Kitabı oku: «Das Gesetz des Wassers», sayfa 9

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ZWÖLF

Als Tanner aufwacht, werden ihm zwei Dinge gleichzeitig klar, obwohl sie beide nichts miteinander zu tun haben. Die Geräusche, die ihn geweckt haben, stammen nicht von den Dar Boukas aus dem geliebten Marokko, zu deren Klängen er in seinem Traum Elsie eben noch hatte tanzen sehen, sondern von kräftigen Hammerschlägen auf einen Meißel, die so nahe schienen, als wolle jemand ein Loch durch die Wand seines Hotelzimmers schlagen. Elsie hielt bei ihrem Tanz die Augen geschlossen und hatte merkwürdig hohe Wangenknochen. Auch trug sie ein Kleid, das er nicht kannte und an dem irgendetwas irritierte. Aber in dem Maße, wie er sich bemühte, dieses Traumbild noch einmal vor sein geistiges Auge zu holen, zum Beispiel um zu sehen, ob sich das Gesicht von Elsie vollends in das Gesicht von Martha verwandelt hätte, verblasste es zunehmend, bis er gar nichts mehr wahrnahm.

In diesem Augenblick hören die Hammerschläge abrupt auf. Die eingetretene Stille wirkt beinahe bedrohlich. Dafür steht ihm die zweite Erkenntnis glasklar vor Augen: Er befindet sich in Gefahr. Je klarer es ihm wird, desto unbegreiflicher ist es, dass ihm erst jetzt diese Gefahr bewusst wird.

Mensch, bin ich denn ein Träumer? Ich verhalte mich wie ein Anfänger, entfährt es ihm. Nein, ich bin einfach ein Trottel, der jetzt auch noch anfängt mit sich selber zu sprechen.

Tanner springt aus dem Bett und kontrolliert, ob er gestern Nacht wenigstens sein Zimmer abgeschlossen hat.

Na, wenigstens etwas.

Er stellt sich unter die Dusche und versucht, einen klaren Kopf zu bekommen. Die Leute, die die sanfte Michiko umgebracht haben, besitzen ganz sicher auch ihr Mobiltelefon, das heißt, abgekürzt gesagt, sie haben auch ihn. Je nachdem, welche Rolle die schwäbische Claudia in diesem Spiel spielt, wissen die dann auch, dass er dabei war, als der Japaner starb. Offensichtlich hat Claudia ja nicht die Polizei gerufen, sondern wahrscheinlich die Mörder von Michiko. Oder, wer weiß, was sie Michiko angetan haben, bevor sie getötet wurde, um alles zu erfahren? Eins und eins macht immer noch zwei.

Die interessante Frage ist nun, warum die sich noch nicht bei ihm gemeldet haben, denn schließlich sind das Profis, davon ist Tanner überzeugt. Oder anders gefragt: Warum ist er noch am Leben?

Jetzt muss er handeln, das ist ihm klar. Er kann nicht einfach warten, bis die ihn gefunden haben.

Außerdem ist er gespannt, wann sich der Herr Hauptkommissar Schmid wieder bei ihm melden wird. Tanner beschließt kurzerhand, dem Schlaraffenländli einen erneuten Besuch abzustatten. Heute allerdings mit anderer Absicht als vor vier Tagen.

Ist das wirklich erst vier Tage her, dass er den lebendigen Körper von Michiko spürte? Sie saß auf seinen Knien und legte seine Hand mit einer kindlichen Anmut auf ihre Brust. Die Geste war erstaunlich natürlich gewesen und hatte sagen wollen: Sie gehört dir. Auch wenn es nur für einen begrenzten Augenblick gewesen wäre. In ihrem struppigen Pelzchen glänzte noch die Nässe vom Duschen. Vergeblich versucht er, die Bilder aus seinem Kopf zu verscheuchen. Es scheint ihm heute, als hätte er Michiko schon lange Zeit gekannt, so vertraut schien sie ihm. Er muss an die Erzählung von Michel denken, dass die Japaner noch jahrelang von den Bildern, diesen winzigen Momentaufnahmen, die sie mit den Kameras auf ihren flüchtigen Reisen gebannt haben, zehren. Er hat das Gefühl, dass es ihm mit den wenigen Bildern, die er von Michiko gespeichert hat, genauso gehen wird. Er sieht ihren schlanken Hals, die zarte Linie ihres Haaransatzes, die feinen Härchen, die wie ein schmales Bächlein zwischen ihren schönen Schulterblättern abwärts strömen und zwischen ihrem runden Po verschwinden, in ein von ihm unerforschtes Dunkel. Ihre Schultern und Arme besaßen diesen olivebraunen Schimmer, der sich in Richtung ihrer Brust deutlich aufhellte. Die Haut ihrer Brüste selbst war überraschend weiß, als ob die Natur dadurch das leichte Rosa ihrer vordersten Brustspitzen, die von der kalten Dusche auffordernd frech hervorstanden, erst richtig zur Geltung bringen wollte. Ihr glattes Haar roch nach Zedernholz.

