Kitabı oku: «Das Haus in den Dünen», sayfa 6
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Trevisan hatte ein schreckliches Wochenende hinter sich. Er hatte schlecht geschlafen und immerzu an Angelas Worte denken müssen. Am Sonntagnachmittag hatten sie noch einmal miteinander geredet, doch das Gespräch hatte sich nur im Kreis gedreht. Er wollte, dass sie blieb, aber die Chefredaktion eines Magazins, das vollkommen neu aufgelegt wurde, war Angelas lang ersehnte Aussicht zur beruflichen Selbstverwirklichung.
Angela hatte noch einmal bekräftigt, dass sich nichts an ihrer Beziehung änderte, auch wenn ihr Arbeitsplatz künftig in München liegen würde. Am Abend war sie dann zurück nach Hamburg gefahren.
München, ausgerechnet München. Hunderte von Kilometern entfernt.
Paula hatte von alledem nichts mitbekommen, sie hatte das Wochenende mit ihrer Freundin Anja verbracht.
In der Nacht zum Montag hielt Trevisan ein Alptraum in Atem. Er sah Angela als gefeierte Chefredakteurin, umworben von Münchens männlicher Schickeria. Als er erwachte, war er schweißgebadet. Er trank einen Schluck Wasser und legte sich wieder ins Bett, doch er fand nicht mehr in den Schlaf und dämmerte vor sich hin, bis der Wecker klingelte.
Als er schließlich über den langen Gang zu seinem Büro schlich, schlecht frisiert und bleich wie eine gekalkte Wand, begegnete ihm Monika Sander. Sie sah ebenfalls etwas übernächtigt aus.
»Hast du schon gehört? Der Feuerteufel hat eine Waldhütte bei Schoost in Brand gesteckt.«
Trevisan blieb stehen. »Was sagst du?«, antwortete er abwesend.
Sie betrachtete ihn verdutzt. »Du siehst ja vollkommen fertig aus. Ich denke, du brauchst erst einmal einen starken Kaffee.«
Trevisan kniff die Augen zusammen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich habe schlecht geschlafen.«
»Hattest du Ärger?«, fragte sie und lotste Trevisan in ihr Büro. Er ließ sich mit einem Seufzer auf dem Stuhl nieder. Kaffeeduft strömte in seine Nase.
»Ich fühle mich wie gerädert. Mein Kopf brummt und im Magen ist mir ganz flau. Vielleicht sollte ich mich krank melden.«
»Du siehst wirklich krank aus.« Monika schenkte aus der Isolierkanne eine dampfende Tasse Kaffee ein.
Nachdenklich lehnte sich Trevisan zurück. »Sag mal, wie ist es eigentlich in deiner Beziehung? Kommt dein Mann damit klar, dass du arbeitest?«
Sie reichte Trevisan die Kaffeetasse mit einem erstaunten Blick. »Wie kommst du ausgerechnet darauf?«
»Ich meine ja nur«, erwiderte Trevisan. »Du bist tagsüber im Büro und manchmal kommst du erst spät nach Hause. Jedes dritte Wochenende hast du Bereitschaft und musst mit einem Einsatz rechnen und manchmal klingeln sie dich sogar nachts aus dem Bett. Hast du da überhaupt noch ein intaktes Familienleben?«
Monika setzte sich hinter den Schreibtisch. »Was ist bloß in dich gefahren? Wieso fragst du mich so etwas?«
Trevisan seufzte. »Angela nimmt einen Job in München an.«
Die Erkenntnis breitete sich langsam in Monikas Gesicht aus. »Jetzt wird mir so manches klar. Deswegen siehst du heute auch aus wie der leibhaftige Tod.«
Trevisan nickte. »Ich habe so gut wie nicht geschlafen.«
»Du willst, dass sie bleibt?«
»Ich will, dass wir zusammenleben. So wie Mann und Frau, wie eine Familie.«
»Du willst, dass sie ihr Leben aufgibt und sich nur noch damit beschäftigt, deines zu bereichern.«
