Kitabı oku: «Todesluft», sayfa 6

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Napoleon spürte den Vertretern des alten Regimes nach, um sie für seine Zwecke auszunutzen. Was er mit einer wirklichen Prinzessin anstellen würde, wäre nicht auszudenken.

Aber am schlimmsten wäre es für ihn, von ihr getrennt zu werden. Er war gewöhnt an ihr Gesicht, das ihn jeden Morgen aufs Neue anstrahlte, brauchte den Klang ihrer Stimme und spürte den Duft ihrer zarten Haut. Ohne sie wollte er nicht mehr leben.

Das Jahr 1826 war mit einer bedeutenden Änderung der politischen Rahmenbedingungen einhergegangen. Sein Förderer und freundschaftlich zugetaner Protektor, der Herzog von Hildburghausen, übernahm den vakant gewordenen Thron im ostthüringischen Altenburg. Aus undefinierbaren Gründen, die nur die ernestinischen Herzöge wirklich kannten, sollte das bisher unabhängige Hildburghausen Bestandteil des benachbarten Herzogtums Meiningen werden.

Der Graf musste an sein Vorsprechen am Meininger Hof vor zwanzig Jahren denken. Damals hatten die Meininger ihn abgewiesen. Die Zeiten hatten sich gewandelt, Napoleon schmorte im Exil auf der unwirtlichen Atlantikinsel St. Helena und die Thüringer Fürstentümer hatten allesamt ihre Souveränität zurückbekommen.

Herzog Friedrich hatte sich bei seinem Abschied nach Altenburg noch einmal bei seinem Vetter aus Meiningen für den Verbleib des Grafen und seiner Begleiterin auf Schloss Eishausen nachdrücklich eingesetzt. Der junge Meininger Herzog Bernhard Erich Freund respektierte den Wunsch Friedrichs und beließ alles beim Status Quo.

Der Graf hatte in den letzten Jahren einige seiner engsten Vertrauten verloren. Schmerzlich spürte er noch immer den Verlust seines treuen Dieners Scharr, der vor sechs Jahren hochbetagt gestorben war. Auch sein Vertrauter am Hofe Friedrichs, der Senator Johann Carl Andreä, war vor ein paar Jahren plötzlich und unerwartet verstorben. Seiner Vermittlung hatte der Graf das Eishausener Schloss zu verdanken.

Neue Diener waren anstelle der alten getreten, aber der Graf hatte zu den Schmidts nicht dasselbe Vertrauen wie zum alten Scharr. Sie waren ihm zu redselig und auch etwas einfältig. Aber er brauchte sie nun einmal.

Vor zwei Jahren war sein Vater, Adrianus van der Valck, verstorben. Der Graf erbte eine beträchtliche Summe und konnte sich, was seine finanzielle Situation betraf, beruhigt zurücklehnen. Nein, Geldsorgen hatte er keine. Seiner treuen Begleiterin konnte er ohne Probleme alle Herzenswünsche erfüllen.

Lange Zeit hatte er sich zurückgehalten, bevor er sie fragte, wie sie wirklich hieß. Verwundert hatte sie ihn angeschaut. Warum das denn ein Geheimnis sei?

Er war verunsichert. Sie schien ebenfalls mit der Situation nicht wirklich zurechtzukommen. Ihr Name, sie hatte ihn fast vergessen, weil sie in der Öffentlichkeit stets als Mademoiselle Royale, später dann als Madame Royale aufgetreten war. So war der Plan, so wurde es auch getan.

Der Graf nannte sie anfangs immer Marie Therèse. Aber er merkte bald, dass sie sich mit dem Namen schwertat. Irgendwann in einer Sommernacht flüsterte sie ihm nach einer innigen Umarmung den Namen Cécile ins Ohr. Sie gab sich ihm als Cécile Renault zu erkennen. Er eröffnete ihr kurze Zeit später, dass er ein holländischer Diplomat und kein französischer Baron war. Sein wirklicher Name war Leonardus Cornelius van der Valck.

Endlich waren die letzten Geheimnisse geklärt. Wie eine unsichtbare Mauer standen lange Zeit ihre selbstgewählten Decknamen zwischen ihnen. Beide wussten um die Notwendigkeit der falschen Namen. Aber der Graf wusste schon seit langem, dass die wahre Bourbonenprinzessin bei einer Kindsgeburt im fernen Westpreußen verstorben war. Es brauchte keine weitere Verdunklung mehr.

