Kitabı oku: «Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze», sayfa 10
»Das is' nen Mann, jo, der kann red'n.«
Eliza kam schlecht mit den Schwarzen aus. Wie alle Leute aus der Gegend begegnete sie Negern mit Abneigung und Mißtrauen. Zudem war sie keine Dienstboten gewöhnt und verstand nicht, sie zu behandeln. Sie keifte, zankte, nörgelte den ganzen Tag, hatte Angst bestohlen zu werden, Angst, daß die Mädchen die Zeit, für die sie sie bezahlte, vertrödelten, quengelte, schalt, nannte sie dumm, faul, gefräßig und zog ihnen, wo sie nur konnte, eine Kleinigkeit am Lohn ab.
So kam es, daß sie oft morgens ohne Dienstboten dastand. Die Negerinnen waren nach Feierabend brummend nach Haus gegangen; es fiel ihnen nicht ein, am nächsten Morgen wieder zu erscheinen. Die Kleinlichkeit und Zanksucht der Herrin von Dixieland war im ganzen Negerviertel verrufen; es wurde immer schwerer, Mädchen zu finden, die für Eliza arbeiten wollten. Wenn sie frühmorgens ohne Hilfe dastand, rief sie vollkommen bestürzt Helene an, jammerte ihr die Ohren voll und bat um Beistand:
»Tatsächlich, Kind, ich weiß nicht, was ich anfangen soll. Ich könnte diesen nichtsnutzigen Niggerweibern den Hals umdrehen. Da steh ich. ganz allein und das Haus voll Gäste.«
»Aber, Mama, wie beim Himmel fängst Du's nur an, daß Dir die Nigger davonlaufen? Bringst Du's nicht fertig, sie im Haus zu halten? Bei andern Menschen bleiben sie doch jahrelang!«
Aber so aufgebracht sie auch war, sie verließ Gants Haus und kam und half ihrer Mutter und sorgte dafür, daß im Betrieb nichts fehlte. Die Pensionsgäste mochten sie sehr; sie sagten, sie sei »Ein feiner Kerl«. Jedermann dachte und sagte so. Sie gewann alle Welt durch ihr rückhaltloses, weiträumiges, dominierendes Wesen. Eine brennende Lebenslust zehrte an ihrer schwachen Gesundheit; das machte sie hysterisch und brachte sie oft zum Kollaps. Sie war fast zwei Meter lang, hatte große Hände und Füße, hagere, gerade Beine und ein knochiges, zügiges Gesicht mit einem langen, vollen Kinn, das ein wenig herabhing, so daß man die goldspurigen Zahnreihen sah. Trotz der Hagerkeit wirkte das Gesicht nicht hart oder grob; es wirkte herzhaft, ergeben, seelenvoll, feinfühlig, verletzt, bitter, hysterisch: manchmal war es strahlend und schön.
Ihrer Charakteranlage nach konnte sie zwangsläufig nicht anders, sie mußte sich für andre rackern und plagen. Sie begehrte schaumschlägerisches Lob dafür. Unbedingt lebensnotwendig war ihr die Empfindung, daß ihre Mühen nicht genug geschätzt und anerkannt würden. Hart und hysterisch sprach sie über Elizas Unerkenntlichkeit:
»Da braucht nur eine Kleinigkeit nicht zu stimmen, und schon hängt sie am Fernsprecher und flennt. Ich hab's doch weiß Gott nicht nötig, daß ich zu ihr ins Haus geh und wie ein Nigger schaff, damit ihre billigen Kostgänger versorgt sind. Nicht wahr, das siehst Du ein?«
»Ja«, pflichtete Eugen, ihr demütiger Zuhörer, bei.
»Aber lieber würde sie verrecken, als das zugeben. Hat sie deswegen auch nur Dankeschön zu mir gesagt?« Hier lachte sie, und ihr guter Humor gewann einen Augenblick die Oberhand über die Hysterie. »Hat sie deswegen auch nur einmal Scher-Dich-zum-Teufel zu mir gesagt?«
»Nein«, quietschte Eugen und bekam Lachkrämpfe.
Sie mimte Eliza. »Hm! Wieso! Willst Du sofort gehorchen, Kind!« sagte sie, von der Burleske selber entzückt.
Eugen knöpfte sich Hemdkragen und Hosenbund auf und wälzte sich am Boden vor Lachen.
»Hör auf, Helene, hör auf! Ich lach mich ja tot.«
»Hm, wieso, Kind! Willst Du sofort gehorchen!« mimte sie grinsend weiter, als wolle sie, daß er sich totlachen solle.
