Kitabı oku: «Und die Titanic fährt doch», sayfa 4

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6

In der Mittagspause vor dem Crash, mir will beim besten Willen nicht einfallen, was wir da gegessen haben. Mit Lightoller, ich weiß, dass ich mit Lightoller in der Messe gesessen hab. Schräg vorne an dem begehrten Fenstertisch. Und ich weiß, dass wir übers Blaue Band geredet haben. Um nicht zu sagen: gestritten haben.

»Nein«, sagte ich neunmalklug, »nein, ich persönlich, also wenn du mich persönlich fragst, mir ist es mit Verlaub schnurzegal, ob wir ein paar Minuten früher in New York auf der Matte stehen beziehungsweise am Ambrose-Feuerschiff unsere Ankunft betuten oder nicht.«

»Aber?«

»Aber weder ich noch du, keiner von uns hat hier das Sagen.«

»Du willst sagen ...?«

»Lieber Himmel, du weißt doch, was dieser lächerliche Wettstreit um die schnellste Überquerung des Teichs – seit, ja, seit wann eigentlich? Seit zwei, drei Jahrzehnten allemal –, was dieser Wettlauf für eine verrückte Bedeutung gewonnen hat. Sieht fast so aus, als würden Wohl und Wehe der Krone selbst und ganz Großbritanniens davon abhängen. Immerhin sind unsere Schiffe, was das ›Blaue Band‹ angeht, die unerreichten Champions.«

»Prestige, Prestige! Weiß ich, brauchst du mir nicht zu erzählen«, brummte Lightoller.

»Ich hab‘ das sofort gesehn, als Smith rauskam, aus dem Teesalon, wo er mit Ismay und unserm Werft-Lord gesessen hatte. Ich war ausdrücklich ausgeladen. Sämtliche Offiziere! Du auch, nur du hast es nicht mitbekommen. Die haben den Salon zum Chambre séparée gemacht. Nur die drei. ›Eine Art Strategiebesprechung‹, hatte der Alte mir gesagt, darum ginge es. Und wie er rauskommt, hat er diesen stieren Blick. Und da wusste ich: Der hat das ›Blue Ribbon of the Atlanic‹ im Visier. Wie ein Esel die Möhre, die vor seiner Nase an der Angel baumelt.«

»Sind doch alles wüste Spekulationen! Wieso«, setzte Lightoller nach, »wieso wissen wir nichts davon? Warum sollte man uns das vorenthalten haben?«

Ich blieb die Antwort einstweilen schuldig. Der Steward näherte sich soeben unserem Tisch und servierte den, ich schätze mal: dritten Gang. Wir strichen unsere Servietten auf dem Schoß glatt, nahmen Messer und Gabel in die Hand und beugten uns über die Teller. Unsere Blicke trafen sich. Lightollers Gabel mit dem fasrigen Stück Lammhüfte – richtig, Lammhüfte, Lammhüfte an Minzsauce, wobei wir, natürlich ohne es zu ahnen, so was wie die Vorkoster für eins der nächsten Erste-Klasse-Menüs waren –, Lightollers Gabel blieb in der Luft hängen.

Ich bohrte ihm meinen Blick in die Augen. »Die Titanic ist doch für so eine Rekordfahrt technisch überhaupt nicht geeignet!«

»Sag ich doch«, kam es von Lightoller, »also bitte!«

»Ja. Und eigentlich gilt, wie du weißt, auch das Augenmerk der White Star schon längst nicht mehr Temporekorden, sondern Pünktlichkeit und Komfort. Und stattlichen Passagierzahlen.«

»Du sagst es«, Lightoller grinste oberwasserglücklich, »wann war das, ‘90 oder so was, 1891/92, wenn mich nicht alles täuscht, da hat die Teutonic zum letzten Mal das ›Blaue Band‹ für die White Star Line geholt. Und anschließend hatten die auf gut Deutsch die Schnauze voll. Hat sich die Reedereidirektion aus diesem irrsinnig teuren Vergnügen zurückgezogen. Schluss mit der Jagd gegen die Zeit.«

»Und ich sag dir: trotzdem! Wir sind trotzdem auf Kurs ›Blaues Band‹! Die müssen doch sehn, wie sie den Kahn wieder flottkriegen.«

