Kitabı oku: «Andere Wesen», sayfa 3
Ein erstes Fazit, bevor es richtig losgeht
Bereits das II. Vatikanische Konzil bietet ein recht ambivalentes Bild, in dem sich jene zwei Zugänge zum Thema Frau abzeichnen, die fortan immer stärker voneinander unterschieden und schließlich beinahe einander gegenübergestellt werden. Zum einen gibt es ein klares Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Frau in ihrem Streben nach Teilnahme am öffentlichen Leben als Teil der Menschenwürde. Zum anderen aber ist die Frau nur mitgemeinter Teil der Ehe und dort letztlich auf ihr Geschlecht reduziert.
All die „heißen Eisen“ rund um das Thema Frau und Kirche, wie sie heute sattsam bekannt sind und von den Realistinnen unter „bis auf Weiteres nicht verhandelbar“ abgelegt wurden, gibt es während des II. Vatikanischen Konzils noch nicht im Wahrnehmungshorizont der Konzilsväter, aber auch eines großen Teils der Gesellschaft. Wenn die Frauenfrage für Karl Marx – und in seinem Gefolge die Genossen in Europa – ein Nebenwiderspruch ist, dann ist sie für die Konzilsväter bestenfalls ein Nebenschauplatz in der Auseinandersetzung mit den kommunistischen Hauptwidersprüchen von Klassengesellschaft und Verteilungsgerechtigkeit – vielleicht schwach reflektiert in Sätzen wie jenen über die wilde Ehe und freie Liebe.
Dennoch oder gerade deshalb beginnt mit dem II. Vatikanum und den Ausführungen über Ehe und Familie in Gaudium et spes die (post)moderne Problemgeschichte von Frau und Kirche. Gerade diese Pastoralkonstitution, sonst zu Recht viel gepriesen für eine grundlegende Auseinandersetzung mit der damaligen „Welt von heute“, wie das Leitmotiv des Konzils lautete, und in manchen Bereichen sicher ein Meilenstein im Verständnis des Verhältnisses zwischen Gottesvolk und Lehramt, schreibt ein Bild von Ehe fest, das wenige Jahre später der Welt des neuen Heute nicht mehr standhält, aber gerade durch den hohen Grad der Theologisierung und Spiritualisierung der Ehe in Verbindung mit dem Festhalten an zentralen vorkonziliaren Rechtsbegriffen ein schwieriges Vermächtnis darstellt. Die Ehe als einzig legitimer Ort nicht nur von Sexualität, sondern auch der Frau im gesellschaftlichen Leben wird am Konzil in einem Ausmaß festgeschrieben, das weit über den gesellschaftlichen Konsens dieser Zeit hinausgeht. Wer sich der Ehe verweigert, verweigert sich der Teilhabe am göttlichen Heilsplan, und wer die Ehe beendet, sprich sich scheiden lässt, nimmt Gott einen Ort in der Welt, diesen Eindruck muss man und vor allem frau nach der Lektüre gewinnen, denn der Aufbruch aus der Ehe als einzig legitimer Lebensform neben dem gottgeweihten Ordensleben wird wenige Jahre später Frauensache. Und spätestens dann werden die Frauen Thema für die Kirche, wenn sie erkennen müssen, dass die in Pacem in terris versprochene gleichberechtigte Teilnahme an der Öffentlichkeit sich nicht unbedingt mit dem traditionellen Geschlechterrollenbild in Gaudium et spes verträgt und erst recht, wenn Öffentlichkeit auch heißt, dass sie die von Männern gemachten Gesetze und deren Moral infrage stellen. Der Graben zwischen dem Anspruch allgemeiner Menschenwürde und einem besonderen Wesen „Frau“ beginnt immer größer und sichtbarer zu werden. Die „Störungen des Gleichgewichts in der heutigen Welt“, wie sie bereits einleitend im 8. Kapitel für alle Lebensbereiche und auch für die Beziehung von Mann und Frau konstatiert werden, sind nur erste Vorzeichen für eine größere Gewichtsverschiebung. Ob die Welt vor 1965 im Allgemeinen und in Sachen Frauen im Gleichgewicht war, ist eine andere Frage, die sich zum Teil wohl bei einem nostalgischen Kinonachmittag selbst beantwortet.
