Kitabı oku: «Mara und der Feuerbringer», sayfa 3

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Kapitel 4


Sie wollten gerade die Straße überqueren, als Mara den Professor packte und mit einem Aufschrei zur Seite stieß. Im selben Moment raste ein dunkler Sportwagen mit hohem Tempo an ihnen vorbei und bremste so scharf auf dem kleinen Parkplatz, dass sich das Auto ein Stück weit um die eigene Achse drehte. Mara und der Professor hoben die Hände, um sich vor den spritzenden Kieselsteinen zu schützen.

Der Professor wollte gerade losschimpfen, als der Fahrer auch schon ausgestiegen war. Das einzig Auffällige an ihm war seine Unauffälligkeit. Der Mann war durchschnittlich groß, eher schlank, dunkelhaarig und trug Jeans mit einem dezent gestreiften Hemd über der Hose. Doch dann begann er zu sprechen und Mara war sofort klar, dass er alles andere als gewöhnlich war.

»Oh, bitte verzeihen Sie untertänigst dieses Fernsehkrimi-Bremsmanöver, aber es geht hier nach der Kurve direkt auf den Parkplatz und ich war in etwa so erschrocken wie Sie. Ihnen ist doch nichts passiert, nehme ich an?«

Schöne Stimme, dachte Mara. Und irgendwie will ich ihm gar nicht böse sein. Komisch, damit hab ich sonst nie Probleme …

Professor Weissinger schien allerdings weniger besänftigt und winkte mürrisch ab. »Alles in Ordnung, danke der Nachfrage. Aber vielleicht beachten Sie beim nächsten Mal einfach die Geschwindigkeitsbegrenzung, denn wer langsamer fährt, muss auch weniger scharf bremsen.«

»Ein guter Tipp, verblüffend in seiner Einfachheit.« Der Mann lächelte charmant über das Dach seines Autos herüber. »Aber bitte haben Sie doch ein wenig Verständnis. Dieser Wagen verführt einfach zum Rasen.« Er seufzte bewusst theatralisch und lächelte.

Erschrocken bemerkte Mara, dass sie zurücklächelte.

»Nein, dafür habe ich kein Verständnis«, antwortete Professor Weissinger. »Das Einzige, was mein Auto mit Rasen gemeinsam hat, ist die Geschwindigkeit eines ebensolchen Mähers und ich bin trotzdem immer pünktlich. Guten Tag.«

Damit drehte er sich weg und erwartete wohl, dass Mara ihm folgen würde. Das wollte sie eigentlich auch, aber etwas hielt sie davon ab. Während der Mann sich achselzuckend abwendete, um nun zwei große Taschen vom engen Rücksitz des Sportwagens zu fischen, musterte Mara das Auto genauer. Warum hatte sie das seltsame Gefühl, von dort angestarrt zu werden? Ganz offensichtlich war der Mann allein gekommen. Der Beifahrersitz war leer. Und doch … Fast war sie versucht, ihre Barriere fallen zu lassen, um mit dem Sinn einer Spákona das Auto abzusuchen. Sie entschied sich dagegen, denn schließlich wollte sie nicht vor dem Typen hier auf dem Parkplatz zusammenklappen wie vorhin.

»Mara?«, rief der Professor von der anderen Straßenseite herüber. »Wer wollte denn jetzt spazieren gehen?«

Widerwillig wendete sich Mara von dem Auto ab und folgte dem Professor über die Straße. Komisch …

»Haben Sie in dem Auto noch jemanden gesehen?«, fragte Mara, als sie den Professor eingeholt hatte.

Dieser schüttelte den Kopf. »Nein, da war niemand drin außer einem viel zu großen Motor und einem ebensolchen Ego. Wo geht’s denn lang, Fräulein Seherin?«

»Da lang, über die Brücke und den Weg entlang«, antwortete Mara und lachte. »Sie mögen den Mann nicht?«

»Nein, ich mag den Mann nicht, aber was soll’s. Ich werde nie wieder etwas mit ihm zu tun haben.«

»Da wär’ ich mir nicht so sicher.«

Der Professor brauchte einen Moment, um eins und eins zusammenzuzählen, bevor er über die zwei erschrak. »Oh nein, bitte nicht!«

»Doch, doch, dieser Mann war Dr. Thurisaz. Und ja, ich bin mir sicher«, entgegnete Mara. »Tut mir leid.«

Der Blick des Professors wurde stumpf, er atmete einmal sehr tief ein und hielt die Luft an. Erstaunt stellte Mara fest, dass er für eine lange Zeit nicht ausatmete. Sie hatten bereits die Brücke überquert und waren ein ganzes Stück den Weg entlangspaziert, als sie ihn endlich aus- und gleich darauf wieder einatmen hörte.

