Kitabı oku: «Grammatiklernen interaktiv», sayfa 6

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4. Grammatik und Grammatikvermittlung am Beispiel des Imperativs

Wie viel Grammatik braucht der Mensch? Eine Antwort auf diese Frage interessiert gewiss alle, die sich mit Fremdsprachenlernen auseinandersetzen: Lernende, Lehrende, Lehrwerkautoren und Forschende. Diese Frage wird auch als Titel einiger fremdsprachendidaktischer Beiträge aufgeführt (vgl. Gaiser 1950; Harden und Marsh 19931; Helbig 1993; Raabe 2007b, 2009). Dass sie immer wieder gestellt wird, deutet darauf hin, dass bisher keine eindeutige Antwort gefunden wurde. Während in der Arbeit von Helbig (1993) die Auseinandersetzung mit dem Grammatikbegriff sowie die Gewichtung linguistischer und didaktischer Grammatiken im Fokus stehen, versucht (Raabe 2007b) die Frage praxisorientiert zu beantworten und sich auf die Quantität der expliziten Grammatikvermittlung zu beschränken. Es ist nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der generellen Vermittlungsstrategie implizit/induktiv oder explizit/bewusstmachend. Jedoch betonen beide Autoren die Notwendigkeit einer Spezifizierung.2 Dabei können viele Aspekte in Betracht gezogen werden: biologisches Alter der Lernenden, das Sprachniveau, Vorkenntnisse, Herkunftssprache, Lerntypen, Phase des Lernens, Lernschwierigkeit etc. (vgl. Helbig 1993; Jung 1993; Raabe 2007b, 2009). In Anbetracht der Vielzahl von Aspekten wird im folgenden Kapitel auf jene fokussiert, die für die vorliegende Arbeit von hoher Relevanz sind. Die Merkmale der Interaktiven Grammatik und der Konzepthintergrund bedingen Aspekte wie Vermittlungsart (induktiv vs. deduktiv) sowie Besonderheiten von Lernenden auf Anfängerniveau. Daher werden im Folgenden allgemeine Prinzipien der Grammatikvermittlung und Verwendungsaspekte der Terminologie im Anfängerbereich erläutert. Da im Rahmen der vorliegenden Studie die Teilnehmenden die Einheit der Interaktiven Grammatik zum Thema Imperativ bearbeiteten3, steht der Imperativ im Mittelpunkt dieses Kapitels. Dabei wird das grammatische Phänomen in den linguistischen und didaktischen Diskussionen sowie die Darstellung und Behandlung des Imperativs in DaF-Lehrwerken thematisiert. Die Ergebnisse der Lehrwerkanalyse stehen in direkter Verbindung mit der Konzeption der jeweiligen Einheit der Interaktiven Grammatik. Auf Grund dessen werden zum Schluss des Kapitels die Konsequenzen für das Projekt zusammengefasst.

4.1. Aspekte der Grammatikvermittlung

Bevor einzelne Aspekte der Grammatikvermittlung erläutert werden, wird auf die Frage der expliziten Grammatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht eingegangen. Dem Interface-Problem bzw. der Frage, ob explizites Wissen grammatischer Strukturen für den Spracherwerb fördernd ist, widmen viele Forschende ihre Aufmerksamkeit (vgl. z. B. Schlak 19991; Schulz 20022; Pagonis und Salomo 20143). Es handelt sich um die Relevanz expliziten Wissens bzw. expliziter Grammatikvermittlung für die Sprachverwendung bzw. inwieweit sich explizites Wissen in implizites umwandeln lässt (vgl. Schlak 1999: 6). Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen hinsichtlich des Interface-Problems liefert jedoch keine eindeutigen Antworten zum Nutzen expliziter grammatischer Informationen für die Unterstützung des Spracherwerbs (vgl. ebd.: 27).

Vor diesem Hintergrund wird in diesem Kapitel zunächst auf die Frage grammatischer Terminologie, als Bestandteil expliziter Grammatikvermittlung, eingegangen. Da die Interaktive Grammatik selbstständiges Entdecken, Lernen und Üben grammatischer Phänomene ermöglicht, werden eine induktive und eine deduktive Vorgehensweise diskutiert. Darüber hinaus lassen sich viele Ähnlichkeiten im Aufbau der digitalen Lernsoftware mit der Struktur didaktischer Grammatiken feststellen. Daher werden Anforderungen an didaktische Grammatiken und ihre Unterschiede zu wissenschaftlichen Grammatiken zusammengefasst.