Mit der Eloge auf Ehe und Familie in einer vermeintlich modernen, theologischen Sprache werden die Weichen gestellt für alle weiteren Texte, in denen es um all jene Frauen geht, die von diesem Ideal aus Sicht kirchlicher Männer abweichen. Und noch etwas beginnt sich abzuzeichnen: Wenn von Ehe und Familie die Rede ist, geht es immer auch um Normen zur Sexualität. Aus diesen Normen zur Sexualität werden nur drei Jahre später Normen zur weiblichen Sexualität. Jede kirchliche Rede über Frauen ist auch männliche Rede über Sex, vor allem aber Rede über Ordnung und Unordnung. Denn mit 1968 ist die Welt endgültig in Unordnung und die Welt der Männer, die sich so redlich bemüht hatten, modern über Ehe und Familie zu sprechen, erst recht.
1968
Die Jahreszahl 1968 ist bereits popkulturelles Zitat genug. Was den Katholiken meiner Eltern- und Professorengeneration an der Theologischen Fakultät das Konzil war, war den Professoren der Geisteswissenschaft das Jahr 1968. Anno 1990 eröffnete sich mir, frisch an der Uni und mit wenig Wissen über die jüngste Zeitgeschichte gesegnet, ein etwas ambivalentes, mitunter humoristisches Bild von ergrauten oder kahl gewordenen Herren am Katheder vorne im Hörsaal, die davon schwärmten, wie grundlegend anders mit 1968 alles geworden wäre: der Zugang zur Literatur, der Zugang zur Uni und ihr persönliches Frühlingserwachen. Und wieder der Satz: „Sie wissen ja nicht mehr, wie es vorher war.“
Vor 1968, das war auch in der profanen Welt eine Summa Theologiae Moralis mit engem Normkorsett und vielen Leichen im Bunker aus der NS-Zeit. Vor 1968, das konnte man der Litereraturliste wie den Erzählungen der Professoren entnehmen, herrschte Scheinmoral auf allen Ebenen, auch in Bezug auf die Beziehung der Geschlechter. 1968, so hörten wir, war ein Protest gegen die Verlogenheit der Elterngeneration, ein Streben nach Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das seinen Ausdruck in nächtelangen Sit-ins und Love-ins fand. Und die Frauen? Die Professoren, die so farbenfroh aus ihrer revolutionären Jugend erzählten, waren allesamt Männer. Der einzige, dessen Frau ebenfalls an der Uni lehrte, war ein Mediävist, der über seinen Lieblingsminnesänger und Wein redete, nicht über 1968. Der unbedarfte Eindruck einer 19-Jährigen zwischen den Hörsälen der Theologie und der Germanistik war, dass in beiden Fällen Männergespräche über die längst vergangene Jugend stattfanden, im geografisch und ideologisch links gelegenen Hörsaal mit mehr Sex, Drogen und Alkohol garniert, im rechten dafür selbsttherapeutisch nachbearbeitet. Und die Frauen? In den Hörsaalerinnerungen der 68er-Männer waren sie willige Gespielinnen, was dann mit reichlich Theorie aus der Literaturgeschichte unterfüttert wurde, wo sich zuhauf Beispiele der frigiden, weil unterdrückten bürgerlichen Frau finden ließen, von deren beengendem Vorbild man die Komilitoninnen von damals befreit habe. Ansonsten waren Frauenprobleme der schon zitierte marxistische Nebenwiderspruch, dem man sich bei der Revolution eben nicht ausschließlich widmen konnte. Dafür holte man sich an der Uni ab den 1980er-Jahren Assistentinnen, die Frauenforschung betreiben durften.
