Kitabı oku: «Von Zwanzig bis Dreißig», sayfa 2

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So waren die Personen, so war das Leben im Hause, Schilderungen, bei denen ich bereits an mehr als einer Stelle mit einklingen ließ, wie mein eignes Tun verlief. Aber über diesen letztern Punkt möcht' ich mich doch noch etwas ausführlicher auslassen dürfen.

Die beste Zeit im Hause war immer der Sommer, wo wir, weil die Prinzipalität dann auf ganze Monate hin ausflog, uns selbst überlassen blieben und einem Vizekönige unterstellt wurden. Solche Vizekönige sind oft strenger als die eigentlichen Herrscher, aber man nimmt den Kampf mit ihnen doch leichter auf; man sieht ihre Autorität nicht für voll an oder geht davon aus: »Ach, diese armen Teufel müssen eine Ernsthaftigkeitskomödie bloß spielen; eigentlich wären sie gern so ausgelassen wie ihr selbst.« Im ganzen lag es so, daß wir, während dieser herrenlosen Zeit, ordentlich und ehrlich unsre Schuldigkeit taten, aber in den Freistunden um vieles ungebundner auftraten. Ich nun schon gewiß. Solange ich Lehrling war, waren dieser Ungebundenheit immer bestimmte Grenzen gezogen, aber vom Sommer 1840 ab benutzte ich mein inzwischen eingetretenes Avancement zu allerhand Tollheiten, und eines Tages gab ich sogar ein Fest, ein reines Bacchanal, wenn ich die Dürftigkeit der Mittel erwäge, die mir zur Verfügung standen. Mein im Hinterhause gelegenes Zimmer war ausgeräumt worden, um eine lange Tafel decken zu können, an der nun, bunt untereinandergemischt, meine ganze Kollegenschaft und meine literarischen Freunde saßen, unter diesen auch ein junger Offizier von der Garde, der aber wohlweislich seinen Offiziersrock mit einem Durchschnittszivil vertauscht hatte. Das Fest selbst galt meinem eben damals Berlin verlassenden Freunde Egbert Hanisch, den ich in einem spätren Kapitel ausführlicher zu schildern haben werde. Waldmeisterbowlen wurden in immer neuer Zahl und Menge gebraut, den ganzen Tisch entlang standen Vergißmeinnichtkränze in Schüsseln, Toaste drängten sich an Toaste, und so sangen wir bis in die Nacht hinein. Mir ist nachträglich immer das hohe Maß von Freiheit erstaunlich, das sich die Jugend unter allen Umständen zu verschaffen weiß. Dabei muß ich noch hinzusetzen, daß das, was ich damals pekzierte, nur ein schwacher Ausläufer dessen war, was, Mitte der dreißiger Jahre, meine Lehrlingsvorgänger geleistet hatten. Einer dieser letztern war ein junger Falkenberg, entzückender Kerl, angehender oder auch schon etablierter Don Juan und dabei Sohn eines richtigen, in seiner Sphäre sogar berühmt gewordenen Polizeirats. Dieser junge Falkenberg nun – er besaß später die Viktoria-Apotheke, Friedrichstraße, dicht am Belle-Alliance-Platz – war ein Ausbund von Keckheit und Ausgelassenheit, worin er nur noch von seinem ältren Kollegen, einem Roseschen Neffen, übertroffen wurde. Mit diesem zusammen hatte Falkenberg, in Tagen und Wochen, wo sie gemeinschaftlich den Nachtdienst hatten, die ganze Spandauer-Straßen-Gegend devastiert und auf den Kopf gestellt, und zwar dadurch, daß sie, der eine mit einer kleinen festen Leiter, der andre mit allerlei Handwerkszeug ausgerüstet, überall die Geschäftsbilder abbrachen und diese vertauschten, so daß, wo beispielsweise »Pastor Berduscheck« wohnte, den Tag darauf »Hebamme Mittermeier« zu lesen war und umgekehrt. Wie sich denken läßt, kam es ihnen bei diesem Treiben darauf an, sich in Anzüglichkeiten zu überbieten. Mitunter aber scheiterten sie, wenn sie vor einem plötzlich sichtbar werdenden Nachtwächter die Flucht ergreifen mußten; in solchem Falle nahmen sie dann die bereits abgerissenen, aber noch nicht umgetauschten Schilder einfach als gute Prise mit nach Hause. Diese Prisenstücke hatten sich, wie sich denken läßt, im Laufe zweier Jahre zu einem förmlichen, in einem Kohlenkeller untergebrachten Museum erweitert. Da standen und lagen sie, verstaubt und vergessen, bis der endliche Abgang des vorgenannten Roseschen Neffen ihnen noch einmal zu einer fröhlichen Auferstehung verhalf. Falkenberg, dem Scheidenden ein Fest gebend, wandelte das gemeinschaftlich von ihnen bewohnte Zimmer in eine Art Ruhmeshalle um, drin all die geraubten Gegenstände – darunter namentlich Doktorklingeln mit der Aufschrift »Nachtglocke« sowie auch von Weißbier- und Budikerkellern abgebrochene »Genrestücke« – hoch aufgespeichert waren. Alle diese Spolia opima standen, lagen oder hingen umher, Tannengirlanden dazwischen, und, unter Absingung wehmutsvoller Lieder, gedachte man der schönen Räuberzeit, um auf immer Abschied von ihr zu nehmen.

