Kitabı oku: «Wirtschaftsphilosophie», sayfa 7
2.2.1.4 Thomas von Aquin über den »gerechten Preis« und den Wucher
Eine prominente Antwort auf die zuletzt gestellte Frage finden wir bei Thomas von Aquin (1225-1274), dem »doctor angelicus« und wichtigsten Theologen und Philosophen des Mittelalters überhaupt. Thomas gibt sie in einem Rahmen, der »Über den Betrug bei Käufen und Verkäufen« überschrieben ist, in der 77. »quaestio« seiner berühmten Summa theologiae. Der Grundbegriff für die thomasische Antwort auf die Frage ist der der »Tauschgerechtigkeit«, der »iustitia commutativa«, wie wir sie seit Aristoteles kennen161. Diese Tauschgerechtigkeit besteht wesentlich darin, daß Gleiches für Gleiches gegeben und empfangen wird; sie schließt entsprechend von vornherein aus, daß eine Sache unter oder über Wert verkauft werden kann – wenn der Preis für sie nämlich »gerecht« sein soll162. Der Preis bemißt dabei die »Quantität« des »Wertes« jener Gegenstände, die für den Menschen von Nutzen sind163. Vorausgesetzt ist dabei natürlich ein objektiver Wertbegriff, der von den subjektiven Wertschätzungen der beteiligten Parteien nicht berührt wird – und der zugleich nicht ohne weiteres feststellbar ist, aber auch nicht ohne weiteres mit dem Preis übereinstimmt, den Käufer und Verkäufer im Rahmen der »Legalität« aushandeln164.
Thomas beginnt die Begründung seiner Forderung nach strenger Tauschgerechtigkeit als dem Maß des gerechten Preises damit, daß er daran erinnert, weshalb es Kauf und Verkauf überhaupt gibt: nämlich um des »gemeinsamen Nutzens beider Seiten willen«, »pro communi utilitate utriusque«165. Wenn dem aber so ist, ist es auch nicht Sinn und Zweck des Kaufhandels, daß einer größeren Schaden leidet als der andere, das heißt es muß Gleichheit beider Vertragsparteien in Bezug auf den Nutzen erzielt werden – eben darin besteht der »gerechte Preis«. In anderer Hinsicht läßt sich indes auch das folgende sagen: der Preis muß neben dem Nutzen des Käufers auch einen eventuellen Schaden des Verkäufers reflektieren, um gerecht zu sein. Wer eine Sache erwirbt, die er dringend bedarf, die ein anderer aber nur zu großem eigenen Schaden abgeben kann, ist es durchaus rechtens, den Preis über dem »objektiven« Wert zu fixieren. Aber das ist zugleich auf diesen Fall der beiderseitigen Lagen von Käufer und Verkäufer beschränkt. Schon in dem Fall, daß zwar der Käufer aus zufälligen Gründen von dem Kauf einen überproportionalen Nutzen zieht, der Verkäufer aber keinen besonderen Schaden leidet, darf der Kaufpreis nicht von dem »objektiven« Tauschwert abweichen. Dabei gesteht Thomas allerdings zu, daß es im Freundschaftsverhältnis nicht einfach um den gleichen »Warenwert«, sondern primär um den beiderseits gleichen Nutzen geht166. Nur ist die Situation des Kaufhandels nicht eine Situation »unter Freunden«. Sie ist eben deshalb nicht am gegenseitigen Nutzenabgleich orientiert, sondern am »objektiven« Wert, über den sie sich statt auf dich oder mich auch auf einen beliebigen Dritten beziehen läßt. Mit der Einsicht aber in den objektiven Charakter dieser Situation ist der Horizont der »schenkenden Wirtschaft« dann endgültig überschritten.
