Kitabı oku: «Norderende», sayfa 6

Yazı tipi:

X

Damp und Rieder gingen auf dem Deich nur ein paar Meter zurück und bogen dann rechts in den Fahrweg ein, der zu den Ferienhäusern in die Dünenheide führte. Sie gehörten zumeist Berlinern. Viele hatten schon die Saison beendet und ihre Datschen winterfest gemacht. Die Fensterläden waren zugezogen, die Gartenmöbel verschwunden und die Briefkästen abgehängt.

Nur das erste Haus war noch bewohnt. Die Fenster im Erdgeschoss standen auf. Musik war zu hören. Ein Mann Mitte dreißig saß drinnen an einem Tisch und las Zeitung. Als Rieder und Damp das Grundstück betraten, sprang er sofort auf, kam nach draußen und ging den Polizisten entgegen.

„Die Polizei?“, fragte er überrascht. „Kommen Sie wegen des Toten am Strand?“

„Sie sind Herr Ehlers?“, fragte Rieder. Der Mann nickte. „Sebastian Ehlers.“

„Wir müssten noch mal mit Frau Seige und Herrn Kasan reden. Sind die beiden da?“, fragte Rieder.

„Sie schlafen noch. War spät gestern Nacht. Und dann die Aufregung. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht. Als sie uns dann erzählt haben, was passiert ist ... da konnten wir natürlich nicht gleich schlafen gehen. Auf den Schreck.“

„Würden Sie Frau Seige und Herrn Kasan bitte wecken?“, forderte Rieder den Mann auf. Die Polizisten folgten Sebastian Ehlers ins Haus. Er drehte sich noch einmal um und wirkte nun leicht verunsichert. „Birte und Markus schlafen oben.“

Dann stieg er die schmale Treppe hinauf. Rieder und Damp hörten das Knarren einer Tür, dann Stimmen.

„Also, wie abgesprochen“, wandte sich Rieder an Damp. „Sie übernehmen den Mann, ich die Frau.“

„Klar.“ Damp hatte ein überlegenes Lächeln aufgelegt. Er triumphierte im Stillen, dass er diese neue Spur im Haus von Stein entdeckt hatte und nicht sein Kollege. Klar, auch der Brief von Dora Ekkehard an Stein, den Rieder gefunden hatte, war nicht ohne. Aber das hier gab dem Fall eine neue Wendung.

Ehlers kam wieder herunter, hinter ihm Markus Kasan. Er wirkte noch verschlafen, rieb sich die Augen, ging aber völlig unvoreingenommen auf die Polizisten zu. „Was gibt’s? Sind Sie wegen des Protokolls gekommen?“

Damp schob sich etwas vor. „Herr Kasan, wenn Sie mir bitte nach draußen folgen würden. Wir hätten noch ein paar Fragen.“

Kasan war überrascht vom strengen Ton des Beamten, ging aber ohne Widerspruch mit Damp vor die Tür. Der Polizist winkte Ehlers, mitzukommen.

Wenig später erschien Birte Seige am oberen Ende der Holztreppe. Ihre kurzen Haare waren noch vom Schlaf zerwühlt und standen in alle Richtungen ab. Beim Anblick Rieders stockte sie. Sie sah den Umschlag in seiner Hand. Ganz langsam, Stufe für Stufe, kam sie hinunter.

Rieder öffnete den Umschlag, zog Fotos heraus und hielt sie Birte vor die Nase. „Frau Seige, können Sie mir das erklären?“

Sie schlug die Augen nieder, ging ein paar Schritte in die kleine Stube und ließ sich dort auf einen Stuhl fallen.

„Es war nur eine kleine Affäre.“

„Es ist allerdings keine kleine Affäre, dass Sie uns gestern angelogen haben. Sie kannten Stein. Und wenn ich mir die Bilder ansehe, ziemlich gut.“

Birte spielte mit ein paar Krümeln auf der Tischdecke.

„Als ich vor einem Jahr hier auf der Insel war, habe ich Peter kennengelernt. Sebastian und Andrea hatten mir ihr Haus für eine Woche vermietet, na ja, eher überlassen. Ich habe viel fotografiert. Ich wollte einen Naturkalender über Hiddensee machen und damit etwas Geld verdienen. Dabei habe ich Peter getroffen. Er fragte mich, ob ich für ihn auch ein paar Aufnahmen von Häusern machen könne. Er sei Bauunternehmer und Immobilienmakler, vermiete Ferienhäuser und brauche neue Bilder für seine Anzeigen im Internet und für die Exposés gute Aufnahmen. Dann kam eines zum anderen. Es ging zwei Monate. Er war auch mal bei mir in Berlin.“ Dabei zeigte sie auf die Bilder, die Peter Stein und Birte vor dem Brandenburger Tor zeigten. Es waren Schnappschüsse. Sie lachten auf den Bildern. Birte Seige und Peter Stein machten einen glücklichen Eindruck.

