1 Die moralische Weltanschauung der wahren Helden
3.1.1 Le Bourgeois gentilhomme
In Le Bourgeois gentilhomme konstituiert sich die fixe Idee aus dem von Monsieur Jourdain absolut gesetzten Wunsch, ein gentilhomme zu werden.1 Im Zuge dieser Bemühungen widerstrebt es dem Bourgeois, einen Schwiegersohn aus unadeligen Kreisen zu akzeptieren, sodass er den Anwärter Cléonte trotz seiner hervorragenden menschlichen Qualitäten, die auf die exzellente Erfüllung des Wertekatalogs der honnêteté zurückzuführen sind, zurückweist:
MONSIEUR JOURDAIN: Avant que de vous rendre réponse, Monsieur, je vous prie de me dire si vous êtes Gentilhomme.
CLÉONTE: Monsieur, la plupart des Gens sur cette question n’hésitent pas beaucoup. On tranche le mot aisément. Ce nom ne fait aucun scrupule à prendre, et l’usage aujourd’hui semble en autoriser le vol. Pour moi, je vous l’avoue, j’ai les sentiments sur cette manière un peu plus délicats. Je trouve que toute imposture est indigne d’un honnête Homme, et qu’il y a de la lâcheté à déguiser ce que le Ciel nous a fait naître; à se parer aux yeux du monde d’un Titre dérobé; à se vouloir donner pour ce qu’on n’est pas. Je suis né de Parents, sans doute, qui ont tenu des Charges honorables. Je me suis acquis dans les Armes l’honneur de six ans de services, et je me trouve assez de bien pour tenir dans le Monde un rang assez passable: mais avec tout cela je ne veux point me donner un nom où d’autres en ma place croiraient pouvoir prétendre; et je vous dirai franchement que je ne suis point Gentilhomme.
MONSIEUR JOURDAIN: Touchez là, Monsieur. Ma Fille n’est pas pour vous.
CLÉONTE: Comment?
MONSIEUR JOURDAIN: Vous n’êtes point Gentilhomme, vous n’aurez pas ma fille. (BG, 308)
Mit seinen lapidaren und ungeschliffenen Erwiderungen degradiert sich Monsieur Jourdain selbst, was sich in der quantitativen Asymmetrie des Dialoges manifestiert; er zeigt mit diesem Verhalten, dass er höflichen Umgangsformen und kultivierter Konversationskunst entsagt und mittels seiner Unbeholfenheit weit vom Adelstand entfernt ist. Mit Ironie invertiert er den sonst zur Besiegelung einer Übereinkunft zweier Parteien gebräuchlichen Ausdruck „Touchez là“ und macht in unflätiger Art und Weise seine Aversion gegenüber Cléontes Ersuchen deutlich. Im Gegensatz zu Monsieur Jourdains Schroffheit beeindruckt Cléonte sowohl inhaltlich als auch formal mit seinem Diskurs, der ihn zum honnête homme stilisiert: Er ist ein homme qui se connaît, der sehr wohl zwischen Herkunft – „ce que le Ciel nous a fait naître“ – und sozialer Stellung – „un rang assez passable“ – differenzieren kann und der klassischen Ständesicherung im Sinne einer hierarchischen Subjetdisziplinierung nachkommt. Er bezieht sein Selbstbewusstsein aus der Zugehörigkeit zum überständisch anerkannten Persönlichkeitsideal der honnêteté und akzeptiert seinen gesellschaftlichen Stand. Der junge Mann zeigt, dass man auch ohne blaublütige Herkunft eine gewisse Ehrenhaftigkeit und soziale Stellung erwerben kann, wenn man willens ist, auf seine innere und äußere Kultiviertheit zu achten;2 er aktualisiert damit die lebensweltliche Kommunikationsebene. Das Bekenntnis Cléontes, kein gentilhomme zu sein, gibt Aufschluss über das Verständnis seiner selbst empfundenen Wertigkeit, die im Einklang mit der kollektiven bienséance und damit auch mit der raison steht.
