Kitabı oku: «Der Letzte macht das Licht aus», sayfa 3
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Schöne Tänzerin – nicht schön eigentlich, wie gesagt, schön nicht, nicht so richtig. Diese Klotznase, die hat er dir auch zu groß, zu klumpig ins Gesicht gemalt. Könntest schon noch schöner sein. Aber, ich weiß auch nicht – ungeheuer! Irgendwie ungeheuer. Mit deinem schwarzen, pechschwarzen Blick, und den rechten Arm schnurgrad schräg nach unten und angelehnt an die Armlehne von deinem dunkelroten, völlig verbauten Sessel – hat sich dein Beckmann wieder was zusammengepinselt! Die linke Hand wie im Dings, im Ballett fingerzeigend, ja noch mal, zwingt einen sozusagen in die Knie irgendwie, – da steht man und macht nichts mehr. Rein gar nichts.
Hätt nicht gedacht, Gunnar, alter Junge, dass dich eine so aus der Fassung, hartgesotten wie du bist, noch aus der Fassung bringen könnt. Dachte, so was wär mir abhanden gekommen, so diese Aufregung.
Heh Tänzerin, wie alt ist dein Klecksmax geworden? Sechsundsechzig? Hat er grad rechtzeitig den Arsch zugekniffen. Noch nichts mit Rente. Trotzdem, vielleicht hat er sie trotzdem gekannt schon, diese Angst vor diesen Rentnertagen, vor jedem neuen neu diese Angst: Auch der Tag ist wieder ein Idiot. Ich hab sie schon vor Augen gehabt, diese Angst, völlig ungeschminkt. War doch absolut nicht sicher – mit fast 50 ist man schließlich auch nicht mehr der Jüngste, und wo jetzt der Fuß ab war – war absolut nicht sicher, dass ich noch 'ne Arbeit find. Auf See jedenfalls nicht. Dabei guck ich für mein Leben gern, guck raus ins Offene, in die Weite bis zum Horizont, aber Essig! Also gut, da kam mir das mit den Bildern hier grad zupass. Einigermaßen. Konnte ja nicht ahnen, dass mir so eine hier übern Weg laufen würd.
Mann, bei mir, schöne Tänzerin, hättste's verdammt nicht schlecht, würdst nicht dauernd angepeilt von diesen schwachsinnig schwindsüchtigen Linsern mit ihren verranzten Bratäpfeln unter der Stirn. Die müssen dir doch auf den Zwirn gehn, jeden Tag und jeden Tag! Ich weiß überhaupt nicht, ob das wirklich ein Fächer ist, den de dir vor deinen Balköner hältst. Ich meine, wenn ich mir diesen ganzen Bohei hier im Museum – oder Halle ja, Halle von der alten Fischmehlfabrik, die der Kunstforeningen extra für die Ausstellung angemietet hat, jau, weiß ich, also: Halle, – wenn ich mir den Bohei hier in der Fischmehlfabrikhalle angucke, dies ganze Gebrabbel um dich rum, könnt man meinen, dein Max hat gar nicht 'en Fächer, hat vielleicht doch 'ne Narrenklatsche gemeint.
Jedenfalls, sieht man sofort, wie's dich anstrengt, seit zig Jahren so daneben gucken, neben's Gesülze von diesen spitzen Köpfen und Blicken, ins Nichts nach rechts gucken dauernd. Dass du nicht mal einem von diesen Glotzern und Gelehrten mitten ins Gesicht deinen ganzen Spottblick klatschen kannst. Darfst ja schließlich deinem Dings, deinem Schöpfer das Geschäft nicht vermasseln, musst still halten, die Kundschaft nicht verprellen. Bei mir könntste dich mal gehn lassen auch mal.