Ja, nach Zedernholz.

Heute braucht er kein Taxi zu nehmen, denn er hat immer noch den gemieteten BMW.

Als er eine Viertelstunde später in einer kleinen Nebenstraße parkt, unweit von dem hellblau gestrichenen Haus, ist die Luft schon wieder sehr warm. Das damals aufmüpfig flatternde Nationalfähnchen ist heute nicht zu sehen.

Wenn es doch nur bald wieder einmal regnen würde, stöhnt er, als er aus dem Auto klettert. Als ob er nicht andere Sorgen hätte.

Die Haustür ist offen. Im Korridor steht ein Wagen mit Reinigungsutensilien. Aus der Wohnung hört man die Geräusche eines Staubsaugers und eine Frauenstimme, die in einer slawischen Sprache ein Lied singt.

Aha, das transitorische Paradies wird gereinigt.

Er steigt die Treppe zum ersten Stock hoch. Die Tür, an der ihn damals Michiko empfangen hatte, ist zu. Vorsichtig bewegt er die Klinke. Die Tür ist verschlossen.

Er klingelt. Die Klingel ist wegen des Staubsaugers im Parterre nicht zu hören. Gerade als er sich abwenden will, öffnet sich die Tür einen Spalt und das an Sommersprossen so reiche Gesicht Claudias erscheint. Sie starrt in an, ohne etwas zu sagen. Im Moment, da sie ihn erkennt, will sie sofort die Tür schließen. Aber Tanner ist schneller und stellt einen Fuß in den Spalt. Da nützt aller Kraftaufwand nichts.

Mensch, verschwinde! Wir haben geschlossen. Und zwar nicht nur heute. Wir haben für immer geschlossen. Verschwinde, Arschloch! Oder soll ich die Polizei rufen? Ist es das, was du willst?

Aha, die gute Claudia kann auch rüde sein.

Ach, die Polizei? So wie Sie es vor vier Tagen gemacht haben. Meinen Sie das?

Claudia ist für einen Augenblick perplex. Diesen Moment nutzt Tanner, stößt grob die Tür auf und setzt blitzschnell mit seinem Körper nach. Er schließt die Tür mit einem lauten Knall hinter sich. Durch den ziemlich kräftigen Stoß ist Claudia bis an die Rückwand des Wohnungsganges geflogen, wo sie verharrt, als ob sie festkleben würde. Beide Handflächen gegen die Wand gepresst. Ihr Körper zittert vor Wut. Sie starrt ihn an. Offensichtlich überlegt sie, wie sie aus dieser überraschenden Situation wieder herauskommen könnte. Tanner wartet geduldig auf ihre nächste Aktion. Was dann folgt, hätte er allerdings nicht erwartet. Das Zittern ihres Körpers nimmt plötzlich zu, sie senkt den Kopf und beginnt zu weinen. Sie lässt ihren Körper an der Wand niedergleiten, bis sie auf dem Boden sitzt und bitterlich schluchzt.

Ist das jetzt Taktik oder ist es wirklich ein unerwartet schneller Zusammenbruch? Tanner wartet weiter geduldig.

Hast du kein Taschentuch oder so? Und guck nicht so!

Aha, sie bleibt zwar beim Du, aber ihr Tonfall wechselt zum Trotz eines kleinen Mädchens.

Nein, ich habe leider kein Taschentuch oder so.

Dann hol mir doch ein Kleenex aus einem der Zimmer, bitte!

Tanner zögert. Dann zieht er den Schlüssel aus dem Türschloss und holt ihr aus dem ihm bekannten Zimmer eine Hand voll Taschentücher.

Okay. Hier, nehmen Sie.

Danke. Das ist sehr nett.

Sie schnieft und schnäuzt sich ungeniert ein paar Mal, dann blickt sie ihn an. Die Tränen kullern immer noch über ihre Wangen. Es sieht so aus, als ob sie sich mit den vielen Sommersprossen vermischen wollten. So, wie Claudia jetzt guckt, sieht sie eigentlich wieder ganz nett aus. Kurz zuvor machte sie eher den Eindruck einer rothaarigen Furie.