Neben dem inhaltlichen Gehalt seiner Aussage überzeugt der junge Mann auch auf rhetorischer Ebene, die ebenso zur Beherrschung der sozialen Schicklichkeit gehört: Cléonte beweist das Vermögen, sich in dieser unangenehmen Situation angemessen und räsoniert auszudrücken. Er demonstriert seinen art de conversation, da er Form und Respekt vor seinem Kontrahenten wahrt, zugleich aber geradsinnig Stellung gegen jede Art von Hochstapelei und Unaufrichtigkeit bezieht. Er greift seinen Schwiegervater in spe mit unpersönlichen Formulierungen wie „la plupart des Gens“ gekonnt an, weil jener diesen schändlichen „usage“ verkörpert. Seine Antwort ist eine zeitgemäße Definition der honnêteté und verkörpert die Ideale der jungen Generation, die mit den altmodischen Ansichten Monsieur Jourdains kollidieren und schließlich dazu führen, dass sich der Räsoneur im Laufe der Handlung dem unvernünftigen Handeln der übrigen Figuren anschließt und mit einer List Lucile heiratet.
Diese Szene erlaubt eine metapoetische Lesart, die programmatisch für alle Ballettkomödien Gültigkeit beansprucht, denn sie verdeutlicht grundsätzliche Rückschlüsse auf die Opposition von raison und déraison, die den komischen Agon bestimmt: „L’univers de [la] comédie a pour norme l’art de plaire. Tous les personnages se définissent en fonction de cette norme […].“3 In diesem Sinne definiert sich Cléonte als gesellschaftskonform und der pater familias stellt die negative Abweichung vom gesellschaftlichen Lot dar, denn er verstößt gegen den herrschenden Wertekanon seiner Zeit.4 Das komische Moment entspringt dem abstrakten Kontrast zwischen einem unangepassten Außenseiter und einem angepassten Mustermann. Diese sozialen Gegenpole erfahren durch ihre Eingliederung in das enge soziale Gefüge, die Familie, eine Konkretisierung: Die Situation wird bedrohlich, denn Cléonte mag zwar gesellschaftliche Anerkennung für seine Person erlangen, doch interessiert das den autoritären Vater wenig. Da sich Lucile den Forderungen ihres Vaters unterwerfen muss, wie es im 17. Jahrhundert den gängigen Sitten entspricht, entsteht eine beunruhigende Situation für das verliebte Paar. Molière entschärft diesen Konflikt schon etwas während der Diskussion, indem er die Tiefenstruktur des Sujets seines komischen Helden in dessen Agieren aktualisiert, das simultan den tatsächlichen Konflikt unterlegt. Somit ist das eigentlich Komische an dieser Szene, dass Monsieur Jourdain glaubt, in der Abweisung eines nichtadeligen Schwiegersohns seinem Traum vom Edelmann näherzukommen – hält er sich doch die Option einer besseren Partie für seine Tochter weiterhin offen. Er stellt in dieser Aktion aber seinen plumpen, großbürgerlichen Charakter zur Schau und entfernt sich unwissentlich von seinem Ziel; er handelt gegen sich selbst, ohne sich dessen bewusst zu werden. Das jeweils in der Proto- und der Hauptsujetschicht inhärente Spannungsverhältnis potenziert sich in dieser Szene zu einem Spannungsverhältnis zwischen den beiden Sujetschichten, welche im komischen Agon kulminieren, da dieser die innere Zerrissenheit Monsieur Jourdains wie auch seine soziopathische Ader erkennen lässt. Die idée fixe des komischen Helden offenbart sich im Konflikt mit dem Liebespaar, wobei der Heiratskonflikt lediglich eine Spielart der déraison des Familienvaters abbildet und sich in seine Adelsstreberei integrieren lässt.