»Welchen?«

»Na, die Reederei. Die Gerüchte dürften doch wohl nicht spurlos an dir vorübergegangen sein, dass die White Star kurz vorm Bankrott steht. Haben sich schon mit der Brittanic und der Olympic finanziell ordentlich überhoben, wie viel weniger hier mit diesem Äppelkahn. Und nicht mal die Jungfernfahrt jetzt ist ausgebucht: 1300 Passagiere zu wenig! Die müssen ganz dringend was an ihrem Image tun. Also versuchen sie‘s jetzt doch noch mal mit dem ›Blauen Band‹. Könnt‘ ich mir vorstellen. Auf jeden Fall: Smith. Der will das Ding holen. Ich hab‘ seinen Blick gesehn. Und Werft und Reederei, vorneweg natürlich Lord Pirrie und Ismay, kannst du Gift drauf nehmen, die würden nichts dagegen haben.«

»Seit fünf Jahren, Will, das ist jetzt fünf Jahre her, wo genau diese beiden Herren der Schöpfung das neue Konzept ausgebrütet haben: neue Größenmaßstäbe unter Beibehaltung bewährter Technik.«

»Stimmt auffallend. Woran du sehen magst, dass es nach wie vor um Rekorde geht. Vielleicht nicht mehr Geschwindigkeit, aber: größer, länger, schöner. Rekorde um der Rekorde Willen. Aber was in den Augen von Commodore Smith zu lesen war, als er von diesem konspirativen Treffen mit unsern beiden Leithammeln kam, das war eindeutig das Flirren der Geschwindigkeit. Ich meine, er heißt ja nicht von ungefähr der ›Sturmkönig‹, drosselt so gut wie nie die Geschwindigkeit wegen irgendwelcher Witterungsbedingungen. Kann durchaus sein, dass die drei Herren über die sieben Weltmeere beschlossen haben, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, also Größenrekord – der war unsrer Titanic ja nun mal gewiss, das hatten schon sämtliche Zeichentische versprochen – Größenrekord zu verbinden mit Geschwindigkeitsrekord!«

»Aber das wäre ja mörderisch, diesen Riesenpott hier ständig am Limit fahren zu lassen. Noch dazu mitten im Eismeer.«

»Wäre es, Lightoller, wäre es. Ist es!«

Wir mussten die Lautstärke drosseln, wir waren längst nicht mehr die Einzigen in der Offiziersmesse. Und als schließlich Pitman und Boxhall am Nachbartisch Platz nahmen, wechselten wir zum Lieblingsthema aller Seeleute, weil es am weitesten weg ist: Frauen. Aber was haben wir, verdammt, mir fällt partout nicht mehr ein, was wir außer diesem, na ja, sagen wir‘s vornehm: zähen Luder von einer Lammhüfte gegessen haben.

Ich hab‘ Kohldampf, Leute, ich brauch was zu essen!

- . -

7

Das waren noch andere Zeiten. Ganz andere. Wie wir – tja, wann war das? Drei Tage nach dem Stapellauf und acht Tage vorm Auslauftermin, müsste es also am zweiten gewesen sein, 2. April, ja, im North Channel, Belfast war fast die ganze Zeit in Sichtweite –, wie wir also die offizielle Probefahrt absolvierten. Acht Stunden waren dafür angesetzt, acht Stunden und keine Minute mehr! Kärglich, gradezu lächerlich knapp bemessen fürs Überprüfen von Tausenden von Maschinen, Apparaten, Stationen, Schaltstellen und Knotenpunkten, sowohl einzeln als auch im zuverlässigen Zusammenspiel. Wie wollte man allen Ernstes in acht Stunden das größte Schiff der Welt in allen entscheidenden Details auf Funktionstüchtigkeit, Betriebssicherheit, auf Herz und auf Nieren prüfen?! Ein Witz!

Aber alle waren sich vollkommen sicher, dass Kontrolle und Übergabe so was von reibungslos über die Bühne gehen würden, nachdem ja schon Monate vor der Inbetriebnahme die gesamte Fachpresse euphorische Lobgesänge auf die gigantischen Dimensionen, den Fahr- und Reisekomfort und grade auch auf die den üblichen Standards genügende Sicherheitstechnik angestimmt hatte. Fünfzehn Schotten inklusive zwölf bei einströmendem Wasser automatisch schließender Schutztüren auf dem Tank-Top-Deck trennen den Dampfer in sechzehn wasserdichte Abteilungen – was will man mehr! Immerhin garantiert diese Konstruktion den Zwei-Kammern-Standard, also die Tatsache, dass bei Flutung von zwei nebeneinanderliegenden, in etlichen Fällen sogar von drei nebeneinanderliegenden Rumpfkammern die Schwimmfähigkeit nicht gefährdet ist. Ein Standard, den die Titanic, wie die Konstrukteure gebetsmühlenartig immer wieder beteuerten, um ein Mehrfaches überflügle. Und damit nicht genug: Im Heckbereich würde uns das Wasser selbst dann noch nur bis Oberkante Unterlippe stehn, wenn die hintersten vier Abteilungen vollgelaufen sind. Zumindest würden wir uns etliche Stunden über Wasser halten und Passagiere und Mannschaften geordnet evakuieren können. Sofern nicht auch noch Sturm dazukommt.

