Kitabı oku: «Kreative Leibtherapie», sayfa 2

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2 Leiblichkeit – Menschenbild und Therapie

Jeder Therapeut, jede Therapeutin arbeitet auf der Grundlage eines Menschenbildes. Es mag bewusst oder unbewusst sein, in jedem Fall ist es wirksam. Jedem therapeutischen Verfahren liegt ein bestimmtes Menschenbild zugrunde, und es ist notwendig, dieses Menschenbild explizit zu formulieren. Nur dann kann es sich der kritischen Auseinandersetzung stellen, und nur dann können sich Therapeutinnen und Therapeuten in ihrer Arbeit an diesem Menschenbild orientieren.

Das Bild vom Menschen ist Teil des Weltbildes. Wie Therapeut/innen die Welt sehen und welche Haltung sie ihr gegenüber einnehmen, bestimmt auch die Haltung gegenüber den Klient/innen und gegenüber sich selbst. Das Verständnis der Welt ist grundlegend eine Angelegenheit der Philosophie, das Menschenbild ist Inhalt eines Teilbereichs der Philosophie, der Anthropologie. In diesem Buch werde ich deshalb deutlich auf philosophische Fragen Bezug nehmen und die dieser Veröffentlichung zugrunde liegenden Haltungen öffentlich machen.

Wie später ausgeführt werden wird, ist ein der Kreativen Leibtherapie zugrunde liegender Aspekt des Menschenbildes die Würdigung seiner Individualität und Subjektivität. Viktor von Weizsäcker forderte die „Wiedereinführung des Subjekts” in die Wissenschaft. Der Platz des Subjekts darf aber nicht, wie oft geschehen, nur darin bestehen, dass ü b e r Subjekte und Subjektivität anderer Menschen geschrieben wird und ansonsten so getan wird, als sei es der Wissenschaftlichkeit geschuldet, die Subjektivität der Autor/innen und anderer Beteiligter auszuklammern.

Ich werde meine Beteiligung als Subjekt deutlich machen und nicht verschweigen. Dies geschah bereits in der Einleitung, und dies zeigt sich daran, dass ich „ich” schreiben werden, wenn ich „ich” meine – auch wenn dies nicht dem akademischen Brauch entspricht. Wenn ich die Bezeichnung „wir” benutze, meine ich meine Frau Gabriele Frick-Baer und mich. Wir haben gemeinsam viele Modelle Kreativer Leibtherapie entwickelt, wobei ich mehr für die Strukturierung und Systematisierung und sie mehr (d.h. nicht ausschließlich!) für die Konkretisierung und praxis-bezogene Weiterentwicklung tätig war. Wenn ich die zahlreichen Kolleginnen und Kollegen sowie engagierten Teilnehmer/innen unserer Fortbildungen meine, formuliere ich „meine Kolleg/innen und ich” oder z. B. „wir Kreativen Leibtherapeut/innen”.

Und noch eine subjektive Anmerkung: Ich habe mich immer geärgert, wenn mir theoretische Zusammenhänge komplizierter als nötig vorgestellt wurden. Ich ärgere mich immer noch über Bücher bzw. eine Fachsprache, deren Unverständlichkeit eher dem Ego der Autor/innen als dem Gegenstand geschuldet sind. Als Therapeut und Dozent bin ich bemüht und mittlerweile gewohnt, Theorie so vorzustellen, dass in der Sprache die Einheit von Theorie und Praxis deutlich wird und komplexe Zusammenhänge möglichst einfach dargestellt werden. Das gelingt nicht immer, da wir auf philosophische und andere Fachsprachen Bezug nehmen müssen. Doch Verständlichkeit, Transparenz und Einfachheit sind für mich kein Ausdruck von Theorieferne, sondern Ergebnis des Wertes, die Leser/innen ernst zu nehmen. Insofern spiegelt sich darin auch das Menschenbild, auf dem Kreative Leibtherapie fußt. Meine Fachbegriffe, wie sie sich vor allem in Kapitel 4 wiederfinden, verstehen sich wie die philosophischen Fachbegriffe nicht „von selbst”, sondern bedürfen der Erklärung und Definition. Aber auch sie spiegeln meine und unsere Absicht, dass sie sich dem Verständnis erschließen und als sinnvoll verstanden werden können.