Sie hatten ihren Frieden mit der Welt gemacht. Jetzt wollten sie nur noch ihr privates Glück genießen. Die Zeit war reif dafür. Der Graf war inzwischen 57 Jahre alt. Vor ein paar Jahren lag er darnieder und wusste nicht, ob er wieder genesen würde. Ihm wurde bewusst, wie kostbar die verbleibende Zeit sein würde. Nichts währt ewig, selbst das Glück hat eine begrenzte Dauer.

Der Hof auf dem Berg

In den schwungvollen expressiven Kompositionen des Künstlers Uwe-Hagen Dornberger lässt sich … eine Zusammenführung von Kunst und Leben beobachten … Obwohl informelle Arbeiten einen selbsreferentiellen Ansatz verfolgen und primär die eigene Präsenz demonstrieren, lassen sich Erzählspuren in den Bildern wahrnehmen, darauf verweisen die Titel, die der Maler seinen Bildserien gibt. Dornberger betont explizit, dass seine Verweise auf reales Geschehen optional zu verstehen sind.

S-H (Kunstkritiker aus Leipzig zur Eröffnung einer Ausstellung des Künstlers Uwe-Hagen Dornberger in Weimar, 2005)

I

Tannenhof unweit des Dörfchens Rohr

Sonnabend, 12. Mai 2007


Die Farben spritzten. Nein, genauer gesagt, sie wurden mit großer Kraft von dem schnaufenden Mann auf der riesigen Leinwand am Boden direkt aus der Tube in großen theatralischen Schwüngen verteilt. Kleckse entstanden, dünne Linien, Punkte.

Sichtlich zufrieden mit seinem Tun hielt der Farbvirtuose inne. Vor ihm entstand eine vielfarbige Komposition, bestehend aus pastos, fast reliefartig anmutenden Kreisen, offenen Bogenschwüngen und unregelmäßigen Flächen. Sattes Orange kämpfte mit giftgrünen Spritzern, schwarze Punkte belagerten gelbe Flächen, blaue Linien durchzogen ein rotwaberndes Feld.

Der Schöpfer der schrillen Farbwelten kratzte sich am Kopf. Wichtig war der Titel, der entschied, ob das Opus ein anerkanntes Kunstwerk wurde oder nur eine Fingerübung in Farbe blieb.

In einem Heftchen hatte der Farbenzauberer bereits eine Vielzahl von schön klingenden Fremdwörtern gesammelt, die er durch geschicktes Vertauschen von Buchstaben oder ganzen Wortteilen zu neuer Geltung verhalf.

Sein Atelier, ein großer Raum, ausgeleuchtet mit mindestens zwanzig Strahlern, war vollgehangen mit seinen Werken. An den Wänden hingen große quadratische Bilder, auf denen amöbenartige Wesen mit riesigen Insekten zu kämpfen schienen. Möglicherweise waren es aber auch nur Striche, Punkte und große Farbflächen. Auf einem alten Ledersofa standen ein paar Leinwände in Keilrahmen herum, die nur sehr spartanisch und monochrom bemalt waren. Ein Duft von Acryl lag in der Luft.

Gleich am Eingang zum Atelier stand eine beeindruckende Tiefdruckpresse mit zwei kompakten Stahlwalzen. In einem Doppelwaschbecken türmten sich Blechdosen mit tausenden Pinseln und Spachteln. Der Mann war produktiv.

Das Atelier gehörte zu einem einsam stehenden Hof. Die Leute vom Dorf nannten das Gehöft seit Urzeiten schon den Tannenhof, wahrscheinlich, weil sich direkt vor und hinter dem Anwesen riesige Nadelbäume emporreckten.

Lange Zeit blieb der Hof unbewirtschaftet, wäre gänzlich zur romantischen Ruine verkommen, ein Zuhause nur für Mäuse und Eulen. Doch gleich nach der Wende kaufte der Maler das Anwesen für wenig Geld der Gemeinde ab.

