Kitabı oku: «Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze», sayfa 8

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»Ich gehe nun fort«, sagte er fest.

»Sie gehen fort?« flüsterte sie. »Wohin?«

Die Orgeltöne schwollen an.

»Dorthin«, er deutete kurz nach Westen, »als Missionar die Heiden bekehren.«

»Wirklich!« Ihre Stimme bebte. »Und Sie gehen allein?«

Er lächelte traurig. Die Sonne war untergegangen. Das Zwielicht in der Kirche verbarg ihr, daß seine Augen feucht geworden waren.

»Ja, allein«, sagte er. »Ist nicht ein Größerer vor neunzehnhundert. Jahren auch allein ausgegangen?«

»Allein, ach, allein!« seufzte sie.

»Aber ehe ich gehe«, sagte er nach einer Weile mit einer Stimme, deren innere Erregung er vergebens zu unterdrücken sich bemühte, »… da möchte ich Ihnen gestehen, Grace …« Er hielt inne und suchte die Herrschaft über seine Gefühle zu gewinnen.

»Ja … was?« hauchte sie.

»… daß ich Sie nie vergessen werde, solange ich lebe, nie.« Er wandte sich zum Weggehn.

»Nein, nein! Nicht allein!« Sie hielt ihn weinend zurück.

»Was soll das heißen?« fragte er heiser.

»O Du einfältiger Mann, Du geliebter, blinder, törichter Junge! Hast Du es denn nicht bemerkt? Die ganze Zeit über nicht bemerkt, von dem Tage an, als ich Dich in der Mietskaserne in der Murphy Street predigen hörte!?«

Er preßte sie in einer heftigen Umarmung an sich. Ihr schlanker Leib gab dem Druck seiner Arme nach, als er sich über sie beugte. Sie legte ihre vollen runden Arme um seine breiten Schultern, schmiegte sie um seinen Hals. Sie zog sein dunkles Haupt zu sich herab, während er sie mit hungrigen Küssen auf die geschlossenen Lider, auf den duftenden Nacken, auf den geöffneten Blumenkelch ihrer jungen frischen Lippen küßte.

»Nein«, flüsterte sie, »nicht allein, sondern auf ewig zusammen!«

»Auf ewig!« antwortete er feierlich, »so wahr mir Gott helfe.«

Die Orgeltöne schwollen zu einem Triumphgesang an und fluteten durch das geräumige Dunkel der Kirche. Und während der alte Michael sein ganzes Herz in die Musik legte, rollten ihm Tränen unaufhaltsam über die abgezehrten Wangen. Er lächelte glücklich unter diesen Tränen, als er mit seinen greisen Augen die uralte Sage von Jugend und Liebe wahrgeworden sah, und murmelte:

»Ich bin die Auferstehung und das Leben, das Alpha und das Omega, ein Ende und ein Beginn …«

Eugen wandte das Gesicht ins Licht, das durch die Fenster des Lesesaals fiel. Seine Augen waren feucht; er blinzelte heftig, schluckte schwer, schneuzte sich scharf die Nase. Ach ja! Ach ja!

… Die Wilden merkten, daß sie nun nichts mehr zu fürchten hatten. Rasend vor Wut über die erlittnen Verluste bereiteten sie den Angriff vor. Taomi, ihr Häuptling, in gräßlicher Kriegsbemalung, führte einen wilden Tanz auf. Dann kommandierte er mit schriller Stimme den Stamm zum Sturm auf die Klippe.

Glendenning stieß eine leise Verwünschung aus, als er zum letztenmal die leeren Patronengürtel untersuchte. Dann lud er die letzten zwei Schuß in seinen Colt.

»Die sind wohl für uns?« fragte sie ruhig.

Er nickte.

»Das Ende also?« flüsterte sie leis, aber ohne eine Spur von Angst.

Er nickte abermals und sah sie fest an.

»Ja, jetzt heißt's sterben, Veronika«, sagte er, »und so kann ich es nun sagen.«

»Ja, Bruce«, antwortete sie sanft.

Er war beglückt, denn dies war das erstemal, daß sie ihn beim Vornamen nannte.

»Ich liebe Dich, Veronika«, sagte er, »ich habe Dich von dem Augenblick an geliebt, als ich Dich fast leblos am Strande fand, in all den Nächten geliebt, die ich draußen vor dem Zelt lag, in dem Du ruhig atmend schliefst, und am meisten lieb ich Dich jetzt, in dieser Stunde des Todes, wo ich von der Pflicht, über meine Liebe zu schweigen, entbunden bin.«

»Liebster, ach Liebster! Warum hast Du geschwiegen?« flüsterte sie mit tränenüberströmtem Gesicht. »Ich habe Dich auf den ersten Blick geliebt.«

Sie neigte sich zu ihm mit halbgeöffnetem, bebendem Mund, ihr Atem ging in kurzen Stößen, und während seine nackten Arme sie fest umfaßten, trafen sich ihre Lippen in einem langen Augenblick der Seligkeit, in einer jähen Ekstase, in der all die eingesperrte Sehnsucht ihres ganzen Lebens Erlösung und Erfüllung fand.

