Kitabı oku: «Der Mörder und sein Bischof», sayfa 3

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»Setz dich wieder hin, Joya, unser Mann wird nicht weglaufen.«

Alarmiert fixierte er sie und versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu interpretieren. Sollte sie etwa schon wieder …? »Hä? Wie kannst du da so sicher sein? Nun gehst du aber ein bisschen weit mit deiner Intuition.«

»Quatsch, hat nichts mit Intuition zu tun, mehr mit Einwohnermeldeamt.«

Bis auf Katja mochte er keine klugscheißernden Frauen. Auch bei ihr war es im Augenblick nicht mehr weit bis dahin. Ungehalten blaffte er:

»Aha. Erzählst du jetzt endlich die ganze Geschichte oder muss ich vorher auf die Knie fallen?«

Sie hatte ihren Spaß. Täglich feilte sie an diesem Ritual, anders konnte sie mit Machos nicht umgehen.

»Heute nicht, Schönster. Nun, der gesuchte Mann heißt Uwe Linke, siebenunddreißig Jahre alt, Handelsvertreter. Der Haken ist nur, dass er schon ein Jahr tot ist. Er liegt auf dem Bonner Nordfriedhof. Und da läuft so schnell keiner weg.«

Joya setzte sich wieder, verschränkte die Arme vor der Brust und kaute nachdenklich auf der Unterlippe herum. »Ist ja der Hammer. Also hat jemand anderer seine Identität angenommen. Ist ja clever. Andererseits eröffnet sich dadurch eine Spur. Dann müsste man doch ...«

Er hielt inne, denn ein mächtiger Knall erschütterte die Fenster im Büro derart stark, dass man die durch den Druck entstehende Wölbung rein und raus zucken sah. Sie stürzten beide zur Brüstung und schauten nach draußen. Zuerst sahen sie nichts, doch dann quoll hinter dem Dom ein riesiger schwarzer Rauchpilz empor. Sie sahen sich an, die Gedanken flossen langsam auf die Erkenntnis zu.

»Du, Katja, was ist da hinter dem Dom noch mal untergebracht?«

»Du weißt es doch auch, nicht wahr?«

Er nickte, drehte sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, auf dem Absatz herum, stürmte zu seinem Schreibtisch zurück, nahm aus der Schublade ein altes Transistorradio und schaltete es ein. Gleich die erste Durchsage des Polizeifunks betraf den Rauchpilz. Joya setzte sich schwer auf seinen Stuhl und sah seine Kollegin erschüttert an.

»Schwere Explosion im Generalvikariat. Wenn du den Rauchpilz, den Knall und die Meldung in Einklang bringst, dann haben wir hier eine gewaltige Bombe gesehen.«

Katja kaute auf der Unterlippe herum, die sanfte Bräune wich einer tödlichen Blässe. »Und weißt du, was mir mein Gefühl sagt?«

In dieser Situation mochte sich ihr Kollege nicht mit ihren Ahnungen auseinandersetzen. »Oh Preuß, nicht schon wieder. Wieso soll unser Mann etwas damit zu tun haben? Geld klauen und Bomben legen sind zwei völlig unterschiedliche Täterprofile. Das gibt es nicht in einer Person.«

»Oh Joya, es gibt so viel zwischen Himmel und Erde. So eine Bombe hat es auch noch nicht gegeben, vielleicht wurde sie von einem Täter erdacht, den es so ebenfalls noch nicht gegeben hat. Wichtig ist erst mal, dass wir einen Platz in der Soko ergattern. Ich denke, du kennst den Kollegen Dimroth ganz gut, ruf ihn an, bevor es andere tun.«

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass irgendjemand, der noch bei Verstand ist, sich freiwillig für so eine Soko meldet, Tonnen von Überstunden, Nadel im Heuhaufen finden, bei Fehlschlag Karriereknick, also ehrlich.«

»Tu es einfach, Joya, ich will dabei sein, ganz dicht.«

Joya wollte etwas sagen, unterließ es jedoch. Der Schock hinderte ihn daran, sich weiter mit seiner zänkischen Kollegin auseinanderzusetzen. Ergeben nahm er den Hörer und wählte.

