Kitabı oku: «Von Zwanzig bis Dreißig», sayfa 4
Dieser Vorgang und fast nicht minder der trotz seiner Verrücktheit eifrig weitergesponnene Plan der »Desinfizierung der Themse« machte es, daß ich mich von der Babel-Gesellschaft etwas zurückzog und eine Zeitlang keines ihrer Mitglieder mehr sah. Auch die befreundeteren nicht. Das wurde denn auch Grund, daß ich einer Festlichkeit nicht beiwohnte, die Freund Faucher gerade damals gab und die seinen ohnehin vorhandenen Ruf als »decidedly clever fellow« in der ganzen deutschen Kolonie noch erheblich steigerte. Diese damals viel besprochene Festlichkeit, die halb – und noch über halb hinaus – ein politischer Akt war, entsprang der mehr und mehr bei Faucher heranreifenden Vorstellung, daß seine Redakteurschaft – er war Redakteur am Morning Star – etwas zu Kleines für ihn sei und daß irgend etwas geschehn müsse, seine gesellschaftliche Position zu verbessern. Nach einigem Nachsinnen darüber, was sich da wohl tun lasse, kam er zu dem Resultat, daß nur der Bischof von Oxford, ein Sohn oder Enkel des berühmten Wilberforce, ihm diesen Dienst gesellschaftlicher Erhebung leisten könne, weshalb all sein Trachten danach ging, ebendiesen Bischof – der in einer Weise, wie wir uns das hierlandes kaum vorstellen können, als ein gesellschaftliches Non plus ultra galt – in sein Haus einzuladen, um ihn hier an einer zu gebenden Soiree teilnehmen zu sehn. Um diese Sache drehte sich nun mehrere Wochen lang Fauchers Hoffen und Bangen. Allem vorauf stand ihm fest, daß eine Soiree, wie die von ihm geplante, in dem mehr als bescheidenen Hause, das er zu jener Zeit bewohnte, nicht gegeben werden könne, weshalb sich als erstes Erfordernis das Mieten einer neuen, in einem möglichst fashionablen Stadtteil gelegenen Wohnung herausstellte. Das Gewünschte fand sich denn auch. Er mietete auf vier Wochen eine glänzend eingerichtete Flucht von Zimmern in Westbourne-Terrace und schritt nun zur Einladung des Bischofs. Und richtig, der Bischof sagte zu. Galonierte Diener wurden engagiert, eine deutsche Sängerin fand sich wie immer, und ein »Confectioner« – Konditor und Traiteur – in Regent-Street übernahm die Versorgung mit Speis und Trank. Um neun brannten alle Kronen, Cabs fuhren vor, Frau Faucher stand im ersten Stock auf dem Vorflur zwischen Treppenmündung und Salon und empfing ihre Gäste, das Gesicht etwas ängstlich verzerrt, denn der, um den das alles inszeniert wurde, war noch immer nicht da. Da, wer beschreibt das Glück, erschien der Bischof von Oxford mit dem ihm eignen wohlwollenden Lächeln, begrüßte die Dame des Hauses, verneigte sich kurz, sowohl gegen Faucher wie gegen die zunächst Stehenden, und schritt dann langsam durch die drei Festräume, die er, nach Ablehnung einer Erfrischung und unter erneuten Verneigungen gegen die Versammlung, in langsamem Tempo wieder verließ. Seine Anwesenheit hatte keine fünf Minuten gedauert, der Zweck aber war erreicht, denn am andern Morgen stand in allen Zeitungen: »Yesterday took place a splendid evening party at Mr. and Mrs. Faucher, Westbourne Terrace; the Bishop of Oxford was present.« Nach diesem Tage wurde Faucher, erdrückt von Verbindlichkeiten, nicht mehr im Bereich seiner von ihm auf vier Wochen gemieteten Prachtwohnung gesehn; er zog vielmehr weit, weit fort, in eine ganz andre Himmelsgegend. Das war im Januar achtundfünfzig.