Neben diesem Übermute verschwand natürlich mein Zauberfest, das, wenn ich nicht irre, in den Juli des Sommers vierzig fiel. Anfang September kam dann der alte Rose zurück. Ich seh' ihn noch, wie er mit einem Male vor uns stand: der auf kurzem Halse sitzende Kopf in einer Schnurenkapuze – wie man ihnen auf alten Schweizer- oder Hussitenbildern begegnet –, dazu ganz verbrannt im Gesicht vom ewigen Bergklettern und die Augen leuchtend von Entdecker- und Erobererglück. Denn er hatte mal wieder an einer vor ihm noch unbetretenen Stelle gestanden oder bildete sich's wenigstens ein.

Armer Enthusiast, dein Glück sollte nicht lange dauern! Gleich am andern Morgen durchschritt er sein Gewese, zog sich dann, als er den Rundgang beendet, in sein nur durch einen schmalen Flur von der Apotheke selbst getrenntes Zimmer zurück und wollte hier sehr wahrscheinlich gleich mit Aufzeichnung all der erlebten Herrlichkeiten beginnen. Aber das Schicksal hatte, für diesen Tag wenigstens, anders über ihn beschlossen. In seiner Abwesenheit nämlich war es, unter den Gehülfen, zu Bildung zweier feindlicher Parteien gekommen, die sich nun gegenseitig verklagten und mich mitschleppten, um ihnen nötigenfalls als Zeuge dienen zu können. Jede Partei trug denn auch ihre Sache vor, und der alte Rose hörte eine Weile ruhig zu, wenn man ein dampfmaschinenartiges Prusten und Schnauben ein ruhiges Zuhören nennen kann. Endlich aber unterbrach er die Zänkerei, weil er seinen Unmut nicht länger bezwingen konnte: »Meine Herren... ich bitte Sie... haben Sie Mitleid mit einem alten Manne. Haben Sie denn kein Gefühl für meine Lage...? Da war ich dritthalb Monat in einer großen Natur, ja, meine Herren, in einer sehr großen Natur, und nun komme ich zurück, erhoben in meinem Gemüt, erhoben und glücklich, und das erste, was ich hier hören muß, sind Ihre Nichtigkeiten, Ihre Kleinheiten, Ihre Jämmerlichkeiten. Oh, oh... Ich dächte, Sie hätten mehr Rücksicht auf mich nehmen können.«

Und so ging es noch eine Weile weiter.

Er hatte mit seiner »sittlichen Empörung« aber mal wieder total unrecht und erwies sich nur aufs neue als jener Bourgeois, als den ich ihn schon eingangs zu schildern versucht habe. Wie's uns in den dritthalb Monaten ergangen war – gut genug, aber es konnte doch auch schlecht gewesen sein –, war ihm vollkommen gleichgültig; er fand es »kleinlich« und »elendiglich«, daß sich zwei Menschen gezankt hatten, nicht weil sie sich überhaupt gezankt, denn er konnte sich auch zanken, sondern lediglich, weil ihm dieser Zank unbequem war und ihn hinderte, seine Reisebeschreibung frischweg zu beginnen. Er hatte bloß einen Schein des Rechts auf seiner Seite. Daß es Interessen neben den seinigen gab, leuchtete ihm nicht ein; wir waren einfach Spielverderber. Er gehörte ganz in die Klasse der naiven Egoisten.

