Kitabı oku: «Rüpel in Roben», sayfa 3

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KAPITEL 2

Die Rivalen

Vor zweihundert Jahren, in der Zeit der Regentschaft zwischen dem 7. und dem 8. Dalai Lama, hatte der mächtige Verwalter des Dalai-Thrones eine Verordnung erlassen, die den 10. Shamarpa aus Tibet verwies. Shamar Tulku wurde öffentlich beschuldigt, er habe Nepal zu einer Invasion seines Landes angestiftet. Alle ihm von den Manchu-Kaisern verliehenen Titel wurden widerrufen, und seine Kagyü-Klöster wurden von Regierungstruppen überfallen und zwangsweise zur Gelugpa-Tradition bekehrt. Shamarpas zeremonielle rote Krone wurde beschlagnahmt und vermutlich unter einem Gebäude in Lhasa vergraben. Es ging das Gerücht um, der 13. Dalai Lama habe sie über ein Jahrhundert später Nikolaus II, dem letzten russischen Zaren, zum Geschenk gemacht. Wie auch immer, bis heute hat ihr Eigentümer die Krone nicht wiedergesehen oder zurückerhalten. Schließlich wurde offiziell ein Erlaß herausgegeben, der Shamarpas Wiedergeburt ausdrücklich verbot - für westliche Gemüter eine recht bizarre Idee.

Jahrhunderte lang hatte sich Shamarpa, der wichtigste Schüler der aufeinanderfolgenden Gyalwa Karmapas und der zweithöchste in der spirituellen Hierarchie der Kagyü-Linie, an der Seite seines Lehrers wiedergebären lassen. Als im Jahre 1638 der 5. Dalai Lama und die Gelug-Hierarchie die Macht übernahmen, wurde sowohl Shamar Tulku als auch Karmapa das Ziel offizieller Einschränkungen und auferlegter Schwierigkeiten. Hundert Jahre später erfuhr die Kagyü-Linie dank der beträchtlichen Aktivität des 8. Tai Situ, eines weiteren nahen Schülers Karmapas, eine Wiederbelebung im fernen Kham. Weit entfernt vom inquisitorischen Blick der Regierungsminister und unter dem Schutz eines lokalen Königs, blühte Situ Rinpoches Kloster Palpung im Osten des Landes auf. Shamarpa - ein Meister der Logik, sowie ein Bruder des damaligen Panchen Lama, des zweithöchsten in der Gelugpa-Hackordnung - war entschlossen, den Erfolg, den Tai Situ in Kham errungen hatte, in Zentraltibet zu wiederholen. Da er jedoch von seinem Hauptsitz Yangpa Chen aus, der nur eine Tagesreise von Lhasa entfernt war, agieren mußte, besaß er wenig Handlungsfreiheit. Um sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen, tat er sich mit seinem Bruder zusammen. Der Panchen Lama, der selbst einen Groll gegen die Gelug-Politiker hatte, weil sie ihm den Thron Tibets verweigerten, war ein perfekter Verbündeter. Seit der chinesische Kaiser dem 5. Dalai Lama und seinem Königreich eine rotierende Monarchie aufgezwungen hatte, hatten die Panchen Lamas vergeblich darauf gewartet, die Zügel der Macht in die Hand zu bekommen. Die herrschenden Kräfte in der Hauptstadt beobachteten die neue Verbindung mit begründeter Besorgnis. Daß sich der zweithöchste Mann der Kagyüs mit einem Anwärter auf den Thron zusammentat, bedeutete eine direkte Herausforderung der Gelug-Herrschaft. Als dann die beiden Brüder Kontakt mit dem Raj in Indien aufnahmen und eine britische Delegation in Tashi Lhünpo, dem Hauptkloster des Panchen südlich von Lhasa, beherbergten, entschloß sich die Regierung zu handeln. Der Panchen Lama wurde mit einem Auftrag nach Peking versetzt, wo er auf mysteriöse Weise verstarb. Seines Bruders Schutz beraubt, floh Shamarpa nach Nepal und wurde sofort beschuldigt, ein Komplott gegen sein Land zu schmieden. Und obwohl er im Konflikt zwischen Nepal und Tibet vermittelte, waren seine Tage als berühmter Tulku gezählt. Als Kampf zwischen den beiden Himalaya-Staaten ausbrach, sah Tenpai Gönpo, ein einflußreicher Gelug-Minister, eine ideale Gelegenheit gekommen, um die Regierung und die „Gelbhut-Schule“ ein für alle mal von einem gefährlichen Rivalen zu befreien. Shamarpa wurde öffentlich für Tibets schmerzlichen Rückschlag in der militärischen Auseinandersetzung verantwortlich gemacht und zum Verräter erklärt. Bald darauf wurde es ihm offiziell untersagt sich wiedergebären zu lassen. Seine Klöster wurden übernommen und seine engsten Mitarbeiter gefoltert und getötet.