Um diese Zeit kamen wir uns wieder näher, denn es rückten jetzt die Tage der Vermählung zwischen Kronprinz Friedrich Wilhelm und Prinzeß Victoria heran. Ich hatte darüber für eine Berliner Zeitung zu berichten, und da Faucher vorhatte, sich ebenfalls als »own correspondent« – ich weiß nicht mehr, für welch deutsches oder französisches Blatt oder vielleicht auch bloß für seinen Morning Star – zu installieren, so kam er täglich auf die Gesandtschaft, wo wir uns trafen und unsre Hoffnungen oder Befürchtungen austauschten. Alles drehte sich darum, ob es möglich sein würde, Plätze für uns zu beschaffen. Graf Bernstorff, wie immer die Güte selbst, drang schließlich bei dem Hofmarschallamte durch, und so bekamen wir unsere »Tickets«. Aber hinsichtlich dieser Tickets selbst waltete doch ein großer Unterschied; Fauchers Ticket war, glaub' ich, viel vornehmer, aber meines viel bequemer. So hatte der Zufall uns beiden geholfen, denn so gewiß ich jederzeit für Bequemlichkeit war, so gewiß war Faucher jederzeit für grande représentation, und wenn er zu diesem Zweck auch in spanische Stiefel geschnallt worden wäre. Ein wenig davon war nun wirklich der Fall, denn die ihm gewordne Eintrittskarte legte ihm die Verpflichtung auf, in Hofkostüm zu erscheinen: schwarzseidne Strümpfe und Schnallenschuhe, Frack Louis quinze, Dreimaster und Galanteriedegen. Mich hätte das finanziell ruiniert, für Faucher aber, den Mann von Westbourne-Terrace, war das alles Bagatellkram, und auf einer Schauprobe sah ich ihn denn auch in pontificalibus. Er machte sich sehr gut und wußt' es auch. Tags darauf war die Trauung in St. James; ich saß, Gott weiß durch welches Glück oder welchen Irrtum, dicht hinter der pompösen Herzogin von Sutherland und ihren zwei Töchtern, alle drei durch ihre Schönheit berühmt, und vergaß darüber meinen Faucher, den ich dann auch während der ganzen Festlichkeit nicht wieder zu sehen bekam. Den andern Nachmittag aber, ich hatte eben meinen Festbericht beendet, kam er von seiner Redaktion aus zu mir herausgefahren, und meine Frau ließ sich verleiten, ihm das, was ich über die Vermählungsfeier geschrieben hatte, vorzulesen. Er wiegte den Kopf dabei hin und her und sagte: »Ja, ja, man kann es auch so machen; ganz gut.« Es war aber ersichtlich, daß es ihm wenig gefallen hatte, was ich ihm zwar nicht übelnahm, aber in seiner vollen Berechtigung doch nicht ganz erkannte, ja, nach meiner damaligen Stellungnahme zu solchen Dingen auch nicht einmal erkennen konnte. Denn mir steckte zu jener Zeit der unter Glaßbrenner und Beckmann und unter beständiger Lektüre schrecklicher Wortwitze herangewachsene Spree-Athener noch viel zu stark im Geblüt, um solchen Bericht überhaupt schreiben zu können. Alles war vermutlich ohne rechte Manier. Ich ging davon aus, daß es darauf ankäme, die patriotischen und loyalen Wendungen mit soviel »Geist« wie möglich aufzuputzen, wozu mir die Hervorhebung kleiner scherzhafter Zwischenfälle ganz besonders geeignet erschien. Das ist nun aber, wie ich jetzt weiß, grundfalsch. Nicht feierlich sein, was aufs Ganze hin angesehn vielleicht ein Vorzug ist, kann auch zum Verbrechen werden, jedenfalls zur Unpassendheit, und der kluge und feine Faucher, der trotz all seiner Zynismen, Tollheiten und Eitelkeiten immer wußte, wo diese Dinge hingehörten und wo nicht, hatte bei Anhörung meines Festberichts diesen Kardinalfehler gleich herausgefunden.
Die Wochen, die der kronprinzlichen Vermählung voraufgingen und folgten, hatten Faucher und mich wieder näher geführt, so nahe, daß von jener Zeit ab, durch fast dreiviertel Jahr hin, eine Art Haus- und Familienverkehr entstand. Ich verdanke dem einige ganz besonders interessante Tage, trotzdem es an Schwierigkeiten und Sonderbarkeiten nicht fehlte.
Zunächst ein Wort über die Schwierigkeiten. Diese hatten ihren Grund schon in der räumlichen Entfernung, die so groß war wie nur möglich. Unsere Wohnung, mit dem Blick auf Hampstead und Highgate, lag im äußersten Norden, während sich Faucher umgekehrt am äußersten Südrande der Stadt niedergelassen hatte, noch über Camberwell hinaus, in einem schon ganz ländlichen Vorort, der Denmark Hill hieß. Bis dorthin war ungefähr so weit wie von Berlin bis Spandau. Die Blackfriarsbrücke bildete genau die Hälfte, und mit zwei Omnibussen konnten wir jedesmal den Heimweg zwingen, wenn wir nicht bei Fauchers die richtige Abfahrtszeit versäumten.