Warte mal! '25! Jahrgang 1925. Tatsächlich. Bist zwei Jahre älter als ich. Aber zwei Jährchen, was sind schon zwei Jährchen! Außerdem hast du mit den Jahren ja eh nichts am Hut. Gleich mit 28, Tschuldigung, vielleicht auch mit 23 geboren worden, und dann kein eines Jahr mehr verstreichen lassen. Seit 'nem halben Jahrhundert ein und dasselbe Jahr. Obwohl, hast viel verpasst, könntste bei mir nachholen. Könntst mit mir alt werden und jung bleiben. Und würdest endlich aus deiner unsterblichen Langeweile entlassen.
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Petter hatte ihr wieder mal einen Haufen zerfaserter Netze auf den Felsbuckel vorm Haus geworfen. Wieso der alte Esel immer warten musste, bis so 'n riesiger Berg aufgelaufen war?! Musste man's doch mit der Angst zu tun kriegen, wenn man das ganze Zeug vor der Brust hatte. Würde ja nie aufhören! Aber dann zog sie doch das erste Netz vom Stapel und setzte die Nadel an. Sie konnte sich beim besten Willen nicht dran erinnern, wie viel hundert Netze sie in ihrem Leben schon repariert hatte. Sie machte das fast blind, musste immer nur ganz kurz hinsehen und konnte ansonsten den Blick schweifen lassen über die kaltgrauen Inseln im Septemberdämmer. Sah drüben die Lichtpunkte der Siedlungen auf den Inseln, wo die Landstraße – wie eine Allee gesäumt von einer endlosen Staffel gebeugter Straßenlaternen – sich gen Süden davon schlängelte.
»Es ist nicht zu fassen, das ganze Gelichter da drüben! Mittags um halb drei! Oder doch, ist doch zu fassen, ist klar, jetzt, wo's finstrer wird, Tag für Tag die Nächte länger, langsam aber stetig, da ergreifen sie die Flucht nach vorn, krempeln die Ärmel hoch, stapeln Lampen, Lämpchen, Leuchten, Lichtlein in die Einkaufswagen. Zu Tausenden. Was sag ich? Zu Hunderttausenden. Dabei wären die Einzigen, die in Sachen Licht 'n Wörtchen mitzureden hätten, ja wohl Baldur und der olle Loki, wenn Ihr Euch erinnern möchtet, Ihr brustgeschwellten Leuchtegockel Ihr! Muss man sich vorstellen: Für dies flirrend-grelle Geflimmer, Gefunkel, für das Lichtgeprasse von all den armseligen Armleuchtern Land auf Land ab, dafür war der Loki die endlosen Jahre an diesen kargen, an diesen höllischen Felsen festgekettet. Dafür! Hätt er sich verdammt auch nicht träumen lassen.«
Plötzlich, Marit wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah, plötzlich standen neben ihr zwei schwarze Hosenbeine. Und als sie langsam, ganz langsam den Blick hob, musste sie feststellen, dass darin ein hochaufgeschossener Kerl steckte. Ein Schrank von einem Kerl. Daran bestand kein Zweifel, auch wenn ihre Perspektive von da unten zu Füßen des Netzgebirges ein Übriges dazu tun mochte, dem von Kopf bis Fuß schwarz gekleideten Mann gradezu Riesendimensionen zu verleihen. Sie war weiß Gott alles andre als ängstlich, aber als sie dem geheimnisvollen Fremden ins Gesicht sah, da ließ sie denn doch einen Schrei fahren, der die verblichenen Urahnen Odins zur neuerlichen Götterdämmerung hätte aufwecken können. Dieses Gesicht, in das sie da eben hatte blicken müssen, war schwarz, pechschwarz! Und wer hatte je auf den Vesterålen ein schwarzes Gesicht gesehen, ein so was von schwarzes Gesicht! Und natürlich hatte sie sofort gesehen, dass ihm aus der Stirn, rechts und links direkt am Haaransatz zwei spitzige Hörner wuchsen, krumm gebogen wie die eines stinkenden Ziegenbocks. Weder wollte sie auch nur eine Sekunde länger in dieses Grauen von einem Gesicht blicken, noch wagte sie es, den Blick zu senken, denn aus dem Augenwinkel hatte sie gesehen, dass der linke Fuß des Mannes von klumpigen Auswüchsen gezeichnet war. Um des hohen Himmels Willen, Marit stierte krampfhaft an dem Kerl vorbei aufs rauchgraue Meer, bekreuzigte sich und stammelte etwas von wegen, dass sie nie wieder an die Götter und Halbgötter, die hier in den hohen Breiten ihr Unwesen trieben, auch nur einen Gedanken verschwenden, sondern ausschließlichst an den einen einzigen Christengott glauben werde. Und heute Nacht noch, gelobte sie stumm, werde sie zwölf, oder ja, zwanzig Ave-Maria vom Stapel lassen. Wenn nur, ja, wenn der Gehörnte so plötzlich und leise, wie er erschienen war, auch wieder verschwinden werde.