Trevisan schüttelte den Kopf. »Nein, ich will eine Familie haben, jemand, der da ist …«
»Der kocht, putzt, den Abwasch macht und den Staubsauger bedient«, fiel ihm Monika ins Wort. »Oh, Mann, ihr Kerle seid doch alle gleich. Wie oft habe ich mit Richard diese Diskussion schon geführt …« Sie schüttelte den Kopf. »Wir leben aber nicht mehr in der Steinzeit. Die Frauen haben sich emanzipiert und es war ein langer Kampf. Ihr Männer müsst einfach umdenken. Wenn ihr jemanden braucht, der euch zwischen eurer Arbeit und der Freizeitgestaltung mit euren Kumpels die Zeit vertreibt, dann haltet euch einen Hund. Und wenn jemand den Haushalt führen soll, dafür gibt es Haushälterinnen. Nein, ein für alle Mal, auch die Frauen haben ein Recht auf Karriere und sie sind es leid, sich dieses Recht Tag um Tag neu erkämpfen zu müssen. Wenn Angela sich ein Ziel gesteckt hat und du sie liebst, dann solltest du sie unterstützen, anstatt dich ihr in den Weg zu stellen.«
»Aber das alles läuft doch auf eine Wochenendbeziehung hinaus«, wandte Trevisan ein. »Und das ist nicht das Leben, das ich auf Dauer führen will.«
»Dann kündige doch und geh mit ihr. München ist eine schöne Stadt und vielleicht braucht man dort sogar noch einen guten und erfahrenen Polizisten.«
Es klopfte an der Tür. »Was ist?«, rief sie ungehalten.
Alex schaute durch den Türspalt herein. »Hallo, Monika, hast du Martin gesehen?«, fragte er, dann fiel sein Blick auf seinen Vorgesetzten. »Ich suche dich schon überall. Es gibt Neuigkeiten aus Mecklenburg-Vorpommern.«
Trevisan wandte sich um. »Die Anfrage ist schon beantwortet?«
»Die Kollegen aus Pasewalk haben offenbar eine dicke Akte über Hans Kropp und die damaligen Vorgänge.«
»Nun komm rein, und dann schieß mal los!«, forderte Trevisan ihn auf.
»Offenbar hatten die Kollegen von der Streifenpolizei damals mehrere Einsätze wegen häuslicher Gewalt«, erzählte Alex. »Hans Kropps Exfrau heißt Jenny Kropp, geborene Basedow. Sie bewohnten zusammen mit ihrem Sohn ein Mehrfamilienhaus in Dargitz. Am Ende mussten die Kollegen drei, vier Mal im Monat zur Wohnung, weil Kropp seine Frau vertrimmt hat. Sie war sogar zweimal für längere Zeit im Krankenhaus. Kropp war oft betrunken und äußerst aggressiv. Er hat so manche Nacht in der Ausnüchterungszelle verbracht. Vor zwei Jahren hatte die Frau dann genug. Er hatte sie wieder krankenhausreif geschlagen, und sie ist nicht mehr zu ihm zurückgegangen, sondern bei einem ihrer Brüder untergekommen, der einen Schrottplatz betreibt. Als Kropp davon erfuhr, ist er hingefahren und hat Günter Basedow das Nasenbein gebrochen und ihm ein paar Zähne ausgeschlagen. Basedows Bruder eilte zu Hilfe, und gemeinsam konnten sie Kropp vertreiben. Der ist ein paar Wochen später wieder nach Wilhelmshaven gezogen. Er zahlte zwar Unterhalt für seinen Sohn, aber nicht für seine Exfrau. Es gelang ihm, glaubhaft zu machen, dass sie auf dem Schrottplatz arbeitet, deshalb wurde ihre Klage zunächst abgewiesen. Das ganze Verfahren zieht sich bis zum heutigen Tage hin.«
»Zusammen mit den Drohbriefen ergibt das eine geschlossene Indizienkette«, sagte Trevisan. »Aber zu einem Beweis reicht es noch lange nicht.«
Alex lächelte. »Thorsten Basedow war übrigens NVA-Soldat. Er war sogar Offizier und diente in einer Infanterieeinheit.«
»Waren das nicht viele?«, antwortete Trevisan.
