Kitabı oku: «Todesluft», sayfa 5

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Hainkel zeigte Linthdorf noch seine Fotos vom Fundort unterhalb des Felsens.

Die beiden Toten wirkten seltsam unwirklich inmitten der Kräuter und Farne. Der Anblick von Toten hatte für Linthdorf jedes Mal etwas Unangenehmes. Obwohl er nun schon so viele Jahre beim LKA tätig war, konnte er sich mit dem direkten Blick auf den Tod nicht arrangieren. Etwas in ihm rebellierte. Wenn die Fotos wieder in ihren Mappen waren, konnte er ohne Probleme darüber sprechen, nur der direkte Anblick, der brachte ihn immer wieder ins Grübeln, ob das wirklich der richtige Beruf für ihn sei.

Hainkel bemerkte die Veränderung in Linthdorfs Gesicht. Was er denn darüber denke, zumal wie seltsam die beiden Toten dalagen. Beide auf dem Rücken. Also rückwärts vom Fels gefallen, oder vielleicht doch gestoßen?

Normalerweise würde ein selbst ungeübter Kletterer niemals rückwärts auf einem frei stehenden Felsen herumturnen. Ob sie sich während des Sturzes gedreht haben könnten?

Eher unwahrscheinlich, dafür war der Felsen nicht hoch genug. Nur knapp fünfundzwanzig Meter würde er an dieser Stelle hinaufragen. Zu wenig für einen Dreher während des Sturzes.

Was denn die Frau für Schuhwerk getragen habe?

Sneaker? Ach! Und der Mann? Ebenfalls.

Nicht gerade typische Kletterschuhe. Zumal die dünne Laufsohle sehr glatt und rutschig sei. Völlig ungeeignet für das Felsenklettern.

Linthdorf nickte. Irgendetwas war an dem Vorfall wirklich seltsam. Ein Unfall, wie die Thüringer Kollegen etwas voreilig postuliert hatten, schien das nicht zu sein. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Vielleicht hatte es jemand wie einen Unfall aussehen lassen wollen. Möglich wäre es.

Ob Linthdorf etwas dagegen habe, wenn Hainkel ihn am Wochenende mit nach Rudolstadt nehmen würde. Dort wäre der Sitz der Thüringer Schlösserstiftung. Vielleicht erführen sie ja etwas über das geheimnisvolle Medaillon.

»Rudolstadt? Wo liegt das denn?«

Hainkel winkte ab. Alles keine großen Entfernungen in Thüringen. Rudolstadt liege östlich des Thüringer Waldes, schon im Saaletal am Rande des Schiefergebirges. Wäre wohl auch eine Residenzstadt ähnlich Schmalkalden.

»Ach?«

Hainkel erklärte wieder etwas umständlich die Regionalgeschichte. Dort residierten die Schwarzburger, auch ein uraltes Fürstenhaus.

Schon seit den Ludowingern in Thüringen ansässig. Die Schwarzburger waren in diverse Linien aufgeteilt. Rudolstadt war eines der Schwarzburger Fürstentümer mit Besitzungen quer durch ganz Thüringen. Der Kyffhäuser gehöre wohl dazu und das Schwarzatal und große Teile des Ilmtals. Die Heidecksburg, eines der größten, gut erhaltenen Barockschlösser Thüringens beherberge heute den Sitz der Stiftung.

»Und was ist aus den Fürsten geworden?«

Hainkel zuckte mit den Schultern. »Die haben alle 1918 ihren Hut nehmen müssen. Abgedankt. Wir sind doch damals eine Republik geworden.«

Natürlich, Linthdorf erinnerte sich. Novemberrevolution, Weimarer Republik. Auch die Hohenzollern verschwanden damals.

»Wie lange fahren wir?«

»Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder die schnelle, also Autobahn, oder die bequemere und sehenswertere Route, quer durch den Thüringer Wald über Ilmenau, Neuhaus und das Schwarzatal. Es lohnt sich.«

Einem solch abwechslungsreichen Angebot konnte Linthdorf nicht seine Zusage verwehren. Zumal er sowieso Autobahnen nicht mochte.

»Also, dann starten wir Sonnabend früh. Ich telefoniere noch mit den Leuten von der Stiftung. Die kennen mich schon.«

Linthdorf war zufrieden. Ihm graute vor den Wochenenden. Nichts tun war er nicht gewöhnt. Still in seinem Zimmer liegen, naja, drei Stunden hielt er bestimmt durch. Aber gleich zwei volle Tage? Man konnte auch in den kleinen Tierpark, oder ein Café besuchen, aber auf diese tolle Idee kamen auch die übrigen Kurpatienten.

