Kitabı oku: «Reiner Kunze. Dichter sein», sayfa 3

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Frage: Welche Einstellung hatte Ronald LÖTZSCH zur Deutschen Demokratischen Republik?

Antwort: Ich kenne Ronald LÖTZSCH als Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei und weiß, daß er stets eine gute politische Arbeit im Sinne dieser Partei geleistet hat. Mir ist nichts … aufgefallen, was sich gegen die von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik verfolgte Politik gerichtet hätte. Etwas anderes kann ich hierzu nicht sagen. Frage: Wie schätzte Ronald LÖTZSCH die Ereignisse in der Volksrepublik Polen im Oktober 1956 ein?

Antwort: Ronald LÖTZSCH hatte für die Ereignisse in Polen im Oktober 1956 sehr großes Interesse. Er las ständig die Presse der Volksrepublik Polen und informierte mich wiederholte Male über den Inhalt verschiedener Artikel. Was er mir im einzelnen mitteilte, ist mir jedoch heute nicht mehr in Erinnerung.

Frage: Wie verhielt sich Ronald LÖTZSCH zu der in Presse und Funk der DDR gegebenen Einschätzung der polnischen Entwicklung im Herbst 1956?

Antwort: Was Ronald LÖTZSCH zur Einschätzung der Entwicklung in der Volksrepublik Polen im Herbst 1956 durch Presse und Funk der Deutschen Demokratischen Republik sagte, weiß ich nicht mehr.

(…)

Frage: Nach den Aussagen Ronald LÖTZSCHs hat er Sie über seine Verbindungen zu KUPIS [polnischer Journalist und Dozent an der Fakultät für Journalistik, zu dem Kunze den Kontakt vermittelt hat, d. Verf.] – unter anderem, daß er mit KUPIS zusammen den Schriftsteller Erich Loest aufsuchte – unterrichtet. Äußern Sie sich dazu!

Antwort: Vielleicht hat Ronald LÖTZSCH mit mir über das Vorgehaltene gesprochen, ich weiß jedoch nichts mehr darüber. Andere Aussagen kann ich hierzu nicht machen.

Frage: Sind bei Ihnen in der Wohnung Sendungen des Londoner Rundfunks, in denen der Renegat Wolfgang Leonhard sprach, abgehört worden?

Antwort: Wenn mich Ronald LÖTZSCH besuchte, so hat er ständig nach irgendwelchen ausländischen Sendern gesucht. Da in diesen Sendern Fremdsprachen gesprochen wurden, die ich nicht verstand, weiß ich nicht, welche Sender das im einzelnen waren. (…) 18

Reiner Kunze war als sozialistischer Idealist angetreten. Er selbst sagt dazu:

Mit Kindern kann man alles machen. Ich war so ein Kind. Ich habe nie geleugnet, dass ich wirklich indoktriniert war. Ich kam aus einem Elternhaus ohne die geringste politische Bildung, wenn man so will, ohne Bildung überhaupt. Ich hatte keine Bibliothek, durch die ich mich hindurchlesen konnte. Ich wurde gefördert als Arbeiterkind, ein Schuljahr vorversetzt, dass muss man sich vorstellen! Ich komme in die Oberschule und komme in ein – nicht Internat, sondern ein Indoktrinat.

In dem Augenblick, als mein Verstand mir sagte, was man mit uns gemacht hat, habe ich die Konsequenzen gezogen. Und ich habe den Kopf hingehalten.

Spätestens 1956 beginnt Reiner Kunze darüber nachzudenken: Will ich überhaupt, was ich vor meinen Studenten öffentlich vertrete? Er beginnt Nein zu sagen. Und er stellt Fragen. Dass er einer Lüge gedient hat, kann er nicht rückgängig machen. Aber er darf sich hoch anrechnen, er hat niemanden denunziert, im Gegenteil, er versucht, soweit ihm möglich, andere zu schützen.

Am 8. Februar 1959 spricht er auf einer FDJ-Versammlung vor 365 Studenten. Auch der Dekan ist anwesend. Diese Rede markiert die erste Zäsur in seinem Leben. Sie führt zum Ende seiner Universitätslaufbahn.

Er kann nicht anders, als öffentlich seinen Einspruch gegen die allgemeine Schönfärberei an der Fakultät zu erheben. Zu vieles hat sich angestaut. Er sagt:

Die Fakultät für Journalistik ist keine Fakultät von Schreibenden. Ich fragte sechs Studenten, die hier für viele andere stehen mögen, weshalb sie nicht ohne Auftrag schreiben und fand folgende Gründe:

1. Zeit fehlt. Das heißt, die Zeit zum Atmen fehlt!

2. Stoff fehlt. Stoff, das ist die ganze Welt, auch die, die nicht ins Schema passt!

3. Schöpferische Disziplin fehlt. Man muß aber die Disziplin besitzen, sich hinzusetzen, um zu beschreiben, was vor einem lebt!

