Kitabı oku: «Rüpel in Roben», sayfa 4

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Hier folgte der Auftritt Damcho Yongdus, des kampflustigen alten Generalsekretärs von Rumtek. Der plötzliche Aufstieg Situpas zum Wächter von Karmapas Herz, war offensichtlich für ihn genauso neu wie für den Rest der Versammlung. Unbeeindruckt von der voreingenommenen Version der Vorgänge bei der Verbrennungszeremonie und auch nicht in der Stimmung, diese ungewöhnliche Reliquie aus Rumtek entwischen zu lassen, erklärte Damcho Yongdu kühn, daß das Herz niemandem in die Hand geflogen sei und schon gar nicht in Situpas. Dann sammelte er seine Kräfte, um Sherab Lings Anspruch entgegenzutreten. Im Namen der Rumtek-Verwaltung versprach er - falls nötig - Gelder bereitzustellen, um einen eineinhalb Meter hohen goldenen Stupa zu errichten. Als Verwalter von Karmapas Sitz bestand er fest darauf, daß alle Gegenstände, die mit dem Wohlstand und dem künftigen Wohlergehen der Linie zu tun hätten, gemäß Karmapas Wunsch in Rumtek bleiben sollten. Ohne auf weitere Überraschungen zu warten, führte der alte Mann eine Prozession zu Situpas Zimmer und holte die Reliquie schnell aus dem Regal. Sein entschlossenes Handeln, klares Urteilen und sein entschiedenes Überbieten von Situpas Angebot retteten den Tag. Karmapas Herz durfte in Rumtek bleiben und auf den versprochenen goldenen Stupa warten, der es beherbergen sollte. Wie sich später herausstellen sollte, hielt Damcho Yongdu sein Versprechen. Heute beherrscht eine Stupa aus Gold, wenn auch nur dreißig Zentimeter hoch, Rumtek vom ersten Stock des Klosters aus.

Das Störende an der Sache war nicht so sehr das Tauziehen um Karmapas Herz. Das war angesichts der besonderen Bedeutung der Reliquie eher verständlich. Vielmehr war es die bewußte Verzerrung der Tatsachen durch einen ehrwürdigen Linienhalter. Situ Rinpoches Version der Ereignisse war bestenfalls eine vage und trübe Darstellung der Wahrheit und hatte klar den guten Willen und die Vorstellungskraft der Anwesenden bis an die Grenzen strapaziert. Wie Augenzeugen Jahre später berichteten, war der einzige Grund, warum das Herz in Situpas Hände gelangte, der, daß er es sich von der Seite des Stupa geschnappt und sich ungehindert damit davongemacht hatte.

Noch störender war die Tatsache, daß Situpas Anhänger es zuließen, daß dieser deutliche Betrug ungehindert weiterwuchs. Nach jahrelangen Kampagnen und Agitationen erlangte die Geschichte, wie Situpa prophetisch die Reliquie erhalten und weggetragen hatte, den Status eines heiligen Beweises, daß er nämlich der von Karmapa persönlich Auserwählte sei, um dessen nächste Inkarnation aufzufinden. Ein derartiger Bruch mit den Tatsachen schuf einen gefährlichen Präzedenzfall und bestimmte fortan den Ton für große Teile der Verständigung an der Spitze der Linie. Zu diesem Zeitpunkt jedoch wagte niemand, einen hohen Lama der Lüge zu bezichtigen. Das war - noch - nicht möglich.

Da es ihm nicht gelungen war, Karmapas Herz zu bekommen, bat Situ Rinpoche statt dessen um die Praxistexte Karmapas. Er argumentierte, daß sein Kloster einen besonderen Segen seines Lehrers brauche und solch ein Buch, das Karmapa jeden Tag gelesen hatte, sei genau das, wonach er gesucht habe. Diesmal war der alte Sekretär auf der Hut. Wie dem Autor dieses Buches Jahre später von Shamarpa in einem Interview enthüllt wurde, wehrte sich Damcho Yongdu sehr stark gegen Situpas neue Laune. „Rinpoche, gib ihm das Buch nicht“, sagte der Mann zu Shamarpa, „er wird damit einen falschen Vorhersagebrief über den nächsten Karmapa produzieren.“ Die Beschuldigung klang ziemlich übertrieben, wenn nicht sogar total verrückt. Dennoch kam Tai Situ mit seinen Bemühungen nicht weiter und mußte schließlich Rumtek mit leeren Händen verlassen. Karmapas Eigentum blieb an seinem Sitz.