*

Im Raum stand die Luft unheilschwanger zwischen den Menschen. Drei Dutzend Beamte drängten sich in dem relativ kleinen Besprechungszimmer und verkürzten sich die Wartezeit mit Gesprächen und Rauchen. Sie alle spürten die Spannung, den Druck, die Erwartung. Diesmal war es ernst, richtig ernst, und das drückte sich auch in den gedämpften Stimmen aus. Joya und Preuß standen bei zwei anderen Kollegen, tauschten Vermutungen aus und konnten sich nicht einig werden. Dann gingen die Gespräche wie ein Schlag zu Ende, die Zigaretten wurden hastig gelöscht, alles wandte sich der Tür zu, in der der Chef stand. Theo Gierlich verkörperte das, was man einen Karriere-Beamten nannte, gut gekleidet, aalglatt, kalte Fischaugen und das Gesetzbuch jederzeit im Kopf. Heute jedoch schien auch er etwas angefressen zu sein. Er stellte sich neben die Tür, stützte die Hände in die Hüften und sprach leise, doch mit einer kaum merklichen Erbitterung in der Stimme.

»Meine Damen und Herren, wir sehen uns in einer Lage, die für uns völlig neu ist. Um es kurz zu machen: Der Terror ist in unser Land zurückgekehrt, schlimmer als alles, was vorher gewesen ist. Ich darf kurz die neuesten Fakten zusammenfassen: Gestern Nachmittag um kurz nach fünfzehn Uhr explodierte etwas im Festsaal des bischöflichen General-Vikariats mit solcher Wucht, dass das Dach und die halbe Außenmauer weggerissen wurden. Trümmerteile flogen hunderte Meter weit bis auf die Domplatte. Bis jetzt zählen wir vierzehn Tote und zweihundertachtzig Verletzte, davon viele schwer. Dass es nicht mehr Opfer gegeben hat, ist allein der soliden Konstruktion des Gebäudes zu verdanken. Wie durch ein Wunder blieb der Bischof unverletzt, weil er sich zum Zeitpunkt der Detonation noch im anderen Flügel aufhielt.

Bislang wissen wir Folgendes: Offenbar ist die Theke explodiert, vielleicht eines oder mehrere der Bier-Fässer, oder etwas, das dort stand, von dem wir aber noch nicht wissen, um was es sich handelt. Ein sehr starker Sprengstoff, vermutlich vermischt mit einer Art von Plastik-Schrapnell. Die meisten Verletzten haben diese Teile im Körper, sehr tückische Geschosse, die nicht mit normalen Röntgengeräten zu lokalisieren sind, sehr schwer zu operieren. Allein aus diesem Umstand lässt sich ableiten, dass der oder die Täter töten wollten, möglichst viele Menschen und möglichst grausam. Damit ist der Tatbestand des Terrorismus gegeben. Aus diesem Grund sind auch Mitarbeiter von Verfassungsschutz und BKA heute bei uns, der BND stößt noch dazu. Diese Angelegenheit hat absoluten Vorrang vor allem anderen. Die Presse rast vor Wut, gerade weil es die Kirche getroffen hat, weil es mit einer solchen Wucht und Tücke geschah, und vor allem, weil völlig im Unklaren ist, mit wem wir es zu tun haben. Die Welt schaut auf uns und wir sind in der Pflicht, dieser Bedrohung zu begegnen. Ich erwarte von jedem, dass er seine Pflicht tut, dass er mehr als seine Pflicht tut und vor allem, dass er keinen Fehler begeht, der uns teuer zu stehen kommen könnte. Ich möchte nicht aus der Zeitung erfahren, dass der entscheidende Hinweis auf einem Ihrer Schreibtische übersehen wurde. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Schleyer-Entführung. So etwas darf nicht passieren. Ich danke Ihnen.«

Er nickte Dimroth zu, der die Sonderkommission leiten würde, und verschwand wieder, um in einem anderen Raum seine Presseerklärung vorzubereiten. Dimroth trat vor.

»Also, Leute, ich denke, wir wissen, was zu tun ist. Wir teilen uns auf, eine Gruppe befragt die Verletzten und Heilgebliebenen, eine Gruppe überprüft alle, die in den Stunden zuvor Zutritt zu dem Gebäude hatten, eine Gruppe checkt den Background, ihr wisst schon, Andeutungen im Vorfeld, Bekennerschreiben. Vor allem will ich wissen, wer oder was das Ziel dieses feigen Attentates war. Also los.«

Preuß und Joya wunderte es nicht, sich in der Gruppe wiederzufinden, die zu den Verletzten gehen sollte. Das war ihr Schicksal, da sie bei der Führung nicht übermäßig beliebt waren, und es nützte nichts, sich darüber aufzuregen. Preuß nahm ihren Kollegen an die Seite. »Sag mal, Joya, was glaubst du? Was ist das Ziel eines solchen Anschlags?«

