Kitabı oku: «Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book)», sayfa 4

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Diagnosen: Schnell und/oder gründlich?

Schnelle und spontane Diagnosen können unscharf, willkürlich oder gar irrational sein und zu krassen Fehleinschätzungen führen. Hier tut sich für Lehrpersonen ein Dilemma auf:

Einerseits muss die Lehrperson oft schnell eine Entscheidung treffen und rasch handeln. Ihre reflexartige Diagnose läuft dann Gefahr, oberflächlich und einseitig zu sein.

Anderseits: Wenn die Lehrperson es genau wissen will, muss sie sich Zeit nehmen für eine eingehende, systematische Prüfung des Lernstands und allenfalls der Lernschwierigkeiten, etwa indem sie einen Test durchführt, die Arbeiten des Schülers analysiert oder ihn gründlicher befragt. Um diese letztere systematische Diagnostik geht es hier aber nicht, auch wenn diese bei einer summativen Beurteilung manchmal nützlich ist.

Es stellt sich die Frage: Gibt es nur diese beiden Alternativen? Auf der einen Seite die spontane und bisweilen unbewusste Einschätzung (auch «implizite Diagnostik» oder «Alltagsdiagnostik» genannt), auf der anderen Seite die systematische Diagnose entlang definierter Verfahren und Kriterien (auch «explizite Diagnostik» oder «professionelle Diagnostik» genannt)?

Nun, es sollte eine dritte Möglichkeit geben, denn allein die Vielzahl der professionellen Lehrpersonen, die sowohl schnell als auch treffend diagnostizieren können, beweist es. Es gibt eine Praktik des treffenden Diagnostizierens – Ruiz-Primo (2011) nennt sie auch «informelle formative Evaluation». Sie bildet das Bindeglied zwischen dem spontanen Urteil und dem analytischen Diagnostizieren. Der Schlüssel zu dieser Praktik ist eine geschärfte Intuition.

Diagnostik, um Lehrpersonen wachzurütteln?

A. Helmke (2009) stellt fest, dass die pädagogische Diagnostik ein Schattendasein führe, und empfiehlt, diese einzusetzen, damit die Lehrpersonen sich der Mängel ihres Unterrichts bewusst werden und ihn auf dieser Basis weiterentwickeln:

«Warum sollte sich jemand, der mit sich und seinem Unterricht zufrieden ist, ändern? Deshalb ist es wichtig, so früh und so oft wie möglich Gelegenheiten des Abgleichs zu schaffen, um eine empirisch fundierte, realistische Standortbestimmung zu leisten, Selbsttäuschungen zu erkennen und blinde Flecken zu vermeiden. Mit anderen Worten: Unterrichtsdiagnostik benötigt einen ‹fremden Blick› auf den eigenen Unterricht, sei es in Gestalt von Unterrichtsbeobachtung, Videographie oder Schülerfeedback.»

Der Ansatz der Praktiken professionellen Handelns hat dasselbe Ziel, aber der Weg verläuft in die Gegenrichtung: Zuerst legt die Lehrperson den Fokus darauf, die Qualität der Lernprozesse zu verbessern, und erst dann können im Bedarfsfall auch solche empirischen Verfahren zum Einsatz kommen.

Intuitive Diagnosen – wichtig, anspruchsvoll, lernbar

Den Begriff «Intuition» bringt man kaum mit einem zuverlässigen Verfahren in Verbindung, sondern eher mit «Bauchgefühl». Doch die hoch entwickelte Intuition kann sehr präzis, akkurat sein. Sie ist eine der wichtigsten Fähigkeiten einer Lehrperson, um im beruflichen Alltag professionell zu handeln, und notwendiger Teil aller Praktiken. Intuitive Feststellungen und Entscheidungen verlaufen in der Regel schnell, aber doch bewusst, und sie lassen noch Raum für kurzes Nachdenken. In vielen pädagogischen Situationen ist für aufwendige Prozeduren keine Zeit.

Geübte Lehrpersonen erkennen schnell und präzis, wo der Schuh drückt oder wo sich eine Chance auftut. Dabei verlassen sie sich weitgehend auf ihr intuitives Urteil. Um es vorwegzunehmen: Treffende Intuitionen sind weder spontane Einfälle noch ein diffuses Bauchgefühl, noch entspringen sie einer angeborenen Gabe: «Intuition beruht auf Wissen, das sich durch implizite und explizite Lernprozesse entwickelt hat, sie ist jedoch keine angeborene Fähigkeit» (Harteis & Gruber, 2008, S. 75, dt. U. F.).

