Kitabı oku: «Rüpel in Roben», sayfa 5

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Was eigentlich alle Alarmglocken hätte klingeln lassen und Situ Rinpoche zu einer fairen Untersuchung der phantastischen Behauptung hätte zwingen müssen, wurde zu der langgesuchten Ausrede, um seinem Rivalen hinterrücks einen Schlag zu versetzen. Nachdem Situpa mit seinen neu gewonnenen “Schuldbeweisen” die Runde gemacht hatte, verkündeten die drei Eminenzen - Situ Rinpoche, Gyaltsab Rinpoche und Jamgön Kongtrul Rinpoche - anmutig ihr Urteil, ohne den Fall näher untersucht zu haben. Sie waren in der Sache nicht die kleinste Spur tiefer gegangen und beschlossen einfach, Shamarpa vor Gericht zu bringen.

Und als sich nun die Lamas und ihre Schüler in dem regnerischen Dorf Sonada im Ost-Himalaya versammelten, um die zweitausend Einweihungen zu erhalten, machten sich die drei edlen Linienhalter daran, ein Glanzstück eigener Machart abzuliefern. An einem nebeligen Morgen, ungefähr bei der Hälfte der Einweihungen angelangt, erhielt Shamarpa einen überraschenden Brief von einigen Rechtsanwälten, die die drei Linienhalter vertraten. In feierlichem Ton überbrachten die Anwälte ihre harte Nachricht: Shamarpa sollte sich auf eine Auseinandersetzung vor Gericht gefaßt machen. Das Unglaubliche geschah - drei von Karmapas Herzenssöhnen beabsichtigten, ihren ältesten Kollegen öffentlich des Diebstahls von Karmapas Eigentum zu beschuldigen.

Der Schlag kam genauso hart wie unerwartet. Shamarpa konnte beim besten Willen nicht begreifen, daß sich die Linienhalter, statt die Behauptung zu untersuchen, dafür entschieden, lieber hinter seinem Rücken herumzuschnüffeln und ihn des Diebstahls bezichtigten. Indem sie das Unrecht noch durch eine Beleidigung steigerten, hatten die Eminenzen auch noch vor, ihren Coup auszuweiten. Shamarpa fand heraus, daß sie sich mit einer entscheidenden Frage an Kalu Rinpoche gewandt hatten. Am Ende der Zeremonie sollte der bedeutende Lama die vier Tulkus öffentlich darum bitten, den zukünftigen 17. Karmapa nach Tsurphu in das besetzte Tibet anstatt nach Rumtek, seinem neuen Hauptsitz, zu schicken. Es wurde erklärt, daß der gelehrte Thrangu Rinpoche und seine Ratgeber dringend, zum Wohl des alten Klosters, um diese Lösung bitten würden. Den nächsten Karmapa in einem chinesisch kontrolliertem Tibet einzusperren, klang nach einem merkwürdigen Schachzug mit unklaren Vorteilen, und noch heute denkt Shamarpa nur mit Unbehagen an die Treulosigkeit dieses Plans. Es traf ihn hart, daß die ganze Idee - hinter dem wohlwollenden Wunsch versteckt, Tsurphu wieder aufzubauen - nichts anderes war als ein Schachzug, um die Kontrolle über die Karma Kagyü Schule zu erlangen. Wenn es ihnen erst einmal gelungen war, Karmapa dem Zugriff der Kommunisten zu überlassen, könnten die mächtigen Lamas an der Spitze bleiben und machen, was sie wollten. Falls Kalu Rinpoche nach der Einweihung unerwartet mit diesem sonderbaren Wunsch aufgetaucht wäre, hätte Shamarpa seiner Bitte zustimmen müssen. Nachdem er die wertvollen Einweihungen von dem alten Meister erhalten hatte, ließ ihm die tibetische Etikette keine andere Wahl, als den Wunsch seines Lehrers zu erfüllen, egal wie absurd dieser auch war.