»Woher soll ich das wissen? Kann alles sein, von einer angestrebten Destabilisierung der Gesellschaft bis zur persönlichen Rache.«

»Ich weiß nicht. Keine Terrorgruppe hat in den letzten sechzig Jahren der Kirche auch nur ein Haar gekrümmt, es ging immer gegen Politik oder Wirtschaft, die Kirche war tabu. Als Institution werden die von niemandem mehr als Bedrohung empfunden. Von daher kann ich mir nicht vorstellen, dass sich eine Gruppe von Leuten zusammenfindet, um das Vikariat zu sprengen.«

Für dieses Mal konnte er ihr Recht geben. »Mhm, ich stimme dir zu. Das wird eine harte Nuss. Immerhin sind wir so fürs Erste diesen Bankraub per Internet los.«

Schmerzlich lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Ja schon, aber die Kirche sind wir nicht los.«

»Dann sollten wir diesen Fall lösen. Dann wird uns diese Internet-Sache vielleicht als Belohnung abgenommen.«

»Wäre ja lukrativ.«

Sie tauchten in der hektischen Menge unter.

*

Niemand wollte sich an diesem Tag eine Anspannung anmerken lassen; die Presse-Leute nicht, sie erwarteten eine Routine-Veranstaltung ohne großen Stress; die Ordensleute nicht, denn sie erwarteten hohen Besuch, was zwar Stress bedeutete, aber auch Ansehen und Freude bringen würde; und der Besucher schon gar nicht, denn er erwartete ein Forum für sein Anliegen vorzufinden. Dazu lachte die Sonne und die geschmückte Abtei erstrahlte in frisch renoviertem Glanz. Die strengen Sicherheitsmaßnahmen störten hier niemanden, die Mönche waren gewöhnt, ständig kontrolliert zu werden, die Presseleute waren gewöhnt, große, hässliche Ausweise um den Hals zu tragen, und der hohe Besuch war gewöhnt, nie kontrolliert zu werden.

Dann rollte die große Limousine durch das Tor, unter dem Bogen der Jugendherberge hindurch, das kurze Stück bis zur Abtei und hielt vor der Freitreppe der Klosterkirche. Alles Weitere wurde routiniert abgewickelt. Der Bischof stieg aus, schüttelte Hände, lächelte in Kameras, sprach ein paar kurze Sätze in die Mikrofone, wurde sodann in das weitläufige Gebäude geführt und fand sich schließlich am Ziel, einem großen Saal, bereits angefüllt mit Geistlichen des Klosters sowie etlichen geladenen Gästen, meist Aktivisten aus der Gegend. Würdevoll wie immer strebte der Bischof quer durch den Saal zur Rednerbühne und nahm dort Platz. Der Abt trat ans Mikrofon, schaltete es ein und begann sogleich mit einer freudig-erregten Begrüßungsansprache, die leicht übersteuert über die zahlreichen Lautsprecher im Saal von den Säulen dröhnte. Heute würde man sich gegenseitig bestärken, auf die gemeinsame Linie einschwören, sich anfeuern, die Zusammengehörigkeit stärken. Gerade nach dem feigen Attentat wollte man Stärke zeigen und Gelassenheit.

An einer Säule, die schräg versetzt vom Podium etwa fünf Meter entfernt auch einen Lautsprecher trug, hing ein Feuerlöscher. An sich wäre daran nichts Ungewöhnliches gewesen, abgesehen von dem Umstand, dass dieser Löscher anders aussah als die anderen drei Geräte im Raum, vor allem größer und besser an der Wand fixiert. Er funktionierte auch ganz anders, denn ziemlich exakt zwei Minuten, nachdem das Begrüßungs-Gewitter seinen Anfang genommen hatte, hörte der Mönch, der auf seiner Bank direkt neben der Säule saß, ein knackendes Geräusch, gefolgt von einem weiteren Laut, der dem Aufziehen eines altertümlichen Weckers verblüffend glich. Noch verblüffender fand der Mönch, dass diese Geräusche aus dem Inneren des Feuerlöschers zu stammen schienen. Er legte den Kopf schief, äugte auf das rote Ding an der Säule, fand nichts Auffälliges und beschloss, dass er sich geirrt haben musste. Weitere zwei Minuten später sprach der Abt seine heiß ersehnten Schlussworte, der Bischof traf Anstalten, sich zu erheben, und durch das auflodernde Geklatsche hörte der Mönch wieder Geräusche aus dem Feuerlöscher. Es machte leise »Bing«, gefolgt von einem scharfen Ton, wie zerbrechendes Glas ihn verursacht, und dann hörte er nichts mehr. Nie wieder.

