Kitabı oku: «Sperrgebiet!», sayfa 4

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DREIZEHN

Die Farben der Heide begannen der Jahreszeit entsprechend zu leuchten und zwischen sanft blühenden Sträuchern, lagen eingebettet, Flächen aus zartem, grünem Moos. Weich und nur wenige Zentimeter hoch. Aus der Ferne sah alles aus wie immer. Eine Rotte Wildschweine stöberte durch die Region und machte bei jeder sich bietenden Gelegenheit Halt, in der Hoffnung etwas Fressbares zu finden. Seit einer ganzen Weile verharrten die Tiere. Aufgeregt tauchten sie ihre Nasen ab und trüffelten an einem offenbar größeren Fund. Erst das Rascheln im Unterholz und menschliche Stimmen ließen sie aufschrecken und fluchtartig fortrennen. Der Blick auf ihre Beute wurde frei.

Wie aufgebahrt lag eine Frau jetzt unübersehbar auf der Anhöhe mitten in dem ansonsten mehr oder weniger flachen Gelände. Mit toten Augen starrte sie in den abendlichen Himmel. Ihre Arme lagen eng neben dem Körper und waren ab den Ellenbogen angewinkelt und auf der Mitte des Bauches zu betenden Händen zusammengeführt. Ihr, für dieses noch frühe Stadium des Frühlings definitiv zu sommerliche Kleid, war bis zur Hüfte hochgeschoben. Die langen, schlanken Beine waren gespreizt und ließen von vorne einen Blick auf ihre blank rasierte Scham zu. Im direkten Vergleich mit den kräftigen Farbtönen der sprießenden Natur wirkte ihre Hautfarbe weiß und wie aus Wachs.

Ein junges Paar hatte die Leiche gefunden, als die beiden, um ungestört zu sein, sich ein lauschiges Plätzchen in der Wahner Heide gesucht hatten. Zwar hatten sie die offiziellen Wege entgegen der Warnungen an einigen Stellen verlassen, waren dann aber letztendlich über einen Wanderpfad auf dem kleinen Plateau gelandet, das sie für genau den richtigen Ort hielten. Sie wollten dort bei einer Flasche billigem Sekt einen schönen Abend verbringen, die wunderbare Aussicht genießen und wohl ihre jungen, trainierten Körper gemeinsam und gegenseitig erkunden. Durchaus nachvollziehbar, wenn man sie so in ihrer jugendlichen Schönheit sah. Als sie voller Vorfreude und Aufregung die kleine Anhöhe erreicht hatten, stießen sie unvermittelt auf die Tote. Sie lag plötzlich vor ihnen und war für beide die erste Begegnung mit dem Tod. Ohne Vorwarnung. Das Mädchen wurde beim Anblick der Leiche von derart heftigen Magenkrämpfen befallen, dass sie niederging und nicht mehr in der Lage war, zu handeln. Sie kniete auf dem Boden und übergab sich, während sie bei jedem Würgen einen yogamäßigen Katzenbuckel machte. Der junge Mann war schnell wieder einigermaßen neutralisiert, hielt seiner Begleitung die langen Haare beim Spucken zurück und bettete sie nach ihrer Übelkeitsattacke fürsorglich in stabiler Seitenlage auf dem weichen Boden. Durch diese Position war ihr Blick von der Toten abgewandt und daran würde sie freiwillig garantiert auch nichts mehr ändern. Das sprachen jedenfalls ihre weit aufgerissenen Augen. Erst als es ihr scheinbar ein wenig besser ging, wählte ihr Freund die 110 und verständigte mit präzisen Angaben die Polizei, die sich gleich mit drei Einsatzfahrzeugen, einer zivilen Streife und zwei Notarztwagen auf den Weg machte und einen polizeilichen Großalarm auslöste.

