Kitabı oku: «Der Letzte macht das Licht aus», sayfa 2
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Sack und Asche! Diese Frau, was starrt die mich so an? Ganze Zeit schon. Mein Gott, was die für 'en Blick hat. Augen wie Vulkanseen – komische Idee –, na jedenfalls abgrundtief. Und wie Feuer. Glühend. Brandheiß. Oder? Oder, Mann, stimmt gar nicht, sieht mich nicht an, überhaupt nicht, sieht gradewegs an mir vorbei! Wohin denn? Kann man gar nicht ausmachen, die Richtung, in die die da guckt. Seltsam. Guckt wirklich an allem vorbei. Und ich muss ständig hingucken. Werd ich ja schließlich für bezahlt, hier auf die Bilder von diesem Beckmann, wie der heißt, aufzupassen. Dass keiner von diesen kunstbeflissenen Trotteln dem Pinselstrich zu nah kommt. Wär ja noch schöner, wenn hier was passieren tät. Wenn so Bilder – sind ja 'n Vermögen wert, was man so hört – wenn die sich also im Jahre des Herrn 1975 schon mal einmal in dreitausend Jahren nach Trondheim verlaufen. Da ist es weiß Gott besser, wenn man die unter meine Fittiche gibt, unter die von Gunnar, dem Bootsmann, den diese beschissene losschnarrende Ankerkette vor drei Jahren den Fuß gekostet hat. Wenn man diese sündhaft teuren Schinken von meinen Adleraugen bewachen lässt.
Teuer vielleicht, aber schön? Also alles was recht ist! Du zum Beispiel, Tänzerin oder was du bist, schön? So richtig schön? Eher dunkel. Finster das Gesicht, trotz all der weißen Haut. Sieht aus, als hättste Puder drauf. Und die Lippen viel zu fett rot angemalt, knallrot, am Mundwinkel bisschen verschmiert. Kein Wunder, wenn du so viel drauf machst, zentimeterdick! Und die Augenlider auch geschminkt, schwarz. Da wirken die Augen noch größer. Fast größer als das Gesicht, die Augen. Irgendwie enorm die Augen, wie die gucken und wohin. Schwarzglühend. Aber die Nase bisschen breit, wirft Schatten aufs Gesicht, aufs puderweiße. Und das lange braune Haar fällt dick und schwer und schön und wirft auch düstere Schatten ins Gesicht. Schlagschatten, wie man das nennt, glaub ich.
Dieser Blick, Anblick, diese Frau, es ist der Wahnsinn!
Mist, hält sie diesen Fächer, oder was es ist, vor die Brust. Genau davor, kann man gar nicht sehn, wie viel Holz die hat vor der Tür. Scheinen aber nicht besonders schwer zu sein, die Brüste. Die rechte, da, die gibt der Fächer ja 'n Stück frei, also schwer nicht, nicht sonderlich, kein Kracher, kein Wonnevulkan. Aber passt irgendwie gut, zwischen die Arme, irgendwie genau.
Jetzt stellt sich dieser Kerl, Sack und Asche, genau davor vor die Frau, und ich kann nichts mehr sehn. Stellt sich davor und glotzt se an. Was hat der die anzulinsen?! Spannmichel der! Glubsch woanders hin, Pupillenverrenker, gefälligst! Sonst kriegst du's mit Gunnar zu tun, der hat zwar nur ein' Fuß, aber zur See gefahren ist der, Kraftpaket, sag ich dir, mit dem ist nicht zu spaßen! Also sieh zu, dass du deinen Knick in der Optik auf 'ner andern Alm weiden gehst!
Aber nix da, der glotzt die immer noch an, staksiger Spieritz der, glotzt unmöglich lang, rührt sich nicht vom Fleck, stiert ihr mitten ins Gesicht, untern Fächer auf die Dutten gradzu. Die werden abgenutzt, noch kleiner, unter dem seinen quadratgeilen Schmirgelblicken. Für die eitrigen Tränensäcke untern läufigen Augäpfeln zu dränieren oder was? Steht unverfrorn und stundenlang genau vor dieser Frau. Museumsbesucher sind einfach dreist, sag ich doch. Aber ich will ja nichts sagen, hab ich wenigstens einen Job hier. Aber wenn ich noch den zweiten Fuß noch hätt und anständig auf See – obwohl, dann hätt ich dich ja auch nicht vorm Visier hier.