4.1.1. Grammatische Terminologie

Der Aspekt grammatischer Terminologie steht im engen Zusammenhang mit der Diskussion über explizites Lernen, bei dem Lernende mit einer grammatischen Regel konfrontiert werden. Die Diskussion über das Interface-Problem resümierend, betont Schlak: „Die Entscheidung, ob explizite Grammatikarbeit im Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielen soll, muß folglich gegenwärtig noch primär auf Grundlage konkreter Lernkontexte und Zielgruppen gefällt werden“ (Schlak 1999: 27). Im Unterricht kann eine Lehrperson ausgehend von Vorwissen, Lernpräferenzen und Bedürfnissen von Lernenden sowie in Abhängigkeit vom benutzten Lehrwerk entscheiden, wie viel und welche Terminologie bei der Grammatikdarstellung verwendet wird. Es stellt sich jedoch die Frage, wem so eine Entscheidung beim Selbstlernen überlassen werden sollte. Bereits bei der Konzeption und Entwicklung von Selbstlernmaterialien müssen sich die Lernmaterialentwickler entscheiden, wie viel Terminologie den Selbstlernenden zuzumuten ist. Die Möglichkeit, eine grammatische Regel zu klären und zu formulieren, muss m. E. vorhanden sein. Ob sie genutzt wird oder nicht, sollten die Lernenden selbst entscheiden können. Außerhalb des deutschsprachigen Raums und außerhalb eines unterrichtlichen Kontextes besteht kaum eine Gelegenheit, sich implizites Wissen über eine Fremdsprache anzueignen, auch wenn man einen massiven Informationsinput durch Video-, Audio- und Lesematerialien bekommt. Lernende werden im Lernprozess einen Punkt erreichen, an dem explizite Informationen über grammatische Strukturen einer Fremdsprache für einen Lernzuwachs nötig sind. Die Strukturen können mithilfe von Beispielen präsentiert werden, jedoch ist die Verwendung grammatischer Terminologie unvermeidbar.

„Grammatische Termini (Fachbezeichnungen) sollten im Unterricht nur dort benutzt werden, wo sie wirklich der Erklärung von Sachverhalten dienen […]“ (Götze 1994: 5). Eine Anknüpfung an den Lernenden bekannte Termini und eine behutsame Hinführung zu lateinischen Benennungen (vgl. ebd.) können Lehrende gewährleisten. Eine Herausforderung ist die Anknüpfung an Vorkenntnisse auf Anfängerniveau. Während didaktische Einführungen allgemeine Empfehlungen zur grammatischen Terminologie umfangreich beinhalten, sind Untersuchungen zur Grammatikvermittlung für Anfänger kaum zu finden.1

Schlak versucht in seiner Studie, die Frage zum Umgang mit Termini im Grammatikunterricht zu beantworten und stellt fest, dass Lernende auf zielsprachliche Grammatikerklärungen im Unterricht nicht verzichten möchten (vgl. Schlak 2000: 184 ff.).2 Außerdem könne dadurch der Anteil der Zielsprachenkommunikation erhöht werden. Allerdings ist es keine feste Regel und die Lehrenden sollten bereit sein, komplexe Inhalte in der Herkunftssprache zu besprechen (vgl. ebd.: 201). Übertragen auf Selbstlernmaterialien wäre denkbar, zur Vorentlastung grammatische Begriffe in verschiedenen Sprachen anzubieten. In der Konzeptionsphase des Projektes Interaktive Grammatik wurde diese Option in Betracht gezogen, jedoch war sie zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht realisiert. Die Benutzung grammatischer Terminologie ausschließlich auf Deutsch wird damit gerechtfertigt, dass die Interaktive Grammatik nicht für Lernende einer bestimmten Muttersprache konzipiert wurde.

