Kitabı oku: «Bravourös in die Suppe gespuckt», sayfa 3

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Mit zehn Jahren rauchte Alexander konsequent auf Lunge

Nach der Schule verabredete ich mich mit meinem treuesten Kameraden Alexander zu neuen Heldentaten. Er war im Leben mein einzig wahrer Freund. Wir liebten uns wie Brüder. Alexander lebte in einer anderen Welt, weitab vom Dorf, inmitten einer unberührten Wildnis. Das Haus erinnerte an Waldhausromantik alter Heimatfilme mit Willy Bürgel als Oberförster. Das alles gefiel mir ungemein. Näherte ich mich diesem Idyll, wurde die Ruhe allerdings häufig durch das Gebrüll von Alexanders Vater jäh gestört. Der erschien mir wie ein kraftstrotzender Riese aus der Welt der Märchen und Sagen. Und so konnte der sich auch gebärden. Vielfach hörte ich ihn schon von weitem brüllen wie einen kranken Pavian: „Alex, du Rindvieh“, war meilenweit zu hören. Dieser Kosename wurde ihm recht häufig und sehr gern verliehen, vor allem wegen seiner unkonventionellen Bereitschaft, ständig irgendwelchen Mist zu bauen. Auch das gefiel mir ungemein. Sein Papa war zwar ein ungehobelter Klotz und laut, dennoch ging die wirkliche Gefahr von Alexanders Mutter aus. Sie war hübsch und zierlich, hatte dabei aber das Naturell einer unerbittlichen Gefängniswärterin. Wenn es ihr Sprössling zu arg trieb, ließ sie sich zu pädagogischen Maßnahmen hinreißen, die aus unserer Sicht nicht positiv bewertet wurden. Denn in Wut geraten, schreckte sie vor tätlichen Übergriffen nicht zurück, die sich so manches Mal in einer kräftigen Maulschelle äußerten.

Alex war für sein Alter viel zu klein, aber drahtig. Er hatte einen fusseligen Kurzhaarschnitt und seine semmelblonden Haare standen wie bei Michel von Lönneberga in alle Richtungen, kreuz und quer. Mit zehn Jahren rauchte er regelmäßig Zigaretten, konsequent auf Lunge. Das war ein kurioses Bild, wenn dieser Zwerg mit seinem riesigen Schweinslederaffen auf dem Rücken qualmend wie ein Stadtsoldat nach Hause trabte. Bevor er fröhlich daheim ankam, spülte er sich mit selbstverständlicher Regelmäßigkeit seinen Mund im nahegelegenen Feuerwehrteich. In dem hatte bereits reichlich totes Getier sein feuchtes Grab gefunden. Diese prophylaktische Hygienemaßnahme vergaß er nie, weil der allzeit wachsame Hausdrache nichts von seinem Laster riechen sollte. Im krassen Gegensatz zu seinem äußeren Erscheinungsbild stand seine Stimme. Denn die war tiefer gelegt, als ein Maserati. Jener zwergartige Bursche hätte den Job als Synchronsprecher für whiskytrunkene Westernhelden mit Zigarre im Mundwinkel übernehmen können. Das machte ihn zu einer markanten Persönlichkeit. So mancher Erwachsene schmunzelte, wenn dieser Zwerg im rauen Bass lospolterte. Das wirkte paradox und ich war stolz, sein Freund zu sein.