Denmark Hill, eine Art Faubourg des Blanchisseuses, wo beständig Wasche flatterte, war in seiner Ländlichkeit sehr reizend, und ebenso reizend präsentierte sich die kleine Villa, die Fauchers bewohnten. Frau Faucher, in vielen Stücken eine kluge Frau, war ein wenig zu sehr aufs Große hin angelegt, was, einem Ondit zufolge, damit zusammenhing, daß ihr in der achtundvierziger Zeit eingeredet worden war, »sie würde als Frau Präsidentin des Reichs durchs Brandenburger Tor ihren Einzug halten«. Hätte sie gewußt, daß mir wenigstens drei, vier Damen bekannt geworden sind, die sich alle mit demselben »Einzug« schmeichlerisch beschäftigt haben, so hätte sie vielleicht manches von der grande dame fallen lassen. Sie spielte übrigens diese Rolle gut genug, trotzdem ihr Faucher und die häuslichen Verhältnisse dies nicht gerade erleichterten. Einmal erschienen wir, um gleich in den ersten fünf Minuten mit der Mitteilung überrascht zu werden, daß in der Nacht vorher bei ihnen eingebrochen und beinah sämtliches Silberzeug weggeräubert sei. Wir möchten also entschuldigen. Dann gingen wir zu Tisch und behalfen uns mit zwei Papplöffeln und ein paar neusilbernen Bestecken, die die »Diebe« wegen Minderwertigkeit zurückgelassen hatten. An allem ließ sich erkennen, daß ein schweres Gewölk, sehr ähnlich dem, das bei Gelegenheit der Heymannschen Taufe heraufgezogen war, unmittelbar vorher zu Häupten der Familie gestanden haben müsse, ja vielleicht noch stehe; beide Eheleute aber hatten ein seltenes Talent, solche Fatalitäten unter Lächeln und Freundlichkeiten verschwinden zu lassen.
Der Sonnenschein des Hauses, der einzige wohl ganz echte, war die schöne Lucie, ein reizendes Kind an der Backfischgrenze. Sie wußte, was um sie her vorging, und wußt' es auch wieder nicht. Elfenartig, dem Wirklichen halb entrückt, bewegte sie sich unbefangen in einer Welt von Widersprüchen und Wunderlichkeiten, von Zank und Streit, von schönen Kleidern und silbernen Löffeln, gleichviel, ob diese noch existierten oder über Nacht in etwas rätselvoller Weise verlorengegangen waren. Alles war ihr dasselbe, traumhaft zog der bunte Reigen an ihr vorüber. Vieles im Faucherschen Hause war nur plattiert, aber die Liebe zu dieser reizenden Tochter, in der sich alles Gute der beiden Eltern vereinigt fand, war echt und aufrichtig, und der Zauber, der ihr eignete, war es denn auch, der sie schon früh ihr Lebensglück finden ließ. Sie wurde die Gattin eines ausgezeichneten Mannes und hat, wenn ich recht berichtet bin, im Südosten, in den großen See- und Handelsstädten des Mittelmeeres, ihre jungen Tage verbracht.
Der letzte Besuch, den wir, meine Frau und ich, in Denmark Hill machten, schloß für uns mit einem kleinen Abenteuer ab. Es hatte den Tag über geregnet, und erst zu später Stunde, weil wir das Wetter abwarten wollten, brachen wir, so gut es ging und die Wasserlachen es zuließen, in Geschwindschritt auf, um noch den letzten Camberwell-Omnibus zu fassen. Aber wir kamen trotzdem zu spät, er war schon fort, und so stapften wir denn aufs neue durch die Tümpel hin, eine ganze deutsche Meile weit, bis wir die Blackfriarsbrücke glücklich erreicht hatten. Da standen Cabs.
»Wir sind nun doch mal naß«, sagte ich. »Ich glaube, es ist das beste, wir marschieren weiter.«
»Ich kann nicht mehr; ich bin todmüde.«
So winkte ich denn einen Cab heran – Cabs, im Gegensatz zu Berlin, kommen, wenn man winkt –, und wir stiegen ein. Und ehe wir noch über die Brücke waren, schlief meine Frau schon.