Interessant ist die Frage, wie viel Grammatikterminologie den Selbstlernenden auf den Niveaustufe A1 und A2 zuzutrauen ist. Visuelle Elemente, insbesondere in der Präsentationsphase, können dabei eine große Hilfe sein, wie bereits in Kapitel 2.2 dargestellt wurde. Jedoch ist die Präsentation eines grammatischen Phänomens ohne verbale Erklärung bzw. Verwendung grammatischer Terminologie kaum vorstellbar. Laut Schmidt (1990: 160) ist die Aufgabe einer Lernergrammatik, die Formen, Strukturen und Funktionen „so konkret und anschaulich wie möglich und nur so abstrakt wie unbedingt nötig“ darzustellen. Genauso gilt dieses Prinzip für Selbstlernmaterialien. Wobei Storch betont, dass Lernergrammatiken für Selbstlernende ausführlicher als Lehrmaterialien im Unterricht sein sollten, da Selbstlernende keine Unterstützung seitens einer Lehrperson haben und selbstständig grammatischen Stoff verstehen müssen (vgl. Storch 1999: 79).

4.1.2. Induktiv und deduktiv, entdeckendes Lernen

Induktive und deduktive Verfahren bei der Grammatikvermittlung stehen im Mittelpunkt vieler didaktischer Diskussionen. Dabei werden Versuche unternommen, die Frage aus verschiedenen Perspektiven ‒ sowohl der Lernenden (Raabe 2007b), als auch der Lehrenden (vgl. z. B. Koenig 20011; Pessutti Nascimento 20142) ‒ zu betrachten.

Schmidt (1990: 160-161) fasst die wesentlichen Merkmale von Lernergrammatiken zusammen und betont, dass eine solche Grammatik auf „Verstehbarkeit, Behaltbarkeit und Anwendbarkeit“ beruhen sollte. Dabei sei der induktive Weg vorzuziehen, da Lernende vom leichter Verstehbaren zum schwerer Verstehbaren, also vom Konkreten zum Abstrakten, vorgehen würden. Die Selbstständigkeit bei der Erkenntnisgewinnung sollte „zu besserem Verstehen und leichterem Behalten“ führen. Darüber hinaus müssen sich Lernende selbst Regelmäßigkeiten erschließen, was Schmidt ebenfalls für vorteilhaft hält, jedoch mit der Anmerkung, dass hierbei auch mit fehlerhaften Generalisierungen zu rechnen ist (vgl. ebd.: 161).

In Anbetracht vieler Argumente zu Vorteilen des induktiven Lernens stellt sich jedoch die Frage, warum Grammatik in vielen Teilen der Welt explizit erklärt wird (vgl. Rösler 2015: 92). Induktives Grammatiklernen mag effektiver wirken, im Hinblick auf Alter, Lerntraditionen und Lerngewohnheiten kann aber durchaus die deduktive Vorgehensweise wirkungsvoller sein.3 Während im Präsenzunterricht die Entscheidung über die Vermittlungsweise von einer Lehrperson übernommen oder durch die Darstellung im Lehrwerk bestimmt wird, können bzw. müssen sich die Selbstlernenden eigenständig für eine Vorgehensweise entscheiden, vorausgesetzt, dass im digitalen Lernmaterial eine derartige Option vorprogrammiert ist. Entweder wird der Modus, in dem Grammatik gelernt wird, zu Beginn gewählt, oder es besteht eine Möglichkeit, jederzeit zwischen den Modi deduktiv oder induktiv zu wechseln.

Mehlhorn betont, dass Lernende beim Lernen einer zweiten und weiteren Fremdsprache(n) in der Lage sind, ihr Vorwissen bereits im Anfängerunterricht zur Erschließung grammatischer Regelhaftigkeiten der Zielsprache einzubeziehen. Als hilfreich bezeichnet sie das Vergleichen mit bereits gelernten Sprachen und „induktive Vorgehensweisen“ (Mehlhorn 2012: 126). Die induktive Vorgehensweise wird in didaktischen Diskussionen mit dem Prinzip des entdeckenden Lernens verbunden (vgl. Koenig 2001: 298). Liebig schreibt dem entdeckenden Lernen als Unterrichtsprinzip im schulischen Kontext das Potenzial zur Förderung selbstständigen, individuellen und aktiven Lernens sowie der Motivation zu (vgl. Liebig 2012: 7). „Die Lernenden entwickeln ihre eigenen Erklärungen für ein Phänomen ebenso wie neue Denkwege und neue Lösungswege, denn nicht die Lösung der Aufgabe, sondern der Weg steht im Vordergrund“ (ebd.: 1).