Davor grauste es Linthdorf noch mehr. Sein Gesundheitszustand wurde durch den Anblick der vielen Siechen und Versehrten nicht besser, es bedrückte ihn, Teil dieser stillen Menge zu sein. Er kam sich stets fehl am Platz vor. Dann lieber mit dem Indianer durch den Thüringer Wald tuckern, auch wenn es etwas beschwerlich war, in dem kleinen Hyundai zu sitzen.

Außerdem begann sich Linthdorf langsam für die Angelegenheit zu interessieren. Monsieur Dachs und Madame Fuchs stürzen vom Felsen eines einsamen Berges, hinterlassen ein geheimnisvolles Medaillon, dazu die Einbruchsserie in den Thüringer Schlössern. Linthdorf spürte, dass mit einfachen Erklärungen nichts zu bewegen war. Der Journalist hatte da schon recht. Er würde zwar ohne sein gewohntes Netzwerk auskommen müssen und auch seine Mobilität war eingeschränkt, aber mit Routine und einer sensiblen Spürnase würde er es sich schon zutrauen, etwas Licht in das Dunkel zu bringen.

Linthdorf sah auf seine Uhr. Es war kurz nach Drei. Hainkel schlug ihm noch vor, das Schloss zu besichtigen, zumal er selbst Mitglied des Fördervereins »Freunde der Wilhelmsburg« sei und damit jederzeit Zutritt habe. Ein guter Bekannter würde außerdem als Schlossführer arbeiten und ihnen etwas zu den gestohlenen Objekten erzählen können. Er habe zwar schon ein paar Mal mit seinem Bekannten über das Thema gesprochen, aber jetzt habe er ja einen Profi im Schlepptau. Dabei zeigte er wieder seine blitzend weißen Zähne und grinste.

Ich heiß‘ ein Ritter und hab im Sinn,

dass ich aufzusuchen reite

einen Mann, der mit mir streite,

der gewappnet sei, wie ich,

das preisset ihn, erschlägt er mich.

Wenn ich’s ihm aber angetan,

so hält man mich für einen Mann

und steig‘ ich dadurch an Wert.

Drum, wenn du irgendwas gehört,

von solchem Wagnis hier im Walde,

dass melde du mir also balde,

und führe mich zur Stelle hin,

denn nichts Anderes hab‘ ich im Sinn.

Hartmann von Aue: Iwein mit dem Löwen (Mittelalterliches Epos)

IV

Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden

Mittwochnachmittag, 9. Mai 2007


Der Aufstieg aus der Altstadt war kurz und unkompliziert. Linthdorf hatte noch ein paar Schwierigkeiten, sich inmitten der Fachwerkpracht zurechtzufinden, aber Hainkel geleitete ihn sicher über den Lutherplatz den Schlossberg hinauf.

Die Schlossanlage war größer als gedacht. Auf der rechten Seite erblickte Linthdorf einen kunstvoll mit Buchsbaumhecken ornamentierten Renaissancegarten. Hainkel nannte ihn den Rosengarten. Von den Rosen war jetzt im Mai noch nicht so viel zu sehen.

Vorbei an einer kleinen, schlichten Plastik, die an einen Minnesänger erinnerte, der wohl vor vielen Jahrhunderten auf der Vorgängerburg Wallraf zu Gast war, Linthdorf erinnerte sich, dass Hainkel ihm etwas von uralten Wandmalereien erzählt hatte, die aus dieser Zeit stammten.

Es sollten Illustrationen zum »Iwein« sein, einem Epos des berühmten Minnesängers Hartmann von Aue, der auch beim Sängerkrieg auf der Wartburg dabei gewesen sein sollte. Erst vor kurzem seien die Kopien der Kellermalereien, deren Original im »Hessischen Hof« unten in der Stadt gefunden wurde, an die Öffentlichkeit übergeben worden.

Im Schlosshof, den man durch ein barock ausgeschmücktes Tor erreichte, war es still. Bänke standen herum, ein kleiner Brunnen plätscherte. Hainkel bat Linthdorf kurz zu warten und verschwand in einer der zahlreichen Türen.

Erschöpft ließ sich Linthdorf auf einer Bank nieder. Ein paar Sonnenstrahlen verirrten sich durch den wolkenverhangenen Himmel und wärmten erstaunlich intensiv. Linthdorf legte sein Sakko ab, saß hemdsärmelig da und grübelte.