Angewidert von solchen Intrigen und weil er eine Kraftprobe während den Zeremonien vermeiden wollte, und auch die Aussicht vor Augen, daß der 17. Karmapa ein Bürger Rotchinas werden könnte, beschloß Shamarpa, Sonada zu verlassen. Nachdem er sich bei dem alten Kalu Rinpoche entschuldigt hatte, traf er in Delhi ein, um die ersten Schritte beim Bau des Karmapa Institutes zu überwachen. In Sonada aber blieb sein Sitz für die letzten drei Monate der Einweihungen auffallend leer.

Überall anders hätte das nur gesellschaftliche Empörung ausgelöst, aber für die Tibeter kam die plötzliche Abreise des obersten Linienhalters einem Erdbeben gleich. Um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden, wurde eilig Beru Khyentse Rinpoche, ein weiterer bedeutender Kagyü Lama, als Ersatz herbeigebracht. Shamarpas Feinde benutzten seine Abreise sofort als ein weiteres Beispiel seiner Arroganz und hochmütigen Art. Als sich ihr Plan, den nächsten Karmapa in Tibet einzusetzen, in Luft auflöste, müssen die drei Tulkus zu der Überzeugung gelangt sein, daß Shamarpa ein gerissener Spieler sei - seine plötzliche Abreise von Sonada sprach dafür. Jetzt gab es kaum Zweifel, daß er sich nach Delhi zurückzog, um sich endgültig in den Besitz von Karmapas Land zu bringen.

Trotz ihrer Behauptung, sie hätten einen gewitzten Dieb auf frischer Tat ertappt, bekamen die drei Linienhalter ihren Auftritt vor Gericht nicht. Rechtsanwälte, vom Generalsekretär engagiert, wiesen die Absurdität der Beschuldigung nach. Das umstrittene Stück Land war dem 16. Karmapa von der damaligen indischen Premierministerin Indira Gandhi geschenkt worden. Aus verschiedenen Gründen - politischen und anderen - hatte die indische Regierung beschlossen, das Land für 99 Jahre zu verpachten. Um dies deutlich zu machen, wurde jährlich eine symbolische Gebühr von einer Rupie bezahlt. Das bedeutet, daß der wirkliche Eigentümer des Grundstückes die indische Regierung war und nicht Karmapa. Damit war die ganze Anschuldigung, man hätte Seiner Heiligkeit das Land weggenommen und es jemandem anderen übertragen, hinfällig.

Als der 16. Karmapa verstorben war, mußten die ganzen Dokumente, den Platz betreffend, richtig formuliert werden, da es in den vorliegenden Orginalpapieren einige Fehler gab. Deswegen war eine gesetzmäßige Unterschrift nötig, die den 16. Karmapa repräsentierte. All dies geschah, nachdem die Gruppenherrschaft der vier Rinpoches gegründet worden war und während Shamarpas Amtszeit, in der er die Belange der Schule vertrat. Zu dieser Zeit war der Karmapa Charitable Trust noch nicht wiederentdeckt worden, also wurde Shamarpa folgerichtig zum Unterzeichner des richtiggestellten Pachtvertrages. Dieses ausgebesserte Dokument war es, das Lea Terhune ausgegraben hatte und das die Grundlage für ihre Schlußfolgerung lieferte, daß Shamarpas Unterschrift unter dem neuen Vertrag bedeutete, er wäre der neue Eigentümer. Die Rinpoches stimmten ihr freudig zu.

Nun war Shamarpa an der Reihe, seinen Kollegen mit dem Gericht zu drohen. Nachdem er das Vertrauen verloren hatte, daß die drei Linienhalter auch fähig waren für ihre Linie einzustehen, schlug er vor, den geplanten Prozeß gegen die drei fallenzulassen, falls sie im Gegenzug damit einverstanden wären, die Gruppenherrschaft aufzulösen. Mit Erleichterung nahmen Jamgön und Gyaltsab Rinpoche die Gelegenheit, sich Rückendeckung zu verschaffen, wahr und unterschrieben bereitwillig die entsprechende Erklärung.