Die war froh, das Problemgrundstück abseits der eigentlichen Dorflage und schwer zugänglich auf dem sanften Rücken des zur Dorfgemarkung gehörenden Berges gelegen, los zu sein.

Uwe-Hagen Dornberger, der emsige Künstler, war glücklich. Endlich hatte er ein Rückzugsgebiet für sich gefunden, um seiner Leidenschaft zu frönen und genügend Platz zu haben, seine Kunstwerke zu archivieren und sogar auszustellen. Im Laufe der Jahre verwandelte Dornberger das Gehöft zu einer intakten Behausung. Ein neues Dach wurde gedeckt, die Fenster erneuert, innen wurden eine Heizung eingebaut und Stromkabel verlegt.

Der Innenhof, bei Dornbergers Ankunft als solcher nicht erkennbar, verwandelte sich unter den geschickten Händen der Lebenspartnerin Dornbergers, einer stillen, freundlichen Frau, die bald auch im ganzen Dorf bekannt war, zu einem grünen Paradies mit Blumenbeeten, einem kleinen Kräutergarten, Obstgehölzen und Stauden.

Das Paar hatte zwei Kinder, die auf dem Hof eine unbeschwerte Kindheit verbrachten. Natürlich konnte Dornberger von dem Verkauf seiner Bilder nicht leben. Er war sich dessen wohl bewusst.

Tagsüber verbrachte er seine Zeit als Ergotherapeut im nahen Meininger Krankenhaus. Eine durchaus nützliche Tätigkeit. Dornberger verhalf Kindern mit gestörter Motorik zu selbstsicherem Auftreten, kümmerte sich um Reha-Patienten, denen er die ersten Schritte nach langer Krankheit beibrachte und betreute auch Rollstuhlfahrer.

Seine Lebensgefährtin arbeitete als Psychotherapeutin ebenfalls in Meiningen, half seelisch labilen Menschen und arbeitete als Suchtberaterin. Auch in das beschauliche Thüringen waren die Plagen der Neuzeit vorgedrungen. Suchtkranke, angefangen von alteingesessenen Alkoholabhängigen über arbeitsgestresste Tablettensüchtige bis hin zu den meist jugendlichen Konsumenten diverser Drogen, gab es inzwischen in den thüringischen Städten genügeng. Ulla Heweleit konnte davon ein Lied singen.

Das Paar hatte in dem großen Gehöft eine Ferienwohnung eingerichtet, Platz war ja genug. Die Einnahmen der Vermietung der Ferienwohnung sollten weitere Verschönerungsmaßnahmen mitfinanzieren.

Zu der Ferienwohnung gehörten eine kleine Küche, ein separates Bad, ein kleines Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer.

Ideal für Familienurlaub auf dem Lande. Zumal diverse Haustiere den Hof mitbevölkerten. Es gab Kaninchen, ein paar Hühner und Enten, Tauben auf dem Dach und eine große, graue Katze.

Dornberger war eigentlich ganz zufrieden mit seinem Werk. Er selber stammte aus dem Eichsfeld, dem äußersten Nordwesten Thüringens. Das Eichsfeld war die einzige Gegend, die nicht von der Reformation miterfasst wurde. Bis heute hielt sich im Eichsfeld ein strenger Katholizismus, was für Thüringen, dem Geburtsort der Reformation, ein Paradoxon war.

Aber die Eichsfelder arrangierten sich. Der kleine Flecken am Nordwestrand gebärdete sich nicht zickiger als die vielen anderen Flicken des Thüringer Kleinfürstentumteppichs und waren integriert in die lokale Polyphonie.

Dornberger mit seiner libertären Gesinnung, war das Eichsfeld bald zu eng geworden. Er verließ schon als Achtzehnjähriger die Familie in Heiligenstadt, jobbte auf dem Bau, robbte als Soldat durch diverse Wälder, versuchte sich als Student und als Lebenskünstler.

Seine Familie beobachtete mit großer Sorge sein umtriebiges Tun, er hatte immer wieder großen Erklärungsbedarf, wenn es ihn zu großen Familienfeiern ins Eichsfeld verschlug.

Da war zuallererst seine wilde Ehe. Im Eichsfeld bis jetzt ein schweres Vergehen. Und dann natürlich seine eigenwilligen Bilder, man konnte ja gar nichts darauf erkennen! Wer sollte denn so etwas kaufen!