Du jedenfalls hast dich nicht gerührt. Kein Stück. Lässt dir nichts anmerken. Guckst einfach vorbei an dem Kiebitz, dem dämlichen.
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Finn nestelte nervös am Funkgerät. Aber es war nichts rauszuholen außer diesem undurchdringbaren Rauschen und Knistern. Brik stand in gebührendem Abstand, warf ihr langes flachsgelbes Haar zurück und murmelte irgendwas von wegen neuer Computertechnik, die könne ihm doch verdammt gute Dienste leisten hier auf seinem Leuchtturm. Wenn er bloß nicht so eselsstur wär. Eine Handbewegung Finns brachte sie zum Schweigen.
»Also was ist jetzt, ist er drumrum gekommen?«, knurrte die Alte am andern Ende des Dienstraums über ihren Pfeifenkopf hinweg.
»Wer?«, gab Finn nicht weniger knurrig zurück.
»Der Trawler, wo die Rede von war. Ist er nun auf deine Klippen gekracht oder nicht?«
»Wieso?«, fragte Finn scheinheilig und antwortete: »Natürlich nicht. Kein bisschen.«
»Ein Elend! Wieso ist uns der denn durch die Lappen gegangen? Waren doch beste Bedingungen: ausgewachsenes Sauwetter, 'ne Nacht so schwarz wie die Seele des Satans und das Leuchtfeuer von deiner Boje da draußen wie zufällig ausgefallen, so was von zufällig so was von ausgefallen. Und diese ollen Torfdeppen, die schippern trotzdem drumrum um all unsre kleinfeinen Felsbrocken!«
Finn öffnete bedächtig die schwere Tür zur Galerie, die auf gleicher Höhe wie das Dienstraumdeck außen um den Leuchtturm herumführte. Nicht sonderlich hoch, bloß eine Hand voll Meter, aber auf den Felsen von Stjernholman ragte der Leuchtturm trotzdem allemal fünfzig Meter über den Nordatlantik. Finn trat nach draußen. Schwere gelbgraue Wellen jagten sich gegenseitig, versuchten das winzige Eiland wund zu schlagen und zankten sich mit dem verschüchterten Morgen. Ganz allmählich gewann das milchige Licht die Lufthoheit und ließ am Horizont immer mehr Schären auftauchen, die sich tiefgrau gegen den Himmel absetzten. Finn musste grinsen, stellte sich auf den eiskalten, gischtgeladenen Brechern, die da unten am Ufer die Granitbuckel verprügelten, diese neumodischen Wellenreiter vor, die er gestern Abend in einer Fernsehreportage aus Miami hatte bewundern dürfen, wahnwitzige Wasserläufer, komplett von Sinnen, als wollten sie auf Jesus' Wasserspuren wandeln. Übten sich auf ihren rundgeraspelten Brettern in aufrechter Gangart, knapp unter den überschlagenden Wogen, die ihnen, wie's aussah, gar nicht grimmig genug schnauben konnten. Brik hatte den Mund vor lauter Staunen nicht mehr zubekommen.
»Hier oben, auf 68½° Nord«, murmelte er laut vor sich hin, »die möcht ich sehn, diese Lackaffen, was die für 'ne jämmerliche Figur hier oben vor der Küste der alten Dame Norwegen machen würden, satte 250 km überm Polarkreis!«
In diesem Moment hörte er von drinnen das schrille Geräusch, auf das er schon die ganze Zeit gewartet hatte. Und im gleichen Atemzug krähte auch schon Marit: »Finn, rühr dich! Telefon!«
Als wisse er nicht, was dieses nadelspitze Klingeln zu bedeuten hatte! Marit drückte ihm den Hörer in die Hand, worauf Finn sie eines energischen Seitwärtsnickens bedachte. Zutiefst beleidigt schluffte sie die Treppe runter, brummte: »der hat Geheimnisse vor mir, 'n faules Ei, der Kerl, 'n ziemlich faules«, und warf, unten angekommen, die Tür des Leuchtturms krachend ins Schloss.