»Aber nur wenige unter ihnen sind ausgebildete Scharfschützen«, erwiderte Alex Uhlenbruch.
*
Sie saß am Strand, hielt ihre Augen geschlossen und lauschte den sanften Wellen, die sich an der sandigen Küste brachen. Tief saugte sie die frische und salzige Seeluft in ihre Lungen. Sie genoss den Augenblick und schob alle aufkeimenden Gedanken einfach zur Seite. An nichts denken zu müssen, für niemanden die Verantwortung zu tragen, sich um niemanden kümmern zu müssen, sich einfach nur treiben zu lassen; sie hatte lange gebraucht, um es zu lernen. Zu Anfang, wenn sie die Augen schloss und einfach die Zeit an sich vorbeiziehen ließ, hatte sich ein Schatten in ihr ausgebreitet. Diesen Schatten zu besiegen, Herr über ihn zu werden, ihm einfach keine Beachtung mehr zu schenken, hatte enorme Kraft gekostet. Aber sie hatte es gelernt, all die langen Jahre hindurch, in denen sie – von einem einzigen Gedanken beseelt – durch einen öden und unerfüllten Alltag gedriftet war, immer nur ein einziges Ziel vor Augen. Ein Ziel, ein Versprechen, ein Schwur, für den sie lebte und dessen Erfüllung nun nichts mehr im Wege stand.
Der Schatten war verbannt. In ihr war etwas erwacht, das sie selbst die »Andere Welt« nannte. Ruhe, Geborgenheit, Wärme, all das gab es dort und sie genoss es in vollen Zügen, auch wenn es schien, als säße sie nur bewegungslos da, die Augen geschlossen. Bewegungslos in der Gegenwart, aber stetig in Bewegung in der »Anderen Welt«, kein Gefühl auslassend, keinem Geruch verschlossen, kein Geräusch überhörend, alles in sich aufsaugend, das ganze Leben und noch viel, viel mehr – diese Auszeit vom Alltag brachte ihr den Frieden zurück, den sie im Diesseits längst verloren hatte. Ein einziger Tag hatte ausgereicht, eine leere, fleischige Hülle aus ihr zu machen, die Gefühle und Gedanken nur noch wie eine Schauspielerin darbot. Insgeheim war nichts davon wirklich von ihr, so wie von Lucia nur ein Organismus zurückgeblieben war, der vor sich hinvegetierte.
Rechnungen wurden bezahlt, früher oder später, mit der unabweisbaren Sicherheit, mit der der Tag die Nacht vertrieb.
Das Rauschen des Wassers vermischte sich mit dem Brummen eines Motors. Sie öffnete die Augen. Ein kleines Motorboot sprang über die Wellentäler. Sie war wieder zurück aus der »Anderen Welt«. Aber es war keine Heimkehr, es war die Fremde, die sie erwartete. Eine eisige, mitleidlose Kälte. Sie erhob sich und blickte sich suchend um. Der Sanddorn und das Dünengras wiegten sich auf dem Dünenkamm.
Sie machte sich auf den Weg zurück in das kleine Dorf. Sie hatte viel zu tun, noch lag ihr Ziel weit entfernt. Aber sie hatte Zeit. Und wenn es ihr im Diesseits zu viel wurde, dann schloss sie einfach ihre Augen und tauchte tief hinein in die »Andere Welt«.
*
Alex saß bei offener Tür an seinem Schreibtisch, Tina hatte sich über ihn gebeugt und schaute ihm über die Schulter. Sie studierten gemeinsam die Akte Kropp.