Du bist so ne Art Polizist, oder?

Tanner nickt vage. Sie atmet einmal tief durch.

Ich nehme an, Sie wissen, dass sie Michiko getötet haben, oder?

Sie stockt und versucht die heranrollende neue Welle von Tränen zu unterdrücken, aber es gelingt ihr nicht. Es fließt aus Augen und Nase. Erstaunlich, wie viel Nässe aus einem Menschen herausfließen kann. Tanner holt eine neue Ladung Taschentücher. Diesmal setzt er sich neben sie auf den Boden und lehnt sich ebenso wie sie an die Wand. Vielleicht fällt es ihr so leichter zu reden als Aug in Aug.

Wie heißt du eigentlich? Oder willst du mir deinen Namen nicht verraten?

Tanner sagt es ihr.

Okay, Tanner. Glaubst du, die haben …, äh … sie umgebracht, weil sie dich angerufen hatte?

Das wissen Sie?

Ja, sie hat mir gesagt, dass sie dich anrufen will.

Offensichtlich konnte oder wollte sie den Namen nicht mehr aussprechen, aus Angst vor einer neuen Tränenattacke.

Tanner überlegt, ob sie ihm damit eine moralische Mitschuld an Michikos Tod in die Schuhe schieben will. Ihrem Tonfall war allerdings nichts Hinterhältiges anzumerken. Was war wohl mit dem etwas fetten Mädchen? Er hatte ihren Namen vergessen. Die war ja auch eine Zeugin vom Tod des Japaners. Oder geht es vielleicht gar nicht darum? Claudia, was haben die gegen Sie in der Hand, dass die sich nicht die Mühe machen mussten, auch Sie umzubringen?

Kaum hat Tanner diese Frage gestellt, bricht Claudia wieder in Tränen aus. Diesmal ist ihr Schmerz offenbar besonders heftig. Plötzlich schlingt sie ihre Arme um ihn und die Nässe tropft auf seinen Hals, sein Hemd.

Okay, jetzt weinen Sie sich richtig aus. Danach erzählen Sie mir alles der Reihe nach.

Er legt gottergeben den Arm um sie und wartet, bis das Gröbste vorbei ist. Diesmal kommt das Weinen ohne Zweifel von ganz tief innen.

Okay, ich glaube, langsam komme ich wieder zu mir. So was habe ich ja schon lange nicht mehr erlebt, verfluchte Scheiße.

Sie beginnt noch unter Tränen zu lachen und Tanner befürchtet schon, dass das Lachen sich auch zu so etwas wie einem unkontrollierten Ausbruch auswachsen könnte. Aber sie lacht nur für einen Moment. Dann schnäuzt sie sich ausgiebig.

Woher weißt du, dass sie mich in der Hand haben? Du hast Recht. Es macht keinen Sinn mehr, es zu verbergen. Außerdem vertraue ich dir komischerweise, obwohl ich dich gar nicht kenne. Wir haben ja nicht einmal zusammen gebumst. Na ja, vielleicht besser so, oder? Die Frage übrigens ist schnell erklärt.

Erstens bin ich …

Statt weiterzureden schiebt sie den Ärmel ihres Morgenrocks hoch und hält ihm ihren Arm unter die Nase.

Alles klar? Und zweitens habe ich einen vierjährigen Sohn. Die haben gesagt, wenn ich plaudere, würden sie mir meinen Sohn wegnehmen und ich könnte ihn dann scheibchenweise wiederhaben. Per Post.

Hier bricht sie erneut in Tränen aus. Tanner nimmt sie nicht wieder in den Arm, sondern wartet, bis sie sich fängt.

Was ist denn eigentlich mit Ihrer Kollegin los, die damals mit dem japanischen Herrn …