3.1.2 Les Fâcheux
Die für Molières Ballettkomödien repräsentative Zentriertheit auf eine einzige komische Figur fehlt in Les Fâcheux. Hier sind es verschiedene Typenfiguren, die Molière lebensecht auf der Bühne vorbeiziehen lässt: ein Theaterstörenfried, ein untalentierter Komponist, ein duellwütiger Vicomte, Mailspieler, ein verzweifelter Kartenspieler, streitende Preziöse, ein Jäger1, ein Pedant und ein merkantilistischer Projektemacher. Alle haben eine Sache gemein, sie sind, wie der Titel programmatisch antizipiert, Störenfriede des höfischen Lebens, der societas:
Fâcheux en effet est celui qui, faute d’en percevoir les règles, perturbe le jeu mondain, se rendant importun par des interventions intempestives comme par des propos déplacés en contradiction avec l’esprit galant.2
Sie deklassieren sich durch ihr eigenes Fehlverhalten zu gesellschaftlichen Außenseitern. Durch ihre Aufdringlichkeit erscheinen sie dominant, denn sie entziehen ihren Mitmenschen mit ihren lästigen Selbstinszenierungen die gesellschaftliche Daseinsberechtigung. Sie versuchen ihre soziale Funktionslosigkeit durch ihre nichtigen Aktionen zu kompensieren, indem sie sich selbst eine Funktion innerhalb ihrer gesellschaftlichen Destinationsleere zuschreiben.
Das Komödiensujet besteht darin, dass der Marquis Éraste auf dem Weg zu seiner Geliebten von dieser oben erwähnten Vielzahl an Störenfrieden aufgehalten wird. Sie stellen Hindernisse für den Geliebten dar, denen er gekonnt wie honnête trotzt. Mit ihren Interventionen lähmen die fâcheux die dramatische Handlung und betonen die theatralischen Aspekte des Spiels. Am Ende der Komödie trifft Éraste gewissermaßen auf den großen Endgegner, den Vormund von Orphise, der sich gegen eine Heirat ausspricht und den für die Handlung eigentlichen obstacle für das junge Paar ausmacht.
Der Held triumphiert über alle Störenfriede, indem er sich an den Wertekanon von la cour et la ville hält und sich geschickt gegen alle Widrigkeiten zur Wehr setzt. So lässt sich Éraste beispielsweise von dem duellierfreudigen Alcandre keineswegs zu einem Duell überreden, um dessen verletzte Ehre wiederherzustellen, sondern antwortet im Sinne seiner honnêteté und Königstreue:
Je ne veux point ici faire le Capitan;
Mais on m’a vu soldat, avant que Courtisan.
J’ai servi quatorze ans, et je crois être en passe,
De pouvoir d’un tel pas me tirer avec grâce,
Et de ne craindre point, qu’à quelque lâcheté
Le refus de mon bras me puisse être imputé.
Un duel met les gens en mauvaise posture,
Et notre Roi n’est pas un Monarque en peinture.
Il sait faire obéir les plus grands de l’État,
Et je trouve qu’il fait en digne Potentat.
Quand il faut le servir, j’ai du cœur, pour le faire:
Mais je ne m’en sens point, quand il faut lui déplaire.
Je me fais de son ordre une suprême Loi.
Pour lui désobéir, cherche un autre que moi.