Welches Bild vom Menschen einer therapeutischen Theorie und Praxis zugrunde liegt, ist wesentlich für die therapeutische Haltung und Methodik. Wir sind der sicheren Überzeugung, dass alle therapeutischen Verfahren und Strömungen relevante Beiträge zur Entwicklung der Psychotherapie geleistet haben, und bemühen uns, deren kompatible Aspekte in die Kreative Leibtherapie einzubeziehen. Gravierende Unterschiede beruhen unseres Erachtens vor allem auf unterschiedlichen und vor allem einseitigen Bildern vom Menschen und dem sich daraus ergebenden Verständnis von dessen Leiden und den Wegen der Veränderung. Wenn Syndrome oder Erkrankungen wie Posttraumatische Belastungsstörungen, Depression oder Panikattacken wie in der traditionellen Verhaltenstherapie vor allem auf falsches oder unvollständiges Lernen der betroffenen Klient/innen zurückgeführt werden, dann beruht dies auf dem Menschenbild, das die Entwicklung des Menschen in erster Linie als einen Lernprozess begreift, in dem durch Umlernen Veränderungen hervorgerufen werden können. Therapie wird unseres Erachtens so auf Pädagogik reduziert und ignoriert oder relativiert die Erfahrungen des Beziehungserlebens in Biografie und Therapie. Oder wenn in klassischen, fundamentalistisch formulierten, systemischen Positionen der Mensch als eine „Blackbox” verstanden wird, dessen Gefühle und andere Empfindungen nicht messbar und daher irrelevant sind, weil nur systemische Zusammenhänge Symptome hervorrufen und nur über systemische Veränderungen Symptome verändert werden können, dann liegt auch hier ein Menschenbild dem therapeutischen Verfahren zugrunde, das dem individuellen Erleben und seiner biografischen Entwicklung keinen Raum gibt. Oder wenn in Veröffentlichungen über die Traumafolgen und deren Therapie das Leiden der traumatisierten Menschen ohne jede Verbindung zu Gesellschaft und sozialem Umfeld beschrieben wird, als wäre es nur von innen heraus entstanden und nur oder vor allem Ausdruck der persönlichen Verfasstheit, dann wird darin ein Menschenbild impliziert, das den Menschen ausschließlich individualisiert und nicht als soziales Wesen sieht.

Oft lassen sich solche, manchmal rigide formulierten Menschenbilder mit all ihren Konsequenzen in der Praxis selbst von ihren Vertreter/innen nicht halten, so dass die Abgrenzungen zwischen den Menschenbildern und damit auch zwischen den Verfahren weicher werden, doch enthebt uns dies nicht der Pflicht und Notwendigkeit, das der Kreativen Leibtherapie zugrunde liegende Menschenbild explizit zu formulieren und jeweils die daraus folgenden Konsequenzen für die therapeutische Haltung, Theoriebildung und Methodik zu benennen.

Der Kreativen Leibtherapie liegt die Anthropologie zugrunde, wie sie in der Leibphänomenologie vor allem von Maurice Merleau-Ponty und Thomas Fuchs formuliert wurde, wobei wir wichtige Verständnismodelle der anthropologischen Medizin Viktor von Weizsäckers integriert haben. In den folgenden Kapiteln werden wir diese philosophischen Grundlagen im Hinblick auf die Relevanz für die Kreative Leibtherapie präsentieren. Natürlich machen die Fülle und die Komplexität des Themas eine Auswahl und Vereinfachung nötig. Zu bemerken ist weiterhin, dass ich zwar von der Leibphänomenologie spreche, es diese aber nicht als geschlossenes System mit klar definierten Begriffen gibt. Vielmehr ist sie eine lebendige und damit auch in sich widersprüchliche Strömung. Wer weiß, dass allein über sieben deutlich unterscheidbare Definitionen dessen, was unter „Leib” verstanden wird, zu finden sind, die sich teilweise auch noch bei den einzelnen Autoren in unterschiedlichen Texten unterscheiden, wird die Problematik erahnen. Die Ausführungen über die Leibphänomenologie sind also nicht nur Wiedergabe, sondern überall dort, wo ich nicht zitiert oder ausdrücklich auf die Literatur verwiesen habe, eigene Zusammenfassung, Auswahl, Definition und Weiterentwicklung.