Thomas beschäftigt sich im Rahmen seiner Gesamtfrage aber auch noch mit anderen Aspekten, zunächst etwa der Frage, unter welchen Bedingungen der Verkauf mangelhafter oder minderwertiger Ware als »Ungerechtigkeit« angesehen werden muß. Der Mangel kann sich auf die Sache selbst der Art nach, auf ihre Menge oder auf ihre tatsächliche Qualität beziehen; in allen drei Fällen ist nach Thomas der Verkäufer zur Haftung verpflichtet – interessanterweise aber auch der Käufer, wenn er entdeckt, daß ihm eine Sache unter Wert verkauft worden ist, etwa (um ein Beispiel von Thomas selbst zu benutzen) Gold für Messing167. Mit dieser Frage hängt die andere zusammen, ob der Verkäufer gehalten ist, Mängel seiner Ware auch anzuzeigen. Dafür, daß er es nicht ist, könnte man beispielsweise mit dem alten Grundsatz: »caveat emptor!« – »Der Käufer möge sich vorsehen!« plädieren oder, wie Thomas zunächst, auch mit den Hinweisen, daß kein Käufer zum Kauf gezwungen ist, kein Verkäufer auf Konkurrenten hinweisen muß usw. Daß jedoch diese Einwände nicht gelten, liegt wieder daran, daß es beim Kaufhandel um die Herstellung eines Verhältnisses der Tauschgerechtigkeit geht – was nicht geschehen kann, wenn die eine Seite Schaden leidet oder sich sogar (wie beim Kauf verdorbener Speisen) Gefahren aussetzt168. Über die Grenzen der Tauschgerechtigkeit hinaus geht Thomas dann jedoch mit der Frage, ob es überhaupt erlaubt sein könne, etwas gewinnbringend zu verkaufen, wie es der Handel tut. Immerhin könnte man meinen, daß nach dem strengen Maß des »Gleiches für Gleiches« für den Händler keine Gewinnspanne übrigbleiben darf, wenn der Handel nämlich nicht in Ungerechtigkeit umschlagen soll. Thomas trifft hier jedoch zwei weiterführende Unterscheidungen, mit denen er bei seiner wichtigsten philosophischen Autorität, bei Aristoteles, anschließen kann. Das eine ist, daß wir den Tauschhandel der »Ökonomen« bzw. der Politik von der auf Gewinn abzielenden Chrematistik unterscheiden müssen, in welcher Geld gegen Geld oder Geld gegen Ware nicht wegen des Lebensbedürfnisses, sondern aus Gewinnstreben getauscht wird. Das andere ist, daß wir das Gewinnstreben, die »cupiditas lucri«, in der Bewertung von dem Gewinn, dem »lucrum«, unterscheiden müssen. Das Streben ist, schon weil es keine Grenze und Zielbestimmung kennt, ethisch verwerflich, der Gewinn dagegen als solcher ist ethisch zunächst neutral. »Nichts hindert«, schreibt Thomas, »daß der Gewinn für einen notwendigen Zweck oder auch einen ehrenwerten eingesetzt wird. Dadurch aber wird der Handel etwas Erlaubtes. So etwa, wenn jemand einen bescheidenen Gewinn, den er aus dem Handel zieht, dazu bestimmt, sein Haus zu erhalten oder auch dazu, Bedürftige zu unterstützen; oder auch, wenn jemand im Handel den öffentlichen Nutzen im Auge hat, daß nämlich nicht etwa dem Vaterland die zum Leben notwendigen Dinge fehlen, dann fordert er den Gewinn nicht als Ziel, sondern gleichsam als Lohn für seine Mühe«169. Trotz der Rückbindung an die Tauschgerechtigkeit bei der Feststellung des gerechten Preises gelangt der »doctor angelicus« hier zu einer ethisch gesicherten Freisetzung des Kaufhandels, die in gewisser Weise das Gegenstück zum auch sozial greifbaren Auftreten des »ehrlichen Kaufmanns« in der Stadtkultur des Mittelalters ist. Über Aristoteles hinausgehend170, ist dabei zugleich gesehen, daß der Handel gerade auch um des staatlichen Gesamtinteresses willen unternommen werden kann, auch wenn dabei nicht einfacher Naturalientausch gemeint ist. Die Kosten dieses Handels werden in diesem Fall durch eine Preisgestaltung getragen, die notwendigerweise vom »gerechten« Preis abweicht und damit gewinnbringend ist. Solange hierbei ein an ethisch vertretbaren Zielen bestimmter individueller oder sozialer Gesamtnutzen leitend ist, vor allem also der Gewinn nicht um seiner selbst willen angestrebt wird, hält Thomas eine entsprechende Geschäftspraxis für legitim. Nicht legitim ist dagegen, wie wir schon wissen, der »Wucher« – wir sehen uns seine Bestimmung bei Thomas, seine Folgen bei Dante an!