Je te parle, Vicomte, avec franchise entière,
Et suis ton serviteur en toute autre matière […]. (LF, 165)
Éraste gilt als Musterbeispiel der domestizierten noblesse d’épée. Während er in der Zeit vor Ludwig XIV. noch ein ehrenvoller Militarist war, wendet er sich nun dem Hofleben zu und zeigt sich als angepasster Höfling, der sich seiner Rollenhaftigkeit bewusst ist und sich der königlichen Ordnung unterstellt. Éraste kontert als Räsoneur im Sinne der bienséance dem zum Gesetzesbruch willigen Alcandre, der seine Ehre über den königlichen Gehorsam stellt. Die Belehrung „un duel met les gens en mauvaise posture“ zeigt einen konkreten Bezug zum zeitgenössischen Kontext auf, womit eine lebensweltliche Perspektive exponiert wird: Seit 1651 war das Duellieren in Frankreich verboten und wurde äußerst streng mit dem Tod und der Konfiszierung von Hab und Gut bestraft.3 Es handelt sich folglich um eine ernste Angelegenheit, die zwischen den beiden Männern verbal ausgefochten wird. Während es Éraste gelingt, sich dem Verhofungsprozess der Gesellschaft zu fügen, scheitert Alcandre an der honnêteté und bleibt mit seinem verletzten Ehrgefühl sowie seinem feudalen Weltverständnis allein zurück. Die neuen Zivilisationsregeln am Hof von Ludwig XIV. sind kontrollierte, ästhetische und geistreiche Umgangsformen, welche die rüden Rittergepflogenheiten strikt ausschließen. Vor diesem kulturellen Hintergrund erscheint das komische Moment des Schlagabtausches einsichtig: Alcandre scheitert nämlich in doppelter Hinsicht; zum einen daran, dass Éraste nicht auf seinen Vorschlag eingeht und zum anderen hypothetisch daran, dass selbst wenn er Unterstützung in seinem Unterfangen bekommen hätte – er seine Ehre nicht hätte retten können, sondern sein Betragen unehrenhaft mit dem Tode durch die königliche Hand hätte bezahlen müssen. Der Duellwütige handelt in diesem Sinne wie Monsieur Jourdain, denn auch er erkennt nicht, dass er gegen die Gesellschaft und als Teil der Gesellschaft auch gegen sich selbst agiert und scheitern wird; sein unschickliches Betragen fördert die Tiefenstruktur des Sujets zutage. Betrachtet man diesen Textauszug als repräsentatives Beispiel für die ganze Ballettkomödie, kann der komische Agon in Les Fâcheux folgendergestalt festgesetzt werden: Er entsteht, wenn ein Vertreter der raison auf verschiedene Vertreter der déraison trifft und mit ihnen moralisch kontrastiert, sodass sich der komische Agon aus diesen ständig sich erneuernden Konfliktsituationen gestaltet. Dadurch, dass sich Éraste von ihnen aufhalten lässt und sich über sie erregt – folglich auf ihr Spiel eingeht –, handelt er ebenfalls unvernünftig; daher etabliert sich hier ein textinterner Agon zwischen ruse und bêtise. Diese Zusatzbemerkung ist wichtig, zeigt sie doch, dass sich der komische Agon von einem farcesken Agon nährt und ernsthafte Situationen, wie die Duellierszene, im farcesken Schabernack oder sprachlichen Eskapaden Zerstreuung finden: „Adieu. Cinquante fois au Diable les Fâcheux […].“ (LF, 166)
Neben diesen kleinen Querulanten, die Éraste zwar verärgern, ihn aber nicht existenziell bedrohen, steht Damis, der Lästigste von allen, der sich ohne Nennung von Gründen gegen die Heirat stellt: Er hat in seiner Funktion als Tutor Macht über Orphise und deren Schicksal, die er willkürlich auslebt. Man kann aufgrund dieser egoistischen Beliebigkeit wiederum von der gleichen Handlungsmotivation gegen die Sittlichkeit wie bei Monsieur Jourdain sprechen und ihn in die Reihe der Unvernünftigen stellen. Mit Mut und Tatkraft ändert Éraste aber die Meinung von Orphises Tutor, indem er ihn von Angreifern befreit und ihm das Leben rettet. Durch diese schicksalhafte Fügung findet keine direkte Konfrontation mit der Autoritätsfigur auf der Ebene der Hauptsujetschicht statt. Da der Konflikt anderweitig ausgetragen wird, ist der Angriff auf Damis auch nicht komisch.
Auf den ersten Blick erscheint die ritterliche Tugend des Marquis nicht mit der honnêteté zu vereinbaren, erinnert sie doch eher an den corneilleschen Helden, der sein Glück in heroischer Ruhmsucht findet. Da seine Handlungsmotivation jedoch aus dem Ehrgefühl resultiert, den königlichen Gesetzen zu dienen, erscheint die altfeudale Verhaltensweise in diesem Lichte betrachtet legitimiert: Durch sein Eingreifen ist allen geholfen und das soziale Leben nicht mehr gefährdet. Es ist ihm geglückt, das Hindernis aus dem Weg zu räumen, denn fortan steht der Liebesheirat nichts mehr im Weg. Sein moralisches Unterfangen hat ihn über den komischen Lästigen triumphieren lassen und ihn zum wahren Helden gemacht, sodass in Les Fâcheux von einem Metaereignis zu sprechen ist. Aufgrund der fehlenden Begründung für die von Damis gezogene semantische Grenze – das Verbot der Heirat – bleibt ein lebensweltlich legitimierter Maßstab innerhalb der Fiktion aus, infolgedessen ist die Tragweite des Metaereignisses als limitiert zu deuten.