Erst jetzt nahm Finn die Hand von der Sprechmuschel und raunzte ein »Ja, Werenskiold« in den Hörer.
• »SOS? Krähenkacke. Nein, ist hier nicht durchgekommen. Mein Gott, wenn ich das hier in der Funkkiste gehabt hätte! Aber kann man sich bei euch ja den Mund fusselig quasseln, wenn man 'n modernes Funkgerät braucht.«
• »Ja ja, die Leier kenn ich, von wegen würde sich nicht mehr lohnen, sowieso nur noch 'ne Frage der Zeit, bis ihr hier bei mir den Laden dicht macht. Ich weiß. Aber ich sag euch, 'n vernünftiges Funkgerät und dann wär ich sofort, wär ich im Handumdrehn da draußen an Ort und Stelle. Bis ihr bei so was draußen seid, da kommt jede Hilfe zu spät. Ist ja auch klar, das dauert eben, bis ihr eure Leute aus den Betten getrommelt habt. Also, könnt ihr euch jedenfalls schon mal 'n Schlachtplan ausdenken, wie ihr das geregelt bekommen wollt, wenn hier statt mir bloß noch 'n Rechner hockt.«
• »Wieso? Doch. Wie viel waren's denn?«
• »Ouh, das ist übel. Also jedenfalls fahr ich sofort raus, mal sehn, wen ich da noch rausgeangelt kriege.«
• »Na ja, wieso denn, ich bin doch immer sofort zur Stelle, wenn's 'ne Havarie gibt? Bin ja nun nicht von der lahmen Truppe. Alles, was recht ist. Sitze schon im Boot, kaum dass ich Wind davon krieg über meine vorsintflutliche Krächzkiste hier – um das noch mal gesagt zu haben.«
• »Fischtrawler aus Stavanger? Kacke.«
• »Sicher, als Allererstes heut Morgen. Das da 'ne Laterne durchgebrannt war oder was, das konnte ich doch an den Kontrollleuchten hier sehn.«
• »Nein, besten Dank. Ist ja nicht die erste Boje, die mir diese Chaoten demolieren, und nicht die erste, die ich repariert hab. Also das krieg ich schon selbst hin. Da geh ich jedenfalls von aus; und wenn's nicht nur an der Leuchte liegt, dann ruf ich noch mal an, dass ihr 'n Techniker rüberschickt. Aber glaub ich nicht, dass das nötig sein wird.«
• »Na ja, was heißt: ›dass ich mir da so sicher bin‹? Also die Devise, nach der ich hier arbeite, ist einfach: erst mal vom kleinsten Übel ausgehn und dann weitersehn. Das dicke Ende kommt sowieso.«
• »Mein Gott, sollte 'n Scherz sein.«
• »Ja sicher, danke. Und nichts für ungut.«
• »Bis die Tage denn.«
Er wartete das Klacken der Hörergabel am andern Ende der Leitung ab, sagte: »Krähenkacke, hätte verdammt nicht gedacht, dass die so auf der Hut sind«, und legte ebenfalls auf.