Nichtsdestoweniger, ob Eliza Dienstboten hatte oder nicht, täglich erschien Helene in Dixieland, um bei dem Mittagessen zu helfen. Und wenn Gant und die Buben in der Pension anstatt zu Hause zu Nacht aßen, kam sie sogar zweimal. Sie kam, weil die Gier zu dienen sie verzehrte, weil ihr Bedürfnis, mehr zu geben, als sie zurückempfing, Befriedigung brauchte, und schließlich weil – trotz ihres Gantschen Hohns auf die »Scheuer« und auf die »billigen Kostgänger« – das Geschäft, das Tellergeklapper, die Fütterung, die Tischgespräche sie anregten und begeisterten.
Ganz wie Gant, ganz wie ihr Bruder Lukas brauchte sie Ausdehnungsmöglichkeit, Aufregung und Betrieb, um zu leben. Sie wollte beherrschen, unterhalten, etwas gelten, wollte Mittelpunkt der Gesellschaft sein. Kleine Aufforderung genügte, und sie sang für die »billigen Kostgänger«. Sie hatte einen ziemlich großen, schwingenden, etwas harten Sopran und hämmerte mit schwerem, sehr genauem Anschlag auf das klapprige Pianoforte im Boardinghouse ein. Sie konnte klassische, kitschige und komische Lieder. Eugen erinnerte sich an weiche, kühle Sommernächte, die Versammlung der Hausgäste und an: »Ich frag mich, wen ihr Mund nun küßt …«, das Gant immer wieder bestellte, an: »Lieb mich, und die Welt ist mein …«, an: »Erst wenn der glutheiße Wüstensand kalt wird …«, an »Lieb' Altchen, das Rotkehlchen über Dir singt …«, an »Das End' des vollkommen glückseligen Tags« und schließlich an »Alexanders Ragtime Band«, das auch Lukas einmal, zur Qual der Hausgenossen, sechs Wochen lang einstudiert und unter donnerndem Beifall auf dem Sängerwettstreit der Schüler zum besten gegeben hatte.
Später dann saß man in der kühlen Dunkelheit auf der großen Veranda. Gant wippte heftig im Schaukelstuhl, redete mächtig. Seine große Stimme schallte in die stille Nachbarschaft. Er trug mit strömender Redegewalt seine Lösung der Staatsprobleme vor, ließ seine vorurteilsvollen, aber kühnen Meinungen zu Tagesfragen und den Neuigkeiten der Stunde erdröhnen:
»… Und was haben wir getan, Gentlemen? In offner Seeschlacht, die nicht länger als zwanzig Minuten dauerte, haben wir ihre Kriegsflotte ins Meer versenkt, – unter Gewehr- und Schrapnellfeuer erstürmten Teddy und seine Rauhreiter den Hügel bei Santiago –, der Krieg, wie Sie wohl wissen, war in ein paar Monaten gar. Ohne jeden bereicherungssüchtigen Hintergedanken waren wir in den Kampf gezogen; wir gingen in diesen Krieg, weil eine große Nation die Unterjochung eines kleinen Nachbarvolks nicht länger dulden durfte –, und dann haben wir mit einem Hochsinn, der des größten Volks unter der Sonne wohl würdig ist, dem geschlagnen Feinde zwanzig Millionen Dollar gezahlt. Herrgott!! War das nicht eine glorreiche Geste?! Glauben Sie, glauben Sie im Ernst, irgendeine andere Nation hätte das fertiggebracht?«
»Nein«, sagten die Hausgäste mit Nachdruck. Nicht immer zwar teilten sie seine politischen Ansichten … – Teddy Roosevelt war der fehllose Nachfahr der Cäsar, Napoleon, Lincoln – aber sie merkten sehr wohl, daß Gant »ein Kopf« war, daß er es als Politiker weit gebracht haben würde.
In dieses auserwählte Gebirg kam der große Schwall der brandenden, drängenden Welt wie küssende Wellen, die zuerst leise ans Gestad schaukeln, zurücklaufen und dann noch einmal stärker anschwappen.
Zu den Elementareinsichten, die Elizas primitives Denken ausmachten, gehörte die, daß Leute, die in dürrer Wüste darben, nach Oasen Ausschau halten, daß Durstige trinken wollen, daß Leute, die in der drückenden Luft der Ebnen ersticken, das Gebirg aufsuchen, um Erleichterung, Erholung, Heilung, neuen Lebensauftrieb zu finden. Ihr Urteil hatte jene treffliche Zielsicherheit ins Schwarze, die in Eugens Vaterland heutzutage – nachdem die Pflaumen gepflückt sind – unter dem Namen »Vision« geht.