Du meinst Odette? Ich habe sie, kurz nachdem du weg warst, nach Hause geschickt. Ich habe, um sie zu schützen, gesagt, ich hätte mit dem Japaner gebumst. Es war ein ziemlich diffiziler Moment, denn die wussten, dass der Japaner auf fettes Fleisch steht. Ich habe dann behauptet, dass er mal eine Abwechslung gebraucht hätte. Und dass eben an diesem Abend Odette gar nicht hier gewesen sei, weil ihre Mutter plötzlich ins Krankenhaus musste. Das haben sie dann geschluckt. Außer Michiko sei gerade niemand im Haus gewesen. Michiko wollte partout nicht gehen, weil sie mich nicht allein lassen wollte. Ich muss zugeben, die Überlegung war auch, dass mir niemand geglaubt hätte, dass ich an diesem Abend alleine gearbeitet habe. Bei Michiko kam es mir nicht so gefährlich vor, weil sie am nächsten Abend sowieso nach Frankfurt zurückfahren wollte. Dass sie dann aber nicht gefahren ist, sondern die Dummheit besaß, sich mit dir treffen zu wollen, damit hätte ich nie gerechnet. Ich habe auch heute noch keine vernünftige Idee, warum sie es getan hat. Und ich weiß auch nicht, wie die es herausbekommen haben. Plötzlich standen die mitten am helllichten Tage wieder hier. Ich war gerade mit einem sehr anspruchsvollen Gast beschäftigt. Anspruchsvoll heißt, ich war mit Handschellen ans Bettgestell gefesselt. Ich habe ihren Schrei gehört. Als ich endlich aus dem Zimmer kam, war sie schon tot. Sie haben sie gepackt und sind mit ihr verschwunden. Das konnte ich heimlich beobachten.

Sie flüstert.

Ich habe natürlich der Polizei nichts erzählt, die gestern plötzlich auftauchte. Ich habe denen nur bestätigt, dass sie hier gearbeitet hat. Ansonsten habe ich die beschränkte Nutte gespielt, die von nichts weiß. Ob der miesepetrige Kommissar mir wirklich geglaubt hat, kann ich nicht sagen, auf jeden Fall zottelten sie wieder ab.

Sie schaut ihn einen Moment lang an.

Okay, jetzt habe ich mich ganz schön in deine Hand gegeben. Was wirst du jetzt mit all dem anfangen? Und warum interessiert dich das überhaupt?

Ehrlich gesagt, Claudia, mit Interesse hat es wenig zu tun. Es ist schlicht eine Frage des Überlebens.

Aber warum?

Tanner schaut sie zweifelnd an. Sie weiß es wirklich nicht.

Die sehen auf Michikos Mobiltelefon meine Nummer.

Oh, du heilige Scheiße. Das heißt, du bist in Gefahr, Tanner! Dabei hast du mit Michiko und der ganzen Sache ja gar nichts zu tun.

Ja, das stimmt.

Er verheimlicht Claudia natürlich den quasi persönlichen, gefühlsmäßigen Anteil an seiner Beziehung zu Michiko. Gefühle? Aufkeimende Spuren von Gefühlen, sollte man sagen, die allerdings erst nachträglich entstanden sind. Sozusagen erst im Nachspann zu seinem kurzen Erlebnis mit Michiko. Tanner findet, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, die wichtigste Frage zu stellen.

Wer sind die?

Wie? Wer sind die? Was meinst du?

Also, Claudia, stellen Sie sich jetzt nicht dumm, bitte. Sie wissen genau, was ich meine.

Tut mir Leid. Das erfährst du von mir nicht. Wenn ich es dir sage, bin ich morgen tot.

Und wenn du es mir nicht sagst, bin ich morgen tot.

Claudia schließt die Augen und schweigt. Nach einer Weile blickt sie ihn wieder an.

Trotzdem. Tut mir Leid. Das Risiko ist für mich und meinen Kleinen zu groß. Ich kann es dir nicht sagen.

Okay. Das kann ich verstehen. Dann frage ich anders. Sie müssen nur mit dem Kopf nicken, ja? Tun Sie das?

Sie schließt erneut die Augen und auf ihrer Stirn erscheinen kleine Schweißperlen. Schließlich nickt sie, ohne ihn anzusehen.

Waren es Japaner?

Sie atmet tief durch – und nickt.

Tanner macht eine Pause.

Ist Ihnen etwas aufgefallen, irgendetwas Besonderes?

Sie presst ihre Augen noch fester zu und nickt.

Bei dem einen konnte ich eine Tätowierung sehen, weil sein Ärmel zurückgerutscht ist. Der zweite hatte eine am Hals. Mehr habe ich nicht gesehen. Der andere hat sich kaum bewegt. Der war am unheimlichsten. Ein Riese. Ich dachte immer, Japaner sind eher klein. Vielleicht waren es ja auch Chinesen. Ich bin mir nicht sicher. Ich war so durcheinander.

Es waren also drei?

Es kann sein, dass einer unten im Auto wartete.

Es ist, wie Tanner es befürchtet hat. Fernöstliche Mafia. Und das hier! Das ist eine neue Dimension. Jetzt, wo er Gewissheit hat, ist allerdings höchste Vorsicht und Umsicht geboten.

