Kitabı oku: «Rechtsgeschichte», sayfa 9
Dominat und Justinians Gesetzgebungswerk: HHL 5 (1989), §§ 502 ff. (Liebs); Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. II / 2, 3. Auflage 1887 (ND 1971), 760; F. Wieacker, Lateinische Kommentare zum Codex Theodosianus, in: FS O. Lenel (1935), 259; ders., Recht und Gesellschaft in der Spätantike (1964); K.-H. Schindler, Justinians Haltung zur Klassik (1966); H. Nehlsen, Rez. Vismara, Edictum Theoderici, in: SZ (GA) 86 (1969), 246; D.V. Simon, Konstantinisches Kaiserrecht (1977); J. Bleicken, Prinzipat und Dominat (1978); H. G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend (1978); W. E. Voß, Juristen und Rhetoren als Schöpfer der Novellen Theodosius‘ II, in: FS F. Wieacker (1980), 199; P. Kussmaul, Pragmaticum und lex (1981); D. Liebs, Juristen als Sekretäre des römischen Kaisers, SZ (RA) 100 (1983), 485; T. Honoré, The Making of the Theodosian Code, SZ (RA) 103 (1986), 133; H. Grziwotz, Rez. Gizewski, in: SZ (RA) 108 (1991), 409; H. Chantraire, Die Nachfolgeordnung Constantins des Großen (1992); J. Harries / I. Wood (Hg.), The Theodosian Code (1993); D. Kohlhas-Müller, Untersuchungen zur Rechtsstellung Theoderichs des Großen (1995); Ch. F. Wetzler, Rechtsstaat und Absolutismus (1997); T. Honoré, Law in the crisis of Empire (379 – 455 AD), 1998; A. Demandt, Geschichte der Spätantike (1998, 2. Auflage, 2008); H. E. Troje, Bemerkungen zu „Europa und griechisches Recht“, in: Lebend(ig)e Rechtsgeschichte, hg.v.H. Barta / Th. Mayer-Maly u.a. (2005), 270; O. Behrends, Das staatliche Gesetz in biblischer und römischer Tradition, in: ders. (Hg.), Der biblische Gesetzesbegriff (2006), 225. [<<118]
Vulgarrecht: E. Levy, Zum Wesen des weströmischen Vulgarrechts, in: Gesammelte Schriften I (1963), 184; F. Wieacker, Allgemeine Zustände und Rechtszustände gegen Ende des weströmischen Reichs, IRMAE I 2a (1963); G. Stühff, Vulgarrecht im Kaiserrecht (1966); Kaser, RP II, § 193; D. Simon, Marginalien zur Vulgarrechtsdiskussion, in: FS F. Wieacker (1978), 154; W. E. Voß, Recht und Rhetorik in den Kaisergesetzen der Spätantike (1982); Kroeschell I, 50; I. Wood, Disputes in late fifth- and sixth-century Gaul: some problems, in: The Settlement of Disputes in Early Medieval Europe, ed.W. Davies / P. Fouracre (1986), 7; D. Liebs, Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260 – 640 n. Chr.), 1987, 144, 283; H. Siems, Handel und Wucher im Spiegel frühmittelalterlicher Rechtsquellen (1992); C. Schott, Traditionelle Formen der Konfliktlösung in der Lex Burgundionum, in: La giustizia nell’alto medioevo (1995), 933, 955; H. Schmidt, Die Vulgarrechtsdiskussion, in: Funktion und Form, hg.v.K. Kroeschell u.A. Cordes (1996), 1; H.Weßel, Das Recht der Tablettes Albertini (2003), 279; D. Liebs, Konflikte zwischen römischen und germanischen Rechtsvorstellungen in der Spätantike, in: FS H. Nehlsen (2008), 99.