4. Angst herrscht, sich zu offenbaren. Wer schreibt, schreibt aus sich selbst. Daraus resultieren die Hemmungen.

5. Angst vor ideologischen Fehlern und den daraus resultierenden Rückschlüssen.19

Diese Kritikpunkte rütteln an den Grundfesten des sozialistischen Journalismus. Allein Kunzes Forderung, seine Themen selbst zu setzen, die eigene Meinung zu artikulieren, steht diametral zum Auftrag jedes sozialistischen Journalisten. Der lautet: „Die allgemeine Absicht wird bestimmt von der Partei der Arbeiterklasse für den sozialistischen Journalismus, das sozialistische Bewusstsein des Volkes entwickeln zu helfen und Einflüsse der bürgerlichen Ideologie zu bekämpfen.“20 Das ist ihre Sprache. Dagegen wird der Anspruch „Wer schreibt, schreibt aus sich selbst“, zu einer Kampfansage. Zumal an diesem Ausbildungshort des Zentralkomitees.

Ein Artikel in der Westberliner Zeitung Berliner Morgenpost vom nächsten Tag verschärft den Eklat. Der Bericht beginnt mit der Feststellung: „Der Stil der Zonenzeitungen kommt nicht von ungefähr.“21 Im Mittelpunkt stehen Kunzes Kritik und die vehementen Reaktionen aus dem Lehrkörper darauf. Der Beitrag zieht das Fazit: „Kein Wunder also, dass Reiner Kunze, wissenschaftlicher Assistent und politischer Lyriker, beinahe in Ungnade fiel, weil er sagte, was gar nicht in die Gloriole dieser Fakultät passen wollte.“22 Die Staatssicherheit notiert in einem Persönlichkeitsbild: „K. geriet also spätestens mit diesem Artikel in das Blickfeld des Feindes.“23

1959 kommt Reiner Kunze an einen Tiefpunkt seines Lebens. Die Partei, in die er einmal mit Stolz eingetreten war, begreift er als dogmatisch und zutiefst ungerecht.

Auch privat befindet er sich in einer Krise. Nach dem Studium hatte er geheiratet. Ingeborg, die ebenfalls an der Fakultät studierte, und er bekommen einen Sohn, Ludwig. Nach außen scheint die Ehe harmonisch. Dennoch werden sie sich trennen. Ein Journalist schreibt später, es sei aus politischen Gründen geschehen. Dem widerspricht Reiner Kunze. In politischen Auseinandersetzungen habe seine Frau zu ihm gestanden, selbst wenn sie anderer Meinung waren, sie habe ihn verteidigt.

Als sie im April 1960 vor dem Scheidungsrichter stehen, geben beide an, Ingeborg könne für seine Arbeit als Dichter nicht die erforderliche Akzeptanz aufbringen, deshalb sei ihnen ein Zusammenleben nicht mehr möglich.

Vor Gericht mussten wir unser Einvernehmen bekunden. Wir haben miteinander abgesprochen, keinem sollte ein Schaden seines Ansehens widerfahren. Deshalb einigten wir uns, uns wegen meines Berufes nicht zu verstehen. Es war die lächerlichste Begründung, die wir geben konnten. Dem Gericht hat sie genügt.

Die tatsächlichen Gründe sind für Reiner Kunze etwas sehr Persönliches. Vieles habe zu ihrem Auseinandergehen beigetragen. Es sei so nicht mehr gegangen. Sohn Ludwig bleibt das Bindeglied.

In den Februartagen 1959 ist er psychisch am Ende. Eine Nacht lang läuft er durch Leipzig. Vieles geht ihm durch den Kopf. Auch der Gedanke an Suizid. Der Druck, der auf ihm lastet, schlägt sich aufs Herz. Er erleidet eine Herzattacke. Vom Krankenbett aus bittet er den Dekan der Fakultät um Entlassung als wissenschaftlicher Assistent. Er schreibt, „Unterstellungen, Verdrehungen und Verleumdungen … wird unbesehen Glauben geschenkt“. Versuche der Richtigstellung vor der Parteigruppe „wurden von einigen Genossen verhindert … In dieser Atmosphäre kann ich nicht mehr die hohe Verantwortung tragen, Journalisten auszubilden“. Und er schließt: „Ich bin tief davon überzeugt, daß das, was mir im Augenblick an der Fakultät für Journalistik widerfährt, bitterstes Unrecht ist.“

Doch noch wird er nicht entlassen. Dafür trifft es andere:

Drei Studenten, die während meiner mehrwöchigen Erkrankung mit einem Blumenstrauß angetroffen worden waren, den sie mir bringen wollten, wurden deswegen für ein Jahr vom Studium relegiert und zur Bewährung in die Landwirtschaft geschickt.