Der Aquinate behandelt den Wucher von vornherein nicht als ein Phänomen des Wirtschaftslebens unter anderen, sondern – theologisch – als Sünde; er widmet ihm in dieser Bestimmung eine eigene »quaestio«. Im einzelnen stehen dabei vier Fragen zur Debatte: ob der Wucher tatsächlich eine Sünde sei; ob es statthaft sei, bei einem Gelddarlehen statt des Geldzinses eine andere Vergünstigung anzunehmen; ob es eine Verbindlichkeit gebe, auch die Erträge, die man mit Zinsen erwirtschaftet, zu erstatten; ob es erlaubt sei, ein verzinsliches Gelddarlehen anzunehmen, also am Wucher als Empfänger zu partizipieren. Die Antworten, die wir bei Thomas hier finden, sind immer wieder auch erstaunlich. Zunächst wird, wiederum im Sinne der Tauschgerechtigkeit, festgehalten, daß aller Wucher »in sich« ein Unrecht ist – er besteht nämlich darin, ein und dieselbe Sache »zweimal« oder auch, wenn man so will, etwas, »das es nicht gibt«, zu verkaufen171. Z. B. verkauft der Winzer regulär seinen Wein, den der Käufer entsprechend seiner Natur als Konsumgut verzehrt. Ebenso verkaufen Bauer oder Getreidehändler das Korn für den Preis, den es verdient, und es ist Sache des Käufers, ob er das Korn aussäen oder aufzehren will. Der Wucherer dagegen ist jemand, der Wein oder Getreide »verleiht«, sie also in bestimmter Zukunft mit Aufschlag zurückerstattet haben will: er verkauft zum einen den (nützlichen und nur deshalb wertvollen) Gegenstand selbst (den Wein oder das Getreide), sodann aber noch einmal die Nützlichkeit dieses Gegenstands (für den Käufer) – entsprechend beim Geld, das zum einen gegen den realen Gegenwert zur Verfügung gestellt wird (womit bei einem unfruchtbaren Gegenstand der Tauschgerechtigkeit Genüge getan ist), zum anderen aber gegen die »Interessen« als einen Anteil an jenem Nutzen, den der Empfänger von dem Gebrauch es geliehenen Geldes hat. Während die moderne Vorstellung in diesem Zusammenhang wäre, daß der Darlehensnehmer eben nicht nur Geld, sondern auch Zeit empfängt und der Wucherer insofern ein »Zeithändler« ist, gehört für den aristotelisch geprägten Realismus eines Thomas von Aquin »die Zeit« (die es je ohnehin je nur in akzidenteller Hinsicht auf eine Realie gibt) sicher nicht zu den »Dingen«, die »handelbar« oder »käuflich« sein können. Gemessen an der Realität (Substanz) eines Gutes oder des Geldes ist die Zeit, die nur »an« dieser Realität erscheinen kann und entsprechend nicht selbst real ist, nur als »Nichts« präsent – bzw. sie ist im wirtschaftsphilosophischen Denken Thomas’ nicht präsent172. Allerdings ist es nach Thomas nicht unstatthaft, daß der Darlehensgeber einen Schadensausgleich verlangen kann, wenn ihm aus