»Wow, das war ganz schön lang.«

»Bayerischer Meister im Langstreckenschwimmen 1969 und Bronze bei der Deutschen Meisterschaft 1970. War damals so enttäuscht vom dritten Platz, dass ich damit aufgehört habe. Aber die Pferdelunge ist mir bis heute geblieben und ich nutze sie, um mich zu beruhigen«, sagte Professor Weissinger und schnaufte noch ein paar Mal. »Vermutlich werde ich diese Taktik in der nächsten Zeit noch ein paar Mal anwenden müssen. Wie weit ist es denn noch? Spürst du schon was? Mara? … Mara?!«

Mara hörte den Professor nur noch so gedämpft, als würde er durch eine Schaumstoffmatratze rufen. Wie auf Autopilot war sie weiter den Weg hinuntergetappt und stand nun an einem der wunderlichsten Plätze, die sie jemals gesehen hatte.

Direkt vor ihr plätscherten mehrere schmale Quellen kristallklaren Wassers direkt aus dem Berg und liefen spielerisch hinunter in eine sumpfige Landschaft voll mit sattem Gras und Schilf. Der Platz war umrankt von Bäumen, die aussahen, als würden sie nicht nur ihre Wurzeln, sondern am liebsten auch ihre Äste im Wasser versenken. Mara konnte es ihnen nicht verdenken. Allerdings war das nicht das Wunderlichste an diesem Ort. Viel wunderlicher waren die unzähligen bunten Fähnchen, Bänder und Zettelchen, mit denen die Äste der umliegenden Bäume dicht geschmückt waren. Als Mara den seltsamen Baumschmuck genauer musterte, entdeckte sie außerdem mehrere Babyschnuller und andere Gegenstände des täglichen Gebrauchs: Haargummis, eine Zahnbürste und die Reste eines Sabberlätzchens mit Winnie-Puuh-Aufdruck. Aber auch das war nicht das Wunderlichste.

Das Wunderlichste war dieses Gefühl, das Mara durch die Schuhe in den Füßen kribbelte, als würde ihr jemand mit einer Handbrause direkt auf die Fußsohlen duschen.

Mara hatte so viele spannende Empfindungen, dass es ihr schwerfiel, sich auf eine zu konzentrieren. Am stärksten war erst mal das Gefühl, durch die Fußsohlen mit Energie betankt zu werden. Aber gleichzeitig spürte sie auch den Professor durch den Boden, obwohl er sich mehrere Meter weit weg befand. Und sie fühlte ganz deutlich seine Bewegungen!

Verwundert fuhr sie sich mit der flachen Hand über die Augen, um zu überprüfen, dass die wirklich geschlossen waren. Waren sie – und es fühlte sich ja auch nicht an wie sehen. Eher wie eine Art Echo. Wenn der Professor sich bewegte, berührte er den Boden und verwirbelte die Luft. Die Blätter an den Bäumen spürten diese Veränderung am Wind, die Bäume gaben das Gefühl weiter an die Erde und die Erde an Mara.

»Sie haben gerade Ihren Arm ausgestreckt«, murmelte Mara und spürte, wie die Bewegungen des Professors einfroren.

»Jetzt lassen Sie ihn langsam sinken … Sie drehen sich zu mir … ein Schritt in meine Richtung … stopp … jetzt machen Sie gar nichts mehr außer atmen … und jetzt wollen Sie mich testen.«

»Woher willst du das wissen?«, tönte die sonore Stimme des Professors zu ihr herüber und es war ein verrücktes Gefühl, die Stimme über die Ohren zu hören und gleichzeitig über die Fußsohlen zu spüren.

»Weil Sie die Luft anhalten«, antwortete Mara und grinste.

»Haha, Mara Lorbeer, du überraschst mich wirklich immer wieder«, rief der Professor und sie fühlte, dass er nun weiter auf sie zukam.