Doch er bekommt auch aufmunternde Zeichen, auch von den Kabarettisten der Leipziger Pfeffermühle:

Lieber Reiner,

kein Programm ohne Kunze-Text. Das war unsere Losung und wird sie hoffentlich auch bleiben. (…) Trotz Krankheit, Ärger und Verdruß hast Du immer zu uns gehalten. Weiter so! 24

Völlig überraschende Unterstützung erfährt er von seinem Dekan, Professor Hermann Budzislawski, einem Pressegeschichtler, der während der NS-Zeit in die USA emigriert war. Über dessen Reaktion nach der FDJ-Versammlung schreiben die Widersacher in einem Parteibericht verärgert:

… daß der Dekan … auch in der Folgezeit seine Hand schützend über K. gehalten (hat) und damit die ganze Lage komplizierte. Er [Kunze, d. Verf.] ist in seinen Augen ein Wissenschaftler, der außerordentliche Leistungen vollbringe und sich demzufolge auch etwas leisten könne.25

Als Reiner Kunze einigermaßen wiederhergestellt ist, bestellt der Dekan ihn zu sich in die Wohnung:

Die Tür ging auf, und er, sehr beleibt, drängte mich mit dem Bauch hinaus. Möglicherweise wusste er, dass er abgehört wurde. Wir gingen spazieren in der Nähe der Pferderennbahn. Erst mal hat er mich fertiggemacht, so wie ein Vater einen Sohn fertigmacht. Denn ich hatte gekündigt, also aufbegehrt gegen das Kollektiv. Das war ein Unding. Dann sagte er, jetzt machen Sie um Gottes willen nicht noch den Fehler und treten aus der Partei aus. Sie schaden allen, die sich für Sie eingesetzt haben. Sie schaden auch mir. Und es gäbe eine Reihe Leute, auch in Berlin, die sich wiederholt für mich eingesetzt hätten, denen würde ich schweren Schaden zufügen. Das war der Grund, weshalb ich erst 68 ausgetreten bin. Bei diesem Gespräch habe ich zu ahnen begonnen, was ich später in den Stasiakten bestätigt fand: Sein Eintreten für mich hatte ihn ins Visier der Staatssicherheit gebracht.

Erster und kostbarster Literaturpreis

Wieder zurück an der Fakultät folgen weitere Parteiaussprachen. Anfang Juni 1959 finden die Gegner ihre lang gesuchte Gelegenheit. Der Berliner Rundfunk hatte eine Sendung mit Liebesgedichten von Reiner Kunze gebracht.

Darunter sind Gedichte wie „DAS MÄRCHEN VOM FLIEDERMÄDCHEN 1954“. Gebaut wie ein Volkslied erzählt es in sieben Strophen von Liebe, Trennung im Krieg und Tod:

Unterm Mond, unterm Mond,

hei! Da bläht sich der Mantel

von einem, der lebengeblieben,

der lebengeblieben.

Doch fällt da, doch fällt da der Mantel zusammen?

Der Hastende stieß nur, ach

An einen Stein, der liegengeblieben,

der liegengeblieben.

(…)

Als ich siebzehn war,

warst du achtzehn Jahr

und schenktest mir Flieder.

Gingen hin zehn Jahr,

was dazwischen war,

ruht unterm Flieder.

Unter den Steinen kam ich um.

Zehn Jahre machen stumm.

Du schenkst einer anderen Flieder.

Sieh auf die Trümmer rings. Weißt du,

warum ich unter ihnen ruh? –

Wir dachten immer nur an Flieder.26

Dieses intime, tragisch-traurige Lied passt nicht in die verlangte sozialistische Lyrik des „Bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend bau auf! Für eine bessre Zukunft richten wir die Heimat auf“ oder zu Fürnbergs Agitationssound im Marschrhythmus: „Du hast ja ein Ziel vor den Augen.“

Bislang hatte Reiner Kunze politische Gedichte veröffentlicht, wie man sie von einem Genossen an dieser Fakultät erwartet. Auch er dichtete im Sog des gefeierten Monuments Wladimir Majakowski, der in seinem revolutionären Duktus schmetterte:

(…)

In unserer Zeit

ist nur der

ein Dichter,

ein Mann der Feder

nur der

– der nützt.