Die Darstellung grammatischer Inhalte wird beim entdeckenden Lernen so aufgebaut, dass Lernende selbst die Regelmäßigkeiten anhand von Beispielen erschließen und Regeln formulieren, anstatt sie fertig präsentiert zu bekommen (vgl. Spannhake und Bogacz-Groß 2008: 257; Rösler 2012: 182). Mittlerweile bieten die meisten Lernmaterialien eine entdeckende Vorgehensweise nach dem S-O-S-Prinzip (Sammeln ‒ Ordnen ‒ Systematisieren) bei der Grammatikdarstellung an, indem sie Lernenden ermöglichen, „neue Strukturen durch genaues Wahrnehmen und Vergleichen sprachlicher Muster zu entdecken, zu vergleichen und mit unterschiedlich umfangreicher Hilfestellung zu einer eigenen Regelformulierung zu gelangen“ (Koenig 2001: 298). Entdeckendes Lernen kann der Anregung der Kreativität und der Steigerung der Lernmotivation und somit der Förderung von besserem Verstehen und Behalten dienen (vgl. ebd.; Funk und Koenig 1991a; Chudak 2008: 130). Aufgaben und Übungen beim entdeckenden Lernen „beinhalten Tätigkeiten mit vergleichender Dimension wie Ordnen, Unterscheiden, Vergleichen, Identifizieren, Analysieren, Kontrastieren, Analogien bilden, merkmalgestütztes Erraten, Reflektieren“ (Mehlhorn 2012: 122).4

Jedoch kann entdeckendes Lernen zeitaufwendiger sein. Der hohe Zeitaufwand kann Lehrende vom Einsatz des entdeckenden Lernens im Unterricht abschrecken (vgl. Liebig 2012, 8). Im Kontext des selbstständigen Lernens außerhalb des Unterrichts tritt dieser Aspekt in den Hintergrund. Es lässt sich jedoch vermuten, dass im Fall einer längeren Beschäftigung mit grammatischen Inhalten, indem die gebildeten Hypothesen über die jeweilige Struktur nach mehreren Versuchen nicht bestätigt werden, zu einem Abbruch des Lernens führen kann. Darüber hinaus sind fehlerhafte Schlussfolgerungen beim Entdecken grammatischer Regeln nicht auszuschließen. Deswegen ist bei der Konzeption und Entwicklung von Lernmaterialien für entdeckendes Lernen zu beachten, ob und welche fehlerhaften Schlussfolgerungen gezogen werden könnten, wie Lernende zur „richtigen“ Regel gelenkt werden und die Informationen über die jeweiligen grammatischen Strukturen gesichert werden könnten. Im Unterricht können Lehrende beim Entdecken durch das Lenken unterstützen, bei selbstständigen Entdeckungsprozessen sind unterschiedliche Lernhilfen nötig, die bspw. in digitalen Lernprogrammen durch Vorzeigefunktionen oder abrufbare Hilfestellungen realisierbar sind.