Dennoch: 1968 war, wiewohl von den Männern, die dabei waren, nicht so erinnert und vielleicht nicht intendiert, ein Wendepunkt für das Frauenbild in der Gesellschaft, wenn auch mit einer gewissen Zeitverzögerung und sozusagen als Sickereffekt, der erst so richtig in den 1990er-Jahren auch in vormals konservativen und kirchlich nahen Kreisen zu wirken begann. Mit 1968 geschah das, was Gaudium et spes offenbar bereits so sehr fürchtete, dass es davor warnte: Die gesellschaftliche Ordnung, die noch immer als natürlich und damit zugleich von Gott gegeben betrachtet wurde, geriet ins Wanken. Oder zumindest wurde der längst morsche Sockel dieser Ordnung von jenen eingetreten, denen die Elterngeneration noch Treten und Schlagen als natur- und gottgegebene Erziehungsmittel hatten angedeihen lassen. Die Kinder der frühen 1960er-Jahre entlarvten ihre heile Welt mit der ondulierten Mutter im Pünktchenrock am Herd und dem strengen Vater mit Aktentasche als scheinheilig, als billige Papierkulisse, hinter der die Reste eines manischen Ordnungsdenkens seit 1945 nur langsam verrotteten. Für schlechtes Benehmen bei Tisch gab es in deutschen Familienfilmen der 1960er-Jahre schnell eine Ohrfeige für Kinder, deren Füße im Sitzen noch lange nicht den Boden erreichten – und für den ohrfeigenden Vater mit SS-Vergangenheit sollte es nichts geben?
Die Infragestellung der Hierarchien war zunächst eine Frage und Anklage zorniger junger Männer an autoritäre, alte Männer. Wenn aber die Hierarchie der alten Männer fällt, geraten gleichzeitig die durch sie tradierten Geschlechterrollenbilder als fixer Bestandteil der Hierarchie ins Wanken. In der Praxis rücken zunächst einmal die jungen Männer nach und ziehen mit Begeisterung jene Talare an, deren Muff sie an ihren Vorgängern so beklagt haben (mit eigenen Augen gesehen an der Universität Graz: kein Rektor hat Talar und Kette mit solcher Inbrunst getragen wie unser wildester Alt-68er).
Aber der Diskursraum für neue Geschlechterverhältnisse und -bilder ist mit dem Ende der alten Ordnung eröffnet und wird zunehmend von Frauen genutzt. Mehr noch als alle Theorien von der neuen Unordnung aber ermöglichte die Entdeckung der hormonellen Kontrazeption, besser bekannt als „die Pille“, die endgültige Subjektwerdung der Frau in der Öffentlichkeit. Bis dahin gab es im Grunde drei Möglichkeiten: Heiraten, schwanger werden und Kinder bekommen, was – außer in finanziell besonders wohlsituierten Kreisen – den weiblichen Aktionsradius deutlich einschränkte. Zweite Möglichkeit: Nicht heiraten und sexuell enthaltsam leben. Im Kloster angesehen, sonst eher als Lebensstil der Marke „alte Jungfer“ belächelt. Und drittens: Nicht verheiratet sein und trotzdem Sex haben, mit dem Risiko einer Schwangerschaft und der folgenden sozialen Ächtung für Mutter und Kind. Für Männer galten aufgrund der Biologie und deren gesellschaftlichen Interpretation andere Spielregeln. Bis zur Pille. Mit der Pille konnten Frauen tun, was Männer schon immer getan hatten: ohne sichtbare Konsequenzen Sex haben. Die lustvollen Erinnerungen der Männer an 1968 und die Folgejahre wären ohne Pille wohl weniger lustvoll, weil sich mit der permanenten Angst schwanger zu werden bei Weitem nicht so viele Kolleginnen für ihre Love-ins gefunden hätten. Ironischerweise wurde erst durch eine biologische Erfindung der machtvolle Diskurs über die Biologie als hegemoniales System männlicher Wirklichkeitskonstruktion möglich – soll heißen: Erst durch die Möglichkeiten der Pille konnten Frauen sich soweit in der Gesellschaft und Wissenschaft etablieren, dass sie Gender, also die Differenzierung in biologisches und soziales Geschlecht oder sogar die Dekonstruktion des starren biologischen Geschlechts überhaupt, durchdenken und zumindest teilweise durchsetzen konnten.
Nüchtern betrachtet eröffneten sich mit der Pille im Kontext der gesellschaftlichen Veränderungen und Erosionen alter Hierarchien für Frauen erstmals realistisch und breitenwirksam Alternativen zu jenem Leben, welches das Konzil noch so blumig ausgemalt hatte: Die Ehe war nicht mehr die einzige Option und Mutterschaft keine Unausweichlichkeit mehr. Und damit wurden die Frauen zum Thema in der und für die Kirche.