„Aber ich wollte nicht auf die Insel und er nicht nach Berlin. Punkt. Das war’s.“

„Und jetzt haben Sie ihn nicht getroffen? Wollen Sie mir das erzählen? Er ist praktisch Ihr Nachbar. Sie müssen immer an seinem Haus vorbei, wenn Sie zum Strand oder nach Vitte reinwollen.“

Birte beugte sich plötzlich nach unten und malte nun mit den Zehen Kreise auf die Dielen. „Bevor Markus kam, war ich schon zwei Tage hier. Da habe ich ihn auch getroffen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Wie Sie schon sagten, unvermeidlich, wenn man Nachbar ist.“

„Nur getroffen?“

Birte sah Rieder an. Sie lächelte sogar ein wenig. „In Krimis leuchten irgendwelche Laboranten dann immer die Laken ab. Nicht wahr? Wie heißt es dann? Wir haben noch ein paar Hautpartikel gefunden.“ Sie begann wieder mit den Krümeln zu spielen. „Sie könnten Glück haben, wenn Peter nicht die Betten frisch bezogen hat und Sie einen DNA-Abgleich machen. Aber nur beim Essen schmeckt Aufgewärmtes beim zweiten Mal besser.“

In dem Moment kam Markus Kasan ins Haus gerannt. Ihm folgten Damp und Sebastian Ehlers. „Du kennst den Toten? Diesen Stein?“

Birte nickte stumm.

„Was soll das alles? Ich verstehe es nicht?“, rief er aufgebracht.

Doch bevor Birte eine Antwort geben konnte, fragte sie Damp in scharfen Ton. „Warum haben Sie gestern Abend noch einmal das Kino vor Beginn der Vorstellung verlassen? Haben Sie sich mit Peter Stein getroffen in den zehn Minuten, die Sie weg waren? Herr Kasan berichtet, sie wären vor Beginn der Vorstellung noch einmal rausgegangen.“

Alle Blicke richteten sich auf die junge Frau. Sie schaute ängstlich die vier Männer an. „Ja.“

Damp und Rieder gingen vor die Tür. Nach ihrer Antwort hatte Birte Seige kein Wort mehr gesagt. Für Damp ein Eingeständnis ihrer Schuld. „Wahrscheinlich hat er sie bedrängt. Sie hat sich gewehrt. Peng und aus.“

Rieder konnte Damp nicht widersprechen. Für seine Theorie sprach einiges. Vielleicht wollte sie nicht, dass Markus Kasan von ihrer Affäre mit Stein erfuhr.

„Wir verhaften sie erstmal. Fluchtgefahr!“ Damp sah seine Chance für einen schnellen Fahndungserfolg.

Rieder zögerte. „Die Frau ist einssechzig. Stein war einsneunzig. Sie ist ein Leichtgewicht. Ich kann mich täuschen, aber sie wirkt auch nicht besonders stark. Stein dagegen war gutes Schwergewicht. Also ich weiß nicht.“

Damp wollte nicht so schnell aufgeben. „Sie kann es mit einem der verschwundenen Paddel getan haben. Ein Schlag. Peng und aus.“

Rieder brauste auf: „Sie mit Ihrem ‚Peng und aus‘! Fällt Ihnen nichts anderes ein? Und wo ist dann dieses Paddel jetzt?“

Damp hielt inne. Ließ Rieder den Fisch von der Angel? Typisch für diese Stadttypen. Quatschen viel. Handeln wenig. Allerdings musste er zugeben, ein Paddel hatten sie nicht gefunden. Es hätte für Birte Seige keine andere Chance gegeben, das Tatwerkzeug wegzuwerfen, als im Strandwäldchen.