2.1 Der Leib
2.1.1 Annäherung und Begriff

Das Wort „Leib” mutet altertümlich an. Manche denken an Formulierungen aus alten Bibelübersetzungen wie den „Leib Christi” oder vermuten unter dieser Bezeichnung ein altertümliches Wort für Körper. Wir benutzen das Wort „Leib” als eine Kategorie der phänomenologischen Philosophie.

Richtig an den Vermutungen ist, dass das Wort „Leib” sehr alt ist. Es stammt aus dem indogermanischen Wort „lib”, das „Leben” bzw. „lebendig” bedeutet und in diesen beiden Worten ebenfalls enthalten ist. In der Redewendung „bei leibe nicht” klingt der Sinn „um‘s Leben nicht” an.

Was ist nun gemeint mit „Leib” oder „Leiblichkeit”? Beginnen wir mit den philosophischen Definitionen.

„Wir können uns diesen Begriff auf unterschiedliche Weise annähern. Unser Ausgangspunkt ist das alltägliche, unreflektierte Erleben: Wenn wir aufstehen, uns ankleiden, essen, trinken, laufen, einer Arbeit nachgehen, anderen Menschen begegnen, mit ihnen sprechen, uns freuen oder ärgern, müde werden, schlafen. All diese Bewegungen, Wahrnehmungen, Gefühle, Begegnungen und Worte bringen uns, solange wir nicht über sie reflektieren, keine Unterscheidung von ‚Körper‘ und ‚Seele‘ zur Erfahrung. Wir vollziehen und erleben sie gleichermaßen aus unserem Zentrum heraus und nirgends zeigt sich eine räumliche oder zeitliche Trennung von ‚Geistigem‘, ‚Seelischem‘ und ‚Leiblichem‘. Im alltäglichen Leben trennen wir auch nicht zwischen uns selbst und unserem Körper, als trügen wir ihn mit uns herum, (…) sondern erfahren uns ohne weiteres als leiblich daseiend. Auch im Kranksein und Leiden, wenn Leibliches und Seelisches störend, schmerzend, peinigend in den Vordergrund tritt, bleibt es doch meine Existenz. Kein Patient sagt: ‚Mein Körper ist erschöpft‘ oder ‚krank‘, ‚meine Seele hat Angst‘, ‚meine Seele ist niedergeschlagen‘; sondern ‚ich bin erschöpft‘, ‚krank‘, ‚ich habe Angst‘, ‚ich bin niedergeschlagen‘. Mit ‚Ich‘ meint er auch nicht ein ‚Ich‘, eine absolute innerliche Instanz oder was immer Philosophen und Psychologen darunter verstehen wollen, sondern einfach sich selbst als Mensch, der leiblich da ist und existiert.” (Fuchs 2000b, S. 88)

Robert Spaemann betont in der Tradition Heideggers den Aspekt der Leiblichkeit als das Gestimmtsein, das immer schon vorhanden ist und jedes konkrete Handeln prägt:

„Was heißt ‚Erleben‘? Heidegger hat hier wohl den Weg gezeigt, wenn er als grundlegendes Phänomen des Daseins das ‚Gestimmtsein‘ bezeichnete, durch das für uns überhaupt erst eine Welt ist und wir in dieser Welt sind. Gestimmtsein ist keine Leistung, es ist überhaupt nicht ein distinktes Ereignis, sondern liegt all diesem voraus. Bewusstsein, Streben, Wollen, Wissen sind nur, was sie sind, wenn sie in ein solches Gestimmtsein eingebettet und von diesem geprägt sind.” (Spaemann 2006, S. 52)