Und so hörte die gemeinsame Herrschaft über die Kagyü-Linie, nach einigen instabilen Jahren, auf zu existieren. Shamarpa übernahm, gemäß der historischen Tradition, innerhalb Karmapas Organisation die Rolle des Stellvertreters Seiner Heiligkeit, was er aber nur in offiziellen Belangen und bei öffentlichen Zeremonien tat. Die vier Rinpoches blieben, wie früher vereinbart, weiterhin gemeinsam mit der Aufgabe betraut, den 17. Karmapa zu finden. Shamarpa fand es sinnvoll, den drei bei einer so heiklen Aufgabe nicht allzuviel Freiheit zu gewähren. Die neuesten Annäherungsversuche des kommunistischen China an Situ Rinpoche waren nicht einfach nur besorgniserregend, sondern geradezu gefährlich. Die Pflege und Verwaltung von Karmapas Eigentum und Projekten fiel von nun an unter die Zuständigkeit des Charitable Trust.

Diese bizarren Vorfälle hatten wohl die positive Wirkung, daß sie Shamarpas Augen für das betrügerische Vorgehen seiner Kollegen öffneten. Sie bewirkten eine enge Allianz zwischen ihm und Topga Yulgyal, der sich dauernden Angriffen ausgesetzt sah, weil er beharrlich versuchte, die Linie von ihrem mittelalterlichen Ballast zu befreien. Topga Yulgyal und Shamar Rinpoche wurden so zu Partnern, die moderne Werte im Leben von Rumtek einführten und dem etwas veralteten Körper der Linie zu neuem Elan verholfen. Diese ehrlich gemeinte Anstrengung verschaffte dem Generalsekretär unnachgiebige Feinde und vermehrte die Liste derer, die Shamarpa bereits hatte.

Unbeeindruckt von ihren schweren Verfehlungen beschränkten Tai Situ und Gyaltsab Tulku von da an ihren Kontakt zu dem obersten Linienhalter und dem Generalsekretär auf offizielle Angelegenheiten. Dieses neue Einstellung war nicht einfach nur leichtfertige Rivalität. Zwei Jahre nach Karmapas Tod wurde eine Spaltung an der Spitze offenbar, die seid der Verbrennungszeremonie immer sichtbarer geworden war.

Jamgön Kongtrul versuchte, im Gegensatz zu seinen beiden Kollegen, sein Verhalten zu bessern. Nachdem er erkannt hatte, welches Unrecht Shamarpa angetan worden war, gestand er seine Fehler ein und versuchte, auf der Basis von Vertrauen und Respekt, eine neue Beziehung zum höchsten Linienhalter herzustellen.

Ihre schwer verdiente Zusammenarbeit wurde nahezu ein Jahrzehnt später abrupt durch einen tragischen Unfall beendet, der den Verlauf der Ereignisse, von denen in diesem Buch erzählt wird, beschleunigte.

KAPITEL 4

Die Verleumdung

Die Vorstellung die 17. Inkarnation des Gyalwa Karmapa zu finden hatte die Phantasie seiner Schüler vom ersten Moment nach der Verbrennungszeremonie an beflügelt. Die Tibeter übertrafen sich gegenseitig im Entwickeln der ausgefallensten Ideen über die Umstände und die Identität seiner Wiedergeburt. Mit jedem Jahr wurden die vorgeschlagenen Theorien gewagter, und die Öffentlichkeit sah sich mit einer exotischen Auswahl von Anwärtern auf Karmapas Thron konfrontiert, die von einem bhutanesischen Adeligen bis zu einem in Amerika geborenen Tibeter reichte.