Alcandre und Damis – stellvertretend für die anderen Typen der Lästigen – verkörpern keine Charakterfiguren wie Monsieur Jourdain. Man kann bezüglich der nur kurz auftretenden Typen in Les Fâcheux nur schwerlich von einer im Einzelnen tiefenpsychologisch angelegten idée fixe sprechen; es handelt sich dabei eher um eine idée fixe spontanée, die frei von jeder repetitiven Persistenz ist und nur einmalig auf der Bühne zur Geltung gelangt. Dieser Figurentyp steht den Charakterfiguren in puncto Komikwirkung in nichts nach, denn beide Figurenkonstrukte handeln in den dargestellten Szenen nach der déraison. Alle Typen in Les Fâcheux lassen sich auf einen Nenner bringen, der übergeordnet die jeweils unterschiedlichen idées fixes spontanées in einer Paradigmatisierung zu einer idée fixe subsumiert: Die Störenfriede handeln gegen den höfischen Ethos und machen sich sowohl binnenfiktional als auch außerhalb der Fiktion vor dem zeitgenössischen Publikum lächerlich. Der Archetyp der fixen Idee spiegelt sich als eine abstrakt gedachte Charakterfigur in seinen unterschiedlichsten Vertretern und deren jeweiligen spontanen Ideen wider, im Verständnis eines Prototyps der verrückten Ideen. Ferner lässt die Paradigmatisierung der idées fixes spontanées die fragmentarische Struktur des ballet de cour noch deutlich erkennen. Die in dieser ersten Ballettkomödie angelegten komischen Typen sind programmatisch für Molières gesamtes Dodekameron zu deuten, denn die Handlungsmotivation der Figuren, gegen die bienséance zu agieren, findet sich in allen idées fixes der komischen Helden wieder. Oder wie Anne-Marie Desfougères meint: „[L]e thème du fâcheux illustre brillamment l’admirable cohérence de la création moliéresque.“4
3.1.3 Les Amants magnifiques
Der Schauplatz von Les Amants magnifiques ist das Tal Tempe in Thessalien. Einen Zugang zur exotisch Handlungswelt verschafft Molière dem lebensweltlichen Frankreich, indem er die Interaktion der Figuren dem gültigen Wertekanon des siècle classique anpasst und dementsprechend einen antiken Schauplatz mit französischem Moralkodex kreiert. In der entrückten Handlungswelt lässt sich die Opposition von raison und déraison ausfindig machen und auf den zeitgenössischen Lebenskontext des Publikums beziehen. Diesen Verfremdungseffekt findet man auch in den Ballettkomödien La Princesse d’Élide und La Pastorale comique wieder, in denen das griechische Arkadien als Handlungsort zu erkennen ist. Im Zuge dieser Verfremdung findet ein Entidealisierungsprozess der bukolischen Idylle statt, der in den agonalen Strukturen dieser Ballettkomödien evident wird.