Hermann Schmitz fokussiert den Leib auf das Spüren oder Sich-Wahrnehmen, das nicht nur dem Bewusstsein, sondern auch dem sinnlichen Spüren vorgeschaltet ist: „Jedermann macht die Erfahrung, dass er nicht nur seinen eigenen Körper mit Hilfe der Augen, Hände und dergleichen sinnlich wahrnimmt, sondern in der Gegend dieses Körpers auch unmittelbar, ohne Sinneswerkzeuge zu gebrauchen, etwas von sich spürt: z. B. den Hunger, Durst, Schmerz, Angst, Wollust, Müdigkeit, Behagen. Im Gegensatz zu anderen modernen Sprachen besitzt die deutsche zwei Worte, die es leicht machen, den gemeinten Unterschied zu benennen: ‚Körper‘ und ‚Leib‘. Das sinnlich Wahrgenommene könnte ‚körperlich‘ und das in der Gegend des eigenen Körpers als zum eigenen Wesen gehörig unmittelbar (unsinnlich) Gespürte oder Empfundene ‚leiblich‘ heißen.” (Schmitz 1998, S. 5) Dieser Differenzierung folge ich nicht. Ich führe sie nur als Beispiel dafür an, wie unterschiedlich Leiblichkeit auch innerhalb der Phänomenologischen Philosophie verstanden wird.

Bei Thomas Fuchs begegnen wir gelegentlich einer doppelten Bedeutung des Wortes „Leib”. Mit ihm wird das grundlegende unreflektierte Erleben bezeichnet und somit der Leib als Oberbegriff für alle Aspekte dieses Erlebens. Innerhalb dessen werden wir aber auch besonderen Aspekten begegnen wie dem Körper oder der Exzentrität, denen Fuchs dann die „unmittelbare Leiblichkeit” gegenüber stellt. „Mein Leib ist eine schwer fassbare Zwischenzone zwischen mir und der Welt. Er gehört mir nicht, sondern ich bin selbst mein Leib – doch ist er auch wie ein Stück der Außenwelt, ein Körper, den ich ‚habe‘. Bezogen auf die Welterfahrung bedeutet dies: Der Leib vermittelt mir die Welt, ich erfahre sie immer nur durch ihn hindurch – solange er selbst im Hintergrund bleibt.” (Fuchs 2000b, S. 3)

Vielleicht wird schon bei diesen wenigen Zitaten, die ich unter dem Gesichtspunkt der Verständlichkeit ausgewählt habe, deutlich, wie vielschichtig man sich dem Leibbegriff annähern kann. Doch hier geht es mir nicht um eine differenzierte philosophische Betrachtung, sondern um das Menschenbild Kreativer Leibtherapie. Und dafür ist vor allem wichtig, dass mit Leib kein Objekt, kein Ding bezeichnet wird, sondern ein „Modus unserer Existenz”, die „grundlegende Weise des menschlichen Erlebens” (Fuchs 2000a, S. 15). „Der Leib ist das selbstverständliche Medium unserer Existenz.” (Fuchs 2008b, S. 17)

Der Leib ist die Art und Weise unseres Erlebens, unseres Spürens und Fühlens. Das deutsche Wort „fühlen” ist vieldeutig. Mit Fühlen bezeichnen wir sowohl Sinneswahrnehmungen als auch Empfindungen sowie emotionale Regungen. So vielseitig und ineinander verknüpft sind auch die Aspekte des Erlebens.