Ein lauter Knall aus einiger Entfernung erschütterte die Luft. Glendenning sah schnell auf und rieb sich erstaunt die Augen. Drunten in den kleinen Hafen der Insel war ein Kanonenboot eingefahren. Da lag es mit der gepanzerten Breitseite, gerade fuhren eine Flamme und Rauch aus einer Geschützmündung heraus. Eine 15-cm-Granate schlug dreißig Meter vor den Wilden ein.

Mit gellendem Geschrei, gemischt von Angst und unterdrückter Furcht, wichen die Angreifer zurück und flohen zu ihren Kanoes am Strand. Ein Boot, mit lustigen blauen Jungen bemannt, wurde vom Schiff herabgelassen und ruderte auf die Küste zu.

»Gerettet! Wir sind gerettet!« rief Glendenning. Er sprang auf und signalisierte dem Boot. Plötzlich hielt er inne.

»O verdammt, verdammt noch mal«, murmelte er bitter.

»Was ist denn, Bruce?« fragte sie.

»Ein Kriegsschiff ist gerade in den Hafen eingefahren. Wir sind gerettet, Miss Mullins, gerettet!« Und er lachte bitter.

»Aber Bruce, Liebster; was ist denn mit Dir? Freust Du Dich nicht? Warum benimmst Du Dich so seltsam? Nun können wir doch unser ganzes Leben zusammen haben!«

»Zusammen?« sagte er mit hartem Lachen. »Ach nein, Miss Mullins. Ich kenne meinen Stand. Glauben Sie etwa, daß der große Multimillionär John T. Mullins seine Tochter dem Vagabunden Bruce Glendenning zur Frau gibt? Nicht im Leben! So was kommt nicht vor! Es ist nun alles aus zwischen uns. Es heißt Lebwohl sagen.« Er verzog die Miene. »Ich hoffe, bald von Ihrer Heirat mit einem Herzog oder Lord zu hören. Also, leben Sie wohl, Miss Mullins. Viel Glück! Wir müssen nun jedes seiner eignen Wege wieder gehen.« Er wandte sich weg.

»Du närrischer Junge! Du lieber, böser, törichter Kerl!« Sie fiel ihm um den Hals, schmiegte sich zärtlich an ihn und redete sanft auf ihn ein. »Hast Du denn tatsächlich geglaubt, ich ließe Dich je wieder von mir gehn?«

»Veronika!« keuchte er. »Meinst Du das wirklich?«

Sie wollte ihm in die Augen sehen, konnte aber nicht, denn sie war über und über errötet. Er riß sie verzückt an sich, und zum zweitenmal, diesmal aber mit der Aussicht auf ein langes und glückliches Leben, fanden sich ihre Lippen in süßem Vergessen …

O mir! O mir! Eugens Herz war voll Freude, und schwer vom Kummer war es, daß die schöne Geschichte schon aus war. Er zog seine verklumpte Rotzfahne aus der Tasche und blies den Inhalt seines glorreich-sentimentalen Gemüts mit einem sieghaften Trompetenstoß hinein. O mir! O mir! Guter alter Bruce-Eugen!

In der hehren Innenwelt, in die ihn seine Phantasie hob, war aller Makel des Lebens getilgt. Er lebte edel und heldenhaft unter liebenden, tugendsamen Geschöpfen. Er sah sich selber in erhabnen Begegnungen mit seiner Schulkameradin Bessie Barnes, ihre reinen Augen waren von Tränen trüb, ihr süßer Mund bebte vor Verlangen. Er spürte den starken Händedruck ihres Bruders Honest Jack, dessen treuherzige Aufrichtigkeit, die tiefe, ewige Verbundenheit ihrer wackren Männerherzen, wenn sie einander stumm anblickten und jener schweigsam bestandnen Gefahren gedachten, die Freunde aus ihnen gemacht hatten.