In Les Amants magnifiques muss sich der ehrenwerte Feldherr Sostrate, nichtaristokratischer Herkunft, mit seinem sittlichen Betragen gegen die aristokratischen Freier Iphicrate und Timoclès behaupten, die um die Gunst Ériphiles in unlauterem Wettbewerb buhlen. Schon zu Beginn der Handlung, unmittelbar vor Sostrates eigentlicher Heldentat, erkennt die Fürstin Aristione in ihm den verdienstvollen Menschen, der ganz im Zeichen der molièreschen Ethik steht und in der Komödie die Rolle des Räsoneurs zugeschrieben bekommt: „ARISTIONE: Votre mérite, Sostrate, n’est point borné aux seuls emplois de la guerre, vous avez de l’esprit, de la conduite, de l’adresse, et ma Fille fait cas de vous.“ (AMs, 959)
Abgesehen vom militärischen Verdienst und seiner gloire, der Haupttugend des corneilleschen Helden, überzeugt Sostrate vielmehr mit der Trias Intellekt „esprit“, Moral „conduite“ und Soziabilität „adresse“, die ihn zum Garanten sozialen Wohlwollens erhebt. Des Weiteren ist er sich seines sozialen Standes bewusst und kann seine Aufstiegspotenziale wie Cléonte in Le Bourgeois gentilhomme realistisch einschätzen:
SOSTRATE: Ne cherchez point, de grâce, à me rendre odieux aux personnes qui vous écoutent; je sais me connaître, Seigneur, et les malheureux comme moi n’ignorent pas jusques où leur fortune leur permet d’aspirer. (AMs, 979)
Während die selbstverliebten Freier mit gefälligen Divertissements nach Ériphiles Liebe trachten, entzieht sich Sostrate demutsvoll dem Werbespiel, da gegenseitig erwiderte passion und tugendhafter mérite in dem bisher bestehenden Weltsystem keine überständische Hochzeit legitimieren und er dieses soziale Gesetz akzeptiert:
SOSTRATE: Si elles [les destinées, Anm. S.W.] m’ont fait naître dans un rang beaucoup moins élevé que mes désirs, elles m’ont fait naître assez heureux pour attirer quelque pitié du cœur d’une grande Princesse; et cette pitié glorieuse vaut des Sceptres et des Couronnes, vaut la fortune des plus grands Princes de la terre. (AMs, 987)
Diese zunächst spezifisch für den Komödientypus erscheinende Problematik der Figurenkonstellation birgt eine Besonderheit bezüglich der Sujetstruktur: Der obstacle besteht nicht in Form einer autoritären Figur, sondern in Form sozialer Hierarchievorstellungen der Ständegesellschaft. Unter Wahrung des Anstandes untersagen diese Ériphile eine Mesalliance einzugehen, obschon ihre modern eingestellte Mutter Aristione – die eigentliche Autoritätsperson – diesbezüglich keine Einwände bekundet und sie frei entscheiden lässt.1 Folglich entsteht kein autoritär oktroyiertes Hindernis, denn sie wurde vom devoir ihres Standes freigesprochen, sondern ein soziales, das weiterhin als äußere Beeinträchtigung bezeichnet werden sollte:2 Ériphile hält in diesem Punkt an den altaristokratischen Ehevorstellungen fest, bei denen die naissance nach wie vor über dem mérite steht. Die Besessenheit, den Erwartungen ihres Standes zu entsprechen, führt sie in ein doppeltes Dilemma: Sie kann sich einerseits nicht zwischen den ihrem Stand entsprechenden Anwärtern entscheiden, da sie deren Gefühle nicht erwidert, andererseits zwingt sie ihre passion zu Sostrate in das Korsett einer unglücklichen Affektkontrolle, die sie durch ihr ständiges Alleinsein aufrechterhalten möchte. Die temporären Ausbrüche aus der Gesellschaft spiegeln ihre Realitätsflüchtigkeit wider, wodurch sie sich selbst kurzfristig zur sozialen Außenseiterin macht. Ihr Verhalten ist von einer Moralperfektion geprägt, einem Weltbild, das in der Handlungswelt noch Gültigkeit, längst aber nicht mehr zwingend Bestand hat. Der komische Agon entsteht aus der Inversion der sonst üblichen Konstellation: Die Mutter ist hier die progressive Figur, sie ist in diesem Punkt der räsonierten Fraktion, die Tochter mit ihrer idée fixe dagegen der déraison hinzuzurechnen, handelt diese doch im Sinne einer Normübererfüllung, welche die Maßhaltung nicht respektiert. Das Pendel der Abweichung von der Norm schlägt in diesem Fall also nicht in Richtung Normuntererfüllung aus, sondern in genau die entgegengesetzte Richtung. Der komische Agon funktioniert demnach nach dem gleichen Prinzip, jedoch in anderer Ausführung.