„Wir sind arglos auf sie zugegangen. Meine Freundin wunderte sich, weil die Frau auf dem Boden lag und schon so sommerlich gekleidet war.“ Er strich sich über seine Arme, als friere ihn bei den Gedanken daran. „‚Die holt sich noch den Tod‘, hat sie gesagt!“, berichtete der junge Mann, als die Polizei eintraf und erste Informationen von ihm erfragte. Er stand starr vor den Beamten, als würde er das Geschehene selbst verantworten müssen. Um ihn nicht unnötig zu strapazieren, notierte man seine Daten und entließ ihn aus der ersten Befragung in die Obhut der Sanitäter. Auch damit er in der Nähe seiner Freundin sein konnte. Die Polizei hielt ihn nicht für den Mörder und widmete sich den Untersuchungen vor Ort.

Momentan und erst recht im Verlauf des Abends würden sie künstliches Licht benötigen, um den Fundort auszuleuchten und nach Spuren zu suchen. Zur Verstärkung alarmierte die Organisationseinheit das Technische Hilfswerk. Erschwerte Arbeitsbedingungen verursachte zusätzlich das nicht überall zugängliche Gelände und die Tatsache, dass die Einsatzfahrzeuge rund 250 m zuvor stoppen und sich alle auf einen mühsamen Fußmarsch einstellen mussten. An der Weiterfahrt wurden sie von einem Wassergraben und wild wuchernden Brombeersträuchern gehindert. Ob die militärischen Rückstände zusätzliche Probleme bereiten konnten, wusste zur Zeit niemand. Aber alle hofften, nicht auf eine vergessene Mine zu treten oder plötzlich eine Handgranate im Spurensicherungsbeutel zu haben, weil man sie für einen Scherzartikel, das Mordinstrument oder gleich beides hielt.

Zunächst waren neben den Streifenbeamten nur Kollegen des Kriminaldauerdienstes vor Ort. Und mit etwas Verzögerung Labonte und Kurani aus unserem Dezernat. Sie verschafften sich einen ersten Überblick, machten Fotos und betrachteten mit ernstem Gesichtsausdruck die Leiche. Der Gerichtsmediziner erreichte mit seinem schweren Equipment keuchend zehn Minuten später den Fundort und schlüpfte etwas umständlich in seinen weißen Overall, bevor er die Kapuze überzog und sich der Toten näherte. In einer ersten, oberflächlichen Untersuchung bestätigte Carlo Seitz, so hieß der Experte, dann nicht überraschend ihren Tod und diagnostizierte fortgeschrittene Anzeichen der Verwesung. Spätestens, als er die Leiche umgedreht hatte, war dies, auch ohne ein Spezialist zu sein, erkennbar. Mehr oder weniger alle drehten sich reflexartig weg, als der offene Rücken sichtbar wurde und hunderte Maden in ihm wuselten.

„Es ist definitiv nicht der Tatort. Das Territorium unter ihr weist nur geringe Körperabdrücke und wenige Rückstände des aus ihrem Leib austretenden Leichenwassers auf. Das heißt, sie liegt nicht so lange hier, wie sie tot ist.“ Er erklärte noch weiter: „Wir müssen den Boden trotzdem abtragen. Hier sind sicherlich Larven der Insekten abgelegt, die sich gerade über ihre Rückseite hermachen. Damit lässt sich der Zeitpunkt des Todes dann genauer bestimmen.“ Das wollte nun wirklich niemand so genau hören. Plötzlich hatte jeder irgendetwas Wichtiges zu tun und einen guten Grund dafür parat, die Fundstelle zumindest für die Dauer der Leichenanschauung zu verlassen.

Das Gebiet wurde weiträumig abgesperrt. Die geschockten jungen Leute waren inzwischen erstuntersucht und ins Krankenhaus nach Troisdorf gebracht worden. Beide. Vorsorglich. Um sie nicht den unberechenbaren Risiken und Folgen eines schweren Schocks auszusetzen. Ein Streifenwagen fuhr zu den Eltern des Mädchens, um sie über ihren Aufenthaltsort und das Vorgefallene zu informieren. Sie war erst 17, so dass das Gesetz es vorsah, Minderjährige in die Obhut ihrer Erziehungsberechtigten zu bringen oder aber diese über die Situation zu unterrichten. Die verbleibenden Ermittler und Polizisten kamen zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Andreas richtete sich mit seinem Appell an alle Anwesenden: „Wir werden, wenn es sein muss, die ganze Nacht hierbleiben und nach Spuren suchen. Notfalls drehen wir jeden Stein um und fotografieren alle Grashalme. Noch so unscheinbare Hinweise sind wichtig. Auch wenn sie unspektakulär und weit weg von der Sache erscheinen. Betrachtet jedes Teil als wäre es unser wichtigstes Beweisstück und fügt alles zu einem Puzzle zusammen.“ Er machte eine Pause, damit sich sein Vortrag bei den Zuhörern verankern konnte und nicht sofort in der Kammer des Vergessens landete. „Und wir suchen ihre Handtasche. Vielleicht hatte sie ja doch ihre Papiere bei sich. Dann wüssten wir sicher, dass es Lena Grimm ist. Oder eben nicht.“

