Kitabı oku: «Tamora - Im Sumpf des Lasters», sayfa 4

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Kapitel 5

Die Zeit verstrich, die erotischen Träume ließen nach und Violett wäre vielleicht völlig in Vergessenheit geraten, wenn May sie nicht nach einigen Wochen angerufen hätte – immerhin hatte sie die Arbeit fest im Griff und die Druckfahne ihres letzten Romans, ›Im Rausch des Lustschmerzes‹, lag zur letzten Durchsicht auf dem Tisch. Der Abgabetermin brannte ihr unter den Nägeln.

»Violett hat sich nach dir erkundigt. Sie würde dich gern wiedersehen.«

»Ach du liebe Zeit«, erwiderte Tamora erschrocken. »Violett! Ich habe sie gar nicht mehr so richtig auf dem Schirm gehabt. «

»Wieso?«, wollte May wissen. »Ich dachte, du interessierst dich für sie.«

»Kann ich dir gar nicht so genau sagen ... Wir mussten damals unser Gespräch abrupt beenden und vereinbarten miteinander zu telefonieren. Ich habe es zweimal versucht, konnte sie aber nicht erreichen und dann ist die Sache irgendwie im Sande verlaufen«, erklärte Tamora, bevor sie fragte: »Ist sie denn wieder bei euch im Salon?«

»Sicher, was hast du denn gedacht? Sie kommt ziemlich regelmäßig. Spätestens alle drei Wochen. Sie lässt sich gerade die Haare färben.«

»Und welche Farbe wird es diesmal?«, erkundigte sich Tamora neugierig.

»Stahlblau … so ein richtig dunkles, fast schwarzes Blau«, schmunzelte May ins Telefon.

»Mut hat sie! … Alle Achtung!«, entfuhr es Tamora. »Obwohl ihr das Rot ausgezeichnet steht.«

»Stimmt. Sie ist ja auch eine echte Rothaarige. Aber sie kann machen was sie will, ihr steht einfach alles«, sagte May und seufzte neidisch.

»Kann ich sie sprechen?«, erkundigte sich Tamora.

»Du meinst am Telefon?«

»Ja.«

»Da muss ich das Gespräch mal eben in den Salon legen«, meinte May zögernd. »Wenn nicht gerade einer unserer Damen an ihr arbeitet sollte es wohl möglich sein.«

»Danke, May.«

»Mache ich gern für dich … und lass mal wieder was von dir hören«, mahnte May.

»Versprochen. Ich mache mir einen Knoten ins Taschentuch, damit ich es nicht vergesse«, meinte Tamora und ließ ein ansteckendes Lachen hören.

Wenig später hatte sie eine von Mays Angestellten am Telefon, die das Gespräch an Violett weiterreichte.

Gleich darauf hörte Tamora ihre sanfte Stimme. »Ich habe schon gedacht, du hast mich vergessen und es wird nichts mehr«, erklärte sie und in ihrer Stimme schwang ein wenig Verärgerung mit.

»Heute?«, erwiderte Tamora kurz.

»Du bist wohl immer von der ganz schnellen Truppe, wie?«, schwang Violett sofort um und lachte fröhlich.

»Zumeist schon«, meinte Tamora und erwiderte das Lachen, »denn sonst schaffe ich es einfach nicht. Ich bin augenblicklich derart mit Arbeit eingedeckt und mir sitzt der Abgabetermin von meinem neuen Roman im Nacken.«

»Weißt du, … wenn ich mal Zeit habe, werde ich dich bedauern … Also, … hier wird es vielleicht noch gut eine halbe Stunde brauchen. Was hältst du davon, wenn wir uns wieder bei mir treffen?«

Tamora spürte ganz deutlich, dass Violett eigentlich damit rechnete, auch einmal von ihr eingeladen zu werden. Doch das ging nicht so ohne weiteres – schließlich hatte sie ihren Freund.

»Einverstanden. Ich werde vor dem Haus auf dem Parkplatz warten.«

»Na, dann bis gleich«, meinte Violett, »Ich freue mich«, und beendete das Telefonat.

Tamora packte ihr Schreibzeug in ihre Handtasche, machte sich noch ein wenig zurecht und ließ eine Haftnotiz am Kühlschrank zurück, mit dem Hinweis, dass es bei ihr später werden könnte.

*

Keine zehn Minuten später fuhr sie los und wartete, wie vereinbart vor der Wohnanlage auf die Prostituierte.