Im Übrigen bestehen die Schotten aus dreieinhalb bis sechs Zentimeter dicken Stahlplatten und die Kammerwände und Türsysteme sind auf eine Notfallbelastung von vierzehnhundert Zentnern Druck pro Quadratmeter ausgelegt. Kann doch einfach nur halten! Außerdem, ich meine, wir hatten ja alle dieses grandiose Vorbild vor Augen: unsere Olympic. Fast baugleich und seit einem Dreivierteljahr auf See unterwegs. Und mit allen Wassern gewaschen. Immerhin war sie bereits bei ihren ersten Fahrten vom Pech verfolgt: Zuerst verliert sie ein Schraubenblatt, und dann, letztes Jahr im September, kollidiert sie mit dem Kreuzer Hawke. Die anschließende dreimonatige Reparatur hat ja auch die Fertigstellung der Titanic verzögert. Aber bei all dem zeigte sich doch immer: Die Olympic hält und schwimmt! Also müssen beim Schwesterschiff acht Stunden ja wohl satt und genug sein, um die Controllettis und uns von der Seetauglichkeit des Nachens zu überzeugen.

In Wahrheit war in der Kürze der Zeit, wie gesagt, ein gründliches Austesten der Manövrierfähigkeit, geschweige denn des Verhaltens der Maschinen unter Volllast überhaupt nicht zu machen. Und um mal wenigstens ein Manöver ansatzweise durchzuführen, gab der Alte den Befehl, ein paar wenige Rettungsboote auszuschwingen. Grade man zwei davon wurden sozusagen spaßeshalber mit einer Hand voll Leute besetzt und bis knapp über die Wasseroberfläche abgefiert. Kein Feuerlöschmanöver, kein Bootsmanöver! Warum auch? Man hatte ja die Bootszertifikate der Werft. Musste Sicherheit genug sein. Gut nur, dass die Rettungsboote bei unserer Havarie gestern nicht wirklich zum Einsatz kamen und ihre erste Bewährungsprobe nicht gleich im Ernstfall bestehen mussten.

Es gibt jedenfalls kein Vertun: Ein ausgewachsenes Rettungsmanöver mit der gesamten Besatzung auf offener See wäre absolut unerlässlich gewesen. Wie bei andern Schiffen dieser Größenordnung auch hätte eine Seeerprobung von vier bis sechs Tagen angestanden. Und nicht so ein Acht-Stunden-Durchmarsch im Hochgalopp. Und eigentlich hätten, schon um den üblichen Gepflogenheiten Genüge zu tun, Harland & Wolff vor der Übergabe und White Star vor der Übernahme unangekündigte, mindestens stichprobenartige Zusatzprüfungen durchführen müssen, um den Leuten – vom ersten Ingenieur bis zum letzten Schweißer – auf die Finger zu gucken. Aber nichts da. Handelte sich schließlich um das Nonplusultra der Schiffsbaukunst.

Und ich hab‘ damals ja auch die Schnauze nicht aufgemacht. Auch ich war todsicher, dass die Titanic todsicher ist. Und wie‘s aussieht, nach dem Klatsch vor den Eisberg, stimmt‘s ja auch. Zumindest gibt es zunächst mal, zunächst mal keinen Grund, vom Gegenteil auszugehn. Selbst nach dieser schweren Frontalkollision liegt sie ja noch einigermaßen im Wasser, dümpelt zwar wie eine kopflastige Weihnachtsgans, aber kommt vorwärts.