Noch eine Frage: Wen haben Sie denn anstelle der Polizei angerufen?

Ohne sie anzusehen, kann er fühlen, wie sie mit sich ringt.

Ich kann es dir nicht sagen, versteh doch. Wenn ich dir den kleinen Finger gebe … und so weiter, dann stirbt mein Kleiner. Kannst du das nicht verstehen?

Er sagt nichts. Sie lehnt sich erneut an ihn, wahrscheinlich um zu zeigen, dass sie es nicht böse meint.

Wie heißt denn Ihr Sohn?

Maxli. Also, er heißt richtig Maximilian. Und er ist noch so klein.

Sie flüstert wieder, als ob sie Angst hätte, dass sogar die Nennung seines Namens verheerende Folgen haben könnte. In diesem Moment tut sie ihm wirklich Leid.

Ohne es zu wollen, ist auch er ins Flüstern gekommen. Als ob sie in einer Ehrfurcht gebietenden Kathedrale säßen und nicht auf dem Fußboden eines Puffs.

Hat er das Viagra von euch bekommen?

Woher weißt du …? Nein. Sicher nicht. Ich habe dir gesagt, dass ich nichts mehr sage.

Aber er hat Viagra genommen, oder?

Ja. Na und? Er ist nicht der Einzige.

Sind die in eurem Service inbegriffen?

Sie seufzt.

Also gut. Ja! Aber nur bei Stammkunden. So. Und jetzt sage ich nichts mehr.

Gut. Ich verstehe. Er hat also die Tablette von Odette kredenzt bekommen, so viel ist klar.

Claudia protestiert nicht.

Die Frage ist, wer die Möglichkeit hatte, eine Tablette zu manipulieren und hineinzuschmuggeln.

Er schaut Claudia von der Seite an.

Wie hieß eigentlich Michiko mit Nachnamen?

Edelmann.

Und kennen Sie auch ihre Adresse in Frankfurt?

Sie nennt sie ihm.

Haben Sie schon einmal versucht, aus all dem auszusteigen? Ich meine, von der Nadel wegzukommen und eine andere Arbeit zu suchen?

Wie steigt man aus der Nadel aus? Einmal drin, immer drin. Alles andere sind Ammenmärchen. Und der Job? Der macht mir Spaß, ob du es glaubst oder nicht. Ja, Herrgott! Ich glaub’s einfach nicht! Immer wollen einen die Männer vor dieser Arbeit retten. Pustekuchen. Ich bumse gern und nehme ja nur die, die mir passen. Sex ist schön. Ich liebe Sex über alles. Die Liebe hat mir immer nur Unglück gebracht. Damit habe ich abgeschlossen. Aber Sex ist gut.

Das alles erzählt sie ziemlich hastig und sie ist allem Anschein nach noch nicht fertig. Sie muss jetzt reden. Wahrscheinlich um alles andere wegzureden.

Ich sage dir jetzt etwas, worüber die meisten Frauen nicht reden.

Sie rückt noch ein bisschen näher zu ihm. Er lauscht geduldig.

Ich liebe Schwänze. Lach nicht. Ja, ich liebe sie. Große, kleine, dicke, krumme, grade. Ich liebe sie alle. Und ich liebe meine Fähigkeit, im-mer zu wissen, wie man jeden einzelnen auf Hochtouren bringt. Wie gesagt, ich geh nicht mit jedem ins Bett. Wenn mir aber ein Mann gefällt, wenn er gut riecht und kein Psycho ist, dann freue ich mich jedes Mal auf den Moment, wo ich seinen Schwanz auspacke. Ich male mir vorher schon aus, zu welchem Typ er gehört. Meistens ist meine Trefferquote nicht schlecht. Manchmal liege ich natürlich auch voll daneben. Aber selten. Bei dir bin ich mir noch nicht so sicher. Wahrscheinlich eher klein …

Sie prustet los, als sie die Miene sieht, die Tanner bei dieser Bemerkung zieht.

Nein, das war nur Spaß. Ich werde dir nicht verraten, was ich denke. Sie lacht leise in sich hinein und lehnt sich wieder an die Wand.