»Kennen Sie den Leuchtturmwärter hier, Frau Tideband?«
Im Namen aller heiligen Geschöpfe aus Bestlas, oder nein besser: aus Evas erhabnem Schoß: Der Kerl hatte eine gradezu menschliche Stimme! Perfides Täuschungsmanöver! Und als sie jetzt gezwungen war, doch noch einmal aufzublicken, entdeckte sie, dass sein Gesicht längst nicht mehr so schwarz war, womöglich war nur ein etwas tiefer Schatten drauf gefallen. Und die Hörner – was für Hörner? »Den Leuchtturmwärter? Hier kennt jeder jeden. Aber ...«
»Aber?«
»Aber der Mann hat zu tun.«
»So?«
»Ist draußen irgendwo bei den Leuchtfeuern oder Bojen oder was, gehören ja, ich weiß nicht, etliche zu seinem Bezirk. Muss er irgendwas richten. Was fragen Sie mich denn das? Wer sind Sie überhaupt? Wenn wer Neues auf unser Eiland kommt, der stellt sich erst mal vor, vernünftig. Dass man weiß, wo man dran ist.«
»Dann bestellen Sie dem Leuchtturmwärter mal, er soll sich bei seiner Arbeit nicht stören lassen.«
»Ja, aber ...«
Aber da war der Kerl in Schwarz schon wieder verschwunden, so plötzlich und leise, wie er erschienen war. Huschte mit leichten, mit federleichten Schritten über die Felshöcker, schwebte um die Krüppelbirke drüben und war weg. Einfach weg.
»Deibel noch mal«, entfuhr es Marit, »woher, zum Teufel, weiß der meinen Namen?«
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Der Oktobermorgen war noch jung. Bitterkalt. Das sah Finn beim ersten Blick aus dem schmalen Fenster, das vom winzigen Badezimmer des Leuchtturms Richtung Osten zeigte, rüber zu den Bergen der Insel Grovöya. Ohne dass er es merkte, bremste er seine Zahnbürste und verlor sich dem Anblick der paar wenigen Dächer zu Füßen des Leuchtturms, alle raureifweiß. Auch wie sich langsam die Tür öffnete, bekam er nicht mit. Erst als ihm plötzlich eine weiche Hand in den Schritt fuhr, schreckte er auf.
»Brik, ich putz mir die Zähne – dir ist aber auch nichts heilig.« Der Form halber nahm er das Zähneputzen wieder auf, aber Briks Hand wollte ihre einmal eroberte komfortable Position offensichtlich nicht wieder aufgeben. Was allerdings auch ihren Mann nicht unbeeindruckt ließ. Zwischen Zahnpastaschaum und emsig fuhrwerkender Zahnbürste hindurch säuselte er: »Ja, wenn das so ist. Über so 'ne Störung ließe sich vielleicht verhandeln.«
»Wo du dir grad die Zähne putzt, Mann, ist es nicht so viel Arbeit, an die entscheidenden Gerätschaften dranzukommen«, kicherte Brik.
Finn gurgelte, ob er vielleicht vorher noch ausspucken dürfe.