Es ging nun in grader Linie nördlich auf Holborn Hill zu, wo wir links einbiegen und dann, in abermaliger Biegung, durch Grays Inn Lane hin, auf unsre Wohnung in Camden-Town zufahren mußten. Aber dies links Einbiegen bei Holborn Hill wurde versäumt, und unser Cabkutscher zog es statt dessen vor, in grader Linie zu bleiben. Nun wußt' ich sehr wohl – denn ich kannte London besser, als ich Berlin kenne – , daß man auf diesem Wege gradesogut nach Norden kam wie durch Grays Inn Lane, aber ebensogut wußt' ich auch, daß die Cabkutscher nie so fuhren, denn dieser gradlinige Weg führte durch eins der schlechtberufensten und zugleich engsten und winkligsten Quartiere von London, durch Clerkenwell. Wie oft, wenn wir, auf unserm täglichen Wege zur Post, Holborn Hill passierten, hatten wir nach diesem übelberufnen Stadtteile scheu hinübergeblickt; denn man konnte nicht leicht etwas Trostloseres und Beängstigenderes sehn als dies Clerkenwell. Daß es aus halbverfallenen elenden Häusern bestand, hatte nicht viel zu sagen, solche heruntergekommenen Quartiere gab und gibt es in London überall, aber das war das Schlimme, daß man vor etwa zwanzig oder dreißig Jahren den Versuch gemacht hatte, das Alte hier niederzureißen und Neues an seine Stelle zu setzen, in welchem Versuche man, weil die Baugelder ausgingen, steckengeblieben war. Als Folge davon ergab sich nun ein furchtbares Mixtum compositum von Spelunken und unfertigen Neubauten, von welch letztren man nichts sah als zehn oder fünfzehn Fuß hohe Mauern mit halbfertigen Fensteröffnungen. Denn auch diese schnitten wieder in der Mitte ab. Ich wußte, daß dieser Stadtteil meiner Frau jedesmal ein ganz besondres Grauen einflößte, was aber, weit darüber hinaus, die Lage ganz besonders heikel machte, war der Umstand, daß wir kaum acht Tage vorher von einem Cabkutscher gelesen hatten, der, in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Diebs- und Mörderbande, sich durch prompte Fahrgastablieferung in Quartieren à la Clerkenwell nützlich gemacht hatte. Mir selbst war, dem allem gegenüber, auch ziemlich ängstlich zu Sinn, aber dies Angstgefühl verschwand doch neben der Schreckensfrage: »Wenn deine arme Frau jetzt gerade aufwacht!« Und natürlich keine halbe Minute mehr, so gab es einen Stoß, und aus ihrem Schlaf in die Höh' fahrend, sah sie jetzt durch das herabgelassene Fenster auf die ihr nur zu wohlbekannten, aus hellgelben Ziegelsteinen aufgeführten Ruinen.
»Um Gottes willen, er fährt ja...«
»Ja, ja Kind. Aber beruhige dich nur; es wird schon wieder besser; wir sind ja gleich heraus...«
»Nein, nein. Laß halten.«
»Ich bitte dich. Um alles in der Welt, mach' hier keine Szene. Wir blamieren uns unsterblich... Unter allen Umständen, wir können nichts ändern. Außerdem, sieh nur, er jagt ja wie toll, es ist, als ob er sich selber graule.«
Wirklich, eine halbe Minute später, so lag Clerkenwell hinter uns; das mußte Somers-Town sein und das der Eisenbahnbogen. Und eine kleine Weile noch, so hielten wir vor unsrem Haus, und Betty, die sich schon geängstigt hatte, leuchtete uns, den Blaker in der Hand, die kleine Treppe hinauf.
Nach diesem Abend sah ich Faucher erst wieder, als wir, nach Berlin zurückgekehrt, uns daselbst längst wieder heimisch gemacht hatten. Es war eine Begegnung im Zoologischen Garten, Sommer zweiundsiebzig. Ein reiches, durch zwölf Jahre hin in der deutschen Heimat geführtes politisches Leben lag hinter meinem alten Londoner Kneipkameraden, und da saß er nun, sorglich abgetrennt von den Alltagsbesuchern, auf einer etwas erhöhten, beinah altanartigen Stelle, drauf sich ein primitiver Tisch und eine noch primitivere Bank befand. Augenscheinlich ein letztes Refugium für sonntägliche Gäste, wenn alle anderen Plätze besetzt waren. Einen Tintenstecher, der ihn, von seinen Studententagen her, durchs Leben begleitet haben mochte, schräg in den Tisch gebohrt und einen kleinen Briefbogen vor sich, sah er, abwechselnd, wie was suchend, in den Himmel hinauf und dann wieder auf den Bogen nieder, um ein paar Zeilen zu kritzeln. Ich beobachtete ihn schon von fern und trat dann an ihn heran.
»Guten Tag, Faucher. Daß ich Sie mal wiedersehe. Und immer fleißig.«
Er lachte. »Sie überschätzen mich. Muß ist eine harte Nuß. Geld, Freund, Geld.«
»Ja, ich weiß. Ich erinnere mich recht gut. ›Jetzt muß Geld und Weltgeschichte gemacht werden‹ – das war immer Ihr Lieblingswort, schon damals, als wir in London die Vermählungstage mitfeierten.«
Er nickte. »Kann mir denken, daß ich so was gesagt habe; hab's auch mit beiden versucht. Nur leider mit entschiedenem Mißerfolge. Der Mißerfolg mit der ›Weltgeschichte‹, na, das möchte gehn; aber das mit dem Geld, das ist mir schmerzlich. Und nun sitz' ich hier im Zoologischen und kritzle eine Korrespondenz zusammen und weiß nicht recht, was ich schreiben soll.«
»Und was macht denn Lucie? Noch immer so reizend?«
»Na ob!« Und sein ganzes Gesicht strahlte.