Vielleicht mögen Sie ein kleines Experiment ausprobieren: Schließen Sie für eine Minute die Augen und spüren Sie sich selbst. Vielleicht nehmen Sie Unruhe wahr oder Gelassenheit, vielleicht fühlen Sie sich eng oder eingeengt, wach oder beschwingt, möglicherweise sind Sie müde oder traurig, ärgerlich oder entspannt … Nehmen Sie wahr, was ist, ohne es zu bewerten oder ohne darüber nachzudenken. Spüren Sie nur sich selbst, wie Sie sich gerade spüren können …

Sie haben damit den einfachsten Zugang zum Erleben, zur Leiblichkeit gefunden. Dieses Erleben verändert sich in jedem Moment und in fließenden Übergängen, und deswegen ist die Leiblichkeit kein fester Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. „Der Leib ist kein Gegenstand, ja nicht einmal ein momentaner Zustand, denn er ist letztlich die Bewegung des Lebens selbst.” (Fuchs 2000a, S. 124)

Leiblichkeit ist vorhanden, bevor wir über sie und die Welt reflektieren. Dies gilt im doppelten Sinn. Neugeborene und Säuglinge erfahren die Welt leiblich in ihrer „Bewegtheit” und ihren Impulsen, im Greifen nach der Mutter, im Hinein und Hinaus, in Stimmungen und Atmosphären, im Spüren des Miteinander des Lachens und vielem anderen mehr. Bei aller Kompetenz und Komplexität frühkindlicher Entwicklung beginnt die Selbstreflektion erst ab dem dritten Lebensjahr, sich zu entwickeln und zu entfalten. Vorher leben die Kinder in primärer Leiblichkeit.

Doch auch später, wenn sich die reflektierende Bewusstheit der Person selbst und ihre Beziehungen zur Welt entwickeln, ist die Leiblichkeit als erlebender Grund des Reflektierens vorhanden. Als René Descartes seinen berühmten Satz „Ich denke, also bin ich” schrieb, war er auch als leibliches Wesen vorhanden. Er hatte vielleicht vorher Hunger und aß etwas, spürte einen Bewegungsdrang und ging ein wenig sinnierend auf und ab, bevor er sich setzte und diesen Satz aufschrieb. Während des Schreibens war er möglicherweise stolz auf diese prägnante Formulierung, die ihm gelungen war, und machte sich danach Sorgen über die Reaktion der königlichen und kirchlichen Obrigkeit auf diese Kampfansage gegen den damaligen Aberglauben und das christliche Monopol der Weltdeutung … Er konnte „Ich denke, also bin ich” nur schreiben, weil er zuvor, dabei und danach in seiner Leiblichkeit existierte.

Leiblichkeit ist nicht alles, aber ohne Leiblichkeit ist nichts.

Dieses Verständnis des Menschen hat weitreichende Konsequenzen für die therapeutische Haltung, die der Kreativen Leibtherapie zugrunde liegt: Das Erleben der Menschen muss als ihre grundlegende Existenzweise gewürdigt werden. Dabei werden wir Menschen uns nur in seltenen Ausnahmesituationen als leibliche Wesen „ganz” spüren. Zumeist nehmen wir wechselnde leibliche Regungen wahr – ein Gefühl, einen Hunger, eine Resonanz mit einem anderen Menschen, einen Schmerz ... –, die abwechselnd in den Vordergrund unseres Gewahrseins treten. Wir können unsere Leiblichkeit deshalb auch als Gesamtheit unserer leiblichen Regungen bezeichnen.

Als Therapeut/innen begegnen wir auf vielfache Weise der Hemmung, Einschränkung, Tabuisierung und Verkümmerung des Erlebens, z. B.:

„Ich stehe neben mir.”

„Wenn mich mein Kollege anspricht, erstarre ich und fühle nichts mehr.”

„Sie schauen mich so an, das ist komisch. Dann verschwimmt alles, und ich habe Angst mich aufzulösen.”

Ganz „verschwunden” ist die Leiblichkeit auch in solchen Äußerungen nicht. Solange Menschen leben, erleben sie: oft sehr schmalspurig oder auch Teile ihrer Leiblichkeit bekämpfend, manchmal bestimmten Aspekten ihres Erlebens ausgeliefert, die wie die Angst weite Bereiche sonstigen Erlebens überfluten können. Sie leiden an solchen Deformierungen und Pathologisierungen der Leiblichkeit und suchen deshalb therapeutische Unterstützung. Unsere Hilfe besteht dann darin, sie auf der Suche nach weiteren, differenzierten Möglichkeiten des Erlebens zu begleiten. Was und wie sie sich und ihre Welt erleben, ist ihre eigene, höchstpersönliche Angelegenheit. Kreative Leibtherapie wirkt dabei parteilich für die Entfaltung der Möglichkeiten der Leiblichkeit.