»Was, wa-was wollen die«, stotterte Brik, der das kalkweiße Gesicht ihres Mannes alles andre als geheuer war, »Marit hat recht, du spielst 'n unsaubres Spielchen, heh, hast mir doch selber noch mitten in der Nacht in den Ohren gelegen von wegen diesem Notruf, der nicht still werden wollte.«
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Schon wieder 'ne Dings, 'ne Führung. Kann man denn hier nicht mal einmal in Ruhe bloß aufpassen, einfach nur sitzen und wachen?! Bei meinem einen mir verbliebnen Fuß! Wenn ich eins hasse, dann sind das Museumsführungen. Irgendso 'ne akademische Trulla – aus Oslo am Ende noch! – brabbelt was von wegen, an dieser Stelle wolle sie Beckmann selbst mal zu Wort kommen lassen: »Möchte gern etwas von dem Zucken, dem magnetischen Zusammenreißen der Geschlechter hineinbringen. Diese immense Pracht der Natur.«
Also dein Pinselschwinger, ehrlich! »Diese immense Pracht der Natur«? Bei all der Hässlichkeit, die der gemalt hat! Bisschen hochgegriffen, Meister Beckmann. Mal ehrlich mal. Aber – »Zucken der Geschlechter«, das schon, muss man zugeben. Sag mal, du, ich meine, kannst du mit diesen Bildern was anfangen, schöne Frau? Also wenn de mich fragst, ich find se zu allererst und fast alle dreckig irgendwie. Also als er noch jung war, dein Beckmänne, so ganz am Anfang, konnt er ja ganz or'ntlich noch malen, dass man auch was erkennen konnt, richtige Gesichter und so und nicht so schlampig, verbeult und verbogen, nicht so falsch. Also, ich weiß ja nicht, ob ich's besser, aber, ich mein, der konnt's doch mal besser! Hat dich doch auch zustandegebracht. Schließlich. Also Brüste malen, das konnt er, satt! Der hat fantastische Dirnenbirnen gemalt, ha, rund und fest und gradaus. Mann, und du? Unterm lila Kleid, hinterm Fächer? Den Fächer, mal ehrlich, könntste mal für 'en Augenblick zur Seite fallen lassen, mal für 'en menschlichen Augenblick nur. Ich mein ja nur.
Und die Schlaubergerin kramt weiter in ihren Beckmann-Karteikärtchen: »Salz leckst du, armer größenwahnsinniger Sklave, und tanzt lieblich und unendlich komisch in der Arena der Unendlichkeit unter dem tosenden Beifall des göttlichen Publikums. Je besser du's machst, um so komischer bist du.«
Also ich kapier gar nichts mehr. »Größenwahnsinniger Sklave«, wen meint dieser Beckmax? Und macht sich lustig und lacht unterm tosenden Beifall des göttlichen Publikums, und ich bin der Dings, der Gelackmeierte oder wer. Göttlich jedenfalls kann ich das Publikum wahrhaftig nicht finden, bei aller Liebe. Die Kunsttante zum Beispiel, wie die ständig ihre Brille auf der Nase zurechtrückt und Beckmannverse predigt: »Am traurigsten der absolute Wollüstling, weil er Pech säuft statt Wasser. – Halten wir uns an die Verachtung.«
Unmöglich, dein Schöpfer, war doch 'n gebildeter Mensch, 'nen Kunstprofessor sogar, denk ich, und dann: Verachtung! Nur weil einer so viel Pech hat.
Kaum ist die Uni-Truppe abgezogen, ist dieser Kiebitzkerl wieder da. Und schielt unter dein lila Kleid. Schamlos. Mann, dass das aber auch so hochgerutscht sein muss, kann der ja bis sonst wohin und geil glotzen. Nur gut, dass du die Beine übernandergeschlagen hast. Der würd dir glatt reinpeilen, direktemang. Der Sphinx spinxen durch 'en Spalt bis zum Blinddarm. Kennt der nix. Gut gut, wahrscheinlich käm er nur bis zum Stoff. Und so 'n Tüllunterrock oder was, wie Balletteusen so anhaben, scheinste ja nicht drunter zu haben. Aber 'ne jungfrauweiße Balletthose.
Würd der garantiert völlig ungeniert hinschielen, ob kein Blutsfleck, kein Ausfluss nicht zu sehn ist. Würd mit seinen verquasten Kiekerlingen nachfahrn den Umriss, wie sich die Balletthose einkerbt, – 'ne Unterhose haste da bestimmt nicht drunter, ist jedenfalls nichts von zu sehn, kein Saumabdruck oder was – würd den feinen Schattenstrich nachfahrn, das Schwein, Ferkel das! Würd der fertig bringen, glatt und ohne rot zu werden. – Gut wirklich, dass du die Beine überkreuzt, bisschen auf Eleganz hältst. Bitter notwendig der Fächer, bitter.
Gunnar, altes Haus, merkst du eigentlich überhaupt nicht, wie diese Frau da grad dabei ist, dich komplett um den Finger zu wickeln. Pass auf, pass bloß auf!