Ich war mir jedenfalls an diesem 2. April todsicher. Bis zu jenem Zeitpunkt, als wir – aber das war dann schon nach dem offiziellen Teil der Prüfung; Smith, Ismay und die andern hohen Herren waren schon abgezogen, um ihr wohlverdientes Arbeitsessen einzunehmen –, als Lightoller, Andrews und ich uns noch einmal in den Schiffsbauch begaben. Und Andrews als Chefkonstrukteur wies uns mit stolzgeschwellter Brust darauf hin, dass man es sich sogar habe leisten können, mittschiffs und vorschiffs teilweise auf Vollschotten zu verzichten. Was selbstredend eine nicht unerhebliche Kostenersparnis eingebracht habe.

»Da vorne zum Beispiel«, schwärmte er, »vor allem die Schotten zwischen den Kesselräumen mussten nicht ganz bis oben zum Hauptdeck hochgezogen werden. Und sind trotzdem sicher! Und grade für die Erste-Klasse-Passagiere – im Kabinentrakt, der Empfangshalle und ihrem Speisesaal – konnten wir auf diese Weise erreichen, dass sie nicht am weit ausholenden Defilieren gehindert werden.«

Lightoller und ich nickten begeistert. Und Andrews war in seinem Element. Er lotste uns zu den Frachträumen ganz unten zwischen Vorpiek und Kesselraum 6 und zeigte uns, dass nachträglich – also über die ursprünglichen Baupläne hinaus – unter Frachtraum 2 und 3, direkt überm Doppelboden, ein Betriebsgang eingezogen worden war, der sogenannte Heizertunnel.

»Eine gravierende Verbesserung gegenüber der Olympic«, wie Andrews betonte, »denn so können die Heizer, die Kohlenzieher, die Schmierer, was für Dreckspatzen auch immer, von den Passagieren ungesehen von ihren Logis im Vorschiff zum Einsatzort in den Kesselräumen gelangen. Und vor allem zurück. Schmuddelig, wie sie sind.«

»Aber«, fragte Lightoller erstaunt, »aber geht der Heizertunnel dann nicht durch mindestens zwei Rumpfkammern? Wie vereinbart sich das denn dann mit der Abschottung?«

Andrews winkte lässig ab und verwies darauf, dass der ganze Bugbereich ja eh so stabil sei, dass im Falle eines Falles mehrere Abteilungen gleichzeitig ordentlich Wasser schlucken könnten, ohne dass das Schiff davon Magenschmerzen bekäme.

Als ich nach dem nun also doch noch lang gewordenen Tag von Bord ging, verspürte ich trotzdem ein diffuses Grummeln in der Magengegend. Verzicht auf Vollschotten in zentralen Bereichen des Rumpfes? Ein Heizertunnel, der nicht bündig ans Schottenverschlusssystem gekoppelt war?

Es ließ mir keine Ruhe, und als ich mir zwei Tage später ein Herz fasste und Smith darauf ansprach, bedeutete mir dieser, er wisse selbstverständlich um diesen Umstand. Aber die Abnahme sei ja nun durch, ohne Beanstandungen, und er habe jüngst noch mal diesen Artikel nachgelesen, dort stehe es schwarz auf weiß: Die Titanic sei unsinkbar. Also. Oder wolle er, Murdoch, es den Erste-Klasse-Reisenden zumuten, dass ihnen bei jedem Schichtwechsel die schweißverklebten, schwarzverrußten Leiber der Heizer übern Weg laufen, wenn diese nach getaner Tat zu ihren Kojen zurückkriechen!

Ich zeigte mich beruhigt. Ob ich wirklich beruhigt war, weiß ich nicht genau. Jedenfalls schwieg ich. Und irgendwann bei der ganzen Aufregung um den bevorstehenden Aufbruch zur Jungfernfahrt vergaß ich die Sache wohl auch. Schob sie jedenfalls so weit in mein Hinterstübchen, dass sie mir nicht mehr in die Quere kam.

Jetzt aber, in der Situation jetzt, verdammt, kann die Sache durchaus brenzlig werden. Wenn der Alte sich erinnert, dass ich mich zumindest mit dem Verdacht rumgetragen habe, das Sicherheitssystem des Kahns könnte Schwachstellen aufweisen, dann weiß er, dass ich ihm und den andern hohen Herren gefährlich werden könnte. Und dann wird‘s für mich gefährlich! Und zwar hochgradig. Werde ich mir sozusagen selbst gefährlich.