Letztendlich noch der verwahrloste Hof im Thüringer Wald. Finanziell habe er sich doch da ziemlich übernommen. Kredite aufgenommen und die viele Arbeit …

Einzig seine Schwester und sein Schwager, beide in Heiligenstadt ansässig, hielten immer zu ihm. Sie waren häufig zu Gast auf dem Tannenhof, halfen ihm und unterstützten ihn auch finanziell. Die Ferienwohnung war ideal für sie, zumal sie ihre drei Kinder mitbrachten, allesamt mit musischen Neigungen und voller Verständnis für das Tun ihres Onkels.

Dornberger, inzwischen auch schon Mitte Vierzig, wettergegerbt und mit ein paar tiefen Falten auf der Stirn, darunter zwei graue Augen, die immer freundlich zu lachen schienen, hatte sich einen Sprachstil zugelegt, der viele Menschen aus seinem Umfeld etwas irritierte.

Natürlich, er musste sich schließlich als Künstler präsentieren. Seine Persönlichkeit war Teil des Gesamtkunstwerks.

Wenn er solch kryptische Titel wie »Der Frieden des Planktons«, »Frosch in Schneeschmelze«, »Narrative Gesten« oder »Derwisch im Moor« für seine Farbexplosionen wählte, hatte es vor allem den Vorteil, dass die Betrachter anfingen über den Titel nachzudenken und in den Farbrhythmen auf der Leinwand diverse Gestalten zu entdecken.

Seine Vorbilder hatte Dornberger in den revoltierenden Künstlergruppen der Art Informel gefunden. Sie lehnten, genau wie er, alle konventionellen Sehgewohnheiten ab, reduzierten Malerei auf das, was sie eigentlich war, das Verteilen von Farbe auf Flächen, und lehnten jedwede Interpretation ihrer Werke durch Kritiker rundheraus ab.

Dornberger gefiel das. Er hatte sich auch mit gegenständlicher Malerei auseinandergesetzt, aber schnell gemerkt, dass das bei ihm nicht funktionierte.

Nein, er brauchte die totale Freiheit im Umgang mit den Farben, ließ sich nicht in eine dahergebrachte Formensprache zwängen.

Ähnlich war es mit seiner verbalen Sprache. Baute da einfach diverse Fremdwörter mit ein, die nicht geläufig waren, vermittelte sofort den Nimbus des Rätselhaften um sich. Er selber brach dann aber sofort wieder diesen Nimbus durch ironische Eigeninterpretationen des soeben Gesagten. In das befreiende Gelächter fielen die Zuhörer nur zögernd ein, meist verstanden sie die Wortspielereien nicht. Irritationen, Konfusionen, Paradoxien, das war Dornbergers Welt. Ein Sprachhumor, der an die Da-Da-Bewegung erinnerte, Anleihen beim britischen Slapstick genommen hatte und mit den gemeinen Trivia deutscher Vorabendserien jonglierte.

Dennoch, oder gerade dadurch, schaffte er es, seine Zuhörer in den Bann zu schlagen. Er war ein Wortakrobat, eigentlich viel mehr Künstler im Bereich der Worte als mit seinen Farben.

Aber das war ihm im Moment ziemlich egal. Er hatte ein Problem. Morgen wollten die Brocks kommen, also seine Schwester, sein Schwager und ihre drei musikalischen Kinder. Sie hatten vor, eine ganze Woche zu bleiben. Für sie wollte er die Ferienwohnung frei haben.

Aber vor dem Hof stand ja immer noch der große Peugeot mit dem belgischen Kennzeichen. Dornberger hatte vor zwei Wochen die Wohnung an das seltsame Paar vermietet. Reiche Belgier aus Brüssel auf Tour quer durch Europa. Sie wollten eigentlich nur ein paar Tage bleiben. Seien auf der Durchreise, aber Thüringen sei eben einen kleinen Aufenthalt wert.

Dornberger freute sich über die willkommene Nebeneinnahme. Die Saison begann hier im regnerischen Thüringer Wald erst ab Juni.

Ja, und nun …

Er hatte die beiden schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Ihr Wagen stand unbenutzt vor dem Hoftor. Glücklicherweise hatten sie schon vorab gezahlt. Mit einem nagelneuen Fünfhunderter. Dornberger hatte nur selten einen solchen Schein in den Fingern. Irgendwie komisch.