Eugen begehrte die beiden Dinge, die alle Männer begehren. Er wollte geliebt werden und wollte berühmt sein. Der Ruhm war chamäleonhaft, aber der Triumph lag immer daheim bei den Leuten von Altamont. Das Bergstädtchen hatte eine ungeheure Autorität für ihn. Mit dem Egoismus des Kindes hielt er seine Vaterstadt für den dynamischen Mittelpunkt der Erde und des Lebens. Er sah sich als Napoleon Schlachten gewinnen, als Industriekapitän ganze Wirtschaftszweige beherrschen, als Rechtsanwalt Gerichtshöfe mit dem Zauber seiner Beredsamkeit bannen … aber stets sah er sich von seinen Triumphen nach Altamont heimkehren, den Lorbeer der Welt auf der bescheidnen Braue.

Die Welt jenseits der dunstumwobenen Bergketten war ein phantastisches Feenland aus Hall und Strahlung, mit Fruchtgärten von Genien bewacht, weindunklen Meeren, schläfrigen Traumstädten … ein Land, aus dem er kühn mit goldnem Raub ins wahre Herz des Lebens, nach Altamont, zurückkehrte.

Er spürte den köstlichen Kitzel der Verführung und hielt dennoch unter den lockendsten Versuchungen treu an seiner Ehre fest. Da war die schöne, gepflegte Gattin des reichen Mannes, die der brutale Gatte vor aller Öffentlichkeit beleidigt, die der brave Bruce-Eugen ritterlich verteidigt hatte. Nun schmolz sie vor ihm hin mit der reinen Glut ihres einsamen Frauenherzens, erzählte ihm ihr trauervolles Leben. Sie saßen an der reichgedeckten, weinbesetzten, kerzenerleuchteten intimen Tafel des Hauses. Nun streckte sie sehnsüchtig die Arme nach ihm aus und wollte ihm um den Hals fallen … er aber löste sich keusch aus der Umarmung. Da war die blonde Prinzessin aus dem fabelhaften Balkan, die Kaiserin der Spielzeugdörfer und der Puppenhusaren. In einer großen Szene an der Landesgrenze lehnte er edelmütig ihren opferwilligen Thronverzicht zu seinen Gunsten ab und trank ein ewiges Lebewohl von ihren Lippen. Aber er heiratete sie dann doch und machte sie zur Bürgerin seines freien Vaterlandes, später nämlich, als eine Revolution in ihrer Heimat ihren Stand dem seinen gleichgemacht hatte.

Aber wenn er sich in alte Mythen vertiefte, in die Welt, wo kein Makel die Willkür und freie Taten trifft, dann gab er sich auf goldnen Wiesen und in grünleuchtenden Hainen ganz in heidnischer Liebe hin. Oh! und König sein und eine breithüftige Jüdin auf dem Dach ihres Hauses baden sehn und sie besitzen! Oh! feudaler Baron sein, auf einer Burg mit Zinnen und Zinken, und das alte Herrenrecht mit den schönsten der untertänigen Weiber und Buhldirnen ausüben, beim flackernden Lichtschein große Scheite im Kamin, während der Sturm wild um die Mauern braust!

Öfter auch, wenn die Gewalt seiner Wünsche den Moralpanzer zersprengte, erging er sich in kupplerischen Schulbubenvorstellungen und träumte sich in eine Romanze mit einer hübschen Lehrerin. Seine Klassenlehrerin im vierten Schuljahr war eine junge, unerfahrene, aber wohlgebaute Person mit karottenfarbnem Haar und einem vollen, sorglosen Lachen.

Eugen träumte, er sei bereits zum Alter der Reife erwachsen. Ein starker, heldenhaft glänzender Bursch war aus ihm geworden, wahrhaftig, der einzig saubere Bursch unter den krummzähnigen, wuschelhaarigen, verlausten Schülern einer hinterwäldlerischen Dorfschulklasse. Und als der mürbe Herbst kam, nahm ihr Interesse an ihm zu. Sie ließ ihn wegen völlig imaginärer Vergehen nachsitzen, hieß ihn verwirrt irgendeine Strafaufgabe machen. Ihre Augen ruhten mit stetem Sehnsuchtsblick auf ihm, wenn sie dachte er merke es nicht.

Er stellte sich so, als käme er mit der Aufgabe nicht zurecht. Hilfsbereit kam sie und saß neben ihm auf der Bank. Er spürte den Duft und die Wärme ihres üppigen weißen Arms, den süßen leisen Druck ihrer Schenkel; eine Strähne ihres karottenfarbnen Haars streifte sein Gesicht. Sie erklärte ihm umschweifig die Schwierigkeit der Aufgabe, führte ihm die Finger mit ihrer warmen, ein ganz klein wenig feuchten Hand, wenn er tat, als könnte er etwas – einen Ort auf der Karte etwa – nicht finden. Sie tadelte ihn mit lieber leiser Stimme:

»Warum bist Du nur so ein böser Junge?« … oder zärtlicher noch: »Willst Du Dich denn in Zukunft nicht bessern?«

Hierauf würde er mit simulierter jungenhaft-unartikulierter Blödigkeit versichern: »Wirklich, Miss Edith; ich habe es gewiß nicht bös gemeint.«

Später, wenn die Sonne am Untergehen war, würden sie dann zusammen aus dem Klassenzimmer weggehn. Er schlüpfte achtlos in seinen Mantel, sie schalt ihn und rief ihn zu sich, glättete ihm den Kragen, zupfte ihm die Krawatte zurecht, ordnete sein wirres Haar, sagte:

»Du bist ein schöner Bursch, Eugen. Ich wette, die Mädchen sind sehr hinter Dir her.«

Er würde jüngferlich erröten, und sie würde, neugierig gemacht, in ihn eindringen:

»Na, sag es mir schon, wer Dein Schatz ist!«

»Aber ich hab ja keinen, wirklich nicht, Miss Edith.«

»Aha! Ich verstehe. Du machst Dir eben nichts aus diesen albernen Dingern«, würde sie ihm nun zureden. »Du bist zu stolz für solche Tändeleien. Du bist älter als Deine Jahre und brauchst das Verständnis, das nur eine reife Frau geben kann.«

Und dann würden sie im goldnen Abendlicht am Saum der Föhrenwälder entlanggehn, den schmalen Pfad, der von herbstbraunem Ahornlaub verweht wäre, über die Felder, an den Beeten mit den reifen runden Kürbissen vorbei.

Sie würde allein mit ihrer tauben, hochbetagten Mutter wohnen, allein in einem kleinen, gartenumzognen Häuschen, ein wenig abseits der Straße.

Sie würden querfeld aufs Haus zukommen. So würde es notwendig sein, über einen jener niedren Steinzäune, die als Flurgrenze dienen, zu steigen. Er wurde zuerst überklettern und ihr dann behilflich sein, und dabei eifrig die graziös geschwungne Wade ihres absichtlich zur Schau gestellten, seidenbestrumpften Frauenbeins besehen.

Da die Tage nun kürzer würden, würden sie von der Dunkelheit überrascht werden. Sie würde so tun, als fürchte sie sich, wenn sie den Wald entlang gingen, ihn geängstigt an sich pressen, von merkwürdigen, eingebildeten Geräuschen erschreckt sich an ihn klammern. Schließlich eines Abends würde es beim Zaunübertritt zur Entscheidung, kommen. Sie würde sagen, sie könne in der Dunkelheit nicht allein herunterspringen, und er würde sie in seinen Armen um die Knie packen und sie herunterheben. Da würde sie flüstern:

»Wie stark Du bist, Eugen!«

Dann würde er sie nicht loslassen. Seine Hände würden von ihren Kniekehlen an aufwärtsrutschen, während er sie niedersetzte, Sie würde ihn leidenschaftlich küssen, ihn an sich pressen, ihn streicheln Und schließlich unter dem rauhreifbedeckten Persimonenbaum sich ganz seinen unbezähmbaren Knabenwünschen hingeben.

»Der Junge liest Bücher hundertweis!« prahlte Gant, im ganzen Städtchen. »Die Bibliothek hat er schon ausgelesen.«

»Bei Gott, Sie müssen einen Advokaten aus ihm machen, er hat wahrhaftig das Zeug dazu.« Major Lidell hatte eine hohe Stimme. Er spuckte akkurat in den Rinnstein, strich sich seinen tabakfleckigen weißen Spitzbart. Er war ein Veteran aus dem Bürgerkrieg.

X

Aber diese Freizügigkeit, dieses Einsamsein mit Büchern, dieses Träumen, diese uneingeschränkte Zeit für Phantasien sollte nicht dauern. Gant und Eliza waren beide beredte Fürsprecher der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Die Söhne waren bereits sehr früh zum Geldverdienen angehalten worden.

»Da lernt ein Junge Selbständigkeit«, sprach Gant und hatte das Gefühl, als hätte er dies irgendwo schon einmal gehört.

»Es schadet ihnen gewiß nichts«, meinte Eliza. »Wenn sie, jetzt nicht arbeiten lernen, dann werden sie später im Leben nie etwas leisten. Außerdem verdienen sie so ihr Taschengeld.« Dies letztere war zweifellos ein Grund von allerhöchster Wichtigkeit.

Also hatten die Söhne des Hauses von Kind auf nach den Schulstunden und in den Ferien gearbeitet. Unglückseligerweise unterzogen sich weder Gant noch Eliza der Mühe nachzuforschen, was für Arbeit ihre Söhne taten. Sie waren der zufriedenstellenden, behagenerzeugenden Meinung, daß jegliche Arbeit, die Geld einbringt, ehrlich, ratsam und charakterbildend sei.