dem Umstand, daß er dargeliehen hat, ein Schaden entsteht173; einen weitergehenden Anspruch auf eine Kompensation, etwa auch eine Beteiligung an möglichen Gewinnen des Darlehensnehmers, gibt es dagegen nicht. Thomas wehrt sich damit auch gegen die eher »radikale« Forderung, daß deshalb, weil der Wucher als solcher von Übel sei, auch die Erträge aus ihm erstattet werden müßten; das Argument ist hier, daß der Gewinn ja nicht der dargeliehenen Sache als solcher, sondern menschlichem Fleiß und Findigkeit (humanae industriae) verdankt ist174. Bemerkenswert ist schließlich auch die Begründung dafür, daß es nicht verboten ist, sich des Wucherers überhaupt zu bedienen: denn wer sich seiner bedient, so Thomas, willigt ja nicht in die Sünde des Wuchers ein, sondern er »benützt« sie für Zwecke, die durchaus gerechtfertigt sein können175. An dieser Stelle taucht eine Figur auf, die für die Rechtfertigung des Wuchers in der Neuzeit noch von Bedeutung sein wird: die Figur des »die Sünde« bzw. einen »Sünder zum Guten Gebrauchens«176, die Figur also der »dialektischen« Umkehr einer »an sich« moralisch verwerflichen Institution bzw. Gesinnung in ein überhaupt Förderliches und dem Guten Dienliches. Thomas hat auf diese Weise nicht nur den Rahmen für die zeitgenössische Praxis, die trotz existierenden Wucherverbots den Wucher sehr wohl kannte (und sich dafür z. B. der Juden bediente177) definiert; er hat vielmehr generell zu einer neuen, rationalen Betrachtung des Wirtschaftsgeschehens beigetragen, die der Sphäre des Wirtschaftens selbst auf Dauer eine eigene Form von Rationalität zubilligen wird.
2.2.1.5 Dante und die Wucherer in der Hölle
In einem kleinen Exkurs machen wir uns an dieser Stelle deutlich, daß es sich bei den gelehrten Diskussionen um den Wucher, die Thomas, aber auch andere Vertreter der Scholastik im Mittelalter geführt haben, keineswegs nur um Blüten der akademischen Reflexion gehandelt hat, sondern daß ihnen, bis ins Volksbewußtsein hinein, tief verankerte Überzeugungen bzw. Wert- und Unwertschätzungen entsprachen. Eine besondere Rolle spielte dabei (neben anderen Einlassungen, etwa von Seiten der Päpste) das zweite Laterankonzil, das im Jahre 1139 für die unbußfertigen Wucherer den Ausschluß aus der kirchlichen Gemeinschaft, die lebenslängliche Ehrlosigkeit und die Verweigerung des christlichen Begräbnisses verfügt hatte178. Besonders eindrücklich freilich ist das Bild, das kein Geringerer als der bedeutendste italienische Dichter überhaupt, Dante Alighieri (1265-1321), uns vor Augen stellt, wenn er in der Göttlichen Komödie die Wucherer an ihrem postmortalen Wohnsitz – in der Hölle, wie sich versteht – aufsucht.