Humanae vitae (1968)
„Männer sind Schweine. Vertraue ihnen nicht, mein Kind. Sie wollen alle nur das eine, weil Männer nun mal so sind.“
So sang die deutsche Punkband „Die Ärzte“ nicht ganz ohne Ironie im Jahr 1998. Diese Einleitung zu einem Kapitel über die Enzyklika Humanae vitae und ihre Konsequenzen für das Bild und Verhältnis von Frau und Kirche mag den einen oder die andere überraschen. Sollte es nicht jetzt endlich um die Frauen gehen? In der Tat war für mich, wie wohl für viele Theologinnen, die Enzyklika Pauls VI. zur hormonellen Kontrazeption vor allem eine Verweigerung alter klerikaler Männer gegenüber Frauen, über ihre Sexualität selbst bestimmen zu können. Eine erweiterte Sicht in Folge eines Perspektivenwechsels verdanke ich einem Studenten der Theologie. Als vor mittlerweile einigen Jahren in einer Lehrveranstaltung das Thema Frauen, Kirche und eben Humanae vitae auf dem Programm stand, meldete sich der junge Mann zu Wort mit der entrüsteten Frage: „Was ist das für ein Männerbild?“ Das Zitat geht noch weiter und eröffnet besser als jede verbissene Erregung den Diskurs zu Frauen und Kirche in Folge von Humanae vitae. „Was ist das für ein Männerbild? Dass ich, kaum dass eine Frau die Pille nimmt, über sie herfalle?“ In der Tat: Humanae vitae liefert einen ersten kurzen, aber bedeutungsvollen Einblick in ein Geschlechterrollenbild, das nun, ganz anders als noch Gaudium et spes, aber auch anders als vorkonziliare Abhandlungen à la Noldin/Schmitt, Männer und Frauen sehr unterschiedlich in den Blick nimmt und dezidiert geschlechtsspezifisch argumentiert. Während die ersten Kapitel der Enzyklika die bereits 1965 bekannten Argumente weiter ausbauen – Verantwortung der Eheleute im Schöpfungsplan etc. – wird unter der Überschrift „Ernste Folgen der Methoden einer künstlichen Geburtenregelung“ zunächst noch geschlechtsneutral formuliert, dass die Pille eine Einladung zum Ehebruch und insgesamt zur „Aufweichung der sittlichen Zucht“ (17) sein könnte. Was natürlich im Umkehrschluss heißt, dass eheliche Treue und sittliche Zucht bisher in der Angst vor Schwangerschaft begründet waren. Aber gut: Es geht nicht um die exklusive weibliche Unzucht. Warum, erfahren wir im folgenden Satz:
„Männer, die sich an empfängnisverhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der Frau verlieren, und, ohne auf ihr körperliches Wohl und seelisches Gleichgewicht Rücksicht zu nehmen, sie zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet.“ (17)
Die Frage nach dem Männerbild, aber auch dem Frauenbild der Autoren der Enzyklika ist tatsächlich berechtigt. Es kommt diesen Klerikern offenbar nicht in den Sinn, dass a) Frauen auch auf bloße Triebbefriedigung aus sein könnten und ihnen das nun mit der Pille ebenso freistünde wie Männern seit Jahrtausenden, b) Männer ihr zivilisiertes Verhalten gegenüber einer Frau womöglich nicht nur durch die Angst vor einer Schwangerschaft begründen und dementsprechend ohne diese Angst sich der animalischen Lust hingeben und c) eine Beziehung, in der Achtung und Liebe wegfallen, sobald frau die Pille nimmt, selbst ohne hormonelle Kontrazeption nicht unbedingt dem Anspruch der Gegenwart Gottes aus Gaudium et spes entspricht.