Straßen, an denen sie Grundstücke besaß. Straßen, die vor zehn Jahren noch lehmige Fahrwege waren, wurden nun gepflastert. Die Besitzer der angrenzenden Häuser und Bauplätze mußten die Kosten in Raten tragen. Diese »Pflasterassesments« trieben Gant in helle Raserei: er verfluchte den Tag und das Land seiner Geburt, tobte über die Umtriebe der Satansbrut. Eugen aber folgte vergnügt den fahrbaren zweirädrigen Kesseln, in denen Teer kochte, bestaunte die große Dampfwalze, ein Ungeheuer, das in Alpträumen zermalmend über ihn hinging; beobachtete, wie die Arbeiter den Steinschotter im Straßenbett mit gelbem Sand auffüllten, wie sie die weiche Asphaltdecke mit rosakörnigem Siebsand bestreuten. Es versetzte ihn in Ekstase, zu sehen, wie die schwarze, duftende, ausgewälgerte Teerzunge flacher werdend sich aufrollte.
Von Zeit zu Zeit schnaufte ein hochgebauter Cadillac an Dixieland vorbei bergan. Eugen sandte ein Stoßgebet zum Himmel, wenn der pustende Motor zu versagen drohte. Er wünschte Erfolg! Der das Auto steuerte, war Jim Sawyer, ein junges Blut. Er kam, um Miss Cutler, die Schöne aus Pittsburg, abzuholen. Er öffnete den Schlag in den roten, fetten, gepolsterten Bauch des Gefährts. Die beiden stiegen ein.
Manchmal, wenn Eliza in der Früh ohne Dienstboten dastand, wurde er auf Nachsuche ins Negerviertel geschickt. Er trieb planlos durch das rachitische, fötidstinkende Labyrinth baufälliger Bretterbuden, lernte in Elendskellern und Verschlagen, in schmutzigen Küchen, in luftdicht versiegelten, warmmuffigen Stuben die Schwarzen kennen, die wilde, tierhafte Anmut ihrer räkelnden Leiber, ihr lippiges kindhaftes Lachen, ihren Körpergeruch nach Tropendschungel mit dem Geruch von Speiseabfällen, Kot, kochender Wäsche, brutzelndem Fett gemischt.
– Ob man vielleicht Arbeit suche? – Wer ihn schicke? – Seine Mutter, Mistress Eliza Gant.
Stillschweigen. Alsdann der Bescheid, weiter oben an der Straße bei »Missus Cawpening« wohne ein Mädchen, das suche Arbeit. Er möge dort fragen.
Eliza paßte mit Falkenaugen auf, daß sie nicht bestohlen wurde. Eines Tags schob sie in Begleitung eines Detektivs ins Negerviertel und durchsuchte die Bude eines Mädchens, das aus ihrem Dienst davongelaufen war. Sie fand, was sie vermißt hatte: Bettzeug, Handtücher, Löffel. Das schwarze Geschöpf bekam zwei Jahre Zuchthaus.
Eliza liebte den Apparat des Gesetzes, den Geruch und die Spannung einer Gerichtsverhandlung. Wenn es nur irgend anging, klagte sie. Es machte ihr Spaß, Leute vor den Kadi zu zerren; es machte ihr Spaß, angeklagt zu werden. Sie verlor nie einen Prozeß.
Wenn ihre Hausgäste nicht zahlten, beschlagnahmte sie triumphierend die Koffer. Besondren Spaß machte es ihr, einen Ausreißer in letzter Minute zu erwischen. Sie erschien in Begleitung gehorsamer Konstabler am Bahnhof, von der gellenden Gassenbrut umringt.
Eugen schämte sich wegen Dixieland. Und wiederum getraute er sich nicht, seine Scham offen einzugestehn. Genau wie in seiner Arbeit als Zeitungsjunge, kam er sich auch hier gezeichnet, ins Netz verstrickt, in der Falle gefangen vor. Er fand sein Leben im Boardinghouse seiner Mutter unanständig. Er liebte die Würde des Heims, den privaten Charakter des Wohnens. Er haßte es, daß die Tür zu den Vierwänden, die ihn vor den Mitmenschen schirmen sollten, gegen Entgelt offen stand. Er verstand kaum, spürte aber deutlich die Vergeudung und Wirrsal, die blinde Grausamkeit im Leben seiner Angehörigen. Sein Geist war auf die Folter gespannt. Er ward täglich tiefer überzeugt, daß ihr Leben, gemessen an seinem Wunschbild eines einfachen ruhigen Behagens, nicht hoffnungsloser verkrampft und verstümmelt, entstellt und verkehrt hätte sein können, wenn sie sich absichtlich bemüht hätten, es zu zerrütten und zu verzerren. Er erstickte vor unterdrücktem Zorn … und dachte an Elizas träge Sprechweise, die endlosen Reminiszenzen, die ständig geschürzte Lippe, die ihn weiß vor Wut, ja fast wahnsinnig machte.