Er klatschte aufmunternd in die Hände: „Kommt Leute, bleibt hellwach und gebt alles!“

Nachdem das THW und eine kleine Einheit der Feuerwehr für Licht gesorgt hatten, wies Frank Labonte die Beamten an, vor Ort zu bleiben und den Tatort großräumiger zugänglich zu machen. Er hoffte, persönliche Dinge und vor allem das Handy der Frau zu finden. In ihrem Auto hatte es jedenfalls nicht gelegen und in der Wohnung, soweit die beiden Beamten das gecheckt hatten, auch nicht. Alle Spuren, die noch da waren, sollten so gut wie möglich erhalten bleiben und, in kleinen Plastiktüten gesichert, den Weg ins Präsidium finden. Das anfangs wuselige und ameisenähnliche Treiben rund um den Fundort wirkte inzwischen kontrollierter. Trotzdem war es schwer, die in weiße Overalls gehüllten Ermittler auseinanderzuhalten, obwohl jeder von ihnen auf der Rückseite seiner Zuordnung entsprechend „GERICHTSMEDIZIN“ oder „POLIZEI“ stehen hatte. Irgendwie sahen doch alle gleich aus. Einzig die Beamten in Zivil, die, um nicht versehentlich in einem Kugelhagel zu enden, weil man sie für den gesuchten Verbrecher hielt, trugen neongelbe Warnwesten und umrahmten das abgesteckte Territorium. Auch auf ihrer Kleidung stand in silbernen Leuchtlettern „POLIZEI“. Am nächsten Morgen sollten weitere 50 angehende Beamte einer Hundertschaft der Polizeischule Brühl hinzugerufen werden, die in einer eng geführten Reihe in kleinen Schritten und mit sogenannten Taststangen und Sonden den Boden nach Gegenständen absuchen sollten, die heute übersehen oder nicht gefunden wurden. Allem voran, suchte man nach möglichen Besitztümern des Opfers. Bestenfalls fand man welche des Täters.

VIERZEHN

Nach dem langen Warten der letzten Wochen wollte er den Erfolg sehen, fühlen und genießen. Ihn hautnah miterleben. Er hatte über eine Sonderfrequenz den Polizeifunk abgehört, sich in Tarnkleidung aus einer anderen Richtung an die Fundstelle herangeschlichen und hockte nun schon eine ganze Weile, unsichtbar für alle anderen, auf einem der zahlreichen Hochstände mitten in der Wahner Heide. Auch mit dem Wissen um die Gefahr, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen entdeckt zu werden, hatte er nicht widerstehen können. Mit einem breiten Grinsen beobachtete er nun durch sein Nachtsichtfernrohr das stille Geschehen. Schon vor Jahren hatte er sich nach einer Einladung zur Treibjagd im Bergischen Land eine komplette Jagdausrüstung mit allem Pipapo zugelegt und sie dann doch nie benutzt. Endlich kam sie zum Einsatz. Und, wie er fand, noch nicht einmal zweckentfremdet – Jagd ist Jagd. Sein Standort war etwa 500 Meter entfernt von dem ausgeleuchteten Fundort. Aber durch das hervorragende Equipment hatte er auch über die große Distanz eine perfekte Sicht. Niemand sprach – jeder war mit sich selber und der Leiche beschäftigt. Sie schauten vergeblich nach einem Hinweis auf ihre Todesursache. Die Regionen ihres Körpers, die sie nach Merkmalen äußerlicher Gewalt absuchten, waren jedenfalls meilenweit entfernt von dem Punkt, der ihren Tod ausgemacht hatte. Da würde ihnen auch der Blick ins Innere der Leiche später in der Gerichtsmedizin nichts nutzen. Er schaute nach oben und dankte Gott. Für diesen besonderen Moment seiner Genialität.