Kommentierungs- und Auslegungsverbot: HRG, 370 (C. Schott); H. Hübner, Kodifikation und Entscheidungsfreiheit des Richters in der Geschichte des Privatrechts (1980), 13; T.Wallinga, Tanta / Dedoken (1989); E. Klingenberg, Justinians Verbot der Digestenkommentierung, in: Text und Kommentar, hg.v.J. Assmann / B. Gladigow (1995), 407; K. D. Lerch (Hg.), Die Sprache des Rechts, Bd. 1: Recht verstehen. Verständlichkeit, Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht (2004), XVIII, 237; A. Bürge, Quelle exégèse? Zur Beurteilung der Technik der Auslegung kodifizierten Rechts im diachronischen und synchronischen Rechtsvergleich, in: Hundert Jahre Japanisches Zivilgesetzbuch, hg.v.R.Knütel / S. Nishimura (2004), 1, 4; ders., Zweihundert Jahre Code civil des Francais: Gedanken zu einem Mythos, ZEuP 2004, 5, 14; D. Großekathöfer, Das neue Haftungsrecht im Gentechnikgesetz, in: Briefe zum Agrarrecht (BzAR) 2004, 110; P. Buck-Heeb, Internationalisierung von Recht, JZ 2004, 883. [<<119]
14Periodisierungen sind immer nur „Hilfskonstruktionen zur Bewältigung von Material und Zeiträumen“ (Bleicken). Zwischen ‚Prinzipat‘ und ‚Dominat‘ sollten daher keine zu tiefen Gräben ausgehoben werden (vgl. A. Heuss, Römische Geschichte, 10. Auflage 2007, 444, 660).
15Einleitung zu den Pandekten 1812, in: Vorlesungen über juristische Methodologie 1802 – 1842, hg.v.A. Mazzacane, 2. Auflage (2004), 259 (Hervorhebungen im Original).
5. Kapitel
Germanische Rechte zwischen Antike und Frühmittelalter
Über die sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Lebensbedingungen der alten Germanen haben wir nur sehr spärliche Kenntnisse. Antike Autoren widmen sich der germanischen Lebensweise vornehmlich in Exkursen, so etwa Cäsar im Gallischen Krieg (6, 11 – 28) und Livius in seinem umfassenden Geschichtswerk (Buch 104). Die mit Abstand wichtigste Quelle aber bildet die Germania (De origine et situ Germanorum liber) des römischen Schriftstellers Publius Cornelius Tacitus (55 – 120), die als Spezialschrift über ein fremdes Volk in der gesamten antiken Literatur einzigartig dasteht.
1. Das durch die Germania des Tacitus vermittelte Germanenbild
Tacitus hat die Stämme der Germanen geschildert, ihren territorialen Siedlungsbereich umrissen und vornehmlich unter ethnographischethologischen Gesichtspunkten gemeinsame Merkmale herausgestellt: Einfachheit des Lebens, Sittlichkeit, Kriegstüchtigkeit, Liebe zur Freiheit. Die Namen der Stämme seien zwar zahlreich, im Hinblick auf die mores (Sitten) stelle sich jedoch eine Gemeinsamkeit ein, die es erlaube, das Siedlungsgebiet dieser Stämme mit der geographischen Bezeichnung Germania zu versehen. Der Bericht ist keine im heutigen Sinne wissenschaftliche Darstellung. Wahrscheinlich war er als moralisierendes Lehrstück für die im Wohlstand lebenden und unter Verfallserscheinungen leidenden Römer gedacht.
Die Geschichte des um 100 n. Chr. verfassten Textes ist verwickelt und wird kontrovers diskutiert. Man ist sich jedoch einig, dass eine bis [<<121] dato unbekannt und unerkannt gebliebene Abschrift aus einem nordhessischen Kloster nach Rom gelangte und dort dem Humanisten und nachmaligen Papst Enea Silvio Piccolomini (1405 – 1464) zugetragen wurde. Enea Silvio hat zur Verbreitung dieses Textes in italienischen Humanistenkreisen maßgeblich beigetragen. Es gilt als sicher, dass die Tacitusrezeption seitens der deutschen Humanisten auch nach dem Erstdruck der Germania 1471 lange Zeit über die Vermittlung der italienischen Humanisten erfolgte. Der Text bildet eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Aufkommen einer Idee der ‚Deutschen Nation‘. In der Hand von Gegnern wird sie zum Vorwurf gegen die ‚Deutschen‘. Italienische Humanisten bezogen sich auf Tacitus, um aus bestimmten politischen Gründen den Deutschen den Spiegel der Barbarei vorzuhalten. Dagegen machten deutsche Humanisten aus dem mit der Lektüre des Tacitus verbundenen Unterlegenheitsargument eines der Überlegenheit, indem sie an die Stelle der Zivilisierungsbedürftigkeit das Motiv der Freiheit und an die Stelle von Luxus und Wohlleben Sittenreinheit und ursprüngliche Tugendhaftigkeit setzten.