Grafik 1

Leib ist

» Der Mensch ist immer Leib. Leib ist Erleben.

» Leib ist, was immer schon da ist. Leiblichkeit ist präreflexiv.

» Leib ist die Summe unserer leiblichen Regungen.

2.1.2 Die Spaltung und ihre Aufhebung: Leib und „Geist”

Der Satz von Descartes „Ich denke, also bin ich” wurde zum Kampfprogramm der Aufklärung. Einerseits war er gegen den damals vorherrschenden Aberglauben und das Monopol von Kirche und Königtum an der Deutung der Welt gerichtet, andererseits galt er als programmatische Ermutigung und Erlaubnis zu naturwissenschaftlicher Forschung und technischer Entwicklung. Das denkende Bewusstsein wurde zum revolutionären Programm technologischer und wissenschaftlicher Umwälzungen, die bei all den auch negativen Folgen immerhin die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen seit dieser Zeit verdreifacht haben. Dieses denkende Bewusstsein, sei es „Geist”, „Vernunft” oder „das Denken” genannt, wurde dabei im Menschenbild vom Erleben abgespalten. Der „menschliche Geist” wird als „reine Substanz” (Descartes 2009, S.15) verstanden, auch „sinnliche Wahrnehmungen” sind in diesem Verständnis „nichts anderes als Denken” (a.a.O. S. 33). Als Menschenbild folgt daraus: „Was bin ich demnach? Ein denkendes Ding.” (a.a.O. S. 32) (Zur Trennung vom Körper siehe das nachfolgende Unterkapitel.)

Solche Abspaltungen sind nicht nur Thema theoretischer Auseinandersetzungen, sondern begegnen uns konkret als Dissoziationen im therapeutischen Kontext:

Eine mehrfach traumatisierte Klientin hatte ihr psychisches Überleben dadurch gemeistert, dass sie ihre Emotionalität bis auf wiederkehrende Angstattacken „wegsperrte”, wie sie immer sagte. Gefühle in der Begegnung mit anderen Menschen tauchten nicht auf, stattdessen durchdachte die Frau jeden ihrer Schritte im sozialen Kontakt und kontrollierte ihre Äußerungen und ihr Verhalten. Sie beherrschte dies in hoher Perfektion und war beruflich sehr erfolgreich. Sie kam in die Therapie, weil sie nicht mehr wusste, warum es sich lohnen sollte, weiterzuleben …

Das, was uns hier als Traumafolge und Leiden entgegentritt, beherrschte das Menschenbild der europäischen und europäisch beeinflussten Philosophie: Das Bewusstsein wurde und wird auf das Denken verkürzt, die Vernunft soll herrschen und das Erleben, vor allem das emotionale, kontrollieren, so es sich überhaupt noch rührt. (Die Gegenbewegung dazu finden wir in romantischer Literatur und Filmen usw.)

