Kitabı oku: «Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht», sayfa 8

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3.2 Zum Forschungsprozess über Einstellungen von Lehrpersonen

Einen Überblick über die Geschichte der Erforschung subjektiver Theorien geben unter anderem Uwe Flick (1989), Christiane Kallenbach (1996) und Daniela Caspari (2003 und 2014). Zum Einen wurden die verschiedenen Forschungsmethoden zu subjektiven Theorien in modifizierter Form in Bezug auf das Fremdsprachenlernen von Schülerinnen und Schülern, also in einem schulischen Rahmen, eingesetzt und haben sich dabei bewährt. Zum Anderen hat dieser Forschungsansatz auch eine Bedeutung für die Befragungen anderer Personengruppen wie z.B. Lernende an bilingualen Schulen (vgl. Kallenbach 1996: 264) oder Schulen, mit bilingualem Angebot ermöglichen (Fäcke 2011). Im Rahmen ihrer Studie zum beruflichen Selbstverständnis von Fremdsprachenlehrkräften zeigt Caspari (1998) anhand der Einstellung von Lehrern zum interkulturellen Lernen, wie die subjektiven Theorien der Lehrkräfte

„[…] stark von der eigenen Sprachlernbiographie und den mit Fremdsprachen gemachten Erfahrungen bestimmt sind.“ (Caspari 1998: 73)

Seither sind zahlreiche empirische Einzelstudien erschienen, die sich Lehrertheorien mithilfe qualitativer Forschungsansätze angenommen haben (vgl. dazu z.B. De Florio-Hansen 1998; Krumm 2007: 356). In ihrem Überblicksartikel weist Caspari (2014) aber auch darauf hin, dass es sich bei den Sichtweisen der Lehrenden um multifaktorielle und hoch komplexe Gebilde handelt,

„[…] die insbesondere durch die eigene Lernerbiographie, die beruflichen Erfahrungen und die Wahrnehmung der Kontextfaktoren geprägt sind.“ (Caspari 2014: 25)

Das Forschungskonzept der subjektiven Theorien ist durch Deutungsprozesse geprägt, die im ersten Schritt die Deutungsmuster und Konstruktionen der subjektiven Theorien auf Seiten der Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmer betreffen und im zweiten Schritt das Erschließen dieser Konstruktionen durch die Interpretation des Interviewers, der schon im Laufe des Interviews stattfindet, und zwar vor allem bei der Auswertung der transkribierten Interviews (Meyer 2007: 117). Damit ist ein hermeneutisches Vorgehen im Forschungsprozess beschrieben, das als Sinn und Zweck das Verstehen konkreter Einzelfälle verfolgt, aber immer die narrative Selbstkonstruktion des Individuums im Blick behalten muss. Aus konstruktivistischer Sicht bedeutet das Verstehen konkret:

„Verstehen, was jemand gesagt oder geschrieben hat, bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass man auf Grund seines sprachlichen Austauschs eine begriffliche Struktur aufgebaut hat, die in dem gegebenen Zusammenhang als kompatibel mit dem betrachtet wird, was der Sprecher offenbar gemeint hat. diese Kompatibilität kann jedoch nie durch einen direkten Vergleich überprüft werden. […] Aus dieser Sicht liegt eine unvermeidliche intrinsische Unbestimmtheit in aller sprachlichen Kommunikation.“ (Glasersfeld 1997: 232)

Trotz dieser prinzipiellen Unbestimmtheit in der Kommunikation soll versucht werden, mithilfe der Interviews die Einstellungen zu verstehen, die Interviewpartnerinnen und -partner im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit äußern.

In der deutschen Psychologie wurde durch das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) von Norbert Groeben und Brigitte Scheele Ende der 1970er Jahre die Erforschung der Innensicht1 unterschiedlicher Aktanten in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt und danach stets weiterentwickelt. Das FST stellt die menschliche Reflexivität in den Mittelpunkt seines Menschenbildes (vgl. Groeben & Scheele 1998: 27, 2000). Die Reflexivität wird dabei als zentrales Merkmal des bewussten, geplanten, willkürlichen Handelns angesetzt. Die Handlungsfähigkeit des Individuums und mit ihr verbunden die Sprach- und Kommunikationsfähigkeit, steht beim FST im Mittelpunkt des Subjektmodells. Aufgrund dieser Tatsache ist es dann nicht nur unerlässlich, das Subjekt – hier die Lehrperson – von außen zu beobachten, sondern auch ihre inneren Sichtweisen einzubeziehen, indem man sie fragt, was sie mit ihren Handlungen verbindet (vgl. Groeben & Scheele 1998: 13).