4.1.3. Wissenschaftliche und didaktische Grammatiken

Grammatikbücher, die Strukturen einer Sprache beschreiben, sind fester Bestandteil des Grammatikunterrichts. Die Beschreibungen können sich im Hinblick auf Umfang, Ausführlichkeit, Präzision etc. unterscheiden und in „sprachwissenschaftliche und didaktische“1 unterteilt werden (Rösler 2012: 176). Die Erwartung an eine wissenschaftliche Grammatik formuliert Rösler wie folgt: „dass sie so umfassend, so präzise und so knapp wie möglich ist“ (ebd.: 177). Die Unterschiede zwischen wissenschaftlichen und didaktischen Grammatiken fasst Schmidt (1990) in seinem Beitrag zusammen. So bieten wissenschaftliche Grammatiken eine abstrakte Beschreibung grammatischer Strukturen. Die Darstellung ist kurz und gleichzeitig ausführlich mit dem Fokus auf Ausnahmen von Regeln. Die lernpsychologischen Aspekte wie Verstehbarkeit, Behaltbarkeit und Anwendbarkeit werden bei der Darstellung nicht berücksichtigt (vgl. ebd.: 154). Wie in 4.1.1 bereits erwähnt, werden diese Aspekte hingegen in didaktischen Grammatiken beachtet. Sie beinhalten eine Auswahl grammatischer Regeln und ihrer Ausnahmen. Dabei werden diese Strukturen mit visueller Unterstützung dargestellt (vgl. ebd.). Weitere Anforderungen an didaktische Grammatikdarstellungen sind laut Storch die Angemessenheit des Sprachniveaus der Lernenden, die Konkretheit und Anschaulichkeit sowie die Übersichtlichkeit (vgl. Storch 1999: 78 ff.). So können didaktische Grammatiken zur Verständlichkeit und Lernbarkeit der Grammatik beitragen (vgl. ebd.: 78). Einen wichtigen Unterschied einer didaktischen Grammatik zu einer wissenschaftlichen formuliert Götze wie folgt: es

[…] ist eine Grammatik, die aus einer umfassenden linguistischen Beschreibung der deutschen Gegenwartssprache in ihrer geschriebenen und gesprochenen Variante die hochfrequenten, für die Kommunikation wichtigen und für den Lernenden schwierigen Strukturen auswählt und darstellt […] (Götze 1994: 6).

Die Problematik der im Zitat erwähnten Auswahl thematisiert Chaudhuri, da es sich um die Begrenzung nicht nur des Umfangs sondern auch des Zugangs zur Grammatik handelt, „indem dem Lerner nur ein möglicher Lernweg gezeigt wird“ (Chaudhuri 2009: 114). Darüber hinaus handelt es sich laut Götze um ein „erweitertes Verständnis von Grammatik“ (Götze 1994: 6). Didaktische Grammatiken beinhalten phonetische, morphologische, syntaktische, semantische und pragmatische Informationen über grammatische Strukturen (vgl. ebd.).

Didaktische Grammatiken zielen auf eine Regelbildung im Kopf „und zwar so, dass die Phänomene der Zielsprache nicht nur begrifflich erkannt, sondern auch beherrscht werden“ (Rösler 2012: 177). Rösler bietet eine weitere Differenzierung in Bezug auf didaktische Grammatiken: Referenzgrammatiken fungieren als Nachschlagewerke, Übungsgrammatiken stellen grammatische Strukturen und Übungen zur Verfügung (vgl. ebd.: 178). Der Aufbau von Übungsgrammatiken (Regeldarstellung und Übungen) ermöglicht selbstständiges Lernen grammatischer Inhalte. Die Entwicklung einer universalen didaktischen Grammatik, die allen Anforderungen entspricht, ist problematisch. Es sind Entscheidungen zu treffen, in welchem Umfang und wie ausführlich ein grammatisches Phänomen dargestellt wird. Dies kann ausgehend von den Bedürfnissen einzelner Zielgruppen geschehen. Jedoch kann die Erwartung an didaktische Grammatiken, die für jeden in digitaler Form im Netz zugänglich sind, nicht illusionär sein, da die Anpassung für eine bestimmte Zielgruppe schwer realisierbar ist. Die Potenziale von Online-Übungsgrammatiken zum Selbstlernen wurden in Kapitel 2.1.5 diskutiert.

In diesem Unterkapitel wurden allgemeine Aspekte der Grammatikvermittlung dargelegt. Im Folgenden wird auf den deutschen Imperativ eigegangen, der im Rahmen des vorliegenden Projektes von den Teilnehmenden gelernt wurde. Der Entwicklung der Imperativ-Einheit ging eine Lehrwerkanalyse voraus. Bevor die Ergebnisse der durchgeführten Analyse dargestellt werden, werden morphologische, pragmatische und syntaktische Dimensionen des Imperativs in wissenschaftlichen und didaktischen Grammatiken analysiert, um eine ganzheitliche Darstellung zu gewährleisten.