Schließlich geht es um wahre Unsummen von Geld und einen gigantischen Imageschaden. Wenn ich mich nicht selbst gleich hier an Bord aus dem Leben schieße, dann werde ich wohl jede noch so überzogene Wette drauf halten können, dass ich noch vor dem ersten Anhörungstermin der Untersuchungskommission aus dem Weg geräumt sein werde. Von den Helfershelfern der Figuren, die ein fulminantes Interesse daran haben, dass ich keine, aber auch gar keine Aussage zum Schottsystem der Titanic mache! Nicht dass die ganze Chose der Werft, der Reederei und den amtlichen Schiffskontrolleuren auf die Spreiz-, Senk- und Plattfüße fällt!

- . -

8

Das ist … das fühlt sich an wie … wieso knistert da … das ist Papier. Was hat ein Papier in der Brusttasche meines frisch gebügelten, grade auseinandergezupften Hemds verloren? Wer hat das da reingesteckt und wie? Ich jedenfalls nicht. Wüsste ich. Müsste ich doch wissen. Ich stecke mir doch keinen Zettel ins Hemd, wenn‘s grade aus der Bügelstube … eine von den Büglerinnen? Jedenfalls eine Frauenschrift auf der Rückseite des säuberlich zusammengefalteten Blattes: »Mr Murdoch persönlich«. Na ja, aber sicher doch, das Postgeheimnis ist uns heilig. Wir befinden uns schließlich an Bord eines Royal Mail Ships. Haha, sehr witzig, William. Jedenfalls handelt es sich bei dem Wisch nicht um einen Geheimbrief an den Gefangenen Murdoch. Ziemlich sicher, dass das Ding vor der Havarie, und also bevor sie mich festgesetzt haben, in meiner Hemdtasche landete. Danach hat bloß noch Lightoller den Hemdenstapel in der Hand gehabt, als er nach der Festnahme meine sieben Sachen zusammenraffte und mir hier runter in die Haftkabine brachte. Aber Lightoller hat keine Frauenschrift.

Was also will eine Büglerin mir stecken? Kann mir mal einer sagen, wieso die ihren Namen nicht nennt?! Zur Besatzung gehören, wenn ich recht informiert bin, dreiundzwanzig Frauen. Keine Ahnung, welche Tätigkeitsfelder die beackern. Bügeln, nehm ich mal schwer an. Und absolut keine Ahnung, welche von denen jetzt noch an Bord sind und welche inzwischen mit der Olympic unterwegs sind. Richtung Festland.

Dorothy. Das war unter Garantie diese immer breiter grinsende Dorothy – ist die nicht die Vorarbeiterin der Waschfrauen und Büglerinnen? Jedenfalls kein Kunststück für so eine, meinem Hemd einen Zettel unterzujubeln. Aber, bei aller Liebe zum Personal, was hab‘ ich mit denen zu schaffen? Anmaßend, natürlich, eine Frechheit, ich meine, ich leg ja nicht sonderlich Wert auf Standesgrenzen, Sitten und Dings, aber alles was recht ist, also ein bisschen Contenance kann nicht verkehrt sein. Ich meine, ich gehöre, gehörte immerhin zu den höchsten Offizieren. Master next Master next God. Oder die Stenotypistin, ist das deren Schrift?

»... jedesmal wenn ich Sie zufällig auf Deck oder über den Gang gehen sehe, bleibt mir das Herz stehen ...« He, holla, das nenn ich geraderaus! Die hat Mumm, Mann. Für eine Frau ordentlich Mumm! Und dann noch als Waschweib, na ja, gehobenes Waschweib. Und keinen Rechtschreibfehler. Also vielleicht doch Tippse oder was. »... und es kam in den letzten paar Tagen gar nicht so selten vor, dass ich Sie in Ihrer stattlichen Uniform und mit durchgedrücktem Rücken ...« Dacht‘ ich‘s mir doch, das ist es. Das Übliche. Eine Uniform ist für ein Weibsbild einfach ein Magnet und bleibt einer. Manchmal glaubt man nicht, wie einfach die Welt gestrickt ist. Ein anonymer Schmachtbrief an den Träger einer schmucken Uniform. Vielleicht ist der einsame Seebär mit steifem Kragen und geschniegeltem Revers ja noch zu haben. Am Hungertuche jedenfalls wird die Verehrerin, so sie ihn an Land gezogen bekommt, nicht nagen. Und auch dass der alte Nörgelfritze 80% seines Lebens unterwegs auf den Tümpeln dieser Welt ist, muss ja nicht unbedingt von Nachteil sein. Kann die Frau ihr Leben leben und keiner redet ihr rein. Aber jetzt, wo sie jetzt weiß, der Angebetete, Mister Murdoch hockt auf seiner Haftpritsche und starrt in den Spiegel der Einsamkeit, arrestiert, um sich Gedanken zu machen über die Geschicke der christlichen Seefahrt, festgesetzt, damit er ein ums andre Mal die Havariesekunden Revue passieren lässt und sich das Hirn zermartert, unter dieser Voraussetzung würde die holde Verehrerin sich wahrscheinlich am liebsten ein Monogramm in den Hintern beißen wegen ihrer forschen Avancen. Schließlich hätte sie für einen Häftling unter zigfachem Tötungsverdacht garantiert keine Anstrengung unternommen, sich ranzuschmeicheln, ranzuschmeißen, ein noch so winziges Zettelchen in seine Haftkabine zu schmuggeln. Schon den Bleistift in Bewegung zu setzen, wäre zu viel des Guten. Verlorene Liebesmüh.