Wie wenn sie einer inneren Stimme folgten, begannen gleich nach der Konferenz eine Anzahl unzufriedener Diener, Situpa in den Ohren zu liegen. „Shamarpa hat so ein verschlagenes Spiel mit dir während der Konferenz gespielt“, flüsterten sie. „Er hat dich schwer betrogen! Shamar Rinpoche ist zu schnell für dich“, und so weiter. Sie schlugen einen neidischen Ton an und vergaßen dabei völlig, daß es niemand anderer als ihr eigener Meister war, der tatsächlich versucht hatte zu betrügen.

Es war nicht sofort klar, ob und wie weit Situpa solch entzweiendem Gerede Glauben schenkte, aber das weitgestreute Gerücht, Shamarpa hätte einen schmutzigen Trick mit ihm gespielt und ihn ganz leicht überlistet, muß am Ende in seinem Herzen Fuß gefaßt haben. Wie die bevorstehenden Ereignisse beweisen sollten, war der Samen für Streit gesät und von da an betraten die beiden Hauptschüler Karmapas, ob mit Absicht oder nicht, entgegengesetzte und bald verfeindete Wege.

KAPITEL 3

Die Spaltung

Die unmittelbar auf Karmapas Tod folgenden Monate und Jahre bescherten seinen Schülern ein Gefühl von Verlust und tiefstem Kummer. Gleichzeitig wurde der Abschied ihres Lehrers für einige im Westen zu einer großen Quelle für Energie und Selbstvertrauen. An der östlichen Front begannen jedoch einige Rinpoches, trotz des vorherrschenden Kummers, langsam und vorsichtig mit Rumtek zu brechen. Obwohl sie ihren Ruhm außerhalb Tibets Karmapa zu verdanken hatten, erwies sich die Sehnsucht nach ihrer alten Heimat als eine stärkere Kraft als Vernunft und Treue ihrem Lehrer gegenüber. Zurückblickend konnten sie sich noch gut daran erinnern, wie jeder hohe Tulku - der absolute Herr seines Klosters - seine Macht über benachbarte Täler ausweitete und oft unbestritten über ganze Gebiete des Landes herrschte. Ihre derzeitige Lage war nur noch ein Schatten des alten Glanzes. Sie gaben dem Verlangen nach, solche kleinen Königreiche zu neuem Leben zu erwecken und so schmiedeten die ausgewanderten Lamas Pläne für ihre eigene hierarchische Organisation im Exil. Dieses Vorhaben muß aus der verzweifelten Sehnsucht nach der alten Ordnung und der grundsätzlichen Verkennung der neuen Realität außerhalb Tibets entstanden sein.

Ob hoch oder niedrig, jung oder alt, die meisten tibetischen Lamas zeigten diese blinde Neigung, ihre alten Machtstrukturen in der neuen fremden Umgebung zu kopieren. Gleichzeitig zeigten sie einen unbezähmbaren Appetit auf Teile der Arbeit des jeweils anderen. Beispiel hierfür sind die krampfhaften Versuche mehrerer Kagyü-Lehrer, sich ein Stück von Karmapas Kuchen abzuschneiden, indem sie enthusiastisch vorgaben, in seinem Namen zu arbeiten. Das verdeutlichte auch der gelehrte Thrangu Rinpoche, der seine eigenen „Thrangu-Ling“-Gruppen in Hongkong und Malaysia aufbaute.

Nachdem sie, nach mehr als ein Dutzend Jahren der Arbeit mit Tibetern, kritisch geworden waren, begannen Hannah und Ole allmählich, sich sowohl gegen diese Wiederbelebung traditioneller Sitten und Politik des Himalaya, als auch gegen den Aufbau klösterlicher Gruppen in den neu gegründeten buddhistischen Zentren des Westens zu wehren. Sie stellten sich auch gegen all jene Leute, die versuchten, sich Karmapas Erbe zu bemächtigen. Die Einheit der Linie, frei von kulturellem und klösterlichem Ballast, war in Oles Augen der Schlüssel für eine glaubwürdige Aufnahme des Buddhismus in der westliche Gesellschaft. Jeder eventuell erfolgreiche Versuch, das alte Tibet zu importieren würde aus dem neu im Westen angekommenen Buddhismus eine exotische und unwichtige vorübergehende Laune machen.