Als Opfer einer politischen Intrige ließ sich Shamarpa in den folgenden zweihundert Jahren unter der schützenden Obhut Karmapas heimlich wiedergebären. Die Mantras, die gegen seine Wiedergeburt rezitiert wurden, hatten wenig Effekt. Die Anordnung jedoch, die ihn aus den Augen der Öffentlichkeit verbannte, wurde streng durchgesetzt. Die Zentralregierung, die ihre politische Vorherrschaft schützte, stellte sicher, daß kein Shamar-Tulku formell anerkannt wurde. „Schwarz wurde weiß, das Wirkliche unwirklich. Zu dieser Zeit war es nicht machbar, irgendeinen Shamarpa anzuerkennen oder zu inthronisieren. Alles wurde geheimgehalten. Die Inkarnationen erschienen, wurden aber nicht offenbart.“ So kommentierte der 16. Karmapa diese schwierige Zeit.

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Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts brauten sich dunkle Wolken am Horizont Tibets zusammen. Nachdem die dekadente Manchu-Dynastie im Reich der Mitte von der Macht vertrieben worden war, und der Versuch einer Republik in einer mit den Japanern ausgehandelten demütigen Niederlage endete, ergriff in China 1949 ein noch viel unbarmherzigeres und repressiveres Regime die Macht. Die siegreichen Kommunisten, die neuen Herren in Peking, hatten eines mit ihren Vorgängern gemein: Die tiefe Überzeugung, daß Tibet ein wesentlicher Bestandteil Chinas sei. Sie besaßen jedoch weniger Skrupel und ein bedrohlicheres und fanatischeres menschliches Kraftpotential, um den jahrhundertealten Traum Pekings zu verwirklichen: die gewaltsame Vereinigung Tibets mit dem Mutterland.

Der dynamischen Persönlichkeit von Thubten Gyatso, dem 13. Dalai Lama, gelang es trotz allem, die Souveränität Tibets zu bewahren. Er war entschlossen, sich China vom Leib zu halten und reichte den Kagyüs und den anderen Linien eine Hand zur Zusammenarbeit. So wurde der 15. Karmapa nach jahrhundertelangem Ausschluß als Partner und Freund in Lhasa willkommen geheißen. Zum Wohle der nationalen Einheit wurden die harten Gesetze, die auf rivalisierende Schulen abzielten, gelockert. Auch Shamarpa profitierte vom neuen politischen Klima. Wenn auch der niederträchtige Bann gegen seine Wiedergeburt nicht aufgehoben wurde, wurde er doch während der Amtsdauer des 13. Dalai Lamas an der Seite Karmapas toleriert. Diese Nachsicht wurde aber nicht von allen gebilligt. Die ultrakonservativen Fraktionen, die die drei riesigen Gelug-Klöster von Lhasa vertraten, fanden es nicht weise, die anderen Linien als gleichwertig zu behandeln und unterliefen permanent die Bemühungen des Dalai Lamas, eine gemeinsame nationale Front sicherzustellen.

Während der auf den Tod Thubten Gyatsos im Jahre 1933 folgende Regentschaft und bevor Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, erwachsen wurde, fehlte dem Land eine starke Hand, um die Kräfte in den Griff zu bekommen, die Tibet in die moderne Welt zogen. Es wurden keinerlei politische Reformen durchgeführt. Das Land, schwach und militärisch unfähig, versuchte nicht einmal, eine einigermaßen moderne Truppe auf die Beine zu stellen, ebensowenig suchte es nach internationalen Sicherheitsgarantien. Blinder Glaube an die Dharmapalas, die buddhistischen Transformationen alter Götter Indiens und Tibets, die durch rituelle Anrufung dem heiligen Königreich in Zeiten der Gefahr beistehen sollten, wurden als ausreichender Schutz gegen einen Aggressor angesehen. Der kommunistisch-chinesische Aufmarsch in den späteren Vierziger Jahren an der östlichen Grenze bereitete der zentraltibetischen Regierung nur wenig Sorge und die Zeichen der sich anbahnenden Tragödie wurden weitgehend ignoriert. Statt dessen war die sektiererische Herrschaft in Lhasa wieder einmal damit beschäftigt, den drei anderen buddhistischen Schulen ihre Oberherrschaft aufzuzwingen.