Genau da setzte Rieders Widerspruch an. „Wo hat sie die Paddel gelassen? Rund um das Boot haben wir sie nicht gefunden. Treffen. Zuschlagen. Paddel verstecken. Zurück ins Kino. Da muss man schon ziemlich ausgebufft sein.“ So richtig sicher war er sich allerdings nicht. Woher wollte er wissen, wie ausgebufft Birte Seige war? Und vielleicht war es gerade ihr Kalkül gewesen, mit Markus den Toten zu finden? Immerhin hatte sie im Kino über anderthalb Stunden Zeit gehabt, sich etwas zu überlegen?

Aber auch Damp gab nicht auf. „Sie muss ihn ja nicht mit einem Paddel erschlagen haben. Sie hätte auch einen Knüppel oder einen alten Ast nehmen können. Davon liegen im Strandwäldchen genug.“

Im Haus hörte man jemanden schnelle Schritte treppauf gehen. Dann Stimmen aus der oberen Etage. Die beiden Polizisten konnten zwar kein Wort verstehen, aber es war eine flehende Frauenstimme. Dann stürmte jemand die Treppe hinab. Die Tür wurde aufgerissen. Markus Kasan rannte an den Polizisten vorbei. Rieder konnte gerade noch fragen: „Wo wollen Sie hin?“

„Nach Haus. Ich habe von den Frauen die Schnauze voll.“

In der Tür erschien eine verweinte Birte. Hinter ihr ein hilfloser Sebastian Ehlers.

„Beschissen worden bin ich genug in meinem Leben“, rief Kasan noch und rannte dann in Richtung Deich. Dort kam ihm eine junge Frau auf einem Rad entgegen, an jeder Seite des Lenkers gefüllte Einkaufsbeutel. Sie bremste scharf, fragte Kasan offenbar, was los sei. Doch er schüttelte ihren Arm ab und lief in schnellen Schritten davon.

Die Frau stieg wieder auf ihr Rad, trat heftig in die Pedale und fuhr auf das Haus zu. Sie sprang ab.

„Birte! Sebastian! Was ist mit Markus?“

„Und wer sind Sie?“, unterbrach sie Rieder.

Sie starrte ihn an. „Ich?“

„Ja, Sie?“

„Andrea Ehlers. Aber was interessiert Sie das überhaupt?“ Wahrscheinlich nahm sie jetzt erst Damps Uniform wahr. „Ach, Sie sind von der Polizei?“

Rieder stellte sich kurz vor und erklärte Ihr mit wenigen Worten die Situation. Andrea Ehlers konnte nicht glauben, was sie hörte. Heftig widersprach sie Rieder. „Sie spinnen doch. Was soll Birte getan haben?“ Sie wandte sich an ihren Mann: „Sebastian, sag doch auch mal was!“ Doch dessen Antwort war ein Schulterzucken. Dann verschwand er im Innern des Hauses. Andrea Ehlers warf ihr Rad ins Gras ohne Rücksicht auf die Einkäufe und folgte ihrem Mann. Von drinnen war ein heftiger Wortwechsel zu hören. Rieder wandte sich an Birte Seige. „Haben Sie uns noch etwas zu sagen?“

Die junge Frau hatte die Arme vor der Brust verschränkt, zitterte am ganzen Leib, blieb aber stumm.

„Frau Seige. Ich muss Sie bitten, die Insel bis auf weiteres nicht zu verlassen. Sie melden sich bitte jeden Morgen um neun Uhr bei uns auf dem Revier. Sollten Sie das nicht tun, schreiben wir Sie zur Fahndung aus. Auf Wiedersehen, bis morgen.“ Rieder steckte den Umschlag mit den Fotos von Birte Seige und Peter Stein in seine Jackentasche. Damp setzte seine Mütze auf. Schon im Gehen drehte sich Rieder noch einmal um. „Es wäre gut, wenn es einen Zeugen gäbe, der bestätigen kann, dass Peter Stein noch gelebt hat, nachdem Sie ihn vor dem Kino getroffen haben.“

XI

Auf dem Weg zum Polizeiwagen machte Damp seinem Unmut Luft. „Ich muss Sie bitten, die Insel nicht zu verlassen“, äffte er seinen Kollegen nach. „Melden Sie sich bitte, bitte, bitte, morgen um neun Uhr im Revier ... Und wie sollen wir verhindern, dass die Seige nicht doch abhaut? Wollen Sie sich an jede Fähre stellen, Herr Rieder? Schwachsinn! Wir hätten sie einbuchten sollen! Und nach Bergen bringen, ins Untersuchungsgefängnis.“

„Auf welcher Grundlage bitte?“, raunzte Rieder zurück. „Haben wir einen Beweis, dass sie Stein erschlagen hat?“

Damp blieb stehen. Sein mächtiger Körper pumpte. Offenbar wollte er einen Wutausbruch verhindern und sich zur Ruhe zwingen. Es gelang ihm halbwegs. „Und welchen Beweis haben wir, dass Frau Seige es nicht getan hat?“

Ohne ein weiteres Wort marschierten die beiden zum Polizeiauto. Beim Einsteigen ließen sie die Türen knallen.