In dieser wichtigen Aufgabe mußte sich das dänische Paar bereits 1977 von einem herausragenden Lehrer und dessen Organisation trennen - dem alten und überall respektierten Kalu Rinpoche. Ausgestattet mit einem eindrucksvoll trockenen Humor, starkem Willen und kraftvollem Charisma, war Kalu Rinpoche ein früher Zugang zum Westen gelungen. Auf Karmapas Bitte hin organisierten Hannah und Ole seine Programme und fuhren den patriarchalischen Lama und seine aus bhutanesischen und sikkimesischen Mönchen bestehende Begleitung anfangs und Mitte der siebziger Jahre durch Europa. Die Vision, der Kalu Rinpoche folgte, war jedoch die eines verbohrten Traditionalisten. Er konnte nicht einsehen, daß sich die westliche Gesellschaft grundsätzlich von seiner Heimat Tibet unterschied und zwang den aufstrebenden Buddhisten unbeirrt einen harten klösterlichen Stil auf. Alle seine asiatischen Mönche, ob sie nun qualifiziert waren oder nicht, wurden schnell zu ortsansässigen Lamas befördert, alle seinen nahen Schüler wurden gleich in Roben gekleidet und alle seinen Zentren nahmen in Kürze die heilige und erstickende Atmosphäre einer Kirche an.

Heute jedoch, während des Schreibens dieses Buches, wirkt Kalu Rinpoches kompromißloses Bestehen auf klösterliche Gelübde und sein stures Beharren auf dem Zölibat ziemlich hohl, wenn nicht sogar völlig unehrlich. Im Herbst 1996 schockierte June Campbell, eine ehemalige Übersetzerin und nahe westliche Schülerin des ehrenwerten Lamas, die buddhistische Gemeinde im Osten wie auch im Westen. Sie offenbarte, daß sie in all den Jahren, in denen sie als Mitglied seiner Begleitmannschaft gereist war, Rinpoches Geliebte gewesen war. In ihrem Buch “Traveller in Space” (*FN: „Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen“) zeichnet sie ein sehr kritisches Bild vom klösterlichen System Tibets und erklärt, daß sie sich heute von dem berühmten Lama sexuell ausgebeutet und getäuscht fühle. Wahrscheinlich ist sie nicht die einzige. Nach ihrer Enthüllung dürfte sich wohl eine ganze Menge von Kalus Schülern, wenn auch nicht sexuell mißbraucht, so doch zumindest von ihrem alten Lehrer betrogen fühlen. Es ist natürlich überhaupt nichts falsch daran, als Praktizierender des tibetischen Buddhismus Partner zu haben. Viele Lamas entschieden sich für eine Gefährtin und das hochentwickelte Zölibatsystem war nur ein notwendiges Übel, um den Strapazen und der Mühe eines Familienlebens in Tibet zu entgehen. Es war auf keinen Fall die absolut notwendige Voraussetzung für die Erleuchtung. Immerhin stellt die Vereinigung männlicher und weiblicher Aspekte die letztendliche Erkenntnis auf der höchsten, der Diamantwegsebene dar.

Hätte Kalu Rinpoche sich entschlossen, offen zu seiner Freundin zu stehen, wäre er ganz sicher ein ebenso anerkannter, wenn nicht sogar noch beliebterer Lehrer geblieben. Warum also errichtete er eine so irreführende Mauer um sein Privatleben? Unglücklicherweise bewirkt dieses Verhalten, daß er wie ein Heuchler aussieht und stellt ihn so auf dieselbe Stufe wie die Prediger, die eine Wahrheit predigen, aber einer anderen folgen. Viele bezeichneten Campbells Anschuldigungen als bloße Dichtung von jemandem, der gierig darauf war, auf Kosten eines verstorbenen Lamas zu Ruhm gelangen. Diejenigen, die Rinpoche durch Europa fuhren und Campbell unter ihrem tibetisch-buddhistischen Namen Yeshe Khandro kannten, sind jedoch geneigt, ihrer Geschichte Glauben zu schenken. Damals wirkte sie absolut aufrichtig und todernst - am Rande der Langeweile - ihrer Arbeit völlig ergeben und vollkommen unfähig, auch nur einen unschuldigen Witz zu machen - geschweige denn, eine Intrige solchen Ausmaßes anzuzetteln. Sie war mit Sicherheit kein Mädchen, das einer Lüge fähig war!