Hinweg

mit dieser Sorte

von Torte!

(…)27

Majakowski lässt die Verse tanzen auf der Tribüne des Kommunismus und begeistert Generationen junger Sozialisten. Er wird aufgebaut zur sowjetischen Dichterikone. Doch er hält sich in der Wirklichkeit selbst nicht aus. 1930 begeht er Suizid.

Verfangen in jenem Weltbild, in dem die Feder als schärfste Waffe gilt, dichtet auch Kunze:

AM RANDE BEMERKT

Ich Arbeiterjunge

Nahm Platz.

Am Wirtshaustisch saßen,

Seelisch leidend,

Eine Dame

(Korpulent,

Mit schwarzen Börstchen auf den Lippen),

Schnitzelschneidend

Ein Herr.

Ihm quollen über Kragenklippen

Das Genick und Backenfleisch:

„Ich war früher auch nicht reich,

Das heißt … direkt

War ich es nicht.

(…)

Doch das Proletarische …

Ist nicht unsre Gegenwart.“

– Die Dame kaute. –

(…)

Und sie schaute,

Daß keiner höre,

Als sie fragte,

Ob wohl die Vergangenheit

Nochmals wiederkehre.

(…)

Ach, mir taten diese Menschen leid,

Hatten nicht die Gegenwart,

Nicht die Vergangenheit,

Und auch die Zukunft

War nicht mehr die ihre,

Weil sie lächelnd schon

Am Tische saß.28

Sein Kommentar heute:

Da haben Sie die ganze Arroganz eines grünen jungen Mannes, der dazu erzogen wurde, Menschen nicht nach ihren Qualitäten zu beurteilen, sondern danach, welcher Klasse sie angehören.

Sein Lyrikdebüt gibt Reiner Kunze 1955 in einem schmalen Gedichtband gemeinsam mit Egon Günther, dem späteren DEFA-Filmregisseur. Schon wenig später wünscht der Dichter, er hätte die Texte besser nicht veröffentlicht.

Aber das Bändchen unter dem Titel DIE ZUKUNFT SITZT AM TISCHE ist in der Welt. Im hohen Ton des Parteipathos schwelgen nicht alle, doch die meisten der versammelten Versuche. Nur einige wenige Liebesgedichte entziehen sich. Das besondere Lob der Genossen findet eins, in dem Parteilichkeit und Liebe Hand in Hand gehen. Und so steht man bei dem frühen Kunze auch vor diesem Gedicht:

„MOHR“

(Die Karl Marx am meisten liebten, nannten ihn „Mohr“)

„Mohr … mein Mohr“ –

So nannte ihn Jenny.

Das Wort war so warm wie ihr Herz

Und so zart wie ihr Leib,

Und ihr Mohr war verliebt

In das Wort, in das Herz, in sein Weib,

Und hat uns die Liebe gegeben,

Liebe –

Jahre vom Leben.

„Mohr … Vater Mohr“ –

So riefen ihn zärtlich die Kinder.

Er hat sie geküsst und hat sie geherzt;

Denn so war seine Art.

Er sang ihnen Lieder

Und hatte ein prächtiges Lachen im Bart –

Und das Glück, er hat’s uns gegeben,

Glück –

Das sind Jahre vom Leben.

„Mohr … Freund Mohr“

So sagte sein treuer Genosse zu ihm.

Ihre Freundschaft, die schönste,

Die jemals gewachsen,

Die gab ihm die Kraft,

Und so hat er unbändigen Willens geschafft –

Und hat uns die Siege gegeben,

Siege –

Sein ganzes Leben.

„Mohr … unser Mohr“ –

Für sich

Nahm er nur seine Sorgen –

Und dachte die Sonne

In unseren Morgen.29

Reiner Kunze sagt mit Blick auf dieses Gedicht:

Ich lese den Text, geschrieben Anfang der fünfziger Jahre, heute mit Scham und Entsetzen. Er ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Unter Hitler haben wir Gedichte auswendig lernen müssen wie dieses:

Mein Führer, sieh, wir wissen um die Stunden,

in denen du hart an der Bürde trägst –

in denen du auf unsere tiefen Wunden

die liebevollen Vaterhände legst

und noch nicht weißt: wie wirst du uns gesunden.

(…)

Darum ist unsere Liebe auch so groß,

darum bist du der Anfang und das Ende –

Wir glauben dir, treu und bedingungslos,

und unser Werk des Geistes und der Hände

ist die Gestaltung unseres Dankes bloß.