Entsprechend hatten Groeben et alii bereits 1988 die subjektiven Theorien als bewusste oder unbewusste Überzeugungen von Lehrkräften zu grundlegenden Fragen des Lehrens und Lernens beschrieben:

"Subjektive Theorien von Lehrerinnen und Lehrern im Kontext von Unterricht sind komplexe Aggregate bewusster und/oder unbewusster automatisierter Überzeugungen zu grundlegenden Fragen des Lehrens und Lernens, die sich in der Unterrichtsdurchführung widerspiegeln. Sie erfüllen – analog zu objektiven Theorien – die Funktion der Erklärung, Prognose und Technologie und besitzen eine entsprechende implizite Argumentationsstruktur." (Groeben; Wahl; Schlee & Scheele 1988: 17f.)

Subjektive Theorien sind in der Regel implizit, das heißt, dass eine Person auf bestimmte Annahmen nicht bewusst zurückgreift, um ein Verhalten oder eine Situation zu erklären. Vielmehr handelt es sich um unbewusste Prozesse, die prinzipiell ins Bewusstsein transportiert werden können und sich mit Hilfe verschiedener Methoden wie beispielsweise Interviews erschließen und rekonstruieren lassen.

„Subjektive Theorien über Fremdsprachenlernen sind komplexe Wissenskonstrukte, die der/die einzelne aus der persönlichen Erfahrung im Umgang mit Fremdsprachen in und außerhalb der Schule aufbaut. Sie stellen subjektiv wahrgenommene und relevante Aspekte des Fremdsprachenlernens in einen individuellen Sinnzusammenhang. […] Durch die mit der Verbalisierung einhergehende Bewußtmachung haben subjektive Theorien das Potential, in nachfolgende fremdsprachliche Lern- und Anwendungssituationen hineinzuwirken.“ (Kallenbach 1996: 49f.)

Kallenbach betont die Möglichkeit der Versprachlichung und der damit einhergehenden Bewusstmachung, da subjektive Theorien – wie Repräsentationen und Einstellungen – nur verändert werden können, wenn man sich ihrer bewusst ist. Auf den Fremdsprachenunterricht übertragen bedeutet dies, dass die Reflexionen der Lehrenden zur Erklärung und Verbesserung des Fremdsprachenlernens in das Zentrum der Forschungsbemühungen gerückt werden (Groeben & Scheele 1998: 14; Caspari 2014: 20f). Drei Gegenstandsbereiche der subjektiv-theoretischen Reflexionen lassen sich nach Groeben und Scheele (1998) unterscheiden:

1 Reflexionen über die Sprache/n;

2 Reflexionen über das Lernen;

3 Reflexionen über das Lehren bzw. den Unterricht (vgl. Groeben & Scheele 1998: 14)

Die Reflexionen der Lehrenden zum Lernen und Unterrichten dürften schon die Theorien der Lernenden über ihr eigenes Lernen und das Lehren der Unterrichtspersonen berücksichtigen und mitreflektieren, während es andersherum nicht zu vermuten ist (Groeben & Scheele 1998: 15). Unterrichtsplanung bleibt den Schülerinnen und Schülern in aller Regel verborgen. Deswegen impliziert die Thematisierung der Einstellungen Fremdsprachenlehrender indirekt auch die Berücksichtigung der Einstellungen der Lernenden zur Sprache, zum Lernen und zum Unterricht (Ebd.). In diesem Zusammenhang spricht Theresa Venus (2015) von „Einstellungen als individuelle Lernvariable“.

Wie lässt sich das Konstrukt definieren? Subjektive Theorien oder Einstellungen werden als

„[…] Aggregate von prinzipiell aktualisierbaren Kognitionen, in denen sich die subjektive Sichtweise des Erlebens und Handelns niederschlägt.“ (Mandl 1998: 98)

bezeichnet, die sich auf die Selbst- und Weltsicht beziehen.