Wird bei Descartes aus dem leiblichen Sehen und Berühren „das Denken des Sehens und Berührens”, so setzt sich diese Verschiebung, um nur ein Beispiel zu nennen, in weiten Teilen der Emotionspsychologie fort. Der große Psychologe William James, der viele wertvolle Erkenntnisse und Anregungen hinterlassen hat, reduzierte in einem ersten Schritt das emotionale Erleben auf die damit einhergehenden körperlichen Reaktionen und setzte im zweiten Schritt die Gefühle mit dem Denken über die Gefühle gleich: „Meine Theorie dagegen ist die, dass die körperlichen Veränderungen direkt auf die Wahrnehmung der erregenden Tatsachen folgen, und dass das Bewusstsein vom Eintritt eben dieser Veränderungen die Gemütsbewegung ist.” (James 1950, Band II, S. 449). Daraus folgen seine Leitsätze: „Wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir sind traurig, weil wir weinen. Wir sind (...) wütend, weil wir zuschlagen.” (a.a.O. S. 550) Solche Denkweisen werden heute im Konstruktivismus fortgeführt, dem die Auffassung zugrunde liegt, dass jeder Mensch seine Realität im Kopf konstruiert. Wäre dem so, müsste man nur die Denkkonstrukte im Kopf verändern, worum sich die davon beeinflusste therapeutische Strömung bemüht. Doch Liebe ist mehr als Herzklopfen und etwas anderes als das Denken über die Liebe! Hunger ist mehr als das Denken über den Hunger. Die Begegnung mit einem anderen Menschen ist mehr als das Denken über diese Begegnung. Wir Menschen erleben, spüren, fühlen uns in unserer Welt, und das ist mehr als das Denken über die Welt. Zu diesem Erleben können Denkweisen gehören, die auch die Wahrnehmung von uns und der Welt beeinflussen oder gar prägen. Doch das ist nur ein Aspekt, der keineswegs isoliert oder verabsolutiert werden darf. Eine Vergewaltigung ist reales Erleben und nicht nur das Konstrukt einer Realität. So richtig es ist, das Opfer darin zu unterstützen, sich nicht nur als Opfer zu betrachten, so entwürdigend wäre und ist es, die Opfererfahrung zu negieren und der betroffenen Person „einfach” eine andere Sicht der Welt vorzuschlagen.

Die therapeutische Relevanz der behandelten Thematik liegt auf der Hand. Werden Erfahrungen des Erlebens nur als Denken über diese Erfahrungen betrachtet, braucht nur das Denken verändert werden, nicht die Erfahrung, nicht das Erleben. Werden zum Beispiel Gefühle nur als kognitives Denken über körperliche Veränderungen verstanden, dann können Veränderungen z. B. von Angstzuständen nur über körperliche Interventionen, wie z. B. Entspannungstechniken, und vor allem über Änderungen des Denkens erfolgen. Kreative Leibtherapie nutzt selbstverständlich Entspannungsverfahren und strebt auch Änderungen des Denkens an, wenn die Klient/innen dies wünschen, vor allem die Leid- und Leitsätze und Botschaften, die „mitgegeben” wurden und die Lebendigkeit hemmen. Doch die Verabsolutierung des vernunftgeleiteten Denkens in der kognitiven Psychologie und Psychotherapie beinhaltet eine Abspaltung des Denkens von den Erlebensprozessen, was unserem Menschenbild widerspricht.

Gefühlsmäßige Veränderungen fließen als Konsequenz aus dem Menschenbild der kognitiven Psychologie kaum oder gar nicht in das Verständnis psychischer Erkrankungen ein. In der klinischen Beschreibung der Demenz werden z. B. Erlebensprozesse kaum benannt. Gefühle wie Scham, Angst und Einsamkeit, die bei den meisten Menschen mit der Demenz einhergehen, werden nicht erwähnt, dafür aber eine „Verschlechterung der emotionalen Kontrolle” (ICD-10 2010, S. 60). In der psychiatrischen Klassifizierung DSM-IV-TR werden die Demenz-Erkrankungen sogar ausschließlich als „kognitive Defizite” (2003, S. 81) bezeichnet.