Wobei, der eigentliche Skandal, alter Bursche, ist ja, dass du Blödmann nichts gemerkt hast. Vielleicht, ich mein, weiß man doch nicht, hätte doch schön sein können. Je nachdem welches Exemplar von den dreiundzwanzig Evastöchtern an Bord es nun war. Hätte man sich die eine oder andre Schichtpause ein bisschen versüßen können. Nur weil sie den Büglerinnen auf die Finger schaut oder den Stenostift übers Papier jagen lässt, muss man sie ja nicht gleich von der Bettkante schubsen. Vielleicht, wenn sie, womöglich, ihrem Schädel nichts Wesentliches zu entlocken weiß, dann weiß sie vielleicht, wie man die Schenkel in Bewegung setzt. Womöglich.

Aber du Idiot hattest nur einen Blick für Miss Titanic.

Und? Hat sich‘s gelohnt?

- . -

9

Ein Schrei! Ein unglaublich schriller Schrei. Draußen, direkt vor meiner Tür. Eine Frau, die ihrem Schlächter begegnet ist. Mindestens. Was weiß ich, was sich da draußen im Gang für ein Gesindel rumtreibt. Wieso eigentlich Frau? Hab‘ ich nicht grade noch von den dreiundzwanzig Kutterfrauenzimmern gesprochen? Also wenn‘s eine Frau war, dann war der Schlächter eine Maus.

Klatsch, die Tür geht auf, schlägt gegen die Holzvertäfelung, fliegt federnd ein Stück zurück, aber da hat die Nurse schon ihren Fuß in der Tür. Beziehungsweise ihren nun wahrlich hübsch anzusehenden Leib. Steht mit schreckverzerrtem Gesicht auf der Schwelle, reißt die Augen auf und ringt um Luft. Ein traumatischer Schock eingraviert auf dieser süßen weichen Stirn. Es kann nur eine Maus gewesen sein.

»Sie, Sie ...«, stammelt sie.

»Sie dürfen überhaupt nicht hier reinkommen«, gebe ich barsch zurück, »und mit mir sprechen schon gar nicht.«

»Könnten Sie mal nachsehn, da … da war eine ...!«

»Eine Maus?«

Ihr »Fürwahr« fällt dann schon wieder als Schrei aus. »Ein Riesenbiest«, kreischt sie, »aber … aber woher wissen Sie?«

»Und was soll ich da jetzt gegen unternehmen?«

»Wegmachen, töten, vernichten – ich weiß es nicht.«

»Das ist doch die gute Seele hier auf dem Gang.«

»Was, wie, Sie kennen die?«

Bevor es noch absurder wird, nehme ich ihre Hand, ziehe sie in meine Kabine und lege die Tür ins Schloss. Ich meine, wann hat man als Strafgefangener unter der Obhut des Gott- und Majestätsvertreters zur See schon mal Gelegenheit, eine weibliche Schönheit in seiner Haftkabine verschüchtert von einem Bein aufs andre treten zu sehen! Und das bei derart schlanken Fesseln, traumhaft zart geschwungenen Fußknöcheln. Ich weiß auch nicht wieso, aber ist nun mal meine Obsession: der Blick auf die, sagen wir: Fußtaille. Es gibt nichts Eleganteres als gertenschlanke Untergestelle. Und andersrum: Fällt der Anfang der Beine am Boden schon plump aus, dann kann man getrost davon ausgehen, dass der Rest als Stempel durchgeht. Diese Exemplare hier jedenfalls sind edel!