Anfang der Fünfziger Jahre wurden uns in den Vorlesungen Gedichte gepriesen wie Johannes R. Bechers „Danksagung“ an Stalin:

In seinen Werken reicht er uns die Hand.

Band reiht an Band sich in den Bibliotheken,

Und nieder blickt sein Bildnis von der Wand.

Auch in dem fernsten Dorf ist er zugegen.

(…)

In Dresden sucht er auf die Galerie,

Und alle Bilder sich vor ihm verneigen.

Die Farbtöne leuchten schön wie nie

Und tanzen einen bunten Lebensreigen.

(…)

Dort wirst du, Stalin; stehn in voller Blüte

Der Apfelbäume an dem Bodensee,

Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,

Und winkt zu sich ein scheues Reh.

(…)

Und kein Gebirge setzt ihm eine Schranke,

Kein Feind ist stark genug, zu widerstehn

Dem Mann, der Stalin heißt, denn sein Gedanke

Wird Tat, und Stalins Wille wird geschehn.

Da stand der Bergarbeitersohn, dem in der Oberschule Namen wie Franz Kafka nie zu Ohren gekommen waren, mitten im politischen Kitsch.

Das Gedicht der „Mohr“ ist ein Spiegel seiner Zeit und des manipulierten Denkens. Karl Marx’ Theorie ging im doppelten Wortsinn um als Gespenst in Europa. Dabei war vor den zu erwartenden Folgen – der Zerstörung selbst liberalkapitalistischer Strukturen – durch linke Intellektuelle wie Georges Sorẹl bereits Ende des 19. Jahrhunderts unüberhörbar gewarnt worden. Spätestens jedoch mit Wolfgang Leonhards Die Revolution entlässt ihre Kinder und kurz darauf mit Nikita Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU konnte man auch in der DDR das zerstörerische Potenzial dieser Lehre ahnen.

Bei Reiner Kunze setzt 1956 ein Umdenken ein. Doch noch Jahre später, schon in Greiz, wird ein Genosse der SED-Kreisleitung ihn auf sein Gedicht „MOHR“ ansprechen und fragen, warum er nicht mehr Gedichte dieser Art schreibe. Er antwortet, dieses Gedicht sei eines seiner schlechtesten.30 Und aus heutiger Distanz sagt er:

Von mir gibt es frühe Texte, die zu meiner Biografie, aber nicht zur Literatur gehören. Damals war ich gewiss ein politischer Autor, denn ich hatte geglaubt zu wissen, wie man die Welt verändern kann. 31

Und plötzlich sendet der Rundfunk Gedichte, mit denen er die Erwartungen an ihn als politischen Dichter unterläuft. Schlimmer noch, er unterläuft den gerade zwei Monate zuvor beschlossenen Bitterfelder Weg, den Konsens der Staatskünstler, in ihren Werken primär die Arbeitswelt und die Erfolge des Sozialismus darzustellen und zu preisen. Stattdessen veröffentlicht er Gedichte, die der Liebe und Erotik huldigen.

Kommt er, dann werben

Lippen und Arme,

bis er gegangen,

und aus den Brüsten

drängen die derben

Hände

das Blut in die Wangen.

(…)

Die Liebe

ist eine wilde Rose in uns,

unerforschbar vom Verstand

und ihm nicht untertan.

Aber der Verstand

ist ein Messer in uns.

Der Verstand

ist ein Messer in uns,

zu schneiden der Rose

durch tausend Zweige

einen Himmel.32

Für spätere Veröffentlichungen streicht er die ersten sieben Verse und das Gedicht wird unter dem Titel „Die Liebe“ eines seiner dauerhaft gültigen. Seinen Gegnern sind die gesendeten Gedichte eine Ungeheuerlichkeit. Die Parteiorganisation der Fakultät schaltet den Parteisekretär des Staatlichen Rundfunkkomitees ein und verlangt, die Kultredakteure zu maßregeln. Gegen Reiner Kunze wird am 9. Juni 1959 ein Parteiverfahren eröffnet. Der Vorwurf: Beteiligung an konterrevolutionären Aktivitäten und parteischädigendes Verhalten. Als er zu seiner Entlastung zwei Zeugen befragen lassen will, soll es Klaus Höpcke gewesen sein, der vom Präsidium aus dazwischenfährt: „Wir sind hier nicht in einer bürgerlichen Gerichtsversammlung, wo man Zeugen aufrufen kann.“