Zu allem Unglück kam noch hinzu, daß diese Himalaya-Theokratie außerhalb des sino-mongolisch-indischen Dreiecks praktisch unbekannt war. Die freien Weltmächte hatten wenig Lust, sich mit China wegen irgendeiner entlegenen und verlassenen Gegend anzulegen. Dieser Mangel an Entschlossenheit kam Peking zugute und machte Tibet zu einer viel zu leichten Beute. Aber selbst wenn die tibetische Regierung in einer Anstrengung in letzter Minute ihre kleinlichen Rivalitäten abgeschüttelt und einen nationalen Widerstand organisiert hätten, wäre sie mit Sicherheit kein ernstzunehmender Gegner für die Volksbefreiungsarmee gewesen. Die bloße Größe des Angreifers wäre schon überwältigend gewesen. In typisch tibetischer Manier zeigte sich jedoch kein Erwachen des Volkes, und in seinen letzten Jahren erlebte das Land statt eines Aufrufs zu den Waffen vielmehr nur endlose Fehden und schließlich Verrat.

Als die kommunistischen Chinesen im Oktober 1950 Osttibet angriffen und anschließend das restliche Königreich infiltrierten und übernahmen, waren die Tibeter nicht auf der Hut. Unfähig oder nicht willens eine gemeinsame Front gegen den Angreifer zu errichten, blieb die tibetische Regierung auffallend passiv. Die einzig kampfbereiten - die Khampas - brauchten Waffen, die ihnen die herrschenden Kräfte nicht zu Verfügung stellten. Statt dessen wurden die Waffenlager in Chamdo, im Osten des Landes, auf Befehl des Regierungsbeamten und Verräters Ngabö in die Luft gejagt. Ohne den sich schnell nähernden chinesischen Truppen Widerstand entgegenzusetzen, sorgte Ngabö dafür, daß die Widerstandskämpfer im Osten ohne Waffen blieben. Von Lhasa im Stich gelassen, seiner militärischen Führung beraubt und ohne eine fähige Kampftruppe, fiel Kham in nur wenigen Wochen den Kommunisten in die Hände.

Die tibetische Regierung wiederholte 1951 ihre katastrophale Darbietung aus dem Jahre 1950 und unterzeichnete im Mai unter der Führung des sechzehnjährigen 14. Dalai Lama den umstrittenen Siebzehn-Punkte-Plan, in dem Tibet formal die chinesische Oberhoheit akzeptierte, wenn dem Land auch eine lokale Autonomie zugestanden wurde. Als sich 1959 die Bevölkerung von Lhasa endlich gegen die chinesische Armee erhob, konnte sie mit ihrem Kampf nichts mehr von dem rückgängig machen, was die Politiker bereits auf dem Papier verschenkt hatten. Der verzweifelte Aufstand wurde brutal niedergeschlagen und Tibet verschwand von der politischen Weltkarte. Die Kommunisten hatten jetzt freie Hand, um den Völkermord an der tibetischen Nation zu beginnen. Der junge Dalai Lama und seine engsten Begleiter flohen im letzten Moment, als die Chinesen die Hauptstadt besetzten. Seine Flucht setzte einen Massenexodus von Mönchen und Lamas über den Himalaya in Gang. Jahre zuvor hatte schon der 16. Karmapa, mit mehr Voraussicht, seine Leute auf die Flucht vorbereitet und erreichte wie geplant mit seinen vier engsten Schülern und anderen Tulkus das Königreich Bhutan im Ost-Himalaya.

Nachdem sie in Indien angekommen waren, befanden sich die Vertreter der vier Schulen plötzlich auf der gleichen Stufe. Die Macht der Gelugpas und die Vorherrschaft der zentraltibetischen Regierung hatten sich über Nacht verflüchtigt. Alte Fehden verblaßten im Vergleich zum Ausmaß der gegenwärtigen Katastrophe. Die vom Glück begünstigten Lamas, denen es gelungen war, die schwere Prüfung der chinesischen Invasion und die Qual einer Himalaya-Überquerung zu Fuß im Winter zu überleben, hatten nun die große Aufgabe, das, was sie von der Zerstörung Tibets hinübergerettet hatten, im Exil wieder aufzubauen. Beeinflußt durch die Freundschaft mit dem 16. Karmapa und weil er einsah, daß Zusammenarbeit nun lebenswichtig war, beschloß der 14. Dalai Lama den zweihundert Jahre alten Bann aufzuheben. Nach Jahrhunderten der Abwesenheit wurde Shamar Tulku wieder offiziell anerkannt, diesmal auf indischem Boden. Für einen Moment sah es so aus, als ob das Ausmaß des Desasters und der Status der verzweifelten Flüchtlinge in einem verarmten Land die Tibeter dazu zwingen würde, Vernunft anzunehmen und zusammenzuarbeiten.