Immer, wenn er allein war, kamen die Gedanken zurück, die ihm das Leben schwermachten. Zuallererst erschien das Bild einer großen Frau mit straff zurückgekämmten dunkelblonden Haar und dem ihm so vertrauten, feinen, leicht ironischen Lächeln. Ihre Stimme klang in ihm nach.

Louise – seine Louise! Sie war tot.

Bis jetzt konnte er sich mit der Tatsache nicht abfinden. In seinen Träumen sprach er mit ihr, als ob sie noch präsent sei und nicht dieses leblose Wesen zwischen den Drähten und Schläuchen in dem einsamen Krankenzimmer. Mit ihr wäre es sicherlich nicht zu dem Infarkt gekommen.

Er hatte sich da einfach zu viel zugemutet. Aber irgendwie musste er ja weiterleben. Auch wenn es schwerfiel. Es gab ja noch …, ja, was? Natürlich, seine beiden Jungs, die kleine Katze, die Kollegen, Bernie Voßwinkel, Freddi … Halt! Den gab es auch nicht mehr, der hatte sich in der Neujahrsnacht vom Balkon gestürzt.

Ja, und neuerdings geisterten noch ein paar andere Personen durch seinen Kopf. Verwirrend, die Kopie von Louise, nämlich ihre Schwester, Charlotte Rauchfuss und dieses quirlige Wesen aus dem Lindstedter Archiv, Frau Seidelbast, die ihn letztendlich gerettet und den Medizinischen Notdienst alarmiert hatte.

Ach! Es war schon kompliziert. Weit weg von seiner vertrauten Umgebung begann sich langsam in seinem Kopf alles neu zu ordnen. Die vielen Leichen des vergangenen Jahres, die ihn in seinen schlaflosen Nächten heimsuchten, blieben endlich weg. Keine ertrunkenen Nixen, keine massakrierten Vögel, keine toten Arkadier. Auch die »Weiße Frau«, ein Spuk, der sich später als bösartiger Klamauk herausstellte, verschwand wieder im dunklen Nebel der Vergangenheit.

Linthdorfs fotografisches Gedächtnis konnte lange Zeit die Bilder nicht verdrängen. Sie waren da, ob er wollte, oder nicht, sie begleiteten ihn ständig und sorgten für permanente innere Unruhe. Zuviel für sein Herz, das den Tod zweier ihm sehr nahestehender Menschen zu verkraften hatte. Es streikte.

In den Wochen im Krankenhaus grübelte er oft darüber nach, was der Auslöser für den Infarkt war. Ein eindeutiges Ereignis konnte er nicht verantwortlich machen. Es war die permanente Abfolge extremer Vorgänge. Dazu der latente Unmut, hervorgerufen durch den unsensiblen Führungsstil seines Chefs, Dr. Nägelein. Die Summe aller Ereignisse fokussierte dann in dem Infarkt.

Voßwinkel war betroffen, als er ihn am Krankenbett besuchte. Fast vorwurfsvoll blickte der ihn an. Auch seine Kollegen, Grell-Hansen und Petra Ladinski, waren total geschockt. Fast täglich kamen seine Jungs vorbei, brachten Zeitungen und Obst vorbei. Er brauchte lange, um sich von den Folgen des Infarkts zu regenerieren. Die Kur war wahrscheinlich das beste Mittel. Ortswechsel, Luftwechsel, ein geregelter Tagesablauf – er spürte, dass ihm die Kur bekam.

Und dann gab es ja auch noch die rätselhaften Vorfälle hier im Thüringischen. Sein Spürsinn war geweckt, er fühlte sich wieder wie ein Ermittler, ein Gefühl, was er schon lange vermisste.

Hainkel war zurück, neben ihm stand ein unscheinbarer Mann mit Nickelbrille und einer Haarfrisur, die irgendwie in die Siebziger des vergangenen Jahrhunderts passte. Dabei konnte der Mann gar nicht so alt sein. Linthdorf schätzte ihn auf Anfang dreißig. Aber heutzutage galt das ja als retrochic.

Der langhaarige Brillenträger stellte sich ihm als Dr. Olaf Beutelspieß vor. Auch Beutelspieß sprach mit dem ausgeprägt rollenden R, was die Wichtigkeit seiner Äußerungen noch einmal deutlich unterstrich.