Wir sprachen dann noch von Bismarck, von Eugenie – für die er natürlich eine Vorliebe hatte – und von den fünf Milliarden. Auf die aber war er schlecht zu sprechen. »Ja«, sagte er, »wenn ich sie hätte, das ginge, das könnte mich damit versöhnen. Aber Deutschland hat nichts davon. Für Deutschland sind sie nichts Gutes; sie ruinieren uns.«
Und damit schieden wir.
Ich hörte noch dann und wann von ihm und von seinen Fahrten an den Küsten des Mittelmeeres: Italien, griechische Inseln, Konstantinopel. Er war fast immer unterwegs. Zuletzt kam die Nachricht von seinem Tode.
Am 12. Juni 1878 war er in Rom gestorben.
Drittes Kapitel
Der Platen-Verein: Egbert Hanisch
Zur selben Zeit, wo ich der vorgeschilderten Lenau –Gesellschaft angehörte, war ich, wie schon hervorgehoben, auch Mitglied eines Platen-Klubs.
Es war gleich in den ersten Tagen des Januars 40, daß ich mich hier eingeführt sah. Und das kam so. Der Silvesterabend hatte mich, einer gesellschaftlichen Abmachung zuliebe, nach der »Hennigschen Ressource« verschlagen, und hier war ich einem jungen Maler namens Flans begegnet, der, weil er im ›Figaro‹ verschiedenes von mir gelesen, mich aufforderte, doch einem literarischen Verein, dem er angehöre, beizutreten. Dies war der Platen-Klub. Ich sagte mit tausend Freuden »ja« und wohnte schon der nächsten Sitzung bei. Viele frohe Stunden – mehr als in dem Lenau-Klub, mit dem der Zusammenhang, trotz intimer Beziehungen zu einzelnen, ein loser blieb – habe ich in diesem Verein verbracht.
Maler Flans war eine ziemlich fragwürdige Gestalt, und das vielzitierte Wort: »Was gemacht werden kann, wird gemacht« war wie für ihn erfunden. Als Maler kaum mittelmäßig, war er im übrigen, und zwar immer mit einem Anfluge von Komik, nur noch bemerkenswert als Don Juan kleineren Stils, als Festarrangeur, Jeubruder und Sonntagsreiter und brachte es zuwege, daß er am Ende seiner Tage nicht als Flans, sondern unter seinem mütterlichen Namen irgendwo nobilitiert wurde. Zum Glück ist er kinderlos verstorben.
Es braucht nicht gesagt zu werden, daß ein Mann wie Flans, der außerdem um ein gut Teil älter war als der Rest unsrer »Plateniden«, den ganzen Klub in der Tasche hatte. Keiner traute ihm, aber jeder gehorchte, wobei der Verein übrigens nicht schlecht fuhr, denn seine Gewandtheit war groß. Dazu bon garçon, immer auf bestem Fuß mit den Kameraden, die den verschiedensten Berufen angehörten. Die meisten waren Studenten, unter denen wieder die Theologen überwogen. Einer, der schon Doktor war, hielt es mit der Philosophie. Dies war Werner Hahn, der sich später in dem entzückenden Sakrow, wohin er sich zurückgezogen, mit Mühe und Fleiß zu einem vielgelesenen Schriftsteller heraufarbeitete. Man hat von ihm eine Bearbeitung der Edda, desgleichen eine in vielen Auflagen erschienene »Geschichte der poetischen Literatur der Deutschen«. Sein Bestes aber sind doch wohl seine volkstümlichen Darstellungen preußischer Geschichtsstoffe: Königin Luise, der Alte Zieten, König Friedrich I., Kunersdorf etc. Er hatte, ganz wie Heinrich Beta, von dem ich im vorigen Kapitel gesprochen, ein bewährtes Rezept, nach dem er verfuhr. Übersichtliche Stoffeinteilung war seine Spezialität und zugleich sein Hauptvorzug. Er vermied auch die Phrase, was bei patriotischen Stoffen immer schwer, aber deshalb auch wichtig ist.