Er hatte längst durchschaut, daß ihre Armut, das Drohen mit der Bettelsuppe, die düstern Anspielungen auf das Begräbnis auf dem Armenweg in die blinde Mythologie der Geldsucht gehörten. Ärger über ihre Habgier gloste in ihm wie ein versteckter Brand. In Dixieland gab es überhaupt keinen Winkel, der der Familie heilig war, kein Gelaß, das sie für sich allein bewohnten, keinen Stuhl, wo man vor der Zudringlichkeit der Hausgäste sicher war.
Wenn sich das Haus füllte, zogen sie – Stufe um Stufe sich mit dem Schäbigeren begnügend – von einem Zimmer ins andre. Er spürte, daß ihnen das schaden, daß es sie grob, unempfindlich machen würde. Schon damals glaubte er leidenschaftlich an gutes Essen, anständiges Wohnen, selbstverständliche Bequemlichkeit. Er spürte, daß ein zivilisierter Mensch bei diesen Dingen den Anfang machen müsse. Er wußte, daß der Niedergang des Geistes, wo auch immer er in der Geschichte eintrat, nicht auf gute Küche und zuverlässige Wasserleitung zurückzuführen sei.
Im Hochsommer, wenn das Haus vollbesetzt war, mußte er oft warten, bis die Gäste gespeist hatten, ehe sich ein Plätzchen zum Essen für ihn fand. Mißmutig ging er unter der hochgepfropften Hinterveranda auf und ab oder zog sich grollend in eines der muffigen fensterlosen Bodengelasse zurück, die Eliza gelegentlich an Negerinnen vermietete, wenn diese keine Schlafstatt außer dem Hause hatten.
Er lernte den kleinlichen Kastengeist des Dorfs kennen.
Seit Jahren war er gewohnt, am Sonntag gebadet, gebürstet, frische Wäsche am gesalbten Leib, durch die angenehm belebten Straßen zum presbyterianischen Kindergottesdienst zu gehen. Er war bereits der Obhut der frommen Jungfrauen entwachsen, die seinen naiven Glauben im Katechismus, in der Güte Gottes und den Grundrissen der Himmelsarchitektur unterwiesen hatten. Das Fünfcentstück, das er früher nur ungern im Gedanken an Ingwerbräu und Plätzchen abgeliefert hatte, gab er nun leichten Herzens hin, denn er hatte genug Geld für die Sodafontäne.
Hochgemut kam er zur Sonntagsschule, um vor dem Altar zu dienen. Die Sonntagsschüler versammelten sich im Gemeindesaal. Der Superintendent, ein hagerer Schotte mit gelblicher Haut und einem angegrauten Bart, Dentist von Beruf, hielt die Ansprache. Er las die Bibelstelle oder das Gleichnis, das an dem betreffenden Sonntag durchgenommen wurde, kommentierte mit cäsarischer Trockenheit und Übersicht, gab den Dienst dann an den ersten Helfer ab, einen glattrasierten, bebrillten Herrn mit hohem, weißem Stehkragen und einem Woodrow-Wilson-Gesicht, der ebenfalls gebürtiger Schotte war. Der Helfer lächelte die Kindergemeinde mit kalter Liebenswürdigkeit an. Er führte sie Vers um Vers durch den Gesang. Eine feiste Jungfrau behämmerte das Klavier, das wie Espenlaub unter den Schlägen erzitterte.
Eugen liebte den Klang der kristallhellen, von den markigen Tönen der Helfer und Helferinnen unterstützten Kinderstimmen. Wenn die Kollekte für die Innere Mission war, sangen sie stets:
»Wirf eine Rettungsleine aus,
Jemand ertrinkt auf See …«
Ein andres Lied war:
»Wollen wir uns am Strom versammeln,
Am Jordan, dem schönen Strom …«
Das hatte er sehr gern. Ganz besonders liebte er das edle Ungestüm von »Vorwärts, Christi Streiter! …«
Neben dem Gemeindesaal lagen die kleinen Klassenzimmer der Sonntagsschule. Sobald der Choral verklungen war, zogen sich die Gruppen dorthin zurück. Eugen ging nun in eine Klasse, in der nur Knaben waren. Sein Lehrer war ein bleicher junger Mann, dünn and gebeugt, der von Beruf Sekretär des »Christlichen Vereins Junger Männer« war. Er war schwindsüchtig. Die andern Jungen bewunderten ihn, weil er sich früher als Baseball- und Basketballspieler rühmlich ausgezeichnet hatte. Er sprach mit einer trauervollen, zuckrigen, winselnden Stimme. Er war von einer bedrückenden Christushaftigkeit. Er sprach vertraulich zu den Knaben über die Bibelstelle oder das Gleichnis des Sonntags, prägte ihnen mahnend ein, was sie daraus fürs tägliche Leben an Gehorsam und Liebe zu Eltern und Freunden, an Pflichttreue und Ritterlichkeit und Nächstenliebe lernen könnten. Und er wiederholte stets, wenn die Jungen je in Zweifel über die Richtigkeit ihres Wandels kämen, dann brauchten sie sich nur zu fragen, was unser Herr Jesus Christus dazu sagen würde. Er sprach sehr oft von Jesus, es klang melancholisch und enttäuscht. Eugen verspürte dann immer eine leichte Übelkeit; es war ihm, als ob ihn etwas mit einer weichen, behaarten, nassen Zunge abschlecke.