Ein Beispiel für solche Spekulationen war die berühmt-berüchtigte Aktivität von Bardo Tulku, einem Lama aus Woodstock, einem Kagyü-Kloster nördlich von New York. Sein erster Versuch Berühmtheit zu erlangen war der bösartige Angriff auf Shamarpa und Topgala im Jahre 1983. Es war zwar nicht ganz klar, ob die böse gemeinte Kampagne, die er startete, Teil eines koordinierten Werkes oder nur seine eigene Idee war. Das Ergebnis waren auf jeden Fall eine Reihe giftiger Briefe, die an Könige und Würdenträger im Osten geschickt wurden. Lama Bardo erprobte sein literarisches Talent und seine Neigung Polizei zu spielen, und klagte den höchsten Linienhalter und den Generalsekretär des Diebstahls von Karmapas Eigentum in Delhi an. Topgala wurde nicht nur zum Dieb sondern sogar zum Dämon erklärt, dem es irgendwie gelungen sei, den jungen Shamarpa unter seinen korrupten Einfluß zu bringen. Bei seinem rechtschaffenen Versuch, zwei Schwindler zu entlarven, vergaß Bardo Tulku zu erwähnen, daß die hastig zusammengetragenen Beweise gegen die beiden nur auf einem gravierenden Fehler von Frau Lea Terhune basierten - ausgestoßen aus Rumtek und jetzt Situ Rinpoches Sekretärin. Die Fäden der Intrige schlossen sich zum Kreis.

Weil er mit der geringen Resonanz, die seine literarischen Eskapaden hervorgerufen hatten, nicht zufrieden war, beschloß Bardo Tulku, seine Redetalent unter Beweis zu stellen. Mit großer Pracht und Fingerspitzengefühl segnete er die Öffentlichkeit mit der anmaßenden Ankündigung, daß die glückliche Frau, die den künftigen Karmapa in ihrem Leib trage, zufällig seine eigene sei. Wie er es geschafft hatte, einen so klaren Einblick in die Gebärmutter seiner Frau zu bekommen, blieb ein Rätsel. Aber seine schwülstige Art muß die Mitglieder seiner Organisation doch sehr beeindruckt haben. Denn dem gesunden Menschenverstand zum Trotz gelang es ihm, ein gewisses Maß an Unterstützung für seine Behauptung zu bekommen. Der Höhepunkt der ganzen Aufregung endete jedoch im Nichts, als seine Frau ein Mädchen zur Welt brachte. Traditionellerweise inkarnieren alle Karmapas in einem männlichen Körper.

Von 1984 an sahen sich die Linienhalter einem immer größer werdenden Druck von Personen ausgesetzt, die eine Ankündigung über den nächsten Karmapa forderten. Tibeter sind wahre Meister, wenn es darum geht, ihre geliebten Rinpoches unter Druck zu setzen. Demütig bitten, betteln und loben sie und hören nicht auf, bis der bedrängte Lama geschlagen nachgibt. Alle diesen Hitzköpfen gab Lama Ole einen einfachen Rat: „Wir brauchen nichts zu überstürzen. Die Angelegenheit um die Inkarnation des 17. Karmapa liegt einzig und allein in der Verantwortung der vier Linienhalter und wenn die Zeit reif ist, werden sie sich ganz sicher entscheiden!“

Und wie sie das taten! Im Jahre 1986 erklärten die vier Eminenzen, zur Freude und unter heftigem Applaus von Kagyü-Schülern auf der ganzen Welt, daß endlich der Brief mit den Voraussagen des 16. Karmapa gefunden worden sei. Die überschwengliche Ankündigung wurde aber durch die Bekanntgabe gedämpft, daß das Testament auch noch einen ergänzenden Brief enthalte. In dieser zusätzlichen Nachricht bat der 16. Karmapa seine Schüler, eine große Anzahl von Mantras und Zeremonien zu vollziehen, bevor der Inhalt des eigentlichen Briefes, der die Details seiner 17. Wiedergeburt enthielt, bekanntgegeben werden könnte. Die zusätzlichen Rituale waren nötig, um massive Hindernisse zu beseitigen. Obwohl die Anzahl der Mantras mehrere Milliarden betrug, krempelten die Kagyüs auf der ganzen Welt die Ärmel hoch und es dauerte nicht lange bis die Bedingungen erfüllt waren.