Dabei waren die beiden Belgier kunstsinnige Leute. Wohlwollend hatten sie alles betrachtet, als er sie herumführte und das Anwesen zeigte. Auch seine selbstgestaltete kleine Galerie, eingerichtet im ehemaligen Stallgebäude direkt gegenüber dem Wohnhaus, schien ihnen gefallen zu haben. Speziell seine Petersburger Hängung schien großen Eindruck hinterlassen zu haben. Möglicherweise kauften sie ja ein Bild …

Was machte er nur?

Seine Partnerin war mit den Kindern für ein paar Tage nach Berlin gereist. Es waren Frühlingsferien. Zwar nur eine Woche, aber besser als nichts. Dornberger war froh, dass er allein war, Zeit zum Experimentieren. Er hatte eine neue Serie geplant. Großflächig, farbgewaltig, verstörend. Einen Titel hatte er auch schon gefunden: »Meeresbewohner in ungewohnter Umgebung«. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Fisch am Tisch, ein Wal im Tal, vielleicht ein Hai bei der Polizei … naja, ihm würde da sicher noch etwas einfallen. Auf alle Fälle war das Konzept genial.

Neider würden wie immer misslaunig zu den Bildern ihre Kommentare abgeben. Verärgert darüber, dass ihnen selber so etwas nicht eingefallen war.

Trotzdem, mit den beiden Belgiern, da stimmte etwas nicht. Er konnte sich auf seine Malerei nicht konzentrieren, immer wieder kreuzten die beiden durch seine Gedanken. Nicht, dass sie sich ungehörig benommen hatten. Nein, das war es nicht.

Aber sie passten eigentlich nicht in das Schema der klassischen Thüringentouristen. Jeden Morgen standen sie um Sieben bereits auf, kamen sehr spät abends zurück, zogen die Gardinen vor und waren ausgesprochen still. Sie wollten nichts wissen, gingen ihrer Wege, grüßten mit einem freundlichen Kopfnicken, das war’s.

Eigentlich ideale Feriengäste, dennoch hatte Dornberger das Gefühl, dass die beiden nicht zum Sightseeing oder Wandern hier waren. Außerdem war er sich sicher, dass die beiden kein Paar waren. Jeder hatte ein Schlafzimmer belegt, dass machte man nicht, wenn man ein Paar war. Also, was war da los?

Nach zehn Minuten Grübelei trabte Dornberger in seine angrenzende Küche. Da gab es ein Telefon. Er wählte vorsichtig mit seinen farbbeklecksten Fingern die Eins-Eins-Null.

Der Seestern rackert heute nicht,

viel lieber schreibt er ein Gedicht.

Im Gefängnis sitzt der Rochen,

was hat er nur verbrochen?

Der Liegestuhl vom Dorsch

ist vorn und hinten morsch.

Ein Grüppchen schwedischer Maränen

hielt man in Paris für Dänen.

Aus dem Zyklus »Meeresbewohner in ungewohnter Umgebung«

von Uwe-Hagen Dornfelder, 2007

II

Tannenhof unweit des Dörfchens Rohr

Sonnabend, 12. Mai 2007

Der Anruf bei der Polizei hatte Folgen. Innerhalb weniger Minuten kamen laufend Rückrufe von diversen Dienststellen der Thüringer Kripo. Ob er etwas angefasst habe in der Ferienwohnung? Ob der Wagen vor seinem Hof abgeschlossen sei? Wann er seine Feriengäste das letzte Mal gesehen habe?

Dornberger war schon entnervt, als er schließlich darum gebeten wurde, nichts anzurühren, die Kollegen von der Technik und ein paar Beamte würden direkt vorbeikommen.

Naja, so hatte er sich das Ganze auch nicht vorgestellt. Irgendwas musste da passiert sein. Sonst würde die Kripo nicht so intensiv Interesse bekunden.