In ebendiesem Sommer vierzig war ich sehr fleißig. Wie dies möglich war, ist mir in diesem Augenblick ziemlich unfaßlich. Den Tag über treppauf, treppab, so daß von Muße für Nebendinge keine Rede sein konnte, dazu nachts wenig Schlaf, weil nur allzuhäufig geklopft und geklingelt und ellenlange Rezepte durch eine kleine Kuckluke hineingereicht wurden. Ich weiß also wirklich nicht, wo die Zeit für mich herkam. Aber sie fand sich trotzdem. Ich kann es mir nur so erklären, daß meine geschäftliche Tätigkeit in zwei sehr verschiedene Hälften zerfiel und daß auf vier Wochen »Frontdienst« immer vier Wochen in der »Reserve« folgten. Der Frontdienst nahm mich jedesmal völlig in Anspruch, kam ich dann aber in die Reserve, das heißt ins Laboratorium, wo jede Berührung mit dem Publikum aufhörte, so besserte sich die Situation sehr wesentlich. Hier paßte mir alles vorzüglich, und schon der hohe gewölbte Raum heimelte mich an, was mir aber ganz besonders zustatten kam, das war eine für mich wie geschaffene Beschäftigung, die meiner, durch einen glücklichen Zufall, hier harrte.

Dieser Zufall war der folgende.

Der alte Wilhelm Rose hatte geschäftliche Beziehungen nach England hin, und diese Beziehungen trugen ihm – immer natürlich mit der Elle von damals gemessen – enorme Bestellungen auf einen ganz bestimmten Artikel ein. Dieser Artikel hieß Queckenextrakt oder Extractum Graminis. Jeder Eingeweihte wird nun lachen, weil er eben als Eingeweihter weiß, daß es keinen gleichgültigeren und beinah auch keinen obsoleteren Artikel gibt als Extractum graminis. In England aber muß es damals Mode gewesen sein, statt unsrer uns nach Marienbad und ähnlichen Plätzen führenden Brunnenkuren eine Queckenextraktkur durchzumachen – nur so läßt es sich erklären, daß wir große Fässer davon nach London, ganz besonders aber nach Brighton hin zu liefern hatten. Alles drehte sich um diesen Exportartikel. Mir fiel die Herstellung desselben zu, und so saß ich denn, tagaus tagein, mit einem kleinen Ruder in der Hand, an einem großen eingemauerten Zinnkessel, in dem ich, unter beständigem Umherpätscheln, die Queckensuppe kochte. Schönere Gelegenheit zum Dichten ist mir nie wieder geboten worden; die nebenherlaufende, durchaus mechanische Beschäftigung, die Stille und dann wieder das Auffahren, wenn ich von der Eintönigkeit eben schläfrig zu werden anfing – alles war geradezu ideal, so daß, wenn zwölf Uhr herankam, wo wir unser Räuberzivil abzulegen und uns für »zu Tisch« zurechtzumachen hatten, ich die mir dadurch gebotene Freistunde jedesmal zum Niederschreiben all dessen benutzte, was ich mir an meinem Braukessel ausgedacht hatte. Bevor der Herbst da war, hatte ich denn auch zwei größere Arbeiten vollendet: eine Dichtung, die sich »Heinrichs IV. erste Liebe« nannte, und einen Roman unter dem schon das Sensationelle streifenden Titel: »Du hast recht getan«.