„Wohin jetzt?“, fragte Damp.

Keine Antwort. Rieder starrte durchs Seitenfenster. Damp durch die Windschutzscheibe. Mehr als der heftige Atem der beiden Männer war nicht zu hören.

Gut zwei Minuten vergingen, dann ließ Damp den Wagen an und fuhr los. Sie rollten im Schritttempo durch Süderende. Rieder fiel jetzt zum ersten Mal auf, wie viel auf der Insel gebaut wurde. Gleich links stand der Rohbau eines Hauses. Die Baustelle wirkte allerdings verlassen. Die einst weißen Bausteine waren schon angegraut. Vielleicht war dem Bauherren das Geld ausgegangen. Etwas weiter, an der Wegkreuzung zur Gaststätte „Feuerstübchen“, wurden mehrere neue Häuser gebaut. Ein Schild warb um Käufer für Ferienwohnungen. Bauleute waren nicht zu sehen, aber zwischen den Häusern entdeckte Rieder einen blauen Bauwagen. Schräg zog sich der Schriftzug „Inselbau Stein“ über die Seitenfläche. Statt eines i-Punktes war über dem Namen eine Möwe gemalt. Kurz vor der Kreuzung am alten Ostseehotel gab es linkerhand ein eingestürztes Haus. Oben am Giebel war noch das Wort „Papierwaren“ zu erkennen. Die alten Schaufenster waren gesprungen. Auch da stand ein Bauwagen von Steins Firma, daneben ein riesiger Container, in dem sich Mauerstücke und zerborstene Balken türmten. Auch dort war niemand.

„Lassen Sie uns mal am Schuppen der Firma ‚Inselbau‘ im Hafen vorbeifahren.“

Damp bog nach rechts in den Wallweg ab und fuhr zum Hafen. Oben auf der Deichkrone blieb er stehen und deutete nach links: „Da ist es.“

Ein verwitterter alter Holzschuppen stand dort zwischen einem Wust aus Plastiktonnen, Stapeln von Holzbrettern, Abfallbergen aus Schutt.

„Früher gehörte das Gebäude der Fischereigenossenschaft. Aber nachdem es mit der Fischerei bergab ging, hat es Stein übernommen.“

Rieder stieg aus dem Wagen. Er wollte sich die Sache näher ansehen.

Damp leierte sein Seitenfenster runter. „Da ist jetzt keiner. Mittagspause. Von zwölf bis drei darf kein Krach gemacht werden. Steht übrigens auch in der Inselordnung.“

Rieder ließ sich nicht aufhalten. Er lief zum Eingang des Schuppens im Hafen, rüttelte an der Tür. Er schaute durch die verstaubten Fenster, konnte aber keine Menschenseele entdecken. Damp war ihm gefolgt.

„Was ich gesagt habe. Mittagspause.“

Rieder merkte, wie schon wieder der Ärger in ihm aufstieg, weil Damp nun noch Recht behalten sollte.

„Was gibt’s?“, rief jemand.

Rieder und Damp drehten sich um, sahen aber niemanden.

Sie gingen um den Schuppen herum. Dort war der Imbiss und Verkauf der Fischereigenossenschaft. Mehrere Männer saßen dort auf Kisten. Alle trugen beigefarbene Latzhosen mit dem Logo der „Inselbau“, dazu blaue Fischerhemden. Individuell waren nur die Kopfbedeckungen: ausgeblichene Basecaps, zerknautschte Fischermützen und gestrickte Kappen. Alle hatten eine Flasche Bier in der Hand. Der beißende, würzige Rauch aus dem Räucherofen schien sie nicht zu stören.

Die Polizisten gingen auf die Männer zu. Einer mit einer blauen Kapitänsmütze erhob sich.

„Oh, der frisch gebackene Revierleiter und der Columbo aus Berlin“, witzelte einer. Wie im Chor lachten die Männer kurz auf. „Was führt euch denn hierher?“

„Wer sind Sie?“, fragte Rieder den Wortführer.