Er wusch sich nachdenklich Hände und Arme, zog ein frisches Hemd über und schaute kurz in den kleinen Spiegel im Atelier. Manchmal verirrte sich ein Farbsprenkler sogar in sein Gesicht. Das wäre ihm peinlich, wenn er Rede und Antwort stehen müsste vor den gestrengen Augen eines Beamten und ein Tupfer Zitronengelb oder Alizarinrot seine Aussagen konterkarierten. Nein, er legte schon Wert darauf, ernst genommen zu werden, auch wenn er gern die Leute aus seinem direkten Umfeld des Öfteren mal veralberte.

Nach zwanzig Minuten rollten zwei weiße Opel-Astra bei ihm vor, dicht gefolgt von einem ebenfalls weißen Mercedes-Sprinter.

Zwei Kriminalbeamte stiegen aus, beide kurz vor ihrer Pensionierung. Sie stellten sich ihm als Hauptkommissar Thiele und Oberkommissar Heilmann von der Kripo in Suhl vor. Beide machten auf Dornberger nicht den dynamischsten Eindruck, aber das konnte ja auch täuschen. Sie schienen auf alle Fälle routiniert im Umgang mit solchen Vermisstenfällen zu sein.

Umständlich kramte Heilmann, ein knochiger Typ mit großer knorpeliger Nase und einer ungesunden rötlichen Hautfarbe, in seiner Klemmmappe, holte endlich zwei Fotos hervor.

»Sind das Ihre Feriengäste?«

Dornberger warf einen Blick auf die beiden Fotos. Was er sah, verstörte ihn zutiefst. Die beiden Menschen waren tot, lagen in unnatürlicher Haltung inmitten von Kräutern und Farnen. Er musste noch einmal hinschauen, um sich zu vergewissern. Eindeutig, das waren sie.

Er nickte stumm. Was war passiert?

Der ältere der beiden Kommissare, Thiele, ein untersetzter Mann mit spärlichen Haarkranz und einer goldgeränderten Brille begann zu berichten. Über den seltsamen Fundort am Großen Hermannsberg, die gefundenen Reisepässe, verschwieg aber dem staunenden Dornberger, dass die beiden Belgier jeder eine Waffe bei sich trugen, keine gewöhnlichen Luftdruckpistolen oder Schreckschusswaffen, nein, echte Profikanonen, SIG-Sauer.

Der ursprüngliche Verdacht, dass es sich um einen tödlichen Unfall am Kletterfelsen gehandelt haben könnte, wurde nach dem Auftauchen der beiden Waffen fallen gelassen.

Natürlich waren die Waffen nicht registriert, sorgsam waren die Registriernummern entfernt worden. Jeder der beiden trug die Pistolen an einem Holster direkt am Körper. Aus den Waffen war kein Schuss abgegeben worden.

Erste Nachforschungen über Europol hatten ergeben, dass die Namen der beiden in keinem Register der Stadt Brüssel oder anderswo in Belgien zu finden seien. Die dortigen Kollegen hätten ihnen zu verstehen gegeben, dass es wohl gefälschte Pässe seien.

Also, man war im Moment ziemlich ratlos.

War Thüringen durch einen dummen Zufall ins Fadenkreuz von Geheimdiensten oder gut organisierten Verbrecherbanden geraten? Geheimdienste – und dann mit so einer plumpen Fälschung: Renard und Blaireau - Fuchs und Dachs! Bah!

Zweitens könnte da schon eher zutreffen. Thiele erinnerte sich an die Einbruchsserie in den Residenzen, die seit dem vergangenen Herbst für viel Unmut sorgte. Immerhin gab es ja auch noch das geheimnisvolle Medaillon, welches der Triathlet auf dem Felsen gefunden hatte.

Ja, und jetzt der Anruf des Malers, der sich Sorgen machte, was aus seinen Feriengästen geworden war. Langsam kamen die Mosaiksteinchen zusammen. Es würde wohl noch einige Zeit vergehen, bis sich ein ungefähres Bild abzeichne, aber Thiele und Heilmann waren sich sicher, dass dieser spektakuläre Leichenfund sich klären würde. Zu viele Spuren waren hinterlassen worden, man musste sie nur alle finden und sorgsam bewerten.

Ob es möglich wäre, mal in die Unterkunft der beiden Belgier schauen zu können? Dornberger nickte, natürlich, er hatte immer einen Zweitschlüssel, man wusste ja nie…

Er dirigierte die beiden vorsichtig durch sein Atelier, beobachte missbilligend aus dem Augenwinkel, wie die beiden Beamten die Nase rümpften beim Anblick seiner Kreationen, sorgsam darauf bedacht, keine Farbspuren an ihre Schuhe und Ärmel zu bekommen.