Er war nervös und zurückhaltend. Die anderen Jungen kannten einander sehr gut. Ihre Elternhäuser standen an der Montgomery Avenue oder dort in der Nachbarschaft, im vornehmsten und modernsten Viertel der Stadt. Manchmal sagte einer schmunzelnd zu ihm: »'ne Saturday Evening Post gefällig, Mister?«
Da er während der Woche mit seinen Sonntagsschulkameraden nicht in die geringste Berührung kam, hatte er irrtümliche, plump übertriebene Vorstellungen von deren gesellschaftlichem Vorrang. Tatsächlich gab es nur wenige ortsansässige alte Familien wie die Pentlands. Altamont hatte sich rapid aus einem windigen Nest, aus einem auf den Hügeln verstreuten Dorf zur Stadt entwickelt. Das Kastensystem war willkürlich, die Klitterung der Gesellschaft in Klassen war – wie in allen Kurorten – äußerst flüssig und wandelbar. Es hing von Geld, Ehrgeiz und Anmaßung ab.
Tarkintons und Isaacs waren, wie die meisten Nachbarn, mit Ausnahme der Schotten, Baptisten. Gesellschaftlich standen die Baptisten auf der untersten Stufe der Achtung. Sie galten für vulgär. Ihr Prediger war ein runder Mann mit weißer Weste und rotem Gesicht. Allsonntäglich erzielte er große rhetorische Effekte, brüllte wie ein Löwe, girrte wie ein Täubchen und schmückte seine Ausführungen mit intimen Anspielungen auf seine Gattin. Diese Anspielungen erregten das Lachen der Gemeinde, wurden aber von den feineren Christen der andren Sekten für unzüchtig gehalten.
Die hochkirchlichen Episcopalianer standen am höchsten auf der Leiter. Die Presbyterianer waren weniger modisch und smart, wurden aber allgemein als hochanständig anerkannt. Die Methodisten hielten die Mitte zwischen den Vulgären und den Feinen, zwischen Plattheit und hohem Dekorum.
Diese presbyterianische, steifleinene und wohlgebürstete Sonntagsvormittagswelt mit ihrer nüchternen Hochanständigkeit, ihrer vornehmen Zurückhaltung, mit ihrer Suggestion von ruhigem Wohlstand, unbestrittner gesellschaftlicher Stellung, ritueller Ordentlichkeit, gewählter Aufmachung bewegte Eugen tief wegen ihrer Stille. Er spürte stets, daß er nicht dazu gehöre. Aus dem Wirrwarr seines Alltags tauchte er dort für ein paar Stunden auf, sah zu und ging dann – schließlich auf Jahre – als ein Fremdling weg. Was blieb, war Sinn und Verständnis für den echten Schmerz, das wahre Mysterium, die heilige Sinnenschönheit aller Religion, etwas Tieferes und Schöneres als jene erhabne Anständigkeit.
XII
Im Winter und im stumpf hinsterbenden Spätherbst haßte er Dixieland am meisten; die trüben, vom Fliegendreck verschmutzten elektrischen Lampen; die lausige Sucherei nach einer warmen Ecke im Haus; Eliza, die in einen alten Sweater, ein schmutziges wollnes Halstuch, einen abgelegten Männerrock eingewickelt, umherging, ihre von Kälte aufgesprungnen Hände mit Glyzerin eingeschmiert hatte. Die Wände, naßkalt und schwammig, atmeten Kränke und Tod aus. Eine Frau starb am Typhus; der Gatte kam aufgeregt in die Diele, hob die Hände und ließ sie fallen, als gehörten sie ihm nicht mehr. Das Paar war aus Ohio.
Droben, auf einer Schlafaltane, hustete ein abgezehrter Jude in die unaufhörliche Dunkelheit.