»Nein«, hauchte sie, »heh, siehste nicht? Der kriegt's auch so hin.«
Jetzt war Finn endgültig nicht mehr Herr der Lage, er wand sich wie eine Kobra, spuckte Schaum und Wasser in hohem Bogen ins winzige Becken, und sein Prusten ging nahtlos in eine Art sonores Schnurren über. Aber plötzlich, als sei er aus heiterem Himmel wieder zur Besinnung gekommen, stoppte er. »Brik, ich muss endlich mal was loswerden: Ich hab keine Ahnung, wie lang das noch gut geht.«
»Was? Wieso?« Brik hatte die Liebesverrichtungen ebenfalls abrupt unterbrochen.
»Mein Job. Die Arbeit, mein Leuchtturm.«
»Wissen wir doch längst.« Sie nahm den Rhythmus langsam wieder auf, aber es gelang ihr nicht, Finn mit auf die Schwingen zu heben.
»Das ist nur noch 'ne Frage der Zeit. Dann ist das zu Ende hier. Die neuen Zeiten, wo du immer so von schwärmst, – die wollen das alles hier automatisieren, verstehst du.«
»Aber das wissen wir, Mann, das haben sie euch doch schon während der Ausbildung unschonend beigebracht. Du wirst schon was Neues finden, heh, wenn das hier zu Ende geht.«
»Ich will aber nicht. Ich will nichts Neues finden. Und vor allen Dingen will ich kein Kind. Nicht so. Nicht wenn ich nicht weiß, was wird.«
»Können wir jetzt mal langsam hier weitermachen?« Brik wollte sich partout nicht aus dem Konzept bringen lassen.
»Krähenkacke noch mal, kann man mit dir vielleicht mal ernsthaft reden?«
»Och nee«, japste sie, »nicht schlapp machen, Finn!«
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Schon am frühen Nachmittag verteilten die Sterne weiße Punkte über die hohe Kuppel. Immerhin war der November schon angebrochen. Es war kälter geworden. Jetzt, wo die Tage kürzer wurden, wo man den schwarzen Wolken beim Nachlaufenspiel um die weißen Häupter der Skanden zusehen konnte und den Möwen beim Flugballett über den schneegescheckten Schären, jetzt war die Zeit weit aufgerissen. Gedanken nachzudenken, zu vergessen, zu erinnern, im Kopf die krudesten Ideen aufstehen, taumeln, aufstehen zu lassen. Dachte er. Und sah weit raus, wo rotgold-kitschig die Sonne noch einen Augenblick auf der kaltglatten See längs kullerte und offensichtlich versuchte, die Gnadenfrist so lange wie möglich rauszuzögern. Bevor sie dann doch versank. Aber schnell noch einen üppigen Lichtvorrat aussandte, der den Horizont in ein sattes Orange tauchte, bonbonfarbene Schlieren an den Himmel zauberte, ein paar violette Federwolken mit einem barocken Goldrahmen einfasste, um dann schließlich in ein erbarmungsloses Blauschwarz auszuwachsen.
Finn spürte, wie die Kälte durch den Pullover kroch. Er steckte die Hände in die Hosentasch und wollte grade von der Galerie wieder in den Dienstraum gehen, um sich seiner Funk- und Schaltzentrale zu widmen, – als er plötzlich stockte. Er drehte bei, ging die paar Schritte zurück und baute sich wieder da auf, wo er eben das Schauspiel der Dämmerung begutachtet hatte. Da war, da fuhr doch – dabei kannte er doch nun wirklich jede Schaluppe, jeden Kahn, jeden alten Schuh, der vor seiner Küste vorbei schaukelte. Aber das, dieses Boot – da würde er seine Hand für ins Feuer legen – das hatte er hier noch nie gesehen. Finn stützte sich auf die Galeriereling, sein Oberkörper war plötzlich dermaßen schwer geworden, bleischwer. Der Kerl da unten hatte den Außenbordmotor ausgestellt und war sichtlich bemüht, lautlos die Ruder ins Abendwasser zu tauchen. Finn ließ das Boot seinem stechenden Blick nicht mehr entkommen, diesem Fernglasblick, den seine Profession mit sich brachte. Mochte der offenbar komplett schwarz gekleidete Kerl noch so sehr versuchen, in der wachsenden Dunkelheit unterzutauchen. Verdammt weit draußen, als er, wie's aussah, glaubte, außerhalb der Sicht- und erst recht außerhalb der Hörweite zu sein, warf der Typ den Motor an und zog mit Vollgas durch den engen Sund zwischen den Felshöckern im äußeren Schärengürtel davon, bis Finn ihn irgendwann endgültig aus dem Blick verlor.