4.2. Der Imperativ in wissenschaftlichen Grammatiken

Wie sich wissenschaftliche und didaktische Grammatiken voneinander unterscheiden, kann anhand eines grammatischen Phänomens illustriert werden. Da der Imperativ bzw. das Selbstlernen des Imperativs im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht, ist eine Darstellung der grammatischen Struktur sowohl aus linguistischen als auch didaktischen Perspektiven vonnöten.

Wie bereits in 4.1.3 erwähnt, wird von einer wissenschaftlichen Grammatik eine Präzision in der Beschreibung grammatischer Strukturen erwartet (vgl. Rösler 2012: 177). Ein Blick in wissenschaftliche Grammatikbücher bestätigt die Tatsache, dass im Hinblick auf die Definition des Imperativs die erwartete Präzision vorhanden ist. Werden die vorhandenen linguistischen Beschreibungen verglichen, sind unterschiedliche Positionen in der linguistischen Diskussion erkennbar. Der Imperativ lässt sich sowohl dem Modus als auch dem Satztyp1 einordnen, abhängig davon, von welchen Kriterien — morphologischen, semantisch-pragmatischen oder syntaktischen — man ausgeht (vgl. Heinold 2015: 141 ff.). Die Forschungsarbeiten zum Imperativ beinhalten häufig eine kontrastive Analyse des grammatischen Phänomens in anderen Sprachen.2 Da die vorliegende Arbeit keine kontrastive Analyse bezweckt, wird der deutsche Imperativ in einsprachigen linguistischen und didaktischen Diskussionen dargestellt.

Abbildung 4-1 stellt das verbale Paradigma mit fünf Kategorisierungen nach Eisenberg (1986: 105) dar, die weitere interne Unterkategorien beinhalten. Nach dieser schematischen Zusammenfassung wird die Kategorie des Imperativs dem Modus zugeordnet. Jedoch weist der Autor (wie oben Heinold 2015) auf eine uneinheitliche Behandlung des Imperativs hin. Ausgehend von der Semantik sei er den Modi zuzuordnen. Dass der Imperativ nicht hinsichtlich einer Person flektiert werde, stelle diese Zuordnung in Frage (vgl. Eisenberg 1986: 105).

Abb. 4-1:

Kategorien des verbalen Paradigmas im Deutschen (Eisenberg 1986: 105)

Das Fehlen der Flexion erklärt Weinrich mit dem Argument, dass der Imperativ im Singular „ein Null-Flexiv“ hat (Weinrich 2007: 267).3 Laut Sommerfeldt und Starke sei der Imperativ von den drei Modi am stärksten „an eine bestimmte Situation gebunden“, in der eine Aufforderung an eine oder mehrere Personen gerichtet wird (Sommerfeldt und Starke 1988: 93). Dabei wird vom Gesprächspartner erwartet, dass diese Aufforderung ausgeführt wird. Somit ist der Imperativ in der Regel zukunftsbezogen (vgl. Sommerfeldt und Starke 1988: 92-93). Flämig weist darauf hin, dass der Zeitpunkt der Verwirklichung ebenfalls durch konkrete Angaben4 präzisiert werden könnte (vgl. Flämig 1991: 412). So steht eher die pragmatische Ebene der Aufforderungshandlungen bzw. des Imperativs im Fokus der linguistischen Grammatiken.

Den Imperativ verbindet man in seiner Funktion in erster Linie mit neutralen Aufforderungssätzen. Jedoch sind weitere Funktionen wie Anleitungen, Apelle, Anweisungen, Bitten, Ratschläge, Verbote und Warnungen bzw. Ermahnungen zu nennen. Durch Partikeln oder verstärkte Druckbetonung übernimmt der Imperativ die eine oder andere Funktion in Gesprächssituationen. Grafisch begleitet das Ausrufezeichen am Satzende oft den Imperativ (vgl. Helbig und Buscha 2001). Imperativsätze ohne Modalpartikeln könnten auf Gesprächspartner unfreundlich oder ungeduldig wirken (vgl. Hentschel und Weydt 1994: 116). Die Negation in Aufforderungsätzen wird zur Zurückweisung der Handlung verwendet und je nach dem Kontext können die Aufforderungen Funktionen wie Abraten, Warnungen oder Verbote übernehmen. „Verbote mit nicht werden nur dann mit dem Imperativ gebildet, wenn ein erkennbarer Adressat da ist […]“ (Weinrich 2007: 869).