Plötzlich musste sie lachen. »Auch das hab ich gemerkt!«

Der Professor hörte auf, auf einem Bein zu hopsen, und ging artig auf zweien weiter. Als er neben Mara stand, flüsterte er ihr schalkhaft zu: »Magst du mir vielleicht erklären, wie du das anstellst, oder gefällt dir der Gedanke, einen Herrn im besten Alter dumm herumstehen zu lassen wie einen falsch bestellten Kinderteller?«

Mara überlegte. »Ich … weiß nicht so genau, wie ich das erklären soll. Aber ich spüre durch den Boden alles, was Sie tun. Und zwar noch viel genauer, als wenn ich Sie anschauen würde. Ist total abgefahren …«

Einen Moment lang war es still im Wald und nur das Plätschern der Quellen war zu hören.

»Also gut, du weißt natürlich, dass du dich gerade anhörst wie ein wandelndes Kursangebot für die Wicca-Gruppe da drüben. Also spare ich mir jegliche Häme und will nur wissen, wie du …« Professor Weissinger stoppte mitten im Satz, als er Maras verblüfftes Gesicht sah.

Sie hatte die Augen geöffnet und starrte auf einen Punkt links neben dem Professor.

»Sehen Sie das auch?«, fragte Mara.

Er folgte ihrem Blick und sah nichts, was er nicht eben auch schon gesehen hatte. »Das kommt ganz darauf an, was du mit ›das‹ meinst«, sagte er und blickte Mara seltsam an.

Mara sah drei Frauen. Sie schwebten etwa zwei Handbreit über den Bergquellen und sahen zu Mara herüber. Die linke und die rechte Frau waren in eine Art Nonnenkleid aus strahlend hellem Weiß gekleidet. Die Mittlere trug das gleiche Kleid, aber nur die linke Seite war weiß. Die rechte Hälfte war so schwarz, dass Mara fast das Gefühl hatte, hineinzufallen.

Ainpet, sprach die Erste.

Gberpet, sprach die Zweite.

Firpet, sprach die Dritte.

Und kein Laut drang über ihre Lippen.

Was mach ich denn jetzt?, dachte Mara. Soll ich antworten?

Wünsche wir kennen, sprach die Erste.

Namen wir spüren, sprach die Zweite.

Gaben wir sehen, sprach die Dritte.

Und kein Wort klang über den Weg.

Die haben mir geantwortet!, rief Mara in sich hinein. Ich hab’s gedacht und die antworten mir! Moment, dann hören die ja jetzt auch, was ich gerade denke. Mann, ist das grad wieder verwirrend …

Flüsternd wendete sie sich an den Professor. »Also, da schweben drei Frauen über den … Ach, ich Depp.« Und mit diesen Worten legte Mara dem Professor ihre Hand auf die Schulter und schloss ihn in ihre Vision mit ein.

Es kostete sie weniger Mühe als ein Wimpernschlag und Mara war klar, dass das an der geheimnisvollen Kraft aus dem Boden lag.

Gleichzeitig hörte sie den Professor erstaunt einatmen und wusste, dass er nun das Gleiche sah und hörte wie sie. Sofort fühlte sie sich sicherer und konnte nun wieder etwas klarer denken.

Warum zeigt ihr euch mir?, fragte Mara die drei schwebenden Wesen.

Nicht zeigen wir uns, sprach die Erste.

Gesehen wir werden, sprach die Zweite.

Wenn Augen gegeben, sprach die Dritte.

Und leise flüsterte nur der Fluss.

Aber bevor Mara oder der Professor irgendwelche weiteren Fragen stammeln konnten, erhoben die Frauen ihre Stimmen. Dazu streckten sie ihre Arme aus und zeigten auf den gegenüberliegenden Berg oberhalb des Hotels. Dann sprachen sie synchron, wie eine einzige Frau mit drei Kehlen.

Wo Carolus nie ward gesehn,

neun mal neun Schritte sind zu gehn,

von wo der Nornen Schatz begraben,

such Völva in der Wala Namen.

Nutze, was dir ward gegeben,

wiege mit des Wassers Streben,

willfährig wird sich’s lenken lassen,

wem gelingt danach zu fassen.


Und mit dem letzten Satz waren die drei verschwunden, hinterließen nichts als leises Plätschern und das Rauschen des Waldes.

Kapitel 5


Der Professor blinzelte und sah sich um. »Kam es mir gerade nur so vor, oder …«

»Nein, ich hab’s auch gesehen«, sagte Mara. »Die Linke und die Rechte haben mir zugelächelt.« »Nur die Mittlere nicht«, vervollständigte der Professor ihren Satz.