Helene war wütend: »Um Gottes willen, Mama, warum nimmst Du solche. Leute ins Haus? Siehst Du nicht, daß er die galoppierende Schwindsucht hat?«
»Hm, was soll das heißen? Wieso denn?« sagte Eliza und schürzte die Lippe. »Er sagte, es wäre ein Bronchialkatarrh. Ich fragte ihn und er lachte ganz vergnügt und laut und sagte: ›Aber Mistress Gant‹, sagte er …« und nun folgte eine endlose Erzählung, die vom Hundertsten ins Tausendste ging. Helene kochte vor Wut. Eliza pflegte mit grundsätzlicher Blindheit alles zu verteidigen, was Geld einbrachte.
Der Jude war ein gütiger Mensch. Er hustete leis in seine weiße Hand. Er aß sein Brot als »Weckschnitten« zubereitet; die Scheiben, in Ei getränkt, wurden in Butter in der Pfanne gebraten. Eugen entwickelte einen scharfen Appetit für diese unbekannte Speise; unschuldig taufte er sie »Judenbrot« und konnte nicht genug davon bekommen. Lichtenfels lachte leise, hustete. Seine Frau lachte dunkel und voll. Eugen erledigte allerlei Besorgungen für ihn und bekam wöchentlich ein Geldstück dafür. Der Kranke hatte ein Konfektionsgeschäft in New Jersey. Im Frühling mußte er in eine Heilstätte, wo er später starb.
Im Winter hatte Eliza nur wenige Hausgäste. Es waren im Grund immer dieselben Gesichter, dieselben Persönlichkeiten. Schon allein durch die ständige Wiederholung des Typs wirkten sie mittelmäßig. Sie versammelten sich fröstelnd im Wohnzimmer, saßen stundenlang um das Kohlenfeuer im offnen Kamin, räkelten sich im Schaukelstuhl, machten blöde Gesichter, redeten mit öden Mienen ödes Zeug, langweilten sich über sich selbst, die Welt und Dixieland sicher so sehr, wie Eugen sich über sie langweilte.
Im Sommer gefiel es ihm besser. Da kamen träge Frauen aus dem heißen reichen Süden der Staaten, Mädchen aus New Orleans mit schwarzem Haar und weißer Haut, weizenblonde aus Georgia, lüsterne aus Süd-Carolina, die die gedehnte Sprechweise der Neger hatten. Da kam vom Mississippi die Lässigkeit der Malariakranken, die einen Stich ins Gelbe aber ganz blendend weiße Schneidezähne hatten. Ein Gast aus Süd-Carolina mit einem roten Gesicht, nikotinfleckigen Fingerspitzen, nahm Eugen täglich zu den Baseballspielen mit. Ein andrer, Pflanzer vom Mississippi, lang, dürr, gelb im Gesicht, malariakrank, wanderte durch duftige Gebirgstäler mit ihm. Nachts hörte er volles Frauenlachen von den dunklen Veranden, zärtlich und grausam zugleich; dazu die gurrenden Kehllaute der Männer. Er beobachtete die verstohlene Buhlerei; dunkles Getu um Mitternacht hinter verschlossenen Türen; völlig unschuldige Mienen am Morgen. Mit blutigem Schnabel hackte das Gelüst ihm ins Herz; die eifersüchtige Tugend machte ihn moralisch; er war entrüstet, weil diese Welt ihm verwehrt war.
Morgens ging er in Gants Haus, trieb sich herum, besuchte Helene, spielte im Garten mit einem Nachbarsohn, Buster Isaacs, einem Vetter von Max, einem pausbäckigen, munteren kleinen Kerl … Helene kochte »Fudge«, eine Art Karamellen aus Zucker, Schokolade und Rahm. Der Duft der Leckerei rief sie ins Haus. Sie schickte ihn in ein kleines jüdisches Lädchen unten an der Straße nach Delikatessen. Dann saßen sie mitten am Vormittag und tafelten: Essiggürkchen, Pickels, Tomatenscheiben mit dicker Mayonnaise, amberfarbnen perkolierten Kaffee, Feigenbisquits, helle kleine »Ladyfinger«-Trauben, heißen seimigen dickgebutterten, mit Walnußsplittern bestreuten Fudge, Sandwiches mit zartem Schinken und Gurken, eisgekühlte, milde »aufstößerische« Getränke.
Eugens Vertrauen in Helenes Gantschen Reichtum kannte keine Grenzen, solche Fülle konnte nur aus dem Unerschöpflichen quillen. Hennen gackelten in die Morgensonne aus den Hintergärten der Nachbarschaft; der Eismann, ein herrlich gebauter Neger, kam; Eugen stand dabei, wenn er die langen Eisstangen durchsägte, und fing das kalte Gesplitter auf. Helene rief ins Wohnzimmer; sie saß am Klavier, spielte, sang, lehrte ihn Lieder: »Wilhelm Teil«, »Mein Herz bei Deiner Stimme süßem Klang …«, »Das Lied ohne Worte«, »Holde Aida«, »Die verlorne Saite«. Ihre lange muskulöse Kehle spannte sich, wenn der hohe Sopran aufschwang.