Wie sich später jedoch herausstellen sollte, war nicht einmal der totale Zusammenbruch des Landes Unglück genug, um die kollektive Tendenz der Nation zum Streit zu beugen. Kaum hatte sich der Staub nach der Katastrophe wieder gelegt, wurden die Fehden der alten Tage in ihrer alten Inbrunst wieder aufgenommen. Das alte Lhasa-Regime, verborgen hinter seinem neuen Namen als „Tibetische Exilregierung“ und von seinem neuen Sitz in Dharamsala im West-Himalaya aus regierend, führte die alte Tagesordnung der Feindschaft gegen die anderen buddhistischen Schulen weiter. Die Mitglieder dieser illustren Gesellschaft nahmen mit dem gleichen fehlgeleiteten Enthusiasmus die Vorurteile, Rivalitäten und Kämpfe der Vergangenheit wieder auf. Insbesondere die Khampas galten als ernsthafte Bedrohung des neuen Bestrebens der Gelugpa-Administration: alle Exiltibeter zu vertreten und zu kontrollieren.

Gyalo Döndrup, der unverfrorene Bruder des Dalai Lama, beschloß, daß die beste Antwort auf Maos Invasion und die Zerstörung ihres Landes sei, Tibet und die tibetische Exil-Politik an die neuen kommunistischen Gegebenheiten anzupassen. Dreist schlug er vor, die alten buddhistischen Schulen und die ganze opulente religiöse Show abzuschaffen, und so die hohen Lamas auf den Boden der Realität zu bringen. „Keine Throne mehr, keine Rituale mehr und auch kein Goldbrokat“ soll er geäußert haben. Seine Worte pflanzten Ängste in die Herzen der Lamas. Als weitere Einzelheiten des ausgearbeiteten Planes bekannt wurden, war klar, daß ein Coup gegen drei der vier Schulen ausgeheckt wurde. Die neue religiöse Organisation, die die traditionellen Linien ablösen sollte, sollte von der Gelug-Hierarchie kontrolliert werden. Die besorgten Lamas eilten zu Karmapa und baten ihn um Hilfe.

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Nachdem Karmapa von der Herrscherfamilie eingeladen worden war, sich in dem Königreich Sikkim im Ost-Himalaya niederzulassen, gründete er 1961 das Kloster Rumtek. Es wurde bald zu einem wichtigen Studienzentrum und nahm eine zu Dharamsala gleichwertige Stellung ein. Seine zwei engsten Schüler - der wieder eingesetzte Künzig Shamarpa und der Tai Situ - sowie der frisch eingebundene Jamgon Kongtrul und Goshir Gyaltsab wurden unter seiner direkten Führung in dem neuen Kloster und Institut ausgebildet.

Obwohl sich Karmapa mit Bestimmtheit von tibetischer Politik fernhielt, zählte seine Stimme, was die Angelegenheiten dieser Region betrafen. Er wurde von verschiedenen Nationen des Himalaya hoch verehrt und für die Khampas war sein Wort Gesetz. Die kriegerischen Osttibeter wie auch eine Anzahl von Lamas, die unter den Druck der Exilregierung geraten waren, suchten an seiner Seite Beistand und Unterstützung. Die neueste Initiative Dharamsalas, alle Schulen in einer Organisation aufgehen zu lassen, bedrohte die Schulen in ihrer Selbständigkeit. Wenn dieser Schritt durchgeführt worden wäre, so hätte dies das Ende vieler einzigartiger buddhistischer Praktiken bedeutet, die jede Linie als ihre Besonderheit über Jahrhunderte bewahrt hatte. Da sie nicht das geringste Interesse daran hatten, von dem großen Bruder verschluckt zu werden, gründeten dreizehn große tibetische Siedlungen - überwiegend Flüchtlinge aus Kham - eine politische Allianz und wählten Karmapa zu ihrem spirituellen Oberhaupt. Ein mächtiger und oppositioneller Gegenpol zum Dalai Lama und der offiziellen Linie von Dharamsala war entstanden. Die neue Koalition wehrte sich erfolgreich gegen die Idee, die religiöse Vielfalt Tibets abzuschaffen, und schließlich mußte der irregeleitete Plan aufgegeben werden. Die Regierung aber konnte Karmapas kompromißlose Haltung in dieser Auseinandersetzung ebensowenig verzeihen, wie seine Mißachtung der Autorität des Dalai Lamas und so wurden die Kagyüs zur Zielscheibe geschmackloser Angriffe. Als 1976 Gungthang Tsultrim, der politische Führer der Allianz, ermordet wurde und sein Attentäter gestand, auf Anweisung der tibetischen Exilregierung gehandelt zu haben, lebten sich Rumtek und Dharamsala noch weiter auseinander. Die anfängliche Freundschaft zwischen dem Dalai Lama und Karmapa wurde unter den schmerzlichen Tatsachen begraben.