Es gab eine große Versammlung, die dauerte sieben Stunden, bis Mitternacht. Mir wurde vorgehalten: „Wer solche Gedichte schreibt, kann keine sozialistischen Studenten erziehen.“ – „Mit solchen Gedichten lenkt Kunze von den wesentlichen Aufgaben des Sozialismus ab.“ Das war der Hauptvorwurf. Ich solle mich an Gedichten von Mao Tsetung orientieren: „Das sind auch Liebesgedichte, aber die haben einen Klassenstandpunkt.“ Mir wurde gesagt, entweder ich nehme selbstkritisch Stellung und bekenne, was mir vorgeworfen wird, dann werde die Partei beraten und es wäre nicht unbedingt die Trennung, oder … Daraufhin habe ich gesagt: „Ich distanziere mich nicht von meinen Gedichten.“ Das hat genügt. Das Ergebnis dieses Tribunals ist eine einstimmige Parteirüge wegen „parteifeindlichen Verhaltens, das zu schädlichen Auswirkungen in Lehre und Erziehung der Studenten führte“.33 Eine Rüge ist die zweithöchste Strafe vor dem Parteiausschluss. Dieses Mal geht der Dekan auf Kunzes Kündigung ein. Gleichzeitig hält er noch einmal seine Hand über ihn. Er unterschreibt nicht die Kündigung, sondern einen Aufhebungsvertrag.

In der Vergangenheit hatte der Dekan sich auch gegenüber der Staatssicherheit schützend vor seinen Assistenten gestellt. Jetzt verdichten die Mitarbeiter des MfS das gesammelte Material und eröffnen im Januar 1960 einen „Vorlauf Operativ“, eine Überwachung unter dem Decknamen „Reporter“34 Zwei Inoffizielle Mitarbeiter und eine „Quelle“ im Schriftstellerverband werden auf ihn angesetzt, verstärkte Überwachung erfolgt zur Leipziger Messe. Geklärt werden soll, ob er über Kontakte in die Bundesrepublik verfügt, dort veröffentlicht und ob er weiter „revisionistische Theorien“ verbreitet. Als die operative Bearbeitung in Leipzig anlaufen soll, ist er schon nicht mehr dort, sondern in Berlin. Im März 1961 wird die Akte geschlossen, die Begründung: Eine „direkte Feindtätigkeit“ wurde nicht festgestellt.

Seine Universitätslaufbahn ist im Juni 1959 beendet. Das Credo dieser Jahre fasst er in Epigramme wie dieses:

Dialektik

Unwissende damit ihr

unwissend bleibt

werden wir euch

schulen35

Die nächsten Monate montiert er als Hilfsschlosser Achsen für Schreitbagger im VEB Schwermaschinenbau Leipzig. Nachts schreibt er, bis er gesundheitlich dazu nicht mehr in der Lage ist. Er hält weiter Kontakt mit Schriftstellerkollegen. Erwin Strittmatters Fürsprache ermöglicht es ihm, Nachwuchsschriftsteller in Berlin auszubilden. Das verschafft ihm eine Grundsicherung.

Jetzt kann er, was er wirklich will, Dichter sein, und er erkennt, als Dichter bestehen kann er nur, wenn er zu seiner ureigensten Sprache findet. Doch die wiederum findet er nur, wenn er seine Themen selbst setzt. Er entdeckt, Gültiges gelingt ihm nur aus eigenem Erleben heraus. Nur dann stellen sich Assoziationen ein, die die Dinge tiefer durchdringen. Nur dann ist es möglich, Dinge und Geschehnisse auf ihr Wesen zu reduzieren – und im Leser Bilder und Empfindungen zu wecken. Damit stellt er sich außerhalb des „Hochwaldes“, der seine Bäume zum Gleichmaß erzieht.

DER HOCHWALD ERZIEHT SEINE BÄUME

Der hochwald erzieht seine bäume

Sie des lichtes entwöhnend, zwingt er sie,

all ihr grün in die kronen zu schicken

Die fähigkeit,

mit allen zweigen zu atmen,

das talent,

äste zu haben nur so aus freude,

verkümmern

Den regen siebt er, vorbeugend

der leidenschaft des durstes

Er lässt die bäume größer werden

wipfel an wipfel:

Keiner sieht mehr als der andere,

dem wind sagen alle das gleiche36

Ihm wird bewusst, was er in seinen lyrischen Anfängen verfasst hat, war selten mehr als die Illustration vorgegebener Ideen. Noch dazu im hohen Ton des Pathos konnte dabei nur Plattheit herauskommen: „Die fähigkeit … das talent … verkümmern.“