»Kerl«, krähte Marit aus dem Inneren des Leuchtturms, »wo hängste denn wieder rum? Hier ist ja alles aber so was von total verwaist! Dienst ist Dienst, und Gedankenverlieren ist Gedankenverlieren.«
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»Eins ist uns wenigstens noch frei. Hass – Zorn und innerlichen Gehorsam aufkündigen den widerwärtigen, ewig unbekannten Gesetzen, die über uns verhängt sind seit Endlosigkeit in namenloser schauerlicher Unfreiheit des Willens.« Hat er selber noch gesagt. Dein Meister Max Klecksmann. Also los. Mit Zorn und Lust und langen Fingern. Klauen aus diesen Klauen hier. Und soll sich keiner beschweren: Hat er selber gesagt, wie gesagt, nämlich, der Maler selbst. Bei dem einen mir verbliebnen Fuß.
Also runter zum Kollegen vom Objektschutz, in 'n Gespräch verwickeln, vielleicht 'nen Kurzen oder zwei mit ihm heben – jau, in der Tabakdose der Zahnabdruckgummi oder -kunststoff oder was das ist, ist noch weich. Und jetzt, Gunst der Stunde, rüberlangen. Zwei Abdrücke in die Zahnknete, von rechts, von links, und schon hängt der Schlüssel wieder. Und der Kollege ist den Schnaps am wegkramen.
Und dann noch paar Vorsichtstage noch rumkriegen hier. Und nicht auffallen, alter Gunnar, mit diesem ganzen Dings, diesem ganzen Schweiß und dem einen Fuß, dem eiskalten. Was der auf einmal auch so kalt sein muss, ist er doch sonst nicht.
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»Ganz schön anstrengend morgens immer, was? So allein mit mir. Das ganze Frühstück! Eine geschlagne Viertelstunde – mindestens – dich eifrig mit mir unterhalten müssen.«
Brik hatte Frokost gemacht. Ihre große Leidenschaft, wenn sie ausnahmsweise mal rechtzeitig aus dem Bett gekommen waren. Sie trug nach Herzenslust alles zusammen fürs Frühstück, was die Küche hergab. Bis die Tischbeine sich durchbogen. Sämtliche nur erdenklichen Brotsorten, Flatbrød und Knäcke sowieso, Waffelbrot und Finnbrød. Und natürlich Lefse – niemand konnte die Saure-Sahne-Fladen wie sie zubereiten! Dann Blaubeerpfannkuchen und direkt daneben kalten Fisch, heißes Kartoffelpüree und ein ordentlicher Brocken Jarlsberg vom Feinsten, mild und nussig. Finn hatte keine Ahnung, wie sie an einen derart guten Käse kam, beim Supermarkt in Svolvik jedenfalls gab's den nicht, so viel war sicher. Weiß der liebe Himmel, wahrscheinlich ließ sie ihn direkt einfliegen aus dem Süden, irgendwo aus dem Gudbrandsdal oder woher auch immer. Und der Brunost-Käse, den sie immer anschleppte, war auch nicht zu verachten, Zwischending aus Ziege und Karamell, süß, braun und bitter, klebte am Gaumen wie tagelang durchgewalkter Kaugummi. Aber lecker, einfach lecker, würzig süß.
Früher hatte er Brik für diese Frühstücksköstlichkeiten geliebt, und sie ihn, weil er eine Antenne dafür hatte. Aber in den letzten Wochen war ihm der Sinn nicht danach. Und heute schon gar nicht. Er stand unter Strom. Griff eilig, aber so, dass es möglichst nicht danach aussah, in den Topf mit eingelegten Salzheringen und schob sich zwei davon samt Zwiebelscheiben, Dillstrünken und Pfefferkörnern in den Rachen. Dann noch schnell zwei Knackwürstchen und einen Schlag Kartoffelbrei mit brauner Butter. Das musste heute reichen als Frühstück.