Die Ausgrenzung emotionalen Erlebens und die Abspaltung des Denkens vom Leiblichen wird in großen Teilen der Neurobiologie fortgesetzt und auf die Spitze getrieben. Da wird das Gehirn zu einer Art U-Boot-Kommandant im Menschen erklärt, der Informationen sammelt, verarbeitet und entsprechende Entscheidungen trifft. Das Erleben wird dann zu einem „Selbstmodell” erklärt, das vom Gehirn geschaffen wird: „Wir sind mentale Selbstmodelle informationsverarbeitender Biosysteme (...) Werden wir nicht errechnet, gibt es uns nicht.” (Metzinger 1999, S. 284). Unser Erleben als individuelles Subjekt wird dann zu einem „Traum” erklärt: „Unser Ich, das wir als das unmittelbarste und konkreteste, nämlich als uns selbst, empfinden, ist – wenn man es etwas poetisch ausdrücken will – eine Fiktion, ein Traum des Gehirns, von dem wir, die Fiktion, der Traum, nichts wissen können.” (Roth 1997, S. 253)

Werden solche Vorstellungen, in denen die individuelle Subjektivität als bloßer „Traum” ausgeblendet wird, therapeutischen Interventionen zugrunde gelegt, dann erscheinen letztlich nur biologische Interventionen mit Medikamenten oder anderen Eingriffen als sinnvoll.

Unsere Grundhaltung in der Kreativen Leibtherapie besteht darin, sich an diesen Abspaltungen des „Denkens” bzw. des „Geistes” vom Erleben nicht nur nicht zu beteiligen, sondern im Gegenteil solchen Vereinseitigungen und Abspaltungen entgegenzuwirken. In der Reflektion über einen philosophischen Text oder bei der Lösung einer Mathematikaufgabe steht das Denken im Vordergrund, aber auch hier fließen Aspekte des Erlebens mit ein wie Neugier oder Müdigkeit, Angst vor Versagen oder Aufregung. Wenn wir noch einmal auf das Beispiel der Liebe zurückkommen, sehen wir, dass das Denken über die Liebe eingebettet ist in Empfindungen und Gefühle. Diese Gefühle äußern sich in Tausenden von Briefen und Tagebucheintragungen, in Gedichten und Romanen. Liebe kann sprachlos sein, aber auch sehr beredt. Es gibt neben dem Denken, das mit dem Erleben verbunden ist, auch ein Denken der Gebrauchsanweisungen und der Reglementierung, welches das Fühlen der Liebe durch das Denken über die Liebe zu ersetzen und die liebenden leiblichen Regungen dadurch zu kontrollieren versucht. Wenn Menschen unter dem Denken über Gefühle leiden und Hilfe in der Therapie suchen, versuchen Kreative Leibtherapeut/innen zu helfen, indem sie die Klient/innen darin begleiten, Erfahrungen zu machen, die solche Spaltungen überwinden.

Das Denken dem Erleben gegenüber zu stellen, ist die Verallgemeinerung einer pathologischen Sondersituation, aber nicht Ausdruck alltäglicher Erfahrung. „Geistige Akte der Person gibt es nur, sofern sie erlebt werden, also seelische Ereignisse sind.” (Spaemann 2006, S. 170)

Das Denken ist eingebettet in das Erleben – dieses Sprachbild beschreibt den Zusammenhang am treffendsten. Die Gegenüberstellung von „Kopf” und „Bauch” war einige Jahre lang in manchen therapeutischen Strömungen populär. Die Befürworter der Herrschaft des „Bauches” wandten sich gegen die Abwertung und Unterordnung der Gefühlswelten unter intellektuelle Vorgaben, die Gegenposition forderte die Herrschaft wissenschaftlicher Vernunft gegenüber bloßer Impulsivität. Beide Alternativen sind nicht die Position Kreativer Leibtherapie. Kreative Leibtherapie geht vom Eingebettet-Sein des Denkens im Erleben aus und unterstützt Klient/innen darin, Abspaltungen ihres Denkens oder einzelner Denksätze entgegenzuwirken und diese wieder in ihre Leiblichkeit zu reintegrieren. Bestimmte Denkweisen, wie sie sich in Leitsätzen äußern wie „Du darfst nicht widersprechen” oder „Wenn du es dir gut gehen lässt, wirst du dafür bezahlen müssen”, sind aus Erfahrungen des Erlebens entstanden und nie nur „reines” Denken. Nur im Kontext leiblicher sozialer Erfahrungen können sie verstanden, ihrer Macht beraubt und verändert werden.

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