Treffende Intuitionen sind etwas, was sich Menschen mit Wissen, Übung und Erfahrung antrainieren können: «Intuition is the result of learning» (Hogarth, 2010, S. 339). Intuitionen sind weder unbewusst noch irrational. Seit mehreren Jahrzehnten erforschen Psychologinnen und Neurologen, wie intuitive Urteile zustande kommen und wie zuverlässig sie sind. Zander et al. (2016) etwa sehen Intuition als Sensibilität für nicht bewusste Informationen, die zu produktiven Einsichten führen können. Die meisten Forscherinnen und Forscher sind sich einig, dass Intuition aus dem eigenen impliziten Wissen erwächst (Neuweg, 1999) und erlernt werden muss, wenn sie stimmig sein soll, insbesondere im Lehrberuf (z. B. Sipman et al., 2019). Je mehr also die Lehrperson über Wissen und Erfahrung zu analogen Situationen verfügt und daraus hat lernen können, desto zuverlässiger sind in der Regel die intuitiven Einschätzungen. Dabei sind Lernerfahrungen in konkreten beruflichen Kontexten absolut entscheidend für die Entwicklung von Intuition (Harteis & Billett, 2013).

Trainierte und geschärfte Intuitionen verbinden Sicherheit und Flexibilität

Gerade weil Unterricht komplex ist, brauchen Lehrpersonen Praktiken, die ihnen Sicherheit geben. Diese Praktiken dürfen aber nicht starr und schematisch sein, sondern sollten sich flexibel den Gegebenheiten anpassen:

–Die Fähigkeit, intuitiv zu erkennen, zu entscheiden und zu handeln, vermittelt Sicherheit («Das kenne ich», «ich weiss, dass es so funktionieren kann», «das habe ich schon öfter als richtig bzw. falsch erkannt» usw.)

–Aber zugleich lassen intuitiv gesteuerte Prozesse auch noch Raum für Innehalten und kurzes Nachdenken, d. h. intuitive Handlungssteuerung zeichnet sich durch Flexibilität aus.

Weiterführende Informationen und Materialien

Intuition – die Synthese von Reflex und Analyse

Reine Routinen und reflexartige Reaktionen stehen in keinem guten Ruf; sie lassen kaum Zeit für das Nachdenken und für das situationsadäquate Handeln. In der Lehrpersonenbildung wird deshalb oft die bewusste Analyse als Alternative vorgeschlagen und praktiziert. Das ist mit Studierenden möglich und sinnvoll, weil Begleitformate und Zeit dafür eingeplant sind. Aber alle wissen, dass gründliches analytisches Nachdenken nur ausserhalb des Unterrichts geschehen kann, nicht aber während des Unterrichtsgeschehens.

Die Intuition bildet gewissermassen das Bindeglied zwischen Reflex und Analyse. Sie ist zugleich kurzes Nachdenken und schnelles Entscheiden. Die Intuition verbindet die Vorzüge der beiden anderen Ansätze in sich, einerseits des eingeübten Handelns, und andererseits der Einsichten aus einer gründlichen Analyse und Reflexion.

Der entscheidende Punkt ist, dass die stimmige Intuition sich nur mit Hilfe der beiden anderen Ansätze entwickeln kann: Sie braucht sowohl ein Repertoire an Routinehandlungen als auch den analytischen, kritischen und sachkundigen Blick aus der zeitlichen Distanz. Das heisst, dass beides intensiv und wiederholt zu üben ist, sowohl das routinierte Handeln als auch die kritische und gut informierte Analyse.

Fazit: Trainierte und geschärfte Intuition hilft, richtig wahrzunehmen, angemessen zu entscheiden und wirkungsvoll zu reagieren, und dies direkt im Unterricht.


ReflexIntuitionAnalyse
Wie schnell wird reagiert?sofortschnellabwägend
Wie wird die Situation erfasst?Wiedererkennen eines Mustersschnelle Interpretation der aktuellen Situationeingehende Überprüfung mit Diskussion und/oder Analyse
Wie wird entschieden?reaktivintuitivabwägend, zum Teil mit Analyse und Diskussion
Was wird getan?erlernte Routinehandlungenerlernte Handlungsmuster, gesteuert mit schnellen Entscheidungenbewusst geplante Handlung mit wiederholter Prüfung des Fortschritts

Abbildung 11: Typen der Handlungssteuerung im Vergleich: Reflex – Intuition – Analyse (nach Eraut, 2004, S. 260).