3.3 Einstellungen und Unterrichtshandeln

Die Signifikanz der Einstellungen von Lehrkräften wird vor allem im Zusammenhang mit deren beruflichem Alltagshandeln erkennbar und ihre Bedeutung verweist auf Kognitionen der Selbst- und Weltsicht, mit anderen Worten:

Denkinhalte und -strukturen, die auf die eigene Person, auf andere Individuen und auch „auf alle übrigen belebten und unbelebten Objekte unserer Welt“ (Groeben & Scheele 1998: 15) gerichtet sind. Subjektive Theorien werden seither auch als Oberbegriff zu Konzepten wie Alltagstheorie, Laien-Theorie und naive, implizite oder intuitive Theorie (Grotjahn 1998: 33) benutzt. Dabei hat das Konstrukt „Subjektive Theorie“ eine recht präzise Bedeutung und ist theoretisch hinreichend verankert, so Rüdiger Grotjahn: es wird als strukturell und funktional analog zum Begriff der objektiv-wissenschaftlichen Theorie expliziert (vgl. Grotjahn 1998: 34)1.

Matthias Trautmann (2005) stellt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Überzeugungen (beliefs) und der Unterrichtspraxis und will die Forschungen in diesem Bereich für den Englischunterricht nutzbar machen.

„Sucht man statt dessen nach empirischen Erklärungsansätzen, warum Lehrende ihre Unterrichtspraxis in einer bestimmten Art und Weise gestalten oder wovon das Lernen von Schülerinnen und Schülern beeinflusst wird, dann stößt man in der aktuellen Literatur auf das psychologisch inspirierte Konzept der Überzeugungen (beliefs). Überzeugungen gelten als Filter für die Wahrnehmung der Fachinhalte, für die Zuweisung von Bedeutung sowie für Verstehen, Motivation und Leistung.“ (Trautmann 2005: 39; Hervorhebungen im Text)

Am Beispiel zweier Englischlehrender zeigt Trautmann deren Einstellungen zum Grammatiklernen und unterscheidet dabei einen Ansatz den man deklaratives Wissen nennen könnte und einen weiteren, der sich aus der individuellen Sprachlernbiografie speist. Allerdings weist er zu Recht auf die Diskrepanz zwischen Überzeugungen und tatsächlichem Unterrichtshandeln hin.

„Die Erforschung von language learning beliefs stellt einen Versuch dar, Einflussfaktoren auf das Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu identifizieren und einer reflexiven Bearbeitung zugänglich zu machen. So plausibel es in der Regel erscheint, dass Überzeugungen sich in irgendeiner Form auf das Handeln auswirken, so sehr ist doch Vorsicht angebracht, hier einen allzu direkten Zusammenhang („handlungsleitend“) zu konstruieren […]. An Phänomenen wie der „aufgesetzten“ Überzeugung, der „bloßen“ Überzeugung und an Routinen wird deutlich, dass Vorstellungen darüber, wie man handelt oder handeln sollte, nicht mit dem tatsächlichen Handeln übereinstimmen müssen, oder dass ‚Handeln’ auch nichtreflexiv stattfinden kann.“ (Trautmann 2005: 49; Hervorhebungen im Text)

Die Beziehungen zwischen Einstellungen und Handlungen werden in der deutschen fachdidaktischen Literatur allerdings keineswegs so kausal verbunden gesehen, worauf Caspari (2016) hinweist:

„Aus Arbeiten, die mithilfe unterschiedlicher Zugänge eine umfassende Rekonstruktion der subjektiven Sichtweisen von Lehrkräften unternehmen, wird deutlich, dass es sich dabei um hoch komplexe und heterogene Konstrukte handelt, die jeweils von zentralen Überzeugungen strukturiert werden. […] Obwohl diese Überzeugungen das unterrichtliche Handeln nachweislich beeinflussen, ist ihre Aussagekraft aufgrund situativer und sozial wie individuell unbewusster Faktoren begrenzt.“ (Caspari 2016b: 307f.)