Durch den kleinen Flur führte er die beiden Polizisten zu der separaten Eingangstür der Ferienwohnung.

Die Ferienwohnung machte einen aufgeräumten Eindruck. Im Abwasch standen zwei benutzte Kaffeetassen, ansonsten wies nichts auf die beiden Bewohner hin. Als ob sie nicht existiert hätten, oder als ob sie es vermieden hätten, auf ihre Existenz hinzuweisen. Thiele war etwas ratlos.

Was waren das für seltsame Leute? Kein Koffer, keine persönlichen Gegenstände, absolut nichts! Ein Blick in die Schlafzimmer ergab dasselbe Bild. Die Betten waren akkurat gemacht, als ob nie jemand in ihnen geschlafen hätte.

Dornberger wies die beiden Kommissare darauf hin, dass die beiden wahrscheinlich jeder ein Schlafzimmer für sich bezogen hatten, sie also kein klassisches Paar waren. Er habe spätabends Licht in beiden Schlafzimmern leuchten sehen, was ihn ebenfalls gewundert habe.

Die Kollegen von der Technik, die ebenfalls mit geübtem Blick die Räumlichkeiten durchmusterten, schüttelten stumm den Kopf. Hier war nichts zu holen.

Dornberger kratzte sich am Kopf. Ob er denn die Ferienwohnung wieder nutzen könne, schließlich würden die beiden Gäste ja nicht mehr zurückkehren?

Heilmann und Thiele verständigten sich kurz, jaja, kein Problem. Sie würden aber gern noch einen Blick auf das Auto der Belgier werfen.

Ja, das habe man ja beinahe vergessen. Ein Nobelhobel sei das, was da schräg rüber vor dem Hoftor parke. Ungewöhnliches Gefährt, würde man nur sehr selten hier sehen.

Die beiden Beamten gingen nach draußen. Dornberger machte die Außenbeleuchtung an, die aus drei von ihm selbst aufgestellten Laternen bestand und die mit ihrem milden, gelben Licht den kleinen Vorplatz vor der Hofeinfahrt beschienen.

Manchmal machte er die Außenbeleuchtung an, wenn er wusste, dass Feriengäste erst spät ankamen. So würden sie die Auffahrt zum Tannenhof leichter finden, denn normalerweise war der kleine Weg hier hoch dunkel.

Der dunkelgraue Peugeot Traveller war ein imposantes Fahrzeug, wirkte seltsam verloren hier inmitten der Naturidylle des Tannenhofs. Eigentlich gehörte so ein Wagen in die Großstadt.

Die beiden Beamten umkreisten den Wagen mehrfach, notierten sich das Kennzeichen und überließen ihn den Technikern.

Professionell traten sie ein paar Schritte zurück, man war ein eingespieltes Team. Die beiden Techniker in ihren dunkelgrünen Overalls hatten diverse Zündschlüssel zur Hand, mit denen sie probierten den Wagen zu öffnen. Keiner der Schlüssel reagierte jedoch. Dann probierte es einer der beiden Männer mit einem speziell geformten dünnen Draht. Das einzige Ergebnis war, dass die Autosicherung ansprang und ein durchdringendes, unangenehmes Geräusch abgab.

Dornberger musste lächeln. Da hatte er ja zwei Spezialisten beherbergt. Thiele wandte sich ab. Heilmann grinste, seine knorpelige Nase leuchtete im Laternenlicht wie eine große Diode.

»Chef, soll ich mal?«

Thiele nickte nur.

»Jungs, lasst mich mal ran! Ihr habt eure Chance gehabt«, Heilmann hatte eine Plastikkarte hervorgeholt, professionell untersuchte er die Türen, nickte und begann mit der Karte in dem schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen zu hantieren.

Nach drei Minuten sprang die Tür auf. Heilmanns Nase leuchtete noch eine Spur intensiver. Die Techniker schüttelten die Köpfe.