Da die Prinzessin das Werbespiel der Freier keineswegs unterbindet, greifen diese zu immer aufdringlicheren Mitteln, um ihr Herz zu erobern. Ihr fortlaufend inszeniertes Blendwerk in Form galanter Divertissements spitzt sich in dem egoistischen wie auch hochmütigen Wunsch zu, das Schicksal manipulieren zu wollen. Die beiden suchen Beistand beim Astrologen Anaxarque und erhoffen sich von seiner Zunft eine für sie günstige Prognose für den Ausgang des Liebeswettstreits, denn sie wissen um die im antiken Staat anerkannte Kunst: „[L]’Astrologie est une affaire d’État […].“ (AMs, 957) Im Lichte des Gesagten ist die nachfolgende Szene zu deuten, die ein Streitgespräch um die Glaubwürdigkeit der Astrologie thematisiert und die Weichen für den Ausgang des Intrigenspiels stellt, das indirekt aus dem unvernünftigen Verhalten der Prinzessin resultiert.
Sostrate zweifelt mit seinem bon sens die Sterndeutung generell an und beweist damit Größe, denn, so der Marquis d’Argens in seinem Werk La philosophie du bon sens von 1737: „Les Grands-Hommes se sont plaints dans tous les Tems de la Crédulité des Peuples & de la Fourberie des Astrologues.“3 Auch Ériphile äußert sich im Disput um die Glaubwürdigkeit der Astrologie skeptisch. Derart weicht die komische Heldin ein wenig von ihrer regressiven Fixiertheit ab, was das für sie günstig ausfallende Komödienende hinsichtlich eines läuternden Aspekts etwas relativiert. Die beiden Jungen verkörpern eine Minderheit und ihnen kann innerhalb der Handlungswelt aus der Perspektive der sie dominierenden, astrophilen Figuren zunächst ein unvernünftiges Verhalten zuerkannt werden. Gemessen am Wertekanon des Publikums ist den beiden Verliebten allerdings eindeutig die raison zuzuweisen, da sie ihrer Gesinnung nach mit dem astrologiefeindlichen klassischen Zeitgeist kongruieren und bereits vor der beginnenden Intrige die Sterndeutung infrage stellen.4 Im Streitgespräch mit dem Astrologen Anaxarque sowie den beiden Liebesanwärtern prangern sie geschickt die Scharlatanerie dieser Kunst an:
ÉRIPHILE: Mais, Seigneur Anaxarque, voyez-vous si clair dans les destinées, que vous ne vous trompiez jamais, et ces prospérités, et cette gloire que vous dites que le Ciel nous promet, qui en sera caution, je vous prie? […]
IPHICRATE: La vérité de l’Astrologie est une chose incontestable, et il n’y a personne qui puisse disputer contre la certitude de ses prédictions.
TIMOCLÈS: Je suis assez incrédule pour quantité de choses, mais pour ce qui est de l’Astrologie, il n’y a rien de plus sûr et de plus constant, que le succès des Horoscopes qu’elle tire. […]
SOSTRATE: […] [J]e vous avoue que mon esprit grossier a quelque peine à le comprendre, et à le croire, et j’ai toujours trouvé cela trop beau pour être véritable. […] Quel rapport, quel commerce, quelle correspondance peut-il y avoir entre nous et des Globes, éloignés de notre terre d’une distance si effroyable, et d’où cette belle Science, enfin, peut être venue aux hommes? Quel Dieu l’a révélée, ou quelle expérience l’a pu former, de l’observation de ce grand nombre d’Astres qu’on n’a pu voir encore deux fois dans la même disposition? (AMs, 979–981)
Es handelt sich in dieser Szene um einen doppelten Schlagabtausch, besteht das Quartett doch aus zwei Repräsentanten der raison und aus zwei der déraison. Diese Doppelbesetzung hat für den komischen Agon die Folge, dass er aus einer stichomythischen Struktur erwächst. Im weiteren Verlauf des Streits schalten sich immer mehr Figuren zugunsten der Astrologie ein und Sostrate muss allein gegen sie bestehen. Iphicrates und Timoclès’ Befürworten ist aus schierem Eigennutz motiviert. Im Gegensatz zu ihnen ist Sostrate in den Augen des französischen Publikums ein Räsoneur, der in perfekter Ausführung des art de conversation das Wesen der Astrologie denunziert und somit der honnêteté entspricht, denn der Glaube an Übernatürliches kann bei den mondänen Zuschauern kaum noch verfangen. Zu dieser Erkenntnis kommen auch die anderen Figuren am Ende des Stücks. Im Ergebnis steht der geänderte Wertekanon der Handlungswelt so wieder im Einklang mit der klassischen Weltsicht. Der komische Agon entwickelt sich in aufgezeigter Szene folglich aus einer Divergenz zwischen den Normen der Handlungswelt und denen der Lebenswelt. Zusätzlich zur ideologischen Opposition der einzelnen Figuren ist auch die gesamte Weltsicht der Fiktion zunächst diametral zwischen raison und déraison in den Augen des zeitgenössischen Betrachters vertauscht.
Im weiteren Verlauf der Ballettkomödie startet die Intrige mithilfe der Astrologie, die von den Prinzen zur Erfüllung ihrer eigenen Wünsche instrumentalisiert wird. Da Iphicrate Anaxarque in finanzieller Hinsicht großzügiger gesinnt ist, soll die von Anaxarque arrangierte sprechende Venus die Fürstin Aristione davon überzeugen, dass er der Auserkorene für ihre Tochter ist. Die vom Sterndeuter geplante List könnte Iphicrate zum Retter der Königin machen und dadurch das manipulierte Orakel erfüllen. Doch das Schicksal lässt sich nicht bezwingen und so will es der Zufall oder jenes selbst, dass Sostrate der Monarchin als Erster zu Hilfe eilt, sie von einem gefährlichen Eber befreit und durch seine Heldentat mit einem sozialen Aufstieg geehrt wird. Dies nun legitimiert die Liebesheirat mit und für Ériphile, da damit auch dem extrarationalen Wunsch der Götter Rechnung getragen wird. Diese soziale Würdigung spricht die Fürstin gegenüber den beiden doppelt gekränkten Freiern aus, haben diese doch zum einen ihr Ziel verfehlt und wurden zum anderen von einem rangniedrigen Kontrahenten besiegt:
[J]e vous prie avec toute l’honnêteté qu’il m’est possible, de donner à votre chagrin un fondement plus raisonnable; de vous souvenir, s’il vous plaît, que Sostrate est revêtu d’un mérite, qui s’est fait connaître à toute la Grèce, et que le rang où le Ciel l’élève aujourd’hui, va remplir toute la distance qui était entre lui et vous. (AMs, 992)
Das Agieren Sostrates gipfelt in einem triadischen Triumph: Er rettet das Leben der Fürstin, deckt Anaxarques Scharlatanerie auf und befreit Ériphile von der Angst einer Mesalliance, indem er „toute la distance [d’état, Anm. S.W.]“ aufhebt. Das Schicksal ist dem Feldherrn zwar wohlgesonnen, aber er stellte sich auch mit Courage der Herausforderung und entledigte sich mit dem Besiegen des wilden Tiers seines obstacle, ganz ohne Angriff auf eine Autoritätsfigur.
Sostrate gelingt es, ähnlich wie Éraste, das Weltbild zu transformieren. Sie sind beide wahre Helden, die mit ihrer moralischen Weltsicht gegen die komischen Helden bestehen und den obstacle mithilfe des mérite übergehen können. Aber auch in dieser Ballettkomödie kommt das Metaereignis nicht in seiner vollen Dimension zur Entfaltung. Da Fortuna ebenfalls ihre Hände mit im Spiel hat, ermangelt es binnenfiktional eines lebensweltlichen Bewertungsmaßstabes. Beiden Metaereignissen geht die lebensweltlich verstandene vraisemblance ab, sie divergieren mithin vom ontologischen Kontext, sodass sich die Ballettkomödien zwar in ihrer Sujethaftigkeit als Metaereignisse klassifizieren lassen, jedoch mit dem Attribut ‚limitiert‘ zu versehen sind.
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