»Aber wenn ich dann zur Praxis bin, dann haste ja erst mal so richtig deine Ruhe. Bis Petter seine Fischernacht weggeschlafen hat und Marit in die Gänge gekommen ist. So lange total allein – kommst du da nicht manchmal auf krumme Gedanken?«
»Ich weiß auch nicht, ich bin mir irgendwie selbst genug. Manchmal. Meistens. Aber nicht immer.«
»Kannste ja bloß froh sein, heh, dass du für das Nicht-Immer anständig verheiratet bist. Andernfalls, das würde dich hier oben wahrscheinlich teuer, verdammt teuer zu stehn kommen.« Brik lachte, gab ihm einen kurzen Kuss auf die Nasenspitze, und schon hörte er sie die Treppe runterpoltern. Er wusste, dass sie noch auf der Treppe ihre Arme in die Jacke stopfen, den Mantel anziehen und schließlich Finns alten, ausgebeulten Overall darüber würgen würde. Diese letzte Pelle würde sie dann drüben in Brunøa auf dem Anlegesteg wieder ablegen, ebenfalls im Laufschritt. Jetzt war sie vermutlich unten auf den letzten Treppenstufen angekommen und schlüpfte in die Stiefel. War ihm ein Rätsel und würde ihm, obwohl er's schon so oft beobachtet hatte, immer ein Rätsel bleiben, wie sie es schaffte, die ganzen Klamotten verteilt auf ihre Hände, Arme, Schultern treppab zu befördern und sie dabei – im Hochgalopp – Stück für Stück anzuziehen.
Dann hörte er ihren Außenborder losknattern und davon heulen. Musst du schon verflucht schnell hinhörn, dann is' er weg. Schon weg. Verpufft, vertrieben, spurlos, noch schneller als wie die Qualmfetzen von seinem ollen Sprit. Finn musste grinsen, dass ihm immer morgens, wenn Brik zur Praxis fuhr, Marits zerzauste Worte in den Sinn kamen, die sie losgelassen hatte, als sie zusammen unten auf den Felsen gehockt und in den verblassenden Augusthimmel gegrübelt hatten. Schon weg, im leichten Wind, die Furche, die ihr Boot durchs Wasser zieht, die weißen Gischtschnüre hinten dran. Schon verschlungen vom Wasser, wieder verschlungen.
Finn ging zum Telefon und ließ die Wählscheibe die paar Nummern durchzwirbeln.
• »Tach auch. Werenskiold hier, Stjernholman Fyr. Ich hab bloß noch eine Ersatzleuchte für die B63er Bojen, ihr müsst mir noch mal 'nen Satz Leuchten zurücklegen. Und drei, vier Parabolspiegel auch. Okay?«
• »Ja sicher, weiß ich.«
• »Stimmt, waren auch B63er. Aber kann ich ja nu nichts zu.«
• »Ich geh mal davon aus, dass das auch auf die Kappe von diesen Chaoten aus Svolvik oder wo geht. Hab ich euch ja schon gesteckt, dass ich da 'ne Handvoll militante Vegetarier in Verdacht hab, die was weiß ich was für Fischbestände vorm Untergang retten wollen. Brauchen ja bloß irgendein abgewracktes Boot zu kapern und können von draußen von See aus lustig drauf los schmeißen. Diese leuchtenden Küstenaugen geben doch, Krähenkacke noch mal, 'ne wunderbare Zielscheibe ab. Die Burschen wollen offenbar hier die Runde machen bei mir.«
• »Nee, das nicht. Bloß so 'n Verdacht.«
• »Wieso, ja, seid doch froh, dass ich das rechtzeitig immer mitkriege. Dass sich einer persönlich drum kümmert und an Ort und Stelle ist, wenn's drauf ankommt. Ihr könnt ja mal einen von euern Computerautomatendingern rausschicken, mal gucken, ob so einer was ausrichtet gegen die Steineschmeißer!«