Und dann gab es Arthur. Der war wie die meisten in unserem Dorf semi-professioneller Ackerbauer und Viehzüchter in einer Person. Gelegentlich kutschierte er gemütlich mit seinem Pferdegespann an unserem Abenteuerspielplatz, dem Ascheberg, auf holprigen Feldwegen vorbei. Eines Tages war sein Wagen mit einem übergroßen Güllefass beladen, dessen wertvoller Inhalt dicke Rüben wachsen lassen sollte. Von weitem sahen Alex und ich ihn angeschunkelt kommen. Arthur schlief auf seinem Kutschbock. Von seiner Zigarre war nichts mehr übrig, nur schwarzer Tabaksabber lief ihm aus dem schräg dösenden Mund. Die zuverlässigen Pferde indessen kannten den Weg und ihren Auftrag. Wie Max und Moritz befanden wir, hier müsste man doch etwas tun. Und wäre es nicht ein gelungener Streich, heimlich und durchtrieben die Jaucheschleuse frischweg zu öffnen. Der würzig duftende Flüssigdünger würde so ebenmäßig auf dem Weg verteilt. Unsinnig, aber dafür voll zum Ablächeln, wenn wir dann den ollen Zigarren-Arthur am Reiseziel aus sicherer Deckung mit Vergnügen beobachten würden, wie er verblüfft dumm drein schaut, weil er – ganz unfassbar – eine leere Tonne auf seinen Acker kutschiert hat. Gesagt, getan. Die übermütigen Wegelagerer schlichen sich vorsichtig von hinten an und Alex war bereit, den massigen Schieber an seinem Eisenstab ein Stück nach oben zu bewegen. Arthur hatte wahrscheinlich lange keine Jauche mehr über Land befördert, denn der Verschluss war eingerostet und klemmte wie festgenagelt. Leise feuerte ich Alex an. Der drückte erneut mit voller Kraft. Und dann noch einmal. Nun gab es einen Ruck mit Explosion. Und siehe da, ein enormer Schwall ergoss sich nicht nur auf den Weg, sondern hauptsächlich über den Verursacher dieses Geniestreichs. Vor Schreck riss der den Hebel wieder runter, es runkste und der Wasserfall aus Jauche versiegte abrupt. Weil die Kufe wieder so flink verschlossen war, erlitt Arthur nicht, wie geplant, größere Transportverluste. Jedoch für Alexander war der warme Gülleschwall mehr als ausreichend ausgefallen. Von oben bis unten besudelt, hatte er sich mit einem Schlag in einen infernalisch stinkenden Jauchezombie verwandelt. Die dicke Brühe lief vom Kopf über den ganzen Körper bis in seine Schuhe. Er schniefte zweimal kräftig durch und strich sich der Ordnung halber mit dem Ärmel über das gülletriefende Gesicht. Dabei verschmierte Alex ein bisschen Schweinekacke. Unser Entsetzen war groß, die Furcht vor Alexanders zur Gewalt neigenden Mutter allerdings war größer. Gottlob, wir hatten den rettenden Einfall. An der nahegelegenen Quelle, die im Sommer wie im Winter munter sprudelte, entkleidete sich Alex gänzlich und wir begannen zu waschen wie Zolas Germinal an der Seine. Allein, wir hatten nicht bedacht, dass beim Waschen die Kleidung patschnass wurde. Aber auch dafür hatten wir die Lösung sofort parat. Ich hatte als anständiger Feuerwerker verlässlich eine Schachtel Riesaer Sicherheitszündhölzer dabei. Damit entfachten wir ein Lagerfeuer und schleppten haufenweise Brennholz herbei. Der mittlerweile frisch Angekleidete musste nun pausenlos mit seinen triefenden Klamotten durchs flammende Inferno springen, weil man so am besten Wäsche trocknet. Der Albdruck vor dem heiligen Zorn seiner Mutter ließ den nassen Knaben wie einen türkischen Derwisch durch die Flammen hetzen. Hin und her sprang mein Kumpan, bis er vor Erschöpfung dampfend niedersank. Und siehe da, der Trocknungsprozess war gar nicht schlecht vorangegangen. Es wäre ein Teilerfolg gewesen, wenn bloß die Klamotten ein wenig weniger gestunken und mein Freund bei seinem feurigen Höllenritt nicht sämtliche Gesichts- und Kopfhaare verloren hätte. Alexander sah aus wie das Ding aus dem Sumpf. Wir waren bei ihm zu Hause gerade hineingeschlichen, da hatte die energische Mama nicht nur den Braten, sondern auch die unaussprechliche Aura ihres angesengten Goldjungen gerochen. Ihr Aufschrei liegt noch heute in der Luft. Ich bekam für Wochen Zutrittsverbot zum lauschigen Idyll.