Draußen vor der Abtei schrien die wenigen Zaungäste und Sicherheitsleute erschrocken auf und warfen sich zu Boden, als mit einem gar nicht so lauten Knall die fünf Meter hohen Buntglasscheiben, die den Saal von der Umwelt trennten, komplett von oben nach unten zerbarsten und ein Splitterregen aus Glas auf sie hernieder hagelte. Da die einzelnen Glasstücke noch mit Teilen der Einrahmung aus Zinn verbunden waren, wurden die Menschen von regelrechten Geschossen getroffen, die meist auch stecken blieben. Kaum jemand kam unverletzt davon.

Nach dem Knall legte sich eine ganze Zeit lang eine unwirkliche Ruhe über das Kloster. Erst nach dieser Verzögerung begann der Lärm wieder, als die Überlebenden des Saales mit Geschrei nach draußen drängten, dort einigen Sicherheitsbeamten begegneten, die mit eben so viel Geschrei hinein wollten. Kurz darauf erschienen die ersten Rettungswagen; die Kriminalpolizei gesellte sich erst zwei Stunden später hinzu, dafür aber in beeindruckender Anzahl.

*

»Warum tut er das? Er kennt doch die Gefahr.« Preuß war sichtlich ratlos.

»Wen meinst du? Täter oder Opfer?«

»Den Bischof natürlich, du Hirn. Eben erst ist ein Anschlag in seiner Anwesenheit auf seine Leute verübt worden und schon kurz darauf veranstalten die wieder so eine Riesenversammlung, als wäre nichts, und prompt kracht es schon wieder.«

Joya versuchte, sie zu beruhigen. »Priester sind nicht wie alle Männer, sie haben keine Geliebten, sondern Haushälterinnen. Davon mal ab, hier geht es nicht um persönlichen Mut, sondern um Politik. Die Kirche als Ganze darf keine Angst zeigen, weil dann die Gläubigen ebenfalls Angst haben. Die Kirche ist stark und kümmert sich nicht um weltliche Kleinigkeiten wie Bomben. Daher tut man so, als wäre alles wie sonst, nichts kann sie erschüttern, ein Beispiel von Courage, an dem sich die Siechen und Kranken aufrichten können. Politik eben.«

»Das hat heute einige Leute den Hals gekostet. Ich bin wahrlich nicht gläubig und gönne der Kirche nicht das Schwarze unterm Fingernagel, aber das ist zu krass. Dumm und sinnlos.«

»Das ist der Job. Totale Macht und totale Unterordnung selbst um den Preis des Lebens. Die Kirche verdankt Märtyrern sehr viel, daher hält sie auch an diesen Verhaltensweisen fest.«

Joya rieb sich die Schläfen. »So kann man das auch nennen. Dann haben wir also ein Bewachungs-Problem.«

»So in der Art. Alle haben gedacht, ein Anschlag pro Monat sei das Maximum des Leistbaren, und nun ist es keine fünf Tage später wieder passiert. Ab sofort gehen alle nur noch auf Nummer sicher. Wir sind also - zusammen mit unzähligen anderen unschuldigen Polizisten - ab sofort eingeteilt, kirchliche Großereignisse zu schützen.«

»So sieht es aus, mein Lieber. Die Frage ist für mich, womit wir rechnen müssen. Es kann ja in ein paar Tagen wieder so ein Ding geben. Ich denke, wir sollten nicht allzu nahe herangehen.«

»Ich verstehe, was du meinst. Leider können wir uns das nicht unbedingt aussuchen. Aber wir haben ja noch deinen Bauch, um im richtigen Moment in die richtige Richtung zu rennen.«

Sie sah ihn skeptisch an. »Sind wir mal einer Meinung? Lasset uns niederknien, dies seltene Glück zu preisen.«

Er lächelte aufmunternd. »Wie sind immer einer Meinung, Herzchen, sonst säße ich nicht jetzt und hier mit dir zusammen in der Patsche. Wir haben nur unterschiedliche Temperamente. Und bei einer solchen Sache müssen wir zusammenhalten, sonst stehen wir das nicht durch.«

»Amen. Dann lass uns zusammen diese Sache schultern, bevor ich wegen der Opfer Depressionen bekomme.«