Trevisan schlenderte den Flur entlang und lehnte sich an die Tür. »Ich habe mit dem Staatsanwalt telefoniert. Ich hoffe, ihr habt für den Rest der Woche nichts vor. Wir fahren in den Osten. Ich habe meine Tochter schon bei der Tante einquartiert.«
Die Köpfe der beiden ruckten herum. »Wir schnappen uns die Basedow-Brüder?«, fragte Tina.
»Zuerst durchsuchen wir die Wohnung und den Schrottplatz, dann werden wir sie zur Vernehmung mitnehmen. Nach den Briefen, die ihr in Kropps Wohnung gefunden habt, ist der dringende Tatverdacht nicht mehr von der Hand zu weisen.«
Alex räusperte sich. »Ich bin in den Briefen auf etwas gestoßen, das von Bedeutung sein könnte. Offenbar forderten die Basedow-Brüder Geld von Kropp.«
»Unterhalt«, antwortete Trevisan.
Alex schüttelte den Kopf. »Ich glaube, dass die Sache mit dem Unterhalt nur vorgeschoben ist. Ich habe die Akte Kropp mit der Erkenntnisanfrage nach den Basedow-Brüdern verglichen. Dabei ist mir aufgefallen, dass Kropp 1996 zweimal wegen Zigarettenschmuggels verurteilt wurde. Beim ersten Mal hat er vierhundert Stangen in der Ladung versteckt. Das war nicht besonders originell, oder?«
»Und beim zweiten Mal?«
»Da war er schon professioneller. Er hat den Anhänger mit einem doppelten Boden präpariert. Kropp hatte beinahe achtzehnhundert Stangen dabei, als er erwischt wurde. Und Basedow hatte ein Jahr zuvor den Schrottplatz übernommen, als der alte Mann starb, für den er dort gearbeitet hatte. Irgendwo muss der Laster präpariert worden sein – was eignet sich da besser als ein Schrottplatz?«
»Kropp hat seine Hintermänner nie verraten«, schob Tina ein. »Er hat alle Schuld auf sich genommen und über die Details geschwiegen.«
»Ihr meint also, Kropp hat den Schmuggel mit den Basedow-Brüdern durchgezogen?«, fragte Trevisan.
Alex nickte. »Und wer weiß, wie viele Fahrten Kropp bereits unternommen hatte, bevor er zum zweiten Mal erwischt wurde. Eine Stange geschmuggelte Zigaretten bringt etwa fünfzehn Mark. Bei achtzehnhundert wären das siebenundzwanzigtausend Mark pro Tour. Wenn Kropp nur zehn Mal gefahren ist, bevor er erwischt wurde, dann geht es schon um eine riesige Summe. Und er war oft in Polen und der Tschechei.«
Trevisan warf den beiden einen anerkennenden Blick zu. »Vielleicht hat er seine Geschäftspartner über den Tisch gezogen und es ging gar nicht um die paar Kröten Unterhalt. Wir müssen das bei der Durchsuchung und den Vernehmungen zumindest in Betracht ziehen.« Trevisan schaute auf die Uhr. »Ich gehe jetzt zu Beck und anschließend rufe ich in Pasewalk an und informiere die Kollegen dort. Wir brauchen außerdem ein paar Zimmer.«
»Wie lange, schätzt du, werden wir drüben bleiben?«, fragte Alex.
Trevisan zuckte mit der Schulter. »Das kommt ganz darauf an, wie schnell wir vorwärtskommen und was wir auf dem Schrottplatz alles finden.«
Tina seufzte. »Ich stelle es mir nicht gerade einfach vor, einen Schrottplatz zu durchsuchen.«
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Trevisan wählte mit Bedacht die lange Telefonnummer des Kriminalkommissariats Pasewalk und warf einen skeptischen Blick auf das Display seines Telefons, als sein Gegenüber sich meldete, denn der Kollege antwortete im breiten bayrischen Dialekt. Noch ehe Trevisan Zeit fand zu prüfen, ob er sich verwählt hatte, wurde er barsch aufgefordert, zu sprechen.