Wenn May ihr nicht gesagt hätte, dass sie jetzt eine neue Haarfarbe hatte, es wäre ihr schwer gefallen Violett zu erkennen. Natürlich wäre ihr eine fast rabenschwarze Haarfarbe aufgefallen, aber wie hätte sie auf die Idee kommen sollen, dass Violett dermaßen mutig war.

Bewundernd sah Tamora sie an. Violett sah blendend aus. Sie trug ein enganliegendes schwarzes Etuikleid mit passendem Bolerojäckchen. Ihre langen schlanken Beine steckten in hauchzarten schwarzen Nahtnylons und ihre Füße in hochhackigen Riemchenpumps. Über ihre Schulter baumelte lässig eine ›Gucci‹-Handtasche.

»Na, gefalle ich dir so?«, fragte sie lächelnd und amüsierte sich über Tamoras verdutzten Gesichtsausdruck. »Oder ist es zu dunkel geworden?«

»Nein. Du siehst irre gut aus«, erwiderte Tamora schnell. »Obwohl dir das Rot auch ausgezeichnet gestanden hat. Hatte etwas von einem irischen Engel. Mutig bist du, dass muss ich zugeben.«

»Ab und zu braucht es eine Veränderung«, lachte Violett. »Und jetzt komm!«

*

Gemeinsam fuhren sie mit dem Lift nach oben. Wie schon bei Tamoras letztem Besuch kochte Violett wieder Tee. Diesmal war Tamora sehr viel entspannter. Irgendwie kam ihr Violett inzwischen sehr viel vertrauter vor, fast schon wie eine Freundin, die sie über viele Jahre zu kennen glaubte.

»Was interessiert dich denn jetzt am meisten?«, erkundigte sich Violett.

»Du bist nicht beleidigt?«, wollte Tamora wissen.

Violett runzelte die Stirn. »Ich muss gestehen, ich bin es nicht gewohnt, dass jemand auf meine Befindlichkeit Rücksicht nimmt … Aber wieso sollte ich beleidigt sein?«

»Nun, es war ein Gefühl … vermutlich ist es mein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht bei dir gemeldet habe. Ich habe es zweimal versucht und dich nicht erreicht. Irgendwie habe ich es nicht über mich gebracht, dir etwas auf den Anrufbeantworter zu sprechen … und dann war da soviel Arbeit.«

Violett lächelte und schenkte Tee ein. »Es ehrt mich, dass du ein schlechtes Gewissen hast, aber das musst du nicht«, erwiderte sie sanft. »Und jetzt frag mich, was dich interessiert.«

Tamora atmete einmal kräftig durch und nippte an dem heißen Tee. »Also gut. Du hast mich gefragt, was mich am meisten interessiert … Was mich augenblicklich beschäftigt ist, ob dich dieses Leben nicht ankotzt?«

Violett wollte sich gerade eine Zigarette nehmen, hob den Kopf und starrte sie an. »Warum sprichst du es nicht direkt aus?«, fragte Violett. »Du meinst: mit Sex Geld zu verdienen?«

»Ja. Dich selbst zu verkaufen, zu einer Ware zu machen, das meine ich ganz konkret«, präzisierte Tamora und fügte hinzu: »Ich stelle mir das scheußlich vor?«

In Violetts Mundwinkeln spielte ein leichtes Lächeln, als ob sie spürte, dass sich Tamora ein wenig unbehaglich fühlte. »Ah, … jetzt verstehe ich. Du willst ein Schauermärchen von mir hören, wie? So etwas wie: ich werde gezwungen, ausgenutzt, bin die ständig Gequälte, die Leidende und dergleichen?«

Tamora schwieg verbissen. Sie wusste ja inzwischen um viele Schicksale. Violett konnte und wollte ihr nichts vormachen und sie räumte das auch ein.

»Nun, ich will nicht sarkastisch sein«, fuhr Violett fort, »und mich mal so ausdrücken: Egal was jemand macht, wenn er dazu gezwungen ist, dann ist das eine große Schweinerei, verstehst du. Wenn man nicht mehr seine eigene Frau ist und eine Knute über sich spürt, das stimmt … Aber sobald ich etwas aus freien Stücken mache, ja, … als richtigen Beruf und sogar noch Stolz auf meine Erfolge bin, warum, frage ich dich, warum sollte ich es dann scheußlich finden? Das kapiere ich einfach nicht.« Sie zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum man uns so geringschätzig behandelt, um es noch freundlich zu umschreiben. Ich habe das Gekreische förmlich in den Ohren: Ich könnte das nicht. Iiiih, für so etwas würde ich mich nicht hergeben. Nur das nicht, wie widerlich! Eine Hure, eine Nutte, … so eine ist der Abschaum der Gesellschaft.« Sie beugte sich vor und nahm einen Schluck Tee.