Der Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten ist in der Forschung nicht eindeutig. Das, meines Erachtens, unauflösliche Dilemma besteht darin, dass Einstellungen nicht zwingend zu einem bestimmten Verhalten führen und somit auch nicht retrospektiv erhoben werden können, indem aus dem Verhalten auf die Einstellungen zu schließen sei. Gleiches gilt aber eben auch in der anderen Richtung, da sich aus Einstellungen nicht zwangsläufig eine bestimmte Praxis ableiten lässt. In diesem Sinne ist die Verbindung von croyances und comportements wie sie von Véronique Castellotti und Danièle Moore (2002) dargestellt werden, kritisch zu sehen:

« Les informations dont dispose un individu sur un objet particulier constituent ainsi son stock de croyances sur l’objet. Ces croyances peuvent être motivées par des informations objectives, comme elles peuvent s’appuyer sur des préjugés ou des stéréotypes. Elles peuvent aussi être modifiées et évoluer. Les attitudes organisent des conduites et des comportements plus ou moins stables, mais ne peuvent pas être directement observées. Elles sont généralement associées et évaluées par rapport aux comportements qu’elles génèrent. » (Castellotti & Moore 2002: 7f.; Hervorhebungen im Text)

Zur Bedeutung der subjektiven Theorien von Lehrkräften wird vor allem im Zusammenhang mit ihrem beruflichen Alltagshandeln argumentiert: einem Handeln, das mit der Beeinflussung anderer Menschen, hier: der Schülerinnen und Schüler, in zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun hat (Mandl & Huber 1983). Effektives Lehrerhandeln, das auf eine optimale Förderung der Schülerschaft abzielt, ist somit von hoher Bedeutung und Effizienz und wird allgemein mit Lernzuwachs und -erfolg verknüpft. Auf der Basis ihrer subjektiven Theorien formulieren Lehrkräfte während ihres Unterrichts – in der Regel unbewusst – Hypothesen und Annahmen über die Lernprozesse der Lernenden. Sie beziehen sich auf Wissensbereiche, die ihnen als Person Orientierung geben, indem sie das eigene Verhalten sowie dasjenige anderer Personen erklären. Damit ein kompetenter Umgang mit alltäglichen Schulsituationen erfolgen kann und für das beobachtete Verhalten Erklärungsmuster bereit gehalten werden können, sind entsprechende Kognitionen und Wissenselemente, die durch die subjektiven Theorien bereit gestellt werden von Bedeutung (vgl. Mandl & Huber 1983; Dann 1994; Scheele & Groeben 1998). Allerdings bleibt hierbei die Frage nach der Beziehung zwischen Einstellungen und dem unterrichtlichen Handeln ungeklärt. Auch die Position von Hanns-Dietrich Dann (1992, 1994), der neben folgenden Definitionsmerkmalen unter Punkt 4 den Handlungsbezug formuliert, muss kritisch gesehen werden:

1 Subjektive Theorien stellen relativ stabile Kognitionen (mentale Repräsentationen) dar, die allerdings durch Erfahrung veränderbar sind.

2 Subjektive Theorien sind teilweise implizit, teilweise aber dem Bewusstsein der handelnden Person zugänglich, wenn etwa unterstützende Explizierungshilfen angeboten werden, die die Person darin unterstützen, ihre Kognitionen zu artikulieren.

3 Subjektive Theorien besitzen – ähnlich wie wissenschaftliche Theorien – eine zumindest implizite Argumentationsstruktur, d.h. sie können zur Erklärung und Prognose herangezogen werden, da sie Wenn-Dann-Beziehungen enthalten und Schlussfolgerungen ermöglichen. Sie erfüllen die Funktionender Situationsdefinition,der Erklärung eingetretener Ereignisse,der Vorhersage zukünftiger Ereignisse sowieder Generierung von Handlungsentwürfen oder -empfehlungen.

4 Für die individuelle Person haben Subjektive Theorien eine handlungsleitende oder handlungssteuernde Funktion und beeinflussen zusammen mit anderen Faktoren (wie etwa Emotionen) das Verhalten der Person. (vgl. Dann 1994: 166)

Eine direkte Verbindung zwischen Einstellungen und Handeln kann aus den Interviews ohne begleitende Unterrichtsbeobachtung nicht gezogen werden; die vorliegende Studie bildet auch verbale Daten zu einer möglichen Beziehung zwischen beiden an, dabei handelt es sich aber um die persönlichen Äußerungen der Interviewpartnerinnen und -partner. Inwieweit es sich dabei um Darstellungen handelt, die der tatsächlichen Praxis entsprechen oder um Abstufungen einer didaktisch-methodischen Erwünschtheitserwartung bei den Interviewpartnern, soll im Auswertungskapitel diskutiert werden. Hinweise auf diesbezügliche Fehleinschätzungen der Lehrkräfte lieferte bereits die „Videostudie des Englischunterrichts“ (DESI-Konsortium 2008).