• »Jedenfalls ich schick euch Brik dieser Tage mal vorbei, dass ihr der die Laternen mitgebt. Okay? Und ich geb ihr die zerdepperten mit, dass ihr mal 'n Blick drauf werfen könnt. Und nicht extra einer rauskommen muss.«
• »Ja ja, nichts für ungut.«
Minuten später saß Finn im Boot und fuhr rüber zu seinen Schützlingen direkt vor der Einfahrt zum Håkfjord. Irgendwie wirkte die Strecke heute doppelt lang. Endlich brachte er sein Boot zwanzig, dreißig Meter vor einer der B63er in Stellung und fischte sich ein paar von den Steinen, die er in Marits löchrigem Eimer mitgebracht hatte. Plötzlich aber kam er ins Stocken. Mitten auf der kleinen Schäreninsel, die seine Leuchtbake beherbergte, wirbelte eine Windhose über den Fels und riss den fein zerstäubten Neuschnee, der in den vergangenen Tagen den Winter eingeläutet hatte, fünf Meter hoch ins Licht. Die winzigen Kristalle, tausend Prismen, machten aus den paar wenigen Sonnenstrahlen, die sie erwischten, ein fantastisch wirbelndes Farbenspiel. Ein riesiger, glitzernder Diabolo aus Lichtfunken. Schnell noch ein Lichtspiel, bevor's die Sonne im Dezember dann nicht mehr über den Horizont schaffen und diese Wochen kommen würden, wo die Zeit unglaublich breit wurde. Gefiel ihm, aber irgendwie war es jedes Jahr aufs Neue eine Überraschung, wenn die Sonne sich mit einem letzten Augenzwinkern für vier lange Wochen definitiv verabschiedete.
Finn musste kurz überlegen, was er hier eigentlich zu suchen hatte. Dann spürte er die Steine in seiner Hand und legte los, griff immer wieder in den Eimer und schmiss, was das Zeug hielt. War seit jeher sein Schwachpunkt gewesen. Schon in der Schule. Schlagballwerfen: sein persönlicher Erfolgstöter. Daran hatte sich bis heute wenig geändert. Er musste das Boot ein ordentliches Stück näher heran steuern, dann erst landete er einen Treffer. Das Glas der Bake allerdings hielt der Attacke stand und schleuderte den Stein in hohem Bogen wieder zurück. Hoch elastisch, das Schutzglas, ja, wusste er, aber damit hatte er denn doch nicht gerechnet. Und auch einen zweiten und dritten Treffer quittierte seine B63er getreu der Devise: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel.
Was blieb ihm anderes, als noch näher heranzufahren. Schließlich suchte er in seinem Vorrat an Wurfmaterial den schwersten und scharfkantigsten Stein aus, stellte sich aufrecht hin und schleuderte ihn mit solchem Nachdruck auf die Bake, dass das Boot von der heftigen Bewegung anfing, wie wild zu schaukeln. Finn sah noch wie die Glasabdeckung des Leuchtfeuers aufriss, wie die Linse darunter in tausend Scherben explodierte und wie, allem Anschein nach, auch die Laterne selbst ihre Glashülle in alle Himmelsrichtungen verspritzte, doch da verblendete sich das Mosaik der umherfliegenden Glassplitter bereits mit einem Zauberbild schwarzer und weißer Wasserfontänen, wüst auseinanderstiebender Spritzer und strudelnder Turbulenzen. Die winzigen Tropfen machten aus den paar wenigen Sonnenstrahlen, die sie erwischten, ein fantastisch wirbelndes Schwarzweißspiel. Ein riesiger, glitzernder Diabolo aus Wasserfunken.
Jetzt erst, als er schon ein ordentliches Stück untergetaucht war, bemerkte Finn, wie saukalt das Wasser war. In extremer Kälte, hatte er mal irgendwo gelesen, hat man, kurz bevor einen der Kältetod holt, überbordend euphorische Gefühle.