Angesichts Karmapas unabhängiger Stellung begannen Minister der tibetischen Verwaltung die Richtungsänderung der Politik des Dalai Lama gegenüber Shamarpa zu bedauern. Obwohl die Aufhebung des Bannes in hohem Maße nur eine leere Geste war - weder der Dalai Lama noch seine Regierung konnten in Indien Recht sprechen und Shamarpa brauchte nicht die Erlaubnis des tibetischen Führers, um im Ausland öffentlich auftreten zu können - führte die Entscheidung zu einem Aufschrei der Entrüstung. Über die Jahrhunderte hinweg waren sowohl Karmapa als auch Shamarpa in Regierungskreisen unbeliebt gewesen und die Vorgehensweise Lhasas vor zweihundert Jahren war als Sieg über die meuternden Kagyüs gefeiert worden. Karmapas große Bekanntheit und das plötzliche Wiederauftreten seines Hauptschülers wurde zur Bedrohung der politischen Ziele der Gelugs erklärt. Das Oberhaupt der Kagyüs und sein Hauptschüler wurden zu bitteren Feinden Dharamsalas.

Vom Dalai Lama als nominellen Herrscher aller Tibeter wurde erwartet, daß er über solchen Ränken und krankhaften Gedankengängen stand. Umgeben von Spielern mit einem ernsthaften Hang zur Verschwörung und im Versuch alle Parteien zufriedenzustellen, hatte er nicht mehr als seinen guten Ruf zur Verfügung. Um die Vorstöße der weniger vernünftigen Mitglieder seines Kabinetts zu stoppen, erklärte er von Zeit zu Zeit, er sei die letzte Inkarnation in der Linie der Dalai Lamas. Diese Strategie war für eine gewisse Zeit wirksam, dann aber griffen seine Politiker ihre Konfrontations-Taktiken wieder auf und konspirierten weiter gegen die anderen drei buddhistischen Schulen.

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Die Auseinandersetzung unter den Tibetern beschränkte sich jedoch nicht darauf, daß die Gelugs ihre Rivalen schikanierten. Es entstand auch unerwartet eine Opposition gegen Shamarpas Wiedereinsetzung, aus viel näheren Vierteln als den Regierungsgebäuden in Dharamsala.

In Tibet wurde jeder Tulku von der Geburt bis zum Tod von einem Stab professioneller Ratgeber und Diener umgeben und gepflegt. Leben für Leben behielten die Familien dieselbe Position um ihren Lama. Diese Gruppe wuchs an Größe und Bedeutung, bis de facto ein Hof entstand, der seinen Meister eng bedrängte. Persönlicher Ehrgeiz hatte hier eine weit größere Bedeutung, als man von Leuten erwarten würde, die einem spirituellen Meister dienten.

Die Inkarnationen der Karmapas, wie auch die seiner engen Schüler, hatten jeder ein derartiges Gefolge, dessen Mitglieder eifersüchtig ihren Platz in der Linienhierarchie hüteten. Als Shamarpa und sein Gefolge aus der Öffentlichkeit verbannt wurden, rückten die Gefolge anderer hoher Kagyü-Lamas, zusammen mit ihren Rinpoches, in der Hackordnung um eine Stufe nach oben.

Shamarpas plötzliche Rückkehr bedeutete ein Ende dieses behaglichen Standes der Dinge. Weil er seinen Platz als Hauptschüler Karmapas zurückforderte, wurde Situ Rinpoches Gefolge im Machtsystem um eine Stufe niedergezwungen. Noch unzufriedener waren die Anhänger Gyaltsab Rinpoches. Sie hatten sich in Tsurphu, Karmapas Hauptsitz in Tibet, mehrere Gebäude mit der Verwaltung Karmapas geteilt und jahrhundertelang Prozesse geführt, um ihr das Eigentum streitig zu machen. Da nun Shamarpa wieder zurück war und der 16. Karmapa Jamgön Kongtrul als den vierten in der Linie eingesetzt hatte, mußte sie sich nun mit der fünften Position begnügen.