Bei seinem Abstieg in die Unterwelt trifft der Dichter im siebten Höllenkreis, dort im dritten Rund, auf eine besonders erbärmliche Gruppe von Leuten, die auf der Grenze zwischen den Gewalttätern und den Betrügern wohnen. Das Bild, das Dante von den entsprechenden Gestalten malt, ist eindrücklich genug: ihnen hängt ein Geldsack am Hals, auf dem das Familienwappen erscheint – es sind ganze (adlige) Geschlechter, die die Wucherer (usurai), mit denen wir es hier zu tun bekommen, entehren. Dante scheut sich nicht, die Namen der Geschlechter zu nennen, in denen das Laster des Wuchers blühte und die insofern gerade die alte Rittertugend der »liberalitas«, der Großzügigkeit, gegen das Geschäft mit dem Geld eingetauscht haben. Ja, im Jahre der Höllenfahrt, dem Jahr 1300, leben sogar zwei Personen noch, auf die man hier unten schon wartet und die der Dichter namentlich nennt179. Die Begegnung mit den Wucherern trägt dabei einige auffällige Züge: Dante betrachtet sie ohne seinen Führer Vergil, der gerade den Abstieg in den nächsten Höllenkreis vorbereitet; Vergil ermuntert Dante zu dem Besuch, »damit die Erfahrung dieses Kreises vollendet werde«180 – es geht eher darum, etwas zu Ende zu bringen als um etwas tatsächlich Sehenswertes, denn »sehens-« und »begegnenswert« sind die Freunde des Geldes nach Dante allemal nicht. Im Gegenteil: die Kommentatoren haben zu Recht beobachtet, daß Dante sie als »entmenschte« Gestalten schildert und deshalb – auch über die als Wappentiere genannten Wesen hinaus –mit tierischen Attributen belegt. Wenn sie sich etwa gegen den Feuerregen, dem sie, wie alle Gewalttäter, ausgesetzt sind, zu schützen suchen, werden sie mit Hunden verglichen, die sich im Sommer gegen Mücken zu wehren versuchen. Und als die Ankunft der beiden nächsten Wucherer angekündigt wird, heißt es von dem Redner, einem der Verdammten, zum Schluß: »Hier verzog er das Maul und streckte die Zunge heraus wie ein Ochse, der sich die Nase leckt«181. Dante wendet sich angesichts des evidenten Untermenschentums, das er hier antrifft, wortlos ab – anders als sonst, wenn er hier und da ein Gespräch führt oder auch nur ein Mitgefühl zum Ausdruck bringt: diese Leute sind der Rede nicht wert, und daß sie über ihre ganzen Familien, deren adlige Prinzipien sie in den Schmutz gezogen haben, ewige Schande bringen, begründet die Verachtung noch mehr.
Dante hat die Wucherer zwischen den Sodomiten182 und den Kupplern und Verführern plaziert, die er im nächsten Höllenkreis antreffen wird. Das Wesen ihres Vergehens liegt, wie gesagt, zwischen Gewalttat und Betrug: Gewalttäter sind sie, weil sie dem Unfruchtbaren die Frucht abzwingen, Betrüger, weil sie den Nächsten um den gerechten Tausch prellen und ihm, wie Thomas gesagt hatte, »ein Nichts« verkaufen wollen. Abstrahiert man davon, daß Dante in der Tat hier die kirchliche Sündenlehre und auch das ständische Adelsethos der Großzügigkeit im Auge hat, gibt seine Diagnose noch immer zu denken. Der Wucherer entwickelt sich zu einem Wesen, das menschliches Niveau tatsächlich unterbietet und auf tierisches absinkt: es findet den Lebenssinn, wofern nicht im Geld, in plattestem Hedonismus. Eben deshalb ist er für einen wirklichen Menschen auch nicht mehr ansprechbar, und was er selbst zu melden hat, ist nichts weiter als Klatsch über andere, die es nicht anders machen als er. Dante liefert hier ein kleines Kapitel aus einer »Psychologie des Geldes«, wie die Wirtschaftspsychologie sie noch heute zu komplettieren versucht.