Ja. Sex ist mein Leben und auch das Einzige, was ich wirklich gut kann, verstehst du? Was glaubst du, wie viele Männer mich schon gefragt haben, wie man eine Frau richtig an ihrer Muschi streichelt. Welche Stelle gestreichelt werden soll und welche nicht, weil es da nur nervt. Glaubst du, einer von denen hätte es gewagt, jemals seine eigene Frau zu fragen? Pustekuchen! Und wir Frauen können halt, so oft wir wollen. Ich habe auf jeden Fall kein Problem damit. Erstens sind Muschis robuster, als die meisten Frauen es zugeben würden, zweitens werde ich schnell feucht, sehr feucht, und wenn es mal nicht klappt, gibt es gute Cremes. Warum soll ich also diesen Job aufgeben. Abgesehen davon, sag mir bitte schön, in welchem Job ich so viel Geld verdienen würde? Und ich verdiene ganz schön, du.

Daraufhin kann Tanner eigentlich nicht viel sagen. Aber es gibt ihm Gelegenheit, ohne allzu unhöflich zu sein, endlich aufzustehen und zu gehen.

Er muss ihr allerdings noch einmal versichern, dass er sie und ihren Sohn nicht in Gefahr bringen wird. Am liebsten würde sie es ihn gleich schwören lassen.

Eigentlich mag er den schwäbischen Dialekt, aber jetzt ist es ihm doch ein bisschen zu viel geworden.

Als er im Auto sitzt, spürt er eine Sehnsucht nach Elsie, die ihn schier zerreißt. Mit ihr sind solche Reden und Fragen von allem Anfang überflüssig gewesen. Ob es jemals wieder so sein wird? Wird er überhaupt noch in der Lage sein, bei der Gefahr, die ihm droht? Grimmig schaltet er in den ersten Gang.

DREIZEHN

Im stillgelegten Kieswerk, das direkt bei der Mündung des Flusses liegt, herrscht Totenstille. Die Luftmassen über den unnütz gewordenen Maschinen, Gleisen, Silos und Türmen vibrieren und wabern.

Ebenso lautlos fließt träge der Fluss vorbei und schmuggelt sein dunkles Grün in das türkisfarbene Wasser des Sees. Eine Weile noch kann sich das Grün behaupten, aber schon bald verliert es sich. Löst sich auf im Nirwanablau.

Michel befindet sich inmitten der verlassenen Anlage. Er steht zwischen zwei mächtigen Kieshügeln wie am Boden festgeschraubt und ist stinksauer.

In ihm kocht eine brüllende Wut, gegen die – um es mal in seinem poetisch abwechslungsreichen Originaljargon zu benennen – die Scheißhitze dieses Scheißsommers an diesem Scheißtag in seinem Scheißleben auf dieser Scheißerde höchstens als lauwarm zu bezeichnen ist.

Er ist wütend auf Tanner. Und auf sich. Und auf seine Vermieterin, die heute sein tägliches Sandwich mit zu vielen Tomaten und zu wenig Fleisch belegt hat, so dass das gesamte Brot bis auf die Kruste aufgeweicht ist.

Und wütend ist er auf den Oberstaatsanwalt, der bestimmt gemütlich in seinem klimatisierten Büro sitzt und an einer seiner importierten Spezialhavannas saugt. Leider hat er heute Morgen sämtliche Vorschläge gutgeheißen, die Tanner sich aus den Fingern gesogen hatte und die er, der gutmütige Michel, seines Zeichens der größte Volltrottel unter der Sonne, schnurstracks dem Oberstaatsanwalt unterbreitet hatte, als wären sie auf seinem Mist gewachsen. Die Strafe folgte auf dem Fuße. Nicht einmal gelobt hat der Oberstaatsanwalt ihn dafür. Stattdessen hat er selbstherrlich Aufgaben und Aufträge verteilt, als sei er der Generalstabschef einer Armee, die kurz vor ihrem Sieg steht. Den beiden Blödmännern befahl er, in das Institut für Veterinärmedizin zu gehen, wo die drei Kuhkadaver aufbewahrt werden, mit dem Auftrag, alle notwendigen Untersuchungen in die Wege zu leiten und nicht eher wiederzukommen, als bis sie die Resultate in der Hand hielten.

Die hocken jetzt natürlich in der vollklimatisierten Kantine, spielen Eile mit Weile, schlagen sich den Bauch voll und warten gemütlich auf die Berichte.

Den Michel schicken wir an die heiße Front, hat der Oberstaatsanwalt genüsslich verkündet, worauf seine beiden Blödmänner losgegackert haben. Dies alles hat er stoisch über sich ergehen lassen, aber alles wurde fein säuberlich ad hoc in seinem Elefantenhirn aufnotiert.

Name. Datum. Anlass. Schwere des Vergehens.