Damals in den Achtzigern verkörperte Kalu Rinpoche noch das Bild heiliger Tugend und Enthaltsamkeit. Seinen Lamas aus dem Osten und seinen zumeist französischen und amerikanischen Anhängern, die versuchten sein Vorbild nachzuahmen, obwohl es ihnen sowohl an Charisma als auch an meditativen Fähigkeiten und Einsicht fehlte, gelang es mit großem Erfolg, jegliche Vorstellung zu vernichten, daß Buddhismus in Wahrheit ein freudvolles System ist. Statt dessen schufen sie ein Netzwerk von steifen, humorlosen und traditionellen Zentren. Rinpoches beeindruckende Persönlichkeit hauchte seiner leblosen Organisation ein wenig Energie ein und frischte die vorherrschende fromme und dumpfe Laune etwas auf. Das Image wurde jedoch durch sexuelle Skandale ziemlich getrübt, in die damals seine asiatischen Mönche erst in Frankreich und später in Vancouver, San Francisco und New York verwickelt waren. Das Erbe, das er hinterließ, stand in starkem Kontrast zu seiner Verwirklichung, denn es wirkte staubig und uninspirierend und blieb ohne jede Verbindung zur modernen Zeit. Wenn der Buddhismus jemals die westliche Kultur beeinflussen sollte, so würde dies sicher nicht den klösterlichen und völlig tibetisch orientierten Gruppen, die Kalu Rinpoches Namen trugen, gelingen.

*

1982 starb Damcho Yongdu, der Generalsekretär von Rumtek. Er war eine schillernde Persönlichkeit und die Verkörperung der alten Ordnung. Sein autokratischer Stil und sein stürmisches Temperament verschafften ihm selbst bei den härtesten und konservativsten Khampas nur wenig Anhänger. Während Karmapas Abwesenheit gab es unter den Kagyüs nur wenige, die besser dafür gerüstet waren, die Schule in Einklang mit den Anforderungen des 20. Jahrhunderts zu bringen als Topga Yulgyal, ein Meister der Meditation, der seine Fähigkeiten noch in Tsurphu erlangt hatte. Er war 1968 von Karmapa zum nächsten Generalsekretär ernannt worden, hatte bereits den bitteren Beigeschmack eines öffentlichen Amt gekostet und übernahm nach dem Tod Damcho Yongdus formal dessen Geschäfte.

Die Zustände die dieser in Rumtek hinterlassen hatte, grenzten an Chaos. Damcho Yongdu war niemandem Rechenschaft schuldig gewesen, hatte absolute Macht ausgeübt und wie ein König geherrscht, der er ja auch war. Er kümmerte sich wenig um die Meinung seiner Mitarbeiter und noch viel weniger um jene von Karmapas Anhängern. Ein zeitgemäßer Führungsstil, der eine strenge Kontrolle der ausübenden Amtsgewalt beinhaltet, war für seine mittelalterliche Denkweise eine fremde Vorstellung. Da er eine Abneigung gegen öffentliche Aufzeichnungen hegte, vermied er auch nur die geringsten Art von Buchführung und hielt alle finanziellen Angelegenheiten von den Augen der Förderer des Klosters fern. Als das Nachfolgeteam an die Familie des ehemaligen Generalsekretärs herantrat, um die Vermögenswerte Rumteks zu übernehmen und die Finanzberichte zu überprüfen, kam es zu einem riesigen Skandal. Von seinen Helfern flankiert, zeigte sich Topga Yulgyal an der Tür des imposanten Hauses seines Vorgängers in der Absicht, die Kontrolle über den Schatz zu übernehmen. Das neue Team war gespannt darauf, einen Blick auf Karmapas Mittel zu werfen, die der verstorbene Sekretär bis dahin alleine verwaltet hatte. Rumtek war im Laufe der Jahre zu einer umfangreichen Institution gewachsen und brauchte jeden Tag eine ziemliche Menge Bares, um über Wasser gehalten zu werden. Die gegenwärtige Verwaltung hatte keine Zeit zu verlieren - das Geld war unentbehrlich.