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Nein, das sei absolut hundertprozentig auszuschließen. Man habe die Havariestelle weiträumig abgesucht, habe Taucher eingesetzt und auf der Schäreninsel speziell ausgebildete Suchhunde. Und: nichts! Nein, man müsse jetzt, nachdem ja nun doch auch schon einige Tage ins Land gegangen seien, davon ausgehen, dass er der Einzige gewesen sei, der noch so weit habe schwimmen und sich über die Insel und den Fjordarm bis zum Festland durchschlagen können, dass also außer ihm die gesamte Crew ertrunken sei. Nach den vier Leichen seiner Kollegen habe man nichts Menschliches mehr gefunden und gestern Abend die Suche eingestellt. Vom Käptn und zwei andern Seeleuten keine Spur. Insgesamt sieben Tote, ein Überlebender und ein zerschellter Trawler, das sei die traurige Bilanz dieser Schreckensnacht vorige Woche.
Nun, man könne seine Wut ja bestens verstehen und sein alles andre überlagerndes Bedürfnis, als einziger Überlebender der Katastrophe um alles in der Welt rauszukriegen, wer den Ausfall der Leuchtfeuer zu verantworten habe. Aber, seine unmittelbare Betroffenheit in Ehren, zu ermitteln – das sei seine Aufgabe nicht! Dafür habe er weder die fachliche noch die exekutiv-juristische Kompetenz! Nein nein, da wäre er bestens beraten, wenn er das der amtlichen Küstenwache überlasse. Hier habe man ausgewiesene Spezialisten für so was. Und was die Loyalität des Leuchtturmwärters angehe, da gebe es nach den Erfahrungen der letzten Jahre keinen Anlass zum Zweifel. Aber wenn ihn das beruhige, so sei ihm hiermit versichert, dass man den Leuchtturm von Stjernholman ohnedies ganz besonders im Blick habe, schon zuständigkeitshalber. Man empfehle ihm also, die Staatsorgane machen zu lassen, sich zurück nach Stavanger zu begeben und erst mal richtig Urlaub an der Adria oder wo zu machen. Nachdem er sich selbstredend vorher mit der Versicherung in Verbindung gesetzt und tunlichst einen Rechtsanwalt konsultiert habe, denn da käme doch einiges an Papierkrieg auf ihn zu. Wenn man sich beispielsweise so seine Hände ansehe, da würde ihm doch mit ziemlicher Sicherheit ein anständiges Schmerzensgeld zustehen. Und da könne ein Rechtsbeistand sicherlich ausgesprochen nützlich sein. Wenn er sich also in den nächsten Wochen statt in Arcona partout auf einem Schlachtfeld tummeln wolle, dann bittschön auf diesem. Und zwar in seinem eigenen, seinem ureigensten Interesse. Statt sich hier in dieser unwirtlichen Gegend mit irgendwelchem Ermittlungsgestümper rumzuschlagen. Da könne er sich nur blamieren, unsterblich blamieren. Und seinem Käptn und den Kollegen nützen werde das auch nicht mehr.
Nach dieser Lektion schlug der Chef der Küstenwache die Akte zu und sah seinem Gegenüber fest in die Augen.
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»Mir läuft das Wasser im Mund zusammen! – Finn, was is nu?«
Aber der hatte nur Augen und Ohren fürs Funkgerät. Während er versuchte, im weißen Rauschen irgendwelche verlorenen Silben, Wörter, Meldungen auszumachen, starrte er Löcher in den muffigbraunen Stoff, womit sein Vorgänger die ursprüngliche, vermutlich seit Jahrzehnten verschlissene Bespannung der kleinen Lautsprecherbox ersetzt hatte. Das gesamte technische Equipment hier wirkte wie ein Überbleibsel aus vorchristlichen Jahrhunderten, war vermutlich seit 1912, dem Jahr der Inbetriebnahme des Leuchtturms, nicht ausgetauscht worden. Wenn's hoch kam, mochte das ein oder andere Gerät oberflächlich überholt worden sein, wie die wenigen noch nicht ganz erblindeten Sichtscheiben der Messinginstrumente verrieten.