Das gibt Rache. Und die Rache wird süß sein, ihr Männer von Athen, murmelt Michel. Ihr werdet leiden, das schwör ich euch, beim Schweiße meines Angesichts.

Und dieser Schweiß fließt nun so üppig, dass er es längst aufgegeben hat, seine geliebten Windeln zu verschwenden. Er sieht aus, als wäre er den grünen Fluten des Flusses entstiegen. Allerdings wie ein sehr zorniger Flussgott.

Über seinem Kopf, hoch oben am Himmel, kreisen einige Vögel mit weit ausgespannten Flügeln. Wahrscheinlich Mäusebussarde. Vielleicht ist auch der eine oder andere Milan dabei. Ein paar kleinere Vögel. Möwen. Raben. Krähen. Michel erblickt sie, als er seinen Racheschwur gen Himmel schickt. Er betrachtet sie neidisch.

Ihr habt es gut da oben. Ihr habt die Übersicht und Luft unter den Flügeln. Wir Sterblichen krepieren hier im heißen Staub und sehen kaum über die Spitze unserer dummen Nase hinaus.

Als Michel vor gut einer halben Stunde das Gelände erreichte, hat er die Vogelbande schon einmal gesehen. Sie ist über dem Kieswerk mit lautem Geschrei aufgeflogen, als er sich ebenso laut fluchend seinen Weg durch das dornige Gestrüpp bahnte, das auf gutem Weg ist, sich das verlassene Gebiet zurückzuerobern.

Er stocherte und stolperte mehr oder weniger ziellos durch das Gelände, das ihn immer stärker an die verlassenen Goldgräberstädte aus den Spaghettiwestern seiner Jugendzeit erinnerte. Nur, dass dort immer ein unheimlicher Wind den Staub aufwühlte. Ein Wind, der hier leider gänzlich fehlte. Oder stammte der aufgewirbelte Staub von den galoppierenden Pferden der Gangsterbanden, die sich in diesen verlassenen Nestern zu verstecken pflegten? Er hat es längst vergessen.

Er liebte damals diese Filme. Und die verruchte, vergammelte Atmosphäre, die in dem Kino herrschte. Und natürlich das Mädchen an der Kasse.

Das Mädchen an der Kasse. Du lieber Gott … mein Mädchen

In der sengenden Sonne erinnert er sich plötzlich mit schmerzhafter Schärfe an sie, als ob es gestern gewesen wäre. Die Erinnerung überschwemmt sein Inneres so heftig, dass er glaubt, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Tausend Bilder, Gerüche und Einzelheiten quellen gleichzeitig aus einer lange Zeit fest verschlossenen Zauberbüchse hervor, fügen sich zu lang vergessenen Bildteilen, geraten in Bewegung, werden zum dreidimensionalen Geschehen. Und er, Michel, mittendrin, wie im Zentrum eines Hurrikans, gleichzeitig Handelnder und Zuschauer.

Aber wieso jetzt? Hier in der brütenden Hitze zwischen zwei Kiesbergen, wo er beschlossen hat stehen zu bleiben, bis er eine Inspiration hat. Oder einen Hitzschlag. War es das Zauberwort … mein Mädchen? Es ist ihm, als ob unter dem Einfluss der Hitze alles andere wie Schnee in der Frühlingssonne rasend schnell dahinschmelze. Als ob alles, was in seiner Vergangenheit unwichtig ist, der Auflösung zum Opfer falle, um den einzig wahren Kern seiner Vergangenheit bloßzulegen, der für immer Bestand haben wird. Die leuchtende Mitte seiner nackten Existenz.

Ist das jetzt vielleicht der Hitzschlag? Es ist egal, längst ist er mittendrin in seinem Erinnerungssturm.

Wie oft ist er mit pochendem Herzen in das einzige Kino des katholischen Landstädtchens geschlichen, das ihm seine Eltern verboten hatten? Tausendmal?

Das Mädchen, das die Kasse bediente, war nur wenig älter als er. Ihren Namen wusste er lange Zeit nicht mehr. Wie oft hat er sich dafür geschämt, denn sie war immerhin das, was man die erste Liebe nennt. Jetzt tauchen Name und Gestalt plötzlich vor seinem von der unbarmherzigen Sonne geblendeten Auge auf wie eine Fata Morgana. So nah ist sie ihm, er bräuchte nur die Arme auszustrecken, um sie zu berühren.

Maria war von ihrer verstorbenen Mutter streng katholisch erzogen worden. Später entwickelte sie mit Leidenschaft und unerschöpflicher Phantasie eine Art obsessiven Rachefeldzug gegen diese Religion. Vollzogen hat sie sie allerdings am eigenen Körper.