In der Tat gibt der Text Anlass zu ganz unterschiedlichen Interpretationen, da er sich nicht auf eine Hervorhebung der Laster beschränkt, sondern auch über die Tugenden des Nachbarvolks berichtet: Tacitus schildert seinen Gegenstand mit Sympathie, ohne dabei die Schwächen auszuklammern, für die er Verständnis zu zeigen scheint. Dabei ergeben sich auch Einblicke in das Rechtsleben der alten Germanen. Dass es Tacitus darum gegangen ist, seinen vermeintlich dekadenten Zeitgenossen einen Sittenspiegel vorzuhalten, mag aus seinen Schilderungen des familiären Lebens hervorgehen (1, 2). Bei den Ausführungen zu Gerichtsbarkeit und Gefolgschaft (3, 4) handelt es sich um Textstellen, aus denen die rechtshistorische Literatur noch im 20. Jahrhundert unmittelbare Rückschlüsse auf die Eigenarten des altgermanischen oder gar des deutschen Rechts ziehen zu können glaubte. [<<122]
1.1 Ehe und Stellung der Frauen
Gleichwohl halten die Germanen auf strenge Ehezucht, und in keinem Punkte verdienen ihre Sitten größeres Lob. Denn sie sind fast die einzigen unter den Barbaren, die sich mit einer Gattin begnügen; sehr wenige machen hiervon eine Ausnahme, nicht aus Sinnlichkeit, sondern weil sie wegen ihres Adels mehrfach um Eheverbindungen angegangen werden (cap. 18). So leben die Frauen in wohlbehüteter Sittsamkeit, nicht durch lüsterne Schauspiele, nicht durch aufreizende Gelage verführt. Heimliche Briefe sind den Männern ebenso unbekannt wie den Frauen. Überaus selten ist trotz der so zahlreichen Bevölkerung ein Ehebruch. Die Strafe folgt auf der Stelle und ist dem Manne überlassen: er schneidet der Ehebrecherin das Haar ab, jagt sie nackt vor den Augen der Verwandten aus dem Hause und treibt sie mit Rutenstreichen durch das ganze Dorf. Denn für Preisgabe der Keuschheit gibt es keine Nachsicht: nicht Schönheit, nicht Jugend, nicht Reichtum verschaffen einer solchen Frau wieder einen Mann. Dort lacht nämlich niemand über Ausschweifungen, und verführen und sich verführen lassen nennt man nicht ‚modern‘. Besser noch steht es mit den Stämmen, in denen nur Jungfrauen heiraten und das Hoffen und Wünschen der Frau ein für allemal ein Ende hat. Nur einen Gatten bekommen sie dort, ebenso wie nur einen Leib und ein Leben; kein Gedanke soll weiter reichen, kein Verlangen darüber hinaus anhalten; nicht den Ehemann, sondern gleichsam die Ehe selbst sollen sie in ihm lieben. Die Zahl der Kinder zu beschränken oder ein Nachgeborenes zu töten, gilt für schändlich, und mehr vermögen dort gute Sitten als anderswo gute Gesetze (cap. 19).
Mit dieser Schilderung will Tacitus offenbar auf seine Zeitgenossen in Rom einwirken. Anders als germanische Frauen dürfen die Römerinnen an „lüsternen Schauspielen“ und „aufreizenden Gelagen“ zum Schaden ihrer Tugend teilnehmen. „Nur einen Gatten bekommen sie dort“ – Tacitus erinnert an das in Rom um 100 n. Chr. nur noch selten praktizierte Ideal der nur einmal verheirateten Frau: der univira.16 [<<123]
1.2 Erziehung und Erbrecht
In jedem Hause wachsen die Kinder nackt und schmutzig zu diesem Gliederbau, zu dieser von uns bestaunten Größe heran. Die Mutter nährt ein jedes an der eigenen Brust, und man überläßt sie nicht Mägden oder Ammen. Herr und Knecht werden unterschiedslos ohne Zärtelei aufgezogen; unter demselben Vieh, auf demselben Erdboden verbringen sie ihre Zeit, bis das wehrhafte Alter die Freien absondert, ihre Tüchtigkeit sich geltend macht. Spät beginnt beim jungen Manne der Liebesgenuß, und so ist die Zeugungskraft ungeschwächt. Auch mit den Mädchen eilt man nicht; ebenso groß ist die Jugendfrische, ähnlich der hohe Wuchs: den Männern gleich an Alter und Stärke, treten sie in die Ehe ein, und die Kraft der Eltern kehrt in den Kindern wieder. Die Söhne der Schwestern sind dem Oheim ebenso teuer wie ihrem Vater. Manche Stämme halten diese Blutsbande für heiliger noch und enger und geben ihnen den Vorzug, wenn sie Geiseln empfangen, da man sich so die Herzen fester und die Sippe in weiterem Umfang verpflichte. Doch zu Erben und Rechtsnachfolgern hat jeder die eigenen Kinder, und Testamente gibt es nicht. Sind keine Kinder vorhanden, so haben die Brüder und die Oheime väterlicher- wie mütterlicherseits die nächsten Ansprüche auf den Besitz. Je mehr Verwandte jemand hat, je größer die Zahl der Verschwägerten ist, desto reichere Ehren genießt er im Alter, und Kinderlosigkeit bringt keinerlei Vorteil (cap. 20).