Er bat Linthdorf ins Schloss, führte ihn und Hainkel zielstrebig durch prächtige Säle zu ein paar kleineren Räumen, in denen mehrere Vitrinen standen. Mit kummervollem Blick blieb er vor einer leeren Vitrine stehen. Da standen früher Meits Adam und Eva. Zwei Meisterarbeiten.

Aus seiner Kladde holte er zwei Fotos hervor. Sie waren wirklich wunderschön, eigentlich ihrer Zeit weit entrückt. Bedachte man, dass Conrad Meit das Paar bereits 1516 anfertigte, also in einer Zeit, die von den Bauernkriegen, Hexenverfolgungen und der Inquisition geprägt war, konnte man ihre souveräne Haltung und spielerisch anmutende Körpersprache eigentlich nicht für diese wilde Epoche der deutschen Geschichte nachvollziehen. Sie waren ein humanistisches Vermächtnis dieser uns bis heute fremd gebliebenen Welt des untergehenden Mittelalters.

Dr. Beutelspieß beendete sein flammendes Referat.

Linthdorf fragte nach, wie hoch der Schaden zu veranschlagen sei und ob es Versicherungsschutz gebe.

Beutelspieß sah angewidert zu dem Riesen auf. Als ob der Verlust mit Geld zu beziffern sei! Nein, es gäbe eben auch Dinge in der Welt, die man nicht quantifizieren könne. Wahre und große Kunst, die es geschafft habe, durch die Wirren der Zeitläufe zu kommen, einfach so von einem schnöden Dieb …

Er musste schlucken, hatte den Faden verloren. Linthdorf beschwichtigte. Natürlich, der Verlust, wirklich unersetzlich, er verstehe ja, aber er sei hier, um die Figuren wieder zurückzuholen.

Beutelspieß beruhigte sich, sah durch seine Brillengläser etwas friedlicher auf den fremden Mann aus dem fernen Berlin.

Hainkel fragte noch nach den beiden Miniaturportraits und dem Ratssilber. Beutelspieß winkte ab. Peanuts, nicht wirklich nur halb so wertvoll wie Meits Figuren. Ja, natürlich, die Portraits, zwei Cranachschüler, nicht schlecht gemalt, und das Ratssilber, aus den berühmten Augsburger Silberschmieden. Aber davon gebe es noch viele andere Artefakte.

Die ganzen Thüringer Schlösser und Burgen wären voll damit. Und der Taufkelch aus getriebenem Silber, Luther soll ihn schon benutzt haben …

Aber es musste doch ein ungefährer Wert angegeben worden sein?

Beutelspieß zuckte mit den Schultern. Dafür fühle er sich nicht zuständig. Wenn man einen ungefähren Marktwert für solche eigentlich unverkäuflichen Artefakte angeben wolle, müsste man auf illegale, also Schwarzmarktpreise zurückgreifen. Kein seriöser Antiquar würde Diebesgut aufkaufen. Die Zeiten wären glücklicherweise vorbei.

Aber natürlich es gäbe da schon noch neureiche Sammler, verrückte Typen, die wirklich ein Vermögen für so etwas ausgaben. Man schätze, das in deren Privatsammlungen unglaubliche und einmalige Objekte gehortet seien. Nur wenn ein solcher Irrer einmal starb, gelangten die Artefakte, meist über Auktionen, ins Licht der Öffentlichkeit.

Linthdorf hakte nach. Wieviel?

Beutelspieß flüsterte, kaum verständlich für die beiden Männer, eine halbe Million, möglicherweise sogar noch mehr.

Linthdorf pfiff. Hainkel nickte nur kurz.

Ob es bei der polizeilichen Untersuchung Anhaltspunkte gegeben habe, wie die Täter hereingekommen waren?

Beutelspieß nickte heftig mit dem Kopf. Wahrscheinlich hatte der Täter sich in der Nacht einschließen lassen und sei am Morgen nach Öffnung ganz ungeniert hinausspaziert.

Würde denn bei Schließung nicht kontrolliert, ob noch Besucher in den Räumen seien?

Doch, doch, aber mit der dünnen Personaldecke würde das manchmal etwas schwierig. Man lief alle Säle und Räume noch einmal ab, aber schaue eben auch nicht hinter jede Ecke oder jeden Vorhang.

Die Alarmanlage?

Ja, natürlich, die wichtigsten Objekte seien geschützt, aber eben doch nicht alle, es sei eine Kostenfrage.