»Und der Haifisch, der hat Zähne«, schoss es ihm durch den Kopf, »aber hier, hier hat noch der schärfste Haifischzahn keine Chance. Gegen diese Kälte und diese Finsternis. Nordnacht ist Mordnacht. Und der Mordzahn beißt auf Granit und Grund und gründet tief und knirscht, lässt den Sand zwischen den Zähnen zergehn und auf der Zunge. Komische Gedanken, wirres Zeug im Kopf, von wegen: Euphorie!«
Das einzig Heftige war dieses hämmernde Gefühl, das Herz müsse jeden Augenblick stehen bleiben. Aber dann meldete sich die Lunge, verlangte nach Luft und zwang ihn, sich nicht weiter um den Herzstillstand, sondern um die Aufwärtsbewegung zu kümmern. Kaum hatte er den Kopf über Wasser, sah er, dass es schlimmer kaum hätte kommen können. Das Boot lag kieloben und war ein gehöriges Stück abgetrieben. Die Werkzeugkiste mit allem drum und dran dürfte grade dabei sein, gemächlich zum Meeresboden hinab zu taumeln. Der halbleere Benzinkanister, Riemen und Tampen und Fender und was der Utensilien eines nordnorwegischen Leuchtturmwärters mehr waren, mochten sich ebenfalls irgendwohin auf Reisen begeben haben.
Doch das war noch längst nicht das Schlimmste. Viel aufregender war die Frage, wie er aus dieser Nummer mit einigermaßen heiler Haut rauskommen wollte. Finn musste herzergreifend lachen, so gut man bei diesen gattungsfeindlichen Wassertemperaturen lachen konnte. Aber sein Galgenhumor mischte sich mit durchaus weniger lustigen Gedanken. Eins jedenfalls war klar, er konnte nicht einfach zur Insel von seiner Leuchtbake rüberschwimmen, sich an Land schleppen und auf Rettung warten. Immerhin war nicht grade davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten halben Stunde, bevor er bei Minusgraden in den klatschnassen Klamotten denn doch noch den Herzstillstand nachgeholt haben würde, dass also in absehbarer Zeit ein Rettungshubschrauber über dieses völlig abgelegene und, versteht sich, unbewohnte Eiland, über diesen nun wirklich als solchen ausgewiesenen Arsch der Welt fliegen und ihn, Finn, aufgabeln würde. Mal ganz davon abgesehen, dass er, nachdem er sich vor anderthalb Stunden noch bei der Küstenwache bitterlich über die üblen Streiche der Dorfjugend von heute beklagt hatte, nicht eben eine gute Figur machen würde neben dem zerdepperten Leuchtfeuer seiner Bake. Vielleicht hätte er sich bei entsprechendem rhetorischen Einsatz damit rausreden können, er sei auf der Suche nach den Übeltätern gewesen, habe sie auf frischer Tat ertappt, sie hätten daraufhin sein Boot zum Kentern gebracht, er sei nur knapp dem Tod durch Ertrinken entgangen und so weiter und so fort ... Wie auch immer, jedenfalls würde er sich mindestens verdächtig machen. Wo die ihn doch sowieso schon auf dem Kieker hatten.
Und das zweite, was klar war: Hier im Wasser konnte er noch weniger bleiben.
Unter diesen unwirtlichen Umständen waren keine zehn Minuten zu überleben. Wenn's ihm aber gelingen sollte, bis zum Boot zu kommen, und wenn es ihm des weiteren gelingen sollte, das Boot wieder nach oben zu drehen, den gründlich gewässerten Außenbordmotor anzuwerfen oder zumindest die altersschwachen Riemen in die Dollen zu würgen und in einem Wahnsinnsakt mit den klatschnassen Klamotten am Leib die sechs Seemeilen durch die Kälte zurück zu paddeln, wie sollte er Marit und Petter, wie sollte er vor allem Brik klarmachen, wo er gewesen und was ihm widerfahren sei. Sich schon wieder irgendeine Geschichte ausdenken, die ihm keiner – und Brik schon gar nicht – abnehmen würde?
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