Nach zehn Minuten langen Wartens tauchte endlich die Witwe des verstorbenen Sekretärs aus dem Haus auf und übergab feierlich eine kleine aber teuer aussehende Schatulle. Als weitere Minuten verstrichen waren und es offensichtlich wurde, daß diesem bedeutenden Gegenstand nichts mehr folgen würde, wagten die neuen Verwalter einen Blick in die Schatulle und entdeckten zu ihrer völligen Überraschung die “atemberaubende” Summe von 30.000 indischen Rupien. (*FN: In diesen Tagen ca. US$ 2000.- ) Die Situation grenzte an Absurdität. Das sei alles was es gäbe, behaupteten die ehrenwerten Verwandten. Nicht eine einzige Rupie mehr. Ansonsten wären die Truhen leer. Damcho Yongdus Witwe heuchelte Unwissenheit und Unverständnis. In keiner Weise überzeugt starrten die geschockten Verwalter auf die Handvoll Banknoten und erkannten plötzlich, daß sich Rumtek am Rande des Bankrotts befand. Mit diesen Reserven von rund 30.000 Rupien und einer kleinen Schatulle konnten sie den Klosterbetrieb vielleicht noch für einige Stunden weiter aufrecht erhalten. Das große Projekt in Delhi, das gerade begonnen worden war, benötigte auch eine ernstzunehmende Finanzspritze. Riesige Rechnungen türmten sich auf. Und zu allem Überfluß drohte die Indische Regierung, sowohl Karmapas Besitz in Delhi als auch jenen in Sikkim zu besteuern. Ausgerechnet in dieser schwierigen Situation schienen sich die finanziellen Mittel Seiner Heiligkeit in Luft aufgelöst zu haben. Nicht in der Absicht seinen Vorgänger zu beschuldigen er hätte den Schatz geplündert, begann der neue Sekretär dennoch Nachforschungen nach dem verschwundenen Kapital zu machen. In seinem Bemühen, Karmapa zu dienen, hatte der alte Mann wohl sein privates Geld mit dem öffentlichen vermischt, unglücklicherweise zum schmerzvollen Nachteil des letzteren. Somit wurden der junge Pönlop Rinpoche, Damcho Yongdus Sohn, und die ganze Familie zum Gegenstand einer öffentlichen Untersuchung.

Mit der Absicht, eines Tages alle praktischen Angelegenheiten, die das Funktionieren der Linie betrafen, in die Hand einer gemeinnützigen Organisation zu legen, hatte der 16. Karmapa 1961 den Karmapa Charitable Trust gegründet. Dieser Verein war in Indien registriert worden und sollte ganz nach indischem Recht arbeiten. Von Karmapas Tod an bis zu dem Zeitpunkt, da seine 17. Inkarnation das 21. Lebensjahr erreicht haben würde, war der Karmapa Charitable Trust automatisch zur höchsten legalen Autorität geworden, die die Linie vertrat, genau so, wie es im Vertrag des Trusts besonders angeführt war. Es gab jedoch in Sikkim nur wenige, die sich an die Existenz dieses Trusts erinnerten. Nach dem Tod Seiner Heiligkeit wurde Rumtek mit der alter Laschheit und Unklarheit des alten Tibet weitergeführt. Karmapas überwachende Stiftung blieb eine noble Absicht auf dem Papier.

Jetzt, da der alte Sekretär nicht mehr da war und die Finanzkrise sich sowohl in Rumtek als auch in Delhi abzeichnete, erinnerte sich die neue Verwaltung plötzlich an den ruhenden Trust. Die gemeinnützige Organisation zum Leben zu erwecken würde die Linie vor der bevorstehenden Steuerzahlung an den indischen Staat befreien und sie ebenfalls vor einem neuerlichen Betrug schützen. Rumtek konnte nicht länger wie ein privates Herrschaftsgebiet verwaltet werden, wo die Vernachlässigung von offiziellen Aufzeichnungen und die Geringschätzung einer überwachenden Einrichtung die Norm waren. Die Finanzpolitik mußte an die modernen Richtlinien zur Leitung von wohltätigen Einrichtungen angeglichen werden. Um diese Regeln zu erfüllen, mußten die neuen Verwalter für jede ausgegebene Rupie Rechenschaft ablegen. So brachte das plötzliche Verschwinden der Finanzmittel Rumtek nicht nur an den Rand der Zahlungsunfähigkeit, es drohte auch eine Kraftprobe mit den indischen Bürokraten.

Topgas Untersuchung dessen, was verdächtig nach Betrug aussah und sein Bemühen, die verlorenen Finanzmittel zurückzubekommen, gefielen der Familie des verstorbenen Sekretärs nicht sonderlich. Es war nicht ganz klar, ob die mächtigen Verwandten nur den guten Ruf des Verstorbenen schützen wollten, oder ob sie obendrein auch das fehlende Vermögen versteckt hielten. Auf jeden Fall behinderten sie gleich von Beginn an die Untersuchungen und standen der Idee, Karmapas Geld zu retten, völlig feindselig gegenüber. Bald, nachdem Topga Rinpoche seine Untersuchung begonnen hatte, verschwand die Witwe, die Führerin des Familienclans, komplett von der Bildfläche. Als sie unerwartet in Woodstock, Karmapas Zentrum nördlich von New York, verheiratet mit ihrem alten Freund und Liebhaber Tenzin Chonyi wieder auftauchte, mußte die Untersuchung gegen ihre Verwandten eingestellt werden. Karmapas Vermögen war nirgends zu finden. Die mächtige Familie jedoch wollte Topgala dessen unerbittliche Haltung nicht verzeihen. Der neue Sekretär wurde zu ihrem Todfeind und sein guter Name von da an sowohl in Asien als auch in Amerika durch den Dreck gezogen.