»Ja, komisch, oder? Was das wohl zu bedeuten hat?«

Der Professor legte die Stirn in Falten, aber seine Augen blitzten geheimnisvoll. »Tja, das fragt sich der Laie sicher an mehreren Stellen in diesem wahrlich durchgeistigten Vortrag. Aber ich bin froh und, ehrlich gesagt, auch ein bisschen stolz, dass ich zum ersten Mal in unserer gemeinsamen Zeit direkt nach der Rätselstellung eine Menge Antworten parat habe. Ja, da bist du baff, nicht wahr? Um ehrlich zu sein, ich auch. Ha!« Und damit stapfte er einfach los zurück zum Hotel. Mara konnte nichts anderes tun, als hinterher zu tappen.

Der Professor war so stolz auf das, was er aus dem Auftritt der drei geheimnisvollen Frauen kombiniert hatte, dass er diesmal extralange wartete, bis er Mara davon erzählte. Mara war allerdings entschlossen, auf keinen Fall danach zu fragen. Dazu war sie viel zu stolz! Nein, Mara konnte warten und würde ihm sicher nicht den Gefallen tun, danach zu frggnn … »RAUSDAMIT!«

Der Professor blieb stehen und blickte auf seine Uhr. »Gratuliere, das waren fast acht Minuten. Ich hatte mit maximal zweieinhalb gerechnet. Das darf belohnt werden – und zwar mit Erleuchtung.« Er lehnte sich gegen einen Baum und blickte hinunter zum Flussbett, während er sprach: »Was wir gerade gesehen haben, waren die drei Beten oder auch die drei heiligen Jungfrauen. Sie lassen sich zurückführen auf den sogenannten Matronenkult des 1. bis 3. Jahrhunderts nach Christus. Und von dort noch weiter zurück mitten hinein in die …«

»Nordisch-germanische Mythologie?«, riet Mara und verkniff sich ein Augenrollen. Da sind wir also wieder.

»Exakt. Die drei Beten sind also das vorläufige Ende einer jahrtausendealten Verehrung dieser drei Frauenfiguren. Der uralte Kult ist trotz Christentum nie wirklich verschwunden, er hat sich nur immer wieder geschickt angepasst. Noch heute finden sich darum in vielen Kirchen die sogenannten drei heiligen Jungfrauen

»Wieso die sogenannten?«, fragte Mara dazwischen. »Sind die jetzt heilig oder nicht?«

Der Professor grinste. »Eine sehr kluge Frage, Mara, denn hier wird es seltsam. Keine dieser heiligen Jungfrauen wurde jemals in die offizielle kirchliche Heiligenliste aufgenommen. Und doch sind Gotteshäuser nach ihnen benannt, Bilder hängen in Kirchen, wie zum Beispiel in Sankt Alto zu Leutstetten gleich um die Ecke, Kerzen werden darunter angezündet und Menschen bitten dort um Hilfe.«

»In Kirchen?«, wollte Mara wissen. »Moment mal, das eben war doch keine Kirche, sondern …«

»… sondern eine Quelle, richtig. Die Quelle der Würm, um genau zu sein. Und hier schließt sich der Kreis zu unseren alten Naturgottheiten, Mara Lorbeer, denn die Germanen und auch die Kelten beteten nicht in Kirchen oder Tempeln, sondern an besonderen Stellen mitten in der Natur! Und mal abgesehen davon, dass keine Wände drum rum sind – wenn das da oben kein Ort des Betens und der inneren Einkehr ist, was dann?«

Mara nickte. Vermutlich gab es sogar Kirchen, in denen weniger los war als dort oben an den Quellen.

»Die Fähnchen, Bändchen und all das Zeug, das sind also alles … Opfergaben? Von Leuten von heute? Für diese … diesen jahrtausendealten Kult von den drei Frauen?«

»Ganz genau. Dies ist schon seit ewigen Zeiten ein heiliger Ort und ich glaube sogar, dass die Quelle und der steile Hang die einzigen Gründe sind, warum da noch keiner eine Kirche drüber gezimmert hat. Denn eigentlich haben sich die Christen gerne solche Heiligtümer als Bauort für ihre Gotteshäuser ausgesucht.«

»Echt jetzt? Wo denn zum Beispiel?«

»Na, zum Beispiel das Bonner Münster. Direkt unter dieser Kirche fand man gleich mehrere Bildsteine mit den drei Matronen darauf. Ach, und in Weyer hat man den Altar damals direkt auf einen umgedrehten Matronenstein gestellt. Die drei Damen starrten also jahrhundertelang in den Boden hinein, während oben die Priester auf ihnen herumspazierten. Witzig, oder?«

»Geht so, und was wollten die jetzt von mir?«, fragte Mara und legte die Stirn in Falten.