Schließlich stand Finn langsam auf, ging rüber zum Fenster und richtete den Blick ins Leere, als wolle er seine Gedanken draußen an der Reling des Galerieumlaufs zum Trocknen aufhängen. Während Marit den Dienstraum mit den langen Schritten eines Admirals durchmaß und dabei unverwandt aufs Funkgerät starrte, den stieren Blick nicht mal lockerte, als sie mit dem Fuß den baufälligen Stuhl anrempelte, den Petter gepachtet hatte. »Was meinste, hat er's?«
»Was?«
»Geschafft. Ob der Pott nu mal endlich vor unsre Felsen gerumst ist und schön unten auf'm Meeresgrund rumdümpelt! Stell dich doch nicht dämlicher, als du bist.«
»Keine Ahnung. Wirste schon früh genug merken. Du hast doch die Funkkiste bestens im Blick«, antwortete Finn. Er stand unbeweglich, den andern seinen merkwürdig kurzen Rücken zugewandt, und blickte gebannt aus dem Fenster, als könne er irgendwas erkennen in dieser dumpfen Schwärze da draußen, die regelmäßig vom kreisenden Lichtschweif der Leuchtturmlaterne für kurze Zeit in ein nicht weniger undurchdringbares nebliges Weiß verwandelt wurde. Marit klopfte fahrig an ihrer Pfeife herum, stopfte sie mit ihrem schwarzgelben Zeigefinger und schob sie dann, ohne die Lippen zu öffnen, zwischen die Zähne, um sich augenblicklich wieder daran festzubeißen.
»Will's aber jetzt wissen!« Sie tat zwei kräftige Züge, bis die Glut wieder durchgezogen war und stopfte noch einmal mit dem Finger nach, ohne dass ihr Gesicht auch nur den leisesten Anflug von Schmerz verraten hätte.
»Dann sei still und stell deine Lauscher auf Empfang. Sag ich doch«, kam es vom Fenster.
»Dieser Beowulf damals«, sagte sie gedankenverloren, das sei doch alles hirnverbrannter Unsinn: von wegen Held! Der sei bloß ein unglaublicher Draufgänger gewesen. Und, verdammt noch mal, ein hinterhältiger Dunkelmann, wie's in keinem Buche stehe. »Von wegen Held, von wegen! Nichts da«, raunte sie. Er habe eben nicht, wie die olle Legende erzähle, er habe den Gauten eben nicht ein halbes Jahrhundert Segen, Frieden, Reichtum beschert! Gut, möge ja sein, Reichtum womöglich schon, müsse sie zugeben vielleicht, aber auf wessen Kosten denn?! »Nein nein«, dröhnte sie und biss so fest auf das Mundstück ihrer Pfeife, dass es unter der heißblütigen Attacke vernehmlich ächzte. Die Kiefernmuskeln trieben unter ihrer alten Haut ein ungestümes Spiel, strafften die Wangen und legten sie im selben Moment wieder in tiefgründige Falten. Nein, ganze Generationen von tapferen Gauten habe dieser Raufrüpel über beide Ohren gehauen, habe seine treuesten Gefährten in den Tod gehetzt. »Ein Berserker, das Schwein.«
Niemand nahm Notiz von Marits fuchtiger Philippika.