In der Zwischenzeit wurde Topgalas Beharren, die Besitztümer Seiner Heiligkeit nach den neuen Richtlinien zu verwalten, zur Ketzerei erklärt. Auch sein standhaftes Eintreten gegen die übliche Praxis, Tulku-Titel gegen politische Loyalität einzutauschen, brachte ihm seitens der herrschenden Kräfte in Sikkim nur wenig Sympathie. Auslöser war seine Weigerung, den neuen Gyaton Tulku in Rumtek aufzunehmen. Der alte Gyaton war wegen seines erbitterten Widerstands gegen Karmapas Anwesenheit in Sikkim berüchtigt gewesen. Solches Benehmen war gleichermaßen unverständlich wie undankbar, nicht zuletzt, weil Karmapa selbst Gyaton 1954 zu einem bequemen Posten in Gangtok - der Hauptstadt Sikkims - verholfen hatte. Als er dem Tod näher kam, mußte der alte Lama wohl erkannt haben, daß er sich in seinem Leben schwer geirrt hatte, und so erklärte er, bevor er 1969 starb, der Letzte der Gyatons zu sein. In Zukunft würde es keine Gyaton-Inkarnationen mehr geben. Einige Zeit nach seinem Tod traten Gyatons Diener mit der Bitte an Karmapa heran, er möge schauen, ob ihr Meister nicht doch vielleicht irgendwo wiedergeboren worden sei. Karmapas Antwort war eindeutig: „Gyaton Tulku ist nicht wiedergeboren. Es gibt niemanden zu erkennen.” 15 Jahre später, im Jahre 1983, lieferte Situ Rinpoche seinen Beitrag zur Geschichte der Gyatons. Ohne irgendeine Ankündigung und ungeachtet der Zeit, die vergangen war, stellte er auf einmal den neuen Gyaton der sikkimesischen Öffentlichkeit vor. Der junge Tulku war zufällig ein Abkömmling der Martangs, einer bekannten örtlichen Familie, die bis zu diesem Zeitpunkt starke Unterstützer des 16. Karmapa gewesen waren.

Da er kein Mann der faulen Kompromisse war, wollte Topga Yulgyal nicht in etwas hineingezogen werden, was nach Betrug roch und so blieben die Türen Rumteks für diese zweifelhafte Inkarnation verschlossen. Tief getroffen wandten sich die mächtigen Martangs von Karmapas Hauptsitz ab und verwandelten sich von überzeugten Fürsprechern zu grollenden Feinden Rumteks. Tai Situ wurde der neue Lama der Wahl. Unglücklicherweise verminderte sich mit der Zeit weder der Groll der Familie gegen Rumtek noch die leidenschaftliche Verehrung Situ Rinpoches. In den folgenden Jahren versuchten die Martangs, wenn auch erfolglos, sich in die Angelegenheiten Rumteks einzumischen und der Kagyü-Hierarchie ihren Tulku-Sohn und Emporkömmling aufzuzwingen. Im Jahre 1993, als Krönung ihrer zehn Jahre dauernden Opposition gegen Karmapas Sitz, waren sie Situ Rinpoche behilflich, Rumtek zu übernehmen. Der alte Groll und die Gefälligkeiten durch das Hintertürchen waren nicht in Vergessenheit geraten.

Bereits 1983 hatten andere konservative Kagyü-Clans, die unter keinen Umständen bereit waren, zugunsten moderner Werte wie Transparenz und Verantwortung auf ihre Privilegien zu verzichten, beschlossen, gegen den Generalsekretär vorzugehen. Deswegen wurde der neue Leiter Rumteks genau bei den Leuten äußerst unpopulär, die am meisten von den alten, undurchsichtigen Vorgangsweisen profitiert hatten.

*

Topga Rinpoche wurde von allen Seiten bedrängt und mußte in einer feindseligen Umgebung agieren, er sollte aber bald einen verläßlichen Verbündeten finden.