»Wie ist das mit dir?«, fragte sie unvermittelt.

»Du meinst, ob ich das auch könnte?«

»Genau das meine ich … Und, könntest du?«

»Ich weiß nicht … ich bin ganz sicher nicht verklemmt, aber …«

»Du weichst aus.« Violett musste schmunzeln, wie Tamora sich um eine klare Antwort zu drücken suchte.

»Wenn ich mir nicht mehr zu helfen wüsste, vielleicht … ja, da könnte ich es mir vorstellen. Ich würde auf keinen Fall von der Sozialhilfe leben wollen.«

Violett sah sie eindringlich an und nickte, ehe sie ihren Faden wieder aufnahm: »Es sind jedenfalls genau die Männer von diesen Frauen, die so reden, die zu uns kommen!«, meinte sie. »Und weißt du was? Ich bin sogar stolz darauf, sagen zu dürfen, dass ich eine ausgezeichnete Hure bin. Ja, … das bin ich in der Tat. Meine Kunden sind sehr zufrieden und kommen wieder und wieder zu mir.« Sie lehnte sich zurück und legte ihre Beine nebeneinander. »Eine wirklich gute Hure ist offen und ehrlich in dem was sie macht, verstehst du! Wir sind nicht verklemmt, wir reden über uns und unseren Körper. Vor allem aber begreifen wir die Nöte und Sehnsüchte der Männer … Den Schreihälsen ist nicht klar, dass Männer nun mal eine andere Veranlagung haben.« Sie warf Tamora einen herausfordernden Blick zu. »Kommst du noch mit?«

»Ich denke schon«, erwiderte Tamora leise, die ihre Blicke nicht von Violetts bestrumpften Beinen lassen konnte.

»Überall in der Natur ist das Männchen die treibende Kraft. Wenn sein ausgeprägter Sexualdrang nicht wäre, so manche Gattung wäre vom Erdball verschwunden. Stelle dir nur mal vor, es dürfte nur, wenn das Weibchen will. Ich sage dir, in Nullkommanix wäre es zappenduster und die Nachkommen blieben aus.« Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette und klopfte die Asche ab. Sie schwieg einige Sekunden und fuhr eindringlich fort: »Diese Triebfeder ist genau das, was diese Frauen nicht in ihren Schädel bekommen. Die verwechseln das nämlich immer gleich mit Liebe, was aber absoluter Blödsinn ist. Liebe und Sex können sich wunderbar ergänzen. Sie gehören aber nicht zwangsläufig zusammen. Eines weiß ich genau, sie alle kommen weil sie Bedürfnisse haben. Diese Männer wollen Sex, sie brauchen ihn, dann fühlen sie sich wieder fit, können zielstrebig arbeiten und sind weniger launisch. Bei uns bekommen sie genau das: Sex, mehr nicht, verstehst du?«

Tamora nickte, nippte an ihrem Tee und sah sie an.

»Und was ich so richtig bescheuert finde ist, dass die wenigsten Frauen etwas dabei empfinden«, erklärte sie dann fast beschwörend. »Die sind völlig verklemmt. Statt offen darüber zu reden, wird über das Thema nach Möglichkeit geschwiegen und kommt es tatsächlich einmal auf die Tagesordnung, so wird es schnellstens umgangen oder abgewiegelt. Aus diesem Unvermögen entsteht diese Verärgerung.«

Tamora staunte über Violetts psychologischen Gedankengänge.

»Mein Körper ist mein Kapital, musst du wissen. Ich verkaufe ihn oder besser, ich verkaufe ein zeitlich befristetes Nutzungsrecht, für eine abgesprochene Dienstleistung. Es ist mein Beruf, den ich überdies sehr gerne ausübe.« Wieder erfüllte Violetts fröhliches und lebensbejahendes Lachen den Salon.

»Niemand hat etwas dagegen, dass sich Frauen und Männer Tag für Tag in Büros setzen und ihrem Chef gewissermaßen ihre Hirnleistung verkaufen, ebenfalls zeitlich befristet. Es sind ihre Produkte, Ideen und Gedanken, die sie offerieren. Niemand schreit deswegen: Pfui, wie kann man nur! Niemand würde es wagen deshalb mit dem Finger auf jemanden zu zeigen und als ›Brainsluts‹ zu bezeichnen … Und vergessen wir nicht, auch Fotomodelle verkaufen sich … Tamora, nicht wir sind schlecht und verdorben, die Gesellschaft ist es, sie macht uns dazu. Wir sind ein Abbild des sexuellen Kulturkreises in dem wir leben, einer Kultur, die stetiger Veränderung unterworfen ist. Es scheint aber wohl leichter zu sein, mit dem Finger auf andere zu zeigen, andere in den Schmutz zu ziehen … Und wenn wir Dreck sind, dann müssen die, die zu uns kommen zwangsläufig auch schlecht und schmutzig sein … Jede Frau rastet aus, wenn sie erfährt, dass ihr Partner bei einer Hure war. Sofort ist er abgestempelt: Ein fieser Typ, ein gemeines Schwein, ein widerwärtig-abartiger perverser Bock und wer weiß was noch alles. Denkt diese Frau auch nur einen kurzen Augenblick darüber nach, warum er es getan hat?« Violett nahm noch einen tiefen Zug und drückte den Rest ihrer Zigarette im Aschenbecher aus. Tamora schwieg und Violett erwartete auf ihre rhetorische Frage auch keine Antwort. »Würde sie das nämlich tun, müsste ihr bewusst werden, dass ihr damit in gewisser Weise ein Armutszeugnis ausgestellt wurde«, sprach Violett weiter. »Er hat nämlich nicht die Befriedigung bei ihr gefunden, die er gesucht hat … Erfährt sie hingegen, dass es einer Freundin passiert ist, dann sieht es gleich ganz anders aus. Da kommt schnell die Erkenntnis, sie könne ihm vielleicht nicht gegeben haben, was er braucht.«

»Gut, du erklärst also, dass es nur Sex ist und mit Liebe nichts zu tun hat«, warf Tamora ein, deren Blick wieder unbewusst über Violetts Beine glitt.

»Ganz genau«, nickte sie. »Aber noch schlimmer wird es, wenn ihr bekannt wird, dass er eine Freundin hat. Auch das ist schlimm, aber deutlich weniger verwerflich … Ich kenne viele Frauen, die sich sogar damit abfinden. Dabei ist das meines Erachtens das wirkliche Hintergehen der Frau, denn eine Freundin verlangt nicht nur Sex, sie verlangt in erster Linie Liebe!« Sie sah Tamora ernst an. »Kannst du mir erklären, warum das so ist?«

Tamora hatte ihr aufmerksam zugehört. Nie im Leben war sie so betroffen, wie in diesem Augenblick. Ihre eigene Einstellung zu den Damen des horizontalen Gewerbes war zwar eine andere, aber sie hatte sich nie wirklich mit diesem Thema befasst. »Woher weißt du das alles, Violett?«, hakte sie nach, statt die Frage zu beantworten.

Violett wirkte müde. »Das ist nicht sonderlich schwer. Ich habe dir doch gesagt: ich bin eine Hure … Folglich sollte ich mich in meinem Gewerbe auskennen, oder? Wenn ich nicht untergehen will, muss ich mich vor der Liebe schützen. Sie ist letztlich das einzige, was mich kopflos machen könnte.«

»Liebe?« Tamora wirkte ratlos.

Violett nickte dumpf. »Ja, du hast richtig gehört … Liebe! Ich habe einmal geliebt und verdammt, ich möchte bloß mal wissen, was dann mit uns vor sich geht. Dieses Gefühl ist ganz plötzlich da, … fällt einem wie ein Stein auf den Kopf, und du kannst dich dagegen nicht wehren. Du magst dir tausendmal sagen, das sei völliger Blödsinn, und der Typ sei es auf keinen Fall wert. Lass den Mist! Lass die Finger davon, das geht böse aus … Nein, du bist verrückt, spielst verrückt, denkst verrückt und handelst noch verrückter.«

Tamora, die nach ihrem ersten Treffen mit ihr immer wiederkehrende erotische Träume durchlebt hatte, in denen Violett eine Rolle spielte, und sich ihre Gefühle nicht hatte erklären können, war ergriffen, zeigte es aber nicht. »Und weiter?«, fragte sie. »Was war der Anlass für dich auf den Strich zu gehen?«

Violett schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein.

Plötzlich vernahm Tamora ein Geräusch und zuckte leicht zusammen. Es musste sich noch jemand in der Wohnung aufhalten.

Auch Violett hob den Kopf. Sie erhob sich und verließ kurz das Wohnzimmer. »Ist nur Cora. Sie hat gerade jemanden zu Besuch. Davon habe ich nichts gewusst. Aber sie wird uns nicht stören, keine Sorge«, erklärte Violett als sie zurückkam und es sich wieder auf dem großen Sofa bequem machte.

»Cora?« Tamora warf Violett einen fragenden Blick zu.

«Sie wohnt im Augenblick bei mir, nachdem sie sich länger in Frankreich aufgehalten hat … Nun ja, wir kennen uns von früher, … gemeinsame Zeiten auf dem Strich eben. Ich habe ihr vorübergehend ein Zimmer abgetreten.« Sie nahm sich eine frische Zigarette. »Ich hatte ihr verboten jemanden hier zu empfangen, aber offensichtlich kann sie nicht hören. Für mich ist das ein absolutes Tabu! Aber ich kann da jetzt schlecht reingehen und den Typen rauswerfen, oder?« Sie ließ ihr sanftes, weiches Lachen zu hören. »Nun schau nicht so entgeistert und versuch es zu vergessen.«

»Alles gut«, erwiderte Tamora. »Ich habe damit nur nicht gerechnet.«

»Ich muss dich um Entschuldigung bitten«, sagte Violett und zündete sich ihre Zigarette an. »Wenn mir Cora etwas davon gesagt hätte, dann wäre ich mit dir woanders hingegangen … in ein Café oder so. Jetzt hoffe ich mal, du reagierst nicht so, wie die Frauen von denen ich vorhin gesprochen habe. Ich sage dir, du wirst es gar nicht weiter bemerken. Die Wände sind nicht so dünn wie anderswo.«

Tamora atmete tief durch. Wohin bin ich geraten? Kann ich das alles gegenüber meinem Freund verantworten?, ging es ihr durch den Kopf, doch dann lächelte sie in sich hinein. Aber andererseits hat es auch etwas.

Violett erhob sich und ging leichtfüßig zum Bücherbord hinüber. Mit drei Romanen kam sie zurück und legte sie auf den Tisch.

»In deinen Romanen bist du sehr viel offener, wie ich finde«, schmunzelte Violett und betrachtete Tamora, die völlig überrascht auf die Cover ihrer Bücher sah. »Ja, ich habe mich mit dir beschäftigt und war natürlich neugierig darauf, was du schreibst.« Sie inhalierte einen Zug und blies den Rauch zur Decke. »Übrigens schreibst du sehr BDSM-lastig, wie ich finde.« Sie lächelte sie herausfordernd an. »Ist das alles Fantasie oder lebst du es auch aus?«

Tamora reagierte verwirrt. Mit dieser Gesprächswendung hatte sie nicht gerechnet. »Fantasie«, gestand sie zögernd. »Ich … mein Freund … na ja …«

»Schon gut«, lenkte Violett schmunzelnd ein. »Aber ich vergesse es nicht und komme ganz sicher noch einmal darauf zurück … Du weißt ja, dass du mir auch einige Antworten schuldest … und mich interessieren besonders die lesbischen Anteile in deinen Geschichten.«

Tamora spürte wie ihr das Blut in die Wangen schoss und in den Ohren rauschte.

»Das muss dir doch nicht peinlich sein«, nahm Violett ihren Vorstoß zurück und strich sich, wie zufällig mit einer Hand sanft über ihre Strümpfe. »Aber verdammt, du bist der erste Mensch, mit dem ich mich mal ganz normal und vernünftig unterhalten kann … Übrigens ist das etwas, was ich echt vermisse.« Sie aschte ab. »Ich will ehrlich sein. Mit den meisten Mädchen auf der Straße ist allgemein nicht viel los. Die sind froh, wenn sie ihr Soll beisammen haben, und damit hat es sich. Die lesen ganz sicher kein Buch oder die Tageszeitung. Geschweige denn, dass sie sich überhaupt für irgendetwas interessieren, was ihren Kopf anstrengt. Mit denen kann man sich intellektuell nicht duellieren. In deren Hirn fehlt quasi der auslösende Schlagbolzen! … Aber gut, … ja, ich gebe zu, sie sind dafür in der Überzahl!«

Tamora musste lachen. »Mir scheint auch, dass du eine echte Ausnahme bist. Du siehst umwerfend aus, hast was im Kopf und weißt genau, was du willst«, erwiderte sie nach einigen Sekunden, in denen sie von Violetts erneutem Streicheln der Beine abgelenkt wurde.

»Als Ausnahme würde ich mich nun nicht gerade bezeichnen, aber ich bedanke mich für dein Kompliment.« Sie erhob sich und griff nach der Kanne auf dem Stövchen. »Möchtest du noch etwas Tee?«

»Ja, danke gern«, erwiderte Tamora lächelnd.

»Wie schmeckt er dir? «, wollte Violett wissen.

»Gut.«

»Ist diesmal ein anderer, eine Wildkirschen-Mischung. Ich habe immer so an die vierzig Sorten im Haus«, erklärte Violett und drehte sich einmal langsam um ihre Achse, bevor sie wieder auf dem Sofa Platz nahm. »Du musst mich nicht immer so verstohlen anschauen. Sag doch einfach, dass ich dir gefalle.«

Tamora brachte kein Wort heraus. Ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Sie nickte leicht. Violett hatte es auf spielerische Weise geschafft den Bann zu brechen. Gleichzeitig hatte sie sie damit ganz aus dem Konzept gebracht. Hinzu kam, dass sie gedanklich immer wieder im Nebenzimmer war und bei dem, was dort gerade geschah. Sie ertappte sich dabei, wie sie es sich im Detail ausmalte. Um sich abzulenken und das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken, nahm sie einen Schluck Tee. »Der schmeckt wirklich gut«

Violett grinste sie frech an, legte ihre langen, schlanken Beine ladylike gegeneinander und ließ das Etuikleid dabei – wie zufällig – etwas nach oben rutschten. Sie bohrte aber nicht weiter, und Tamora war froh, dass sie ihr Ausweichen für den Augenblick akzeptierte. »Tee macht langsam munter, hält dafür aber länger an. Die Beduinen, … wenn die früher unterwegs waren, die haben sich förmlich damit vollgepumpt. Danach konnten sie Stunde um Stunde mit dem Kamel durch die Wüste ziehen. Und da sage mal einer, es sei nur Tee.«

»Ja, darüber habe ich auch schon mal gelesen«, lachte Tamora erleichtert und warf einen demonstrativen Blick auf ihre Armbanduhr, um nicht schon wieder Violetts Beine anzustarren. »Wow, ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit verflogen ist. Ich bin schon über zwei Stunden hier.«

Violett zog jetzt gemütlich ihre Füße aufs Sofa, ließ ihre Hände über die Strümpfe gleiten und zeigte sich erstaunt. »Ja, und?«

»Kann ich hier mal auf das stille Örtchen?«, erkundigte sich Tamora.

»Aber sicher, gleich neben der Wohnungstür«, schmunzelte Violett. »Kannst du gar nicht verfehlen.«

»Danke.«

*

Tamora erhob sich, huschte aus dem Salon und betrat den großzügig angelegten Flur, der direkt auf die Wohnungstür zulief und zu beiden Seiten verzweigte. Auf der linken war er von einer Art Vorhang verdeckt.

Im selben Augenblick, als sie die Tür zum Wohnzimmer hinter sich schloss, musste dort eine andere aufgegangen sein. Aus den Augenwinkeln sah sie flüchtig den Schatten eines Mannes, der, als er sie wahrnahm, sofort in den dunklen Hintergrund zurücksprang und ihr seinen Rücken zudrehte.

Sie hatte nicht viel gesehen, schließlich war sie selbst darum bemüht nicht erkannt zu werden. Mit wild pochendem Herzen, suchte sie die Toilette auf. So muss man sich also als Freier fühlen, wenn man heimlich vorgehen muss, dachte sie lächelnd. Na ja, das habe ich ja Gott-sei-dank nicht nötig. Wenn man mich hier sieht, wird wohl niemand auf den abstrusen Gedanken kommen, dass ich aus sexueller Intention heraus eine Prostituierte besuche – zumal in ihrer Wohnung. Der Gedanke daran erheiterte sie so sehr, dass sie fast in lautes Gelächter ausgebrochen wäre. Doch sie bekam sich noch rechtzeitig in den Griff.

Der Freier musste sich noch im Flur aufhalten. Denn plötzlich konnte sie eine fremde weibliche Stimme hören. Das muss diese Cora sein. Sie scheint den Kunden sehr gut zu kennen.

»Ich würde mich freuen, wenn du bald wieder bei mir vorbeischaust«, ermunterte sie den Mann, bekam aber keine Antwort.

Sicher ist der noch zu erschrocken, dachte Tamora spöttisch. Vielleicht sollte ich einfach in den Flur gehen und ihm sagen, dass ich keine Hure bin. Doch ehe sie das umsetzen konnte, hörte sie auch schon die Wohnungstür ins Schloss fallen und im Flur trat Stille ein. Jetzt muss ich mich aber sputen, schoss es ihr durch den Kopf. Ich muss heute unbedingt noch die Druckfahne durchgehen. Sie dachte daran, wie schwer es oft für sie war, Beruf und Freund unter einen Hut zu bringen, zumal sie ihren Job zu Hause am Schreibtisch machte und nur zu oft vom ihm gestört wurde. Wie gern würde ich auch morgens aus dem Haus gehen und meine Romane in einem stillen Büro schreiben. Einfach tagsüber mein Soll erfüllen und abends ohne Druck zurückkommen. Schon oft hatte sie sich darüber gewundert, wie es ihr trotz laufender Störungen immer wieder gelang, den Faden ihrer Storys wiederzufinden.

Sie wusch sich die Hände und begab sich gleich darauf in den Salon zurück.

*

»Ich muss mich auf den Heimweg machen, … bin schon viel zu lange hier. Außerdem gehe ich davon aus, dass du dich noch ausruhen möchtest«, erklärte sie.

Violetts Freundin drehte sich erstaunt um. »Wer bist denn du?«

Jetzt war es an Tamora, erstaunt und verblüfft zu sein. Zwei Augenpaare krallten sich ineinander und starrten sich an. Sie schluckte.

Cora war ein ganz anderer Typ als Violett. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich etwas überzuziehen. Brünett, nur mit einer schwarzen brustfreien Korsage, Strümpfen und oberschenkelhohen Stiefeln saß sie breitbeinig vor ihr im Sessel. Es störte sie offensichtlich nicht im Geringsten, dass sie keinen Slip trug und sowohl ihre nackten Brüste als auch ihre rasierte Scham zu sehen war.

In diesem Augenblick kam auch Violett zurück.

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich Besuch habe«, fauchte sie Cora an. »Und jetzt verschwinde mal schnell. Und vor allem: Zieh dir etwas über. Was soll denn meine Freundin von mir denken? Und darüber, dass du jemanden hergebracht hast, reden wir auch noch. Du weißt ganz genau, dass ich das nicht will! Das ist mein Zuhause und kein verdammtes Bordell!«

Cora erhob sich gemächlich und grinste. »Ich wusste gar nicht, dass du auch am anderen Ufer gräbst«, spottete sie, ohne auf Violetts Verweis auch nur mit einer Silbe einzugehen, und wollte sich vor Lachen ausschütten. »Bekommst du nicht mehr genug Schwänze ab?«

Violett lag bereits eine Erwiderung auf den Lippen, als Tamora sie zurückhielt und sagte: »Lass nur! Ich kann damit schon umgehen! Ich möchte nicht, dass das jetzt in einem Streit endet.«

»Ich war kurz in der Küche und dachte du wärst von der Toilette zurück«, entschuldigte sich Violett bei ihr.

»Wer ist sie? Etwa eine fromme Schwester?«, mischte sich Cora ein.

Violett warf Tamora einen fragenden Blick zu und Tamora nickte.

»Von mir aus kannst du es ihr ruhig erzählen«, sagte sie und spürte genau, wie verärgert Violett über die veränderte Situation und Cora war. Ich wäre dir aber auch nicht böse, wenn es Absicht war und du wolltest, dass ich Cora kennenlerne, dachte sie.

Fast widerstrebend erzählte Violett ihrer Freundin, um wen es sich bei Tamora handelte. Jetzt war es Cora, die aus dem Staunen nicht mehr herauskam.

»Mensch, da schlag einer lang hin. Nein, … das hätte ich im Traum nicht geglaubt. Violett und ich haben uns noch kürzlich darüber unterhalten … Ich kann es immer noch nicht glauben, ehrlich nicht … Du bist also gar keine Ehemalige?«

»Nein.«

»Hör auf zu reden«, zischte Violett sie an.

»Ach, lass mal«, meinte Tamora lächelnd. »Ich bin das schon gewöhnt. Anfangs glaubt es keiner. Es stört mich auch nicht mehr. Ich werde nur noch sauer, wenn jemand meint auch noch handgreiflich werden zu müssen.«

»Das kann ich mir denken«, kicherte Cora und machte immer noch keine Anstalten, den Salon zu verlassen.

Wenn ich Cora nun schon kennengelernt habe, da kann ich sie doch auch gleich befragen, dachte Tamora. Damit schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Eine Gelegenheit wie diese, wird sich sicher nicht mehr so schnell bieten. »Ja, aber das versuchen sie auch nur einmal«, stellte sie fest.

»Von dir habe ich schon gelesen, schreibst ja wirklich gut«, machte Cora ihr ein unerwartetes Kompliment. »Ich habe manchmal gedacht, es müsse eine richtig erfahrene Nutte sein, die ein echtes Talent zum Schreiben hat. Irgendwie eine von uns, weil ja immer alles in London spielt und so genau beschrieben ist. Wollte mit anderen schon Wetten darauf abschließen, das es Violett ist.«

Violett schüttelte schmunzelnd den Kopf.

»Danke für das Kompliment«, lachte Tamora.

»Ich kann das immer noch nicht wirklich glauben, echt nicht. Wenn das die Mädels erfahren!«, grinste Cora. »Sag mal, wie heißt du denn nun wirklich? Auf den Büchern steht doch nicht dein richtiger Name, oder?«

»Das bleibt mein Geheimnis«, erwiderte Tamora lächelnd und deutete mit ihren Fingern, vor dem Mund das Schließen eines Reißverschlusses an.

»Warum?«

»Liegt das nicht auf der Hand?«, entgegnete Tamora, die ihr nicht auf die Nase binden wollte, dass sie unter ihrem wirklichen Namen schrieb. »Ihr wollt doch sicher auch nicht, dass hier im Haus jeder weiß, was ihr so treibt, oder?«

»Stimmt schon, aber was du machst ist doch nichts Anrüchiges. Im Gegenteil es ist außergewöhnlich, etwas was nicht jeder kann«, meinte Cora anerkennend.

»Wenn das jeder wüsste, würde mir die Ruhe zum Schreiben fehlen«, antwortete Tamora ausweichend und sah Violett bittend an, sie nicht zu verraten. »Mir gefällt es unbekannt zu bleiben … Mein Freundeskreis weiß es und das reicht völlig. Außerdem habe ich einen Lebensgefährten.«

»Du liebe Güte, das wird ja immer drolliger. Weiß denn dein Freund von deinem Besuch bei Violett?«, erkundigte sich Cora mit einem frechen Grinsen.

»Nein«, gab Tamora offen zu.

Cora kicherte. »Den würde wohl sicher der Schlag treffen, wie?«, meinte sie.

»Das glaube ich weniger, denn mein Freund interessiert sich nicht wirklich für das, was ich beruflich mache … So sieht das aus.«

»Na, da schlag einer lang hin«, kam es nun.

Tamora bemerkte, wie ihr langsam aber sicher das Gespräch aus den Händen glitt. So erfahre ich nichts Wesentliches mehr, dachte sie. Außerdem entspricht Cora genau dem Bild einer Hure, wie ich sie schon oft in meinen Romanen abgebildet habe. Violett hingegen ist eine echte Ausnahmeerscheinung. Es ist schade, dass ich das Gespräch mit ihr unterbrechen musste. Es gibt nur selten Stunden, in denen man so offen und frei sprechen kann. Sie sah Violett an, bemerkte ihren Blick, der mehr als deutlich sagte: ›Pass auf, was du Cora erzählst!‹, ging zum Sessel und griff nach ihrer Handtasche.

Als Cora das bemerkte, verengten sich ihre Augen. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass ein schneller Griff in die Tasche ausgereicht hätte, Tamoras richtigen Namen zu erfahren. Allerdings registrierte sie Violetts Blick, der ihr stumm zu verstehen gab: ›Wage es bloß nicht!‹

»Wenn ich erfahre, dass du ihr Ärger machst, dann bekommst du es mit mir zu tun«, sagte Violett laut. »Darauf kannst du dich verlassen … und ich glaube nicht, dass du das willst!«

»Ist ja schon gut! Ist ja schon gut«, wiegelte Cora wiederholend ab und lachte. »Ich habe ja gar nichts vor.«

»Du solltest jetzt besser verschwinden oder ich stelle dir die Koffer vor die Tür, verstanden!?«, knurrte Violett sie an.

»Ja, ja, ja ...«, maulte Cora und schlich sich aus dem Wohnzimmer.

»Ich muss mich ernsthaft bei dir entschuldigen«, sagte Violett zu Tamora. »Cora ist ein echtes Biest. Sie muss nicht wissen, dass du unter deinem echten Namen schreibst. Die plaudert das überall herum und ehe du dich versiehst, steht ein Fremder vor der Tür, der ernsthaft glaubt, er kann bei dir das bekommen, worüber du schreibst.«

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