Zu ernüchternden Aussagen kommt John Hattie in der deutschen Übersetzung von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer (2014), auf dessen bahnbrechende Ergebnisse noch einzugehen sein wird, in dieser Frage, indem er die anekdotenhaften Schilderungen der Lehrpersonen kritisch hinterfragt:

„In einer Analyse der Berichte von Lehrpersonen über ihre Erfahrungen in der Klasse stellt Little (2007) fest, dass das Unterrichten weitgehend außer Sichtweite anderer Lehrpersonen erfolgt. Es gebe daher eine Tendenz, sich auf Erzählungen zu verlassen, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Allzu oft sind Lehrpersonen abhängig von „Kriegsgeschichten“, persönlichen Erlebnissen und dem Vertrauen auf ihre eigene Erfahrung, um ihre persönlichen Präferenzen zu rechtfertigen.“ (Beywl & Zierer 2014: 297; Hervorhebungen im Text)

Une recherche en sciences humaines et sociales est toujours une aventure. L’enquête qualitative de terrain, en particulier, comporte de nombreuses inconnues, car ses opérations ne sont pas aussi prévisibles que, disons, une recherche expérimentale. (Paillé & Mucchielli 2009: 13)

4. Forschungsmethodischer Ansatz und Erhebungsdesign
4.1 Wissenschaftstheoretische Grundlagen – Rahmenbedingungen, Forschungsverfahren und Fragestellungen

Im Zentrum des Forschungsinteresses der vorliegenden empirischen Studie stehen die Diskurse und Erzählungen Fremdsprachenlehrender an Gymnasien, ihre subjektiven Theorien und Einstellungen zu der von ihnen gestalteten und erlebten Unterrichtspraxis im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit. Die Untersuchung geht unter anderem der Frage nach, wie ausgewählte, einzelne Fremdsprachenlehrkräfte in ihrem beruflichen Alltag mit der individuellen, lebensweltlichen Mehrsprachigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler umgehen, und wie sie, darüber hinaus, deren durch Schulfremdsprachenunterricht erworbene Fremdsprachenkenntnisse für das Erlernen weiterer Sprachen aktivieren, um dem bildungspolitischen Ziel der Mehrsprachigkeitsförderung gerecht zu werden und das Potenzial der vorhandenen Mehrsprachigkeit für den Unterricht zu nutzen.

Die gewonnenen Erkenntnisse sollen kurzfristig dazu beitragen, Aussagen über den Unterricht ausgewählter Fremdsprachenlehrkräfte, deren Erfahrungen, Sichtweisen und Einstellungen bei der Implementierung respektive Nicht-Implementierung erlebter Mehrsprachigkeit im Klassenraum zu dokumentieren, sowie eine möglichst detaillierte und umfassende Darstellung und Analyse der möglichen Bandbreiten erlebter Praxis eben dieser Lehrkräfte im genannten Forschungsfeld zu liefern (vgl. Méron-Minuth 2015 und 2016).

Anhand von Einzelfallstudien soll aufgezeigt werden, welche Relevanz Lehrerinnen und Lehrer der Mehrsprachigkeit in ihrem Fremdsprachenunterricht zuschreiben. Dabei verfolgt die Studie nicht,

"[…] das Aufdecken allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, sondern sie setzt sich eine möglichst detaillierte und zugleich umfassende, interpretative Beschreibung des beruflichen Selbstverständnisses von Fremdsprachenlehrer/inne/n zum Ziel […]." (Caspari 2001: 88f.)