Der Stoff zu der erstgenannten epischen Dichtung war einer Zschokkeschen Novelle, der Roman einem Ereignis entnommen, das sich eben damals in einem abgelegenen Teile von Mark Brandenburg zugetragen hatte. Folgendes war der Verlauf: Eine schöne Amtsratstochter, an einen Oberförster verheiratet, lebte seit ein paar Jahren in einer sehr glücklichen Ehe. Da mit einem Male stellte sich ein mauvais sujet bei ihr ein, ein Mann von kaum dreißig, der früher als Gärtner oder Jäger in ihres Vaters Diensten gestanden und mit dem sie damals ein Liebesverhältnis unterhalten hatte. Der forderte jetzt Geld, überhaupt Unterstützung von ihr, weil er arm und elend sei. Sie gab ihm denn auch, was sie hatte. Dies wiederholte sich mehrere Male, und weil ihre Mittel zuletzt erschöpft waren und sie nicht mehr aus noch ein wußte, der Strolch aber immer zudringlicher wurde, so beschloß sie, der Sache ein Ende zu machen. Sie lud ihn in den Wald zu einer neuen Begegnung ein, zu der er auch kam, und zwar bewaffnet, weil er der Sache nicht recht mehr trauen mochte. Ganz zuletzt aber, als er sich wieder in der Liebhaberrolle zu versuchen trachtete, war er unvorsichtig genug, das Gewehr beiseite zu stellen. Im selben Augenblicke griff sie danach und schoß ihn über den Haufen. Dann ging sie zurück, um ihrem Manne zu sagen, wie's stünde. Dieser war mit allem einverstanden und sagte ruhig: »Du hast recht getan.« Der Spruch der Gerichte, vor die die Sache kam, lautete auf etliche Jahre Gefängnis, ein Urteil, das der König in kurze Festungshaft in Glatz oder Kosel umwandelte. Nachdem die junge Frau hier Gegenstand allgemeiner Huldigung gewesen war, kehrte sie in die Oberförsterei zurück, von ihrem Manne im Triumph eingeholt. – So die Geschichte, die mich begeistert hatte; der Naturalist steckte mir schon im Geblüt. Was ich geschrieben, schickte ich an ein zu jener Zeit vielgelesenes Blatt, das, glaub' ich, der »Volksfreund« hieß, erhielt es aber mit dem Bemerken zurück, »es ginge nicht; es sei zu anzüglich.« Ich beruhigte mich dabei und deponierte das Manuskript, weil ich bald danach Berlin verließ, in die Hände eines Bekannten von mir. Wie mir berichtet worden, ist dann alles viele Jahre später, während ich im Auslande war, irgendwo gedruckt worden, eine Sache, die mir mit einem andern Romane noch ein zweites Mal passiert ist. Es war diese zweite Arbeit die Übersetzung einer sehr guten Erzählung der Mrs. Gore. Titel: »The money-lender«. Ein armer Anfänger kann seine Sachen, sie seien gut oder schlecht, nie recht anbringen, weil er nicht Bescheid weiß; hat dann aber ein Geschäftskundiger, der mitunter in ziemlich sonderbarer Weise zu solchem Manuskripte gekommen ist, die Sache in Händen, so ist es für den wie bar Geld; kriegt er nicht viel, so kriegt er wenig.

»Du hast recht getan« hatte für mich noch ein Nachspiel oder dergleichen, um dessentwillen ich überhaupt in solcher Ausführlichkeit bei der Geschichte verweilt habe.

Sommer zweiundneunzig, also zweiundfünfzig Jahre nach Niederschreibung jener Jugendarbeit, saß ich in einer Sommerwohnung in Schlesien, den schönen Zug des Riesengebirges als Panorama vor mir. Eines Morgens traf »eingeschrieben« ein ziemlich umfangreiches Briefpaket ein, augenscheinlich ein Manuskript. Absender war ein alter Herr, der, zur Zeit als Pensionär in Görlitz lebend, in seinen besten Mannesjahren Bürgermeister in jener Stadt gewesen war, in deren Nähe die vorerzählte Tragödie gespielt und in deren Mauern die Prozeßverhandlung stattgefunden hatte. Während seiner Amtsführung war ihm die Lust gekommen, sich eingehender mit jener Cause célèbre zu beschäftigen, und was er mir da schickte, war das den Akten entnommene Material zu einem, wie er mit Recht meinte, »märkischen Roman«. In den Begleitzeilen hieß es: »Ich schicke Ihnen das alles; denn Sie sind der Mann dafür, und ich würde mich freun, den Stoff, der mir ein sehr guter zu sein scheint, durch Sie behandelt zu sehn.«

Man stelle sich vor, wie das auf mich wirkte. Die Beantwortung des Briefes war nicht leicht, und ich schrieb ihm ausweichend, »ich sei zu alt dafür.« Wenn aber dem liebenswürdigen Herrn diese »Mitteilungen aus meinem Leben« in Blatt oder Buch zu Gesicht kommen sollten, so wird er aus ihnen den eigentlichen Grund meiner Ablehnung ersehn. Ihm diesen eigentlichsten Grund zu schreiben, war damals unmöglich; es hätte auf ihn wirken müssen, wie wenn man einen freundlichen Anekdotenerzähler undankbar mit dem Zurufe: »Kenn' ich schon« unterbricht.

Zweites Kapitel
Literarische Vereine. Der Lenau-Verein: Fritz Esselbach, Hermann Maron, Julius Faucher

Am Schluß des vorigen Kapitels sprach ich von ein paar Arbeiten, einem kleinen Epos und einem längeren Roman, an denen ich während des Sommers 1840 arbeitete. Das leitet mich zu dem literarischen Verkehr hinüber, den ich damals hatte. Dieser war, auf meine bescheidenen Lebensverhältnisse hin angesehn, ein sehr guter zu nennen und machte mich ziemlich gleichzeitig zum Mitgliede zweier Dichtergesellschaften, deren eine sich nach Lenau, die andere nach Platen benannte. Den beiden Dichtern, die die Paten und Namensgeber dieser Vereine waren, bin ich bis diesen Tag treu geblieben.