Zu dieser Zeit hatte sich der störrische, wortkarge, einsame Ben bereits mehr und mehr in sich selber zurückgezogen. Er kam und ging wie ein Phantom; wie eines Phantoms wurde seiner in dem radauerfüllten Haus gedacht. Allmorgendlich um drei Uhr, wenn sein spröder, unterernährter Körper der Segnung tiefsten Schlafes bedurft hätte, stand er auf, stahl sich beim schwindenden Sternenlicht aus dem Haus und ging zu der surrenden Presse und dem geliebten Geruch der Druckerschwärze, um seine Route als Zeitungsträger anzutreten. Ohne daß es Gant und Eliza recht bemerkt hatten, war er nach dem achten Lehrjahr stillschweigend von der Schule weggeblieben und hatte weitere Verpflichtungen bei dem Zeitungsverlag übernommen. Er lebte selbstgenügsam in bitterm Stolz von seinem Verdienst. Er schlief zu Hause, aß auch öfters eine Mahlzeit dort. Spät am Abend kam er heim. Er hatte den hagern, vornübergebeugten, hastig-hektischen Gang, die pathetisch-lebenshungrige Art seines Vaters. Seine schmalen langen Schultern waren früh vom Gewicht der schweren Zeitungstasche abfallend geworden.

In sich verriegelt trug er die Fehler und Tragik aller Gants. Er ging allein in der Dunkelheit, und der Tod und die dunklen Engel schwebten über ihm, und niemand wurde je seiner richtig gewahr. Um drei Uhr dreißig morgens, die vollgestopfte Zeitungstasche neben sich, saß er mit anderen Zeitungsbuben in einer Frühstücksbar, eine Tasse Kaffee in der einen, die Zigarette in der andern Hand. Und lachte leise, fast lautlos mit seinem beweglichen, ungemein sensitiven Mund und den von heruntergezognen Brauen beschirmten grauen Augen.

Zu Flause verbrachte er ruhig versponnene Stunden mit Eugen. Er spielte mit ihm, puffte ihn auch von Zeit zu Zeit mit seiner harten weißen Hand. Zwischen ihnen bestand eine geheime Gemeinsamkeit, in die niemand in der Familie Zutritt und Einsicht hatte. Von seinem bescheidnen Lohn kaufte er dem Kleinen teure Geschenke zu den Festen und bei besondern Gelegenheiten. Es rührte ihn, daß er dem Brüderchen wie ein Mäzen, wie ein Nabob erschien. Über das, was er verdiente, überhaupt über sein ganzes Leben außer dem Hause bewahrte er ein eifersüchtiges Stillschweigen, als wäre es ein Geheimnis.

Er wurde gereizt und störrisch, wenn Eliza danach forschte. »Das sind meine eignen Angelegenheiten! Bei Gott, verlange ich etwa etwas von Euch?«

Eine tiefsitzende Zuneigung für alle brütete in ihm. Nie vergaß er einen Geburtstag, stets legte er ein kleines, nicht allzu teures, mit erlesenem Geschmack ausgesuchtes Geschenk unauffällig bereit, Wenn sie – wie es ihre Art war – es übertrieben lobten und in redselige Dankesergüsse ausbrachen, schnickte er den Kopf zur Seite, lachte leise und gereizt und sagte – so als spräche er zu einem unsichtbaren Lauscher –:

»Um Gottes willen, nun hör Dir das an, bitte!«

Mag sein, daß der dunkle Engel weinte, wenn Ben, wohlgebügelt und gebürstet, mit sauberem Kragen, die Füße leicht einwärts setzend, unter den Morgensternen durch die Straßen hastete oder mit gerunzelter Stirn, im Haus herumstöberte. Das ist wohl möglich, denn Ben war ein Fremdling. Wenn er im Hanse umherging, fand er immer einen Zugang zum Leben, eine geheime, unentdeckte Tür, einen Stein, ein Blatt, – irgend etwas, das ihn ins Licht und die Kameradschaft der Menschen einließ. Sein Heimsinn war angeborne Leidenschaft. In dem Betrieb und Durcheinander des Haushalts. wirkte seine störrische, selbstbehaltne Stille wohltätig auf die Nerven wie ein Opiat. Mit stillschweigender Autorität und äußerst geschickten Händen machte er allerlei Ausbesserungsarbeiten, leimte an schadhaften Möbeln, flickte durchgebrannten Leitungsdraht, brachte versagende Kontakte in Schuß.