Mein so kluger Alexander war ein ausgemachter Pechvogel. Beim Blödsinnmachen wurde allemal nur er erwischt und war der Prügelknabe. Das war so ungerecht, denn Alex war der Vorsichtigste von uns allen und öfter mit Bedenken unterwegs. Von unserer Clique der unterstimulierten Hirne war er auf alle Fälle das kleinste Idiotenlicht. Einmal standen wir nach der Schule im voll besetzten Linienbus, so eng gedrängt wie Salzheringe in der Büchse. Miefstickige Luft. Unsere sauerstoffunterversorgten Hirne arbeiteten träge und noch dämlicher als sonst. Aus Langeweile ließ jeder aus unserer Halbwüchsigenmeute mehrmals eine dicke Kaugummiblase lautstark millimeternah an alten Hälsen platzen. Paff! Endlich, ein bisschen Gaudi. Wir grinsten amüsiert und dämlich. Die alten Tanten schauten empört nach hinten, aber es war ja nichts zu sehen. Alexanders klebrige Kaumasse konnte nicht effektvoll detonieren, sondern klebte schlagartig an seinem Gesicht und der Pranke einer stattlichen Matrone. Denn die hatte unerwartet blitzschnell gewendet und dem glücklosen Blasenmacher so kräftig eine in die Visage gedonnert, dass der arme Alex vor Schreck und Sauerstoffmangel zu Boden sank. Dahingewelkt wie ein Moosröschen in frostkalter Herbstnacht.

Bei der folgenden Kulturschande erwischte es Alexander wieder arg. Auf unserem Boden ruhte ein Schatz: die Schallplattensammlung von Mama. In ihrer Jugend hatte sie einen wahren Fundus alter und neuer Schelllackplatten zusammengetragen, da sie ihre kratzigen Klänge und die Sangeskünstler über alle Maßen liebte. Nun interessierte sie sich nicht mehr dafür. Das antike Grammophon hatte längst ausgedient, war entzwei und unbrauchbar, wir Kinder missbrauchten den goldenen Trichter als Trompete zum Erschrecken. Die Platten lagerten seit gut zwei Jahrzehnten auf dem Boden in einer Ecke, verstaubt, gestapelt und seelenruhig. Bis zu jenem Tag, als Alex und ich den Entschluss fassten, damit etwas Unterhaltsames anzustellen. Warum sollte man nicht probieren, die ollen Grammofonplatten vom nahen Hügel über das Dorf segeln zu lassen. Gesagt, getan. Wir verstauten einen gehörigen Stapel in Opas verschlissenem Armeetornister und zogen los. Unterwegs trafen wir zwei Schulkameraden, die schlossen sich uns begeistert an. Auf nach Larremy! Nun rotierten Rudi Schuricke, Rosita Serrano und Co. nicht auf dem Plattenteller, sondern in luftigen Höhen und wurden zum lebensbedrohenden Schelllack-Ufo-Kampfgeschwader. Unglaublich schnell und unglaublich weit flogen die schweren, knochenharten Wurfgeschosse! Alex traute sich nicht zu werfen, war unschlüssig, meldete Bedenken an und druckste rum. Ich ermunterte ihn und verwies auf den imposanten Flugverlauf. Er fasste sich ein Herz, griff nach einer gerillten Antiquität und schickte sie auf ihre desaströse Reise. Weil Alex sich so dermaßen mit Wind und Richtung verkalkulierte, driftete die schwarze Scheibe ab und erwischte im tiefen Segelflug die alte Minna in ihrem Hof am Kopf. Wir sahen von weitem, wie sie zusammensackte und leblos liegen blieb. Alle standen wie versteinert und uns war klar, nun würden wir hingerichtet. Vier Mal die Todesstrafe für ruchlose Rotzlöffel. Wir stellten uns. Mein Freund wurde als verantwortlicher Kommandeur jener Torheit drakonisch bestraft. Aber auch ich bekam gewaltig mein Fett weg. Die bedauernswerte Alte lag zehn Tage im Krankenhaus und war davon zwei ohne Bewusstsein. Gott sei Dank trug die alte Frau sommers wie winters ein dickes, braunes Wollkopftuch. Wer weiß, was ohne ihren Helm geschehen wäre. Alex war auch hierbei der Unschuldigste von uns Idioten, der nur einmal zur Wurfscheibe griff, die einst kläglich schallernd auf dem Plattenteller tönte. Der Arme. Beim Strafeabbrummen konnte ich ihm nicht helfen, aber wir haben zusammen die alte Minna im Krankenhaus besucht, ihr einen Sommer lang den Gemüsegarten in Schuss gehalten und uns sehr geschämt.