Ich beginne mit dem Lenau-Verein, in den ich mich durch meinen Freund Fritz Esselbach eingeführt sah. Zunächst ein Wort über diesen meinen Freund.

Meine Bekanntschaft mit ihm – Fritz Esselbach – datierte schon von der Schule her und hatte sich so plötzlich und beinah so leidenschaftlich eingeleitet, wie sonst nur eine Liebe, nicht aber eine Freundschaft zu beginnen pflegt. Ich war auf einem märkischen Gut zu Besuch gewesen und machte von dorther die Rückreise nach Berlin mit einer jener immer nach Juchtenleder riechenden alten Fahrposten. Gleich nach Mitternacht kamen wir in Oranienburg an, in dessen Passagierstube mir ein schlank aufgeschossener junger Mann von etwa fünfzehn Jahren auffiel, der für nichts andres Augen zu haben schien als für seine drei jüngeren Geschwister. Ich wurde sofort von einem Gefühl stärkster Zuneigung erfaßt und sagte mir: »Ja, so möchtest du sein! Ja, wenn du solchen Freund je haben könntest!« Aber wer beschreibt mein Staunen und Entzücken, als ich denselben jungen Menschen am andern Morgen in meiner Schulklasse vorfand. Er hatte bis dahin dem »Joachimsthal« angehört und sich erst ganz vor kurzem entschlossen, das Gymnasium mit der Gewerbeschule zu vertauschen, weil ihm alte Sprachen zu schwer wurden. Er war überhaupt von sehr mäßigen Anlagen, aber von einem ganz ausgezeichneten Charakter, fein, vornehm, treu, gütig. Leider auch ein wenig sentimental und dabei ganz Idealist, was verhängnisvoll für ihn wurde. Ziemlich spät, als er schon Mitte der Zwanzig sein mochte, begann er, sich der Landwirtschaft zu widmen, und ging zu diesem Behufe nach Schlesien, allwo er denn auch, nachdem er sich in höherem Mannesalter glücklich verheiratet hatte, gestorben ist. In den Jahren aber, die seiner Verheiratung weit vorausgingen, ging er durch schwere Prüfungen. Er hatte sich auf dem Gut, auf dem er die Landwirtschaft zu lernen begann, in ein Hofemädchen verliebt, so leidenschaftlich, so bis zum Sterben, daß er sie zu heiraten beschloß. Ihr ganz ungewöhnlicher Liebreiz, mit natürlicher Klugheit gepaart, ließ diesen Entschluß auch als verständig erscheinen. Er gab sie, nach Breslau hin, in Pension, um sie hier heranbilden zu lassen, und ersehnte den Tag ihrer Vereinigung. In den Sternen aber war es anders beschlossen; seine halb väterliche pädagogische Fürsorge, die es mit Bildung und Erziehung ganz ernst nahm, erschien dem reizenden Geschöpf alsbald nur langweilig und komisch, und so wandte sie sich andern Göttern zu. Das Verlöbnis mußte wieder gelöst werden, nachdem es ihm ein Stück seines besten Herzens gekostet hatte.

Sommer 1840 aber, um die Zeit, von der ich hier erzähle, standen diese schmerzlichen Ereignisse noch weit aus, und Fritz Esselbach erfreute sich froher, glücklicher Tage, die die natürliche Folge seiner großen Beliebtheit waren. Er war in mehr als einem Kreise heimisch und bewegte sich innerhalb der Finanz- und Beamtenwelt mit derselben Leichtigkeit wie innerhalb der Bourgeoisie. Gelegentlich nahm er mich in diese Kreise mit, und so kam es meinerseits zu Gastrollen.

Von einer dieser Gastrollen, und zwar einer innerhalb der Bourgeoisie gegebenen, spreche ich hier zuerst.