Ihre Freude an ihm war unersättlich. Sie verwöhnte ihn mit Leckerbissen. Manchmal warf sie ihn persönlich unerwartet aufs Sofa, hielt ihn mit der einen Hand fest, während sie ihn mit der andern kitzelte oder auf die Wangen patschte.
Wenn sie aber nervös überreizt war, dann packte sie ihn oft scharf an. Dann haßte sie ihn, sein traumverlornes, dunkles, brütendes Gesicht, Die wilde Lebenslust biß und juckte sie. Genau wie Lukas, genau wie Gant, suchte sie ständig nach Aufregung. Menschen, die sich in sich selbst zurückziehen konnten, waren ihr im Grunde verhaßt. So wurde sie oft wütend, wenn sie ihn ins Träumen versunken oder in ein Buch vertieft fand. Sie riß ihm das Buch aus der Hand, machte eine Schnute und Stielaugen, goß Gift und Galle schimpfend über ihn aus:
»Elender kleiner Blödel, Du schreckhafter kleiner Schaute mit Deiner verschlafenen Pentland-Visage! Die Leut' lachen über Dich, Du verkaufter Knirps. Ein querköpfiger kleiner Pentland bist Du, Du stinkst nach der Sippe, Papa hat es selber gesagt, daß Du ganz wie der üble Vetter Greely bist. Überhaupt, ich zieh' Dir jetzt Mädchenkleider an und laß Dich so herumlaufen!«
Manchmal war die schwelende Wut so groß, daß sie ihn auf den Boden warf und ihn trat.
Die Mißhandlungen verletzten ihn nicht so tief wie die zügellose Gehässigkeit ihrer Zunge. Sie war wahnsinnig geschickt im Erfinden von Kränkungen. Eugen, starr vor Entsetzen, stürzte aus dem Elfenhimmel in die Hölle. Plötzlich war sein freigebiger Engel in eine schlangenhaarige Furie verwandelt. Sein Glaube an Liebe und Güte war verloren, er bellte wie ein toller Hund, bockte auf, schlug sich den Kopf an die Wand, wünschte, daß er zerbräche, daß sein Ich aus dem zerbochnen blutigen Gefängnis des Körpers entfliehen könne.
Seine Verzweiflung tat Helene gut. Das war, was sie wollte. Sie hatte ihre Wut an ihm ausgelassen, nun war sie erlöst, befreit, gereinigt. Nun konnte sie, in langsamer Zutunlichkeit gegen ihn, sich wieder sammeln. Sie hob den Widerstrebenden auf. drückte ihn an sich, pflanzte Küsse auf sein erhitztes, irres Gesicht, streichelte und schmeichelte, redete ihm zärtlich zu:
»Eia, eia! Es war ja nur Spaß! Hat er wirklich geglaubt«, – sie redete ihn dann stets in der dritten Person an – »es war Ernst? Nein, nein! Ei, er ist ja stark wie ein junges Bullchen, ein richtiger kleiner Riese ist er, ich hab Angst gehabt, die Mauer würde einbrechen! Ja, ja …« – und nun mimte sie Eliza, um ihn zum Lachen zu bringen – »hm, wieso! Was soll das heißen? Willst Du sofort gehorchen, Kind! Das ist gute Suppe, sehr gute Suppe ist das …« Und er lachte gegen seinen Willen, unter Seufzern, denn diese Versöhnungen waren ihm noch qualvoller als der Schimpf.
Später, wenn er sich ein wenig beruhigt hatte, schickte sie ihn ins Lädchen und ließ ihn Pickels, Törtchen, etwas Gutes zu trinken holen. Er ging mit rotgeweinten Augen, Tränenspuren auf den Wangen, blieb plötzlich auf der Straße stehen und fragte sich verzweifelt, brennend vor Scham, warum, wieso, weswegen dieses Unheil über ihn hereingebrochen sei.
Unablässig haßte Helene alles, was sie langweilte, und jegliche Respektabilität. Trotzdem war sie im Grund eine ausgesprochen konventionelle Person. Das gelegentlich Vulgäre an ihr war nur Ausdruck ihrer Vitalität. Sie war unschuldig wie ein Kind; selbst die einfachsten Bosheiten verstand sie nicht. Sie hatte mehrere Verehrer; einfache, gradsinnige, ländliche Burschen, die schwer soffen. Einer, ein hagerer, alkoholischer Stadtgeometer mit hochrotem Gesicht, der aus Altamont stammte, betete sie an. Ein anderer, ein lachender blonder Hüne, kam von den Kohlenfeldern von Tennessee. Wieder ein andrer, ein junger Mann aus Süd-Carolina, stammte aus demselben Städtchen wie Daisys Verlobter.