Solche Ereignisse waren Sprengstoff in der traditionellen Gesellschaft Asiens. Nachdem sie ihren hohen Status 200 Jahre lang genossen hatten, wollten die Familien, die Tai Situ und Goshir Gyaltsab schützend umgaben, diese traurige Wende in ihrem Glück nicht hinnehmen. Shamarpa stand ihnen im Weg und so kam die Regierung in Dharamsala zu einem unerwarteten Verbündeten, um den höchsten Halter der Kagyü-Linie herauszufordern. Es wurde im allgemeinen angenommen, obwohl es nicht immer bewiesen war, daß die Rinpoches selbst über diesen machiavellistischen Ränken standen.

Solange Karmapa lebte, war er das unumstrittene Oberhaupt der Kagyü-Linie. Er kümmerte sich persönlich um die Erziehung von hohen Kagyü-Inkarnationen und sah in Rumtek - einem Zentrum für Studium, Meditation und Ritual - den besten Schutzschild gegen das Verschwinden der Lehre. Von Kindheit an wuchsen seine vier nahen Schüler unter seiner Obhut auf und erhielten Belehrungen und Ermächtigungen über den Schatz der Kagyü-Übertragung. Das gemeinsame Aufwachsen sollte sowohl die Verbindung zwischen den Tulkus stärken als auch eine gemeinsame Führung der Linie schmieden für die unvermeidliche Zeit, da Karmapa nicht mehr am Leben sein würde.

Gab es zu diesem Zeitpunkt bereits Zeichen für einen zukünftigen Bruch zwischen Shamar und Situ Rinpoche? Hegte einer gegen den anderen einen heimliche Groll in diesen frühen Tagen in Rumtek? Tatsache war, daß sie nicht viel miteinander zu tun hatten, obwohl sie gemeinsam aufwuchsen. Sobald sich der überwiegende Teil der Flüchtlinge in Sikkim eingelebt hatte, wurde der junge Tai Situ - in seinem letzten Leben eine mächtige Persönlichkeit in Osttibet - sofort von seiner mittlerweile verkleinerten Verwaltung belagert. Die armen aber immer noch habgierigen Diener, die befürchteten, daß ihr junger Meister den Verlockungen des modernen Lebens erliegen könnte, boten ihm alle Arten von materiellen Komfort, hielten ihn aber in seinem Haus unter Verschluß. Von Kindesbeinen an aß der junge Tulku allein, spielte allein und saß - offensichtlich mit geringer Begeisterung - alleine vor seinen Büchern. Hinzu kam, daß die Tatsache völlig unterschiedlicher Herkunft von Shamarpa und Tai Situ auch nicht dazu beitrug, die Unterschiede zu überbrücken. Ersterer erfreute sich des Glanzes einer aristokratischen Abstammung und hatte Verbindung zu Karmapas Familie. Letzterer - stolz und gebieterisch in seiner vorangegangenen Inkarnation - trug den Makel, der Sohn eines Schmiedes zu sein - ein Beruf, der im alten Tibet dem eines Maulwurfjägers oder Metzgers gleichkam.

Wenn seine feine Ahnenschaft Shamarpa auch Grund zum Feiern gegeben haben mag, so setzten ihn die damaligen Bedingungen im Vergleich zu seinen Mitbrüdern in einen Nachteil. Während die drei anderen Tulkus mitten in ihr altes Gefolge aus Beratern und Dienern geboren worden waren, hatte Shamarpa während seiner zweihundertjährigen offiziellen Verbannung seinen ganzen Kreis von treuen Helfern verloren. Diese Situation verschaffte ihm ein ziemliches Maß an Freiheit und solange Karmapa zur Stelle war, um jeden Angriff auf seinen Hauptschüler abzuwehren, war die Situation nicht weiter beunruhigend. Sollte er jedoch einmal alleine dastehen und ein Konflikt auftreten, wäre Shamarpa - ungeachtet seiner Position als Hauptschüler - einem politischen Angriff gegenüber zweifellos verwundbarer, als seine drei Kollegen. Die Mitglieder von Situpas engstem Kreis hatten schon damit begonnen, in der neuen Heimat ihre eigenen Pläne zu schmieden. Sie verbündeten sich mit Gyaton Tulku - einem Lama, der Jahre zuvor von Karmapa nach Sikkim geschickt worden war, und der gegen die Anwesenheit Seiner Heiligkeit in dieser Enklave arbeitete - und versuchten, wenn auch erfolglos, ihre eigene Machtbasis in der Hauptstadt Gangtok zu errichten.