»Der Junge ist ein geborener Elektrotechniker«, sagte Gant. »Ich habe gute Lust, ihn auf eine Schule zu schicken.« Er malte ein romantisches Bild vom Wohlleben des Mister Charles Lidell, des tüchtigen Sohns des Majors, der mit seinen elektrischen Künsten Tausende verdiene und seinen alten Vater erhielt. Er wurde bitter und vorwurfsvoll und ließ sich über sein eignes Verdienst und die Nichtsnutzigkeit seiner Söhne ausführlich vernehmen.

»Andre Söhne sorgen für ihre alten Väter, aber meine? Meine nicht! O Gott, das wird ein harter Tag werden, wenn ich mich einmal nicht mehr selber ernähren kann. Tarkinton hat mir neulich erzählt, daß ihm Rafe, seit er sechzehn ist, fünf Dollar die Woche für das Essen bezahlt. Wäre es möglich, daß einer meiner Söhne so etwas täte? Nein! Ausgeschlossen! Da müßte erst die ganze heiße Hölle einfrieren, und selbst dann täten sie es nicht.«

Daraufhin schilderte er die Härte seiner eignen Jugend, hinausgestoßen – so sagte er – um sein Brot zu verdienen in einem Alter, das je nach seinem Grimm zwischen sechs und elf Jahren schwankte, und verglich sein damaliges Leben mit dem Luxus, in dem seine Söhne schwelgten.

»Keiner von Euch hat je etwas für mich getan!« heulte er. »Aber Alles und Jedes ist für Euch getan worden. Und was für Dank krieg ich von Euch? Habt Ihr überhaupt je daran gedacht, daß der Alte in seinem kalten Laden da oben am Stadtplatz schuftet und schwitzt, damit Ihr Obdach und zu essen habt? Nein! Undankbarer seid Ihr als die wilden Tiere des Walds!« – Ein reumütiger Bissen blieb in Eugens Kehle stecken.

Eugen wurde in die Ethik des Erfolgs eingeweiht. Nicht genug, daß ein Mensch arbeitet – obschon man grundsätzlich arbeiten soll –, viel wichtiger ist, daß man Geld macht, und zwar viel Geld, wenn man »ein großer Erfolg sein« will; aber immerhin mindestens so viel, um sich selbst durchzubringen. Dies war für Gant und Eliza die Grundlage aller Bewertung. Vom Soundso zum Beispiel hätten sie sagen können: »Er ist den Schuß Pulver nicht wert« …, und zu dieser Schätzung hätte dann Eliza, nicht aber Gant, bestimmt hinzugesetzt: »Er hat nicht einen Stutzen Vermögen auf seinem Namen stehn« … und das war gewiß der Gipfel der Infamie.

Eugen wurde nun früh um sechs Uhr dreißig von seinem Vater aus den Federn gejagt. Er ging in den Garten, in den frischen süßen Frühlingsmorgen hinunter, wo er, von Gant unterstützt, zarten Salat, Radieschen, Erdbeeren, Pflaumen, Kirschen, Frühäpfel in kleine Körbchen erntete. Die Körbchen wurden in eine Kiepe verstaut, und Eugen ging in die Nachbarschaft hausieren. Er wurde seine Ware, zu 5 und 10 Cent das Körbchen, leicht vergnüglich los an den Türen von Häusern, in denen es köstlich nach Morgengerichten duftete. Munter kam er mit der leeren Kiepe zum Frühstück heim. Er mochte die Arbeit. Er liebte die taubehauchte Morgenerde, die so gute Dinge hervorbrachte, um seine Taschen romantischerweise mit klingender Münze zu füllen.

Das Geld, das er einnahm, durfte er behalten, Eliza bestand leider darauf, daß er es nicht verplempern, sondern sich ein Bankkonto anlegen solle …, so daß er später damit ein Geschäft anfangen oder ein Los Land dafür kaufen könne. Sie gab ihm eine Sparbüchse, in die er mit unwillfährigen Fingern den größten Teil seiner Einnahmen plumpsen ließ. Es gab ihm eine trübselige Befriedigung, wenn er das Ding von Zeit zu Zeit schüttelte und dabei hungrig an die Köstlichkeiten dachte, die er sich für den klinkernden Schatz im Bauchgewölbe leisten könne. Natürlich gab es ein Schlüsselchen zu der Sparbüchse, aber das behielt Eliza in Verwahrung.

Monate vergingen. Eugens rundlich-stämmiger Kinderkörper reckte und streckte sich gemäß der geheimen Chemie der Wachstumsvorgänge. Er wurde zerbrechlich, dünn, bleich. Er war für sein Alter ungewöhnlich aufgeschossen. Eliza fing an zu meinen, er sei jetzt groß genug, »um ein wenig was zu schaffen«.