Für Reiner Kunze völlig unerwartet verändert die Lyriksendung im Berliner Rundfunk im Juni 1959 ein zweites Mal sein Leben. Wieder sind seine Gedichte der Grund. Fast ein halbes Jahr nach der Sendung erreicht ihn eine Karte aus Aussig an der Elbe (Ústí nad Labem). Eine Hörerin bittet darauf in perfektem Deutsch um eines der Gedichte. Nach der Handschrift vermutet er eine pensionierte Germanistin. Er schickt dieser Elisabeth Littnerová seinen Gedichtband Vögel über dem Tau und es entspinnt sich ein Briefwechsel, der nach anderthalb Jahren vierhundert Briefe umfasst. Elisabeth Kunze erzählt darüber: Ich hatte Spätdienst in der Poliklinik und kam etwa um zehn Uhr nach Hause. Ich hab mir mein Abendessen gemacht, Kartoffeln geschält und das Radio eingeschaltet. Sie brachten Gedichte. Bei einem musste ich aufhören zu schälen. Es war „Das Märchen vom Fliedermädchen“. Ich war so berührt, dass ich das Gedicht haben wollte. Aber ich wusste nicht, welcher Sender es war.

Am nächsten von Aussig lag Dresden. Also hab ich einfach geschrieben: „Radio Dresden, Dresden, DDR.“ Ich hatte nur den Namen „Kunz“ gehört. Und ich dachte, vielleicht hat er im vergangenen Jahrhundert gelebt. Radio Dresden hatte die Sendung nicht gemacht und schickte meine Karte nach Leipzig. Leipzig hatte die Sendung auch nicht gemacht, aber derjenige, der das bearbeitete, war so nett und hat die Karte nicht in den Papierkorb geworfen, sondern nach Ostberlin geschickt. Ich hatte schon nicht mehr mit einer Antwort gerechnet. Plötzlich kam das ganze Sendemanuskript und die Redakteurin, Frau Fiebig, den Namen werden wir nie vergessen, schrieb, sie hätte die Karte an den Autor weitergeleitet.

Im Januar, das weiß ich noch ganz genau, kam ein Brief, darin das Buch mit Widmung. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, dass der Autor mir sein Buch schickt. Ich setzte mich spontan hin und schrieb ihm, wie ich vom Nachtdienst spät heimkam, müde war und plötzlich sein Buch hier fand. Das war der Anfang eines langen Briefwechsels.

Elisabeth Littnerovás Vater stammt aus Iglau (Jihlava), einer deutschen Sprachinsel in Mähren, südwestlich von Brünn (Brno). Dorthin hatte einst der böhmische König deutsche Bergleute für den Silberbergbau angeworben. Ihre Mutter ist eine Tschechin aus Wien.

Das Mädchen Elisabeth wird in Znaim (Znojmo), Südmähren, geboren. Ab 1937 wird auch Südmähren von Hitler annektiert, und Elisabeth besucht deutsche Schulen. Ihr Vater kommt als Wehrmachtssoldat nach Russland und gilt schließlich als vermisst. Als 1945 die wilden Vertreibungen beginnen, beschützt die Familie ein tschechischer Onkel, ein katholischer Priester in der Nähe von Znaim. Ende 1946 kehrt der Vater aus Russland zurück und will mit seiner Familie nach Österreich auswandern. Doch die Behörden eröffnen ihm, als Deutscher solle er sich scheiden lassen, dann könne er gehen, seine tschechische Frau und die Kinder müssen bleiben. Es ist die Zeit der Bẹneš-Dekrete. Gemischtehen sind der Führung ein Dorn im Auge. Der Vater entscheidet sich, bei seiner Familie zu bleiben, leidet in der ČSSR aber zeitlebens unter seiner Ausgrenzung als Deutscher.

Elisabeth darf Medizin studieren und wird als Fachärztin für Kieferorthopädie an die Poliklinik von Aussig delegiert. In ihrem Inneren, sagt sie, fühlte sie sich immer der deutschen Kultur verbunden, sie habe deutsche Bücher gelesen und auf ihrem uralten Radio deutsche Sender gehört.

In ihren Briefen erzählen Elisabeth Littnerová und Reiner Kunze sich ihre Leben. Besuchen dürfen sie einander nicht. Die Grenze ist für Privatpersonen geschlossen. Mit Elisabeths Hilfe entdeckt Reiner Kunze die tschechische Literatur.