Klauten wir Chemikalien aus dem Vorbereitungsraum unseres Lehrers, Herrn Tritsche, um explosives Material zu mixen, erwischte der natürlich meinen Alex und verpasste ihm eine widerrechtliche Ohrfeige und einen rechtmäßigen Verweis. Als wir alle fünfzehn Kaninchendamen seines Großvaters mit einem Mal vom Bock haben bespringen lassen und die infolgedessen allesamt simultan Mutterfreuden mit großen Hasenaugen entgegenblickten, machte sein Opa nach vier Wochen noch größere Augen. An einem eintönig, trüben Nachmittag nämlich, als es uns sterbenslangweilig war, lungerten wir bei Alex‘ Großeltern herum. Seine Oma, von uns genervt, jagte die zwei besten Freunde hinaus auf den Hof. Planlos krochen wir in den warmen Stall, wo Federvieh, Pferd und Schweine friedlich hausten. Und die Kaninchen natürlich auch! Ha, endlich hatten wir einen famosen Einfall und jegliche Monotonie ein Ende. Fröhlich machten wir uns ans Werk und reichten den schwarzgescheckten Spitzenrammler von einem Abteil zum nächsten, wo er seinem Ruf alle Ehre machte. Ein einziges Sodom und Gomorra in den Boxen, eine Karnickelorgie, die allen Beteiligten Freude schenkte. Juhu! Aber Opa Krause sah das anders. Der ist beinahe aus seinen löchrigen Latschen gekippt, als auf einen Schlag geschätzte hundertzwanzig muntere Häschen zu versorgen waren. Plus die Alten. Alexanders Cousin hatte uns verpfiffen. Opa Krause wies seinen Enkel wütend an, täglich für reichlich frisches Grün und keinen weiteren Blödsinn zu sorgen. Dabei konnte ich meinem Gefährten helfen, schließlich hatten wir diesen wundervollen Streich gemeinsam ausgeheckt. Die Beschaffung von Grünem indes erwies sich als recht beschwerlich, denn es war noch Winter!

Wenn Rummel war, schossen wir an der Schießbude manchmal mit Absicht nicht auf die Röhrchen aus weißem Porzellan, sondern auf die darunter hängenden Figuren, auch aus Porzellan oder – noch lustiger – ein bisschen auf die lebenden Schießbudenfiguren. Als sich Alex tatsächlich nach ewig langem, ängstlichem Zaudern und Zögern traute, einem Schaubudenfritzen mit dem Durchlader eins auf die dicken Hinterbacken zu brennen, standen hinter ihm bereits die Vollstrecker. Zuerst der Schrei des Getroffenen, der seinen breiten Lederhosen-Hintern rieb, dann der Zugriff durchs Kommando der Schießbudenvereinigung. Die hatten uns ehedem eine ganze Weile observiert, packten meinen armen Freund am Schlafittchen und hielten ihn über grausige Abgründe. Alles ging ganz schnell. Danach mussten wir zum Verarzten notgedrungen nach Hause fahren.