»Weißt du«, so hieß es eines Tages seinerseits, »du könntest mir eigentlich eine Polterabendrolle schreiben, und wenn du's noch besser mit mir vorhast, so schreibst du dir selber auch eine und begleitest mich.«

»Wo ist es denn?«

»Es ist bei einem Hofschlächtermeister in der Klosterstraße. Dicht neben dem ›Grünen Baum‹.«

»O, das ist ja meine Gegend. Von da fahren ja immer unsre Ruppiner Hauderer ab. Ich bin nämlich mit Permission ein Ruppiner.«

»Nun gut; nimm das als einen Fingerzeig.«

Und wirklich, ich schrieb nicht bloß ihm, sondern auch mir eine Polterabendrolle. Von der seinigen weiß ich nichts mehr, die meinige aber war die eines ruppigen, den linken Fuß etwas nachziehenden und als Hochzeitsgeschenk eine Amor- und Psyche-Gruppe bringenden Gipsfigurenhändlers. Der Triumph war vollständig und größer, als ich ihn je wieder in meinem Leben erlebt habe. Daran denkt man gern zurück. Aber auch sonst noch war der Abend von großem Interesse für mich, denn ich habe mich damals zum ersten und zum letzten Male in einem wirklich reichen Alt-Berliner Bürgerhause bewegt. Ich empfing davon in jedem Anbetracht den allergünstigsten Eindruck. Daß es hoch herging, daß die Festräume von Lichtern und Gold und Silber glänzten, versteht sich von selbst, aber es ging zugleich auch ein völlig aristokratischer Zug durch das Ganze, der sich neben anderm ganz besonders darin aussprach, daß, bei freundlichstem Entgegenkommen, alles von einer gewissen Reserviertheit begleitet war. Wie's innerhalb derselben Sphäre heutzutage steht, kann ich mit Sicherheit nicht angeben, aber ich möchte, nach Beobachtungen auf einigermaßen angrenzendem Gebiet, beinah glauben, daß wir seitdem keine sonderlichen Fortschritte gemacht haben. Vielleicht war es auch ein ganz besonders gutes Haus.

Das zweitemal, wo sich Fritz Esselbach, und zwar unter Assistenz einer ringellöckigen Dame, meiner bemächtigte, stand wieder ein Polterabend in Sicht, aber diesmal in einem ganz andern Kreise. Der bis vor kurzem noch unter uns lebende, längst zu einer Zelebrität gewordene Professor Kummer verheiratete sich mit einer Mendelssohnschen Tochter, und der Polterabend wurde Neue Kommandantenstraße gefeiert, im Hause der Brauteltern. Ich traf etwas verspätet ein, als man eben schon die Plätze vor der im Saal aufgeschlagenen Bühne verlassen wollte. Voll großer Güte gegen mich aber machte man kehrt, nahm die Plätze wieder ein und ließ sich eine Gärtnerburschenrolle, will also sagen das denkbar Trivialste, ruhig und selbst unter Beifallsbezeigungen gefallen. Trotzdem war es, gemessen an meinem als Gipsfigurenhändler eingeheimsten Erfolge, kaum ein Succès d'estime, worüber mich auch die große Liebenswürdigkeit der Wirte wie der Gäste nicht täuschen konnte. Vorn, im Zuschauerraum, stand ein Militär, Stabsoffizier, der sich, als ich von der Bühne herab in den Saal trat und da umherirrte, mit mir armen verlegenen Jungen entgegenkommend unterhielt. Anderthalb Jahrzehnte später verging kaum ein Gesellschaftsabend im Franz Kuglerschen Hause, wo mir nicht Gelegenheit gegeben worden wäre, die Bekanntschaft von damals zu erneuern. Er, der sich meiner an jenem Polterabende so freundlich angenommen hatte, war ein Schwager Franz Kuglers, der Major – spätere General – Baeyer, der berühmte Geodätiker, Schöpfer seiner Wissenschaft.

Fritz Esselbach, überall mein Introdukteur, führte mich auch, wie schon eingangs hervorgehoben, in den Lenau-Klub ein. Den Anstoß dazu gab aber nicht meine Dichterei, sondern eine ganz zufällige Begegnung, ohne welche meine Bekanntschaft mit diesem Dichterverein vielleicht nie stattgefunden hätte. Von dieser Begegnung zunächst ein Wort.