Im Mai 1988 bestätigte der Stab von Rumtek, daß alle im Extrabrief erwähnten Rituale vollzogen worden waren und die Hindernisse, die der Testamentseröffnung im Wege standen, somit beseitigt wären. (*FN: Numerierung der im Anhang abgedruckten Dokumente.) (*DOK:1) Während die jubelnden Schüler ihre Errungenschaft feierten, verschleppten die Linienhalter weiterhin die ganze Sache und die langerwartete Ankündigung war nirgendwo in Sicht. Mit größter Entschlossenheit versuchten sie aus irgendeinem seltsamen Grund, das ganze Thema zu vermeiden.

Mit derselben Entschlossenheit schienen sie auch sich gegenseitig gemieden zu haben. Nach ihrer inspirierenden Verlautbarung im Jahre 1986 gelang es den vier Linienhaltern, sich offiziell nur dreimal im Lauf der nächsten vier Jahre zu treffen. Ihre Treffen waren nicht nur selten, sondern auch größtenteils erfolglos. Diese Beratungen, die manchmal in Fünf-Sterne-Hotels stattfanden, schienen nicht bis zum Kern des Problems vorzustoßen. Das Treffen von Neu Delhi im März 1990 war typisch. Obwohl eine einstimmige Mitteilung an den Karmapa Trust veröffentlicht wurde, wagten die Linienhalter nicht mehr als eine historische Beurteilung der Aussagen, die die Inkarnationen Karmapas bezeugten. Sowohl eine Sammlung schriftlicher Anweisungen, als auch die Taten einer Reinkarnation waren zwei notwendige Bestandteile, um die Authentizität des Prozesses zu gewährleisten. Es war zweifelsohne eine ausgereifte Beurteilung, die aber verdächtigerweise mit keinem Wort den Testamentsbrief erwähnte, der, wie man sich gut erinnern konnte, von den Rinpoches im Jahre 1986 gefunden worden war und dazu geführt hatte, daß die Rituale vollendet wurden.

*

Von 1990 an wurde der Druck, Karmapa zu präsentieren immer stärker und die Forderungen wurden immer unverschämter, während die Begegnungen der vier Linienhalter sogar noch seltener wurden. Gerüchte kursierten und eine wilde Theorie jagte die andere. Plötzlich erschien eine stattliche Anzahl schillernder Gruppen in der politischen Szene des Ostens. Sie alle wiederholten die gleiche, wohlbekannte Melodie: sofortige Anerkennung des 17. Karmapa. Neu war diesmal eine Liste von Anschuldigungen, die sich vor allem gegen den Generalsekretär, aber auch gegen Shamarpa richtete. Sie wurden bezichtigt, absichtlich den Prozeß der Anerkennung zu behindern. Topgala, einer der finanziellen Hauptunterstützer Rumteks, würde das Kloster um dessen Vermögen bringen und selber große Ambitionen hegen. In einer Verschwörung mit Shamarpa würde er einen bhutanesischen Prinzen als 17. Karmapa inthronisieren. Die Tiraden gegen die beiden schienen wohlüberlegt und eine Reihe von Veröffentlichungen und Appellen wurden an Klöster und Politiker im Osten verschickt. Mit jeder folgenden Welle wurden die zügellosen Beschimpfungen immer aggressiver, bis sich Shamarpa und Topgala unter völliger Belagerung und dauerndem Beschuß von aufgebrachten „Verteidigern“ von Karmapas Erbe befanden.

Charakteristischerweise hatten sich die „erbosten Bürger Tibets“ viel Lob für eine herausragende Persönlichkeit bewahrt: Situpa - der einzige unter den Linienhaltern, der schnelles Handeln befürwortete. Ein klares Muster in dieser hinterhältigen Kampagne wurde sichtbar. Und in diesem Muster unterschied sich Situpa, der zum Handeln bereit war und vorsätzlich agierte, von nahezu jedem anderen. Waren all die Forderungen und Anklagen nur ein spontaner, unverantwortlicher Ausbruch politisch erwachter Tibeter? Oder zog jemand heimlich im Hintergrund die Fäden? Dies war eine Frage, die niemand öffentlich zu stellen wagte. Jedenfalls nicht zu dieser Zeit.