Von Donnerstag bis Samstag wurde er nun auf die Straße geschickt, um die Saturday Evening Post zu verkaufen. Lukas hatte die Agentur am Ort. Eugen haßte diese Arbeit mit einem bösen, schwärenden Haß. Krank vor Entsetzen sah er allwöchentlich den Donnerstag nahen.

Lukas war seit seinem zwölften Jahr Inhaber der Agentur. Er genoß im Städtchen den Ruf eines glänzenden Verkäufers. Er setzte seine ganze berstende Energie für diese wahnwitzige, extrovertierte Sache ein; trat mit breitem Grinsen, patziger Betulichkeit, zappeligwitziger Zunge auf. Er lebte vollkommen im Augenblick, hielt nichts in sich geheim, hütete nichts. Er hatte ein instinktives Grauen vor der Einsamkeit.

Er begehrte vor allem die Hochachtung und das Wohlwollen der Leute. Daß ihn die Familie lieben und schätzen solle, war ihm verzweifelt wichtig. Lautes Lob, Herz auf der Hand und auf der Zunge, freizügige Schaustellung von Gefühl … das war wie Luft, Speise und Trank für ihn. Er war es, der unbedingt an der Sodafontäne freihalten mußte, der Eliza verpackte Eiskrem, Gant Zigarren mitbrachte. Und da Gant die Großmut des Sohns vor aller Welt rühmte, nahm das Bedürfnis darnach in Lukas ständig zu. Er richtete ein Standbild von sich selber auf; es hieß: Der Gute Kerl; der Witzige, Unselbstische, von Allen Verlachte, von Allen Geliebte Bursche; der Großherzige Selbstlose LUKAS. Und das war auch ganz die Meinung, die die Leute von ihm hatten.

In den folgenden Jahren geschah es öfter, daß Lukas eine Münze in Eugens leere Tasche warf. Aber, so groß auch Eugens Geldverlegenheit sein mochte, es kam immer zu einer peinlichen, verlegenen Protestszene. Eugen spürte genau den Hunger nach Erkenntlichkeit, der Lukas antrieb. Er hatte das Gefühl, als verschachere er seine freie Meinung an eine krankhafte Geltungsgier.

Bens Großzügigkeit dagegen beschämte ihn nie. Die einfachste Intuition hatte ihm längst gesagt, daß dieser Bruder ihn vielleicht aus Ärger puffen oder wegen der Belästigung verwünschen würde, aber daß er sich eher vor Scham verkriechen würde, als vor sich selber mit seiner Offenhändigkeit dickzutun. Nachträgliche Erwähnung einer verschenkten Sache, einer geleisteten Hilfe war unvereinbar mit seiner Fühlweise. Hierin war Eugen ganz wie Ben; der bloße Gedanke an ein gemachtes Geschenk, samt den selbstgefälligen Rückschlüssen des Gebers, war ihm ekelhaft.

So kam es, daß der brütende Geist des noch nicht Zehnjährigen sich in das verwickelte Problem von Augenschein und Wahrheit verstrickte. Eugen fand weder Wort noch Antwort vor dem Rätsel, das ihn verdutzt und wütend machte. Er sah, daß das, was den Stempel der Tugend trug, ihm Abscheu erweckte, daß das, was für edel galt, ihm niedrig und widerlich vorkam. Mit acht Jahren schon biß sich sein Verstand mit dem quälenden Paradox des Ichsüchtig-Selbstlosen herum, jener Niedrigkeit, die als Vornehmheit auftritt, jener Schäbigkeit, die großmütig tut. Er war außerstande, die tiefen Quellen des menschlichen Wunschwollens, das durch tugendhaftes Gehaben auf die öffentliche Anerkennung abzielt, aufzudecken. Und so machte ihn die Überzeugung der eignen Mangelhaftigkeit elend.

Rücksichtslose Ehrlichkeit beherrschte ihn ganz, wo immer sein Herz und sein Haupt wirklich beteiligt waren. So kam es, daß er einmal anläßlich der Beerdigung eines entfernten Verwandten oder Familienfreundes, den er nie besonders gern gemocht hatte, sich bitter schämte, weil seine Miene während der Grabrede des Geistlichen nichtempfundnen Kummer geheuchelt hatte. Folglich gebärdete er sich unfeierlich, schlug die Beine übereinander, sah gelangweilt zur Decke, lächelte zum Fenster hinaus, bis er es erreicht hatte, daß die Leute ihn mißbilligend ansahen. Dies gab ihm eine tiefe Befriedigung; er hatte an Achtung verloren, wußte aber, daß er sein wahres Ich zum Ausdruck gebracht hatte.