Diese Burschen – Hugh Parker, Jim Phelps, Joe Cathcart – waren ihr treu ergeben. Sie liebten die unermüdliche, dominierende Energie an ihr, ihre eindringliche Sprachfertigkeit ihre große Aufrichtigkeit, ihre tiefe Güte. Sie spielte und sang für sie, setzte ihre ganze Persönlichkeit ein, um sie zu unterhalten. Sie brachten ihr Schachteln Konfekt und kleine Geschenke, waren eifersüchtig aufeinander, aber einig in der Behauptung, sie sei »Ein feiner Kerl«.
Auch Whisky pflegten sie ihr mitzubringen. Sie hatte sich das Trinken ein bißchen angewöhnt. Ein Schlückchen regte ihr fiebriges Wesen stark an, elektrisierte ihr Blut, erfrischte sie, gab ihrer Energie etwas Hektisches, Ruckweises. Sie nippte an der Flasche, trank nie viel auf einmal, war oft leicht angeheitert, nie aber richtig beschwipst oder gar betrunken.
Sie machte kein Hehl aus der Sache: »Ich trink 'nen Whisky, wenn's einen gibt«, sagte sie.
Lebenslustige junge Halbweltweiber mochte sie fast immer gern. Das Verzehrende, Gefährliche, der Humor und die Freizügigkeit des eleganten Lebens zogen sie magnetisch an. Der Kurort wimmelte im Sommer von Liebesabenteuerinnen, die der strengen Sonntagszüchtigkeit der Dörfer, der sonntäglichen Lust sturer Gatten entflohen waren. Helene mochte Leute, die, wie sie sagte, »dann und wann 'nen Whisky brauchen«.
Sie befreundete sich mit Mary Thomas, einer jungen, flotten, hochbeinigen Kokotte aus Kentucky; sie war Maniküre in einem der großen Hotels in Altamont.
»Mich interessieren zwei Sachen«, sagte Mary, »am Gockel der Du-Weißt-Doch und an der Henne die Wie-Heißt-Schon.« Sie hatte ein lautes, ansteckendes Lachen. Sie wohnte in Dixieland, hatte ganz oben ein kleines Zimmer mit einer Schlafaltane. Eugen hatte ihr einmal Zigaretten geholt; sie stand in einem dünnen durchsichtigen Unterrock gegen das Licht, ihre langen wollüstigen Beine zeichneten sich stark ab.
Mary schenkte Helene Kleider, Hüte, Seidenstrümpfe. Manchmal tranken sie zusammen. Mit humoriger Gefühlsduseligkeit verteidigte Helene die Freundin.
»Na, sie macht wenigstens kein Hehl daraus. Es liegt ihr nichts dran, ob's die Leut' wissen.«
Oder: »Sie ist nicht schlimmer als die keuschen Susannen. Aber ehrlicher ist sie, das steht fest.«
Oder, durch eine versteckte Anspielung aufgebracht: »Was wissen Sie denn tatsächlich von ihr? Nehmen Sie sich vor den Leuten in acht mit diesem Gerede, sonst fallen Sie mal schwer dabei rein.«
Trotzdem vermied sie es, sich öffentlich mit Mary zu zeigen. Ja, ungereimterweise machte sie gelegentlich ihretwegen Eliza Vorwürfe:
»Wie kommst Du nur dazu, Mama, solche Weiber ins Haus zu nehmen? Die ganze Stadt weiß doch, wie sie's treibt. Dein Haus ist bald so verrufen wie ein regelrechtes Schnepfennest, das kannst Du mir glauben.«
Eliza, geärgert, schürzte die Lippe:
»Wieso? Das geht mich doch gar nichts an? Ich gebe nicht darauf acht. Ich trage meinen Kopf hoch und kann jedermann ins Auge sehn. Aber ich verkehre wenigstens nicht mit solchen Leuten.«
Ihre alten Schulfreundinnen – die fleißige Teeny Duncan, die stillvergnügte, ernsthafte Gertrude Brown, die Lehrerstochter Genevieve Pratt mit dem einfachen, gutmütigen Gesicht – hatte Helene längst aus den Augen verloren. Ihre Gefährtinnen waren nun lebhafter, vulgärer, jünger: Grace Deshaye, Tochter eines Installateurs, eine stramme, feiste Blondine; Pearl Hines, Tochter eines frommen Baptisten und Sattlers, breit und schwer gebaut mit breitem und schwerem Gesicht und einer mächtigen Singstimme für Ragtimes. Am besten aber stand sie mit Nan Gudger.