FÜNFZEHN

Ich war gerade im Büro angekommen und wunderte mich, dass noch niemand da war, als Frank mich wie auf ein Stichwort anrief. Vorwurfsvoll fragte er mich: „Schaust Du eigentlich auch mal auf Dein Handy?“ Obwohl ich alleine war, errötete ich voller Scham, als ich die vielen Nachrichten des gestrigen Abends auf meinem Display entdeckte. Gerade als ich zur Entschuldigung ansetzen und losstottern wollte, ging er zur Normalität über und berichtete von dem, was ich verpasst hatte:

„Sie hat zwar keine Papiere dabei, aber wir gehen davon aus, dass die Tote Lena Grimm ist. Ich schick‘ Dir ein paar Fotos zum Abgleich.“ Er war aufgewühlt und hatte, wie die anderen auch, die Nacht draußen vor Ort verbracht, um keine Spur zu verlieren. „Und Du musst irgendwie versuchen, an die strategischen Pläne der belgischen Streitkräfte zu kommen, damit wir sehen können, wo die Gefahren ihrer militärischen Hinterlassenschaften lauern und wie groß das Risiko ist, abseits der gekennzeichneten Wege versehentlich Selbstmord zu begehen oder sogar ein Gemetzel anzurichten.“

Das passte zu dem Bußgeld, das man trotz aller Dramatik dem jungen Paar aufbrummte, das die tote Frau gefunden hatte, weil sie sich eben nicht an das Wegegebot gehalten und mutwillig das Sperrgebiet betreten hatten. „Grobe Gefährdung des eigenen Lebens und das anderer“, hieß es im Bescheid, den die Kollegen vor Ort ausstellten und mit 80 Euro Strafgeld versahen. Als ich den Vermerk darüber in der elektronischen Datenbank gesehen hatte, empfand ich es als äußerst kleinkariert, Menschen in einer derartigen Situation auch noch eine solche Strafe zu verpassen. Aber jetzt, wo ich etwas über die Konsequenzen gehört hatte, konnte ich es durchaus nachvollziehen.

„Wir sehen uns später Sara“, hörte ich Frank sagen, gerade als ich mich über den Bußgeldbescheid noch einmal mit ihm austauschen wollte. Da hatte er aber längst aufgelegt. Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich auf die Kante meines Schreibtischs, um dort aus dem Fenster starrend meine Gedanken und die daraus wachsenden Aufgaben zu sortieren. Die Vermutung, dass die Tote keine Papiere mit sich geführt hatte, teilte ich nicht unbedingt. Sicher war nur, dass keine gefunden worden waren. Keine Handtasche – keine Papiere. Also beschloss ich, an diesem Punkt anzusetzen und mich ansonsten hier im Präsidium einigermaßen nützlich zu machen.

„Wann werdet ihr zurück sein?“, fragte ich Frank in einem erneuten Anruf.

„Gegen 11.00 Uhr“, blieb er knapp.

„Okay, dann bis nachher.“ Ich lief die fünf Etagen durch das Treppenhaus nach unten in die noch leere Kantine und suchte vergeblich Personal. Immer dem Klappern nach, dachte ich und konnte mich durch lautes Klopfen an der Küchentüre bemerkbar machen.

„Hallo, guten Morgen!“, rief ich ins Innere der Verpflegungszentrale. Hektisch ging es dort zu und der Ton war auch gewöhnungsbedürftig.

„Was wollen Sie?“, war noch das Freundlichste, das ich wahrnahm.