Wer über die speziellen Kenntnisse verfüge?

Eigentlich nur die Mitarbeiter, und das wäre eine absolut verlässliche Klientel. Nein, dafür lege er seine Hand ins Feuer. Erst im Februar sei jemand von der Schlösserstiftung dagewesen und hätte den Stand der Sicherheitsmaßnahmen überprüft.

Linthdorf nickte. Langsam ging er mit Hainkel alle Räume und Säle des Schlosses ab, entdeckte unzählige Nischen und Verstecke, bestaunte die Schlosskapelle, den Weißen Saal mit seinen Stuckarbeiten und natürlich den imposanten Riesensaal mit seiner Kassettendecke. Die hessischen Landgrafen verstanden schon gut zu leben. Wenn man noch dazu bedachte, dass Schmalkalden nicht einmal ihre Hauptresidenz war …

Was für eine Fülle, was für eine Pracht!

Kurz bevor sich Beutelspieß von seinen beiden Gästen verabschieden wollte, holte Hainkel sein Handy hervor und zeigte dem Experten das Foto mit dem Medaillon. Ob er vielleicht wüsste, wer die unbekannte Schönheit sei?

Beutelspieß betrachtete intensiv die Fotos, schnaufte und schüttelte den Kopf. Eine kurhessische Prinzessin sei es ganz sicher nicht. Zumal die Initialien M R zu keiner der hiesigen Prinzessinnen passen würden.

Ungewöhnlich!

Zeitlich könne er aber das Medaillon schon einstufen. Stil und Machart würden auf das ausgehende 18. Jahrhundert hinweisen. Vielleicht 1780 oder 1790. Typisch wären solche Miniaturmedaillons am französischen Königshof gewesen, da seien sie groß in Mode und hätten von da aus die übrigen europäischen Länder erobert. Jede bessere Dame war erpicht darauf, solch ein Schmuckstück zu tragen um es als Treuepfand ihren galanten Verehrern zu hinterlassen. Spezialisierte Silberschmiede hatten damals Hochkonjunktur und die Miniaturmalerei kam zu einer ganz ungewöhnlichen Blüte.

Also kein ungewöhnliches Schmuckstück, aber natürlich, ein entsprechend spezialisierter Kunsthistoriker würde die unbekannte Schöne identifizieren können.

V

Sanatorium für Herzleiden in Bad Liebenstein

Mittwochabend, 9. Mai 2007

Hainkel hatte Linthdorf wieder in seinem Sanatorium abgeliefert. Rechtzeitig zum Abendessen war der Riese an seinem Tisch erschienen. Seine beiden Tischnachbarn, ein älterer Herr mit knarrender Stimme, der nur in kurzen Wortgruppen sprach und ein stiller Mensch, der außer für seinen Brotbelag kein wirkliches Interesse an Kommunikation bisher bekundet hatte, saßen bereits.

Jeder von ihnen hatte einen grellbunten Zettel in der Hand, mit dem sie etwas ratlos hin und her wedelten. Linthdorf deutete vorsichtig Interesse an den bunten Zetteln an.

Wo die denn rumlägen?

Ach, vorn an der Tür hätte die jemand verteilt. Keiner vom Personal, nein, nein!

Ober er vielleicht auch mal einen Blick …?

Wortlos schob ihm der Brotbelagexperte seinen Zettel rüber.

Linthdorfs Brauen kräuselten sich. War das ernst gemeint oder eine große Lachnummer?

Auf dem Dolmar solle demnächst ein Ufo landen. Ziemlich konkret in der Nacht vom 26. Mai zum 27. Mai. Das war zu Pfingsten, dem Fest der Niederkunft des Heiligen Geistes. Der Dolmar sei schon lange bekannt dafür, als kosmischer Aktivpunkt zu funktionieren. Die Kelten hätten das bereits vor vielen tausend Jahren gewusst und den Berg zu ihrem Heiligtum erwählt. Heute noch seien Spuren des Keltenrings auf dem Hochplateau zu finden. Außerdem stehe man im Kontakt zu den Außerirdischen, die ihre Ankunft genau für die Zeit angekündigt hätten.

Unterzeichnet war das Ganze mit dem geheimnisvollen Kürzel ATG.

Linthdorf schüttelte den Kopf. Was gab es doch nicht alles für Spinner! Seine beiden Tischnachbarn schienen allerdings vollkommen anderer Meinung zu sein. Der ältere Herr berichtete, dass er schon öfters Veranstaltungen der ATG besucht habe. Sehr seriös alles. Wissenschaftler, Astronomen und Historiker hätten da gesprochen und auch ein Diavortrag war äußerst eindrucksvoll gewesen.