Die Auswertung des zu erhebenden Datenmaterials – qualitative Leitfadeninterviews – setzt sich unter anderem zum Ziel, nicht nur die explizit-reflexiven Vorstellungen von Fremdsprachenlehrkräften, sondern auch die zugrunde liegenden, impliziten Orientierungen zu rekonstruieren. Lehrkräfte sind Handelnde im Rahmen eines schulischen Kontextes, der ihnen selbstbestimmtes Handeln und Entscheidungsprozesse auf der einen Seite ermöglicht, auf der anderen Seite aber auch eine Eigenrationalität besitzt und das Handeln der in ihm Praktizierenden bestimmt (vgl. Radtke 2004: 130ff.). Ziel muss es sein – soweit dies das Datenmaterial ermöglicht – auch die nicht explizit formulierten Annahmen und Vorstellungen zu rekonstruieren, das heißt, die impliziten und sozial determinierten Deutungs- und Argumentationsmuster zu erschließen (vgl. Wieser 2008: 16).

Bei der Datenauswertung gilt es das „Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten“ (vgl. Meuser & Nagel 2002: 80) und

„[…] gemeinsam geteilte, gewissermaßen typische Wissensbestände, Relevanzstrukturen und Deutungsmuster zu rekonstruieren. Der jeweilige Interviewtext bzw. der oder die Befragte interessieren uns daher nicht in seiner Besonderheit, vielmehr wird der befragte Experte als Repräsentant seiner „Zunft“ behandelt.“ (Bogner, Littig & Menz 2014: 78)

Insofern liefert die vorliegende Studie subjektzentrierte, exemplarische Einblicke in Überzeugungen und Handlungsmuster von Fremdsprachenlehrkräften als Experten in Bezug auf das Mehrsprachigkeitspostulat. Dabei wird es besonders interessant sein zu zeigen, welche Position die befragten Fremdsprachenlehrkräfte hier insgesamt zu diesem europäischen, sprachenpolitischen Postulat einnehmen. In der europäischen Sprachenpolitik wird Mehrsprachigkeit – politisch überhöht – als Mittel gesehen, gesellschaftliche Kohäsion zu fördern (vgl. Kapitel 2).

« Le plurilinguisme en tant que valeur et finalité des politiques linguistiques et européennes est considéré comme un instrument de cohésion sociale. » (Crochot 2006: 28)

Mit den Interviews soll versucht werden, die Lehrenden zu motivieren, über ihre Einstellungen zur Mehrsprachigkeit, Position zu beziehen. In der Analyse ihrer Stellungnahmen wird auch zu zeigen sein, welche Aspekte hier im Vordergrund stehen und ob es sich eher um homogene Vorstellungen handelt oder ob vielmehr, vor dem Hintergrund einer heterogenen Praxis, differenzierte Sichtweisen vorherrschen. Auch wird zu zeigen versucht werden, inwieweit ihre Einstellungen – bewusst oder unbewusst – mit den Leitgedanken der europäischen Sprachenpolitik übereinstimmen bzw. differieren. Es gilt als Folge dessen zu ermitteln, was unterrichtende Lehrkräfte über ihren beruflichen Alltag und den Umgang mit Mehrsprachigkeit berichten, inwieweit sie diese – den eigenen Berichten nach – praktizieren oder auch nicht, und warum sie in der einen oder anderen Weise handeln.

Es geht auch um die verstehende Deutung und Ursächlichkeit von Einstellungen und sozialem Handeln von Fremdsprachenlehrkräften als Experten (vgl. Gläser & Laudel 2010: 25). Die wissenssoziologische Diskussion über den Expertenbegriff (vgl. Bogner; Littig & Menz 2014: 9f.) soll hier nicht weiter fortgeführt werden. Nur soviel: Fremdsprachenlehrkräfte sind im Gegensatz zu den Politikern, die beispielsweise das hier interessierende europapolitische Postulat „Mehrsprachigkeit“ aufgestellt haben, Experten in der unterrichtlichen Umsetzung beziehungsweise Nichtumsetzung eben jener politischen Forderung und vieler anderer von außen an sie herangetragener Begehrlichkeiten. Ihr Expertenwissen ist gepaart mit den oben genannten Einstellungen und subjektiven Theorien und basiert auf ihrer unterrichtlichen Praxis. Gemäß der wissenssoziologischen Definition sind Experten Personen, die sich

„[…] ausgehend von einem spezifischen Praxis- oder Erfahrungswissen, das sich auf einen klar begrenzbaren Problemkreis bezieht – die Möglichkeit geschaffen haben, mit ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend für Andere zu strukturieren.“ (Bogner; Littig & Menz 2014: 13)