Ich wurde seitens der Vereinsmitglieder sehr freundlich aufgenommen und behauptete mich ein gutes Vierteljahr lang unter ihnen, vielleicht, weil ich wohlassortiert, will sagen mit einem Lager, dessen Bestände kein Ende nehmen wollten, in ihren Kreis eingetreten war. So kam es denn auch, daß ich eines Tages mit der Erklärung überrascht wurde, »jetzt sei die Zeit da, wo mir die höchsten Ehren, über die der Verein Verfügung habe, erwiesen werden müßten. Die nächste Sitzung sei zu diesem feierlichen Akte bestimmt.« Ich erhielt denn auch wirklich die vorgeschriebenen Auszeichnungen: Diplom und Orden. Flans hatte sich mit Ruhm bedeckt und das mit Arabesken und Initialen reich ausgestattete Diplom auch noch selbst geschrieben. Eine Stelle daraus ist mir noch gegenwärtig. In fast jedem meiner damaligen Gedichte schien der Mond unentwegt, und so hieß es denn gleich zu Anfang: »Unser Lieber und Getreuer, geboren zu Neuruppin bei Mondschein etc.« Hinsichtlich des Ordens aber wurde mir in feierlicher Ansprache geraten, ihn heimlich zu tragen, da sich der Verein, trotz seines weitreichenden Einflusses, außerstand sehe, den damit öffentlich Auftretenden vor Unannehmlichkeiten zu schützen. Dieser Orden war natürlich ein Kotillonorden, in dessen Mitte sich ein auf seinem Wagen stehender Apoll befand. Man war an dem Überreichungsabend sehr liebenswürdig gegen mich, ließ mich aber doch fühlen, daß ich meine Siege mehr meinem Massenaufgebot als dem Wert meiner Dichtungen zu verdanken hätte.
Dies alles war leider absolut richtig und wurde mir einige Wochen später nicht mehr bloß andeutungsweise, sondern in aller Deutlichkeit gesagt, was bei der Gutgeartetheit der meisten unter uns vielleicht unterblieben wäre, wenn nicht inzwischen das Hauptmitglied des Vereins, das den Winter über in der Schweiz und in Frankreich gewesen war, sich im Monat April in Berlin wieder eingefunden hätte.
Dies Hauptmitglied hieß Egbert Hanisch. Egbert Hanisch mochte damals zweiundzwanzig Jahr alt sein, eher mehr als weniger. Er war in einer kleinen märkischen Stadt, halben Wegs zwischen Trebbin und Jüterbog, geboren. Auf den ersten Blick eine ziemlich prosaische Gegend. Und doch ist es dieselbe, der wir auch unsren Gottfried Schadow verdanken. Einen gleichen Ruhm einzuheimsen, ist nun freilich unsrem Egbert Hanisch versagt geblieben, aber an Klugheit, Gesundheit, Selbstbewußtsein und eiserner Willenskraft war er dem berühmten Schneiderssohn aus Saalow durchaus ebenbürtig. Sein Vater war ein kleiner Buchbindermeister, handelte mit Fibeln und Schreibheften und hatte nebenher auch eine Leihbibliothek. Auf diese stürzte sich Egbert von frühester Jugend an. Er war aber auch, was sich selten mit solcher Lesewut vereinigt, ein glänzender Schüler, ebenso fleißig wie von raschester Auffassung, und so kam es denn, daß er, nachdem er irgendwo das Gymnasium besucht hatte, mit kaum achtzehn auf die Berliner Universität rückte. Hier sah er sich durch Hengstenberg ausgezeichnet und hatte, nach aller Zeugnis, die Gewißheit einer glänzenden Laufbahn vor sich, als ihn plötzlich ein Wirbelwind ergriff und auf den steinigen Boden des Unglaubens niedersetzte. Jedenfalls war in seinem Gemüt alles ins Schwanken gekommen, und diese Zweifel hatten ihn nicht bloß aus seinem theologischen Studium heraus-, sondern auch in die weite Welt hineingeführt, niemand wußte recht, von wem geleitet. In den Sitzungen war oft die Rede von ihm gewesen; jetzt mit einem Male hieß es: »Er hat geschrieben; er kommt.«
Und wirklich, er kam. Die lebhafteste Freude zeigte sich, denn er war nicht bloß der Stolz, sondern auch der Liebling aller. Er begrüßte mich als neu aufgenommenes Mitglied durchaus freundlich, aber doch mit einem starken Beisatz von Herablassung und setzte sich dann auf seinen Ehrenplatz, um über seine Reise zu berichten. Von Ziel und Zweck derselben aber sprach er nicht, immer nur von kleinen Erlebnissen, unter denen er die komischen bevorzugte.