„Hans Claasen. Ich bin der Vorarbeiter. Also – was wollen Sie? Dass unser Chef tot ist, wissen wir schon.“

„Von wem?“

Statt einer Antwort erwiderte der Vorarbeiter: „Wie heißen Sie? Rieder, nicht wahr?“

„Hauptkommissar Rieder.“

„Hauptkommissar!“, wiederholte Claasen ironisch. „Habt ihr gehört, Leute? Ein Hauptkommissar.“

Diese typische Bauarbeiter-Arroganz war Rieder schon immer auf die Nerven gegangen. Da half erstmal nur schweigen und abwarten, wer als Erster die Nerven verlor. Es war Claasen. „Sie sind doch schon eine Weile auf der Insel. Da müssten Sie doch wissen, dass hier nichts geheim bleibt. Aber wie auch immer. Erstens pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Zweitens war die Chefin da.“

„Die Chefin?“

„Mensch, Frau Stein“, rief Claasen und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, um zu betonen, wie begriffsstutzig er Rieder fand.

„Ich dachte, sie hätte mit dem Geschäft nichts mehr zu tun.“

Schulterzucken von Claasen. „Für uns ist sie immer noch die Chefin. Oder?“, rief er in die Runde. Synchrones Nicken der Männer.

„Dann wissen Sie ja sicher auch, dass Herr Stein ermordet wurde.“ Leichtes Grummeln im Kistenrund.

„Was du nicht sagst, Herr Polizist“, grummelte Claasen weiter.

„Hatte Herr Stein vielleicht Probleme mit jemandem? Gab es Anfeindungen? Zum Beispiel durch verärgerte oder unzufriedene Auftraggeber oder ehemalige Mitarbeiter.“ Claasen verschränkte die Arme vor der Brust und schaute mit einem Blick in die Runde der Bauarbeiter, der bei jedem schon nur den Gedanken an eine Antwort abtöten sollte. Es gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen der Insel, dass man mit der Polizei nicht redete. Jedenfalls nicht in aller Öffentlichkeit. Konflikte wurden untereinander gelöst. Die Polizei sah man eher als lästiges Beiwerk der Inselobrigkeit.

Alle schwiegen. Vorarbeiter Claasen quittierte es mit einem wohlgefälligen Lächeln und schaute dann auf die Uhr. Er klatschte in die Hand. „Fünfzehn Uhr, Männer. An die Arbeit! Marsch! Marsch!“ Die Bauarbeiter erhoben sich. Sie schenkten Rieder und Damp keine weitere Beachtung. Grußlos gingen sie an ihnen vorbei, schwangen sich auf ihre Räder, die an der Schuppenwand gelehnt standen, und radelten betont gemütlich davon. Damp machte kehrt und lief zurück zum Polizeiwagen. Rieder versuchte es noch mal bei Claasen, als die Männer außer Hörweite waren. „Was war nun mit diesem Dachdecker?“

Claasen baute sich vor Rieder auf. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Griese zwei faselt viel, wenn er genug Fusel intus hat. Verstanden?“

Es hatte keinen Zweck. Rieder folgte seinem Kollegen. Wahrscheinlich wäre es das Beste, diesen Ahrens direkt zu fragen, obwohl er sich nicht viele Hoffnungen machte, dass der Dachdecker gesprächiger wäre.

„Hallo, Herr Rieder!“ Der Polizist drehte sich um. Ulrike Stein, ganz in Schwarz, kam auf ihn zu. Der Rollkragenpullover und die Jeans betonten ihre sportliche Figur. „Gut, dass ich Sie treffe. Ich müsste in Peters Haus. Ich brauche dringend einige Geschäftsunterlagen. Als ich vorhin dort war, klebte ein Siegel der Polizei an der Tür.“

„Haben Sie denn einen Schlüssel?“

„Ja. Peter hatte mir einen gegeben, falls ihm etwas passieren sollte. Ich war seine nächste Angehörige hier auf der Insel.“

„Nein, nein“, beschwichtigte Rieder die Frau. „Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen. Polizistenangewohnheit. Verstehen Sie denn was vom Baugeschäft?“

Ulrike Stein nestelte an ihrer Tasche. „Nicht so viel wie Peter. Aber wenn man mit einem Bauunternehmer so lange zusammengelebt hat wie ich, dann schaut man sich einiges ab. Früher habe ich für ihn auch mal Schriftkram erledigt.“

„Sagt Ihnen der Name Nemzov etwas?“

„Nemzov, Nemzov ...“ Sie schüttelte den Kopf, hielt dann aber ein. „Doch! Der verrückte Russe, der Peters Firma auf Rügen gekauft hat. Der hieß, glaub’ ich, Nemzov.“

„Genau. Wieso verrückt?“, fragte Rieder zurück.