„Kinderlosigkeit bringt keinerlei Vorteil“ – anders war es in Rom um 100 n. Chr. Die ungeliebte Ehegesetzgebung des Augustus hatte zu dieser Zeit kaum noch praktische Bedeutung. Kinderlosigkeit war weit verbreitet, und Kinderlose wurden von Leuten, die auf eine Erbschaft hofften, lebhaft umworben.
1.3 Gerichtsbarkeit
Vor der Versammlung darf man auch Anklage erheben und die Entscheidung über Leben und Tod beantragen. Die Strafen richten sich nach der Art des Vergehens: Verräter und Überläufer hängt man an Bäumen auf; Feiglinge und Kriegsscheue und Unzüchtige versenkt man in Sumpf und Morast, [<<124] wobei man noch Flechtwerk darüber wirft. Die Verschiedenheit der Vollstreckung beruht auf dem Grundsatz, man müsse Verbrechen zur Schau stellen, wenn man sie ahnde, Schandtaten hingegen dem Blicke entziehen. Doch auch in leichteren Fällen entspricht die Strafe dem Vergehen: wer überführt wird, muß mit einer Anzahl von Pferden und Rindern büßen. Ein Teil der Buße kommt dem König oder dem Stamme zu, ein Teil dem Geschädigten selbst oder seinen Verwandten. In diesen Versammlungen werden auch Adlige gewählt, die in den Gauen und Dörfern Recht sprechen; einem jeden steht ein Geleit von hundert Mann aus dem Volke als Rat zugleich und zu größerem Ansehen bei (cap. 12).
„Als Moorleichen bezeichnet man menschliche Leichen, die in bestimmten Gebieten Nordeuropas im Torfmoor gefunden werden. Durch chemische Einflüsse mumienartig konserviert, nackt oder mit Kleidung altertümlicher Art und nicht selten in auffälliger Lage nach Stellung mit Anzeichen von Fesselung und absichtlicher Versenkung.“17 In der vorstehenden Passage findet sich die älteste Erwähnung des Versenkens von Menschen im Moor. Nach dem heutigen Stand der Forschung ist es unzweifelhaft, dass es sich hierbei nicht nur um einen Akt der Bestrafung bestimmter Verbrechen handelt, sondern auch Opfer von Unfällen und Mordopfer im Moor versenkt wurden. Zudem bezeugt die Stelle, dass es bereits in früher Zeit eine Volksversammlung (concilium) gegeben hat – vielleicht ein Vorläufer des germanischen Ding oder Thing (indog. tenkos, lat. tempus, Versammlung, die zu bestimmter Zeit stattfindet), eine Urform der direkten Demokratie, die Ähnlichkeiten mit der in der Schweiz zum Teil noch heute praktizierten „Landsgemeinde“ (S. 373) haben soll. Die Möglichkeit einer einheitlichen Willensbildung folgt aus dem geringen Umfang der civitas. Tacitus schildert den germanischen Staat als eine Art Zwergstaat, der nicht einen ganzen Stamm, sondern nur eine Völkerschaft umfasst. Einige Rechtshistoriker halten das concilium civitas für die Keimzelle der späteren Hof- und Reichstage. Daraus schließen [<<125] sie auf den demokratischen Charakter der Verfassung, welcher den Gegensatz von Adels- und Volksrecht ausgeschaltet habe: Nicht der Fürst habe über das Volk, sondern dieses über sich selbst durch den Fürsten als seinen Repräsentanten geherrscht. Außerdem unterscheidet die Textstelle bereits zwischen Privatstrafe und Friedensgeld. Im Gegensatz zur Privatstrafe fällt das Friedensgeld der Allgemeinheit zu. Der Täter kann sich auf diese Weise in den Frieden wieder einkaufen.