Was den ATG heiße?

Ach so, nun das wäre doch ganz einfach: Astroterrestrische Gesellschaft.

Wo die Gesellschaft ihren Sitz habe?

Nun ja, die Vorträge wären an diversen Orten gewesen, in Meiningen, in Wasungen, in Schwallungen und natürlich auch auf dem Dolmar. Immer waren die Vorträge gut besucht. Also keine Scharlatane oder Hochstapler, nein, nein, alles sehr seriös …

Im Übrigen, falls der Herr Interesse habe, in drei Tagen sei ein Infoabend in Steinbach-Hallenberg geplant. Er könne ja einfach mal mitkommen.

Linthdorf nickte nachdenklich. Ob er Hainkel kontaktieren sollte? Was ging hier vor? Waren wirklich so viel Esotheriker und Ufologen in Thüringen zu Gange? Woher kamen die Leute, die sich hinter dem Kürzel ATG verbargen? Seltsam, seltsam.

Das heimliche Liebespaar

Ich selbst habe die Gräfin, obschon ich fünfzehn Jahre lang, teils ganz, teils in allen Ferien auf dem Dorfe lebte, überhaupt nur zwei Mal und nur einmal einigermaßen deutlich gesehen; dies Letztere geschah aus einiger Entfernung mittelst eines Glases.

Es mag im Jahre 1818 gewesen sein. Die Gräfin stand am offenen Fenster und fütterte mit Backwerk eine Katze, die unter dem Fenster war.

Sie erschien mir wunderschön; sie war brünett; ihre Züge waren ausnehmend fein; eine leise Schwermut schien mir eine ursprünglich lebensfrische Natur zu umhüllen; in dem Augenblick, wo ich sie sah, lehnte sie in schöner Unbefangenheit im Fenster, den feinen Shawl halb zurückgeschlagen, wie ein Kind mit dem Tier unter sich beschäftigt. Ich sehe noch, mit welcher Grazie die schöne Gräfin das Backwerk zerbröckelte und die Fingerspitzen am Taschentuche abwischte.

Dr. Karl Kühner, Sohn des Dorfpfarrers zu Eishausen

Eishausen

Sonntag, 12. Dezember 1826

Die Jahre zogen ins Land. Nichts schien die Harmonie des zurückgezogen lebenden Paares zu stören. Der Graf war mit seinem selbstgewählten Schicksal zufrieden. Seiner Begleiterin ging es ebenso. Man hatte sich arrangiert.

Er, Leonardus, konnte im Rückblick gar nicht feststellen, wann es anfing mit der Liebe. Eigentlich vom ersten Augenblick, als er ihr zum ersten Mal begegnete. Lange war das inzwischen her. Mehr als zwanzig Jahre. Er erinnerte sich dennoch als ob es erst gestern gewesen war.

Es war eine stürmische Herbstnacht, als er zu einem geheimen Treffen in einen der vielen Pariser Salons gerufen wurde. Er war in der Pariser Gesellschaft ein angesehener Mann, hatte sich mehrfach als Anhänger der Bourbonenpartei gezeigt und war durch seine holländische Herkunft prädestiniert, heikle Missionen ins Ausland ohne Probleme durchführen zu können.

Jeder Geheimauftrag der Bourbonenpartei war bisher von ihm zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt worden. Meistens waren es Kurierfahrten zu anderen europäischen Königshäusern, aber auch Missionen mit großen Geldsummen, die an einen sicheren Ort außerhalb Paris verbracht werden sollten.

Zum Treffen im Club Royal, so wurde der Salon inoffiziell genannt, waren viele Unbekannte erschienen. Sie stellten sich als Gesandte der Herzogtümer Kurland und Livland vor, auch ein persönlicher Kurier des russischen Zaren war anwesend.

In einem Chambre Separée warteten zwei junge Damen. Eine war ein eher schüchternes, feingliedriges Wesen, die andere war etwas größer und wirkte recht selbstbewusst. Leonardus hatte die beiden Damen noch nie gesehen.

Ein Vertrauter des Herzogs von Angoulême war ebenfalls anwesend und der persönliche Sekretär von Louis-Antoine de Bourbon.