„Könnte ich bei Ihnen zwanzig belegte Brötchen bestellen? Ich würde sie in ca. einer Stunde abholen kommen.“

„Glaubst Du eigentlich, wir hätten Zeit zu viel?“, fragte mich die deutlich genervte Küchenchefin. Oder war es ein Küchenchef? Da steckte wohl ein Kerl in einer wohlgeformten Hülle und war unzufrieden, nicht er und nicht sie zu sein. Wie dem auch sei. Ich blieb bei meinem Anliegen und wiederholte die Frage.

„Oder soll ich sie lieber drüben in der Bäckerei Mauel holen?“, legte ich nach. Ich hatte schließlich meinen Kollegen gegenüber etwas gutzumachen und wollte, egal wie und woher, ein versöhnliches Frühstück vorbereiten. Dass ich die gestrigen Nachrichten nicht mehr gelesen hatte, war mir nämlich echt peinlich.

„Nein. Ist schon in Ordnung. Wenn Du kurz vor 11.00 Uhr wieder hier bist, werden sie fertig sein.“ Was für ein Wandel.

„Das ist super. Vielen Dank. Soll ich auch schon bezahlen?“

„Gerne erst, wenn Du alles abholst. Möchtest Du auch Kaffee dazu? Ich kann Dir Literkannen anbieten.“

„Das ist ja perfekt. Dann nehme ich drei Liter Kaffee dazu.“

„Okay. Bis nachher.“

Etwas langsamer als vorhin auf dem Weg nach unten, begab ich mich nun wieder zurück in die 5. Etage und setzte mich an den Rechner, in der Hoffnung, eine zündende Idee zu entwickeln, die uns weiterbrachte. Es vergingen Minuten, in denen ich nichts weiter tat, als meinen Bildschirm nonverbal anzuflehen, mir endlich ein Zeichen zu geben. Nichts geschah. Lange nichts. Ich glaube, es gehört zur Polizeiarbeit dazu, genau das auszuhalten. Dass eben manchmal über mehrere Tage oder gar Wochen nichts passiert und im nächsten Augenblick ein bahnbrechender Hinweis zum Durchbruch verhilft, ist Alltag der Polizei und sagt null über die Quantität der Arbeit aus. Noch viel weniger über deren Qualität. Also starrte ich weiter, bis mich mein Telefon aus dem Blicken ins Leere riss.

Es war Tomas Weber, der mir ankündigte in zwei Minuten bei mir zu sein, um mir seinen Bericht zu dem Mini zu bringen.

„Aber den wollte ich doch abholen kommen“, meinte ich noch, um ihm den Weg zu ersparen und etwas Abwechslung zu haben.

„Ich dachte, ich spare Dir den Weg in die finstere Spurensicherung.“ An seinem Lachen hörte ich, dass er das nicht ganz ernst meinte, obwohl die Räumlichkeiten tatsächlich im dunklen Keller des Gebäudes lagen. Trotzdem schob er nach: „Ich brauch einfach etwas Bewegung. Bis nachher.“

Aus dem Bericht ergab sich leider keine Neuigkeit. Die Informationen waren äußerst spärlich und brachten uns für den Moment nicht sehr viel weiter. Fundort und Datum kannten wir, und dass sich ihr Gepäck im Wagen befunden hatte, war uns ebenfalls nicht neu. Andere Fingerabdrücke als die von Lena Grimm gab es nicht. Tomas wirkte frustriert darüber – er hatte sich, wie ich auch, mehr davon versprochen. Viel mehr. Ein gemeinsamer Austausch darüber wurde unterbrochen, weil mein Handy erneut klingelte. Tomas rief mir noch ein paar Worte zu, winkte zum Abschied und verschwand wieder in seinen Spurensicherungskeller.