1.4 Gefolgschaft
Niemals, weder bei Sachen der Gemeinde noch bei eigenen, erledigen sie etwas anders als in Waffen. Doch darf keiner Waffen tragen, ehe ihn der Stamm für wehrfähig erklärt. Das geschieht in öffentlicher Versammlung: eines der Stammeshäupter oder der Vater oder Verwandte wappnen den jungen Mann mit Schild und Frame. Dies ist das Männerkleid der Germanen, dies die erste Zier der Jugend; vorher zählen sie nur zum Hause, von jetzt an zum Gemeinwesen. Hohe Abkunft oder große Verdienste der Väter verschaffen auch ganz jungen Leuten die Gunst eines Gefolgsherrn; sie werden den anderen zugesellt, die schon stärker und längst erprobt sind. Es ist auch keine Schande, unter den Gefolgsleuten zu erscheinen – ja, innerhalb der Gefolgschaft gibt es sogar Rangstufen, nach der Bestimmung dessen, dem man sich anschließt. Und es herrscht lebhafter Wetteifer der Gefolgsleute, wer die erste Stelle beim Gefolgsherrn einnimmt, und der Gefolgsherrn, wer das größte und tüchtigste Gefolge hat. So kommt man zu Ansehen, so zu Macht; stets von einer großen Schar auserlesener junger Männer umgeben zu sein, ist im Frieden eine Zier, im Kriege ein Schutz. Und nicht nur im eigenen Stamme, auch bei den Nachbarn ist bekannt und berühmt, wer sich durch ein zahlreiches und tapferes Gefolge hervortut. Denn ihn umwirbt man durch Gesandte und ehrt man durch Geschenke, und schon sein Ruf verhindert oft einen drohenden Krieg. Kommt es zur Schlacht, ist es schimpflich für den Gefolgsherrn, an Tapferkeit zurückzustehen, schimpflich für das Gefolge, es dem Herrn an Tapferkeit nicht gleichzutun. Doch für das ganze Leben lädt Schmach und Schande auf sich, wer seinen Herrn überlebend aus der Schlacht zurückkehrt: ihn zu schirmen und zu schützen, auch die eigenen [<<126] Heldentaten ihm zum Ruhme anzurechnen, ist des Dienstes heiligste Pflicht. Die Herren kämpfen für den Sieg, die Gefolgsleute für den Herrn (cap. 13, 14).
Bei der von Tacitus geschilderten Beziehung handelt es sich um eine Form der „unabhängigen“ Gefolgschaft (comitatus) – eine Sondererscheinung des Reckenzeitalters. Recke (wrekan) ist ein heimatloser Held, der auf Abenteuer und Beute abgestellt in Zeiten der Unruhe meist nur kurzfristige Bindungen eingeht. Später wird sich die Gefolgschaft zu einem Dauerverhältnis entwickeln und einen wichtigen Bestandteil der Verfassung bilden. Königen, Herzögen und Adligen steht es zu, eine Gefolgschaft zu halten. Der Gefolgsmann leistet dem Herrn einen – poetisch vielfach verklärten – Treueid, der ihn auf Leben und Tod verpflichtet. Der Zusammenhang solcher Phänomene mit dem comitatus des Tacitus ist freilich ungewiss (S. 223). Die Gefolgschaft bildet traditionell das Zentrum der rechtshistorischen Treuevorstellung, was neuerdings ebenfalls bezweifelt wird. Auffällig ist jedenfalls, dass Tacitus das Wort fides (Treue) bei seiner Schilderung der Gefolgschaft nicht gebraucht.
1.5 Kampf und Kampfbereitschaft als größte Tugenden
Die Germania enthält eine Reihe von Passagen, in denen Kampfesmut und Kampfbereitschaft der Germanen hervorgehoben werden. Dass die Germanen niemals „etwas anders als in Waffen erledigen“, hat Tacitus wiederholt betont (cap. 13, 22). „Die Feindschaften des Vaters oder der Verwandten“ müssen übernommen werden (cap. 21). Kehrt innerhalb der eigenen civitas vorübergehend Ruhe ein, suchen viele „auf eigene Faust Völkerschaften auf, die gerade irgendeinen Krieg führen; denn Ruhe behagt diesem Volke nicht, und inmitten von Gefahren wird man leichter berühmt. Auch läßt sich ein großes Gefolge nur durch Gewalttat und Krieg unterhalten“. Die Mittel zum Unterhalt „bieten Krieg und Raub. Und nicht so leicht könnte man einen Germanen dazu bringen, das Feld zu bestellen und die Ernte abzuwarten, als den Feind herauszufordern und sich Wunden zu holen; es gilt sogar für träge und schlaff, sich mit Schweiß zu erarbeiten, was man mit Blut erringen kann“ (cap. 14). [<<127]