Wir, Fritz Esselbach und ich, kamen vom Tiergarten her und schlenderten über den Karlsplatz fort, auf die Oranienburger Straße zu, an deren entgegengesetztem, also ganz in der Nähe des Haakschen Marktes gelegenen Ende Fritz Esselbach wohnte. Als wir bis an die Ecke der Auguststraße gekommen waren, sah ich, daß hier, eine Treppe hoch, gerad über der Tür eines Materialwarenladens, ein junger Mann im Fenster lag und seine Pfeife rauchte. Fritz Esselbach grüßte hinauf. Der junge Mann, dem dieser Gruß galt – ein Mädchenkopf, mit einer in die Stirn gezogenen gelben Studentenkappe – , wirkte stark renommistisch; noch viel renommistischer aber wirkte seine Pfeife. Diese hatte die Länge eines Pendels an einer Turm- oder Kirchenuhr und hing, über die Ladentür fort, fast bis auf das Straßenpflaster nieder. Vor der Ladentür, weil gerade »Ölstunde« war, war ein reger Verkehr, so daß die Pfeife beständig Pendelbewegungen nach links oder rechts machen mußte, um den Eingang für die Kunden, die kamen, freizugeben. Natürlich wär' es für den Ladeninhaber, der zugleich Hausbesitzer war, ein kleines gewesen, sich dies zu verbitten, er ließ den Studenten da oben aber gern gewähren, weil dieser seltsame Schlagbaum ein Gegenstand stärkster Anziehung, eine Freude für die Dienstmädchen der ganzen Umgegend war; alle wollten an der Studentenpfeife vorbei.

»Wer ist denn das?« fragte ich. »Du grüßtest ja hinauf.«

»Das ist Hermann Maron

»Kenn' ihn nicht.«

»Dann mußt du ihn kennenlernen. Er macht auch Verse, ja, ich glaube, bessere als du. Nächsten Sonnabend ist Sitzung unsres Lenau-Vereins. Ich bin selber erst seit kurzem Mitglied, aber das tut nichts; ich werde dich einführen.«

Und so geschah es. Zu festgesetzter Stunde stieg ich mit meinem Freunde die schmale stockdunkle Stiege hinauf und wurde, nachdem wir uns ins Helle durchgetappt hatten, einem in einem kleinen und niedrigen Zimmer versammelten Kreise junger Männer vorgestellt. Es waren ihrer nicht viele, sechs oder acht, und nur zwei davon haben später von sich reden gemacht. Der eine war der von jener flüchtigen Begegnung her mir schon bekannte Hermann Maron selbst, der andre war Julius Faucher. Beide vollkommene Typen jener Tage.

Hermann Maron, unser Herbergsvater, gab den Ton an. Er war aus einem sehr guten Hause, Sohn eines Oberforstmeisters in Posen, und hatte sich, von Jugend an maßlos verwöhnt, in völlige Prinzenmanieren eingelebt. Selbst der skeptische und an Klugheit ihm unendlich überlegene Faucher unterwarf sich ihm, vielleicht weil er, wie wir alle, in den bildhübschen Jungen verliebt war. Dazu kam Marons offenbare dichterische Überlegenheit. Eins seiner Gedichte führte den Titel: »Ich mach' ein schwarzes Kreuz dabei«, Worte, die zugleich den viermal wiederkehrenden Refrain des vierstrophigen Liedes bildeten. Mutter, Freund, Geliebte sind vor ihm hingestorben, und die Frage tritt jetzt an ihn heran, was seiner wohl noch harre in Leben, Liebe, Glück. Und: »Ich mach' ein schwarzes Kreuz dabei« lautet auch hier wieder, vorahnend, die Antwort. Sein Leben war ein verfehltes, und jäh schloß es ab.

Meine Bekanntschaft mit ihm war damals, Sommer 1840, nur von kurzer Dauer, auch kamen wir uns nicht recht näher, weil ich, trotz des glatten Gesichts, ja, ich möchte fast sagen, um desselben willen, etwas Unheimliches an ihm herausfühlte. Vier, fünf Jahre später sah ich ihn flüchtig wieder. Er war in manchem verändert, nur nicht darin, daß er durchaus Sensation machen mußte. Sonderbarerweise verfuhr er dabei ganz nach seinen früheren Inszenierungsprinzipien. Er wohnte zu jener Zeit zwei Treppen hoch in der Kronenstraße und gefiel sich, ganz ähnlich wie früher, darin, sich zur Erbauung der Vorübergehenden derart ins offne Fenster zu setzen, daß seine Beine links und rechts neben dem Fensterkreuz herunterhingen. So saß er da, lesend, rauchend, während drüben das Abendrot über den Dächern hing.