Ihr Vater war ein hoffnungsloser Trunkenbold. Marias Mutter war in die Krankheit geflüchtet, weil sie das Elend ihres Mannes nicht mehr mit ansehen konnte. Scheidung kam ja nicht in Frage. Michel hasste ihn bis aufs Blut und verabscheute diese hagere Gestalt. Den schlurfenden Gang und die gierigen Lippen, die beständig an der Wodkaflasche hingen. Noch mehr hasste er aber die wässrigen Augen, die geil jede Bewegung seiner Tochter verfolgten. Als guter Katholik verdrosch er sie regelmäßig und nannte das Erziehung. Sogar im Dunkel des Kinos konnte man dann und wann die blauen Flecken auf ihrer sonst so makellos weißen Haut sehen. Michel schmiedete jede Menge Mordpläne, die er aber aus Feigheit nie ausführte.

Trotz alledem war Maria das unbeschwerteste Wesen, das Michel je getroffen hatte. Sie huschte mit ihren kleinen Füßen durch ihren mühseligen Alltag, als würde sie in einem Traum leben. Warum nur verlor er sie aus den Augen? Er hätte sie heiraten sollen und mit ihr sieben Kinder zeugen. Er wäre bestimmt glücklicher geworden, als er es später je wurde.

Ihr Vater war Besitzer des Kinos und Filmvorführer in einer Person. Nicht selten brannte der Film durch, weil er stockbesoffen in der Vorführkabine lag und nicht merkte, wenn irgendwas mit dem Projektor oder mit der Perforierung des Films nicht stimmte. Dann rannte Maria in die stickige Kabine und weckte entweder ihren Vater oder flickte kurzerhand den Film gleich selber. Sie war sehr geschickt. Nicht nur im Filme flicken.

Sie verkaufte in einem winzigen Kassenhäuschen die Karten. In der Pause zwischen den beiden Filmen schnallte sie sich einen Bauchladen um und verkaufte Eis und Zigaretten. Es war die Zeit, da man im Kino auf dem Balkon noch rauchen durfte. Die Balkonplätze waren natürlich teurer. Michel konnte sich nur eine Karte für das Parterre leisten, aber Maria, die auch die Karten am Eingang zerriss, erlaubte ihm, auf dem Balkon zu sitzen. Wenn sie sich während der Vorführung leise wie eine Katze zu ihm hinschlich, saßen sie immer auf einem Platz, der durch die Fensterchen der Vorführkabine nicht zu sehen war. Für den Fall, dass ihr Vater einmal nicht besoffen wäre. Dann hielten sie sich an den Händen, flüsterten dummes Zeug oder schauten gebannt auf die flimmernde Leinwand.

Später tauschten sie heiße Küsse und knutschten, was das Zeug hielt. Das heißt, sie begann eines Tages damit und nannte es: Wir machen die wahre Religion.

Manchmal, wenn sie Glück hatten und alleine auf dem Balkon des Kinos saßen und sie durch seine fleißige Arbeit an ihrem Rosenkränzchen schon mehrmals unter leisem Stöhnen gekommen war – sie nannte das: wir beten das Ave Maria –, während sein unerlöster Schwanz von all dem Geknutsche immer größer und praller wurde und zuletzt zu platzen drohte, kniete sie sich zwischen seine Knie und nahm ihn barmherzig mit ihren weichen Lippen auf. Sie nannte das: Wir kommen jetzt zum Abendmahl und trinken aus dem Kelch.

In diesem Moment fühlte er sie wirklich: die wahre Religion. Dann und wann flüsterte sie ihm schlimme Verse ins Ohr.

… reibe, reibe sanft das Jesulein/bis Maria geht gen Himmel ein/Dann singen alle Engel Lieder/und hoffen, du tust es immer wieder/morgens, mittags und auch in der Nacht/dann erst zeigt sich Gottes wahre Pracht.

Wenn sie sich dann endlich entschloss, ihn zu erlösen, sah sie ihn kurz vorher an und sagte: Jetzt tue ich es.

Er liebte nichts mehr auf dieser Welt als diesen Satz.

Außerhalb des Kinos trafen sie sich wenig, weil sie immer arbeiten musste. Auch war das Zusammensein draußen am Tageslicht einfach nicht so schön. Zudem hatten sie ja keinen Ort. Sie sprachen zwar nicht darüber, aber sie beschlossen stillschweigend, sich nur im Kino zu treffen.

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