Weil ich manchmal die große Glocke läuten musste, hatte ich Schlüsselgewalt und Zugang zu unserer ehrwürdigen romanischen Dorfkirche. Wenn mir danach war, begab ich mich dorthin und wütete mit drei Akkorden, die ich zufällig konnte, auf der Kirchenorgel herum. Durchgängig alle Register gezogen, brüllte die malträtierte Königin der Instrumente auf der Empore. Ich war entzückt von meiner entfesselten Improvisationswut. Zu Alex‘ fünfzehntem Geburtstag nahm ich ihn dorthin mit und forderte zum musikalischen Wettstreit auf. Das war mein Geschenk. Ich guckte mich derweil auf dem Kirchenboden um und Alex konnte inzwischen vorab ein wenig musizieren. Der hatte vom Instrument sowie künstlerischer Interpretation keinen Schimmer, sah das Pfeifeninstrument so nah das erste Mal. Dennoch riss er für seine Verhältnisse sehr beherzt den Hauptstromschalter nach oben und wollte mit seiner Darbietung beginnen. Doch die sakrale Stille am gottgeweihten Ort wurde nicht unterbrochen. Nach einer langen Ruhe, worüber ich mich bereits wunderte, kam der Musikant nach oben, um mir zu vermelden, die Orgel spiele nicht mit. Als wir der Ursache auf den Grund gingen, stellten wir mit Entsetzen fest, dass keine Himmelsmacht das Konzert blockierte, sondern ein satanischer Gestank den gesegneten Ort erfüllte. Der Motor, der sonst in einem separaten Raum für gehörigen Pfeifendampf sorgte, tat keine einzige Umdrehung. Dafür brannte er lichterloh. Technische Blockade, auch in unseren Köpfen. Alexander in Schreck und Panik nutzte die Wetterlage und kippte hastig mehrere Eimer Neuschnee, der sich neben der Kirchentür als Wehe auftürmte, über den brennenden Motor seiner Heiligkeit. Worauf es so höllisch zischte und donnerte, als wäre im Gotteshaus eine Dampflok der Baureihe 01 explodiert. Der Brand wurde effektiv gelöscht, der Motor war effektiv ruiniert. Ein Jahr lang brummte die christliche Gemeinschaft zahnloser alter Weiber ihre Gesänge ohne die tonangebende Unterstützung des Orgelinstruments. Das war ein klägliches Gewimmer. Herausgekommen ist die ganze Geschichte nie und wurde letztlich als unerklärliches Mysterium gedeutet. Wenigstens ging Alex diesmal straffrei aus. Die alte Kirchenorgel besaß genug Pfeifen. Mit uns beiden hatte sie noch zwei dazubekommen. Halleluja!

An der Zellentür klappert es, dann wird sie aufgeschoben. Es ist früh am Morgen. Für mich zumindest. Anweisungsgemäß stehe ich neben der Pritsche und zeige, dass ich am Leben bin. Das Frühstück ist karg. „Mit wem reden Sie eigentlich die ganze Nacht?“, fragt der Uniformierte. Ohne meine Antwort abzuwarten, verriegelt er die schwere Tür. Ich halte inne. Sinniere, ob es überhaupt das ist, was mein Auftraggeber hören will. Vielleicht ist alles durchweg zu lang, zu breit, zu unbedeutend. Rasch findet man Selbsterlebtes wichtig und erzählt beschwingt. Nun denn, Strelow, der Drehbuchautor, wird mir bald kundtun, was er davon hält. Ich bin gespannt, wann er mir erscheint.