Bessere Einschätzungen durch mehr Wissen, Übung und Erfahrung

Es sind besonders die wenig erfahrenen Lehrpersonen und Studierenden, die mit ihren intuitiven Eindrücken, Einschätzungen und Aktionen oft falsch liegen und es überdies nicht immer merken. Das ist in allen Fachbereichen und Berufen ein bekanntes Phänomen. Aus der umfangreichen Forschung über Expertinnen und Experten (z. B. im Schach) ist hingegen bekannt, dass die Genauigkeit und Richtigkeit von Intuition mit der Erfahrung und dem entsprechenden Wissen zunimmt und dass das schnelle Wahrnehmen und das geschmeidige Verarbeiten kennzeichnend sind für das intuitive Handeln von Expertinnen und Experten (z. B. Ropo, 2004; Gobet & Chassy, 2009). Diesem «Anfängerproblem» ungenauer Intuitionen kann auf mehrfache Weise begegnet werden.

Es braucht Informationen über Lernstand, Lernprozesse, Umstände und Vorgeschichte

Lehrpersonen und Studierende verlassen sich manchmal auf ihre eher oberflächlichen Eindrücke und vergewissern sich unzureichend, wie der Stand wirklich ist – bei einer ganzen Klasse, einer Gruppe oder bei Einzelnen. Ihnen fehlen also Informationen. Es braucht genaues Hinschauen, offenes Zuhören, Einlassen auf Gespräche bzw. Dialoge und auch Fingerspitzengefühl, um mehr über den Lernstand oder das Befinden zu erfahren. Und es braucht Erinnerungen an früher, die der aktuellen Situation zugrunde gelegt sind.

Um Kinder bzw. Jugendliche zu unterstützen, sollte man auch etwas über ihre Entwicklung wissen. Dieses Wissen erschliesst sich nicht im Augenblick, sondern kann nur über einen längeren Zeitraum aufgebaut werden. Aus der Vorgeschichte eröffnet sich mitunter ein Verständnis für die aktuelle Situation.

Vom Beobachten und Zuhören – zwei zentralen Informationsquellen – und dessen Training wird in diesem Kapitel noch die Rede sein.

Wissen

Zum einen braucht es Fachwissen. Wer beim Lösen einer Mathematikaufgabe helfen will, muss die Ursache der Schwierigkeit erkennen, und dazu sollten die Mathematik und die konkrete Aufgabe genau verstanden sein. Zum andern braucht es Grundkenntnisse über das Lernen und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Zum Beispiel wissen wir, wie lange etwa eine Primarschülerin konzentriert zuhören und aufnehmen kann; oder wir wissen um die Turbulenzen in der Pubertät, oder wir wissen um günstige oder hemmende soziale Prozesse in der Klasse. Mit diesem Wissen können Ursachen von Schwierigkeiten eingegrenzt oder ausgeschlossen werden.

Der Wissensvorrat in Form von Texten, Büchern, Onlinequellen usw. kann nicht während des Unterrichts erschlossen werden. Dazu braucht es «Wissen auf Vorrat» oder Recherchen im Nachhinein. Die Lehrpersonenbildung bietet dafür zahlreiche Lerngelegenheiten an, v. a. in Seminaren zur Fachdidaktik, zu den Erziehungswissenschaften und zur Berufspraxis. Das Aufspüren und Verknüpfen erhellender Quellen gehört zweifelsfrei zum Aufbau professioneller Praktiken und in diesem Fall unverzichtbar für die Schulung treffender Diagnosen.

Übung und Erfahrung im Wechselspiel mit neuem Wissen

Es wäre aber eine Fehlannahme zu meinen, dass Lehrpersonen ihre theoretischen Wissensbestände im Unterricht immer gedanklich präsent haben müssten. Das ist schlicht unmöglich, und darum geht es nicht, sondern um das Training und die Schärfung der Intuitionen auf der Grundlage sich kontinuierlich aufbauenden impliziten Wissens. Das Wesentliche an Lernprozessen – auch bei Erwachsenen! – ist ja, dass das Gelernte tief in der eigenen Person verankert ist. Sie kann darüber frei verfügen, ohne Nachgrübeln, ohne angestrengtes Erinnern. Das vorher bearbeitete Wissen wirkt indirekt; der Lernprozess ist initiiert worden, und das Wissen wird nun zunehmend Teil der Praktiken der intuitiven Diagnose.

Dieser Lernprozess der Studierenden und Lehrpersonen erfordert systematische Übung. Wie schon ausgeführt, steigt die Stimmigkeit von Intuitionen vor allem mit der Erfahrung. Es ist deshalb wichtig, dass dieser Prozess bereits in der Lehrpersonenbildung beginnt – durch produktive Lernsituationen in den Praktika, durch Gespräche und (Selbst-)Beobachtungen sowie durch gezieltes Üben, wozu dieses Buch zahlreiche Anleitungen gibt.

Aber wenn nicht gezielt geübt wird, ist Skepsis angebracht. Tina Hascher (2012) stellte in einer grösseren Studie zu Praktika fest, dass «in Praxiskontakten immer irgendwie alles gelernt wird», aber eben nicht spezifische Fähigkeiten entwickelt werden. Sie fährt fort:

«Die Studierenden springen oftmals von einer Situation zur nächsten, und eine systematische Gestaltung ihres Lernprozesses findet nur selten statt. Vielmehr entdecken sie jeden Tag etwas Neues, das sie in der Situation zwar als sehr relevant erachten, aber zu selten in ihren Kompetenzerwerb bzw. in Hinblick auf die Folgen für ihr eigenes Lernen integrieren. Grundlegend muss also die Frage gestellt werden, wie aus Praxiserfahrungen Lernprozesse werden.» (Hascher, 2012, S. 122)

Schulpraktika bieten herausragende Chancen, dass an einzelnen Praktiken systematisch und kontinuierlich gearbeitet wird. So können die Praktiken dermassen entwickelt und verinnerlicht werden, dass sie dauerhaft und auch unter Stress verfügbar sind.

Zurück zur Frage, wie intuitive Diagnosen verbessert werden können. Die Abbildung 12 stellt schematisch dar, aus welchen Ressourcen eine Entscheidung gespeist wird und wo man ansetzen könnte, um die Qualität der Entscheidungen zu verbessern. Wenn eine Lehrperson etwas wahrnimmt und eine intuitive Einschätzung macht, greift sie in der Regel nicht bewusst auf Wissensbestände zurück, sondern muss sich darauf verlassen können, dass sie gelernt hat, richtig einzuschätzen; sie nutzt ihr implizites Wissen. Und wie jeder Lernprozess braucht auch dieser sehr viele Vollzüge, bis er auf professionellem Niveau ist. Aber wie gesagt: Intuitionen erlauben immer noch einen kurzen Moment des Innehaltens, um die aktuelle Situation zu interpretieren – andernfalls würde man rein reflexartig agieren. In diesem kurzen Augenblick des Überprüfens («Stimmt das? Bin ich auf dem richtigen Weg?») wird die Lehrperson möglicherweise eine Information abrufen, mit der sie sich schon früher befasst hat – je nach Situation fachliches oder psychologisches Wissen, Vorwissen über die Geschichte dieses Schülers usw. So ist dieser Lernprozess nie ganz abgeschlossen, denn es wird immer leicht veränderte Situationen und neues Wissen geben, was die Praktiken anreichern und verbessern kann.


Abbildung 12: Intuition, gespeist von implizitem Wissen, als wichtigste Quelle situativer Entscheidungen.

Bessere Einschätzungen durch mehr Engagement und Bescheidenheit
Engagement, um die Lernenden besser zu verstehen

Gerade wenig erfahrene Lehrpersonen und Studierende sind zwangsläufig so sehr mit ihrem Unterricht beschäftigt, dass sie sich nicht immer auf die Lernprozesse und Befindlichkeiten der Schülerinnen und Schüler einlassen können. Das ist zwar verständlich, aber dennoch ein Problem. Wer im Modus «Unterricht gestalten» ist, hat weniger den Blick für die Lernenden. Deshalb muss das Umschalten in den Modus «Lernprozesse gestalten» stetig bewusst vollzogen werden. Es ist Sache der Übung, des Willens und sogar der Berufsethik, immer auch die Perspektive der Lernenden einzunehmen.

Es ist beeindruckend, dass John Hattie, Autor der nach ihm benannten Metastudie (Hattie, 2009), nach Sichtung aller Teilstudien zum Schluss kommt, dass die engagierte Lehrperson der entscheidende Faktor für den Erfolg der Schülerinnen und Schüler ist.

Plädoyer für die engagierte Lehrperson

Im Schlusskapitel skizziert Hattie (2009) das Profil einer guten Lehrperson – für ihn eine Person, die auf das Lernen der Schüler/-innen einen günstigen Einfluss hat. Er stützt sich dabei auf eine Vielzahl von Wirkungsstudien insbesondere aus dem angelsächsischen Raum. (S. 238–239, Übersetzung Urban Fraefel, gekürzt)

1.Die Lehrperson ist einer der mächtigsten Einflussfaktoren aufs Lernen.

2.Die Lehrperson ist direktiv, beeinflussend, fürsorglich und voll von leidenschaftlichem Engagement für das Lehren und Lernen.

3.Die Lehrperson erkennt, was jede einzelne Schülerin, jeder einzelne Schüler denkt und weiss. Das erlaubt es ihr, weiterführende Erfahrungen und Einsichten zu ermöglichen.

4.Die Lehrperson hat vertieftes Wissen über die Sache, um sinnvolle und passende Feedbacks zu geben, damit jede Schülerin, jeder Schüler stetig Fortschritte macht.

5.Die Lehrperson kennt die Lernziele und Erfolgskriterien ihrer Stunden, und sie weiss, inwieweit sie diese Ziele mit allen Schüler/-innen erreichen kann. Sie weiss, was als Nächstes zu tun ist, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

6.Die Lehrperson unterstützt unterschiedliche Denkwege (Konzepte, Alternativen); sie ermöglicht Verknüpfungen, damit die Schüler/-innen das Wissen und das Verstehen wieder und wieder aufbauen können. Nicht Wissen und Konzepte allein sind entscheidend, sondern deren Aufbau.

Weniger Selbstüberschätzung, Überwinden der unbewussten Inkompetenz

Klar, wer über 10 000 Stunden in der Schule gesessen hat, muss doch etwas von Unterricht verstehen – so denken viele Studierende. Paradoxerweise stimmt das überhaupt nicht, denn aus der Perspektive ihrer Erinnerungen an die Schule sehen sie nur einen kleinen Ausschnitt der Aufgaben der Lehrperson, und zudem nicht immer in bester Qualität. So prägen sich viele oberflächliche Klischees von Unterricht ein. In der Summe sind diese Erinnerungen nicht wirklich hilfreich, um als Lehrperson professionell zu handeln. Man nennt dieses Phänomen «unbewusste Inkompetenz» (siehe separater Infoblock).

So unangenehm, kränkend und manchmal schmerzlich diese Erkenntnis ist: Studierende haben zuerst einmal zu erkennen, wie anspruchsvoll es ist, den Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden. Sie müssen lernen einzugestehen, dass sie davon noch nicht viel verstehen.

Weiterführende Informationen und Materialien

Unbewusste Inkompetenz? Selbstüberschätzung bei Studienanfängern

Über mehrere Jahre hinweg untersuchten Hartmann und Weiser (2007) an der Universität Innsbruck, wie neu eintretende Studierende ihre eigenen Unterrichtskompetenzen einschätzten. Sie sollten zu folgender Aussage Stellung nehmen: «Mit genügend Zeit zur Unterrichtsvorbereitung könnte ich den Unterricht in den folgenden Fächern mindestens gleich gut wie meine ehemalige Lehrperson halten.» Die Ergebnisse waren sehr überraschend: Im Fachwissen hielten sich über 50 Prozent für kompetenter als ihre ehemaligen Lehrpersonen und bezüglich Fachdidaktik und Unterrichtsklima sogar über 70 Prozent.

Hartmann und Weiser (2007) deuteten das Ergebnis, indem sie auf den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt verwiesen. Er besagt, dass inkompetente Menschen dazu tendieren, ihre Fähigkeiten systematisch zu überschätzen. Dieser Effekt wurde von den beiden amerikanischen Forschern in einer vielbeachteten Studie dargelegt und wissenschaftlich nachgewiesen (Kruger & Dunning, 1999); sie testeten drei Gruppen von Versuchspersonen je in einem Bereich: Einschätzung von humorvollen Situationen, logisches Denken und Grammatik. Anschliessend sollten die Versuchspersonen ihre Kompetenzen im jeweiligen Bereich einschätzen. Während die kompetenten Personen sich eher kritisch einschätzten, lagen die Selbsteinschätzungen der schwächsten Versuchspersonen immer sogar über dem Gesamtdurchschnitt; sie überschätzten sich also massiv. Erst nach einer umfangreichen Schulung im jeweiligen Bereich gelang es den Schwächsten, ihre Kompetenzen akkurat einzuschätzen.


Abbildung 13: Von der unbewussten Inkompetenz zur unbewussten Kompetenz. Die erste Beschreibung dieses Modells findet sich bei Broadwell (1969). Es ist seither in mannigfaltigen Formen dargestellt und variiert worden.

Hartmann und Weiser erkennen dieses Phänomen bei ihren Studierenden wieder: «In unserer Betreuung der Studierenden nach dem Eingangspraktikum erleben wir ähnliche Veränderungen. Die Studierenden schätzen nach dem Praktikum ihre Kompetenzen niedriger ein, da die Selbstüberschätzung in der Konfrontation mit der Praxis eine Korrektur erfahren hat, auch wenn diese schmerzhaft ausfallen kann. Ein von seinen Fähigkeiten im Seminar sehr überzeugter Student beschreibt beispielsweise nach dem Praktikum seine Erfahrungen so: ‹Ich finde es einen Wahnsinn, dass uns im Praktikum die Nase blutig gestossen wird.› Der manchmal schmerzhafte Prozess des Bewusstwerdens der eigenen Inkompetenz und der folgenden Lernprozesse lässt sich mit dem Modell der bewussten Inkompetenz erklären» (S. 39).


Aktivitäten und Anregungen
Ein «Selbstversuch» und einige Anregungen, über die engagierte Lehrperson nachzudenken
Was wissen Sie eigentlich über Ihre Schülerinnen und Schüler?Lassen Sie sich auf einen kleinen Selbstversuch ein und nehmen Sie sich etwas Zeit:Stellen Sie sich zwei Schülerinnen und Schüler von einer Klasse vor, die Sie kürzlich unterrichtet haben, und schreiben Sie genau auf, wie sie lernen und wo sie ihre Schwierigkeiten, Stärken und Eigenheiten haben.Schreiben Sie je etwa eine A4-Seite.Überlegen Sie anschliessend,–worauf Sie Ihre Einschätzungen stützen – auf Beobachtungen, Dokumente, Noten, Gespräche …–welche Informationen Ihnen fehlen,–ob Sie den beiden mit Ihrer Beschreibung gerecht geworden sind.Bewusste InkompetenzIm vorherigen Text zu «unbewusster Inkompetenz» wird nahegelegt, dass das Bewusstmachen eigener Inkompetenz ein wichtiger erster Schritt zur Kompetenz sei.a. Gibt es Dinge, in denen Sie sich eigentlich kompetent fühlen, aber bei genauerem Hinsehen daran zu zweifeln beginnen? Was genau?b. Notieren Sie mindestens 10 Dinge zum Unterrichten, in denen Sie sich wirklich inkompetent fühlen.
Falls sich die Gelegenheit dazu ergibt: Suchen Sie mit den beiden nächstens ein lockeres und eher informelles Gespräch, um mehr zu erfahren und allenfalls Ihre Einschätzung korrigieren zu können. Dies ist auf allen Stufen möglich, vom Kindergarten bis zur Gymnasialstufe.Ordnen Sie sie je einer der folgenden Gruppen zu:–Klassenführung und Organisation
Das Profil einer engagierten LehrpersonIm Kasten «Plädoyer für die engagierte Lehrperson» auf hier werden sechs zentrale Punkte zitiert, die nach John Hattie zum Profil der engagierten Lehrperson gehören.1.Gehen Sie mit den Punkten 1–4 einig? Wenn nein, warum nicht? Notieren Sie Ihre Zustimmung und Ihre Vorbehalte, z.B. in Ihrem «Handbuch», und diskutieren Sie darüber mit Peers oder Fachpersonen.2.Falls Sie bei Punkt 2 Vorbehalte haben: Nehmen Sie nochmals Stellung, nachdem Sie das Kapitel 4 durchgearbeitet haben.3.Schätzen Sie bei den Punkten 1–4 ein, inwieweit Sie sie erfüllen (Skala 1–10), am einfachsten direkt auf hier.Überprüfen Sie Ihre Einschätzung in einigen Wochen erneut.–Klima und soziale Kontakte–Vortragen und Erklären–die Lernenden unterstützen und begleiten
So erkennen Sie, wo Sie subjektiv den grössten Entwicklungsbedarf sehen. Es ist aber wichtig, dass Sie sich darüber mit jemandem austauschen, der oder die Ihnen ein Feedback geben kann.