»Mein Name ist Martin Trevisan«, antwortete er verdutzt. »Ich bin von der Kripo aus Wilhelmshaven und möchte gerne den Leiter der Mordkommission in Pasewalk sprechen.«
»Hauptkommissar Zierl am Apparat«, bekam er zur Antwort. »Sie sprechen genau mit dem, den Sie suchen.«
Zögernd erklärte Trevisan den Grund seines Anrufes.
»Gell, Sie wundern sich, einen waschechten Bayer mitten unter den Preußen anzutreffen«, entgegnete Hauptkommissar Zierl, nachdem Trevisan zum Ende seiner Geschichte gekommen war. »Schicken Sie mir einfach mal alles, was Sie haben, per Fax. Ich rufe morgen früh zurück.«
»Moment, wir haben einen Durchsuchungsbefehl von der Staatsanwaltschaft Oldenburg«, sagte Trevisan. »Ich dachte eigentlich, dass wir morgen …«
»So schnell schießen die Preußen nicht«, fiel ihm Zierl ins Wort. »Zuerst muss ich mal sehen, um was es geht. Außerdem bedarf die Durchsuchung eines Schrottplatzes gewisser Vorbereitungen. Ich gebe morgen früh wieder Bescheid, wenn ich das Material heute noch in den Händen halte. Ansonsten müssen wir den Dienstweg einhalten, werter Kollege. Und das kann dauern.«
Zähneknirschend stimmte Trevisan zu. Er wusste, wie langwierig der Dienstweg werden konnte, wenn die andere Seite nicht mitspielte. Also setzte er sich an seinen Computer und tippte einen zusammenfassenden Vorbericht. Zusammen mit dem Durchsuchungsbeschluss und einer Auflistung der Fakten schickte er ihn durch das Faxgerät, das im Flur in einer Nische neben dem Kopierer stand.
Das letzte Blatt war noch nicht gesendet, als Monika Sander und Till Schreier den Flur entlanghasteten. Till warf sich in aller Eile die Jacke über.
»Hey, was ist denn mit euch los«, rief ihnen Trevisan zu. »Gibt es schon wieder einen Brand?«
»Nein, aber wir haben einen Verdächtigen!«, rief Monika zurück und blieb kurz stehen. »Einen in Ungnade gefallenen Feuerwehrmann aus Hooksiel. Er entspricht unserem Profil: fährt einen Kleinwagen, war lange Zeit bei der Feuerwehr und hat keinen Job. Man hat ihn vor die Tür gesetzt, als er sich während einer Übung an den Spinden seiner Kollegen zu schaffen machte.«
»Gratuliere«, entgegnete Trevisan. »Übrigens, Alex, Tina und ich fahren in den nächsten Tagen nach Pasewalk in den Osten. Ihr seid dann alleine.«
Monika Sander nickte und hetzte weiter. »Schon gut, wir müssen los … Dietmar steht alleine vor seinem Haus und der Kerl ist andauernd auf Achse.«
»Viel Glück!«, rief ihr Trevisan nach, doch schon waren Monika und Till durch die Tür verschwunden.
Trevisan seufzte. Er griff nach den Blättern im Faxgerät. Hoffentlich war auch sein Bemühen von einem baldigen Erfolg gekrönt und der bayrische Kollege im Osten ließ den Amtsschimmel nicht allzu kräftig wiehern. Schließlich kam Angela am Wochenende wieder. Trevisan hatte Angst davor, sie irgendwann ganz an München zu verlieren.
*
Willo Brunken manövrierte seinen großen Tanklastzug zwischen die beiden riesigen Öltanks des Wilhelmshavener Ölhafens im Heppenser Groden und warf einen Blick auf die Uhr. Er fuhr sich durch die blonden langen Haare und lächelte. Es war kurz nach fünf, früh genug, das Training seiner Fußballmannschaft zu besuchen. Seit er den neuen Job angetreten hatte, nachdem die Werkstatt in Mariensiel geschlossen worden war, hatte er das allzu oft versäumt.