Die Stimme des Professors bebte aufgeregt. »Sie wollten dir einen Tipp geben, Mara Lorbeer. Du hast doch gehört, was sie am Ende gesungen haben, oder?«

»Na ja, irgendwas mit … Caruso?«

Der Professor lachte. »Nicht Caruso, Mara, sondern Carolus. Damit ist Karl der Große gemeint. Ich hab dir doch gesagt, dass da oben die Reste einer Burg im Boden stecken, die man fälschlicherweise Karlsburg nennt. Die drei Beten haben diesen Zweifel hiermit also bestätigt: Wo Carolus nie ward gesehn – Wo Karl nie gesehen wurde. Weil er eben nie da war!«

»Aha …«, machte Mara. »Okay, und da soll ich hingehen und irgendwas suchen? Das hab ich doch richtig verstanden, oder?«

»Ganz genau. Neun mal neun Schritte wären dann ja wohl 81. Aber von wo genau? Von Wo der Nornen Schatz begraben … Ab dieser Stelle hänge ich, ehrlich gesagt, noch ein wenig in der Luft.«

Dazu konnte Mara leider auch nicht arg viel sagen. Okay, eigentlich gar nichts. Also zuckte sie einfach nur mit den Achseln und machte dazu ein entsprechendes Keine-Ahnung-Gesicht.

Der Professor seufzte. »Tja, da ich hier im Mühlthal leider nicht die nötige Fachliteratur zur Verfügung habe, werde ich wohl oder übel im Internet wühlen müssen. Wie ich das hasse …«

»Wonach genau müssen Sie denn suchen?«, fragte Mara.

»Nun, ich vermute, dass die restlichen Zeilen der Verse auf eine lokale Sage verweisen. Aber ich habe nun mal nicht alle Fantastillionen Sagen Deutschlands abrufbereit auf der Festplatte hier oben«, sagte der Professor und tippte sich an die Stirn. Dabei fiel sein Blick auf die Uhr. »Doch wie mir scheint, wird die warten müssen. In einundzwanzig Minuten beginnt nämlich unser erstes sogenanntes Seminar. Bist du fit genug für einen kleinen Dauerlauf?«

Als die beiden das Forsthaus erreichten, nahm sie eine aufgeregte Mama in Empfang. »Wo wart ihr denn? Und warum gehst du eigentlich nie an dein Handy? Es geht los, komm, komm!«

Sie schob Mara durch die Tür und in die Gaststube mit der Aufschrift »Stüberl«. Dort vor dem offenen Kamin hatte sich schon die gesamte Wicca-Gruppe versammelt und schnatterte aufgeregt durcheinander. Als Professor Weissinger etwas zögerlich das Stüberl betrat und mit seiner sonoren Stimme einen Guten Tag wünschte, richteten sich neun Augenpaare auf ihn und es wurde schlagartig ruhig. Mara fühlte sich irgendwie an einen Western erinnert. Denn da wurde es auch immer still, wenn der Held den Saloon betrat. Hätte das Forsthaus einen Pianospieler beschäftigt – er hätte jetzt aufgehört, bayerische Weisen zu klimpern.

Erst war Mara vom Effekt des Auftritts irritiert, doch dann fiel ihr etwas auf und gleichzeitig auch ein: Professor Weissinger war natürlich der einzige männliche Teilnehmer!

Nicht, dass sich die Wiccas nun auf ihn gestürzt hätten wie hungrige Hyänen, nein, der Professor wirkte eben einfach nur wie ein Fremdkörper. Mit Bart.

Mara war nach wie vor verwundert, dass seine ironisch-professorale Selbstsicherheit in letzter Zeit öfter mal verdampfte wie Husten auf einer Herdplatte. Hatte das mit der Anwesenheit von Maras Mutter zu tun? Oder mit den Wiccas generell? Sie würde ihn das nachher mal fragen müssen und wehe es war wegen Mama! Oder Gott sei Dank? Oh Mann, da war es wieder, dieses verwirrende Blöd-Gut-Gefühl …

Walburga war natürlich sofort auf Professor Weissinger zugegnubbelt und umarmte ihn fröhlich. Wobei das Wort »umarmen« nicht wirklich zutraf, denn Walburgas Arme reichten ja kaum bis über ihre mächtige Oberweite hinaus. Um nicht unhöflich zu erscheinen, beugte sich der Professor zu ihr hinunter und ließ es geschehen. Für Mara sah es aus, als würde er in Vanillepudding versinken, und sie spielte kurz mit dem Gedanken, ihm einen Rettungsring zuzuwerfen. Da erregte etwas vor dem Fenster ihre Aufmerksamkeit.