*

Auf dem Trödelmarkt ging es hoch her. Jetzt am Nachmittag stauten sich die Interessenten in den engen Schneisen zwischen den Ständen, viele Leute blieben vor den Auslagen stehen und machten den Weg dadurch noch enger. So standen die Menschen in einer endlosen Schlange und kamen nicht wirklich voran. In dieser Masse Leiber stand auch ein großer, schlanker Mann, der sich von den anderen dadurch unterschied, dass er nicht ein einziges Mal einen Blick auf die Dinge warf, die es hier zu kaufen gab. Der Mann stand in der Reihe, drängelte nicht, ging ein paar Schritte weiter, wenn sich die Gelegenheit ergab, und ließ sich so mittragen. Er wusste, dass er auf diese Weise zwangsläufig zu seinem Ziel gelangen würde.

Unbemerkt wartete ein gelber Briefkasten auf einem Pflock zwischen einem indischen Lederwaren-Anbieter und einem Taschenbuch-Händler auf Kundschaft. Nun bewegte sich der Mann erstmals zielgerichtet, scherte aus dem Lindwurm der Getriebenen aus und stellte sich zu den Auslagen des Taschenbuch-Händlers, sodass er hinter sich die Lederwaren wusste und sich der Briefkasten direkt an seiner linken Schulter befand. Er nahm ein beliebiges Taschenbuch in die Hand, spähte über dieses in die Runde und schaute sich um, ob wohl jemand Notiz von ihm nahm. Zu seinem Leidwesen traf dies auf den Händler zu, der von seinem Blick ermuntert wurde, ihn anzusprechen.

»Prima Sache, nicht wahr. Das war noch echte Science-Fiction. Wenn Sie interessiert sind, ich habe die komplette Serie der Ren-Dhark-Taschenbücher, die Hefte sowieso.«

»Danke, ich wollte erst mal nur schauen.«

Der Händler verzog das Gesicht und wandte sich dem nächsten vermeintlichen Kunden zu. Der Mann erkannte, dass er zu viel Zeit an einer Stelle verbrachte, legte das Taschenbuch wieder weg und drehte sich dergestalt zum Gehen, dass er mit dem Körper die Bewegung verdecken konnte, mit der er aus seiner Jacke einen Brief hervorzog und in den Kasten warf. So konnte niemand sehen, dass er dies mit der linken Hand tat und dass die linke Hand im Gegensatz zur rechten einen Handschuh trug. Anschließend ließ sich der Mann wieder von der Masse der Besucher treiben, gelangte nach einer weiteren halben Stunde zu einem der Ausgänge und erreichte nach einem längeren Fußmarsch den Wagen. Dann fuhr er lange Zeit ziellos herum, nur um seine Angst und Nervosität zu bekämpfen. Er spürte, es dauerte nicht mehr lange, bis er vom Jäger zum Gejagten werden würde, deshalb musste ihm bald etwas gelingen. Ansonsten würde er vor lauter Wut auf sich selbst zerreißen, bevor dies jemand anderem gelang.

*

»Ich habe ein schlechtes Gefühl, Joya, ein ganz schlechtes Gefühl.«

»Wieso das denn? Wir sind hier, weil der Polizeipräsident alle Kräfte zusammenfasst, und wir gehören halt dazu. Es ist doch so, dass im Augenblick wirklich jeder, der nicht gerade im Krankenhaus liegt, für die Terroristen-Jagd benötigt wird, schon aus Marketing-Gründen, unsere Großköpfe denken doch alle in politischen Dimensionen. Also sind wir mit dabei, weil ein paar Leute ein gutes Schauspiel liefern wollen und nicht weil man uns wieder ins Nirvana schicken will. Heute haben wir ausnahmsweise nichts zu befürchten.«

»Kann sein, kann nicht sein. Jedenfalls habe ich dieses schlechte Gefühl nicht wegen uns, sondern wegen denen«, sie zeigte vage auf die Auffahrt, über die schwere Limousinen zum Schloss hinauf fuhren, um ihre wertvolle Fracht vor der stark bewachten Freitreppe abzuladen.