Diese Deutung der Pille eröffnet ein interessantes Geschlechterrollenbild, das so gar nicht dem entspricht, was aus kirchenfernen Kreisen oft zu hören ist, nämlich die Zuschreibung der Sünde und des Bösen an die Frau. Liebe feministische Kolleginnen wie antiklerikale Männer und Studenten beiderlei Geschlechts mit gesunder Halbbildung aus dem deutschen Privatfernsehen – sie alle äußern, sobald die Rede auf Kirche und Frauen kommt, Sätze wie: „Die Kirche sieht die Frauen ja nur als böse Verführerinnen der armen Männer.“ Das war einmal. Das kirchliche Frauenbild der Dokumente nach dem II. Vatikanum spricht eine gänzlich andere Sprache. An keiner Stelle von Humanae vitae wird das Offensichtliche thematisiert: Dass Frauen mit der Pille die Möglichkeit zur selben sexuellen Freizügigkeit wie Männer erhalten. Dass Frauen mit der Pille unabhängiger von männlicher Macht über den weiblichen Körper werden. Dass die Pille den Frauen eine Lebensplanung abseits der Mutterschaft ermöglicht. Die einzige diesbezügliche Andeutung findet sich in der Einleitung, wenn von einem „gewissen Wandel in der Auffassung von der Persönlichkeit der Frau und ihrer Aufgabe in der menschlichen Gesellschaft“ gesprochen wird. Aber ansonsten: Es wird immer an „die Eheleute“ appelliert oder vor dem männlichen Trieb gewarnt.
Das Frauenbild von Humanae vitae ist eben nicht jenes der Frau als begehrendes Subjekt oder gar autonome Sünderin. Die Frau ist ein schutzbedürftiges Wesen, ganz auf die Männer rund um sie angewiesen. Und diese, nicht die Frauen, werden in die Pflicht genommen. Zuerst und vor allem natürlich die Ehemänner: Von ihrer Frau keinesfalls die Einnahme der Pille zu verlangen, um sie nicht zum Lustobjekt zu machen – und natürlich auch, um erst gar nicht die Sünde der triebhaften Lust im Ehemann selbst aufkommen zu lassen. Der Staat und die Pädagogik (Erzieher) werden ermahnt, von der Jugend jeglichen Anreiz zur Lust, der man mit der Pille folgenlos frönen könnte, fernzuhalten. Geradezu nostalgisch klingen diesbezüglich die Sätze über die „modernen Massenmedien“ und die durch sie drohende Verbreitung von „Pornographie in Schrift, Wort und Darstellung“, da denkt man doch gleich an verbotene Heftchen für Erwachsene, die nur im braunen Papier überreicht wurden wie heute in vielen Ländern Alkohol und Zigaretten. Ein eigener Absatz gilt den „Männern der Wissenschaft“, die sich bitteschön um die genauere Erforschung einer „sittlich einwandfreien“ Geburtenregelung bemühen mögen, um Katholiken die Versuchung der hormonellen Kontrazeption zu ersparen. Die Ärzte sollen ihre gottlosen Kollegen überzeugen, nicht die Pille zu verschreiben. Und dann die Priester, die von der Sache in praxi nun wirklich nichts verstehen oder gar betroffen sein sollten (den Zölibat hat das Konzil ja doch nicht aufgehoben) – der Aufruf an sie ist ebenfalls nicht uninteressant: „Gebt an erster Stelle ihr bei der Ausübung eures Amtes das Beispiel aufrichtigen Gehorsams, der innerlich und nach außen dem kirchlichen Lehramt zu leisten ist.“ (28) Man kann darin eine indirekte Bestätigung der soeben geäußerten Annahme, Priester würden, im Unterschied zu den zuvor genannten Personengruppen, nichts von der Sache verstehen, sehen. Oder aber man kann die ketzerische Überlegung anstellen, ob es womöglich Priester geben könnte, die bereits 1968 ihren Schäfchen in dieser Causa nicht unbedingten Gehorsam gegenüber dem Lehramt rieten und dementsprechend in die Pflicht zu nehmen waren. Oder, drittens, Humanae vitae wird hier zu genau dem gemacht, was es in Folge und mit allen Folgeschäden tatsächlich geworden ist: zu einem Prüfstein des Gehorsams die ganze Befehlskette hinauf. Die Eheleute gegenüber dem Rat der Priester, diese wiederum gegenüber den Bischöfen, die ebenfalls extra erwähnt werden, und deren „größte und verantwortungsvollste Aufgabe“ (30) die Durchsetzung der Enzyklika ist, und dann natürlich alle zusammen gegenüber dem kirchlichen Lehramt. Der Appell hat nichts genutzt. Bei keiner der genannten Gruppen. Wie wir wissen, wurde Humanae vitae tatsächlich zum Anfang vom Ende des katholischen Gehorsams gegenüber dem Lehramt, und zwar von ganz „unten“, bei den unmittelbar betroffenen Ehepartnern beginnend. Die Diskurshoheit in Sachen Sexualität und Fortpflanzung gehört ab 1968 nicht mehr der Kirche.