Das Klingeln meines Handys wurde penetrant und die Küchenchefin plärrte direkt in mein Ohr, als ich das Telefonat annahm:

„Wann gedenkst Du Deine Sachen zu holen, Prinzessin?“

Ich wusste, wenn ich nicht sofort losrannte, würde ein großes Donnerwetter auf mich einprasseln. Ausläufer konnte ich noch wahrnehmen, bevor ich mein Handy, ohne das Gespräch wegzudrücken, in meine Hosentasche steckte und mich auf den Weg machte. So ein Mist. Es war 11.00 Uhr und meine Kollegen würden jeden Augenblick hier sein und ich hatte vergessen, die bestellten Brötchen und den Kaffee abzuholen. Noch schneller als bei meinem ersten Treppen-Run begab ich mich ins Erdgeschoss und stand nur wenige Sekunden nach dem Anruf der Küchenchefin leibhaftig vor ihr, während sie immer noch in ihr Handy schimpfte wie ein Rohrspatz. Vorsichtshalber strahlte ich sie an. Es funktionierte – ich hatte sie besänftigt, bevor sie erneut den Mund aufmachen konnte. Als ich die Platte vor mir sah, wusste ich, warum sie verärgert war. Köstlich aussehend und liebevoll bis ins kleinste Detail dekorierte Brötchenhälften lagen auf einem silbernen Tablett mit weißer Tortenspitze vor mir.

„Wow!!!“, war das Einzige, was ich hervorbrachte. Und ein strahlendes: „Dankeschön.“

„Gern geschehen.“ Sie reichte mir die Hand. „Ich bin Sabrina Michels.“

„Sara Lange.“

„Soll Dir jemand helfen, die Sachen nach oben bringen?“

„Das wäre toll. Was habe ich zu zahlen?“

„Mit dem Kaffee zusammen genau 35 Euro.“

Ich legte ihr 40 Euro auf den Tresen und betrachtete den Rest als Trinkgeld. Eine junge Küchenhilfe trug mit mir alles in unsere Abteilung und half, das Ganze hübsch und wie aus einem Nobelfeinkostladen in unserem Besprechungsraum zu drapieren. Schnell holte ich noch Tassen für den Kaffee, als die Aufzugstüre aufging und Andreas mit den ersten Kollegen das Zimmer enterte und sich sofort und ungefragt über Brötchen und Kaffee hermachte. Die anderen taten es ihm nach. Perfektes Timing.

„Sara, Du bist wirklich ein Schatz.“ Er blickte mich dankbar an und lächelte aus traurigen Augen, die von dunklen Rändern umgeben waren. Frank kam nach 10 Minuten dazu und übergab mir ein paar Unterlagen, die nach Arbeit aussahen. Ich ließ die Gruppe alleine frühstücken und zog mich an meinen, immer noch ruhenden Bildschirm zurück. Bis der Rechner wieder hochgefahren war, blätterte ich mich schon einmal durch die Seiten, die Frank mir in die Hand gedrückt hatte. Die Namen der beiden Zeugen, die die Leiche gefunden hatten, jagte ich durch die Google-Welt. Das Ergebnis war unspektakulär. Ganz normale junge Leute, die keine Geheimnisse vor sich und der Welt hatten. Das zeigte jedenfalls ihre Offenheit in den sozialen Netzwerken.

„Danke für das super Frühstück, Sara. Das hat gutgetan“, stand Frank plötzlich hinter mir und massierte mir den Nacken, bis es hier und da deutlich knackte.

„Ohhhh“, stöhnte ich. „Das tut aber auch gut.“ Ich schloss die Augen und genoss den kurzen Moment der Entspannung. Dabei hätte er sie viel nötiger gehabt.

„Kommst Du klar mit dem, was ich Dir gegeben habe?“, wollte er fürsorglich wissen.

„Klar, komme ich klar.“

„Melde Dich, wenn Du Fragen hast.“ Er verschwand genauso schnell, wie er gekommen war und ging zurück in sein Büro. Wir sahen uns erst zur Mittagspause in der Kantine wieder und besprachen ein paar Punkte. Andreas kam später, als wir schon fertig waren, um Frank abzuholen. Sie würden zum Krankenhaus Troisdorf fahren und die Zeugin Leonie Ohoven befragen. Vorsicht war geboten, das hatte die Ärztin am Telefon bereits angedeutet. Denn das Mädchen war in der Nacht noch auf die Intensivstation verlegt worden, da sich die Vitalwerte aufgrund des Schockzustandes dramatisch verschlechtert hatten und infolgedessen für einen Moment ihr Leben in akute Gefahr geraten war. Da aber auch der Klinik bewusst war, dass wir unsere Fragen so schnell wie möglich stellen mussten, durften die beiden für ein paar Minuten zu ihr. Ich hatte im Präsidium noch einiges zu erledigen und würde von hier aus gegen 17.00 Uhr zum Betriebssport aufbrechen. Aber, eins nach dem anderen. Mit einem großen „Hallo“ brachte ich nach meiner Mittagspause die ratzeputz leer gegessenen Platten zurück in die Küche.