Während die tibetischen Gerüchteküche brodelte, wurde klar, daß die vier Rinpoches wenig taten, um diese Gerüchte zu zerstreuen. Wenn man die Briefe liest, die sie sich in jenen Tagen schrieben, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Stolz die Oberhand über ihre Urteilskraft behielt. Die meisten Treffen fielen aus, weil sich die Eminenzen weder über Zeit noch Ort der Zusammenkünfte einigen konnten, und Situpa und Shamarpa unter keinen Umständen bereit waren, die Vorschläge des jeweils anderen zu akzeptieren. Situpa machte sich nicht die Mühe, zu einem Treffen zu erscheinen, das von Generalsekretär Topgala einberufen worden war, während Shamarpa, in typisch königlicher Manier, einfach seinen Widersacher ignorierte. Tatsache war, daß sich die Linie an ihrer Spitze gespalten hatte.

Der Versuch, Karmapas Herz nach der Verbrennungszeremonie an sich zu nehmen, die unglückselige Absicht, Shamarpa vor Gericht zu zerren und die jüngste Verleumdungskampagne waren alles Bestandteile eines bewußten Versuches, die Position des obersten Linienhalters zu schwächen. Wer war für solch ein Komplott verantwortlich? Künftige Ereignisse sollten auf die wichtigsten Drahtzieher hinweisen und das ganze Ausmaß der Verschwörung enthüllen. Zu dieser Zeit jedenfalls sah alles bloß nach einem Streit zwischen sturen Rinpoches aus. Shamarpa, mit jedem Zoll ein Gentleman, hatte keine Ahnung, daß der Boden unter seinen Füßen bereits brannte und hinter den Lügen und Streitereien eine viel schlimmere Intrige ausgeheckt wurde.

Die Empörung und provozierte Unruhe beschränkten sich bis dahin auf den Osten. Mit Ausnahme von Samye Ling in Schottland und Woodstock bei New York war das Vorgehen gegen den höchsten Linienhalter und den Generalsekretär hauptsächlich ein tibetisches Phänomen. Während die Leiter dieser beiden Zentren eine plötzliche und unerwartete Abneigung gegen Shamarpa und Topgala entwickelt hatten und pflichtbewußt das übelste Gerede verbreiteten, hatten die Leute in den von Lama Ole gegründeten Zentren wenig Ahnung und noch viel weniger Interesse an dieser Politik aus Asien. Hier standen die Praxis und der Nutzen in der modernen Welt auf der Tagesordnung. Die wenigen Gerüchte, die bis nach Europa gelangten, wurden für exotische Geschichten gehalten - würzige Zutaten in einem sonst perfekten Mahl. Alle Rinpoches galten noch immer als unfehlbar und heilig und das Hin und Her, das sich hinter den Kulissen abspielte, war den westlichen Schülern nicht bekannt.

Getreu Karmapas Worten hielten Hannah und Ole die Gruppen unter ihrer Leitung von Politik fern. Lama Ole lehnte das Gerede über eine Spaltung an der Spitze der Linie ab und betonte, daß sich Karmapa in einer traditionellen Weise manifestieren würde, wenn die Zeit reif dafür sei. Immer wieder gab er den Linienhaltern den Rat: „Es darf keine öffentliche Ankündigung geben, bevor das Kind sicher in Rumtek ist. Wir können nicht arbeiten, wenn wir den Atem der Chinesen im Nacken spüren.“ Falls sich Karmapa dazu entschlossen hätte, in Tibet wiedergeboren zu werden, schmiedete Ole einen Plan, um ihn so schnell wie möglich außerhalb Chinas Reichweite nach Indien zu bringen. Die Jahre des Schmuggelns über so manche Grenze waren also nicht vergebens gewesen und Oles Erfahrung auf diesem Gebiet konnte der Linie vielleicht bald dienlich sein. Hannah und Ole eröffneten Shamarpa ihren Plan und teilten ihre Sorge über eine verfrühte Ankündigung mit Jamgön Kongtrul und Gyaltsab Rinpoche. Alle drei Linienhalter verstanden die Wichtigkeit eines sicheren Resultats und waren sich darin einig, daß der erste Schritt sei, Karmapa in Freiheit zu bringen, außerhalb eines chinesisch kontrollierten Tibets.