»Wegen der vielen Priester? Ach Gott«, er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Für die ist nun wirklich gesorgt. Alles ist abgeriegelt, jeder, der sich dem Gelände auf dreitausend Meter nähert, wird gründlich gefilzt, es kann nichts passieren. Das hier ist doch eine Placebo-Aktion, auf beiden Seiten.«

Sie sah ihren Kollegen mit zurückhaltender Ungläubigkeit an. »Na los, lass mich nicht dumm sterben.«

»Naja, angeblich treffen sich die Geistlichen doch nur wegen der Anschläge, um über den unbekannten Feind zu beraten. In Wahrheit saufen die sich ganz entspannt die Hucke voll, um hinterher eine tolle Pressekonferenz abzuhalten, auf der sie mehr staatliches Entgegenkommen fordern, und damit meinen sie nicht Schutz, sondern Kohle. Die Kirche feiert hier ein paar Märtyrer und noch immer haben neue Märtyrer neues Geld gebracht. Die leben doch von den Schuldkomplexen anderer Leute.«

»Hey hey, bist du sicher, dass wir nicht abgehört werden? Du redest dich gerade um Kopf und Kragen. So kann man nicht über so viele tote Priester reden.«

Joya nickte grimmig. »Stimmt, tief in mir drin bin ich betroffen. Aber die Art und Weise, wie die eigentlich Betroffenen damit umgehen, macht mich wütend. Allein dieser Bischof: Gibt eine Pressekonferenz nach der anderen, in der er dem Staat Versagen in der Erziehungspolitik vorwirft, und bietet gleichzeitig an, in die Bresche zu springen. Der hat doch wirklich die Frechheit, Erziehungspolitik, milde Richter und fehlenden Religionsunterricht zusammenzurühren und die gottlose Gesellschaft als eigentlichen Attentäter zu beschuldigen.«

Preuß nickte. »Wenn das stimmt, dann brauchen wir gar nicht suchen. Jeder ist der Täter, jeder hat auf seine Weise mitgeholfen, also gehen wir in den nächsten Supermarkt und verhaften alle Anwesenden. Spaß beiseite, ich weiß, was du meinst. Der Kerl ist kalt wie eine Hundeschnauze, den juckt das Schicksal seiner Leute kein Stück. Dabei fühlt er sich bestimmt ganz sicher, wer bombt schon dreimal gegen dasselbe Ziel?«

Joya blickte den Autos nach. »Alles auf dieser Welt hat es noch nie gegeben“, brummte er nachdenklich, „bevor es dann doch passiert ist. Es ist zweimal gelungen, und wir wissen immer noch nicht genau, wie eigentlich. Mithin kann es durchaus auch ein drittes Mal klappen. Hast du schon eine Ahnung, wie die Bomben an die Tatorte gelangen konnten, wer sie auf welche Weise gezündet hat? Klar, ist ja mal wieder keine Woche her. Wir wissen nichts und unsere klugen Chefs verfallen auf die Superidee, hier eine gigantische Zielscheibe aufzubauen. Wir sitzen auf der größten Einladungskarte Deutschlands. Fühlt sich an wie ein Bad im Aschenbecher.«

Joya sah die Sorgenfalten in ihrem Gesicht, die Gefühlswelt seiner Kollegin kannte er immerhin so gut, dass er ihre Intuitionen ernst nehmen wollte. Die Trefferquote lag beunruhigend hoch. Andererseits, so dachte er sich, vergab er sich nichts, wenn er ein wenig auf Abstand zu den Dingen ging. Wenn die Sicher-ist-sicher-Methode im großen Stil Anwendung fand, dann konnte er sie auch bedenkenlos im Kleinen umsetzen.

»Also gut. Ich schlage vor, wir verschwinden aus der unmittelbaren Umgebung dieses Gemäuers und nehmen einen persönlichen Sicherheitsabstand ein. Sagen wir, den äußersten Absperrgürtel? Der sollte mal wieder inspiziert werden.«

»Das wäre gut. In letzter Zeit gibt es eine besorgniserregende Tendenz zu sehr großen Bomben.«

Während sie sich von dem Gebäude entfernten, wurde Katjas schlechtes Gefühl etwas schwächer, nicht viel, aber genug, um sicher zu sein, dass Richtige zu tun. Sie nickten den Beamten der äußeren Sicherungskette zu und setzten sich neben der Zufahrtstraße auf die Steine eines alten Zierbrunnens. Von dort aus ließ sich das Treiben rund ums Schloss wunderbar beobachten. Dies taten sie ausgiebig, eine Zigaretten-Pause simulierend. Nach einer Weile fragte er sie: »So, und wie lange willst du das hier aushalten?«

»Solange es geht. Hier wird niemand mit 'ner MPi aufkreuzen, Joya. Wenn unser Täter nach dem bekannten Muster vorgeht, dann kreuzt er gar nicht auf, dann ist die Bombe schon da.«

Er schnippte seine Zigarette weg und sah sie an.