Beim großen Kagyü-Treffen nach Karmapas Verbrennung im Jahre 1981 schlug der alte Generalsekretär vor, daß die zwei bedeutendsten Schüler Karmapas, Künzig Shamarpa und Tai Situpa, sowie Jamgön Kongtrul und Goshir Gyaltsab, während Karmapas Abwesenheit zusammen an der Spitze der Linie stehen sollten. Jeder sollte für eine dreijährige Periode die Verantwortung übernehmen und Shamarpa sollte der erste sein. Die vier Linienhalter - wie man sie mittlerweile allgemein nannte - wurden ebenfalls gemeinsam mit der Aufgabe betraut, die 17. Inkarnation Karmapas aufzufinden. Vom historischen Standpunkt aus betrachtet war dieser Plan eine völlige Neuheit. Eine Gruppenherrschaft hatte es noch nie in der Kagyü-Tradition gegeben. Genauso neu und ungewöhnlich war, daß eine vierköpfige Gruppe damit beauftragt wurden, sich um die Anerkennung des 17. Karmapa zu kümmern. Wie auch immer, die Rinpoches akzeptierten den Vorschlag.

Es entstand jedoch der Eindruck, daß dieses Abkommen nicht den Ehrgeiz von allen befriedigte. Shamarpas wiedererlangte Bekanntheit war geradewegs eine Herausforderung der Personen um Situ und Gyaltsab Rinpoche, die nicht im mindesten gewillt waren, ihre Macht mit einem “Neuling” zu teilen. Seit Karmapas Tod hatten aufgebrachte Machtsuchende immer wieder versucht, dem obersten Linienhalter den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Der krampfhafte Versuch, Karmapas Herz von Rumtek zu entfernen, war nur das erste Beispiel einer Reihe von Versuchen, Shamarpas Position zu untergraben.

Im Sommer 1983 willigte Kalu Rinpoche ein, die Rinchen-Terdzö-Einweihung, eine Übertragung der höchsten Belehrungen Guru Rinpoches (*FN: Indischer Meister, der den Buddhismus nach Tibet brachte), zu geben. Einweihungen dienten als eine einzigartige Methode, um die Kontinuität der Belehrungen in Tibet zu bewahren. Es ist eine Zeremonie, in der der Schüler mit einem bestimmten Buddha-Aspekt vertraut gemacht wird. Ein verwirklichter Meister gab sie an strebsame Schüler weiter, die dann zu Haltern dieser Praxis wurden und somit die Möglichkeit hatten, sie eines Tages voll zu entwickeln und sie an andere weiterzugeben. Das soll aber nicht heißen, daß die Massen, die einen Klosterhof bevölkerten um eine Einweihung zu erhalten, alle ernsthafte Praktizierende waren, die nur darauf warteten, ein spirituelles Ziel zu verwirklichen. Der allgemeine Tibeter kämpfte zwar am Ende jeder Zeremonie hart um einen Segen des Lamas, weiter reichte seine religiöse Begeisterung bei solchen Anlässen aber nicht.

Da in den alten Tagen einige sehr beliebte Einweihungen leicht die Menge von mehreren tausend Menschen anziehen konnten, war es nicht ungewöhnlich, daß ein Kloster seinen Hauptlama dazu ermutigte, die heiß begehrte Einweihung zu erhalten, um sie dann später selbst zu vollziehen. Immerhin war schon ein Heer von ein paar hundert Pilgern eine gute Einnahmequelle für ein Kloster. Solche praktischen Schlußfolgerungen gingen nicht völlig verloren, als sich die Tibeter auf indischem Boden niederließen. Das Leben der Flüchtlinge brachte neue, unbekannte Plagen mit sich und oft verließ sich eine Gruppe verzweifelter Mönche, versetzt in eine feindliche Umgebung, einzig und allein auf das spirituellen Können ihres Meister um zu überleben.

1983, fast 25 Jahre nach ihrer Flucht aus Tibet, war das bloße Überleben für die meisten Tibeter kein Thema mehr. Nachdem kurz zuvor reiche Geldgeber aus dem chinesischen Südostasien die Szene betreten hatten, witterten die hohen Rinpoches und ihr Troß plötzlich großen Wohlstand. Als dann die reichen chinesischen Anhänger eine Vorliebe für kunstvolle Einweihungen zeigten, war es nicht verwunderlich, daß eine Reihe von Lamas und ihre einfallsreichen Helfer ihren Weg verließen, um solche Neigungen zu befriedigen. Eine Einweihung tauchte wieder als eine heiße Ware auf, die Einfluß kaufen und Wohlstand bringen konnte.