Was nicht nur, aber auch mit den Frauen zu tun hat. Die sogenannte Pillenenzyklika handelt inhaltlich vom Körper der Frau, ohne diese auch nur ein einziges Mal direkt anzusprechen. Ärzte, Wissenschaftler, Priester, Politiker, die klassischen Repräsentanten männlicher Hegemonie werden angesprochen, während über die Frauen gesprochen wird. Frauen und ihr Körper werden in Humanae vitae zur Projektionsfläche klerikaler männlicher Ängste, aber nicht etwa vor weiblicher autonomer Sexualität, sondern vor dem (eigenen) männlichen Trieb. Die doch einigermaßen überraschende Botschaft lautet: „Männer sind Schweine … sie wollen alle nur das eine.“ Und genau davor muss Frau beschützt werden.
Was ist das denn nun für ein Frauenbild, das sich in einem solchen Männerbild spiegelt? Frauen sind eben nicht die bösen Verführerinnen, als die sie Kirchenkritiker beiderlei Geschlechts so gerne sehen wollen, wenn sie vom „Frauenbild der Kirche“ sprechen. Frauen sind schutzbedürftige Wesen, Opfer der männlichen Begierde, wenn diese nicht durch die „sittliche Erziehung“ auf der Basis kirchlicher Moral zu Liebe und Achtung geführt werden. Kulturhistorisch Gebildete haben hier zweifelsohne ein Déjà-vu-Erlebnis. Dieses Frauenbild gab es natürlich schon vorher, vielfach dokumentiert in literarischen Werken von Jane Austen bis Stefan Zweig. Es ist das bürgerlich-viktorianische Konzept der Frau als „angel in the house“, wie es die Fachliteratur heute bezeichnet, von der Frau als eben fragilem, schützenswerten Objekt, das vor Männern so lange beschützt werden muss, bis es verheiratet ist und dann eben durch den Ehemann vor anderen Männern bewacht wird. Mit wie viel Aufwand dieses Konzept von Frauen umgangen und von Männern durch Lügen am Leben erhalten wurde, lässt sich in der genannten Literatur nachlesen. Die Frage ist aber in erster Linie: Was tut dieses Frauenbild in einem lehramtlichen Dokument von 1968, lange nach Viktorianismus und Bürgertum des Fin de Siècle? Besonders boshaft könnte man einfach vermuten, dass in der katholischen Kirche eben alles wesentlich länger dauert und so das Frauenbild des 19. Jahrhunderts erst nach der Mitte des 20. Jahrhunderts zur Gänze angekommen ist. Ein klein wenig stimmt das sogar. Bereits Gaudium et spes spiegelt den ungleichzeitigen Flickenteppich unterschiedlicher Konzepte, wenn es um die Ehe geht, und für das Frauenbild, das jetzt erst in den Fokus zu rücken beginnt, gilt dies noch viel mehr.
Humanae vitae spiegelt letztlich, wenn auch gewissermaßen um mehrere Ecken und dementsprechend verzerrt, die männliche Erkenntnis vom Ende der eigenen Hegemonie über den Körper der Frau und den Beginn weiblicher Autonomie wider. Diese wiederum zu denken oder überhaupt eine grundlegende Veränderung der Geschlechterverhältnisse zu denken, verängstigt zunächst einmal so, dass man am besten den Frauen sagt, sie sollten sich doch bitte weiterhin vor den bösen Männern fürchten, die ohne Angst, eine Frau zu schwängern, gleich noch böser werden würden. Die Frau als schutzbedürftiges Wesen ist eine Rückzugsfantasie, die es braucht, weil Frauen, zumindest im westlichen Teil der Welt, dies nicht mehr sind: abhängige, schützenswerte, schwache Wesen. Dabei wären Paul VI. und Johannes Paul II. doch genau das gerne gewesen: ritterliche Beschützer der bedrohten weiblichen Tugend – schade.
Schade für sie, nicht unbedingt für die Frauen, aber ein bisschen für die Kirche und ihre Mühen mit dem Thema Frau in den folgenden Jahrzehnten.
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