Man solle sich doch bloß diese Geschichte aus Beowulfs Jugend vorknöpfen! Ihre Zähne knirschten auf der Pfeife, zwei Rauchfahnen stießen wie die eines feurigen Lindwurms durch die Eckzahnlücken. Wie da der Kerl im zarten Knabenalter gemeint habe, sich mit einem gleichaltrigen Burschen aus vornehmem norwegischen Geschlecht messen zu müssen. Wie die beiden sich bei Herbstwind und -wetter in die Fluten gestürzt und schwimmend tagelang mit dem Schwert auf die hochhergehenden Wellen eingedroschen und geharnischte Schläge wider die Gischt, gegen neun gräuliche Meeresungeheuer und andere Windmühlen ausgeteilt hätten! Wie Beowulf schließlich seinen Freund, den irgendeine Strömung erwischte, aus den Augen aus dem Sinn verloren habe und nach sieben Tagen irrwitzigen Gefechts gegen die Ostseestürme aus den Fluten gestapft sei. »Und aus diesem verdammten jugendlichen Leichtsinn machen die 'ne Heldensage!!«, brüllte sie. Müsse man sich vorstellen, die ollen Kelten, Dänen oder wer! Nicht zu fassen. Und übers Schicksal von dem andern armen Kerl, ob er womöglich bei Beowulf seinem Schwertgewirbel gegen irgendwas für Wellen nach unten gezogen worden sei von 'nem Strudel, sich verschluckt habe, mausetot verfangen in tausend Algententakeln oder ob er am Ende einem von Beowulfs fahrigen Schwerthieben selbst zum Opfer gefallen sei, weiß der Deibel, darüber schweige des Sängers verdammte Höflichkeit. Und sie ließ, um ihre Sicht der Dinge zu unterstreichen, ein kurzes, echoloses Husten hören.
»Finn«, zischte sie, »okay, du hast mir wieder 'n Sinn, wieder 'n Ziel gegeben. Und das, das ist das beste, was du in den Jahren, wo du jetzt hier bist, hingekriegt hast. Dass ich wieder weiß, wodrauf ich zusteuer. Zusteuern will. Aber umso mehr will ich jetzt nicht außen vorgelassen werden. Verstehste?! Wenn ich eins hasse, dann sind das Alleingänge, Durchmärsche, ohne nach links und rechts zu sehn, bloß weil einer sich für den Größten, den Allergrößten hält.«
Klatsch. Die zusammengesunkene grauhaarige Gestalt auf dem Stuhl in der finstren Ofenecke hatte sich plötzlich aufgerichtet und sich mit beiden Händen auf die Knie geschlagen. »Halt's Maul! Mal endlich mal. Hat er doch gesagt, sollst das Maul halten. Und wenn hier einer was zu sagen hat, in drei Teufels Namen, dann er. Ist Leuchtturmwärter schließlich. Außerdem macht doch überhaupt keiner 'n Alleingang. Und uns geht's auch nicht besser als dir. Schließlich weiß doch keiner, was Sache ist.«
Petter fiel auf seinem Schemel wieder in sich zusammen, den Kopf zwischen die riesigen rissigen Hände geschoben. Die Alte blieb endlich stehen, maulte zwischen Mundstück und verbissenen Lippen hindurch, dass sie diese elende Warterei satt sei, diese elend endlose Warterei immer, paffte noch zweimal und hüllte sich in Schwaden aus Rauch und Schweigen. Kein Sterbenslaut war zu hören, nur aus dem Ofen dann und wann ein Seufzen, wenn ein Scheit in der Glut riss.
Finn hatte die Hände aus der Tasche gezogen und die Finger auf der Fensterbank gespreizt, die Augen, so dicht es ging, an die schwarze Glasscheibe gepresst.
Bloß die Kerze auf dem Tisch, die Marit immer meinte, anzünden zu müssen, »dass kein Deibel und kein Aas Einzug halten kann«, wie sie sich ausdrückte, die Kerzenflamme ließ sich von einem leisen Lufthauch zu einer winzigen Bewegung hinreißen. Plötzlich ein ohrenbetäubender Krach! Ein Holzklotz im Ofen musste krepiert und in tausend Stücke zersprungen sein, die jetzt wild prasselnd in der Glut tanzten.
»Da. Die olle Kiste. Hat sich gemuckst.«
»Unsinn! Der Ofen.«
»Oder doch?« Finn hatte sich mit einer blitzschnellen Bewegung dem Funkgerät neben der Alten zugewandt. Unter seinen linealgrade gezogenen Brauen glühte es. Gebannt starrte er den braunbespannten Lautsprecher an. »Hast recht, Alte.« Zwei große Schritte und er ging vor dem Gerät in die Knie. Während er schon mit spitzen Fingern an den Schaltern und Drehknöpfen friemelte, zog seine Linke den Hocker an Land, den er eben beim Sturm vom Fenster zum Armaturenpult achtlos beiseite getreten hatte. Ohne die kniende Haltung aufzugeben, stützte er sich mit den Hinterbacken nur grade eben auf die Kante der Sitzfläche. Und als der Hocker wieder nach hinten zu entgleiten drohte, spreizte er die Unterschenkel und keilte die Stuhlbeine ein, während er mit ungebrochenem Eifer an den Reglern des Empfängers fingerte.