»Ich darf doch gar nicht«, immerhin bekommt sie wieder Luft, »darf doch gar nicht hier reinkommen.«

»Wo ist denn das arme Wesen?«, komme ich zurück auf des Übels Grund.

»Armes Wesen, armes Wesen!! Was weiß ich. Bin ich die Hüterin der Fauna hier an Bord?! Der ungebetenen Gäste, blinden Passagiere, sämtlichen hergelaufenen Kroppzeugs?!«

»Wenn Sie mich so direkt fragen: Ich nehme mal an, dass nein.«

»Ja, machen Sie sich bloß lustig!«

»Nie! Das würde ich in so einem ernsten Fall nie tun. Aber eines ist man sicher: Commodore Smith würde das unerlaubte Erscheinen einer Maus im Gang vor meiner Haftkabine vermutlich eher nicht als Grund dafür akzeptieren, dass jemand – sei‘s Männlein oder Weiblein – das strenge Verbot, meine Kabine zu betreten, im wahrsten Sinne des Wortes: umgeht! Ich bin bekanntlich mindestens eine Persona non grata, wenn nicht ein längst überfälliger Knastbruder, und meine Zelle ist verbotenes Terrain, solange nicht der Schuss der Schüsse gefallen ist. Wenn ich Sie daran erinnern darf.«

»Was für ein Schuss?«, die Nurse reißt die Augen auf. »Von einem Schuss weiß ich nichts, ich weiß nur, dass ich hier nicht ...«

Sie verstummt mitten im Wort. Ihr Blick ist hängen geblieben am immer noch aufreizend auf dem Regal neben meinem Bett liegenden Revolver. Und man kann zusehn, wie sich ihr schönes Köpfchen seinen Reim macht auf die danebenliegende Patrone. Sie weicht zurück, zieht, während ihre Blicke zwischen der Pistole und mir hin- und hergeistern, ganz leise ganz langsam ihre Sohlen über den Boden, als wolle sie ihre Rückschritte auf keinen Fall erkennen lassen. Keine Bewegung, fast keine. Als würde sie ohne ihr Zutun von unsichtbarer Hand allmählich aus der Gefahrenzone gezogen. Nach hinten weg. Erst, als sie sich auf der Schwelle weiß, wendet sie den Blick ab, dreht eine halbe Pirouette, so schnell, dass ihr braunes Haar wie eine Wolke dunkler Lichtlocken durch die Luft wirbelt. Sie will gerade raus in den Flur trippeln, raus aus der Hölle des Löwen in die Höhle voller wimmelnder Plagegeister, voller piepsender Wollknäule mit großen Ohren, Knopfaugen und frisch gespitztem, durch die Luft kreisendem Dreizack, als mich, ja, als mich ein Dämon der übelsten Sorte reitet.

Ich kann nicht anders, ich muss, ich krieg meine Fußspitze einfach nicht mehr rechtzeitig zurückgezogen, bevor sie der schönen, der bildschönen Nurse in die Fluchtschritte fährt. Ihren wohlgeformten linken Knöchel trifft, gerade eben, der Hauch einer Berührung. Aber Hauch genug, um das linke dem rechten Bein in die Quere kommen und die Schöne der Länge nach hinschlagen zu lassen. Ich spüre, wie mir ein Grinsen durchs Gesicht huscht, gezeichnet von der puren, der reinen Lust am Schabernack. Ich weiß auch nicht, vielleicht war‘s dieser lächerliche Anlass, der die Madame zu mir hereingeweht hatte und dem ich jetzt bei ihrem Rückzug die Krone aufsetzen wollte. Aber verstehn, eigentlich verstehn tu ich‘s nicht.

Sie scheint es nicht mal gemerkt zu haben. In ihrer Panik, entweder auf Captain Smith oder auf die Maus zu treffen – wobei noch nicht ausgemacht ist, welche Begegnung die schlimmere sein würde. Die Attacke meiner Fußspitze jedenfalls hat sie augenscheinlich nicht registriert, bedenkt mich keines wütenden Worts, keines stechenden Blicks, rappelt sich stumm auf und zieht meine Tür hinter sich zu. Ich höre ihre Schritte auf dem Gang. Nach hinten weg. Weg.

Ich könnte mich ohrfeigen.

Stattdessen verbanne ich den Revolver einstweilen in die noch intakte Konsolenschublade.

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