Während Ole Gerüchte zurückwies und Gemüter besänftigte, kämpfte er in Wahrheit einen harten Kampf für die Einheit der Linie. Nach fast zwanzigjähriger Arbeit mit Tibetern hatte er wenig Illusionen über einige der „eher reizenden Züge“ im Charakter der Himalaya-Nation. Alle Lamas, die mit dem heimlichen Vorhaben in Europa ankamen, ihre eigene Organisation auf Kosten von Karmapas Zentren aufzubauen, wurden aufgefordert, nach Hause zurückzukehren. Die wenigen, die dennoch beharrlich blieben, landeten am Rande der ständig wachsenden europäischen Buddhisten-Szene oder bekamen Unterstützung, ihr Glück in Amerika zu versuchen. Und so blieb das Kagyü-Gebäude in Europa gefestigt und unter einem Dach vereint. Mit Ausnahme Frankreichs und Englands, Länder, in denen Lama Ole keine Verantwortung hatte, wurden aus besuchenden Mönchen und Lamas keine ansässigen Rinpoches.

So diszipliniert und praxisorientiert die europäischen Buddhisten auch waren, es kam schließlich doch die Zeit, als auch sie begannen, sich mit der brennenden Frage der nächsten Inkarnation zu befassen. Das hatte nur wenig mit den Verleumdungen und den massiven Interessenskonflikten zu tun, die den Osten erschütterten, aber nach zehn langen Jahren des Wartens wollten die Leute unbedingt damit beginnen, ihre eigene Strategien auszuhecken. Sogar Hannah wurde einmal das Opfer der andauernden Gerüchte. Im Jahre 1990, während einer von Oles alljährlichen Touren um die Welt, versuchte sie in Sydney einen Vogel als Geschenk für jemanden besonderes zu kaufen, von dem man annahm, daß er in Rumtek sei. Vermutlich hatte Shamarpa diese ungewöhnliche Idee aufgebracht. Hannah, die eine Vertraute Shamarpas war und auch für Jamgön Kongtrul und Gyaltsab Rinpoche übersetzte, war sich sicher, daß dies das erwartete Zeichen war. Da die Vorliebe des letzten Karmapas für Vögel bekannt war, brauchte der Rest der Gruppe nicht lange, um dahinter zu kommen, wer der Empfänger dieses einzigartigen Geschenkes sein könnte. Die australischen Quarantänegesetze sorgten jedoch dafür, daß Hannah mit leeren Händen in Rumtek ankam. Obendrein traf die Gruppe, statt des erhofften Karmapas, nur Jamgön Kongtrul, der nur wenig Neues über den Verbleib Karmapas zu berichten hatte.

Zu Beginn des Jahres 1992 wurde die allgemeine Atmosphäre, den 17. Karmapa betreffend, von immer größer werdenden Erwartungen geprägt. Zwei der Eminenzen, Jamgön Kongtrul und Gyaltsab Rinpoche, brachen ihr traditionelles Schweigen und deuten zurückhaltend an, daß möglicherweise eine Ankündigung bevorstehe. Die meisten Leute waren davon überzeugt, daß die langersehnte Bekanntmachung nur noch Monate oder gar nur Wochen auf sich warten lassen würde. Während sich die Stimmung dem Siedepunkt näherte, hatten nur wenige im Westen eine Ahnung von den Schlägen, die hinter den Kulissen ausgeteilt wurden. Schüler planten eifrig ihre Reise nach Rumtek und nahmen sehnsüchtig jeden Hinweis auf, der ihren Wunsch bestärkte. Tausende Westler, die Karmapas Segen durch Lama Ole kennengelernt hatten, waren bereit, nach dem großen Augenblick in ihrem buddhistischen Leben zu greifen.

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