Wie jeder, so war auch ich ganz Ohr, noch mehr aber war ich Auge. Denn viel, viel mehr noch als das, was ich hörte, interessierte mich das, was ich sah. Seine Erscheinung hatte was ungemein Fesselndes. Er war mittelgroß, schlank, beinah mager, was einem dadurch besonders auffiel, daß auf seinen Schultern ein unverhältnismäßig großer Kopf saß. Gesundeste Farbe, leuchtende Augen, dazu wolliges, halb mohrenhaftes Haar – all das wäre genug gewesen, um Aufmerksamkeit zu wecken. Aber mehr noch wirkte sein Kostüm! Er trug Nankingbeinkleider, einen zeisiggrünen Frack mit altem Sammetkragen und eine Rose im Knopfloch. Wäsche sehr sauber.
Allmählich lebten wir uns ein und wurden gute Freunde. Was er sagte, war immer kurz und apart, mitunter mehr als nötig, denn von der Eitelkeit, immer etwas Bedeutendes sagen zu wollen, war er nicht freizusprechen. Aber da das Überlegene seiner Natur und seines Wissens klar zutage lag, so ließ man sich dies allerseits gern gefallen und ich nun schon ganz gewiß. Er war zu dem Ton, den er anschlug, nach aller Meinung voll berechtigt. In der Ironie war er ein Meister, so sehr, daß ich auch daran nicht Anstoß nahm, wiewohl mir – wie schon an andrer Stelle hervorgehoben – diese hochmütige Gesprächsform von Jugend auf zuwider war. Er hörte meine Gedichte ruhig mit an, und ich meinerseits lauschte mit einer Art Andacht dem Vortrag der seinigen. Sie konnten für sehr gut oder doch wenigstens für sehr talentvoll gelten, und was Maron im Lenau-Klub war, war Hanisch im Platen-Klub. Wir hielten beide viel von weiten Spaziergängen, und in der Regel kam er zu mir, um seinerseits mich abzuholen. Dies schien er vorzuziehen. Einmal aber drang ich doch bis in seine Wohnung vor, weil ich nicht ahnte, daß ihn das genieren könne. Große Geister haben auch ihre Schwächen. Er hatte sich im Seitenflügel eines alten Hauses bei einer armen Waschfrau eingemietet und bewohnte von den zwei Zimmern, aus denen die Gesamtwohnung bestand, das vordere, hart an der Hintertreppe gelegen, dessen eines Fenster, mit einem kleinen Blumenkasten davor, auf den etwas schmuddligen Berliner Hof hinuntersah. Dicht am Fenster befand sich ein als Arbeitstisch dienendes Klappbrett; ein Binsenstuhl stand davor, und auf einem alten Koffer von Seehundsfell lagen etliche Bücher, aber nicht mehr als ein halbes Dutzend. Was er von Büchern brauchte, fand er auf der Bibliothek, wo er meistens die Vormittage zubrachte. Zwei gegenübergelegene Türen, von denen die eine nach dem Flur hinaus-, die andere zur Waschfrau hineinführte, teilten, wenn man durch die Mitte hin eine Querlinie zog, den kleinen Raum in eine Vorder- und Hinterhälfte. In dieser Hinterhälfte stand das Bett, dem ein am Fußende aufgerichteter ovaler Waschzuber als Bettschirm diente. »Etwas primitiv«, sagte er, mit erzwungener guter Laune darauf hinweisend, und ich setzte hinzu: »Ja, aber doch eigentlich mein Ideal.«
Trotz dieser Versicherung hatte die ganz ungewöhnliche Wohnungsschlichtheit einen etwas betrüblichen Eindruck auf mich gemacht, und als ich bald darauf Werner Hahn traf, fragte ich diesen, wie das alles zusammenhänge. Ich sei wohl auch für Einfachheit und fände leicht einen Reiz und einen Vorzug darin; aber das ginge mir doch beinahe zu weit.
»Ja, lieber Freund«, sagte Hahn, »er lebt eben, wie er leben kann. Und schon dies geht eigentlich über seine Mittel. Er hat gar nichts.«
»Aber so klug, wie er ist, müßt' es ihm doch ein leichtes sein...«
»...Stunden zu geben«, unterbrach mich Hahn, »zu schulmeistern und so sich durchzuschlagen. Gewiß. Aber das mag er nicht, und ich kann's ihm kaum übelnehmen. Ein elendes Dasein blieb' es doch. Und da ist diese Lebensform vielleicht besser. Er bleibt bei Kraft, vertut sich nicht und vor allem gähnt er sich nicht selber an, wie so viele leider tun müssen. Er hat eine hohe Meinung von sich, andre, wie Sie wohl gesehen haben, bestärken ihn darin, und so darf er sich's schließlich erlauben. Er lebt eigentlich von den Freunden, und sie sind stolz und glücklich, daß er sich ihre Guttat gefallen läßt.«
»Ich wußte nichts von dem, was Sie da sagen. Wie wird denn das eingerichtet? Da müßte man doch auch eigentlich mit dabeisein.«
»Ist nicht nötig... Und dann, Sie sind nicht Student und gehören überhaupt nicht mit dazu. Pardon. Aber es ist so. Hanisch braucht nicht für sich selbst zu sorgen, andre sorgen für ihn. Allmonatlich schicken wir ihm dreißig Speisemarken, und wenn Sie mittags zu Rosch gehen, so sind Sie sicher, ihn da zu finden. Das andre berechnen wir mit seiner Wirtin; immer bloß ein Minimum. Er lebt zu Hause von Wasser und Weißbrot, aber gut muß beides sein. Denn so wenig verwöhnt seine Zunge ist, so fein ist sie doch auch wieder, vielleicht, weil sie so wenig verwöhnt ist.«
Ich hörte dem allen wie beschämt zu.