In wissenschaftlichen Grammatiken wird ebenfalls der morphologische Aspekt des Imperativs thematisiert. Der Imperativ wird in der 2. Person Singular und Plural gebildet, wobei er in manchen linguistischen Grammatiken auch in der Imperativform der 1. Person Plural zu findet ist (vgl. z. B. Engel 2009; Flämig 1991). Auch die Bezeichnung der Formen ist nicht einheitlich, wenn in Helbig und Buscha (2001) zwischen Vertraulichkeits- (du- und ihr-) und Höflichkeitsformen (Sie-Form) unterschieden wird, heißen die jeweiligen Formen bei Engel (2009) vertrauliche und Distanzformen des Imperativs. Bei den ersten beiden Formen fallen die Personalpronomina aus, bei der Sie-Form steht das Pronomen nach dem Verb. Wenn die ihr- und Sie-Formen des Imperativs mit den jeweiligen Indikativformen identisch sind, kann die du-Form sprachliche Schwierigkeiten bereiten (Duden 2012). Diese Schwierigkeiten betreffen in erster Linie die Verwendung des Endungs-e bei den meisten regelmäßigen Verben in der 2. Person Singular, wobei diese Form häufig ohne -e „aus rhythmischen Gründen“ verwendet wird (Sommerfeldt und Starke 1988: 93). Fälle, in denen das Endungs-e obligatorisch ist, werden in linguistischen Grammatiken ausführlich beschrieben (vgl. Zifonun et al. 1997: 1755; Weinrich 2007: 267). Eine weitere Schwierigkeit kann der Wechsel des Vokals im Verbstamm starker Verben bereiten. Während der Umlaut von Verben wie laufen (du läufst, aber lauf) bei der Imperativbildung entfällt, wird der Vokalwechsel von e zu i bei einigen Verben (du liest - lies) beibehalten.

Die meisten linguistischen Grammatiken lassen den Verwendungskontext grammatischer Phänomen außer Acht oder skizzieren ihn sehr kurz. Mit den Informationen, in welchen Kontexten welche Form des Imperativs zu verwenden ist, beschäftigt sich Weinrich in seiner Grammatik (vgl. Weinrich 2007: 102 ff.). Allerdings beziehen sich die Informationen in erster Linie auf die Pronomina. Trotzdem werden sie im Kapitel zu pronominalen Höflichkeitsformen im Zusammenhang mit den Imperativformen dargestellt. So ist laut Weinrich die Anredeform mit Sie im Deutschen bei erwachsenen Gesprächspartnern üblich, „wenn kein spezifisches Sozialverhältnis besteht, das Vertrautheit rechtfertigt“ (Weinrich 2007: 104). Alle unbekannten Erwachsenen werden gesiezt. Will ein sozialer Abstand beibehalten werden, wird die Sie-Form auch unter Kollegen, Bekannten etc. verwendet. Das Duzen ist unter Personen verschiedenen Verwandtheitsgrades sowie Kindern und Jugendlichen gängig. Unter erwachsenen (nicht miteinander verwandten) Personen kann auch geduzt werden, wenn es sich um ein Zeichen der Klassensolidarität handelt. Darüber hinaus werden die Anredeformen zwischen Kindern und Erwachsenen sowie der Übergang vom Sie zum Du thematisiert (vgl. ebd.: 104-105). Auch wenn der Höflichkeitsaspekt vom Siezen und Duzen im Kapitel zur Pronomina dargelegt wird, steht er in einer direkten Verbindung zum Imperativ. In allen anderen linguistischen Grammatiken wird der Höflichkeitsaspekt des deutschen Imperativs nicht aus der Perspektive der Anredeformen, sondern nur am Rande anhand der Wirkung der Aufforderungssätze mit und ohne Modalpartikeln erwähnt (s. o. Hentschel und Weydt 1994).

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