Leonardus musste schlucken. Soviel Prominenz war selten an einem Ort zu finden. Es schien sich also um eine ausgesprochen wichtige und heikle Mission zu handeln. Er war sich sicher, dass er für eine neue Mission auserwählt worden war. Die meisten Missionen begannen mit einem geheimen Treffen im Club Royal, zu dem nur ein kleiner Kreis Zutritt hatte.

Baron Antoine Vavel de Verzay, ein reicher Chouan, glühender Royalist und einflussreicher Verbindungsmann zum Hause Bourbon, nahm Leonardus zur Seite.

Es ging um die beiden Damen in dem kleinen Nebenzimmer. Eine der beiden Damen sei in anderen Umständen. Das Ergebnis einer ungewollten Liebelei, nun ja, es waren unruhige Zeiten. Pech war nur, dass es sich dabei um Marie-Thérèse Charlotte, eine Prinzessin aus dem alten Königshaus handelte. Weder ihre ungewollte Schwangerschaft noch ihre wahre Identität durften bekannt werden. Häscher zogen bereits im Auftrag des Revolutionskomitees durch die Stadt auf der Suche nach flüchtigen Mitglieder des Königshauses. Einigen war die Flucht geglückt, vor allem dank der Mithilfe ihrer geheimen Gesellschaft.

Jetzt galt es, die junge Dame aus dem Dunstkreis der Aufständischen zu bringen.

Leonardus erkundigte sich nach der anderen jungen Frau, die mit in dem Nebenzimmer wartete. Vavel de Verzay winkte ab. Es wäre besser, nicht nach ihr zu fragen. Eigentlich existiere diese Dame nicht. Verwirrt schaute Leonardus den Baron an. Bisher gab es keinerlei Geheimnisse zwischen ihnen.

Die Mission sei heikel. Man müsse mit sehr unlauteren Mitteln arbeiten, um sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Vavel de Verzay hüstelte, schaute in Richtung der Gesandten aus Liv- und Kurland.

»Was haben diese Leute mit der Mission zu tun?«

»Noch nichts, aber sie werden …«

»Was passiert mit der zweiten Frau? Wer ist sie?«

Vavel de Verzay räusperte sich. Das Unternehmen stand und fiel mit dem persönlichen Einsatz van der Valcks.

Er hatte den Holländer persönlich auserwählt. Keiner schien vertrauenswürdiger zu sein und er entschloss sich, reinen Wein einzuschenken. Der Baron nahm Leonardus beiseite, erklärte ihm, dass es sich um eine Doppelgängerin der Prinzessin handele. Die eigentliche Prinzessin solle nach Livland gebracht werden, wo bereits der Herzog von Angoulême wartete. Seine Mission sei es, die falsche Prinzessin quer durch Europa zu begleiten. Dabei solle er aber tunlichst darauf achten, Spuren zu hinterlassen, die auf die wahre Prinzessin hinwiesen. Keiner sollte mitbekommen, dass er mit einer Doppelgängerin unterwegs sei. Das müsse ihr großes Geheimnis bleiben.

»Und welche von den beiden ist nun die Echte?«

Vavel deutete mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung der selbstbewusst dreinschauenden Dame.

»Schau sie dir genau an. Sie hat viel Ähnlichkeit mit ihrer Frau Mama, der Habsburgerin Marie-Antoinette. Schau hin, wie sie ihren Kopf hält. Da ist viel royales Blut … Und wenn du sie reden hörst, du glaubst, Marie-Antoinette stünde vor dir.«

Leonardus hatte leider nicht das Vergnügen, die Königin kennengelernt zu haben. Er konnte sich noch daran erinnern, als im Oktober des Revolutionsjahres 1793 die Königin guillotiniert wurde. Er stand am Straßenrand, als der Käfigwagen mit ihr an ihm vorbeirollte. Er konnte eine frühzeitig gealterte Frau mit abgeschnittenen, grauen, verfilzten Haaren erkennen, angetan mit einem einfachen weißen Büßerhemd, in dem sie jämmerlich fror. Der Oktober war kühl und regnerisch. Das Schauspiel der Hinrichtung wollte er nicht miterleben. Er hasste die blutigen Orgien, die damals täglich stattfanden.

Leonardus war froh, dass die etwas schüchterne Dame seine Begleiterin werden sollte. Sie war ihm eindeutig sympathischer als die Prinzessin.

»Wie heißt sie?«, er deutete mit dem Kopf zu der zweiten Dame.