„Vielen Dank noch mal, dass ihr mir so spontan geholfen habt. Und liebe Grüße an die Chefin.“ Sabrina war nirgends zu sehen. Bei nächster Gelegenheit sollte sie eine Flasche Champagner von mir für ihre Unterstützung heute Morgen bekommen.

Eine ganze Kiste davon stand noch in meinem Keller. Auch so eine Hinterlassenschaft meines früheren Vorgesetzten, als ich noch seine gut funktionierende Geliebte war, und er gelegentlich, wenn seine Olle mal wieder auf Golf- oder Schönheitsreise war, bei mir vorbeschneite. Champagner musste immer im Haus sein, wenn sich der gnädige Herr in meinen Laken räkelte. Die Nacht verbrachte er dann nur in meinem Bett, weil er meist nach einem, ausschließlich zu seinen Gunsten verlaufenden, Quickie und ein paar Gläsern zu viel noch auf mir einschlief und fahruntüchtig war. Ich sollte nicht mehr darüber nachdenken – es war vorbei und wühlte mich nur auf. Am besten würde ich Sabrina die ganze Kiste schenken und den Blick nach vorne richten, bevor die, mit ihm immer wieder aufkommenden negativen Gefühle, die Gegenwart überlagerten.

Als äußeres Zeichen meiner Abneigung schüttelte ich meinen Körper, warf meinen Kopf entschlossen in den Nacken und ging voller Selbstbewusstsein zurück in mein Büro. Die letzten Schritte musste ich schon im Spurt nehmen, um noch rechtzeitig das schier endlos klingelnde Telefon zu erreichen. Es war Andreas, der sich meldete und mich sofort anbrüllte, weil ich nicht unverzüglich ans Telefon gegangen war. Selbst als ich den Hörer eine Armlänge von meinem Ohr weghielt, vernahm ich seine Ansprache. Echt merkwürdig, wie die Stimmung im Minutentakt kippen konnte und sich genau ins Gegenteil wandelte. Vor einer viertel Stunde noch erfreute ich mich am schönen Augenblick eines wirklich gelungenen Vormittages und stand jetzt im Auge eines Sturmes im Wasserglas. Ich ließ mich von der schlechten Laune nicht anstecken und hörte mir ohne etwas zu sagen an, was Andreas mir so lautstark mitzuteilen hatte. Das machte ihn allerdings noch wütender.

„Warum gibst Du mir verdammt noch mal keine Antwort?“ Er wollte offensichtlich immer noch wissen, warum ich nicht ans Telefon gegangen war. Aber was sollte ich ihm darauf antworten. Ich blieb sachlich.

„Ich war nicht hier.“

Seine Reaktion darauf hätte ich mir denken können. Trotzdem bebte mein Trommelfell, als das nächste Gebrüll ins Innere meines Ohres drang. Das musste ich mir nun wirklich nicht gefallen lassen. Ich legte auf und nahm mögliche Konsequenzen in Kauf. Als ich mich mit meinem Handeln nach einer halben Stunde immer noch nicht unwohl fühlte, war mir klar, dass ich das Richtige getan hatte. Nach ein paar Recherchearbeiten am Nachmittag nahm ich Kontakt mit Frank auf und informierte ihn vorsichtshalber, dass ich Feierabend machen würde. Nicht, dass der auch noch ausrastete, falls er mich später noch brauchte. Er war lieb, wie immer und erzählte vom Krankenhausbesuch, der ohne neue Erkenntnisse geblieben war. „Ist gut, Sara. Mach Dir einen schönen Abend und viel Spaß beim Sport. Wir sehen uns morgen früh.“

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