Die greise Gestalt am Ofen hatte nichts mehr von einem närrischen Kauz: Die wirren grauen Haare standen steil in die ofenheiße Luft, Petters rotglühendes Gesicht mit der breiten Nase sah plötzlich verblüffend jung aus. Seine Seeadleraugen waren mit derselben Spannkraft, mit der sie ansonsten das Fjordwasser zu durchlöchern pflegten, gradeaus auf Finns Finger gerichtet. »Mensch, kannste aus dem ollen Kasten nicht mal was Hörbares mal rauslocken! Mal ein Sterbenswörtchen mal.«
»Genau.« Die Alte konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, gickelte mitten in die brennende Luft hinein. »Genau: Ein Sterbenswörtchen!«
»Schnauze«, raunte ihr Mann und schraubte wie Finn seinen Blick in den schwarzen Apparat, die darin verborgenen Wortrümpfe ausfindig zu machen. Das Gerät aber brachte einstweilen nur Krächzer und Knackser hervor. Die Finger des Leuchtturmwärters tasteten es behutsam ab, legten Schalter hin und her, bewegten den Sendersuchknopf mit unendlicher Geduld einen knappen Millimeter vor und einen zurück. Das Knarzen wurde lauter. Finns dünner Schnäuzer schien zu zittern, die Augenbrauen warfen die Stirn in Falten.
»Betty Blue is calling you. Betty Blue, Newcastle. Lighthouse Stjernholman, Vesterålen, do you hear me? Betty Blue. One of the lights on Røversvaer-Islands must be out of order. And it's a God damned fog all around here. According to our charts we just have passed a big submarine rock within rather a scanty distance! Fucking fog! Thank God, we managed it. Stjernholman Fyr – do you hear me? Betty Blue, Newcastle. There is one of the lights out of order.«
»Kacke. Kohlrabenschwarze Kacke.«
»Sie haben's! Geschafft. Mit heiler Haut davongekommen. Olle Scheiße noch mal.«
»Schnauze.«
Marit stampfte die knarrende Wendeltreppe runter zum Wohndeck und schepperte den Riesentopf auf den Herd. »Fi-inn«, brüllte sie nach oben, »hast doch nix dagegen, wenn ich mich bisschen was nützlich mach. Ach so, ist übrigens dein vorletztes Paket Reisig, aber macht ja nichts. Vielleicht, wenn de Glück hast, kriegste in Svolvik noch welches. Wenn de Glück hast und nicht der Letzte bist, der sich um Reisig kümmert, im September. Hähähä.«
»Marit«, kam es von oben, »ich hab mich hier grad verdorri noch mal um andre Sachen zu kümmern.«
»Ich mein ja nur.« Die Alte war eingeschnappt. Kurzerhand packte sie auch noch das letzte Reisigbündel und stopfte es energisch mit dem anderen in den Herd, obwohl schon eins mehr als genug war. Das würde Zunder geben! Sollte Finn doch sehen, wie er morgen das Kaffeewasser heiß kriegte.
Mit einem Ruck zog sie die zwei Stockfischpaare aus dem Wasserkübel, in dem sie sich 24 Stunden lang sattgesoffen hatten. Sie stanken höchst appetitlich. Und weich waren sie, geschmeidig; schließlich hatte Marit sie gestern eingehend mit dem Hammer bearbeitet. Jetzt brauchte bloß noch das Wasser kochen, und dann rein damit. Anderthalb Stunden. Aber Zeit hatte sie ja. Da oben würde sich jetzt einstweilen sowieso nichts mehr tun. Also konnte sie auch hier unten dem Stockfisch zusehen, wie er noch mal, ein letztes Mal schwimmen lernte. Und schon mal am Aquavit nippen. Konnte schließlich nicht schaden bei dem vernebelten Sauwetter da draußen.