»Spielt keine Rolle, offiziell ist sie Marie-Thérèse Charlotte, Mademoiselle Royale.«

»Weiss sie davon? Wie soll ich sie anreden?«

»Mademoiselle Royale, das wäre am einfachsten.«

Leonardus wurde sich plötzlich bewusst, auf was für eine gefährliche Mission er sich da eingelassen hatte. Er würde der Lockvogel sein, hinter dem die Häscher herliefen. Die wahre Prinzessin würde hingegen sicher und unbehelligt nach Livland reisen.

»Was passiert, wenn ich gefasst werde?«

»Ihr dürft auf keinen Fall eure wahre Identität preisgeben. Ihr bekommt von mir einen französischen Pass ausgestellt, auf den Namen Charles-Louis Vavel de Verzay, offiziell seid Ihr mein Neffe. Post und Briefe unterzeichnet Ihr stets mit dem Namen. Es ist zu eurer Sicherheit. Keiner wagt sich so leicht an einen Vavel de Verzay heran.«

»Und wenn es trotzdem passiert?«

»Dann gnade dir Gott! Die wahre Identität der Dame darf auf keinem Fall aufgedeckt werden.«

Leonardus musste schlucken. Die Mission würde ein Himmelfahrtskommando werden. Könne er sich einen Augenblick Bedenkzeit …?

Vavel nickte. Nach ein paar Augenblicken willigte Leonardus ein. Das größte Abenteuer seines Lebens würde damit beginnen. Er war sich der Tragweite der Mission im Moment noch nicht ganz bewusst, spürte aber, dass es sich um eine Lebensaufgabe handeln würde. Er war jetzt im besten Mannesalter. Sein Dasein verlief bisher in unsteten Bahnen, nur dank seiner Vorsicht hatte er bisher keine Bekanntschaft mit den dunklen Seiten des Lebens gemacht.

Er wurde der jungen Dame vorgestellt als ihr neuer Begleiter und Beschützer. Der Baron führte ihn ihr als seinen Neffen vor.

Die wirkliche Prinzessin war inzwischen schon mit dem Vertrauten des Herzogs von Angoulême zu den beiden Gesandten aus Liv-und Kurland gegangen. Aber diese Dame interessierte Leonardus nicht im Geringsten.

Er hatte nur Augen für die schüchterne Schönheit vor ihm. Leonardus wurde rot, als er ihr das erste Mal in die Augen sah.

Sie waren blau, strahlten ihn mit einer unergründlichen Tiefe an. Ein Hauch von Rot überzog die bisher fast reinweiße Haut der jungen Frau, die vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt war. Sie wirkte zerbrechlich, obwohl sie recht groß gewachsen war.

Er hörte zum ersten Mal ihre Stimme. Sie sprach ein akzentfreies Französisch. Der Klang der Stimme war weich und melodiös. Leonardus Herz schlug schneller, so schnell wie noch nie in seinem Leben.

Seufzend schaute der Graf aus dem Fenster. Das Jahr neigte sich seinem Ende. In ein paar Tagen war Weihnachten. Er wandte sich der Frau in dem Sessel zu, die immer noch eine Schönheit war. Sie war jetzt Mitte Vierzig, doch keine Falte verunstaltete ihr Antlitz. Ihre Haut war noch immer perlweiß, nur ein paar kleine rote Flecken verrieten, dass sie nicht mehr die Jugend bewahren konnte.

Die beiden Menschen in dem großen Zimmer waren sich in einer Art und Weise vertraut, wie es nur selten passierte. Zusammengeschweißt durch die abenteuerliche Flucht, immer mit der Angst lebend, gefangen genommen zu werden, hatte sie das Schicksal in diesen abgeschiedenen Weltenwinkel geführt. Sie nahmen es als eine Fügung Gottes, zumal in Europa gerade die alte Weltordnung unterging.

Der korsische General Napoleon Bonaparte hatte sich zum Kaiser ausrufen lassen und begonnen ein Land nach dem anderen zu erobern.

Sie wussten, dass Napoleons Geheimagenten ihnen auf der Spur waren. Der Graf hatte Vertraute an den verschiedenen Höfen, die ihm davon berichteten. Jedes Mal, wenn er sich in eine neue Stadt begab, hatte er Angst, seinen Häschern direkt in die Arme zu fallen. Er konnte sich zwar nicht genau vorstellen, was die Leute mit ihm vorhatten, aber das Schicksal seiner Begleiterin war ihm wohlbekannt.

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25 mayıs 2021
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