»Das halte ich für extrem unwahrscheinlich. Unsere Jungs haben alles umgedreht, auch die Fässer und Feuerlöscher, jede Maus, die da in den letzten zwei Jahren durchgelaufen ist, wurde durchleuchtet, einfach alles. Fehlt nur noch, dass sie den Parkettboden rausgenommen hätten, um zu sehen, was sich darunter befindet.«

Sie nahm die Zigarette aus dem Mund und schaute halb erschrocken und halb nachdenklich auf den Boden. »Haben sie nicht? Warum denn nicht?«

Joya stöhnte genervt auf. »Nun komm schon, wozu denn? Niemand wird sich die Mühe machen und noch dazu die Gelegenheit haben, etwas ...«

Sie fiel ihm aufgebracht ins Wort. »Joya, um Himmels willen. Um was geht es denn hier? Die bisherigen Bomben waren extrem gut versteckt und immer hat sie jemand auch ganz konkret an den Ort der Explosion getragen, trotz aller Maßnahmen zur Sicherheit. Also erzähl mir nicht, es wäre nicht möglich. Vor allem aber wird er nicht so dumm sein, die gleiche Methode noch einmal zu versuchen. Noch mal: Es war lange bekannt, was hier heute stattfindet, die Bomben explodierten bisher genau bei Veranstaltungen dieser langfristigen Art. Er hatte alle Zeit der Welt, sich etwas wirklich Böses auszudenken. Und da beschränken sich unsere alles-nach-Handbuch-Polizisten auf Sichtkontrollen. Ich fasse es nicht. Wir sollten uns krankmelden.«

»Zu spät.«

Sie folgte seinem Blick und sah, wie ein Hundertschaftsführer sichtlich verärgert Kurs auf sie nahm. Er hatte sie fast erreicht, als Joyas Handy klingelte. Mit einer Hand bremste er den Herannahenden ab und griff er mit der anderen Hand zu seinem Telefon und meldete sich.

*

Etwa dreieinhalbtausend Meter vom Schloss entfernt hob ein Mann langsam den Kopf. Da das Schloss in einem Kerbtal lag, konnte es von den umliegenden Hügelketten gut eingesehen werden. Dies wusste auch die Polizei und ließ Hundestreifen durch die bewaldeten Hügel patrouillieren. Auch an allen Einfahrten, die von den Straßen zu den unbefestigten Waldwegen führten, hatte man Posten stationiert, die jeden Wandersmann oder Jäger abwiesen. Seit dem gestrigen Abend galten die Sicherheits-Maßnahmen, in der Presse wurde das Aufgebot als gigantisch bezeichnet, als die größte Polizeiaktion, die je im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung durchgeführt worden sei. Er hatte all dies erwartet und seinen Standort aufgesucht, bevor die Polizei gekommen war.

Als besagten Standort hatte er eine riesige Rotbuche gewählt, in deren Krone lag er in einer Art Baumhaus: Eine Plattform mit drei Seitenwänden und einem Dach aus dicken Zweigen, nur die Seite zum Schloss hin blieb frei, allerdings von den natürlich wachsenden Ästen gedeckt. Vom Boden aus konnte man seinen Aufenthaltsort nicht ausmachen, von guter Tarnung verstand er etwas; in solchen Höhen verlor sich zudem der Blick des Betrachters. Hier wartete er seit fünf Tagen, dies nicht nur, um den Kontrollen zu entgehen, auch um den Geruch des Waldes anzunehmen, jede Spur von Zivilisation zu tilgen, seien es Reste des Rasierwassers oder der Geruch des Waschmittels in den Kleidern. Kein Hund würde ihn entdecken, keine weiße Stelle seines Gesichtes vom Schloss aus gesehen in der Sonne spiegeln. Die Nähe zur Natur, die Entfernung zu den angeblichen Vorzügen der Zivilisation, motivierte ihn zusätzlich in seinem Tun, so fühlte er sich seinen Feinden weitest möglich entfremdet, nur so konnte er sich seinen Feind vorstellen, auf der entgegengesetzten Seite der Welt.