Lukas jedoch gedieh prächtig bei diesem albernen Mummenschanz. Jedem So-Tun von Zuneigung, Kummer, Mitleid, Wohlwollen, Bescheidenheit verlieh er gewichtigen Nachdruck. Er unterstrich dick, trug schwer auf, und das blöde Auge der Welt hielt die Schaustellung für echt. In ihm war nichts, das ihn zügelte, er lebte restlos nach außen. Er hatte den Heißhunger des Herdentriebs, die gierige Leidenschaft, sich einzusetzen.

In der Familie genügte ein grobes Anhängeschild zur Bezeichnung der Unterschiede. Ben hieß einfach »der Stille«, Lukas ging und stand als der »Selbstlose oder Großherzige«, Eugen wurde »der Gelehrte« getauft. Das diente. Lukas der Großherzige hatte in seinem Leben nie die Sammlung aufgebracht, eine Stunde zu lesen oder nachzudenken. Lukas der Selbstlose hatte jene Gebärde der Zappeligen an sich, als wolle er sich ein Bein mit dem andern durchsägen. Lukas der Großherzige war ein Stammler und Stotterer. Lukas der Selbstlose hatte die Gewohnheit, nach dem Wort, das ihm auf der Zunge lag und nicht herauskommen wollte, zu pfeifen. Großherzig und selbstlos, wie dieser Lukas war, war er über die an Abstraktionen verlorne Brüterei Eugens aufgebracht.

»Vorwärts, Du Tagträumer!« stotterte er ironisch. »Wir m-m-müssen auf die Straße. Wer zuerst kommt, m-m-mahlt zuerst! W-w-w-wer am frühesten aufsteht, der schöpft den R-r-rahm ab! Der Vo-vo-vogel, der da-da-da ist, der erwischt den Wurm!«

Obschon »Tagträumer« ein völlig meinungsloses Steinchen aus dem Mosaik der großherzigen Redeweise war, erschrak Eugen; er hatte Angst, seine sorgsam gehütete Geheimwelt sei entdeckt, der Lächerlichkeit preisgegeben. Der ältere Bruder verwand es nie, daß seine Leistungen in der Schule höchst erbärmlich gewesen waren. So hatte er sich leicht davon überzeugt, daß jener Hang zum Denken und Brüten, den er in der geheimnisvollen Macht der Sprache über Eugen erspürte, nur eine besondere Form von Faulheit sei. Die einzigen Formen der Arbeit, die er anerkannte, waren anstrengende Betulichkeit und schweißtreibendes Zungengeklapper. Außerdem hielt er Eugens Neigung zur Innerlichkeit für Nachgiebigkeit, Selbstsucht, Pflichtversäumnis gegen den Geist der Familie. Er war fest entschlossen, den Thron der Tüchtigkeit mit niemand zu teilen.

Stumpfsinnig, aber eindeutig wurde zu Eugens Kenntnis gebracht, daß so mancher andre Junge in seinem Alter nicht nur sich selber versorge, sondern auch noch seine gebrechlichen Eltern in Luxus erhielte, nämlich dank seiner Einkünfte als Bankpräsident, Kongreßmitglied oder Oberingenieur. Tatsächlich, es gab keine Anspielung, keine Übertreibung, mit der Gant ihn verschont hätte. Er hatte längst herausgefunden, daß in seinem Jüngsten ein Instrument mit Millionen Noten bebte, zitterte und schwang. Es tat ihm wohl, das Kind zu quälen. So sagte er, etwa bei Tisch, während er Eugen eine mächtige Portion vorlegte:

»Ich will Dir was sagen, es gibt wenige Jungen, die haben, was Du hast. Was aber wird aus Dir werden, wenn Dein alter Vater gestorben und verdorben ist? Hm?« Er wurde sentimental und malte ein gräßliches Bild, wie er bald – ja bald! – in der Erde liegen und verwesen würde. »Ja, dann wirst Du an den Alten denken, mein Jungchen! Man entbehrt das Wasser erst, wenn der Brunnen leer ist.« Mit offenbarem Vergnügen beobachtete er dann, wie Eugens Kehle konvulsivisch zuckte, wie der Junge die Tränen wegzublinzeln versuchte, wie sein Gesicht blaß und starr wurde vor Qual.

»Aber, aber!« begehrte Eliza auf, obschon auch sie das Schauspiel ergötzte. »Du solltest dem Kind wahrhaftig nicht so stark zusetzen.«

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Yaş sınırı:
18+
Litres'teki yayın tarihi:
13 kasım 2024
Hacim:
2761 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9788075830562
Yayıncı:
Telif hakkı:
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