Bald nachdem ich dies Gespräch mit Werner Hahn geführt hatte, brach Freund Hanisch wieder auf. Wohin, erfuhr ich nicht. Ich war in der angenehmen Lage, dem Scheidenden ein kleines Abschiedsfest geben zu können, dasselbe, das ich, mit einigen Details, in einem früheren Kapitel beschrieben habe.
Das war Spätsommer 40. Ich war dann jahrelang von Berlin fern und hörte nur aus Briefen, daß Hanisch sein Wanderleben in Genf und Paris fortsetze. Was dies alles bedeutete, hab' ich nicht erfahren können. Ich glaube, daß er irgendeinem mit einer »Einheit« sich beschäftigenden Volksbund angehörte, wobei mir nur zweifelhaft bleibt, ob es nationale Einheit oder Zoll- und Handelseinheit oder Religionseinheit war. Oder vielleicht war es auch alles drei. Sehr schlimm indessen kann es mit all diesen »Verschwörungen« nicht gewesen sein, sonst hätten ihm die fast sämtlich zu Hengstenberg haltenden Theologen des Kreises nicht ihre Liebe und Treue bewahrt. Ich glaube, sie sahen alle diese befremdlichen Dinge wie Blasen an, die aus einem Geist, der beständig gärte, mit Notwendigkeit aufsteigen mußten, hielten sich aber überzeugt, daß alles Durchgangsphase sei, der über kurz oder lang Rückkehr zum Glauben und damit Klärung und Friede folgen werde.
So kam es denn auch. Er kehrte ganz zu den alten Göttern zurück. Mitteilungen in diesem Sinne vernahm ich durch viele Jahre hindurch nur gerüchtweise, bis der Sommer 90 mir die Bestätigung brachte. Dies war ein acht Seiten langer, in wundervoll klarer und fester Handschrift geschriebener Brief aus einem weit westlich der Elbe gelegenen Pfarrdorfe, worin mir Hanisch, in lapidarem Stil, die zweite Hälfte seines Lebens abschilderte, Schilderungen, denen er gleichzeitig eine kleine Zahl seiner aus neuerer Zeit stammenden Gedichte beigefügt hatte. Das Ganze freute mich, und ich sah mal wieder in ganz wunderbare Fügungen. Meine mit Herzlichkeit geschriebene Antwort gab dem, so hoff' ich, auch Ausdruck, aber sosehr mich alles gefreut und gerührt hatte, so hatte der Brief des alten Freundes doch auch wieder etwas Erkältendes gehabt. »Fanchon bleibt sich immer gleich«, und wie der Mensch in die Wiege gelegt wird, so ins Grab. Er war nun wohl gegen Mitte Siebzig und doch ganz unverändert der alte: dieselbe Superiorität, derselbe Glaube an sich, dieselbe Unfehlbarkeit und, schrecklich zu sagen, auch dieselbe Ironie. Was aus mir geworden war, war ihm trotz des Lebenszeichens, das er freundlicherweise gab, doch eigentlich gleichgültig; er nahm nur an – er hatte wohl irgendwo die Glocken läuten hören –, daß ich auch ein »Moderner« oder wenigstens ein von Modernität Angekränkelter sei, und sah nun von seinem auf Achim von Arnim und Clemens Brentano – die übrigens auch von mir bis auf diesen Tag aufs herzlichste verehrt werden – aufgebauten Hochstandpunke aus lächelnd auf mich und die andern im Moorgrund zappelnden Gründlinge hernieder, während er, die reine Luft um sich und den Himmel über sich, die guten alten Lerchen ins Blaue steigen sah. Einige davon hatte er eingefangen. Das waren die dem Briefe beigeschlossenen Lieder. Alle ganz gut, aber ohne jedes entzückende Tirili.