„Ich kriege es nicht mehr zusammen. Aber aus irgendeinem Grund kam er nicht zurück nach Moskau. Ich weiß noch, dass er Offizier gewesen war. Er überwachte irgendwie die Truppentransporte, als die abgezogen sind ... ich krieg’ es nicht mehr zusammen.“

„Wussten Sie, dass Ihr Mann noch 25 Prozent an seiner alten Firma auf Rügen hielt?“

„Nein“, erklärte Ulrike Stein. Rieder hielt das für unglaubwürdig.

„Das soll Ihnen nie aufgefallen sein, wenn Sie, wie Sie sagen, seinen Schriftkram erledigt haben?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Aber das Geld, was Herr Nemzov Ihrem Mann für seinen Anteil überwiesen hat, das muss doch auf dem Geschäftskonto aufgetaucht sein.“

„Mit Geldsachen hatte ich nichts zu tun! Da hatte mein Mann immer die Hand drauf. Ich vertraute ihm. Außerdem sind wir bei den meisten Häusern, die er hier auf Hiddensee gekauft hat, zusammen als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.“

„Auch bei dem Grundstück, auf dem das Zeltkino steht?“

„Davon weiß ich nichts. Wieso? Gehört das auch Peter?“ Rieder ließ die Antwort offen.

„Was wird nun aus den Unterlagen? Ich brauche einige Sachen für die laufenden Geschäfte ...“

„Wir brauchen noch etwas Zeit, um alles durchzusehen. Das wird noch etwas dauern. Außerdem muss sich danach vielleicht die Spurensicherung noch das Haus ansehen, wenn uns etwas ungewöhnlich erscheinen sollte. Es haben sich auch einige neue Dinge ergeben, die wir im Haus noch überprüfen müssen.“

„Darf ich erfahren, was Sie damit meinen?“, fragte Ulrike Stein vorsichtig.

Rieder überlegte, wie er sich verhalten sollte. Konnte er Ulrike Stein von Birte Seige erzählen? Der Verdacht könnte sich schnell auf der Insel verbreiten und die junge Frau womöglich gefährden. Mit den Bauleuten von Steins Firma war sicher nicht zu spaßen. „Ich möchte darüber noch nicht sprechen.“

Sie zuckte mit den Schultern und ging ein paar Schritte. Dann drehte sie sich noch einmal um. „Herr Rieder, es wäre schön, wenn es mit den Unterlagen nicht so lange dauern würde. Da hängt einfach Peters Firma dran, und ich fühle mich auch den Leuten verpflichtet. Verstehen Sie?“

Rieder überlegte. „Wie wäre es, wenn uns Ihr Vorarbeiter, Herr Claasen, einfach eine Aufstellung der wichtigsten Projekte macht, an denen die Firma, Inselbau‘ gerade arbeitet. Wir werden dann diese Unterlagen schnell durchsehen, und wenn es keine Probleme gibt, sie ihm oder Ihnen übergeben. So kommen die laufenden Geschäfte nicht ins Stocken.“

„Eigentlich würde ich das lieber selbst tun“, meinte Ulrike Stein, „aber wenn es nicht anders geht. Sie haben auch Ihre Vorschriften. Nicht wahr? Ich werde mit Claasen reden.“

Rieder sah Ulrike Stein nachdenklich hinterher, wie sie im Schuppen der „Inselbau“ im Vitter Hafen verschwand, wahrscheinlich, um Claasen um die Liste der aktuellen Bauprojekte zu bitten.

„Was halten Sie von der Frau?“, fragte er Damp, der die Szene aus einiger Entfernung beobachtet hatte.

„Was soll ich von ihr halten?“

Rieder öffnete die Beifahrertür des Polizeiautos, stieg aber nicht ein.

„Wohin jetzt?“, fragte Damp ungeduldig, der schon eingestiegen war.

„Überprüfen Sie doch bitte erstmal das Alibi von Ulrike Stein. Ich habe noch was zu erledigen.“ Dann schlug er die Autotür zu und ging über den Deich davon.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺376,59
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
390 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783954623686
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip