Kitabı oku: «Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk», sayfa 7

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3.4 Moden und Normierungen der Aussprache

„Das Wort-Ende nicht verschlucken, das Satz-Ende nicht verschlucken, die Konsonanten deutlich artikulieren.“ So lauten die drei Regeln zum deutlichen Sprechen im 1992 in erster Auflage erschienenen Sprach-Knigge (Leisi & Leisi, 2016, S. 14). Ist das heute noch die gängige Regel? Gibt es andere Tendenzen bzw. ModenMode? Die Norm der Aussprache (der Artikulation und der Intonation) unterliegt ebenfalls Änderungen und Trendwellen, was anhand der diversen Generationen von AussprachewörterbüchernAussprachewörterbuch gut nachzuvollziehen ist.1 Als Autor des ersten systematischen Regelwerks für die Beschreibung der AussprachenormenAussprachenormen gilt Wilhelm Viëtor (1885). Wie schon in Kapitel 2.3 angesprochen, war kurz darauf der SiebsSiebs, wie man das Standardwerk von Theodor Siebs Deutsche BühnenausspracheBühnenaussprache (Erstauflage 1898) nennt, bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts richtungsweisend (19. Auflage 1969). Äußerst präzise zu artikulieren und wenige Varianten der Aussprache zu verwenden, waren in den ersten Ausgaben der Bühnenaussprache Ziele, die zu einer perfekten Aussprache – vor allem bei Schauspielern – führen sollten. „Die durch Akzentuierung, Lautumgebung und Position verursachte Dynamik der Phonemrealisation mit ihren Assimilationen, Reduktionen und Elisionen blieb unberücksichtigt“ (Hirschfeld & Stock, 2007, S. 5).

Siebs’ 1931 unveröffentlichtes Handbuch „Rundfunkaussprache“, das er im Auftrag der Reichs-Rundfunkgesellschaft verfasst hat (Siebs, 1969, S. 153), wies schon auf die sprachbildende Funktion und verantwortungsvolle Vorbildaufgabe des RundfunksprechersRundfunk-sprecher hin. In der letzten Ausgabe der Bühnenaussprache (1969) liest man schließlich konkrete Verweise auf das Sprechen im Rundfunk, das sich an der gemäßigten HochlautungHochlautung orientieren solle, allerdings müsse wegen der Reduktion auf das Hören und des Anspruchs auf überregionale VerständlichkeitVerständlichkeit „die Notwendigkeit eines besonders klaren, deutlichen und der Norm der Hochlautung gemäßen Sprechens“ beachtet werden (Siebs, 1969, S. 154). Die unterschiedlichen Formstufen der AusspracheAusspracheFormstufen der würden von der Art der Sendung abhängen, Nachrichten und Ansagen müssten sich an der reinen HochlautungHochlautung orientieren, andere Passagen auch an der eher gemäßigten.2

Nach dem Zweiten WeltkriegWeltkrieg, Zweiter lösten zwei Regelwerke, der DudenDuden3 für die BRD, das Wörterbuch der deutschen Aussprache (später das Große Wörterbuch der deutschen Aussprache4) für die DDR, den SiebsSiebs nach und nach ab und wurden regelmäßig aktualisiert. In jüngster Zeit erschienen jeweils Neuauflagen mit tiefgreifenden Überarbeitungen, die nun auch digital zur Verfügung stehen: Duden. Das Aussprachewörterbuch (2015) und Deutsches Aussprachewörterbuch (2009), das auch die Standardvarietäten Österreichs und der Schweiz ausführlich behandelt.

Die Änderungen, die man im Laufe der Zeit in den ReferenzwerkReferenzwerken verfolgen kann, zielen auf eine gemäßigtere LautungsstufeLautungsstufe mit immer mehr Toleranz, was auch daran zu sehen ist, dass die Modell- bzw. Mustersprecher nicht nur auf der Bühne gesucht wurden, vielmehr auch Alltagssituationen und vor allem Rundfunksprecher einbezogen wurden.5

Eine detaillierte Analyse der Unterschiede in der Entwicklung orthoepischer Normen würde hier zu weit führen. Generell kann man aber sagen, dass seit dem Zweiten WeltkriegWeltkrieg, Zweiter die zunächst geltende Siebssche Regel der „schönen“ und korrekten Aussprache in Form lautgetreuer und exakter Artikulation (mit wenig Assimilationen, Reduktionen und Eliminationen) eine immer größere Akzeptanzbreite in Richtung gemäßigter StandardlautungStandard-lautung bekam. Eine der auffälligsten Veränderung ist in diesem Zusammenhang in der Realisierung des R-Lautes zu sehen, was im Folgenden beispielhaft skizziert werden soll.

Der R-LautR-Laut als apikaler [r] oder als uvularer Zitterlaut [ʀ] ist seit der Entscheidung eines Beraterausschusses 1933 in beiden Formen gleichermaßen anerkannt, wobei auch in der letzten Ausgabe des Siebs (1969, S. 84–86) noch zu lesen ist: „Die Zungenspitzenform des r-Lautes ist zunächst vorzuziehen, weil sie die Bildung der Vokale nach vorne verlegt. Das [r] hat im heutigen Sprechtempo der durchschnittlichen Rede höchstens 2–3 Schläge, am Ende unbetonter Silben nur einen leichten Schlag. […] Auch beim [ʀ] sollten die Schläge hörbar werden.“ Das Reibe-R [ʁ] sei, so Siebs weiter, in der gemäßigten HochlautungHochlautunggemäßigte, aber nur in bestimmten Fällen anerkannt, sonst solle auch hier die Regel gelten: [r] oder [ʀ] im Anlaut vor Vokal, zwischen Vokalen und nach kurzem Vokal vor Nasal oder l.

Was das vokalisierte R [ɐ] in finaler Position angeht, so sei es nach Siebs in der Alltagssprache zwar verbreitet, „in der Hochlautung jedoch nur bei den Einsilblern in pro- und enklitischer Stellung (der, mir, für, vor [dɛɐ…]) gestattet“ (1969, S. 86). Selbst in der 1. Auflage des Duden war das vokalisierte R im Auslaut als „Nichthochlautung“ (1962, S. 44) bezeichnet worden, ab der 2. Auflage 1974 gilt es als übliche Standardform, ebenfalls schon im WDA (1964) und im GWDA (1982).

Die Präfixe er-, ver- etc. und das Suffix -er beispielsweise sind im Siebs bis zur letzten Ausgabe konsonantisch zu realisieren, während die anderen Wörterbücher bereits die vokalisierte Variante angeben. Diese recht strengen Regeln der R-Realisation im Siebs haben sich – unabhängig vom Landstrich6 – im Laufe des 20. Jahrhunderts extrem verändert, was ein Blick in die jüngsten Aussprachewörterbücher Duden und DAWB zeigt, die das vokalisierte R in finaler Position als Standard beschreiben. Selbst auf der Bühne ist das konsonantische R im Auslaut heute verschwunden.

Im Jahr 1987 beschrieben Martens und Martens den damaligen Stand mit folgenden Worten (hier ein Auszug):

Ein ‚rollendes‘ /-r/ im Auslaut ([-r], [-ʀ]) gilt heute als höchst ungewöhnlich […]. Als unschön wird es im allgemeinen [sic!] empfunden, wenn die (kurzen, hohen, weiten) Vokale [ɪ, ʊ, ʏ] vor einem Auslaut-/-r/ gedehnt werden […]. Erst recht gilt es als unakzeptabel, wenn nach den niedrigen Vokalen [-ɑ:] und [-a] und nach dem (mittelhohen, weiteren) Vokal [-ɔ] überhaupt keine Form von Auslaut-/-r/ mehr realisiert wird, sondern stattdessen lediglich der Vokal eine ‚Ersatz-Dehnung‘ bekommt […]. (Martens & Martens, 1987, S. 67, 68)

Ähnliche Entwicklungen könnten für andere Bereiche beschrieben werden, in erster Linie im Zusammenhang mit Assimilations-, Reduktions- und Eliminierungserscheinungen. Einige auffällige Veränderungen seien abschließend nur noch kurz erwähnt: Zum einen kann die Reduktion des Schwa-Lauts und seine Assimilierung mit dem Folgekonsonanten in den Endsilben /-en/ und /-el/ (z.B. „Nachrichten“ [-ən] zu [-n̩], „Nebel“ [-əl] zu [-l̩]) genannt werden; das sind Erscheinungen, die die neuen Aussprachewörterbücher heute als Standardvariante benennen. Oder es ist zu beobachten, dass die Aspiration von Plosivlauten T, K, P reduziert wird, nicht nur im Rahmen der Auslautverhärtung. Weiter kann festgestellt werden, dass die Silbengrenzen, vor allem bei homorganen Lauten verwischt werden, auf vokalischen Neueinsatz verzichtet wird oder die Konsonanten assimiliert werden oder zu einem einzigen verschmelzen („im Auftrag“, „und das“, „Abbildung“).7 Das Postulat im frühen SiebsSiebs des äußerst präzisen Artikulierens bekommt immer mehr Spielraum, und das ist über die Jahrzehnte vor allem seit Kriegsende auch im Hörfunk und der Werbung nachvollziehbar.

Was die Intonation bzw. die prosodische Komponente betrifft, so kann auch hier eine Entwicklung über die Jahrzehnte nachvollzogen werden: von Überakzentuierung mit gekoppelter Hyperartikulation hin zu natürlichem Akzentuieren. Das geht einher mit der oben angesprochenen Entwicklung nach dem Krieg zu „leiseren Tönen“ und sparsamer Emotionalität in der SprechweiseSprechweise, die am besten mit neutral-nüchterner Sprechweise vor allem in den Nachrichten zu beschreiben ist (vgl. Kap. 3.2.1)

4 Gesellschaftliche Normen und Werbung

„Die Entwicklung der Werbung ist geprägt von den strukturellen Rahmenbedingungen, vor allem von Politik, Recht, Technik, Ökonomie und Kultur“ (Siegert & Brecheis, 2017, S. 47). Was die Jahrzehnte nach dem Krieg betrifft, so ist in Westdeutschland eine steile wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung zu verzeichnen, was sich auch daran ablesen lässt, dass sich das Volkseinkommen ab den 1950er Jahren in vier Jahrzehnten mehr als vervierfachte und Deutschland zu einem der reichsten Länder machte. Die soziale Ungleichheit ging in den 1960er- und 1970er-Jahren zurück und erst seit den 1990er-Jahren zeichnete sich eine erneute Polarisierung ab (Geissler, 2014, S. 10).

Über Werbung (vor allem Printwerbung) als Spiegel der GesellschaftGesellschaft und über das „Wechselverhältnis zu gesellschaftlichen Normen, Werten und Vorstellungen, die letztlich die Gestalt und die Sprache der Werbung bestimmen“ (Cölfen, 1999, S. 11) ist ausführlich recherchiert worden, ebenso über WertewandelWertewandel und gesellschaftliche Entwicklungen, die sich in den WerbestrategienWerbestrategie erkennen lassen.1 Bau (1994) benennt die Dekaden wie folgt: Wiederaufbauphase 1950–1960, Konsolidierungsphase 1960–1970, Verunsicherungsphase 1970–1980. Die 1980er Jahre seien schließlich die Phase der „politischen Wende“ 1980–1990.

4.1 Die Nachkriegsjahrzehnte

Im Folgenden soll ein Blick auf einige Ereignisse und Bewegungen der hier im Fokus stehenden Jahrzehnte geworfen werden: die 1950er, 1960er und 1970er Jahre. Wie war die Stimmung im Land in diesen Jahrzehnten des Kalten KriegKrieg, kalteres? Was hat die Menschen beschäftigt? Was waren die wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Ereignisse dieser Zeiträume? Welche Rolle hatten die Frauen? In einem zweiten Schritt wird gefragt, wie die WerbeindustrieWerbeindustrie diese Zeit reflektierte bzw. darauf reagierte.

4.1.1 Die 1950er Jahre

Die 1950er Jahre werden auch als die GründerjahreGründerjahre der Bundesrepublik bezeichnet. Sie sind gekennzeichnet durch ein allgemeines Nachholbedürfnis und durch unglaubliche Anstrengungen, Deutschland nach dem Krieg wirtschaftlich wiederaufzubauen. 1955 brachte das deutsch-italienische Anwerbeabkommen erste Gastarbeiter ins Land, dem weitere folgen sollten. Frauenverbände setzten sich um die zivilrechtliche Umsetzung der GleichberechtigungGleichberechtigung vor dem Gesetz ein, wobei es um grundsätzliche Rechtsfragen ging, die Ende der 1950er Jahre vehement weiterverfolgt wurden. Die Gesellschaft der 1950er Jahre wies noch das klassische RollenverständnisRollenverständnis zwischen Mann und Frau auf und stellte private und familiäre Ungestörtheit und damit die Familie in den Fokus. Heute werden die gesellschaftlichen NormenGesellschaftgesellschaftliche Normen und WerteWertegesellschaftliche der Menschen dieser Zeit als „spießig“ empfunden. Es erschienen zahlreiche Benimmbücher, die den Menschen korrektes Verhalten und den korrekten Umgang der Geschlechter in Ehe und Familie anschaulich vorschrieben. Die Rolle der Frau als biederes Heimchen am Herd war auch in der Werbung verbreitet. Auch über die damals beliebten Familienzeitschriften heißt es, sie schwärmten davon,

[…] die Freizeit vornehmlich im Kreis der Familie zu verbringen. Dabei knüpfte man mit unverfänglichen Themen, die Gesprächsstoff und Unterhaltung für die ganze Familie bieten sollten, an das Genre der Familienzeitschrift des 19. Jahrhunderts an. (Seegers, 1999, S. 172)

Die Frauen der 1950er Jahre konnten sich in unterschiedlichen Gruppen wiederfinden. Neben der Hausfrau und Mutter gab es immer mehr Frauen, die einer ErwerbstätigkeitErwerbstätigkeit, der Frauen nachgingen, sei es bedingt durch finanzielle Schwierigkeiten oder weil sie der Gruppe der Frauen angehörten, die durch die Verluste im Krieg alleinstehend waren. Seegers (1999, S. 175) skizziert die Frau in den 1950er Jahren wie folgt: „Das Ideal war eine Joungleuse, die je nach situativer Gegebenheit die richtige, an den Wünschen des Ehemannes angepaßte Verhaltensweise an den Tag zu legen hatte und strengen Sanktionen unterlag, wenn das Bravourstück nicht gelang.“

Mit Deutschland ging es wirtschaftlich seitdem bergauf: „Im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik wurde das Bruttosozialprodukt mehr als verdoppelt, in ähnlichem Ausmaß stiegen die Löhne und Gehälter, gleichzeitig verschwand die Arbeitslosigkeit fast vollständig“ (Dammann, 2005, S. 9). Während 1950 noch ca. 25 % aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt waren, sank dieser Prozentsatz 1960 auf 14 %.

Die Erwerbsstruktur mit einem hohen Anteil landwirtschaftlicher und sonstiger manueller Arbeit, ein geringer Anteil an höherer Bildung, autoritäre Wertmuster in Ehe, Familie und Schule lassen uns diese Zeit als weit entfernte Geschichte erscheinen. Andererseits zeigen sich die fünfziger Jahre in vielem als der Beginn der heutigen modernen Gesellschaft: Aufstieg des Fernsehens, Anfänge des Automobilbooms, des Massentourismus und der Teenagerkultur mögen als Stichworte ausreichen. (Schildt, 2002)

Die Erwerbstätigkeit der FrauenErwerbstätigkeit, der Frauen lag 1950 bei 35 % und 1960 bei 37 % (in vier weiteren Jahrzehnten hat sich dieser Prozentsatz verdoppelt und heute liegt sie für die Gruppe der 20-64-Jährigen bei 76,6 %)1. Die Erwerbsrate der Jugendlichen war im ersten Nachkriegsjahrzehnt sehr hoch, was folgender Vergleich zeigt: In der Gruppe der 15- bis 17-Jährigen gingen 69 % einer Erwerbstätigkeit nach, bei den 18- bis 20-Jährigen waren es 85 %2 (Schildt, 2008). Die Arbeitszeiten nach dem Krieg waren sehr lang, und die Gewerkschaften setzten gegen Ende der 1950er Jahre eine Reduzierung der Arbeitszeit und die 5-Tages-Woche durch. Jetzt blieb für die Familie mehr Zeit.

Geldmangel und spärliche Freizeitangebote manifestierten sich in Werten wie SparsamkeitSparsamkeit, die wie selbstverständlich zum guten Charakter gehörte. Die Hausfrau musste mit wenig Haushaltsgeld wirtschaften. Oberstes Ziel dieser Jahre war der private Wohlstand, gezeichnet durch Optimismus und Tatendrang des Wiederaufbaus (die Zeit des „WirtschaftswundersWirtschaftswunder“). Heute spricht man auch von einer „Fresswelle“, die die Zeit von Ludwig Erhard3 begleitete und in der Konsumgüter wie Kaffee nicht mehr Luxusartikel waren. Neben Lebensmitteln gaben die Menschen wieder mehr Geld für Kosmetik, Haushalt und Kleidung aus, was an der Produktwerbung jener Zeit, also auch an der Radiowerbung, deutlich nachvollzogen werden kann. In der Werbung zu Beginn der 1950er Jahre ging es aber erst einmal weniger um die aktive Verkaufsankurbelung als darum, das Comeback der Marken nach den Kriegsjahren zu kommunizieren und Imagepflege zu betreiben.

Die Zeit des Kalten Kriegs beeinflusste auch im Hörfunk die Programmgestaltung in den 1950er Jahren.

Die auf materiellem Mangel basierenden Lebensverhältnisse und die entsprechenden Erziehungseinflüsse kennzeichneten den Sozialcharakter der um 1940 Geborenen schließlich als einen, der von asketischer Arbeitsmoral und autoritätsfixiertem Konformismus geprägt war. (Marßolek & Saldern, 1999, S. 36).

Das in der Werbung verbreitete Ideal der neuen nivellierten Mittelklasse war die häusliche Harmonie und das große Bedürfnis dazuzugehören.

Gasteiger fasst das Verbraucherverhalten in Anlehnung an Martineau (1959) zusammen und weist auf die Ende der 1950er Jahre beginnende Differenzierung der Klassen innerhalb der Mittelschicht hin:

Der Verbraucher wolle deshalb nicht einfach irgendeine Zahnpasta oder irgendeine Zigarette. Er wolle vielmehr die Marke, die seine Identität zum Ausdruck bringe: seinen Status, sein Geschlecht, seine Persönlichkeit und seine Altersgruppe. (Gasteiger, 2009, S. 39)

4.1.2 Die 1960er Jahre

Die ökonomische Rekonstruktion war Ende der 1950er Jahre abgeschlossen und die Menschen konnten ihre Ideale und Wünsche nach Häuslichkeit und Privatheit dank Verzichts und Sparsamkeit immer mehr umsetzen. Aber die 1960er Jahre, politisch geprägt durch Mauerbau (1961), Notstandsgesetze (1968) und die Proteste der APO (Außerparlamentarische Opposition), sollten die Werte der Elterngeneration infrage stellen.

[Der] Übergang von den 1950er zu den 1960er Jahren markiert den Beginn einer entscheidenden Phase tiefgreifender sozialkultureller Umbrüche, die die gesamte Gesellschaft erfaßten und die ihren besonderen Ausdruck im Verhältnis der Generationen zueinander fanden sowie mit einer erhöhten Bedeutung der Massenmedien und einem Wandel des massenmedialen Systems einhergingen. (Schildt, 1999, S. 252)

Reibungsfläche bot hier nicht zuletzt auch die mangelnde Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Der Gegensatz zwischen Jung und Alt kam immer stärker zum Ausdruck und sorgte für Spannungen und Veränderungen sozialer und kultureller Werte in der FlowerpowerFlowerpower-Bewegung (1965). Er gipfelte 1968 schließlich in der antiautoritären politischen StudentenrevolteStudentenrevolte der sogenannten 68er Generation. Die Spannung zwischen den Werten und Normen der älteren, konservativen Generation und der sich jetzt revolutionierenden Jugend zeigte sich in allen Bereichen, von moralischen Fragen und der sexuellen Befreiung bis zum Musikstil (es war die Zeit des Aufstiegs der Beatles) und bis zur Mode (längere Haare bei Männern und kurze Röcke bei Frauen).

Diese Zeit war für die FrauenbewegungFrauenbewegung bedeutungsvoll, die, auch wenn der Artikel 3 des Grundgesetzes auch damals schon „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ lautete, noch weit entfernt von der Umsetzung dieses Postulats in der Gesellschaft war. Frauen hatten aber begonnen, sich „hinter dem Herd hervorzubewegen“. Frauen-ErwerbstätigkeitErwerbstätigkeit, der Frauen war jetzt immer mehr anzutreffen und hausfrauliche Tätigkeiten wurden zunehmend als unattraktiv empfunden (Seegers, 1999, S. 177).

Der Wandel des Generationenverhältnisses brachte Konflikte und Auseinanderleben mit sich, die Jugendlichen entwickelten sich zu einer konsum- und freizeitorientierten Generation, deren Alltag immer mehr durch die Verbreitung der MassenmedienMassenmedien geprägt wurde. Der in den 1950er Jahren vorherrschende moralische Gesellschaftscode erfuhr eine Umstrukturierung in Richtung des kommerziellen Codes, beeinflusst durch amerikanische Alltags- und PopkulturKulturAlltags- und Pop-.