Entschlossen, die Augen der jungen Tulkus für diese praktische Realität zu öffnen, rief Lama Paljur, der aus Palpung in Osttibet stammte, Shamar, Jamgön und Gyaltsab Rinpoche zu sich und gab ihnen eine Kostprobe dessen, was er unter traditioneller Guru-Weisheit verstand. “Ihr solltet an die Zukunft denken“, begann er gönnerhaft zu den Rinpoches. “Bald werdet ihr Geldmittel brauchen, um eure Klöster zu unterhalten“, führte er vernünftig aus. “Ihr solltet um die beliebten Einweihungen bitten und sie lernen. Bedenkt, daß Tausende kommen würden, wenn ihr, die hohen Tulkus, eure Einweihungen bekommt. Alle diese Leute, die ganze Masse, würden eure Schüler werden”, lockte Paljur seine Zuhörer. “Kalu Rinpoche ist ein großer Meister. Ihr solltet ihn um die Rinchen Terdzö-Einweihung bitten, eine der Einweihungen mit größter Nachfrage“, faßte der Lama seine Argumente zusammen.

Noch heute erinnert sich Shamarpa daran, mit welch ungewöhnlicher Leidenschaft die anderen beiden Linienhalter Paljurs Worte aufnahmen. Ohne zu zögern, baten sie Kalu Rinpoche, die wertvolle Rinchen Terdzö-Einweihung zu geben und, als dieser einwilligte, versetzten sie die örtliche Kagyü-Welt in energische Vorbereitungen. Shamarpa selbst stand dieser Idee gleichgültig gegenüber. Einerseits war er von große religiöse Zeremonien nicht besonders begeistert und versuchte, seine Pflichten auf eine eher zwanglose Weise zu erfüllen. Andererseits konnte er den Gedanken nicht loswerden, daß die Motivation seiner Kollegen hinter einer Bitte dieser Art doch eher zweifelhaft war. Eine Weigerung an der Feier teilzunehmen, wäre jedoch eine Beleidigung des alten Kalu gewesen, und so schloß er sich den anderen widerwillig an und bereitete sich auf sechs Monate langatmiger Zeremonien vor.

Shamarpas eher lauwarme Billigung der Bemühungen seiner beiden Kollegen blieb nicht unbemerkt. Auch begannen die Jahre gehässigen Geredes, das aus den Kreisen um die hohen Lamas kam, ihre unerwünschten Früchte zu tragen. Es schien, als ob die drei Rinpoches letztendlich doch dem negativen Gerede Gehör geschenkt hätten und nun selbst über die Idee nachdachten, Shamarpa von der Spitze der neu gegründeten Gruppenherrschaft zu entfernen. Zufällig mußten sie gar nicht lange planen.

Beweise über einen schweren Betrug, in den Shamarpa angeblich verwickelt war, fielen ihnen unerwartet in die Hände. Es war eine einzigartige Gelegenheit, die Linie von einen Manipulator zu befreien, der nach zweihundertjähriger Verbannung wieder aufgetaucht war. Die drei Linienhalter rechneten wohl damit, daß sie Shamarpa damit bald loswerden würden.

Lea Terhune - ehemalige Buchhalterin in Rumtek und heutige Ratgeberin und rechte Hand Situ Rinpoches im Westen - war vom neuen Generalsekretär wegen ihrer Herumschnüffelei von Karmapas Hauptsitz entlassen worden. Während sie noch in Rumtek war, hatte sie einen großen Teil ihrer Zeit damit verbracht, sich durch die Archive des Klosters zu pflügen. Ihre Sorgfalt schien sich bezahlt gemacht zu haben, als sie dachte, es wäre ihr gelungen, eine Reihe von Dokumenten auszugraben, die ein Fehlverhalten Shamarpas bewiesen. Begierig, Situ Rinpoche, ihrem neuen Wohltäter, einen Gefallen zu erweisen und immer noch sauer wegen ihres unrühmlichen Abgangs von Rumtek, verkündete Frau Terhune, daß Karmapas Landbesitz für das Institut in New Delhi das Ziel von Shamarpas unstillbarer Gier geworden sei. Der oberste Linienhalter, behauptete sie, sei hinter Karmapas Besitz her. Situ Rinpoche wurde ein Stoß von Dokumenten angeboten, die angeblich beweisen sollten, daß Shamar Tulku den Besitz von Karmapa auf seinen eigenen Namen übertragen lassen wollte.

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