»War zwölf Jahre lang beim Dezernat Autodiebstahl gewesen. Da lernt man so etwas.«

Das Wageninnere war ähnlich aufgeräumt. Im hinteren Frachtraum waren zwei schwarze Koffer, vorn am Fahrersitz befanden sich eine Autokarte Thüringens und ein Navigerät.

Thiele wusste, dass die Navigeräte die letzten Fahrtrouten speicherten. Er suchte den Speicherchip, entfernte ihn geschickt und steckte ihn in ein kleines Plastiktütchen.

Die Techniker hatten sich den beiden Koffern zugewandt. Keiner achtete auf den Wagen, der plötzlich von einer Detonation in Brand gesetzt wurde. Alle waren verblüfft. Was war das?

Dornberger wurde es immer unheimlicher. Nicht, das auch noch seine Ferienwohnung in Flammen aufging.

Sowohl die Techniker als auch die beiden Kripobeamten waren sichtlich überrascht. Die Autokarte war durch die Wucht der Detonation aus der offenen Tür geschleudert worden, brannte an den Rändern bereits. Geistesgegenwärtig trat Heilmann darauf und löschte die Flammen. Auch die beiden Koffer waren gerettet. Wahrscheinlich war ein Zeitzündermechanismus in Gang gesetzt worden. Ausgelöst durch das unsachgemäße Öffnen des Wagens hatte er dafür gesorgt, dass der potentielle Dieb nicht viel Freude mit dem Wagen haben würde.

Heilmann hatte von solchen drastischen Sicherungsanlagen schon gehört. Sie kosteten viel Geld und waren offiziell nicht erlaubt.

Thiele schüttelte nur den Kopf. Womit hatten sie es hier zu tun? Was waren das für Leute, die eines so seltsamen Todes gestorben waren? Die Angelegenheit wurde immer verworrener.

Er wandte sich an die Techniker. Ob sie etwas gefunden hatten in den beiden Koffern? Nur edle Wäsche, allesamt Markenklamotten, nichts vom Discounter. Ach ja, ein Buch war in dem einen Koffer. Eine alte Ausgabe von Ludwig Bechsteins »Der Dunkelgraf«. Auf Deutsch. Wohl ein recht wertvolles Stück, wenn man der Jahreszahl Glauben schenken könne. Eine Erstausgabe aus dem Jahre 1854, mit einer persönlichen Widmung, diese allerdings auf Französisch.

Thiele zog die Augenbrauen hoch. Er kannte die Geschichte des seltsamen Grafenpaares, das vor über zweihundert Jahren in einem kleinen Schlösschen bei Hildburghausen unter dem Namen Dunkelgraf und Dunkelgräfin in die Geschichte eingegangen war.

Vielleicht hatten die beiden Belgier es ja auf antiquarische Bücher abgesehen? Gut möglich, dass hier im Umland noch einige seltene Exemplare herumgeisterten. Bechstein war Südthüringer, lebte in Meiningen.

Aber war den beiden die Jagd nach bibliophilen Kostbarkeiten zum Verhängnis geworden? Er wusste im Moment nicht, wieviel eine Erstausgabe Bechsteins kostete. Aber das würde sich klären lassen. Dafür hatte er schließlich Heilmann.

Die Techniker hatten inzwischen das brennende Auto gelöscht. Von dem teuren Fahrzeug war nicht mehr viel übriggeblieben.

Seltsam! Äußerst seltsam das Ganze!

Nach einer Stunde hatten die Polizisten alles verstaut, was sie als mitnehmenswert erachteten, also den Inhalt der Koffer und den halbverbrannten Autoatlas. Thiele hakte noch einmal bei Dornberger nach. Ob er die beiden einmal telefonieren gesehen habe? Ob die beiden vielleicht einen Laptop oder etwas Ähnliches benutzt hätten? Seltsam!

Da waren die beiden mit einem solch technisch aufgerüstetem Auto unterwegs und hatten da nichts weiter drinnen als zwei Wäschekoffer?

Die Polizisten verabschiedeten sich und ließen einen verdutzt dreinschauenden Dornberger zurück. Der würde diese Nacht wohl nur schwer schlafen können. Erst musste er einmal Ulla anrufen. Mein Gott, soviel Drama! Nur gut, dass die Kinder nicht da waren.

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25 mayıs 2021
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9783967525144
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