In den Konsumhoffnungen der fünfziger Jahre war zudem schon ein generationsbezogener alltagskultureller Nonkonformismus als eine Möglichkeit angelegt, die sich dann in den sechziger Jahren materialisierte und in den Jeans ihren symbolischen Ausdruck fand. (Marßolek & Saldern, 1999, S. 37)

Ein paar Zahlen sollen die 1960er Jahre skizzieren: Der Wohnraum war großzügiger geworden (1952 betrug die durchschnittliche Fläche einer Neubauwohnung 55 qm, 1962 waren es 75 qm. Ende der 1960er hatten nur noch 2 % der Haushalte keine Tageszeitung, Radio oder Fernseher und es stand in dreiviertel aller Haushalte ein Fernsehgerät. Während 1950 noch 36 % der Haushalte in Untermiete lebten, sank diese Zahl 1960 auf 13 % und der beginnende Wohlstandsboom zeigte sich unter anderem darin, dass in Immobilien angelegt wurde und ein Drittel der Bevölkerung Wohnungseigentum besaß (Schildt, 1999, S. 258–259). So ist es auch die Zeit, in der sich immer mehr Familien ein eigenes Auto leisten konnten (die Zahl der Haushalte mit eigenem PKW hat sich in den 1960er Jahren verdreifacht, was erste Reisewellen zur Folge hatte) und in der selbst das Radio in Form des TransistorradiosTransistor-radio mobil wurde (vgl. 2.1.2 zu Radiohörgewohnheiten im Spiegel der Zeit).

Anfang der 60er-Jahre besaß mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 21 und 25 ein eigenes Radiogerät, und selbst die Zwölf- bis 16-Jährigen verfügten häufig über ein Kofferradio oder kleines TaschentransistorgerätTransistor […]. Mitte der 60er-Jahre kamen dann auch die ersten Musik-Kassetten-Geräte auf den Markt. (Schildt, 2008)

Mehr MobilitätMobilität und die beginnende InternationalisierungInternationalisierung färbten auch auf die Küche ab, wo nicht nur höherwertige, sondern auch internationale und „exotische“ Lebensmittel gekauft wurden. Coca-Cola betrat den westdeutschen Markt und wurde Symbol für die Öffnung der Gesellschaft gegenüber US-amerikanischer Lebensweise. Auf den sozialen Umbruch und die damit zusammenhängende Alltags-Wirklichkeit der 1960er Jahre reagierten die Medien und vor allem die Werbung. So leisteten die MassenmedienMassenmedien einen Beitrag zur „VerwestlichungVerwestlichung“, zur AmerikanisierungAmerikanisierung und waren ihrerseits prägend und richtungsweisend.

Selbst wenn die Verhältnisse um 1960 retrospektiv noch sehr bescheiden anmuten, man stand ja erst am Beginn eines WohlstandsboomsWohlstandsboom, begann sich doch ein neues Konsummodell zu etablieren, in das durch die Stabilität der Arbeitsverhältnisse, die sozialstaatliche Absicherung und das Niveau der Einkommen große Teile der Arbeiterklasse als Kern einer breiten lohnabhängigen Mittelschicht integriert werden konnten, ein Konsummodell, in dem die alten Klassengrenzen allmählich verwischt wurden. (Schildt, 1999, S. 258)

Vergleichende WarentestsWarentests etablierten sich und begannen, sich auf ein differenzierteres KonsumverhaltenKonsumverhalten auszuwirken, was sich in den Folgejahrzehnten auf immer ausgefeiltere Weise fortsetzte (Gasteiger, 2009, S. 40–43). Einkäufe fanden immer mehr nach sozialem Ansehen und Gruppenzugehörigkeit statt und Produkte wurden nicht mehr nur nach objektiven Kriterien, sondern nach Scheinwerten ausgewählt, die wir heute als Zusatznutzen bezeichnen (z.B. soziale Anerkennung, Schönheit). Der Weg von der BedürfnisgesellschaftGesellschaftBedürfnis- in die Massenkonsumgesellschaft war eingeschlagen:

Marktforschung, Marketing und Werbung schlugen seit den späten 1960er- Jahren einen Weg ein, der auf eine gezielte soziale und psychologische Differenzierung des Konsums gerichtet war – sowohl in Bezug auf die materielle Gestaltung von Produkten als auch mit Blick auf ihre konnotativen, symbolischen Bestandteile. Theorien, die eine Nivellierung durch Konsum postulierten, konnten vor diesem Hintergrund freilich nicht mehr vertreten werden. (Gasteiger, 2009, S. 47–48)