Sie blickte hinaus in den Biergarten und wurde Zeugin eines merkwürdigen Schauspiels: Auf einem der unteren Äste des alten Kastanienbaums saß ein Eichhörnchen. Das allein wäre nichts Merkwürdiges, aber die Tatsache, dass es wütend fauchte und mit den kleinen Pfötchen Drohgebärden ausführte, war nicht gerade »typisch Eichhörnchen« …

Und nun sah Mara auch, gegen wen die Aggression gerichtet war. Denn da stürzten zwei dunkle Schatten aus dem Himmel und attackierten das kleine Nagetier mit hackenden Schnäbeln und flatternden Flügeln! Zwei wirklich verdammt große Raben pickten und schlugen wie verrückt auf das Eichhörnchen ein und wechselten dabei so geschickt ihre Positionen, dass es keine Chance hatte, zu entkommen. Überall, wo es hin ausweichen wollte, war plötzlich alles voller Rabe.

Mara überlegte nicht lange. Sie rannte aus der Gaststube, griff an der Theke eines der ausgelegten Exemplare der Münchner Abendzeitung und stürzte aus der Tür auf den Baum zu.

Ohne einen wirklichen Plan wedelte sie mit der Zeitung und rief dazu: »Hah, Haah, Haah!«, um die brutalen Vögel zu vertreiben. Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass die drei Streithähne sofort jegliche Kampfhandlungen einstellten und stattdessen auf das Mädchen starrten, das ihnen da brüllend entgegenrannte.

Mara blieb stehen und kam sich plötzlich saublöd vor. Jetzt spürte sie auch die Blicke der Wiccas aus den Fenstern der Gaststube wie Juckpulver im Rücken. Oh Mann.


Sie ließ die Zeitung langsam sinken. Raben und Eichhörnchen saßen immer noch auf dem Ast und blickten sie stumm an. Mara hätte schwören können, dass sich die Vögel kurz ansahen und mit den Flügeln zuckten, als wären es Achseln, bevor sie wegflatterten und irgendwo über dem Haus verschwanden. Aber das Eichhörnchen toppte dies sogar, indem es den Vögeln höhnisch hinterherwinkte. Oder war das gar kein Winken, sondern eine höchst unanständige Geste, die Mara eher vom Pausenhof kannte als aus dem Wildpark?

Obwohl, so viel Unterschied ist da vielleicht gar nicht, dachte sie kurz, während das Eichhörnchen, ohne Mara eines weiteren Blickes zu würdigen, in der Krone des Baumes verschwand. Mara war fast froh, dass es sich nicht auch noch für die Rettung bedankt hatte …

Sie musterte die Zeitung in ihrer Hand und vor ihrem geistigen Auge entstand die Schlagzeile »Weltenretterin beschützt unflätiges Eichhörnchen vor Vogelattacke«.

Dann seufzte sie kurz ihr typisches Seufzen und drehte sich mit einem Ruck um. Endlich mal wieder ein peinlicher Moment. Hurra.

An den Fenstern zur Stube taten alle ganz plötzlich so, als würden sie nur die generelle Aussicht im Allgemeinen genießen. Niemand sah Mara direkt an.

Ja nee, klar. Hab ich mich also erfolgreich zum Obst gemacht, wie schön. Liegt wohl doch in der Familie, dachte sie, als sie die Klinke der Eingangstür hinunterdrückte.

Sie sammelte einen Moment lang Kraft. Nicht, um die Tür zu öffnen, sondern, um irgendwie den unausweichlichen Blicken der versammelten Wiccas standhalten zu können.

Umso erstaunter war sie, als sie die Stube betrat und, mit Ausnahme von Professor Weissinger und Mama, keiner von ihr Notiz nahm. Mama wedelte mit der Hand, um ihrer Tochter einen Platz an einem der drei Tische zuzuweisen, und der Professor sah sie einfach nur an. Zu gerne hätte sie ihm jetzt von dem seltsamen Vorfall erzählt, aber das war im Moment unmöglich. Denn vor dem Kamin stand ein Mann in Jeans und Hemd und hatte die Arme ausgebreitet. Dr. Thurisaz.

Türler ve etiketler

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
342 s. 37 illüstrasyon
ISBN:
9783964260420
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