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Als im September 1970 die jungen Dänen Hannah und Ole in das noch nicht offen zugängliche Kloster Rumtek kamen, fanden sie ausgezeichnete Bedingungen für spirituelles Wachstum vor. Indische Bürokraten übertrafen sich darin, den Zugang nach Sikkim schwer und den Aufenthalt in der Gegend kurz zu machen, aber das Geschick des Paares, sie an der Nase herumzuführen, erwies sich als äußerst nützlich. An den sonnigen Hängen des Himalaya, die Tibet und Bhutan zugewandt waren, mischten die vier jungen Tulkus und andere Lamas ihren Geist mit der erleuchteten Essenz Karmapas und erneuerten so die Verbindung mit ihrem Lehrer, die viele Leben in die Vergangenheit zurückreichten. Unter Karmapas Schutzfeld blühte der Ort auf, und die gelegentlichen Gerüchte über Damcho Yongdu, den alten Generalsekretär, sein despotisches Temperament und sein mit eiserner Hand geführtes Regiment, waren nicht in der Lage, die echte Atmosphäre von Harmonie und Wachstum zu vertreiben.

Bevor er im Herbst 1981 starb, äußerte Karmapa den starken Wunsch, daß drei sehr wichtige Projekte vollendet werden sollten: das Nalanda Institut für höhere buddhistische Studien in Rumtek, das Dharma Chakra Zentrum in Neu Delhi und der Druck von 500 Exemplaren des Tengyur, einer umfassenden Sammlung von Kommentaren zu Buddhas Belehrungen. Das erste dieser Projekte kam unter die Beaufsichtigung von Jamgön Rinpoche, wohingegen das Vorhaben in Delhi, das später als das Karmapa International Buddhist Institut bekannt wurde, Shamar Rinpoches Bereich wurde. Der Druck des Tengyur, ein mühseliger und peinlich genauer, lang andauernder Vorgang, sollte ebenfalls in Delhi abgeschlossen werden.

So sollten bald einige der jungen Tulkus unter Karmapas Fittichen hervorkommen und ihre Kraft in der großen Welt erproben. Tai Situ hatte sich schon 1976 aus dem Kloster herausgewagt, bevor seine Ausbildung beendet war. Aber sein Wechsel in die westlichen Himalayas war offensichtlich voreilig und auch gegen den Willen seines Lamas gewesen. Immer wieder gab Karmapa Hannah und Ole im Vertrauen zu verstehen, daß Situ Rinpoche nach Sikkim zurückkehren und seine Ausbildung in der Sichtweise von Mahamudra, dem Großen Siegel - die letztendliche Sichtweise von der Natur der Wirklichkeit - beenden sollte. Aber es war nutzlos - Karmapas Appelle stießen auf taube Ohren und Situpa blieb viel länger in seinem freiwilligen Exil, als es nützlich war. Als er schließlich auftauchte, waren die Zeit und die Bedingungen für die Beendigung seiner Ausbildung vorbei. In einem seiner Briefe an seinen Lama wundert sich Situpa darüber, daß Karmapa sich weigerte, seine zahlreichen vorangegangenen Briefe zu beantworten. Es sah so aus, daß Seine Heiligkeit nach all den Jahren, in denen er seinen Herzenssohn gebeten hatte zurückzukehren, sich entschieden hatte, ihn nicht mehr in sein Kloster aufzunehmen. Und so blieb Situ Rinpoche, außer dem Aufenthalt während Karmapas Verbrennungszeremonie und einigen späteren Kurzbesuchen, Rumtek bis 1992 beständig fern. Als er dann im Mai dieses Jahres auftauchte, hatte er einiges mehr im Sinn, als nur den Wunsch, seine religiösen Pflichten zu erfüllen.

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Die ersten Zeichen einer sich in der Linie zusammenbrauenden Auseinandersetzung zeigten sich unmittelbar nach Karmapas Tod im Jahre 1981. Eineinhalb Jahre zuvor hatte Karmapa Hannah und Ole am Tag der Sommersonnenwende in Colorado den Zeitpunkt seines Todes anvertraut. Seinem Wunsch gemäß reisten das dänische Paar und hundert ihrer Freunde nach Sikkim und kamen in Rumtek kurz vor Karmapas Tod in Amerika an.

