Kitabı oku: «Mehr als ein Wunder», sayfa 2

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Nichtwissen

Steve de Shazers vielleicht am weitesten berühmt gewordene Form des Lobs auf das Nichtwissen bestand wohl in seiner Empfehlung, wenn einem eine Interpretation einfalle, möge man doch ein Aspirin nehmen, sich in die nächste Ecke hocken und warten, bis der Anfall vorbei ist. Hier wird Nichtwissen von Seiten der TherapeutInnen sogar als ein wichtiger Teil ihrer Professionalität angesehen, wären doch Interpretationen so etwas wie Einschränkungen der Freiheit der Klientinnen, unseren Erwartungen zuwiderlaufend zu antworten.

Wie Steve und Insoo uns immer wieder zeigten, stand für sie beide vor der Antwort nie fest, was die Bedeutung dessen gewesen sei, das sie gefragt hatten. Und auch aus diesem Grunde war ja aus Steves und Insoos Sicht die Wunderfrage immer wieder eine neue Frage.

Einen weiteren überraschenden Zug des lösungsfokussierten Ansatzes, der auch von erfahrenen Praktikern manchmal unterschätzt wird, ist, wie sehr lösungsfokussierte Frage eigentlich ausschließlich der Generierung relevanter Unterschiede bei den KlientInnen dienen, nicht aber der inhaltlichen Information der TherapeutInnen.4

Wer spricht?

Ein ungewöhnlicher Zug, aus meiner Sicht eine geradezu geniale didaktische Idee der AutorInnen dieses Buches ist die Idee, Gespräche im Team ohne klare Angaben, wer spricht und wer antwortet, darzustellen. Das Vorgehen kam mir erst irgendwie bekannt, aber auch irritierend vor, aber nach etwas genauerer Lektüre war ich gerade von diesem Vorgehen begeistert: Die Autoren verwenden so ein literarisches Stilmittel, das von Wittgenstein in die Philosophie eingeführt wurde: Dialoge mit mehrdeutigen Sprecherzuordnungen, die den Leser zu immer wieder neuen inneren Dialogen mit neuen Rollenverteilungen führen.5 Hier spiegeln die AutorInnen den Aufbau der Texte in den Philosophischen Untersuchungen Wittgensteins und lassen zugleich die LeserInnen eine typische konstruktivistische Lernerfahrung machen.

Auch bei dieser ungewöhnlichen partiellen Verschleierung der Herkunft mancher Argumente werden doch durch Frageformen und Themen manchmal die Sprecher transparent … das Schöne ist dann, dass dieses Vorgehen erlaubt, zwischendurch derartige Zuordnungen auch wieder zu vergessen. Die AutorInnen zeigen dabei durchaus viele relevante Unterschiede z. B. bezüglich der bevorzugten Fragereihenfolgen, ihrer Haltung zu den Skalen und zum Stellen der Wunderfrage. Wieder ist zu sehen, wie wenig normiert viele Abläufe in dem scheinbar so fast mechanisch wirkenden Procedere der SFBT liegt.

Ausblick und Vorschau

Mehr als ein Wunder: Kann es ein schöneres Motto für diesen Neuaufbruch in der Zeit nach Steve und Insoo geben? Über zwei Jahrzehnte begleitet Steve den Weg von Insa und mir, über fast eines hin durften wir auch Insoo kennen lernen. Und diese Zeit war als ganzes ein Wunder für uns. Es gab viele kleine Schritte – und letztlich blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Wie sich die Klientinnen oft buchstäblich körperlich schon während der ersten Erwähnungen des Wunders zu verändern begannen – und wie viel Erfahrung es dann brauchte, damit es bei anderen Klienten gelang; wie dieser Ansatz von Anfang an so einfach war – und welch ungeheuere Sorgfalt und Mühe es erforderte, diese Einfachheit immer wieder zu erneuern. Doch während dieser Bemühungen wuchsen die Früchte des Bemühens wie von selbst heran. Klientinnen stellten plötzlich immer geeignetere Fragen für ihren eigenen Prozess der Lösung – und wir staunten, da wir nicht wirklich wussten, was wir denn nun richtiger gemacht hatten. Manchmal fanden wir es heraus – kaum dass ein paar Jahre vergangen waren … Und dann merkten wir, dass Steve oder Insoo auf der neuen Insel, die wir so erreicht hatten, schon lange ansässig waren.

Steve und Insoo haben das Wunder in den Alltag geholt, und, vielleicht sogar noch über die Wunder hinausgehend, die Fähigkeit zur wertschätzenden Beobachtung.

Lassen sie uns Steve und Insoo zu Ehren in unser und in andrer Menschen Leben mit so viel Wertschätzung blicken, dass die Kostbarkeit der Ressourcen wieder deutlicher wird, »einen kleinen Schritt« wie es in einem der Buchtitel von Yvonne Dolan heißt und wie es viele unsrer KlientInnen sich zur guten Angewohnheit machten: erinnern wir uns daran, dass wir dem Wunder schon begegnet sind. So lädt man Wunder ein – am besten noch heute! More than Miracles!

München, den 9. Februar 2008Matthias Varga von Kibéd

1 im Folgenden: SFBT für »Solution Focused Brief Therapy«.

2 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen 217: »›Wie kann ich einer Regel folgen?‹ – wenn das nicht eine Frage nach den Ursachen ist, so ist es eine nach der Rechtfertigung dafür, daß ich so nach ihr handle.

Habe ich die Begründungen erschöpft, so bin ich nun auf dem harten Felsen angelangt, und mein Spaten biegt sich zurück …«

3 In dieser Hinsicht ist der Ansatz wirklich den analytischen und tiefenpsychologischen Auffassungen diametral entgegengesetzt. Aus Wittgensteins Sicht verwechselt Freud in seiner Theoriebildung Ursachen und Gründe.

4 Durch nichts wurde mir das so klar, wie wenn Insa Sparrer lösungsfokussierte Interviews führt, bei dem bis auf ein »Ja« oder »Nein« oder eine Skalenzahl die KlientInnen keine hörbaren Antworten geben müssen, ohne dass das einen relevanten Unterschied für den Gesamtablauf der lösungsfokussierten Arbeit macht.

5 und nebenbei Generationen von Doktoranden mit Fragen nach »der« richtigen Rollenverteilung beschäftigen werden.

Vorbemerkungen

Es ist mir eine besondere Freude, ein neues Vorwort für die deutsche Ausgabe von More Than Miracles schreiben zu dürfen. Steve de Shazer, dem dieses Buch gewidmet ist, fühlte sich mit seinen deutschsprachigen Kollegen und Kolleginnen auf besondere Weise verbunden und hatte große Achtung vor ihnen, und er identifizierte sich stark mit seinem deutschen Erbe. Leider verstarb Steve ein paar Wochen nach der Fertigstellung der Endfassung dieses Buches, und Insoo Kim Berg, seine Ehefrau und enge Arbeitspartnerin, verschied ein knappes Jahr nach der Veröffentlichung des Werkes in den USA.

Seit den späten 1970er Jahren widmeten sich Steve de Shazer und Insoo Kim Berg fast 30 Jahre lang der Aufgabe, den therapeutischen Ansatz zu entwickeln und konsequent zu verfeinern, der schließlich zu der international anerkannten Solution Focused Brief Therapy (SFBT/SFT)1 wurde. So wie sich durch die Begegnung mit Steve und Insoo das Leben vieler Menschen veränderte, veränderte sich auch mein Leben. Unsere Freundschaft umspannte 20 Jahre und mehrere Kontinente.

Wir begegneten uns zum ersten Mal Mitte der 1980er Jahre, als ich ihr Brief Family Therapy Center (BFTC) in Milwaukee, Wisconsin, besuchte. Von der Ambulanz des BFTC aus wurde ich in einen höhlenartigen Beobachtungsraum geführt, in dem eine große Menschengruppe saß und in gebannter Faszination zuschaute, wie eine zierliche Koreanerin mit kurzem, dunklem Haar und funkelnden Augen auf sanfte, fürsorgliche Weise hinter dem Einwegspiegel ein Therapiegespräch mit einer ungepflegten Multiproblem-Familie führte. Die Frau war Insoo Kim Berg, und sie strahlte eine unerschütterliche Achtung vor der Kompetenz, den Ressourcen und der Fähigkeit zur Selbsterkenntnis bei jedem einzelnen Familienmitglied und einen unerschütterlichen Glauben daran aus.

Ich erinnere mich, dass ich damals dachte: »Auch wenn ich mein ganzes Leben lang dafür brauche – ich möchte so therapieren lernen, wie sie das tut.« Rückblickend zeigt sich, dass ich mit diesem Zeitrahmen vielleicht gar nicht so sehr danebenlag. Als ich zwei Jahrzehnte später mit Steve in seinem letzten Lebensjahr an diesem Buch arbeitete, vertraute er mir gut gelaunt an, dass er einen großen Teil seiner Laufbahn darauf verwendet habe, alles präzise zu benennen und schriftlich festzuhalten, was Insoo tat, wenn sie lösungsfokussierte Therapien durchführte!

Steve de Shazer veröffentlichte neben zahlreichen Buchkapiteln und Artikeln fünf bahnbrechende Bücher, die bislang in 14 Sprachen übersetzt worden sind. Er war Mitbegründer des Milwaukee Brief Family Therapy Center, dessen Leitung er 1978 bis 1989 innehatte und an dem er die letzten 16 Jahre seines Lebens als Senior Research Associate wirkte.

Obwohl ich Steve de Shazer und Insoo Kim Berg über 20 Jahre lang bei ihrer Arbeit beobachtet habe, war es immer wieder eine aufschlussreiche Erfahrung, sie im Gespräch mit Klienten zu erleben. Beide gingen sehr ungezwungen mit Phasen des Schweigens um und konnten diese therapeutisch äußerst geschickt nutzen; sie betrachteten Veränderungsprozesse als einen unvermeidlichen und dynamischen Teil des Alltagslebens und wussten, dass Lösungen nicht zwangsläufig mit den Problemen zusammenhängen, die sie beseitigen.

Die lösungsfokussierte Kurztherapie ist bekanntlich zwar auf die Zukunft gerichtet und bewegt sich absichtlich an der Oberfläche des Problems, aber die Antworten der Klienten auf Kim Bergs oder de Shazers lösungsfokussierte Fragen konnten zu einer äußerst detaillierten, sehr spezifisch fokussierten Art von Lebensrückblick führen, in dem Klient und Therapeut peinlich genau die gesamte Bandbreite der Erfahrungen des Klienten durchkämmten, um zentrale Ausnahmen (d. h. Zeiten, in denen das Problem nicht vorhanden oder weniger ausgeprägt war) sowie für die Lösungsentwicklung relevante Ressourcen aufzustöbern bzw. zu benennen.

Das vielleicht bedeutsamste Moment ist das, dass Kim Berg und de Shazer Sitzung für Sitzung konsequent etwas vollbrachten, das leicht gesagt, aber oft sehr schwer umzusetzen ist: Sie zeigten großen Respekt vor den Klienten und motivierten sie leidenschaftlich zum Hoffen, und dabei gingen sie präzise, wirksam und kraftvoll mit der Sprache um. Und sie schafften es, der therapeutischen Arbeit den Anschein von Leichtigkeit zu geben.

Steve de Shazers Kommunikationsstil kann man wegen seiner präzis-knappen und sorgfältigen Wortwahl durchaus minimalistisch nennen. Doch ich würde die Aufmerksamkeit, Andacht und Fokussiertheit, mit der er seinen Klienten zuhörte, anders bezeichnen: als wertschätzende Beobachtung. Er ging nicht nur davon aus, dass Klienten ihr Bestes geben, sondern er tat etwas viel Schwierigeres und weitaus Respektvolleres: Er unterließ es ganz bewusst, auf der Basis von Annahmen menschliches Verhalten willkürlich zu interpretieren bzw. auf der Basis von Interpretationen Annahmen zu formulieren.

Über dieses Buch

Sowohl Steve als auch Insoo hatten erkannt, dass der Ansatz der lösungsfokussierten Kurztherapie, den sie mit ihren Kollegen und Kolleginnen am Brief Family Therapy Center ins Leben gerufen und entwickelt haben, einer Aktualisierung und weiteren Klarstellung bedurfte. Von der Tatsache, dass Steve an einer unheilbaren Krankheit litt, als wir die Arbeit an diesem Buch aufnahmen, ging für alle Beteiligten ein Hauch von Dringlichkeit und bittersüßer Schärfe aus. Obwohl Insoo (mit der für sie typischen Bescheidenheit) darauf bestand, auf dem Titelblatt des Buches als Letzte genannt zu werden, spiegelt sich in dem wunderbaren Falltranskript und ihren wertvollen Kommentaren der starke Einfluss, den sie auf den Inhalt des Buches hatte.

Während Steve und ich die gemeinsame Arbeit an diesem Projekt schon im Juli 2003 aufgenommen hatten, bekam das Buch seine jetzige Form erst ein paar Monate später, als einige von uns (Terry Trepper, Eric McCollum, Harry Korman und ich) ihn um ein detailliertes »Update« des lösungsfokussierten Therapieansatzes baten. Als erfahrene lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten wollten wir wissen, wie die bahnbrechenden Gedanken von Steves Lieblingsphilosophen, Ludwig Wittgenstein, mit dem SFBT-Konzept zusammengehen und wie wir in der therapeutischen Praxis diese Ideen bei Klienten, Supervisanden und Studenten produktiv anwenden können. Ganz im Sinne des Modells verfolgten wir ein pragmatisches Ziel: Wir wollten als lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten besser werden.

So verbrachte das Autorenteam Stunden damit, aufgezeichnete Therapiesitzungen anzuschauen und ausgiebig zu besprechen. Da bei solchen Gelegenheiten das Aufzeichnungsgerät lief, konnte ich später einen großen Teil dieser langen Gespräche transkribieren – die als Kommentare zu den Transkripten der einzelnen Therapiesitzungen und in den einzelnen Kapiteln dieses Buches ihren Niederschlag gefunden haben.

Bei der Lektüre des Buches werden Sie vielleicht feststellen, dass sich unsere Äußerungen (d. h. die der Autoren und Autorinnen) gelegentlich überschneiden, wie das in echten Gesprächen der Fall ist. Statt stilistische Unterschiede zu nivellieren, haben wir es absichtlich bei den originalen »Stimmen« belassen, damit unsere vielfältigen persönlichen Kommunikationsstile so deutlich werden wie in einem echten Seminar – was sich in der Kürze einiger und der relativen Länge anderer Kapitel, im Ton einzelner Abschnitte und natürlich in der Wortwahl widerspiegelt.

Wer schon einmal an einem unserer Workshops teilgenommen hat, wird in diesem Buch Steve de Shazers weithin bekannte knapp und elegant formulierte Sätze und seinen kernigen Humor wieder erkennen. Man »hört« auch Insoo Kim Bergs Warmherzigkeit, ihre besondere Beobachtungsgabe und ihren respektvollen Optimismus, Harry Kormans intellektuelle Neugier, Yvonne Dolans Sachlichkeit, Terry Treppers visionäre Kraft und Eric McCollums kritisches Denken.

Und nun dürfen wir Sie einladen, sich zu setzen und uns durch dieses ungewöhnliche und spannende »Seminar« über den neuesten Stand der lösungsfokussierten Kurztherapie und ihr besonderes Verhältnis zu Wittgensteins Philosophie zu begleiten. Auf den folgenden Seiten werden Sie an erstaunlichen psychotherapeutischen Sitzungen teilnehmen, den Kommentaren der Autoren und Autorinnen lauschen und gelegentlich auch ein paar Worte des Philosophen selbst vernehmen.

Bleibt noch, Ihnen unsere »Clique« vorzustellen, deren Mitglieder seit langen Jahren befreundet sind und kollegial zusammenarbeiten. Der bärtige Mann, der einen irischen Fischerpullover trägt und ein bisschen wie Sean Connery aussieht, ist Steve de Shazer. Die anmutige, kleine Frau, die eine rote Jacke trägt und ruhig und gelassen in dem großen Ledersessel sitzt, ist Insoo Kim Berg, international gefeierte Ausbilderin, Dozentin und Autorin zahlreicher Bücher und Zeitschriftenartikel zum Thema lösungsorientierte Kurztherapie. Neben ihr sitzen Eric McCollum, der an der Virginia Tech in Falls Church im US-amerikanischen Bundesstaat Virginia lehrt, und Terry Trepper, Leiter des Family Studies Program an der Purdue University im Bundesstaat Indiana. Die Person, mit der wir über den Computer in der Ecke verbunden sind und per Internet »sprechen« können, ist Harry Korman, der als Arzt, Kinderpsychiater, Ausbilder und Supervisor nach dem Modell der lösungsfokussierten Kurztherapie arbeitet und besonders daran interessiert ist, mit welcher Art von Publikationen die SFTB leichter erlernbar gemacht werden kann.

Und nun, wie Steve de Shazer zum Auftakt eines neuen Projekts immer zu sagen pflegte: »Viel Spaß!«

Yvonne DolanChicago, Januar 2008

1 Im deutschsprachigen Raum wird die SFBT als lösungsfokussierte bzw. lösungsorientierte Kurztherapie bezeichnet, wobei Steve de Shazer die erste Bezeichnung präferierte und Insoo Kim Berg die zweite. In der Schweiz hat sich der Begriff lösungsorientierter Ansatz durchgesetzt. Um den Anschluss an die internationale Entwicklung zu gewährleisten, wird in diesem Buch die gängige Abkürzung SFBT verwendet.

1. Ein kurzer Überblick

Die lösungsfokussierte Kurztherapie ist ein auf die Zukunft gerichtetes und von Zielen geleitetes Herangehen an die Kurztherapie und wurde Anfang der 1980er Jahre von Insoo Kim Berg, Steve de Shazer und ihren Kollegen gemeinsam mit Klienten am Milwaukee Brief Family Therapy Center entwickelt. Da die SFBT eher durch Induktion als durch Deduktion entstanden ist, folgt sie einem höchst disziplinierten, pragmatischen und weniger einem theoretischen Ansatz (Berg u. Miller 2007; Berg u. Reuss 1999; de Shazer 1995, 1996, 2006a, 2006b). Die Entwickler dieser Therapiemethode haben im Laufe der Jahre hunderte von Therapiestunden beobachtet und dabei sorgfältig die Fragen, Verhaltensweisen und Emotionen festgehalten, die Klienten dazu bewegten, machbare und dem realen Leben angemessene Lösungen zu entwerfen und zu realisieren.

Die Fragen, die sich am durchgängigsten mit den von den Klienten angegebenen Fortschritten und Lösungen in einen Zusammenhang bringen ließen, wurden sorgfältig notiert und gewissenhaft in das lösungsfokussierte Konzept integriert, wohingegen solche Fragen, die dieses Kriterium nicht erfüllten, bewusst verworfen wurden. Der Ansatz der lösungsfokussierten Kurztherapie hat sich seit dieser Zeit zu einer der weltweit führenden Methoden der Kurztherapie entwickelt und ist in den unterschiedlichsten wirtschaftlichen, sozial- und bildungspolitischen Bereichen zu einem enormen Einflussfaktor geworden.

1.1 Die wesentlichen Lehrsätze der lösungsfokussierten Kurztherapie

Das Konzept der SFBT basiert nicht auf einer bestimmten Theorie, sondern hat sich auf einer ganz pragmatischen Ebene entwickelt. Es hat seine Wurzeln deutlich erkennbar in den frühen Forschungen des Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto in Kalifornien und in der Arbeit von Milton H. Erickson, in der Philosophie von Ludwig Wittgenstein und im buddhistischen Denken. Mehrere Lehrsätze dienen als Leitlinien für die Praxis der SFBT und geben diesem Ansatz sowohl Inhalt als auch Gepräge.

Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren. Das ist der allumfassende Lehrsatz der lösungsfokussierten Kurztherapie. Auf Interventionen zielende Hypothesen, Modelle und Philosophien sind irrelevant, wenn der Klient sein Problem bereits gelöst hat. Nichts würde absurder wirken, als in einer Situation zu intervenieren, die schon bereinigt ist. Dies scheint zwar eine fast banale Erkenntnis zu sein – dennoch gibt es einige psychotherapeutische Schulen, die eine Therapie empfehlen, obwohl sich die Lage des Klienten gebessert hat, um z. B. »Wachstum« zu fördern, um »Erreichtes zu konsolidieren« oder um »tiefer liegende Bedeutungen und Strukturen« erkennen zu können. Solchen Begründungen steht das SFBT-Konzept antithetisch gegenüber. Wenn kein Problem vorliegt, sollte auch keine Therapie durchgeführt werden.

Das, was funktioniert, sollte man häufiger tun. Ähnlich dem ersten Lehrsatz folgt auch dieser dem Motto: »Finger weg!« Wenn der Klient im Begriff ist, ein Problem zu lösen, dann sollte es die primäre Aufgabe des Therapeuten sein, den Klienten zur Fortsetzung dessen zu motivieren, was bereits funktioniert. Lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten beurteilen nicht die Qualität der Lösungen eines Klienten, sondern fragen nur, ob eine Lösung effektiv ist. Daraus ergibt sich eine weitere Aufgabe des Therapeuten: dass er nämlich dem Klienten hilft, gewünschte Veränderungen zu festigen. Dies gelingt dadurch, dass der Therapeut genau eruiert, wie Klienten sich verhalten oder reagieren, wenn es ihnen gerade besser geht. Nachdem deutlich geworden ist, was funktioniert, kann der Klient seinen Erfolg reproduzieren, und die Lösung kann sich weiter entfalten.

Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren. Der dritte Lehrsatz dieser Art lautet: Auch wenn eine Lösung einem noch so gut erscheinen mag – wenn sie nicht funktioniert, ist sie keine Lösung. Der Mensch hat von Natur aus die eigenartige Tendenz, Probleme immer wieder so anzupacken, dass er die gleichen Dinge wiederholt, die in der Vergangenheit schon nicht funktioniert haben. Dies trifft insbesondere im psychotherapeutischen Umfeld zu, wo viele Theorien nahe legen, dass es am Klienten liegt und nicht an der Therapie oder Theorie, wenn es ihm nicht besser geht (er also das Problem nicht löst). Nach dem Konzept der lösungsfokussierten Kurztherapie ist es dagegen so: Wenn der Klient einen Hausaufgabenvorschlag oder ein Experiment nicht umsetzt, lässt man die Aufgabe fallen und schlägt stattdessen etwas anderes vor.

Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen. Die lösungsfokussierte Kurztherapie kann als minimalistisches Vorgehen verstanden werden, bei dem die Konstruktion der Lösung meistens in mehreren kleinen, machbaren Schritten erfolgt. Die Annahme ist hier folgende: Sobald eine kleine Veränderung vorgenommen worden ist, führt dies zu einer Reihe weiterer Veränderungen, was dann wiederum andere Veränderungen nach sich zieht, und dies mündet allmählich ohne großen Bruch in eine viel umfassendere Veränderung des Systems. Folglich tragen kleine Schritte in der Verbesserung der Situation dazu bei, dass sich der Klient langsam und elegant dem Ziel, also den gewünschten Veränderungen im Alltagsleben, annähert und anschließend in der Lage ist, seine Situation als »besser genug« zu beschreiben, sodass die Therapie beendet werden kann.

Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen. Während man bei fast allen anderen auf Veränderung abzielenden Therapieansätzen nach der Abfolge »Problem führt zur Lösung« vorgeht, werden in der SFBT dadurch Lösungen entwickelt, dass der Klient zuerst beschreibt, was anders sein wird, wenn das Problem gelöst ist. Danach arbeiten Therapeut und Klient mit rückwärts gewandtem Blick, um das beschriebene Ziel zu erreichen. Das heißt, sie durchsuchen die Erfahrungen des Klienten im wirklichen Leben sorgfältig und gründlich, um solche Zeiten zu identifizieren, in denen Teile der von ihm gewünschten Lösung bereits existiert haben oder in der Zukunft möglicherweise existieren werden. Dieses Vorgehen entspricht einem Therapiemodell, in dem sehr wenig oder überhaupt keine Zeit darauf verwendet wird, den Ursprung oder das Wesen des Problems zu ergründen, die Pathologie des Klienten zu eruieren oder dysfunktionale Interaktionen zu analysieren. Zwar können solche Faktoren interessant sein und sich vielleicht auch auf das Verhalten des Klienten auswirken, doch in der SFBT fokussiert man fast ausschließlich auf die Gegenwart und Zukunft. Vor diesem Hintergrund stellt das SFBT-Konzept im Vergleich zu anderen psychotherapeutischen Modellen einen wahren Paradigmenwechsel dar.

Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zur Problembeschreibung notwendig ist. Die Sprache, in der Probleme formuliert werden, ist tendenziell eine völlig andere als die, in der Lösungen formuliert werden. Ludwig Wittgenstein wendet das so: »Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen« (T, 6.43). Das Sprechen über Probleme ist im Allgemeinen negativ gefärbt und auf die Vergangenheit gerichtet (um den Ursprung des Problems zu beschreiben), und häufig suggeriert es das Fortbestehen eines Problems. Dagegen ist die Sprache, in der Lösungen formuliert werden, im Allgemeinen eher positiv gefärbt, erwartungsvoll und auf die Zukunft gerichtet, und sie deutet auf die Vergänglichkeit von Problemen hin.

Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können. Dieser Lehrsatz ergibt sich aus der Vorstellung, dass Probleme vergänglich sind, und liegt der wichtigsten Interventionsart zugrunde, die in der lösungsfokussierten Kurztherapie durchgängig Anwendung findet. Gemeint ist, dass Menschen bei ihren Problemen immer Ausnahmen erleben, auch wenn es nur kleine sind, und dass diese Ausnahmen genutzt werden können, um kleine Veränderungen vorzunehmen.

Die Zukunft ist sowohl etwas Geschaffenes als auch etwas Verhandelbares. Dieser Lehrsatz bietet für die Praxis der lösungsfokussierten Kurztherapie ein solides Fundament. Der Mensch wird nicht als Gefangener seiner Verhaltensweisen betrachtet, die mit seiner Lebensgeschichte, Schichtzugehörigkeit oder einer psychologischen Diagnose zusammenhängen. Dieser Grundsatz stützt sich auf den sozialen Konstruktionismus und verweist darauf, dass die Zukunft ein Ort der Hoffnung ist, an dem die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Das Konzept der SFBT hat seine Wurzeln in den systemtheoretisch basierten Familientherapien der 1950er und 1960er Jahre und in der Arbeit von Milton H. Erickson (Haley 1999). Sowohl Insoo Kim Berg als auch Steve de Shazer waren eng mit dem Mental Research Institute (MRI) im kalifornischen Palo Alto verbunden. Während sich die Forschungsgruppe am MRI in erster Linie auf die Problementwicklung und Problemauflösung konzentrierte (Watzlawick, Weakland u. Fisch 2001), begann man am Brief Family Therapy Center in Milwaukee, Lösungen zu explorieren. Aus mehreren Gründen kann das derzeitige Konzept der SFBT als systemische Therapie klassifiziert werden.

Erstens befassen sich nach der SFBT arbeitende Therapeuten üblicherweise mit Systemen, weil nämlich neben Einzelpersonen ebenso Paare und Familien zur Behandlung kommen. Sie treffen ihre Entscheidung darüber, wen sie in das Behandlungszimmer bitten, nach dem Kriterium, wer zur Therapiesitzung auftaucht; denn wer immer mit dem Klienten in die Praxis kommt, wird zur Therapiesitzung eingeladen.

Zweitens werden in der SFBT Lösungen exploriert, die interaktionaler Art sind, d. h., dass die Probleme der Klienten und die Ausnahmen ihrer Probleme auch andere Menschen betreffen, und dazu zählen sehr oft die Angehörigen, Arbeitskollegen oder Lebenspartner und Freunde der Klienten.

Drittens ist es in der SFBT so, dass dem Eintritt kleiner Veränderungen häufig größere Veränderungen folgen, und diese weiter reichenden Veränderungen sind meistens interaktionaler und systembezogener Natur.

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