Bitterlich weinend neben dem gefallenen Pferderiesen

Wenn es draußen wärmer wurde; hieß das auch für uns Jungen: Die Acker- und Feldarbeit ging von neuem los. Bei Rudolf, meinem älteren Bruder, und mir hielt sich die Begeisterung in engen Grenzen, zumal bei uns zu Hause mit verbissenem Ernst gerackert werden musste. Unser landwirtschaftliches Gerät und Know-how stammte aus der Zeit der Bauernkriege. So zogen wir los mit Hacke, Karst und Sichel und in meinen frühen Kindertagen noch mit dem Handwagen und dem Hund davor als unterstützende Zugmaschine. Im Herbst war die Kartoffelernte zentraler Höhepunkt jeder Minilandwirtschaft. Basisnahrung für Mensch und Tier. Auch bei uns. Zum Abtransport der mit Erdäpfeln prallgefüllten Jutesäcke wurden meist zwei elefantenschwere Kaltblutpferde des nahen Landgutes mit Fuhrwagen gechartert. Für mich, den zehnjährigen Jungen, war das eine willkommene Abwechslung. Jeder unbedarfte Trottel durfte sich diese Pferde leihen und mit ihnen machen, was er wollte. Weil die Hobbybauern höllisch schnell massig viel fertig haben wollten, wurden die ausgeborgten Sklaven unentwegt im rüden Ton forsch angetrieben. Sie mussten tagein, tagaus schwer schuften und das im Trab, Ruhepausen gab es für die Tiere nicht. In jenem Jahr waren die Erntemengen besonders reichlich ausgefallen, der Wagen brechend voll beladen und mein Großvater deshalb von höchster Zufriedenheit erfüllt. Ich durfte mit einem Neuling des landwirtschaftlichen Großbetriebes oben auf der Tonnage des Erntewagens fahren. Die späte Herbstsonne wärmte nicht mehr, als wir gemächlich vom Feld in Richtung heimatliche Kartoffelkatakombe kutschierten. Die Muskeln der Riesenrösser spannten sich bei jedem Schritt. Vor Anstrengung bogen sie ihre Hälse rund und ihr Maul presste sich gegen die breite Brust. Als wir am Dorfanger angelangt waren und der Jungkutscher sich anschickte, die Wagenlast in Richtung Bergstraße zu manövrieren, blieben die Pferde an der ersten Steigung stehen, breitbeinig wie Sägeböcke, und rührten sich nicht mehr von der Stelle. Ihre Flanken bebten. Alles probierte der unerfahrene Fuhrmann und seine Bangigkeit übertrug sich nur noch mehr auf die massigen Tiere und auf mich. Er schrie, er bettelte, er weinte, er knuffte und er schlug. Trotz aller Manöver stand das schwere Gespann regungslos, wie angenagelt. Die Straßenblockade war errichtet und allen Beteiligten mulmig zumute. Ich sah uns bereits alle Säcke abladen und einzeln nach Hause schleppen. Bis aus der nahen Nachbarschaft ein Ebenfalls-Hobbybauer mit einer Riesenpeitsche, langen Schritten und finsterem Blick erschien. Nach gewissenhafter Begutachtung stellte er sachlich fest, dass Pferde mit frisch beschlagenen Hufen, wie jene hier, freilich nicht im Stande seien, sicheren Fußes schweren Dienst zu tun. Sie laufen die ersten Tage so unsicher wie die Großmutter auf Stöckelschuhen. Und unsere armen Ackergäule wären auch noch falsch besohlt. Sprach`s und drosch so lange auf die dicken Pferdehintern ein, bis sich diese in Bewegung setzen. Wie Dampfhämmer donnerten ihre Riesenhufe auf das abgeschliffene Straßenpflaster, sodass unter den verhängnisvollen Eisen die Funken stoben wie in einer Kesselschmiede. Wir bekamen langsam Fahrt und zu Hause vor der Tür hatte der Wagenlenker Mühe, die Fuhre in der Gasse anzuhalten, so ein Tempo hatten wir erreicht. Den armen alten Rössern gingen die schweißdurchtränkten Flanken wie Blasebälge und die Augen waren noch immer angstvoll aufgerissen. Genauso saßen wir zwei mickrigen Gestalten oben auf dem Kutschbock. Dann folgte eine lange, stumme Verschnaufpause. Mitfühlend bekamen die zwei Herkulesse von mir reichlich frischen Trunk und als Abkühlung eine Dusche mit dem Wasserschlauch. Als ich das Handpferd streichelte, spürte ich, wie ein Zittern, dann ein Beben durch den Körper des massigen Tieres ging. Erschrocken zog ich meine Hand zurück. Das entkräftete Zugpferd senkte seinen Kopf, atmete schwer durch weite Nüstern. Sein nasses Fell vibrierte am Hals, das setzte sich als Welle bis zur Kruppe fort. Dann knickte es mit den Vorderbeinen ein. Die klobigen Hufe rutschten weg wie Schlittenkufen auf glatter Bahn und gaben auf dem Pflaster ein schnurrendes Geräusch. Ein dumpfer Aufschlag folgte, als das verbrauchte Tier zusammenbrach. Nach einem kurzen kehligen Wiehern tat das Kaltblut seinen letzten Atemzug. Sein Maul war leicht geöffnet. Langsam quoll die weiße Zunge zwischen den abgemahlenen Zähnen hervor. Ich starrte in das leblose braune Auge und fand die langen Wimpern wundersam. Sein Arbeitskamerad war entsetzt zur Seite gesprungen. Aufgeregt schnaubend, mit erhobenem Kopf, tänzelte das Tier unablässig auf der Stelle, versuchte der schreckensvollen Szenerie zu entfliehen. Die Wagendeichsel jedoch hielt das Pferd fest mit ihrer Kette. Ich kniete mich neben den gestorbenen Pferderiesen und weinte bitterlich. Auf meine Hand, die auf dem Hals des toten Tieres ruhte, legte sich die meiner Mutter. So weinten wir gemeinsam und hielten Totenwache, bis die Seilwinde den Kadaver auf die Ladefläche des Abdeckerkarrens zerrte. Noch Wochen danach habe ich schlecht geschlafen.