Kampfbereitschaft, Überwindung von Furcht und Ertragen von Gewalt brauchen heute keine zentralen Tugenden mehr zu sein. Dagegen leben die Germanen, wie Tacitus sie schildert, in einer Art ‚Naturzustand‘, wo Streit, wenn er latent nicht schon vorhanden ist, gesucht und früher oder später gewalttätig ausgetragen wird. Wenn zentrale Herrschaftsinstanzen fehlen oder nur schwach ausgeprägt sind, ist gewaltsame Selbsthilfe das grundlegende Mittel zur Durchsetzung von ‚Recht‘. Zwar kennen auch moderne Rechtsordnungen die Möglichkeit einer Durchsetzung von Ansprüchen mittels privater Gewalt (z.B. §§ 859, 229 BGB). Die Selbsthilfe ist heute aber nur noch unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. In der Praxis spielt sie kaum mehr eine Rolle. Der Grund liegt im staatlichen Gewaltmonopol, das Sicherheit vermittelt und gewaltsame Konfliktlösungen so weit als möglich unterbindet. Die Römer haben schon früh, und zwar bereits in der Königszeit (1. Kapitel, S. 25), Rechtsinstitute entwickelt, um die mit gewaltsamer Selbsthilfe verbundenen Unerträglichkeiten zu beseitigen. Davon zeugen die in den Zwölf Tafeln erwähnten Rituale der mancipatio oder vindicatio (1. Kapitel 3, S. 47.). Die Germanen scheinen dagegen den ‚Naturzustand‘ als normale Lebensform zu akzeptieren und darin sogar Befriedigung zu finden. Gewaltsame Auseinandersetzungen sind ihnen offenbar noch nicht so unerträglich, dass sie bereit wären, maßgebliche Teile ihrer ‚Freiheit‘ an einen zur Streitregelung eingeschalteten „Dritten“ abzutreten (1. Kapitel 3, S. 47.). Bei näherem Hinsehen lassen sich freilich auch bei ihnen erste Ansätze zur Eindämmung gewaltsamer Streitigkeiten erkennen. Dazu gehören etwa die verschiedenen Formen der Strafe (cap. 12) sowie die Möglichkeit, durch Ersatzleistungen (cap. 21, 12) eine friedliche Konfliktlösung herbeizuführen (S. 137).
2. Frühmittelalterliche „Stammesrechte“
Als frühes Mittelalter pflegt man die Zeit zwischen dem Untergang des weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert (476) und dem Ende der ostfränkischen Karolinger (911) oder dem Investiturstreit zwischen Kaiser und Papst (1075 / 1122) zu bezeichnen. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts war der gesamte Westen des römischen Reiches in den Händen germanischer [<<128] Heerkönige, die aus eigener Machtvollkommenheit über die einheimische Bevölkerung herrschten. Das Gebiet wurde zum Auffangbecken der Wanderstämme. In der Zeit bis zum 9. Jahrhundert entstand dort eine eigene Rechtsquellengattung – die sogenannten Leges Barbarorum, für die auch die Bezeichnungen Volks- oder Stammesrechte gebräuchlich sind. Die lange Reihe der Leges wird durch die juristisch ehrgeizigen und produktiven Westgoten (S. 106) eröffnet. Dieser Teilstamm hat bis ins 8. Jahrhundert eine kontinuierliche Gesetzgebung aufzuweisen.
2.1 Rechte der Westgoten und Burgunder
Die früheste Überlieferung westgotischer Gesetzgebung ist der sogenannte Codex Euricianus. Der nur in Bruchstücken überlieferte Rechtstext ist im Jahre 475, also nur ein Jahr vor Auflösung des weströmischen Reiches (476), von Westgotenkönig Eurich (466 – 484, Nachfolger von Theoderich II.), möglicherweise auch von einem seiner Söhne (Alarich II., 484 – 507), erlassen worden. Alle späteren Westgotenrechte sind offenbar Bearbeitungen und Erweiterungen des für die Goten untereinander und für Streitigkeiten zwischen Goten und Römern geltenden Codex Euricianus. So z. B. die für den römischen Bevölkerungsteil Anfang des 6. Jahrhunderts (wohl 506) unter Alarich II. erlassene Lex Romana Visigothorum, die auch als Breviarum Alarici (Breviar) bezeichnet wird. Die Lex Romana Visigothorum ist eine Kurzfassung der im Westgotenreich damals gängigen römischen Rechtstexte. Sie enthält vorwiegend Konstitutionen, die aus dem Codex Theodosianus (S. 101) stammen. Neben dieser als leges bezeichneten Textmasse enthält das Breviar auch ius, etwa in Form von Paulussentenzen, Gaiusepitomen und Auszügen aus den Codices Gregorians und Hermogenians.18 Im Unterschied zu [<<129] Theodosius II. und eine Generation vor Justinian ist es Alarich II. also gelungen, auch Juristenrecht in sein Gesetzbuch einzugliedern. Dies aber geschieht auf so schmaler Basis, dass klassische Jurisprudenz kaum vorkommt. Die Lex Romana Visigothorum beansprucht ausschließliche Geltung, andere römische Texte dürfen neben ihr nicht mehr angewendet werden. Trotz ihrer Aufhebung bald nach Mitte des 7. Jahrhunderts durch den Westgotenkönig Rekkeswind (649 – 672) gilt sie in Südfrankreich (für die römische Bevölkerung) noch bis ins 12. Jahrhundert. Außerdem wird sie zu einer wichtigen Grundlage für den Unterricht im römischen Recht.