2.2.3 Wirtschaftsethik der Reformation
2.2.3.1 Luther und die wirtschaftsgeschichtliche Wende zur Neuzeit
»Christus will nicht, dass man kein Geld und Gut haben und nehmen soll oder, wenn mans hat, [es] wegwerfen solle, wie etliche Narren unter den Philosophen und tolle Heilige unter den Christen gelehret und getan haben. Denn er läßts wohl geschehen, daß du reich seiest, aber die Liebe will er nicht daran gehängt haben«183. Es ist bemerkenswert, daß kein Geringerer als Martin Luther, der Anfänger und das wichtigste Haupt der europäischen Bewegung der Reformation, selbst übrigens ursprünglich Mönch und also unter einem Armutsgelübde stehend, daß also Luther mit diesen Worten ausgerechnet die Bergpredigt auslegen kann, die, wie wir gesehen haben, zu den wichtigsten biblischen Texten zählt, die am Anfang des christlichen Mönchtums und damit des Ideals der Besitzlosigkeit standen. Luther wendet sich offen gegen das Armutsideal, wie es bislang zumindest im Sinne der »evangelischen Räte« immer verstanden worden war: als das Ideal einer möglichst umfassenden Besitzlosigkeit, eines Lebens möglichst ohne alle Berührung mit dem »Mammon«, auch das Ideal jenes Kommunismus, wie er in der Jerusalemer Urgemeinde einst praktiziert worden war. Auf den ersten Blick »entschärft« der Wittenberger Reformator hier nur – genauso wie er es etwa bezüglich des Zölibats der Geistlichen oder der Gehorsamspflicht der Mönche getan hat – die Quellen einer Ethik, die zu jener radikalen Weltverneinung geführt haben, deren das Christentum immer auch fähig gewesen ist. Und man versteht, warum in diesem Zusammenhang auch gerne vermutet wurde, daß hier zugleich die Interessen der Landesfürsten bedient wurden, deren Stellung die Reformation ja nicht unwesentlich gegen die beiden universalen Mächte, das Kaiser- und das Papsttum, gestärkt hatte: denn der Schluß von der These, daß es eine geistliche Rechtfertigung der Armut nicht gebe, auf die Konfiskation etwa der Klöster, in denen die Armut, zumindest der Theorie nach, ja gelebt wurde, lag nicht allzu ferne und wurde im Reformationszeitalter auch vielfach sehr »praktisch« gezogen.
Allerdings gewinnt die Sache doch auch ein tieferes Ansehen, wenn wir zunächst festhalten, daß Luther ähnlich wie Paulus einen »Besitz als besäße man nicht«, das heißt die innere Distanz zum äußeren Gut, das als Gut zugleich nicht in Frage gestellt wird, lehrt. In diesem Sinne ist Luther beispielsweise auch scharfer Kritiker des Geizes, der den Menschen zum Knecht eines äußeren Gutes, nämlich des Mammon, macht184: »In den Händen soll das Gut sein, nicht im Herzen«185. Wenn man sagen kann, daß es in der lutherischen Reformation generell um die Wiederherstellung einer substantiellen Innerlichkeit als des eigentlichen Ortes des Glaubens gegangen ist, kann man ebenso sagen, daß dem zugleich eine relative Freisetzung der Äußerlichkeit entspricht: einerseits in dem Sinne, daß das äußere Verhalten nicht mehr religiös »überbewertet«, also zum Beispiel aus den Eigenschaften des Arm- oder Reichseins nicht allzu viel geschlossen wurde, andererseits in dem, daß eben dadurch das Äußere zu einer wesentlich frei determinierbaren Mittelsphäre wurde, in der sich auch für die Religion eine neue »Weltlichkeit« erobern ließ. So kann es generell heißen: »Äußerlich Geld, Gut, Land und Leute haben ist an und für sich nicht Unrecht, sondern Gottes Gabe und Ordnung«186, ist es doch »ein ander Ding, Gut haben und dem Gut dienen«187. Mit diesem relativen Pragmatismus nähert sich die lutherische Reformation dann von ihrer Seite her zugleich jener »Weltlichkeit«, wenn nicht »Säkularität«, die auf seine Weise auch der Renaissancehumanismus gepredigt und praktiziert hatte. Sie entdeckt die (positive) »Eigengesetzlichkeit« der weltlichen Sphäre neu, entwickelt ein neues Ethos der Bewährung des Glaubens auch im weltlichen Beruf188 und leistet von daher einen Beitrag zur Überwindung des Diesseits-Jenseits-Dualismus, der das mittelalterliche Denken in vielfacher Hinsicht bestimmt hatte. Kein Geringerer als Hegel hat genau diesen Aspekt an der Reformation herausgestellt und als geschichtlich weiterführendes Prinzip deklariert. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte lesen wir etwa das folgende: »Die Entwicklung und der Fortschritt des Geistes von der Reformation an besteht darin, daß der Geist, wie er sich seiner Freiheit durch die Vermittlung, welche zwischen dem Menschen und Gott vorgeht, jetzt bewußt ist in der Gewißheit des objektiven Prozesses als des göttlichen Wesens selbst, diesen nun auch ergreift und in der Weiterbildung des Weltlichen durchmacht. Es ist durch die errungene Versöhnung das Bewußtsein gegeben, daß das Weltliche fähig ist, das Wahre in ihm zu haben, wogegen das Weltliche vorher nur für böse galt, unfähig des Guten, welches ein Jenseits blieb. Es wird nun gewußt, daß das Sittliche und Rechte im Staate auch das Göttliche und das Gebot Gottes sind und daß es dem Inhalte nach kein Höheres, Heiligeres gibt. Daraus folgt, daß die Ehe nicht mehr die Ehelosigkeit über sich hat. […] Der Mensch tritt durch die Familie in die Gemeinsamkeit, in die Wechselbeziehung der Abhängigkeit in der Gesellschaft, und dieser Verband ist ein sittlicher […]. – Die Arbeitslosigkeit hat nun auch nicht mehr als ein Heiliges gegolten, sondern es wurde als das Höhere angesehen, daß der Mensch in der Abhängigkeit durch Tätigkeit und Verstand und Fleiß sich selber unabhängig macht. Es ist rechtschaffener, daß, wer Geld hat, kauft, wenn auch für überflüssige Bedürfnisse, statt es an Faulenzer und Bettler zu verschenken; denn er gibt es an eine gleiche Anzahl von Menschen, und die Bedingung ist wenigstens, daß sie tätig gearbeitet haben. Die Industrie, die Gewerbe sind nunmehr sittlich geworden, und die Hindernisse sind verschwunden, die ihnen von seiten der Kirche entgegengesetzt wurden«189.
Die letzten Bemerkungen Hegels weisen bereits auf die konkreten wirtschaftspolitischen und auch wirtschaftsgeschichtlichen Auswirkungen hin, die die Reformation hatte – bei allen Unterschieden, die wir gerade auch zwischen den Häuptern der Reformation wie Luther, Melanchthon und Calvin festhalten müssen. Luther wird dabei gemeinhin mit dem Verdikt versehen, der »obrigkeitsgläubigste« der Reformatoren gewesen zu sein – ein Verdikt, daß allerdings bereits dadurch eine starke Relativierung erfährt, daß die beiden Schweizer Reformatoren im Unterschied zu Luther in ihrer eigenen Person die Obrigkeit darstellten und dabei auch Handlungen direkt zu verantworten hatten (in Zürich etwa die Ertränkung der Wiedertäufer, in Genf die Verbrennung des Antitrinitariers M. Servet), die Luther bzw. die lutherische Reformation jedenfalls teilweise ausdrücklich abgelehnt hat190. Gemeinhin wird dabei im übrigen bezüglich der uns beschäftigenden Fragen angenommen, daß wir auf Seiten des Luthertums eher eine Art von paternalistisch agierendem »Sozialismus«, auf Seiten Calvins – im Sinne der bekannten These Max Webers, auf die wir noch zurückkommen – einen Impulsgeber des »Kapitalismus« antreffen191. Sehen wir uns zunächst an, was sich bei Luther zum Thema »Wirtschaft« ausmachen läßt!