Bereits als Kind besaß ich einen instinktsicheren Geschäftssinn und erkannte die merkantilen Zusammenhänge hiesiger Mangelwirtschaft. Mit zehn Jahren widmete ich mich der manufakturmäßigen Produktion erlesener Kunstwerke aus buntem Alupapier, Glas und Nitrolack. Und wenig später hatte ich es zu beachtlichem Wohlstand gebracht, denn letzten Endes vertickte ich diese Raritäten für zehn Mark das Stück. Meine Material-Pimpeleien waren in Serie immerfort dieselben und verliefen routinemäßig eingespielt. Zuerst pinselte ich eine Glasscheibe mit schwarzem Nitrolack ein, allein die bildnerischen Motive wurden mittels Schablone ausgespart und mit Hilfe einer von mir erfundenen Spezialmine mit grafischen Finessen versehen. Dabei musste ich die Farbe wie mit einem Trinkröhrchen ansaugen und schluckte jedes Mal einen Hieb vom giftigen Nitrolack. Am Ende einer solchen Schaffensphase war mir regelmäßig schlecht und infolgedessen stieg das Mittagessen zur besorgten Verwunderung meiner Mama oft genug mit Schwung wieder aus. Den einzigartigen Effekt meiner Bastelei brachte die zum Abschluss hinterlegte Folie aus Metall. Zuerst knüllen, dann leicht glätten, der so erzielte bunte Knitter-Flimmer steigerte die Wirkung bis zur barocken Prächtigkeit. Ich hatte meiner Kundschaft zwei künstlerische Hauptmotive anzubieten: „Frei schwebende Rosen“ und „Sandmann unterwegs“. Aber es gab ständige Engpässe in der heimischen Produktion durch den Mangel an buntem Stanniolpapier. Und obwohl ich Schokolade oder sonstiges Süßzeug sowieso in Unmengen nur zu gern vertilgte, konnte deren Verpackung auf Dauer nicht die einzige Bezugsquelle bleiben. Das unternehmerische Glück war auf meiner Seite, als Herr Schröter sich bei meinen Eltern nicht nur als ihr neuer Obstkunde, sondern auch als Chef der Hallorenkugelmacher vorstellte. Fortan wurde der „sozialistische Jungunternehmer“ rollenweise mit herrlichster Glitzerfolie versorgt. Und ich erinnere mich, dass Frau Streflansky einst bei mir vier Kunstwerke auf einen Ruck bestellte. Da fühlte ich mich wie Rockefeller jr. auf seiner Jacht vor den Bahamas. Wer weiß, eventuell hat der ja sein Hauptvermögen genau wie ich mit Fließband-Plunder gemacht.

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
431 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783942401807
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Telif hakkı:
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