Dann – aber erst geraume Zeit später – ersah ich aus den Zeitungen, daß er sich einer nach Ostasien (Japan) bestimmten staatlichen Expedition angeschlossen habe, deren Chef Graf Fritz Eulenburg, der spätere Minister des Innern, war. Marons Stellung zu Graf Fritz Eulenburg, der wohl eine Vorliebe für derartig aparte Persönlichkeiten haben mochte, war die denkbar beste, so daß sich ihm, dem sichtlich Bevorzugten, eine glänzende Zukunft zu bieten schien. Er gab auch ein Buch über Japan heraus, das sehr gerühmt wurde. Trotzdem wollte es nichts Rechtes mit ihm werden, so daß er es schließlich als ein großes Glück ansehen mußte, daß sich eine reiche, nicht mehr junge schlesische Dame in ihn verliebte. Die Vermählung fand statt, und es folgten halbwegs glückliche Jahre, wenn das Gefühl, aus den Schulden und Verlegenheiten heraus zu sein, ausreicht, einen Menschen glücklich zu machen. In diesen Jahren sah ich ihn wieder, als einen Sechziger oder doch nicht viel jünger. Es war in einem großen Zirkel bei Wilhelm Gentz, dem Afrikamaler, Hildebrandstraße 5.

»Alle Wetter, Fontane, daß ich Sie hier wiedersehe. Wie geht es Ihnen?«

»La la.«

»Ja, la la. Gott, wenn ich an die Auguststraße zurückdenke und unsre Verse. Viel ist nicht dabei 'rausgekommen. Ich müßte Sie denn ausnehmen.«

Das Verbindliche, das in der Schlußwendung zu liegen schien, bedeutete nicht viel, denn der Spott überwog.

Ich versuchte nun von Japan und Graf Eulenburg zu sprechen. Aber er unterbrach mich und sagte: »Ach, lassen wir doch das. Ich will Sie lieber mit meiner Frau bekannt machen. Ich bin nämlich verheiratet.« Und dabei wies er, während er übermütig lachte, auf eine ein paar Schritt zurückstehende Dame.

Die alte Dame selbst hatte ein unbedeutendes, aber sehr gutes und freundliches Gesicht, und man sah deutlich, daß sie, trotzdem seine Haltung nur Überheblichkeit und keine Spur von Respekt ausdrückte, doch nur für ihn lebte. Wir tauschten unsre Karten aus und wollten uns besuchen und von alten Zeiten sprechen.

Es kam aber nicht dazu, denn nicht sehr viel später schied er aus dem Leben. Es verlief so. Das Vermögen der Frau war aufgezehrt, und er bezog eine Wohnung, wenn ich nicht irre, ganz in Nähe des Oranienburger Tores, nur wenig hundert Schritt von jener Auguststraßenecke entfernt, wo ich ihn vierzig Jahre früher kennengelernt hatte. Die Verlegenheiten wurden immer größer, und er beschloß seinen Tod. Sein Verfahren dabei war Maron vom Wirbel bis zur Zeh. Er zeigte sich übrigens, als die Stunde da war, nicht ohne eine gewisse, wenn auch nur von Dankbarkeit und vielleicht mehr noch von Charakterkenntnis diktierte Liebe zu seiner Frau, und so kam es denn, daß er sich die Frage stellte: »Ja, wenn du nun fort bist, was wird alsdann aus dieser Armen, die nie für sich denken und handeln konnte? Das beste ist, sie stirbt mit.« Und so saßen sie denn auf dem Sofa der immer öder gewordenen Wohnung und nahmen ein allereinfachstes Frühstück ein. Die Frau, ahnungslos, ließ es sich schmecken, und noch den Bissen im Munde, traf sie die tödliche Kugel. Im nächsten Augenblick schoß er sich selbst durch die Schläfe.

Charakteristisch war auch der an den Hauswirt gerichtete Brief, der sich auf seinem Schreibtisch vorfand. Er entschuldigte sich darin, daß er nicht bloß die Miete nicht gezahlt, sondern durch sein Tun auch das Weitervermieten erschwert habe. Das war sein Letztes. »Ich mach' ein schwarzes Kreuz dabei.«

Viel bedeutender als Maron und überhaupt der weitaus Bedeutendste des ganzen Kreises war Julius Faucher. Nur sehr wenige sind mir in meinem langen Leben begegnet, die reicher beanlagt gewesen wären, und keinen habe ich kennengelernt, an dem man das, was man damals ein »Genie« nannte, so wundervoll hätte demonstrieren können wie an ihm. Ich sage mit Vorbedacht »damals«; jetzt denkt man Gott sei Dank anders darüber. Man weiß jetzt, daß ein Philister ersten Ranges ein großes Genie sein kann, ja, erst recht, während man sich ein solches, in den dreißiger und vierziger Jahren, ohne bestimmte moralische Defekte nicht gut vorstellen konnte. Jedes richtige Genie war auch zugleich ein Pump- und Bummelgenie. Von dieser Regel gab es nur wenig Ausnahmen.

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