Auch die in mehreren Fassungen überlieferten Leges Visigothorum gehen auf den Codex Euricianus zurück. Sie bestehen ausweislich ihrer Titelinskriptionen aus mehreren Schichten älterer Kaisergesetze, nicht wenige Passagen sind aus dem Codex Euricianus wörtlich übernommen. Die unter Westgotenkönig Rekkeswind 654 geschaffene, vollständig erhaltene Fassung der Lex Visigothorum wird auch Liber iudiciorum genannt. Nach dem Willen von Rekkeswind soll das Gesetzbuch territoriale Geltung haben, es entfaltet also für beide Bevölkerungsgruppen bindende Wirkung. Die Lex Visigothorum ist die bis zu Beginn des 12. Jahrhunderts im Westen Europas am häufigsten zitierte Gesetzgebung.
Am Codex Euricianus orientiert sich auch das Recht eines anderen Germanenvolkes, und zwar der Burgunder, die sich ebenfalls auf dem Boden des untergehenden römischen Imperiums niedergelassen haben: Die für den burgundischen Bevölkerungsteil und für Streitigkeiten zwischen Burgundern und Römern geltende Lex Burgundionum ist zwischen 480 bis 501 unter König Gundobald (480 – 516) erlassen worden. Mit der etwas jüngeren Lex Romana Burgundionum (um 510) erfüllt König Gundobald sein Versprechen, den Römern seines Reiches für Streitigkeiten untereinander ein eigenes Gesetz zu geben. Der im Vergleich zum Breviar schmale Text umfasst eine Zusammenstellung von Stücken aus den Codices Gregorians, Hermogenians, Theodosius sowie Paulussentenzen (S. 101, 108) und Institutionen des Gaius. Enthalten sind ferner Auszüge aus der Lex Burgundionum und des Codex Euricianus. [<<130]
2.2 Rechte der Franken und Langobarden
Das erste Auftreten der Franken geht auf das 3. Jahrhundert n. Chr. zurück. Unter ihrem König Chlodwig (geb. um 466, 481 – 511) dringen sie vom Niederrhein aus im 5. Jahrhundert in das südlich gelegene römische Gallien ein. Das fränkische Geschlecht der Karolinger gelangt im 8. Jahrhundert (751) durch Pippin III. (um 715 – 768) an die Macht. Sein Sohn und Nachfolger Karl der Große (742 – 814) gliedert dem fränkischen Reich die Gebiete der Langobarden, der inzwischen weit nach Osten vorgedrungenen Bayern und der Sachsen im Norden ein. In über drei Jahrzehnten geführten Kämpfen gelingt es Karl dem Großen, die Grenzen des fränkischen Reiches so zu erweitern, dass es zum bedeutendsten Großreich des abendländischen Mittelalters wird, aus dem schon bald Deutschland, Frankreich sowie die italienischen und spanischen Teilreiche hervorgehen werden. Die europäische Machtstellung, die Herrschaft über Italien und Rom und die von seinem Vater Pippin III. begründete Verbindung von fränkischem Königtum und Papsttum sind Voraussetzung für die Krönung Karls zum römischen Kaiser (imperator Romanorum) Weihnachten 800 durch Papst Leo III. Damit wird die Tradition des imperium romanum wieder aufgenommen und mit dem fränkischchristlichen Königtum verbunden. Das fränkisch-deutsche Reich währt von der Zusammenfassung der Franken durch den Merowingerkönig Chlodwig bis zur Niederlegung der Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation durch den Habsburger Franz II. im Jahr 1806.