45 Tage später, am 20. Dezember 1981, führte die offizielle Verbrennungszeremonie mehrere tausend Anhänger Karmapas an seinem Hauptsitz zusammen. Bei diesem bedeutenden Ereignis rollte plötzlich - während Karmapas Körper, der zur Größe eines Babys geschrumpft war, von den Flammen verzehrt wurde - ein „blau-schwarzer Ball“ aus einer Öffnung der Verbrennungsstelle heraus. Er blieb an der nördlichen, nach Tibet gerichteten Seite des Verbrennungsplatzes liegen, wo Lopön Tsechu - Karmapas Vertrauter - und zwei andere Lamas standen. Dieses ungewöhnliche Vorkommnis rief große Aufregung und einige Spekulationen hervor. Niemand wußte genau, was man mit diesem mysteriösen Gegenstand anfangen sollte. Die verdutzten Lamas liefen zu Kalu Rinpoche, dem ältesten und mutmaßlich Weisesten in der Runde, um ihn um Rat zu fragen. Nachdem er den kniffligen „Ball“ eingehend untersucht hatte, nickte der alte Kalu in wissender Billigung, blieb aber genauso verwundert wie der Rest der illustren Versammlung. Alle schauten sich ratlos an und warteten hilflos auf eine Antwort. Mittlerweile meinten Leute, daß der Gegenstand einem menschlichen Organ ähnelte, weshalb ihn Lopön Tsechu an einer erhöhten Platz an der Seite des Verbrennungsstupa bringen ließ.

In diesem Augenblick tauchte Situ Rinpoche, mit Opferungen die in dem Feuer verbrannt werden sollten, aus dem angrenzenden Zimmer auf. Er bemerkte die Unruhe, hatte aber offensichtlich keine Ahnung, was da vor sich ging. Als er die verblüfften Gesichter um sich herum und den runden Klumpen, der sich hoch auf einer Stahlplatte befand, sah, nahm er den Teller und verschwand mit großem Pomp und Aufheben samt seinem neuen Besitz im Hauptaltarraum. Später am Abend brachte er, in weniger zeremoniellem Stil, den Gegenstand still in seinen Privatbereich und hielt ihn dort unter Verschluß.

Drei Tage später fand eine große Kagyü Konferenz in Rumtek statt. Als die älteren Lamas der Linie nebeneinander in der Halle des Institutes saßen, stand Situ Rinpoche auf und hielt vor der vornehmen Versammlung der traditionellen tibetischen Rinpoches eine Rede auf Englisch. Zuerst offenbarte er, daß das, was er da in seinem Zimmer in Sicherheit gebracht hatte, Karmapas Herz sei. „Das Herz flog aus dem nördlichen Tor des Verbrennungsfeuers und landete in meiner Hand“, bekannte er stolz und zeigte seine rechte Handfläche, damit alle sie bewundern konnten. „Nun gehört es mir“, sagte er schließlich. Daraufhin verkündete er, daß er in Sherab Ling, seinem Kloster im West-Himalaya, einen ungefähr einen halben Meter hohen Stupa aus Gold bauen wolle, um die kostbare Reliquie darin zu beherbergen. Die Lamas schauten den sie in Englisch ansprechenden Situ Rinpoche teilnahmslos an, denn sie konnten kein einziges Wort verstehen. Die wenigen Westler, die da waren, starrten ihn mit Befremdung an. Zufrieden musterte Situ Rinpoche die schweigende Versammlung und nahm wieder Platz. Er zeigte nicht die geringste Neigung, seine historische Botschaft auch noch auf tibetisch zu verkünden. Warum er sich dafür entschieden hatte, die Rinpoches mit dieser bedeutenden Bekanntmachung in einer Sprache aufzuklären, die diese nicht verstanden, war ein Mysterium.

„Rinpoche, Ihr solltet Tibetisch reden“, ertönte Shamarpas Stimme durch den vollen Raum. Shamar Tulku, der nicht über das Treffen informiert worden war, kam mitten in der Predigt seines Kollegen, gerade rechtzeitig, um mitzuhören, wie das Herz aus der Verbrennungsstupa in Situpas Hand gesegelt sei. Er hatte wohl sofort erkannt, daß Tai Situ die wertvolle Reliquie nach Sherab Ling mitnehmen wollte und keiner ihn daran hindern würde. Die älteren Lamas, die eine Erklärung in einer fremden Sprache erhalten hatten, würden hübsch im Dunkeln gehalten. Ohne Zeit zu verlieren, lud Shamarpa seinen Kollegen freundlich ein, auf Tibetisch zu wiederholen, was er eben zuvor auf Englisch erklärt hatte. Mit sichtbarem Unbehagen erhob sich Situ Rinpoche zum zweiten Mal. „Shamar Rinpoche hat mich zu Recht daran erinnert, daß ich das Tibetisch vergessen habe“, bestätigte er und erzählte die Geschichte noch einmal in seinem Heimatdialekt.

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