Gegen alle Versuche, das Luthertum als »vorneuzeitliche« Frömmigkeitsform zu qualifizieren, muß zunächst darauf hingewiesen werden, daß Luther selbst – und zwar trotz aristokratischer Grundhaltung dennoch in Korrespondenz zu einem immer selbstbewußter auftretenden Bürgertum der frühen Neuzeit – ein Ethos der Arbeit und des Berufs vertreten hat, mit dem definitiv der Rahmen der »schenkenden Wirtschaft« bzw. einer gesellschaftlichen Ordnung, die Raum hat für die »unproduktive«, beschauliche Existenz, gesprengt wird. Theologisch ist die besondere Stellung und Funktion der Arbeit für den Menschen und das menschliche Selbstverständnis zunächst von der Schöpfung her zu verstehen, die den Auftrag Gottes an den Menschen enthielt, sich die Erde untertan zu machen, während dem Menschen im Zeichen der Sünde grundsätzlich der mühevolle Erwerb seines Lebensunterhalts in Aussicht gestellt wird (1. Mose 1, 28f.; 3, 16ff.)192. Wenzelaus Linck (1483-1547), ein ehemaliger Ordensgenosse und späterer Freund und Mitstreiter Luthers, hat in einer Flugschrift zum Arbeitsethos dabei sogar davon gesprochen, »daß im Gebot der Arbeit alle andere Gebote des Gesetzes Gottes verfasset sein«193. Man wird sagen können, daß entsprechende Zuspitzungen, die sich im Rahmen der lutherischen Reformation mehrfach finden, nicht einfach nur ethisch zu verstehen sind. In ihnen kündigt sich eine neue Anthropologie an, für die man zunächst ganz pauschal den Titel des »homo faber«194 berufen mag, in der sich jedoch auch die Subjektivität im Sinne der Neuzeit als das »Objekt« negierendes und es zugleich wieder herstellendes Prinzip verbirgt. In bestimmten Grenzen wird sich in der Neuzeit das Subjekt in seiner Arbeit stets selbst »erschaffen«. Das gilt für Luther nun zwar so nicht und widerspräche auch dem Grundansatz seiner Theologie, die wesentlich von einer empfangenden Haltung des Menschen her gedacht ist – einer Haltung, die sich auch auf das Arbeitsethos übertragen läßt, wenn es denn gilt, daß hier zwar »der Erfolg der Arbeit selbstverständlich mein Erfolg ist«, dennoch aber »ihn der Glaube als etwas, das ihm gegeben wird«, »empfängt«195. Gleichwohl treffen wir bei dem Reformator auf einen Ansatz, der in Beruf und Arbeit die aktive Mitverantwortung des Menschen für seinen irdischen Stand, auch für sein hiesiges Wohlergehen, kennt. Eine »Wirtschaftsethik« wird jetzt nicht mehr unmittelbar von »ewigen« Maßstäben her reguliert. Im Gegenteil erscheint gerade derjenige, dessen »ewige« Angelegenheiten bereits geregelt sind, auch als der, der in der Welt Verantwortung übernehmen und für das gemeine Beste wirken kann – eben weil er die »gemeinen« Dinge wie Handel und Wandel nicht mehr direkt »sub specie aeternitatis« sieht. Es kommt an dieser Stelle zu einer relativen Flexibilität der reformatorischen Wirtschaftsethik, die nicht mehr ohne weiteres in den scholastischen und auch den aristotelischen Bahnen denkt, sondern sich frühneuzeitlichen Wandlungen, etwa der Entstehung der Kapitalwirtschaft, anpassen kann. Bei Luther selbst freilich verharrt diese Anpassung in eher engen Grenzen – wir vergegenwärtigen uns das an den wichtigsten seiner wirtschaftsethischen Bestimmungen.
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