Unter der Herrschaft von Chlodwig entstand die Lex Salica. Dieses Gesetz hatte von den ‚Stammesrechten‘ die wohl größte und nachhaltigste Wirkung. Es wurde zwischen 507 und 511 im nordgallischen Reich verfasst, das Chlodwig durch Überwindung des letzten römischen Feldherrn und anderer fränkischer Teilkönige begründet hat. Bei Abfassung der Lex Salica ist die Lex Burgundionum oder der Codex Euricianus benutzt worden. Inhaltlich überwiegt fränkisches Recht. Rückgriffe auf römisches (theodosianisches) Recht bilden eher die Ausnahme. Ins Auge fällt der hohe Anteil volkssprachlicher Rechtswörter. In der rechtshistorischen Forschung wird vermutet, dass damit vor Gericht (in mallobergo) der Gegensatz zwischen mündlich überlieferten Rechtsvorstellungen [<<131] und lateinischem Text der Lex zum Ausgleich gebracht werden sollte (Malbergische Glossen). Die Leges der Völkerwanderungszeit sind in ungefähr derselben Zeit entstanden wie das die antike Rechtsentwicklung abschließende Corpus iuris Justinians. Doch stehen sie auf einer Entwicklungsstufe, die das römische Recht zur Zeit des Zwölftafelgesetzes, also schon etwa tausend Jahre früher erreicht hatte. Dies zeigt auch die einfache, formelhafte, einprägsame Fassung jener Rechtssätze, die uns in den Schriftquellen begegnen. Noch im Mittelalter dienen Rechtssprichwörter in Versform oder Stabreim als Gedächtnishilfen (z. B. „Bürgen soll man würgen“, „ein Mann, ein Wort“, „die Tat tötet den Mann“, „Hand wahre Hand“, „was Fackel zehrt ist Fahrnis“). Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, warum in Kulturen, in denen die Schriftlichkeit noch nicht oder nur wenig entwickelt ist, ein so großes Bedürfnis besteht, den einzelnen Rechtsakt hörbar oder sichtbar zu machen. Warum muss auf dieser Stufe einer Rechtskultur dem juristischen Gestaltungswillen durch eine plastische Formensprache Ausdruck verliehen werden?
Es darf vermutet werden, dass es in einer oralen Kultur ohne Formalismus überhaupt kein Recht geben kann. Wo eine schriftliche Aufzeichnung nicht oder nur in Ausnahmefällen vorkommt, erinnern Gesellschaften mit Hilfe von Ritualen, Gebärden, Spruchformeln ihre Vergangenheit. Dazu bedarf es vor allem der Wiederholung durch häufigen Gebrauch und der Eingängigkeit durch Sprichwörter, kurze und formelhafte Ausdrücke oder memorierbare Gedanken. Auf diese Weise sind orale Kulturen imstande, erlangtes Wissen festzuhalten, welches ansonsten dem Vergessen preisgegeben wäre. Dieser Befund hat gerade auch für das Recht besondere Bedeutung. Spruchformeln heben den Rechtsakt aus dem formlosen, unverbindlichen Fluss bloßen Gesprächs heraus, auch wenn dieses auf Rechtswirkung gerichtet ist. Der durch Formeln oder Gebärden äußerlich wahrnehmbare Rechtsritus entscheidet über die Wirkung einer Rechtshandlung: Jedes Sichversprechen beim Gebrauch der vorgeschriebenen Formel, jede falsche Körperhaltung und Gebärde kann zum Verlust von Rechtspositionen führen (qui cadit a syllaba, cadit a causa). Der Gegner achtet auf jeden Fehler, auf jedes Stottern und Zögern, auf jede Lockerung der Haltung. Im alten Recht ist es gar nicht Aufgabe des Gerichts, nachträglich festzustellen, was tatsächlich geschehen ist. Vielmehr geht [<<132] es darum, das Recht sich selber aussprechen und verwirklichen zu lassen (18. Kapitel 1.2, S. 392). Hierfür reicht die Kenntnis der Formen aus – nicht ganz unähnlich der Kenntnis des Rituals oder der Liturgie im religiösen Bereich. Daher bestand in der römischen Frühzeit eine qua Stipulation formgerecht begründete Zahlungsverpflichtung des Schuldners auch dann, wenn der Gläubiger das Darlehn in Wahrheit gar nicht ausbezahlt oder die Ware nicht geliefert hatte (S. 39). Die Aufgabe des Gerichts erschöpft sich in frühen Rechtskulturen also vornehmlich darin zu überprüfen, ob die Formerfordernisse beachtet worden sind (S. 62). Die Römer haben den schriftlichen Formularprozess nicht zuletzt deshalb eingeführt, um die Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die mit der Formenstrenge des alten Rechts verbunden waren (2. Kapitel 3.2, S. 64).
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