Einem ihrer ersten Briefe hatte die junge Ärztin Gedichte des von ihr sehr geschätzten Vít Obrtel beigelegt. Reiner Kunze fragt nach weiteren Dichtern. Sie übersetzt ihm interlinear Jan Skácel, Miroslav Holub und Vladimír Holan, Ludvík und Milan Kundera. Diese Übertragungen vermitteln ihm eine völlig neue Perspektive. Auch das sind Gedichte aus einem sozialistischen Land, aber aus ihnen sprechen Sichtweisen, auch in der politischen Selbstverortung, wie er es aus der DDR nicht kennt. Reiner Kunze beginnt nachzudichten:

Milan Kundera (geb. 1929)

DICHTER SEIN HEISST

bis ans ende gehen

Ans ende der zweifel

ans ende des hoffens

ans ende der leidenschaft

ans ende des verzweifelns

Dann erst zusammenzählen

Eher nicht Eher nicht

Sonst kann’s geschehen

die summe des lebens

kommt dir lächerlich klein heraus

Und du taumelst wie ein kind

ewig nur im kleinen einmaleins

Dichter sein heißt

immer bis ans ende gehen37

Dieser Kundera spricht Kunze aus der Seele. Durch Elisabeths Übertragungen entdeckt er in der Entlegenheit Böhmens und Mährens sein ureigenstes lyrisches Naturell. Das Nachdichten gewinnt für ihn einen ganz eigenen Reiz. „Es gibt Dichter“, wird er später Karl Dedecius zitieren, „die selbst Hervorragendes geschaffen haben, aber niemals imstande waren, nicht einmal für einen Augenblick, aus der eigenen Haut, aus dem eigenen Stil, aus der eigenen Vorstellung zu schlüpfen. Solchen Dichtern gelingen in der Regel Übersetzungen nicht.“38

So ein Dichter ist er nicht. Sein Ehrgeiz ist geweckt. Er hat keine Schwierigkeiten, sich vom eigenen Stil zu lösen, ganz in das fremde Gedicht hineinzulauschen, es abzuklopfen auf Harmonien und Brüche, auf Wortspiele, korrespondierende Bilder, auf Doppelbödigkeiten. Wo immer möglich, sucht er den Dichter in seiner eigenen Welt auf, um ihm zuzuhören, um ein Gefühl für ihn zu bekommen. Zugute kommt ihm, er ist ein Arbeiter am genauen Wort bis zu dessen Perfektion, dazu versehen mit einem sicheren Sprachgefühl.

So entdeckt er auch sehr bald, welche sinnliche Vielfalt in der tschechischen Sprache und in ihrer Poesie liegt. Zugleich erkennt er ihre Grenzen in der Abstraktion. Eine Symbiose aus der Sinnlichkeit der tschechischen Sprache und dem Bedeutungsreichtum der deutschen Sprache erscheint ihm verführerisch genug, um sich in die tschechische Sprache zu vertiefen. Er will nichts Geringeres, als die Vorzüge beider Sprachen in Nachdichtungen und in der eigenen Dichtung zusammenführen.

Nachdichten heißt für Reiner Kunze, im anderen das Eigene schaffen, und das Andere zugleich bewahren. In einer seiner Münchener Poetik-Vorlesungen 1988/89 formuliert er es so: „Nachdichten heißt, dasselbe zu schaffen, das ein anderes ist, ein Eigenes, das ein Fremdes bleiben muß.“39 Und mit der ihm eigenen Bescheidenheit fügt er hinzu: „Nachdichten und einander den eigenen Vers hinschenken – das ist der Internationalismus der Dichter.“40

Ein Jahr lang kennen sich Reiner Kunze und Elisabeth Littnerová aus Briefen und von je einem Foto her. An einem Nachmittag meldet Reiner Kunze vom Apparat eines befreundeten Ehepaares aus ein Telefongespräch an. Nachts um halb drei kommt die Verbindung zustande und er fragt Elisabeth, ob sie seine Frau werden wolle. Ihre Antwort: „Ja.“ Da sind sie sich noch nicht ein einziges Mal begegnet. Als Medizinerin, sagt Elisabeth Kunze, habe man das Glück, viele Menschen zu kennen. Einer ihrer Patienten leitet ein „Theater der Poesie“. Es ist eine der Stätten, an denen Lyriker und begabte Laien Gedichte vortragen. Sie fragt ihn, ob es nicht möglich sei, einen ostdeutschen Autor einzuladen. Über diesen Weg kommt Reiner Kunze schließlich für drei Tage nach Aussig, in eine Industriestadt mit ungeheurer Luftbelastung. Die Atmosphäre, den allgemeinen Zustand in dieser vom Verfall gezeichneten Stadt und sein Empfinden fasst er in ein Gedicht:

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25 mayıs 2021
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325 s. 43 illüstrasyon
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9783954621729
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