Wieder ein Blick auf die funkgesteuerte Armbanduhr, endlich. Er hörte es, sein Gehör funktionierte sehr gut, die Tage in der Stille hatten seine Sinne noch mehr geshärft: Er hörte die Autos auf der Auffahrt, wie die Türen sich öffneten und schlossen, die Polizisten über die gekiesten Wege hasteten, sogar das Klirren der Gläser im Gebäude drang an seine Ohren. Als es draußen stiller wurde, keine Autos mehr kamen, nur noch einige wenige Fahrzeuge eingeparkt wurden, es gleichzeitig drinnen lauter wurde, so etwas wie eine Ansprache gehalten wurde, hielt er den Zeitpunkt für gekommen. Er setzte das Fernrohr ans Auge und zielte aufs Schloss. Sein Standort war so günstig gewählt, dass er bis in den Konferenzsaal sehen konnte. Trotz Dreibein wackelte das Bild etwas, doch es genügte, den Purpur zu erkennen. Rasch legte er das Fernrohr weg und griff zu dem einzigen Gegenstand, den er noch bei sich führte. Das Gerät sah aus wie ein Geigerzähler, ein Kasten mit einem dicken Rohr an einer Seite, oben drauf eine Skala. Er richtete das Rohr gegen den Konferenzsaal, betätigte einen Knopf, woraufhin die Skala zum Leben erwachte. Er wartete, im Stillen bis dreißig zählend. Dann drückte er einen zweiten Knopf, der Zeiger der Skala sprang in die andere Ecke, es vergingen etwa drei weitere Sekunden, und dann durfte er das Schauspiel erleben, welches er sich erhofft hatte.

*

Joya horchte auf den Anrufer, der Hundertschaftsführer kochte sichtlich, dann veränderte sich alles. Joya wurde sehr blass, legte ohne ein Wort auf, wählte mit fliegenden Fingern eine neue Nummer, und als man sich dort meldete, schrie er in sein Handy: »Sofort alle raus da. Es ist eine Bombe im Schloss, eine große Bombe, sie wird gleich hochgehen. Alles evakuieren, auf der Stelle. Sind Sie blöd? Hier ist Joya, ich habe gerade von unseren Leuten die Info bekommen. Warum? Sie Depp, räumen Sie das Gebäude und quatschen Sie nicht rum! Ende.«

Er warf sein Handy von einer Hand in die andere und blickte dabei den Hundertschaftsführer böse an. »Haben Sie es auch nicht begriffen? Bewegen Sie sich, Mann.«

Es dauerte noch drei Sekunden, bis der Angesprochene seinen Entscheidungsprozess abgeschlossen hatte, dann drehte er sich um und rannte los, dabei in sein Funkgerät bellend.

Preuß sah ihren Kollegen irritiert an. »Wie hast du, ich meine wer hat da was von einer Bombe gesagt?

»Niemand. Ich habe nur zwei und zwei zusammengezählt.«

»Wenn du dich verrechnet hast, dann sind wir geliefert. Hast du irgendeinen Zweifel an dem, was du gerade verkündet hast?« Joya musste die Antwort nicht geben, im gleichen Augenblick gab es eine gewaltige Explosion, ein Donnerschlag lähmte ihre Ohren und ließ sie Deckung nehmen. Im Liegen wunderte sich Preuß, keinen Blitz gesehen zu haben, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit den Steinbröckchen zu, die auf sie niedergingen. Als das Pfeifen in den Ohren nachließ und sie auch wieder andere Geräusche wahrnehmen konnte, hörte sie Joya dumpf, wie aus dem Hintergrund, sagen: »Nein. Keine Zweifel.«

Es blieb keine Zeit für Diskussionen, das unvermittelt einsetzende Chaos musste bewältigt werden. Irgendwann gab es nichts mehr zu tun, keine Wunden zu verbinden, keine schreienden Menschen zu beruhigen, keine Anweisungen mehr zu befolgen, keine zu geben. Etwas abseits vom großen Durcheinander aus Rettungswagen, Polizisten, Überlebenden und Presse saßen sie lange danach wieder bei dem Brunnen und versuchten zu verstehen. Endlich hob sie den Kopf. »Wieso? Wieso hast du es gewusst?«

Er grinste böse, ohne sich zu freuen. »Zwei und zwei. Das Konto, weißt du noch? Dieses gelöschte Konto, von dem dieses Modem bezahlt wurde. Ich habe mir gedacht, ich überprüfe mal alle Firmen, die bei den verschiedenen Objekten, die nun etwas anders aussehen als vor ein paar Wochen, mit Aufträgen vor Ort waren. Ist dir aufgefallen, dass die Abtei und dieses Schloss erst kürzlich renoviert wurden?«

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