Trotzdem, er hatte Glück gehabt, wenn es auch beileibe kein Traumberuf war. Den ganzen Tag auf dem Laster quer durch Ostfriesland zu fahren, um die örtlichen Tankstellen mit Sprit und Diesel zu versorgen, konnte manchmal ganz schön nerven. Aber jetzt, wo Martina schwanger war, brauchte er das Geld. An seinen früheren Lohn als Kraftfahrzeugmechaniker kam das Salär zwar bei weitem nicht heran, aber wenn er sich anstrengte und seine Arbeit ordentlich erledigte, dann würde das Gehalt schon steigen. Und langsam bekam er Routine im neuen Job, wusste, wie er schneller den Tank leer bekam, um Zeit zu sparen. Er hatte einen festen Tourenplan und seinem Disponenten war es egal, was er mit der eingesparten Zeit anfing. Wenn der Sattelzug nach der Tour zum Befüllen wieder im Lager abgestellt war, konnte er nach Hause gehen. Und heute hatte er bereits eine ganze Stunde herausgefahren. Martina war noch unterwegs, die Arztpraxis schloss erst um acht. Bis sie nach Hause kam, wäre es bald neun Uhr. Sein Training beim SV Viktoria Wilhelmshaven begann um sieben.
Willo schloss seinen Volvo ab und ging zur kleinen Baracke jenseits der Öltanks.
»Schon Feierabend?«, fragte der alte Reimers, der sich als Platzwart ein paar Mark zu seiner schmalen Rente hinzuverdiente.
»Meine Tour ist zu Ende«, entgegnete Willo. »Der Tank ist leer bis auf den Boden.«
»Na, denn«, sagte Reimers und widmete sich wieder der Zeitschrift.
Willo verstaute seinen blauen Overall und die Sicherheitsschuhe in seinem Spind und hängte den Schlüssel seines Lastzuges an das Schlüsselbrett im kleinen Büro. »Bis morgen«, sagte er, als er die Holzbaracke verließ und zu seinem Wagen ging.
*
»Er ist vor zwei Stunden gekommen«, sagte Dietmar Petermann.
»Du bist sicher, dass er zu Hause ist?«, fragte Monika.
Dietmar zeigte auf den schwarzen VW Polo in der Einfahrt des kleinen, verwahrlosten Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
»Ist er alleine?«
»Es war niemand bei ihm und laut dem Einwohnermeldeamt lebt nur er hier.«
Monika sah sich um. Das Haus lag außerhalb des Ortes in der Nähe von Schmidtshörn. Wild wucherndes Buschwerk verwehrte den Blick auf die Eingangstür. Das nächste Haus war ein ganzes Stück entfernt.
»Ich gehe mit Alex an die Tür«, beschloss Monika. »Pass du auf, dass er nicht durch die Hintertür verschwindet.«
»Da hinten sind nur matschige Wiesen«, wandte Dietmar ein.
Monika nickte. »Eben.«
Erst als Dietmar auf dem kleinen Weg in Richtung des Südlichen Verbindungstiefs verschwunden war, einem Entwässerungsgraben, der sich westlich von Hooksiel bis zu Schmidtshörn erstreckte, gingen Monika und Till zum Haus. Vor der Gartentür verharrten sie und überprüften den Zustand ihrer Pistolen.
»Meine ist durchgeladen«, sagte Till. »Glaubst du, er wird Schwierigkeiten machen?«
»Man weiß nie, wie so ein Kerl reagiert, wenn er sich in die Enge gedrängt fühlt.«
»Er hat noch keine Einträge«, erklärte Till. »Ich glaube nicht, dass wir die Waffen brauchen werden. Aber wir müssen damit rechnen, dass er uns die Tür vor der Nase zuschlägt und durch die Hintertür flüchtet.«
»Dann ist Dietmar am Zug. Ich hoffe, er hat sich richtig postiert und scheut sich nicht wieder, seine Schuhe dreckig zu machen. – Also, los!«, gab Monika das Signal. Die kleine Gartentür quietschte, als Till sie öffnete. Auf dem kleinen, ausgetretenen Fußweg wucherte das Unkraut. Vor der Haustür blieben sie stehen.