Diese relativ verengte Definition, die sich von einer Vorstellung kritisch absetzen will, wie „Alle Menschen sind Experten“ (Bogner; Littig & Menz 2014: 10), vernachlässigt den bereits genannten Aspekt der Einstellungen und subjektiven Theorien. Lehrkräfte sind Experten für pädagogisches Handeln und die Aktionsforschung (vgl. u.a. Moser 1977; Fiedler & Hörmann 1978; Minuth 2008) zeigt Wege zur Beforschung dieses unterrichtlichen Handelns durch die Lehrperson selbst. Ihre Expertise haben sie in der universitären Ausbildung und im Referendariat erworben und diese gleicht sich unablässig mit der täglichen Praxis und den ursprünglichen eigenen Erfahrungen ab.

Allerdings trifft die oben genannte Vermittlungsdimension – die „Macht der Experten“ (Bogner; Littig & Menz 2014: 14) – gegenüber anderen Akteuren nur dann zu, wenn die Experten selbst in ausbildender Funktion tätig sind. Dies ist aber auch immer dann der Fall, wenn die hier befragten Lehrpersonen Mentorentätigkeiten oder Aufgaben in der Referendarausbildung übernehmen, und damit auch ihre eigenen Einstellungen und subjektiven Theorien weitergeben1.

In jedem Fall ist das hier gemeinte Expertenwissen als Deutungswissen zu interpretieren und damit gilt es, die implizierten Handlungsorientierungen und Normen in deren Aussagen zu rekonstruieren und zu dekodieren. Im Sinne der rekonstruktiven Sozialforschung (vgl. Bohnsack 2007, 2014) gilt daher:

„Die Realität ist nicht einfach eine Ansammlung von Dingen und Relationen, sprich: von „einfach“ vorliegenden Fakten, die durch die Forschung möglichst wirklichkeitsgetreu und verzerrungsfrei abgebildet werden kann und soll. Die Wirklichkeit ist vielmehr ein Resultat vielfältiger Aushandlungsprozesse über die Bedeutung der Dinge, kurz gesagt: eine Interpretationsleistung der Subjekte bzw. deren Konstruktion. […] Wenn man also davon ausgeht, dass soziales Handeln im Wesentlichen durch jene (oft gar nicht bewussten) Werte und Maximen strukturiert ist, die den konkreten Dingen und Prozessen überhaupt erst einen Sinn, eine Bedeutung verleihen, dann muss man in der Datenauswertung den Sprung von der manifesten auf die latente oder Bedeutungsebene vollziehen.“ (Bogner; Littig & Menz 2014: 76 – Hervorhebungen im Text)

Ich bin mir darüber bewusst, dass die Ergebnisse der vorliegenden empirischen Studie nur begrenzt verallgemeinerbar sind, insofern als die individuellen Einstellungen und Sichtweisen der befragten Lehrkräfte keinen Anspruch auf Repräsentativität begründen können (vgl. dazu Schart 2003; Prokopowicz 2017: 92). Dazu ist das Sample zu begrenzt und sowohl geografisch als auch schultypenspezifisch zu sehr verengt.

„Jede Art von Forschung bringt ihre eigenen Stärken und Schwächen mit sich und keine Sicht kann den Anspruch darauf erheben, alles zu erkennen.“ (Schart 2003: 17)

Nichtsdestotrotz bietet das qualitative Forschungsparadigma, das im Folgenden näher zu beleuchten sein wird, einen adäquaten Ansatz für die Forschungsfragen. Diese ergeben sich entsprechend der eingangs beschriebenen Zielsetzungen als forschungsleitende Aspekte für die vorliegende Studie:

1 Was erzählen die befragten, gymnasialen Fremdsprachenlehrkräfte über ihren beruflichen Werdegang und ihr berufliches Selbstbild?

2 Was wissen sie von den Sprachbiografien und den lebensweltlich-kulturellen Erfahrungen ihrer Schülerinnen und Schüler?

3 Wie berücksichtigen sie in ihrem beruflichen Alltag die schulische Mehrsprachigkeit ihrer Schülerschaft?

4 Wie berücksichtigen sie in ihrer Praxis die herkunftssprachlich und -kulturell mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler?

5 Wo sehen sie Änderungsbedarf sowohl für die Unterrichtspraxis als auch für die Lehrerausbildung im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit?

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