»Siehst du eine Klingel?« Monika schaute sich suchend um.
Till schüttelte den Kopf. »Dann klopfen wir eben.« Er schlug mit der Faust gegen die altersschwache Tür. »Herr Petrich!«, rief er laut. »Bitte öffnen Sie, wir müssen mit Ihnen reden.«
Sie lauschten angestrengt, doch im Haus blieb es still.
»Herr Petrich, machen Sie auf!«, schrie Monika. Sie hörten schlurfende Schritte aus dem Haus. »Er kommt«, flüsterte sie.
Till ging einen Schritt zurück und postierte sich seitlich neben der Tür.
Schließlich knackte das Schloss und die Tür wurde einen Spalt geöffnet. Ein blasses, verknittertes Gesicht erschien.
»Was wollen Sie?«, krächzte der Mann und fixierte Monika mit seinen feuchten Augen.
»Sind Sie Herr Petrich?«, fragte sie.
»Und wer sind Sie?«
Monika griff in ihre Jackentasche und zog ihre Kripomarke hervor. »Kriminalpolizei Wilhelmshaven, mein Name ist Monika Sander. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
»Polizei?«, entgegnete der Mann verwundert. Es schien, als wolle er öffnen, aber plötzlich schlug er die Tür mit voller Wucht zu. Till fing sie mit der Schulter ab, bevor sie ins Schloss fallen konnte. Sie flog auf und gab den Blick in den Flur frei. Till sah gerade noch, wie Petrich in einem Zimmer verschwand und die Tür zuzog. Es knackte laut.
»Er schließt ab!«, rief Monika.
Till hetzte den dunklen Flur entlang und sprang über ein paar Kisten, die den Weg versperrten. Er drückte die Klinke, doch die Tür blieb verschlossen. »Verdammt! Und jetzt?«
Plötzlich hörten sie Glas splittern, dann laute Schreie. Till trat ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und stürzte sich gegen die Tür. Es krachte, Holz splitterte, doch sie hielt. Erst beim zweiten Versuch sprang sie auf.
Es war das Badezimmer. Till zog seine Waffe und ging hinein. Oberhalb der grauen, schmutzigen Wanne war die Glasscheibe des offen stehenden Fensters zerbrochen. Scherben lagen verstreut auf dem Wannenboden. Von draußen drang lautes Rufen herein. Till sprang auf den Rand der Wanne.
»Pass auf, die Scherben!«, rief Monika, doch er kletterte auf das Fensterbrett und schwang sich nach draußen. Verdutzt blieb sie stehen. Schließlich wandte sie sich um und rannte in den Vorgarten. Till bog bereits um die Hausecke, Petrich folgte ihm mit einigem Abstand, die Hände hinter dem Rücken. Dietmar lief hinter ihm. Seine Kleidung war unordentlich und seine graue Jacke vollkommen verdreckt.
»Dieser Kerl hat mich einfach umgerannt«, beklagte er sich.
Vor Monika blieben die drei stehen. Petrich schaute betreten zu Boden.
»Herr Petrich«, sagte Monika. »Sie sind festgenommen. – Bringt ihn auf die Dienststelle.«
Till nickte und schob den Gefangenen an Monika vorbei. »Er hat auf alle Fälle etwas zu verbergen«, flüsterte er ihr im Vorübergehen zu.
Nachdem Till neben Petrich im Fond des Dienstwagens Platz genommen hatte und der Wagen langsam davonfuhr, rief Monika Sander auf der Dienststelle an. Durch den Fluchtversuch des Mannes hatte sie genügend Indizien, um eine Hausdurchsuchung rechtfertigen zu können.
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